PDF-Datei - Hexenhaus Espelkamp

Aktuelle
Forschungsergebnisse
Konsequenzen für eine
bedarfsgerechte
Unterstützung bei häuslicher
Gewalt gegen Frauen
Prof. Dr. Barbara Kavemann
Katholische Hochschule für Sozialwesen
Berlin
SoFFI.K.-Berlin
Forschungsgruppe WiBIG
Nach 30 Jahren Frauenhausarbeit und 10 Jahren
Interventionsprojekte geht es um eine
Differenzierung von Beratung und Unterstützung.
Eine differenzierte Sicht auf unterschiedliche
Gewaltverhältnisse
Ein bedarfsgerechtes Angebot an Schutz und
Unterstützung
Eine differenzierte Wahrnehmung derer, die
pauschal als Opfer und Täter bezeichnet werden
Eine sorgfältige Wahrnehmung des eigenständigen
Unterstützungsbedarfs der Töchter und Söhne
Wichtige Ergebnisse der Untersuchung zu
„Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit
von Frauen in Deutschland“
2003 wurden bundesweit 10.264 Interviews mit
Frauen durchgeführt, die in Deutschland leben und
zwischen 16 bis 85 Jahre alt waren (Basis:
repräsentative Gemeindestichprobe)
25% der Frauen haben mindestens einmal
mindestens eine Form der körperlichen und/oder
sexuellen Gewalt durch einen Beziehungspartner
erlebt
Von diesen Frauen hat ein Drittel einmalig Gewalt
erlebt, ein Drittel 2 bis 10 Mal und ein weiteres Drittel
10 bis 40 Mal
Gesundheitliche Folgen der Gewalt
64% der betroffenen Frauen erlitten Verletzungen wie
Prellungen und Hämatome bis hin zu Brüchen,
Würgemale und Kopfwunden
59 % dieser Gruppe gaben an, dass die Verletzungen
gravierender als Hämatome waren
Der Anteil der Frauen, die mehr als 11
gesundheitliche Beschwerden angaben, waren bei
Frauen mit Gewalterlebnissen doppelt so hoch wie
bei Frauen ohne Gewalterlebnisse
Wichtige Ergebnisse der Pilotstudie
„Gewalt gegen Männer“
Von den 200 Männern, die befragt wurden, erlebten
25% mindestens einen Akt der Aggression –
darunter leichte und schwere Formen der Gewalt –
durch eine Beziehungspartnerin
5 % der Männer wurden verletzt
5 % der Männer hatten Angst vor einer Verletzung
Zwei Formen der Gewalt in
Paarbeziehungen
„intimate terrorism“
„situational couple violence“
Michael P. Johnson (2005) Domestic Violence: It‘s Not About Gender
– Or Is It?
Es geht um unterschiedliche Rahmenbedingungen
und Bedeutungen von Gewalt in der Beziehung.
Diese Unterscheidung liegt quer zur Frage der
Häufigkeit und Schwere von Gewalthandlungen.
Beide Formen der Gewalt haben unterschiedliche
Auswirkungen und benötigen andere Intervention.
„intimate terrorism“
terrorism“
„Gewalt als systematisches Kontrollverhalten“
(Gloor/Meier)
Gewalt dient der Ausübung von Kontrolle und
Beherrschung in der Partnerschaft
Starke Verknüpfung mit frauenfeindlichen Einstellungen
der Täter
Häufig – aber nicht immer – eskalierende Gewaltspirale
Geschlechtsspezifische Gewalt
> 80% männliche Täter
„situational couple violence“
„Gewalt als spontanes Konfliktverhalten“ (Gloor/Meier)
Nicht eingebettet in ein Muster von Macht und Kontrolle
Gewalthandlungen in einzelnen eskalierten Konflikten
oder Serien von Konflikten.
In der Regel keine Eskalation nach dem Modell der
Gewaltspirale.
