Stichprobe: Jeder Zweite hat riskantes Pestizid im Urin

ERNÄHRUNG
Stichprobe: Jeder Zweite hat
Der Unkrautvertilger Glyphosat kann in den Hormonhaushalt eingreifen und sogar Krebs auslösen,
Kürzlich beurteilte die Weltgesundheitsorganisation
den Unkrautvertilger Glyphosat als «wahrscheinlich
krebserregend». Eine Stichprobe des Gesundheitstipp
zeigt: In der Schweiz hat jeder Zweite das Gift im Urin.
egen eine Million Tonnen
des umstrittenen Unkrautvertilgers Glyphosat versprüht die Agroindustrie jedes
Jahr – auch in der Schweiz. Das bekannteste Produkt ist «Roundup»
des US-Konzerns Monsanto. Fachleute warnen seit Jahren, Glyphosat
könne Missbildungen bei Kindern,
Fehlgeburten und Krebs auslösen.
Bis vor kurzem wiegelten Behörden
und Chemielobby stets ab. Doch
nun beurteilen selbst die Krebsexperten der Weltgesundheitsorganisation den Stoff als «wahrscheinlich krebserregend».
Jetzt zeigte eine Stichprobe des
Gesundheitstipp: Bei jedem Zweiten lässt sich das riskante Glyphosat
im Urin nachweisen. Er sammelte
Proben von 40 Frauen und Männern aus Städten, Agglomerationen
und ländlichen Gebieten. Ein medizinisches Labor untersuchte die
Proben auf Glyphosat. 20 Proben
enthielten das Pestizid in einer
G
Konzentration von 0,2 bis 0,9 Mikrogramm pro Liter (siehe Tabelle).
Bereits vor zwei Jahren hatte eine
Studie europäischer Umweltorganisationen unter anderen zwölf Urinproben aus der Schweiz untersucht.
Damals fand das Labor nur bei jeder sechsten Rückstände des Gifts.
Marcel Liner von der Umweltorganisation Pro Natura war damals an den Messungen dabei. Ihn
schockieren die neuen Ergebnisse.
Sie zeigten, dass ein grosser Teil der
Bevölkerung immer wieder dem
Gift ausgesetzt sei. Liner: «Die Behörden müssen Spritzmitteln mit
Glyphosat vorsorglich die Zulassung entziehen.» Auch Martin Forter, Geschäftsleiter des Vereins
«Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz», hält die Resultate der Stichprobe für äusserst beunruhigend:
«Glyphosat muss weg vom Markt –
und zwar schnell und ohne Wenn
und Aber.» Der Stoff habe im Körper von Menschen nichts zu suchen.
20 von 40 Proben waren mit Glyphosat belastet
Anzahl
Proben
Belastung
(in Mikrogramm pro Liter)
1
0,9
5
0,4
1
0,3
13
0,2
20
Nicht nachweisbar
Urintest: Der Gesundheitstipp liess den Urin von Stadt-,
Agglomerations- und Landbewohnern untersuchen
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Ein Bauer besprüht seine Felder: Konsumenten nehmen das Glyphosat mit
Seit einigen Jahren verdichten
sich die Hinweise auf schädliche
Folgen von Glyphosat, z. B. durch
Experimente des französischen Forschers Gilles-Eric Séralini. Bei diesen bekamen Ratten häufiger Tumoren, wenn sie mehrere Wochen
Mais frassen, der mit Glyphosat belastet war. Laut Séralini deute dies
darauf hin, dass auch geringe Mengen des Gifts schädlich sein können. Er wurde daraufhin von der
Chemielobby massiv angegriffen.
Jetzt berufen sich auch die
Krebs-Fachleute der Weltgesundheitsorganisation auf solche Tierversuche. Diese hätten «überzeugende Belege» geliefert. Zudem
zeigten drei Studien aus den USA,
Kanada und Schweden, dass Menschen, die dem Pestizid ausgesetzt
sind, häufiger am Non-HodgkinLymphom erkranken. Das ist ein
Krebs der Lymphdrüsen.
Jahresverbrauch:
Bis zu 300 Tonnen
Eine Untersuchung aus der kanadischen Provinz Ontario zeigte, dass
Frauen doppelt so häufig eine Fehlgeburt erlitten, wenn sie Glyphosat
ausgesetzt waren. Es gibt zudem
Hinweise, dass es in den Hormonhaushalt eingreift und so die
Fruchtbarkeit bei Männern stört
oder Brustkrebszellen wachsen
lässt. Und aus Lateinamerika häufen sich Berichte über massive Gesundheitsprobleme nach dem Kontakt mit dem Pestizid. Dort versprühen Agrarunternehmen das
Gift meist vom Flugzeug aus auf
Gesundheitstipp Mai 2015
ERNÄHRUNG
riskantes Pestizid im Urin
warnen Fachleute
Tipps
So vermindern
Sie die Belastung
mit Glyphosat
Essen Sie vorwiegend
Lebensmittel aus BioProduktion. Sie verbietet den Einsatz von
Glyphosat.
} Meiden Sie Fleisch aus
EU-Billigproduktion.
} Kaufen Sie keine Linsen
aus Kanada oder den
USA.
} Verzichten Sie in
Ihrem Garten auf
Unkrautvertilger.
} Tipps für giftfreies
Gärtnern findet man
unter Giftzwerg.ch.
GETTY, FOTOLIA/RF
}
dem Essen auf
ihre Felder. Zum Beispiel auf die
riesigen Plantagen von genmanipuliertem Soja, Mais oder Raps. Die
fatale Folge: Das Gift gefährdet die
Feldarbeiter und viele Anwohner.
