Erasmus in Barcelona - die Stadt, die Universtität, das Studium und keine PommesDie TU Kaiserslautern und die Universitat Áutonoma de Barcelona. Beide vereint viel Gemeinsames. Dennoch besitzen sie ebenfalls viele Trennendes. Beide Ende der 60er gegründet, besitzen sie einen ganz unterschiedlichen Zeitgeist. An beiden durfte ich studieren. Basierend auf meinen Erasmuserfahrungen des Frühjahrs und Sommers 2015 möchte ich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beleuchten. Ein guter Vergleich setzt ein Grundverständnis der Kultur voraus. Deswegen ist es mir wichtig, zunächst einen kurzen Blick auf das Wesen und die Eigenheiten der Katalanen zu werfen. Dies dient auch einem besseren Verständnis der aktuellen Entwicklungen. Im zweiten Schritt folgen die Unterschiede im Bezug auf das Unileben und Mathestudium. Barcelona – die Stadt Mit Ursprung im 3. Jhd. vor Christus besitzt Barcelona eine sehr wechselhafte Geschichte. In den frühen Jahren unter der Herrschaft der Römer, Westgoten und Mauren erreicht die Hauptstadt Kataloniens ihre Blütezeit im 11. bis 14 Jahrhundert unter der Krone von Aragon. Die Stadt entwickelt sich in jener Zeit zum Dreh- und Angelpunkt des Handels und der Wirtschaft. Der nachfolgende über Jahrhunderte dauernde Niedergang begann 1469 mit der Heirat von Ferdinand, Erbe der Krone Aragons, und Isabela I. von Kastilien, welche neben einer angeblichen Affäre mit Columbus eine besondere Vorliebe für Folterinstrumente besaß. Die folgenden Erbstreitigkeiten mit Höhepunkt im spanischen Erbfolgekriegs führten zum Verlust der Unabhängigkeit Kataloniens am 11. September 1714. Dieser Tag ist noch heute – nach 300 Jahren – der wichtigste Nationalfeiertag Diada Nacional de Catalunya und dient öffentlichen Demonstrationen zur Unterstreichung der Forderung nach der Unabhängigkeit Katalanoniens. Im 20. Jahrhunderte setzte die Geschichte ihr Wechselbad fort. Wirtschaftlichem und kulturellem Aufschwung zu Beginn des Jahrhunderts und einer anarchistischen Revolution von 1936 bis 1939 folgten Jahrzehnte der Unterdrückung nach dem Sieg Francos, welche erst mit dessen Tod 1975 endete. Eng ist die Verbindung der Geschichte Kataloniens zur katalanischen Sprache, eines der zentralen Symbole der katalanischen Kultur. Entstanden zwischen dem 8. bis 10. Jahrhundert ist insbesondere das D-Wort – Dialekt – falsch und gegenüber einem Katalanen zu vermeiden. Im Einklang zur Geschichte war die Blütezeit unter der Krone Aragons, gefolgt von dem Tiefpunkt im 18. Jahrhundert – bekannt als Decadència. Verdrängt und unterdrückt von der kastillianischen Sprache überlebte das Katalanische nur in Bergdörfern. Erst die romantische Bewegung der Renaixença - die Wiedergeburt - reanimierte die katalanische Sprache und mit ihr die Kultur im späten 19. Jhd., um unter Franco wieder verboten zu werden. Begleitet wurde die Renaixença von dem Modernism - dem katalanischen Jugendstil. Ein wesentliches Merkmale ist die Rückbesinnung auf die guten Zeit unter der aragonischen Krone. Zusammengefasst ist die katalanische Kultur stark mit dem Stolz und einem Bewusstsein für ihre Heimat verbunden. Die Unterdrückung des letzten Jahrhunderts hat dies aus meiner Sicht gestärkt. Doch ist gerade vor diesem Hintergrund zu betonen, dass sich Katalanen als sehr offene und freundliche Menschen auszeichnen und das heutige Barcelona durch eine hohe Internationalität geprägt ist. UAB – das Campusleben Selbstverständlich besitzt Barcelona neben der UAB eine Vielzahl an Universitäten. Erwartet die Universtat de Barcelona den Besucher in einem wunderschönen traditionellen Gebäude, so warnen eine Vielzahl der Erasmusberichte bereist vor der Hässlichkeit der Gebäude der UAB. Als Student der TU fühlt man sich hingegen gleich der vertrauten 70er Jahre Bauweise heimisch. Dabei sind die geistigen Gründungswurzeln ein wichtiger Bestandteil des Selbstverständnis der UAB, was sie auch weiterhin stolz im Namensbestandteil Áutonoma trägt. Angeblich soll darin auch ein Grund liegen, dass die UAB bei Gründung bewusst in Bellaterra und damit außerhalb von Barcelona angesiedelt wurde. Mag in Kaiserslautern