Gleichverteilung nach Geschlecht (ca. 50% männliche
und 50% weibliche Täter/innen
Eine dritte Form der Gewalt in
Paarbeziehungen:
Violent resistance
(gewaltförmiger Widerstand)
Michael P. Johnson (2005) Domestic Violence: It‘s Not About
Gender – Or Is It?
Nicht gemeint ist: Gegenwehr oder
Selbstverteidigung in akuten Gewaltsituationen
Es geht um eine gewalttätige Reaktion im Sinne von
Angriff und Vergeltung im Kontext von „intimate
terrorism“
Die Gewaltverhältnisse und Gewaltformen
wirken unterschiedlich in der nächsten
Generation weiter:
Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem
Miterleben von Gewalt zwischen den Eltern und
späterer, eigener Gewalttätigkeit in
Paarbeziehungen.
Diese Zusammenhang ist verhältnismäßig schwach
bei Gewalt als spontanem Konfliktverhalten.
Er ist jedoch deutlich stärker bei Gewalt als
systematischem Kontrollverhalten.
(Johnson 2005)
Gewalt ist nicht gleich und macht nicht
gleich
(Helfferich/Kavemann/Lehmann/Rabe 2005)
„Rasche Trennung“
„Neue Chance“
„Fortgeschrittener Trennungsprozess“
„Ambivalente Bindung“
Muster „Rasche Trennung“
Junge Frauen, kurze Beziehungen, selten verheiratet
Handlungsmacht durchgehend aktiv
Klare Vorstellungen von Beziehung: gewaltfrei
Selbstwahrnehmung selbstbewusst und informiert
Gewalt Teil der Vergangenheit, definitiver Bruch
nach kontinuierlicher Verschlechterung der
Beziehung
Distanz und positive Verbundenheit
(Helfferich u.a. 2006)
Muster Neue Chance
Überwiegend ältere Frauen, alle verheiratet und
Hausfrauen, mehrere Kinder
Handlungsmacht durchgehend aktiv, wenn auch oft
ineffektiv. Jetzt werden andere gefordert.
Klare Vorstellung von Lebensplanung und Beziehung
(Ehe und Familiennormalität)
Gewalt besteht in Episoden, die die Normalität
unterbrechen
Kontinuität in der Beziehung angestrebt, Rückkehr
zur Normalität ohne Gewalt
(Helfferich u.a. 2006)
Muster Fortgeschrittener Trennungsprozess
Frauen im mittleren Alter, langjährig verheiratet,
mehrere Kinder
Handlungsmacht: wachsend mit der Eskalation
Langer Trennungsprozess, eskalierende Gewalt,
dramatische Zuspitzung
Beziehung wird als Kampf gesehen
Intervention „erlaubt“ die Trennung: endgültiger
Bruch
(Helfferich u.a. 2006)
Muster Ambivalente Bindung
Frauen im mittleren Alter, langfristige Beziehungen,
mehrere Kinder
Handlungsmacht: nur ansatzweise gegeben, nicht
aktiv, ineffektiv, reaktiv, hilflos
Gewalt chronifiziert und teilweise eskalierend
Traumatische Bindung an den Partner: Mitleid aber
auch Versuche der Kontrolle seiner
Unberechenbarkeit
Keine klare Perspektive
(Helfferich u.a. 2006)
Unterstützung muss dem
unterschiedlichen Bedarf an
Sicherheit und Unterstützung
gerecht werden.
Fragen der Sicherheit stellen sich für
alle vier Muster.
Beratung muss ergebnisoffen sein
„Und dann haben die mir gesagt von der
Eheberatung oder was (sie meint die
Interventionsstelle), die haben angerufen und
gesagt: „Wenn er nicht zur Therapie geht, dann
reichen Sie die Scheidung ein.“ Die sagen das so
einfach. So einfach ist das gar nicht. Ich meine, 19
Jahre, so einfach ist das nicht weggeschmissen, 19
Jahre!“
(WiBIG 2004)
Beratung muss bedarfsgerecht sein
„Wenn sich das nicht ändert, sollte ich lieber die
Scheidung einreichen. Das wäre besser und dann
kann ich zu denen kommen und bekomme Hilfe. Und
dann habe ich gesagt: Was brauche ich für Hilfe,
wenn ich geschieden bin, dann bin ich ja für mich
alleine und mit mir selber komme ich alleine klar.
