Krankes Gesundheitswesen – Grüne Vorschläge zur Genesung

................................................................................................................................................................................
VON
Drin Eva Mückstein
Gesundheitssprecherin
................................................................................................................................................................................
UND
Drin Gabriela Moser
Rechnungshofsprecherin
................................................................................................................................................................................
Krankes Gesundheitswesen – Grüne Vorschläge zur
Genesung
................................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................................
WIEN, PRESSEBÜRO DER GRÜNEN
18.03.2016
................................................................................................................................................................................
...................................................................................................................................................
Krankes Gesundheitswesen – Grüne Vorschläge zur Genesung
Pressekonferenz-Unterlagen
Mückstein & Moser
Wien, 18.03.2016
..................................................................................................................................................
Krankes Gesundheitswesen - Grüne Vorschläge zur
Genesung
1. SPARSTIFT UND FRAGMENTIERUNG BEHINDERN NOTWENDIGE
Strukturreformen
Eines der größten und teuersten Probleme: Österreich hat in Europa die höchste Akutbettendichte:
5,46 Akutbetten je 1000 EW
Abbau von Versorgungskapazitäten im stationären Bereich, d.h. der Abbau von Akutbetten, die
Vermeidung von unnötigen Spitalsaufenthalten und Inanspruchnahme von teuren
Spitalsambulanzen müssen ein vorrangiges Ziel in der österreichischen Gesundheitspolitik sein.
Wenn die Spitäler entlastet werden sollen, muss die niedergelassene
Gesundheitsversorgung konsequente gestärkt und ausgebaut werden. Dieser Prozess ist
dringend einzuleiten – leider wird dies von den Ländern und den Krankenkassen wegen
aufgesplitteter Finanzierungsverantwortung unzureichend bis gar nicht umgesetzt: Die
Länder erhalten über den Finanzausgleich Mittel zur Finanzierung der Krankenanstalten und
müssten bei einer Verlagerung der Leistungen in den niedergelassenen Bereich den Krankenkassen
Gelder abtreten. Gleichzeitig müssten die Krankenkassen mehr Geld in die Hand nehmen, um den
niedergelassenen Bereich besser zu finanzieren. Bund, Länder und Krankenkassen wollen trotz
Lippenbekenntnissen an der bestehenden Finanzierungsstruktur und Kompetenzverteilung nichts
ändern.
ABER: Sozialversicherung bremst weiter. Siehe Standard-Artikel (nur Print) heute
Hauptverbands-Chefin Rabmer-Koller. Kein Ausbau der Kassenstellen
Passt nicht zusammen mit ihrem Interview im Standard vom 2. März
http://derstandard.at/2000032144912/Hauptverbands-Chefin-draengt-auf-rasche-Umsetzung
Die Finanzierung aus einer Hand und Prinzip Geld folgt Aufgabe würde es erleichtern, dass
die Leistungserbringung in der Krankenversorgung tatsächlich dort erfolgt, wo sie ökonomisch und
fachlich am sinnvollsten erbracht werden kann.
Hohe Spitals- und Bettenlastigkeit des Ö. Gesundheitssystems – Rechnungshof sieht
Umschichtungspotenzial von 4,75 Mrd. zu ambulanten Behandlungsformen.
Aber auch Mangel- und Fehlversorgung im Krankenhausbereich sind die Folge von mangelnder
Abstimmung im zersplitterten Gesundheitssystem: drastische Mangelversorgung im Bereich
Kinder- und Jugendpsychiatrie. Auf diesem Gebiet ist man seit Jahren untätig. Im Burgenland
hat es bis 2013 kein einziges Bett im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie gegeben. – Siehe
Anfragebeantwortung der Grünen vom Sommer 2015. Schmerzambulanzen werden
geschlossen, mangelnde Palliativ- und geriatrische Versorgung. Überall lange Wartezeiten.
................................................................................................................................................................................
2
...................................................................................................................................................
Krankes Gesundheitswesen – Grüne Vorschläge zur Genesung
Pressekonferenz-Unterlagen
Mückstein & Moser
Wien, 18.03.2016
..................................................................................................................................................
Konsequenter Ausbau der Gesundheitsversorgung im niedergelassenen
Bereich notwendig
Österreich leistet sich eine teure Krankenhausstruktur, anstatt die Leistungen von
niedergelassenen Gesundheitsversorgern erbringen zu lassen, die in vielen Bereichen der Best
point of Service wären:
Aufwertung des niedergelassenen Bereichs nur möglich, wenn Geldflüsse vom stationären in den
niedergelassenen Bereich umgeleitet werden. Grundsätzlich ist genug Geld im System.
Die öffentlichen laufenden Gesundheitsausgaben beinhalten Ausgaben des Bundes, der Länder,
der Gemeinden und der Sozialversicherungsträger und betrugen im Jahr 2014 in Summe 25.642
Mio. Euro. Werden die öffentlichen Investitionen inkludiert, erhöhen sich die öffentlichen
Ausgaben auf 27.117 Mio. Euro, was einem Anteil von 74,8% an den gesamten
Gesundheitsausgaben entspricht.
Von den öffentlichen laufenden Gesundheitsausgaben für das Jahr 2014 entfiel mit 46,0% der
größte Anteil auf Leistungen der stationären Gesundheitsversorgung inklusive
Pflegeleistungen. Neben den Ausgaben für ambulante Leistungen, für welche 24,9% der
öffentlichen laufenden Gesundheitsausgaben aufgewendet wurden, waren die
pharmazeutischen Erzeugnisse und medizinische Ge- und Verbrauchsgüter (13,8%)
sowie die häusliche Pflege (9,1%) die wesentlichsten Ausgabenkategorien.
2. Bestehende Versorgungsmängel für die PatientInnen