In den betroffenen Gebieten kommt
es auffällig häufig zu Fehlgeburten,
missgebildeten Babys und schweren
Nierenkrankheiten.
Auch in der Schweiz sprühen
Bauern das Pestizid auf ihre Felder – und zwar, bevor sie die Saat
ausbringen. Obst-und Rebbauern
benutzen den Unkrautvertilger
ebenfalls. Zudem kommt das Mittel im Gleisunterhalt zum Einsatz
und in privaten Gärten. Pro Jahr
sollen es insgesamt rund 300 Tonnen sein, schätzen Fachleute.
Fachleute gehen davon aus, dass
Menschen Glyphosat vor allem
Gesundheitstipp Mai 2015
über die Ernährung aufnehmen. In
Verdacht stehen unter anderem
Linsen aus nicht biologischer Produktion. Ein Test des Gesundheitstipp wies im Juni 2012 nach, dass
4 von 15 Linsenprodukten mit dem
Gift belastet sind, teils sogar stark.
Betroffen waren ausschliesslich Linsen mit der Herkunftsangabe
«Kanada» oder «Nordamerika».
Dort setzen Produzenten das
Pflanzengift in grossen Mengen
auch noch kurz vor der Ernte ein.
Dieses hochproblematische Verfahren wenden Produzenten auch bei
Getreide wie Weizen an. Nicht nur
in Übersee, sondern auch in vielen
Ländern der EU, etwa in Deutschland, Grossbritannien und Ungarn.
Durch den Unkrautvertilger
trocknet das Getreide aus. Das be-
schleunigt das Ausreifen des Korns.
Die Folge: Selbst in Mehl und Brot
ist das Gift noch vorhanden, vor
allem, wenn sie aus Vollkorn sind.
Das zeigte vor zwei Jahren die deutsche Zeitschrift «Öko-Test»: In 14
von 20 Vollkornprodukten hatte es
Rückstände des Unkrautvertilgers.
Auch Fleisch verseucht –
wegen Gentech-Soja
Das belastete Getreide aus dem
Ausland kann auch in Schweizer
Lebensmitteln landen. Laut dem
Branchenverband «Swiss Granum»
kommt rund ein Drittel des Brotweizens aus dem Ausland, vorwiegend aus Deutschland, Österreich, Ungarn und Italien. Hartweizen für Teigwaren oder Griess
kommt sogar fast ausschliesslich aus
Ländern wie Kanada, Italien oder
Ungarn, wo man weitflächig Glyphosat versprüht.
Fleisch aus EU-Grossmastbetrieben kann das Gift ebenfalls
enthalten, weil die Tiere oft mit
genmanipuliertem Soja gefüttert
werden. Es ist extra daraufhin gezüchtet, dass man die Felder mit
Glyphosat spritzen kann. In der
Schweiz sind Futtermittel mit GenSoja zwar auch erlaubt, kamen aber
bisher nicht zum Einsatz, so das
Bundesamt für Landwirtschaft.
Wie stark die Menschen in der
Schweiz durch den direkten Kontakt mit dem Sprühmittel gefährdet
sind, weiss man nicht. In der Stichprobe des Gesundheitstipp waren
jedoch 7 von 9 Teilnehmern aus
ländlichen Gebieten mit dem Gift
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ERNÄHRUNG
belastet, aber nur 11 von 24 Stadtbewohnern.
Marcel Liner von Pro Natura
erstaunt das nicht: «Gerade im
Frühling wird der Unkrautvertilger
wohl in fast jeder landwirtschaftlich
geprägten Gemeinde des Mittellands eingesetzt», sei es durch Bauern, Private oder Bahnbetreiber. Liner ist der Ansicht, dass die Behörden dringend prüfen sollten, wie
viel Glyphosat so ins Trinkwasser
gelange und ob Menschen das Gift
einatmen.
Die «Glyphosat Task Force» –
ein Zusammenschluss der Hersteller – sagt, das Pestizid sei «kein unzumutbares Risiko» für Menschen,
Tiere und Umwelt. Sie wirft der Beurteilung durch die Internationale
Agentur für Krebsforschung «er-
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Vollkornbrot, Spaghetti: Können Glyphosat enthalten
hebliche methodische Mängel» vor.
Und Hersteller Monsanto sagt,
man könne aus der Beurteilung
nicht auf ein reales Risiko für die
Schweizer Bevölkerung schliessen.
Andreas Friedli von der Stähler
Suisse AG – dem Schweizer Vertrieb von Roundup – schreibt, das
hier eingesetzte Glyphosat komme
nur bei Anwendungsfehlern in
Kontakt mit Menschen und könne
«nicht in die Nahrungskette» gelangen. Er sieht das Problem allein bei
Lebensmittelimporten und beim
Einkaufstourismus.
Die Schweizer Behörden sehen
vorerst keinen Handlungsbedarf.
Sie wollen erst die genauen Daten
zum Krebsrisiko prüfen. Laut dem
Bundesamt für Landwirtschaft wird
«Glyphosat sehr schnell und effizient über den Urin ausgeschie-
den». Auch das Bundesamt für
Lebensmittelsicherheit hält die gemessenen Werte für «gesundheitlich unbedenklich». Es sei nicht
überraschend, dass immer öfter
Rückstände von Chemikalien im
Menschen gefunden würden. Das
liege an den verbesserten Analysemethoden.
Sonja Marti
Aufruf:
«Sollen die Behörden Glyphosat
verbieten?»
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