Manipulationskunst VW 21. September 2015, von Marc Pitzke, New York REUTERS VW-Zentrale in Wolfsburg (Archiv): Was droht in den USA? VW wirbt in den USA mit deutscher Ingenieurskunst, jetzt drohen nicht nur Milliardenstrafen, sondern auch ein massiver Imageschaden: Mit dem Skandal um manipulierte Abgaswerte ist der Konzern auf gefährliches Terrain geraten. Wer in den USA Fernsehen guckt, kommt um Volkswagen-Werbung nicht herum. Einer der neuen VW-Spots, betitelt "Keine Kompromisse", preist den angeblich besonders umweltfreundlichen Jetta TDI Diesel: "Ist es nicht Zeit für deutsche Ingenieurskunst?" Nun meldet die US-Umweltbehörde EPA, dass es handfeste Manipulationen bei Volkswagen gegeben hat. Sollte das stimmen, dürfte kein noch so cleverer Werbeclip das Image von Volkswagen in den USA retten können: Dem Konzern drohen zivil- und strafrechtliche Folgen mit Milliardenbußgeldern - ein unabsehbares Desaster im ohnehin schwierigen US-Automarkt. Die ersten Folgen der Abgasaffäre sind schon sichtbar: Die VW-Aktie verlor am Montag zeitweise mehr als 20 Prozent. Was ist geschehen? Der EPA zufolge hat VW die Abgaswerte von fast einer halben Million US-Dieselautos mit einer Software manipuliert, die "die Abgasbegrenzung beim normalen Fahren ausschaltet und bei Abgastests anschaltet". VW-Chef Martin Winterkorn blieb nichts anderes übrig, als die Vorwürfe einzuräumen und eine Untersuchung anzuordnen. Damit aber ist der Skandal längst nicht aus der Welt. Im Gegenteil: Die USJustiz geht hart gegen Wirtschaftskriminelle vor - nicht nur in der Autobranche, wo zuletzt GM und Toyota Milliardenstrafen zahlen und ihre Top-Chefs vor dem Kongress Abbitte leisten mussten. Wie mächtig die Umweltbehörde ist In jenen Fällen ging es um Zündschlossdefekte, die Menschenleben kosteten kein Vergleich zu dem Öko-Trick bei VW. Doch Umweltsünden wiegen bei den US-Behörden ebenfalls schwer. Erst im August stattete US-Präsident Barack Obama die EPA mit neuen Vollmachten aus, um die CO2-Emissionen von Stromkraftwerken, Lkws und Öl- und Gasproduzenten zu drosseln. "Wir haben eine moralische Verpflichtung, unseren Kindern einen Planeten zu hinterlassen, der nicht verseucht oder beschädigt ist", teilte das Weiße Haus dazu mit. SPIEGEL ONLINE Kurs der VW-Aktie seit Mittwoch: Absturz am Montag VW wurde also auch in ein politisches Minenfeld geschleudert. Finanzielle Konsequenzen dürften nur der Anfang sein: 37.500 Dollar Zivilstrafe pro Auto kann die EPA den Wolfsburgern aufbrummen - bei 482.000 betroffenen Fahrzeugen wären das mehr als 18 Milliarden Dollar. Oft gibt sich die EPA per Vergleich zwar mit weniger zufrieden. Die südkoreanischen Hersteller Hyundai und Kia zahlten voriges Jahr 100 Millionen Dollar Strafe für mehr als eine Million Autos, die mehr Treibhausgase ausstießen, als ihre EPA-Zertifikate offiziell angaben. Drohen strafrechtliche Konsequenzen? Doch diesmal fordern Insider ein hartes Durchgreifen. "Ich hoffe, dass die Behörde eine starke Botschaft an den Rest der Branche sendet", sagte die Umweltaktivistin Margo Oge, die 32 Jahre lang für die EPA arbeitete, zuletzt als Abteilungsleiterin für Transportwesen und Luftqualität. "Wir müssen klar machen, dass das nicht akzeptabel ist." Das US-Justizministerium könnte sich ebenfalls einschalten: Wegen Verstoßes gegen das Umweltgesetz Clean Air Act, wie ihn die EPA dem VW-Konzern vorwirft, könnte es auch strafrechtlich Anklage erheben. Es würde dem Ministerium gut ins Konzept passen. Anfang September erließ es neue Richtlinien, nicht mehr nur Firmen anzuklagen, sondern auch die verantwortlichen Manager. Diese erste umfassende Direktive unter Justizministerin Loretta Lynch ist eine späte Einsicht aus der Finanzkrise, deren Hauptdrahtzieher bisher ungeschoren davonkamen. Selbst wenn sich das meist gegen Wall-Street-Banken richtet, könnte sich auch VW in diesem Netz verstricken. "Dies ist ein Test, wie ernst es die Regierung mit ihrer Zusage meint, die Wirtschaftskriminalität zu verfolgen", sagte Tyson Slocum von der