Zu wenige Kassenstellen – insbesondere KinderärztInnen, GynäkologInnen, Psychiatrie,
Radiologie, Psychotherapie, Therapien für entwicklungsbeeinträchtigte Kinder (Ergo-, Logo-,
Physiotherapie)
PatientInnen werden rasch abgefertigt – Zuwendungsorientierte Behandlung nicht bezahlt
Primärversorgung lässt auf sich warten
Lange Wartezeiten sind die Folge
Immer mehr WahlärztInnen
Statt des notwendigen konsequenten Ausbaus des ambulanten niedergelassenen
Versorgungsbereiches erleben wir aktuell sogar eine Angebotsverknappung auch im
niedergelassenen Bereich:
Krankenkassen kürzen die Ausgaben, schreiben dzt. zum Teil auch wieder rote Zahlen (sinkende
Beiträge aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit, keine Sozialversicherungsbeiträge für
Kapitaleinkommen). Aber hohe Rücklagen: Das Finanzvermögen der Sozialversicherungsträger
stieg von 2,3 Mrd. Euro im Jahr 2005 auf 3,7 Mrd Euro im Jahr 2014. BM Oberhauser in einem
der letzten Gesundheitsausschüsse: „Da müssen wir uns etwas überlegen“
................................................................................................................................................................................
3
...................................................................................................................................................
Krankes Gesundheitswesen – Grüne Vorschläge zur Genesung
Pressekonferenz-Unterlagen
Mückstein & Moser
Wien, 18.03.2016
..................................................................................................................................................
BEISPIEL - KASSENSTELLEN
Verglichen mit dem Jahr 2000 gibt es in Österreich um 1.300 Kassenstellen weniger: Einerseits
aufgrund von tatsächlich weniger Kassenstellen, andererseits ergibt sich ein Mehrbedarf auch
aufgrund der wachsenden Bevölkerung. Leistungsverknappung und -kontingentierung z. B. bei CT, MRT-Untersuchungen, ein Mangel an KinderärztInnen und KinderpsychiaterInnen, Selbstbehalte
bei WahlärztInnen und lange Wartezeiten führen die Menschen wieder in die Spitalsambulanzen.
Die Folgen: Längere Wartezeiten, mehr Arbeitsdruck für die Gesundheitsberufe, mehr
Zweiklassenmedizin. Wer gut behandelt werden will, weicht in die Wahlarztpraxis aus. Die Zahl der
Wahlarztpraxen ist mittlerweile höher als jene der ÄrztInnen mit Kassenverträgen. So gab es 2016
(Jänner) 6946 Ärzte mit Kassenvertrag und 9655 ohne Kassenvertrag. Die Zunahme erfolgte vor
allem im Bereich der FachärztInnen ohne Kassenvertrag. So stieg zwischen Jänner 2010 und
Jänner 2016 die Zahl der WahlärztInnen insgesamt um 30%, die Zahl der Wahlärzte in der
Allgemeinmedizin stieg um 17 % und die Zahl der WahlfachärztInnen um 34 %.
Niedergelassene Ärzte – Jänner 2016 (Quelle: Österreichische Ärztekammer)
Ö
Alle §2-Kassenärzte
Alle Ärzte
6946
Alle §2-Kassenärzte
Allgemeinmediziner 3728
Alle §2-Kassenärzte
Fachärzte
3218
Ärzte ohne
Kassenverträge
Alle Ärzte
9655
Ärzte ohne
Kassenverträge
Allgemeinmediziner 2526
Ärzte ohne
Kassenverträge
Fachärzte
7079
Es gibt grundsätzlich genug ÄrztInnen in Österreich, aber einen Mangel an
AllgemeinmedizinerInnen und vor allem an AllgemeinmedizinerInnen, die am Land praktizieren
wollen.
Und für einige Facharztsparten gibt es zu wenige Kassenverträge bzw. sind diese zu unattraktiv
gestaltet: Kinder, Gynäkologie, (Kinder-) Psychiatrie, Radiologie…
................................................................................................................................................................................
4
...................................................................................................................................................
Krankes Gesundheitswesen – Grüne Vorschläge zur Genesung
Pressekonferenz-Unterlagen
Mückstein & Moser
Wien, 18.03.2016
..................................................................................................................................................
GRÜNE VORSCHLÄGE ZUR GENESUNG
Grundsatz: Erhalt der solidarischen gesundheitsversorgung – keine 2Klassen-Medizin
1. Reform der Planungs-, Versorgungs- und Finanzierungsstrukturen