Was soll denn das?“
(WiBIG 2004)
Krise bedeutet oft erhöhten Bedarf an
Begleitung
„Da stand das zwar: ‚Wir begleiten Sie zu den
Ämtern‘. Ich hab gedacht: ‚Ach Gott, was soll das?
Bis jetzt bin ich immer alleine gut hingekommen, ja?‘
Aber in dieser Situation ist man, ich weiß nicht, wie
blind und braucht jemand, der einen an die Hand
nimmt.“
(Klientin einer Interventionsstelle, WiBIG 2004)
Beratung und Unterstützung müssen
bekannt und zugänglich sein
„Also mir ist gar nicht der Gedanke gekommen. Also
ich finde, solche Stellen sind gar nicht präsent. Ich
hätte gar nicht gewusst, was ich für eine Nummer
anrufen sollte. Und ich hab gar keine Vorstellung,
wie mir da geholfen werden soll.“
(WiBIG 2004)
Beratungsbedarf ist nicht einfach zu
formulieren
„Ich hätte mir schon gewünscht, eine Unterstützung
zu haben, aber ich kann auch jetzt nicht genau
formulieren in welcher Art. Ich denke, es wäre gut
gewesen, wenn noch mal durchgerufen worden wäre:
‚Sie haben zwar unsere Telefonnummer, aber können
wir Ihnen irgendwie helfen, brauchen Sie Hilfe?‘ Weil
von mir aus hätte – also wusst‘ ich nicht, was ich
hätte sagen sollen. Einfach anrufen und sagen: ‘Ich
brauche Hilfe‘ oder – das hätte ich nicht gekonnt.“
(WiBIG 2004)
Information trägt zum Empowerment bei und
eröffnet Handlungsspielräume
„Ich weiß mehr über mein Recht und nehme das
auch in Anspruch, nicht? Weil vorher habe ich doch
irgendwie immer gedacht: ‚Du bist seine Frau und du
hast die und die Aufgaben und Pflichten.‘ und
irgendwie war man immer mehr auf den Rückzug. Ich
gehe eigentlich auch jetzt nicht so vorwärts, aber
wenigstens stehe ich erst mal und halte Stand,
nicht? Ich weiß einfach, wo meine Rechte liegen.“
(WiBIG 2004)
Barrieren bei der Hilfesuche von Frauen
(Helfferich/Kavemann/Lehmann/Rabe 2005)
1.
Bei vielen von Gewalt Betroffenen ist eine Beratungsferne
festzustellen. Angebote sind nicht bekannt.
2.
Generell fehlen Kenntnisse, was von Beratung erwartet
werden kann, bzw. es herrschen falsche Vorstellungen von
Beratung.
3.
Es gibt Befürchtungen, dass Beratung eigene
Entscheidungen nicht respektiert.
4.
Es gibt teilweise große Orientierungsprobleme im
Hilfesystem. Die Unterstützungsangebote werden als
zersplittert wahrgenommen.
5.
Migrantinnen haben eher eine Vorstellung von Schutz als von
Beratung und erhöhte Zugangsprobleme.
6.
Frauen, die nicht mobil sind, stehen vor spezifischen
Barrieren
Trennen oder Bleiben?
Stellt das Unterstützungssystem Frauen
vor diese Entscheidung?
Widersprüchlichkeit von
Entscheidungsprozessen im Kontext
der öffentlichen Diskussion
Verharmlosung
Dramatisierung

Weggehen

Bleiben
Pauschale oder polarisierende Modelle
zum Verständnis von Gewalt in
Partnerschaften greifen zu kurz
Trennung
Bleiben
Stärke
Kompetenz
Für Sicherheit sorgen
Entscheidungskraft
Schwäche
Abhängigkeit
Gewalt tolerieren
Entscheidungsunfähig
Veränderte Anforderungen durch veränderte
Intervention
Durch Wegweisung / Platzverweis und pro-aktive Angebote
entsteht auch Kontakt zu Frauen, die weder die Intervention noch
Beratung wollten. Hier geht es vor allem um Information. (WiBIG
2004, SoFFI.K. 2004)
Durch pro-aktive Kontaktaufnahme und aufsuchende
Krisenintervention kommen Frauen in Beratung, die aus eigener
Kraft nicht gekommen wären. (WiBIG 2004)
Pro-aktive Kontaktaufnahme erreicht mehr Migrantinnen.