Verbrauchergruppe Public Citizen der "Huffington Post". VW dürfe nicht nur "sein Scheckbuch zücken" und "mit dem Geld der Aktionäre" eine Zivilstrafe zahlen. Schon reichte die US-Anwaltskanzlei Hagens Berman im Namen betroffener VW- und Audi-Fahrer Sammelklage ein: Ihre Autos erlitten durch das "betrügerische" Verhalten von VW einen beträchtlichen "Wertverlust". Sie hätten je zwischen 1000 und 7000 Dollar mehr bezahlt, um ein umweltfreundlicheres DieselAuto zu erstehen. "Die Amerikaner sollten sich empören über die zynischen und vorsätzlichen Anstrengungen des Konzerns, eines der wichtigsten Umweltgesetze dieses Landes zu verletzen", poltert die "Los Angeles Times". "Dass der Menschheit katastrophaler Schaden droht von den Folgen der Treibhausschadstoffe, macht den Verstoß von VW umso ungeheuerlicher." Die Zeitung zitierte die Kalifornierin Priya Shah, die einen Jetta besitzt: Sie werde nie wieder einen Volkswagen kaufen. Diesel von VW/Audi Manipulierte Abgastests in den USA 21.09.2015 Volkswagen gibt Manipulation zu Volkswagen hat zugegeben, die Abgaswerte von Vierzylinder-Dieseln in den USA manipuliert zu haben. Die Folgen des Skandals. Die manipulierten Abgastests bei VW-Dieselwagen in den USA schrecken die gesamte Autobranche auf und erschüttern das Vertrauen der Anleger. Neben einem Imageverlust drohen Volkswagen Strafzahlungen von bis zu 18 Milliarden Dollar, Rückrufkosten sowie mögliche Regressansprüche von enttäuschten Kunden und Aktionären. Das Papier von Europas größtem Autobauer verlor am heutigen Montag (21. September 2015) bis zum frühen Nachmittag mehr als ein Fünftel seines Werts und zog auch die Titel anderer Autowerte mit hinab. Innerhalb kürzester Zeit verpufften rund 15 Milliarden Euro an Börsenwert. Alle News und Tests zu VW Volkswagen hatte am gestrigen Sonntag die Manipulationen von Abgastests bei Diesel-Fahrzeugen in den USA eingeräumt. "Die Manipulation an der eingesetzten Software hat es gegeben", sagte ein Sprecher des Konzerns. Der Verkauf von Diesel-Autos mit Vierzylindermotoren (VW Jetta, Golf, Beetle, Passat und Audi A3) wurde in den USA vorerst gestoppt. VW werde bis auf Weiteres auch keine gebrauchten Fahrzeuge dieses Typs verkaufen, so ein Sprecher. Die US-Umweltbehörde EPA hatte am 18. September 2015 mitgeteilt, dass VW gegen das Klimaschutzgesetz "Clean Air Act" verstoße. Der Konzern habe mit Hilfe einer Software die Resultate von Abgasuntersuchungen geschönt. Aufsichtsratsmitgleid fordert personelle Konsequenzen In die Rufe nach rascher Aufklärung und harten Konsequenzen reihte sich auch der VWBetriebsratschef ein. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Bernd Osterloh, der als einer der mächtigsten Männer bei Volkswagen auch Mitglied des Aufsichtsrats ist. "Wir müssen verloren gegangenes Vertrauen bei unseren Kunden zurückgewinnen", betonte er. Vor allem Vorstandschef Martin Winterkorn, dessen schon angekündigte Vertragsverlängerung auf einer Aufsichtsratssitzung am 25. September 2015 formal ansteht, sei dabei nun in der Pflicht. Winterkorn hatte am Sonntag eine externe Untersuchung der Vorgänge sowie eine rasche Aufklärung in Zusammenarbeit mit den Behörden versprochen. Die Bundesregierung verlangt von den Autoherstellern angesichts des Skandals um VW in den USA "belastbare Informationen", um mögliche Manipulationen bei Abgastests auch in Deutschland prüfen zu können. Diese Überprüfung müsse durch das Kraftfahrtbundesamt vorgenommen werden, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums in Berlin. BMW und Daimler erklären, nicht betroffen zu sein BMW und Daimler haben mittlerweile erklärt, nicht von den Ermittlungen in den USA betroffen zu sein. Bei Überprüfungen eines Dieselfahrzeugs habe es keine auffälligen Abweichungen der Werte gegeben, erklärte das Unternehmen am Montag in München. Deshalb sei BMW auch nicht von den zuständigen Behörden kontaktiert worden. Bei Daimler hieß es: "Es gibt nach unseren Erkenntnissen keine Untersuchungen zu Mercedes-Benz." Der in der Presse beschriebene