Das österreichische Gesundheitswesen benötigt zur Effizienzsteigerung und zur Durchsetzung
der notwendigen Reformen eine Stärkung der Bundeskompetenzen, die Stärkung einer
zentralen Koordination und Steuerungsfunktion sowie die Planungs-, Versorgungs- und
Finanzierungsverantwortung aus einer Hand.
Der Bund muss seine Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Ländern ausbauen, wenn gegen
vereinbarte Planungsvorgaben verstoßen werden.
Finanzausgleich: Geld folgt Aufgabe
2. Konsequenter Ausbau des niedergelassenen Bereichs –
Primärversorgung, Ausbau Kassenpraxen, Stärkung Allgemeinmedizin
und Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe auf Augenhöhe





Aufwertung der Allgemeinmedizin und die Schaffung eines Facharztes für
Allgemeinmedizin sowie eine einjährige Lehrpraxis mit gesicherter Finanzierung.
Arbeits- und Praxisformen im niedergelassenen Bereich müssen den Ansprüchen von
jungen ÄrztInnen entgegen kommen, damit der Berufsweg in die allgemeinmedizinische Praxis
wieder attraktiv wird. Dies betrifft beispielsweise eine gute Lebensqualität durch gute WorkLife-Balance, die Möglichkeit für Teilzeitarbeit oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf:
Gruppenpraxen, Gesundheitszentren, Praxisnetzwerke, Primärversorgungseinheiten,
Teamarbeit, Timesharing, Anstellungsverhältnisse und die Zusammenarbeit mit anderen
Gesundheitsberufen je nach Bedarf müssen unkompliziert möglich sein
Gesamtverträge auch für die nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe, die in der niedergelassenen
medizinischen Versorgung zentrale Aufgaben übernehmen
Etablierung von District Nurses („Gemeindekrankenschwester“)
................................................................................................................................................................................
5
...................................................................................................................................................
Krankes Gesundheitswesen – Grüne Vorschläge zur Genesung
Pressekonferenz-Unterlagen
Mückstein & Moser
Wien, 18.03.2016
..................................................................................................................................................
3. Ausbildung zur/zum AllgemeinmedizinerIn muss attraktiv werden,
damit sich mehr AbsolventInnen des Medizinstudiums (neu) für diese
Ausbildung entscheiden (und nicht ins Ausland gehen und/oder sich
für eine Facharztausbildung entscheiden) und später als
AllgemeinmedizinerIn zur Verfügung stehen:




Gesicherte Finanzierung der Lehrpraxis
Aussicht auf eine Kassenstelle
Klare und gesicherte Berufschancen
Facharzt für Allgemeinmedizin
4. Maßnahmen gegen den LandärztInnenmangel