lediglich eine Flut an Pommes in der Mensa eine Welle der Entrüstung auslösen, so glüht das Blut der katalanischen Studenten heißer. Blockierte Brücken, mit Holzpaletten versperrte Eingangstüren und Megafondurchsagen in der Mensa waren und sind Teil des studentischen Lebens. Hauptgegenstand des aktuellen Widerstands ist die Umstellung von 4 Bachelorjahren und 1 Masterjahr auf 3+2 Jahren verbunden mit der Gefahr höherer Studiengebühren. Neben den Unterschieden im Protest gestalten sich auch die Freizeitaktivitäten mitunter anders. Während in Kaiserslautern Frisbees im Rahmen von Campus+ vor der Mensa herumschwirren, so verwandeln sich die Studenten in den Pausen zu den traditionellen Castellers – den menschlichen Türmen. Die Zweckentfremdung der Laternen als Steigbügelhalter ist dabei nur ein interessanter Nebeneffekt. Neben den Unterschieden verbinden beide Universitäten in meinen Augen eine sehr offene Kultur im Miteinander. Die gut organisierte Begrüßung der Eramusstudenten und die viele toleranten und interessierten Studenten erlaubten eine gute Integration in das Unileben. Mathematik - das Studium Obwohl bereits die Mathematik in Kaiserslautern ein ausgeprägtes angewandtes Profil hat, ist dies meiner Ansicht an der UAB noch stärker. Die Verzahnung zwischen den Mathe- und dem Physikbachelor ist enger, wodurch die Vorlesung angewandter gestaltet werden. Weiterhin zählen wie in Kaiserslautern neben den klassischen Übungen Programmieraufgaben zu den Hausaufgaben. Allerdings wurde die zugehörige Vorbereitung und Auswertung bewusster durch Tutorien im 2 Wochenrhythmus in die jeweilige Vorlesung integriert. In den Mastervorlesungen erfolgte eine noch stärkere Gewichtung in Richtung Praxis. So ist der Studiengang „Modeling for Science and Engineering“ neben Mathematikern auch Physikern und Ingenieuren offen. Dabei stehen neben den angewandten mathematischen Themen wie „Maths for Big Data“ oder numerische Verfahren für PDEs auch Vorlesungen zum Parallel-Computing im Fokus. Ergänzt wurde dies um eine ingenieursnahe Vorlesung zur Simulation. Behandelt wurde die Konstruktion von Maschinenbauelementen und das grafische Simulieren von Veränderung durch äußere Einwirkungen, wobei dies meinen eigenen Anwendungsanspruch überstieg. Getragen wird der Master von CRM - Centre de Recerca Matemàtica . Ziel der 1984-gegründeten Einrichtung ist die Förderung der Forschung sowie der mathematischen Lehre durch eine Stärkung der Kooperation mit anderen Forschungseinrichtung und Universitäten und kann somit als katalanisches Gegenstück zum Felix-Klein-Zentrum angesehen werden. Trotz des Ausfalls der ersten Vorlesung, da die Dozentin den Start erst in der folgenden Woche erwartet hatte, erwies sich die naturwissenschaftliche Fakultät der UAB als sehr strukturiert und verlässlich. So zeichneten sich auch die Professoren durch einen sehr offenen Kommunikationsstil aus, welcher den Dozenten der TU in nichts nachstand. Lediglich die Sprache führte hier und da zur Verwirrung. Gewiss eine Grundflexibiltät ist gefragt, wenn die erste Vorlesung auf Spanisch und die zugehörige Übung auf Katalanisch und die nachfolgende Vorlesung in Englisch gehalten wird. Dennoch führte bei mir das als V-ausgesprochene B sowie die mitunter etwas merkwürdige Aussprache englischer Wörter gerade zu Beginn vermehrt zu Verwirrungen. Nach 5 Monaten in Barcelona – und keine Pommes Grundsätzlich kann ich jedem einen Aufenthalt an der UAB empfehlen. Mag es wahrscheinlich nicht der geeignetste Ort zum Lernen weder von Spanisch noch Englisch sein, so bietet die UAB doch eine Vielzahl an Impulsen. Mathematisch hat mir das Studium einen sehr interessanten Einblick in angewandte Statistik vermittelt und ein Interesse an mathematischen Werkzeugen für Big-Data geweckt. Ansonsten bietet neben der UAB gerade Barcelona vielfältige Möglichkeiten der Inspiration. Neben der Geschichte kann gerade die Lebensweise der Katalanen begeistern und es würde mich freuen, wenn wir mehr von ihrem Geist des sozialen Ungehorsam hätten – anstatt uns nur über Pommes zu beschweren.
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