Sprachkompetenzen und interkulturelle Kompetenzen werden
gebraucht. (WiBIG 2004)
Es entsteht Kontakt zu Frauen, die nicht sich als
beratungsbedürftig definieren, sondern den Beratungsbedarf beim
Partner sehen. Kooperation mit Täterarbeit ist wichtig. (SoFFI.K.
2004)
Der Unterstützungsbedarf der Kinder wird bei aufsuchender
Beratung sichtbar. Unterstützung für Kinder muss angeboten
werden und kann hilfreich sein. (Helfferich u.a. 2006)
Gewalt kann Gewalt nach sich
ziehen
Gewaltphänomene
überschneiden sich
Multiple Gewalterlebnisse in den Blick
nehmen
Gewalt gegen Mütter und die Folgen für die
Kinder
Gewalt des Partners gegen die Mutter während der
ersten 6 Lebensmonate des Kindes verdreifacht das
Risiko von Kindesmisshandlung und verdoppelt das
Risiko von psychischer Gewalt und
Vernachlässigung. (McGuigan & Pratt 2001)
Frauen, die Gewalt gegen die Mutter miterlebt hatten,
erleben später doppelt so oft Gewalt in Beziehungen.
(Schröttle/Müller 2004)
Gewalt in der Partnerschaft überschneidet sich mit
anderer Gewalt.
Partnergewalt gegen die Mutter ist ein
Risikoindikator für späteres Gewalterleiden der
Töchter.
Partnergewalt zwischen den Eltern ist ein
Risikoindikator für sozial auffälliges und
gewalttätiges Verhalten von Söhnen – und Töchtern.
Sexuelle Gewalt in der Kindheit ist ein
Risikoindikator für späteres Erleiden von
Partnergewalt.
Partnergewalt ist ein Risikoindikator für
Kindesmisshandlung.
Kindesmisshandlung durch den Vater ist ein
Risikoindikator für Gewalt gegen die Mutter.
Das Problem mit dem Begriff „Opfer“
„Opfer“ will niemand sein
„Opfer“ ist für Jugendliche ein Schimpfwort
Jugendliche und junge Erwachsene sind am stärksten von
Gewalt betroffen.
Viele von Gewalt Betroffene sehen sich nicht als
Opfer
Der sicherste Weg, zu widerlegen, dass man Opfer ist, ist
selbst gewalttätig zu werden.
Der Zugang zu Unterstützung gelingt dann nicht, wenn
diese am Opferbegriff ansetzt.
Es gibt „richtige Opfer“ und andere.
Ein vorläufiges Fazit:
Es gilt, das Thema häusliche Gewalt auf der Agenda der Institutionen
zu halten. Jetzt geht es um Rückfallprophylaxe in den Institutionen.
Es gilt, das Unterstützungsangebot für von Gewalt betroffene Frauen
zu stabilisieren, auszudifferenzieren und abzusichern.
Es gilt, bedarfsgerechte Unterstützungsangebote für Migrantinnen zu
etablieren und abzusichern.
Es gilt, eine zielgruppengerechte Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln.
Es gilt, eine zeitnahe Kontaktaufnahme mit den gewalttätigen Männern
zu ermöglichen und diese in Maßnahmen zu weisen.
Es gilt, spezifische Unterstützungs- und Präventionsangebote für
Kinder und Jugendliche zu etablieren und abzusichern.
Es gilt, weiter an den Vernetzungsstrukturen zu arbeiten.
Mehr Information unter
www.wibig.uni-osnabrueck.de