Aufwertung moderner Zusammenarbeitsformen: PHC, Gruppenpraxis, Teilzeit etc.
Vergütungssysteme müssen die PatientInnen-Struktur berücksichtigen: Anzahl, Alter,
Morbidität etc. – Strukturausgleichszahlung für Landarztpraxen
Attraktive Übergangsmodelle, wenn LandärztInnen in Pension gehen
5. ÄrztInnen-Nachwuchs – Studierende der Humanmedizin
Die durchschnittlichen Bundesausgaben je Medizin-AbsolventIn betragen lt. RH-Bericht zwischen
rd. 326.000 und rd. 415.000 Euro. Es wird zu wenig unternommen, dass mehr AbsolventInnen
ihre fachliche Ausbildung in Österreich absolvieren und ihren Beruf hier ausüben wollen. Die
Rahmenbedingungen für die Berufsausübung sind zu verbessern. Dies ist auch angesichts der
Ende 2016 auslaufenden Zulassungsbeschränkung im Medizinstudium zu beachten (3/4 der
Ausbildungsplätze sind für Personen mit österreichischem Maturazeugnis reserviert. Ö muss
versuchen, die nicht EU-konforme Einschränkung zu halten).
6. Etablierung der Primärversorgung











Entlastung der teuren Spitalsambulanzen
Vermeidung medizinisch nicht notwendiger Krankenhausaufenthalte
Bessere Verbindung zu Pflege, Sozialwesen und Rehabilitation
Integrierte Versorgung durch interdisziplinäre und multiprofessionelle Teams
Verbesserte Öffnungszeiten, auch an Tagesrandzeiten und am Wochenende (Mind. 55
Wochenstunden)
Integration von Gesundheitsförderung und Prävention
Verbesserung der Versorgung von chronisch Kranken
Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe auf Augenhöhe (Ziel)
Attraktivierung der Tätigkeitsfelder durch verstärkte Kooperation
Erleichterung der Kommunikation zwischen Gesundheits- und Sozialberufen
Möglichkeit für familienfreundliche, flexiblere Arbeitsformen
................................................................................................................................................................................
6
...................................................................................................................................................
Krankes Gesundheitswesen – Grüne Vorschläge zur Genesung
Pressekonferenz-Unterlagen
Mückstein & Moser
Wien, 18.03.2016
..................................................................................................................................................

Ökonomischer Effekt: Kosten der Länder sollen reduziert werden

Vertragsrecht: Einzelverträge sollen dem Gesamtvertrag untergeordnet sein und die Details
regeln, wie z.B. Versorgungsschwerpunkte des PHCs
Organisationsrecht: Bei der Vergabe an juristische Personen sollen nur solche
Betreibergesellschaften berücksichtigt werden dürfen, an denen ausschließlich Personen
beteiligt sind, die selbst mit ihrer Gesundheitsdienstleistung im PHC tätig sind
Marktzugang: Wir wollen die Vergabe von PHCs nicht nach rein marktwirtschaftlichen
Kriterien, sondern wie bisher bei Kassenverträgen üblich, nach objektiven Kriterien, die auf
Versorgungsqualität, sowie Erfahrung und Qualifikation der GesundheitsdienstleisterInnen
abstellen.
Gesundheitspartnerschaft (PatientInnen-Sozialversicherung-Gesundheitsberufe):
Wir wollen, dass die Verträge weiterhin zwischen der Sozialversicherung und den beteiligten
Berufsvertretungen ausverhandelt werden. Der faire Interessenausgleich innerhalb der
Gesundheitspartnerschaft muss weiterhin gesichert sein. Alle in der Gesundheitspartnerschaft
agierenden VertreterInnen müssen demokratisch legitimiert sein.
Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe auf Augenhöhe: Wir plädieren für eine
Enthierarchisierung der Gesundheitsberufe.





7. Aufwertung der Gesundheits- und Pflegeberufe – Personalaufstockung




Die Reform des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes muss endlich umgesetzt werden –
Aufwertung des Pflegeberufs
Stärkung des mitverantwortlichen Tätigkeitsbereichs (§ 15 GuKG) in der Praxis
Einsatz von sog. „District Nurses“ in der Primärversorgung
Gesamtverträge auch für die nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe, die in der niedergelassenen
medizinischen Versorgung zentrale Aufgaben übernehmen
8. Datenbasierte Planung braucht valide Daten – z. B. über die Anzahl
der derzeit und in Zukunft zur Verfügung stehenden ÄrztInnen
(insbesondere im Bereich der Allgemeinmedizin)

Dazu wird es in Kürze eine Anfrage der Grünen geben.
Drin Mückstein & Drin Moser
Wien, 18.03.2016
................................................................................................................................................................................
7