Sachverhalt treffe auf Mercedes-Modelle nicht zu. Am Wochenende hatte sich Daimler-Chef Dieter Zetsche noch weniger eindeutig geäußert. Er sagte, es sei zu früh, um die Sache zu bewerten: "Ich weiß viel zu wenig über den Fall, um zunächst mal beurteilen zu können, wie gerechtfertigt der Vorwurf Volkswagen gegenüber ist und ob wir zu hundert Prozent und in jeder Betrachtungsweise davor völlig sicher sein können." Am 25. September sollte Winterkorns Vertrag verlängert werden VW-Konzernchef Martin Winterkorn kündigte eine schnelle Aufklärung an. Für Martin Winterkorn kommt dieser Skandal zur Unzeit. Gerade erst hatte sich das Aufsichtsratspräsidium für eine Vertragsverlängerung als Konzernchef ausgesprochen, eine Zustimmung des Aufsichtsrat am 25. September galt als sicher. Nun werden Stimmen laut, die seinen Rücktritt fordern. Winterkorn kündigte eine umfassende Aufklärung des Abgas-Skandals an. "Die Geschehnisse haben für uns im Vorstand und für mich ganz persönlich höchste Priorität", sagte der Konzernchef. "Wir arbeiten mit den zuständigen Behörden offen und umfassend zusammen, um den Sachverhalt schnell und transparent vollumfänglich zu klären." VW-Machtkampf: Winterkorn gegen Piëch Rund 482.000 Fahrzeuge sind bislang etroffen Konkret wirft die EPA VW vor, die Ermittlungen von Abgaswerten bei Dieselfahrzeugen manipuliert zu haben. Betroffen sind bisher rund 482.000 Fahrzeuge. Laut EPA soll das Programm ermöglichen, das Abgas-Kontrollsystem nur bei offiziellen Emissionstests zu aktivieren. Das würde bedeuten, dass die Luftverpestung im Normalbetrieb viel höher wäre. Bislang seien Fahrzeuge der Baujahre 2009 bis 2015 aufgefallen, darunter das für VW in den USA wichtigste Modell Jetta, aber auch der Golf, Beetle, der Passat und der Audi A3. "Solche Mittel zu benutzen, um die Klimaschutzstandards zu umgehen, ist illegal und eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit", hatte EPA-Vertreterin Cynthia Giles gesagt. Ihre Behörde werde die Untersuchungen in diesem "sehr ernsten" Fall fortsetzen. Dabei sei nicht auszuschließen, dass weitere Verdachtsfälle ans Licht kämen. Dicke Luft: In diesen deutschen Städten drohen Diesel-Verbote Grüne fordern Überprüfungen in Deutschland Die Grünen im Bundestag fordern nun Aufklärung über den Fall. Es müsse geklärt werden, ob so etwas auch in Deutschland stattfinde. "Die Aufklärung werden wir mit Nachdruck im Bundestag einfordern und auch schauen, ob deutsche Behörden bei diesen illegalen Aktivitäten durch aktives Wegschauen geholfen haben", sagte die Vorsitzende des Umweltausschusses, Bärbel Höhn, am Sonntag in Berlin. Es müsse auch geklärt werden, ob es ähnliche Fälle bei anderen Herstellern gebe. Der Autofachmann Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaftin Bergisch Gladbach sagte, bei VW müsse es strukturelle Änderungen geben. Wie andere Branchenkenner ist Bratzel entsetzt: "Das ist ein Bärendienst für die ganze deutsche Dieseltechnologie”, sagt er. Hierdurch würde das Image von Dieselautos – in den USA ohnehin in einer Nische – schwer beschädigt. Auch BMW und Daimler seien dadurch indirekt betroffen. "Man versucht seit Jahren, die Dieseltechnologie zu etablieren in den USA – und jetzt das", sagte Bratzel. DUH fordert Diesel-Verbot in Deutschland Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will angesichts der Manipulationsvorwürfe gegen VW ein Fahrverbot von Dieselautos in Deutschland erreichen. Das Problem bestehe nicht nur in den USA, sondern in noch deutlich stärkerem Umfang in Europa vor allem bei den deutschen Herstellern, teilte die Organisation am Samstag in Berlin mit. Die DUH will nun vor deutschen Gerichten ein Fahrverbot für Diesel-Pkw erstreiten. Die Organisation wirft Autoherstellern seit längerem vor, die Abgasbelastung durch Dieselantriebe zu schönen. Hierzulande sind rund 13,8 Millionen Autos mit Dieselantrieb unterwegs, damit liegt der Anteil an der gesamten Pkw-Flotte in Deutschland bei rund 31 Prozent.
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