HEINRICH KRAUS

HEINRICH KRAUS
MÄNNER - PARTNER - VÄTER - TÄTER
Ich arbeite mit den Tätern/Gefährdern. Daher dachte ich, es könnte für Sie ganz
interessant sein zu erfahren, wie sich diese Männer, die häusliche Gewalttäter
sind, von Männern, die auch Partner und Väter, aber keine Täter sind,
unterscheiden. Dazu möchte ich vierzehn Ergebnisse von empirischen
Untersuchungen zusammenzufassend darstellen. Ich habe sie in drei
unterschiedliche Bereiche eingeteilt, also zunächst einmal Beziehungsaspekte,
dann kognitive Aspekte der Täter und schließlich Affektpersönlichkeit und
Psychopathologie der Täter.
Die wissenschaftliche Forschung zu Tätern hat vor allem in den 90er Jahren des
letzten Jahrhunderts einen großen Aufschwung genommen. Viele Fragen, die
vorher unklar waren, sind mittlerweile geklärt, aber viele neue Fragen sind
aufgetaucht, und das Gebiet ist natürlich in einer steten Weiterentwicklung.
Wenn ich das vielleicht an einem kurzen Beispiel der methodischen Entwicklung
in der Wirksamkeitsforschung zu Täterprogrammen zeigen darf: Die ersten
Untersuchungen hatten noch keine Kontrollgruppen und es gab kleine
Stichprobengrößen.
Die zweite Generation von Untersuchungen hatte schon ein quasiexperimentelles Design: Gewalttätige Männer, die Täterprogramme besuchten
und diese zu Ende führten, wurden verglichen mit gewalttätigen Männern, die an
keinen Täterprogrammen teilnahmen.
In der dritten Generation der
Wirksamkeitsforschung ist es so, dass zufallsorientierte Zuweisungen zu
Programmen und Nicht–Zuweisungen zu Programmen verglichen werden. In den
letzten Jahren sind wir mittlerweile bei der vierten Generation gelandet. Hier
werden meta-analytische Studien herangezogen. Nicht mehr nur ein Programm
wird berücksichtigt, sondern viele oder mehrere Programme werden hinsichtlich
ihrer Wirksamkeit miteinander verglichen. Insofern hat sich das methodische
Vorgehen enorm weiterentwickelt.
BEZIEHUNGSASPEKTE
Ich komme nun zu den Beziehungsaspekten und möchte Ihnen kurz die
wichtigsten Ergebnisse präsentieren, vielleicht das eine oder andere auch
kommentieren. Ein leicht nachvollziehbares Ergebnis lautet: Paare, bei denen
es häufiger zu Gewalt kommt, zeigen ein höheres Niveau an
Beziehungskonflikten
und
ein
niedrigeres
Niveau
an
1
Beziehungszufriedenheit. Das ist nicht überraschend. Denn sobald Gewalt in
der Beziehung vorkommt, kann die Beziehung nicht sehr glücklich sein. Das ist
offensichtlich und scheint selbstverständlich.
1
Schumacher et.al. (2001). Risk factors for male to female partner physical abuse.
Aggression and Violent Behaviour, 6, 281-352.
1
Zweites Ergebnis: Körperliche Gewalt ist typischerweise der Höhepunkt
eines eskalierenden Konflikts.2 Es kommt zu einem Konflikt, einem
Konfliktthema – dabei kann es um Kindererziehung gehen, um finanzielle
Probleme, um die Freizeitgestaltung oder die Haushaltsführung usw. Der Konflikt
wird jedoch nicht gelöst, sondern eskaliert und mündet in Gewalt.
Dementsprechend - und das ist jetzt das dritte Ergebnis: Die Kommunikation
gewalttätiger Paare zeigt in Konfliktsituationen im Gegensatz zur
Kommunikation nicht-gewalttätiger Paare ein reziprokes Muster von
Ablehnung und offener Feindseligkeit.3 Konflikte werden nicht konstruktiv
gelöst, sondern der Konflikt verlagert sich von der Sachebene zum Persönlichen,
er wird subjektiv, d. h. es geht dann nicht mehr um Kindererziehung oder um
das Geldausgeben, sondern um den Konfliktpartner: „Du bist immer - Du machst
nie - “ Das sind die gängigsten gegenseitigen Vorwürfe, die zur Eskalation
beitragen.
Schließlich das vierte Ergebnis: Wenn ein Partner in der Beziehung körperlich
gewalttätig war, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch der andere Partner
gewalttätig war.4 Dazu muss man sagen: Häufig besteht Gewalt ja nicht nur in
körperlicher Gewalt, wie Schlagen, An-den-Haaren-Ziehen, Zwicken, Beißen
usw., sondern häusliche Gewalt ist wesentlich mehr. Dazu zählen vor allem die
psychische Gewalt, die darin besteht, den anderen in seinem Selbstwert zu
erschüttern, dann sexuelle Gewalt, Drohungen, Einschüchterungen, ökonomische
Gewalt, Benutzen der Kinder usw. - häusliche Gewalt ist viel mehr als nur
körperliche Gewalt. Im Zuge einer Konflikteskalation kommt es regelmäßig und
in individueller Variation auch zu anderen Gewaltformen. In einer eskalierenden
Konfliktsituation ist es typisch, dass man sich gegenseitig beschimpft oder dass
die Stimme lauter wird, was schon als Einschüchterung gesehen werden kann
Es ist nicht immer so, dass der Mann von Haus aus der böse gewaltbereite
Mensch ist und die Partnerin die friedliche liebevolle Ehefrau, sondern im Zuge
von Konflikten kann es auch auf Seiten der Partnerin zu nicht-körperlichen
Gewaltformen kommen. Damit möchte ich nur andeuten - und das auch jetzt
nicht weiter ausführen -, dass nicht nur Männer gewalttätig sein können, sondern
Frauen können es prinzipiell auch.
Es gibt Untersuchungen von einem pro-feministisch orientierten Forscher,5 der
eine Vergleichsstudie gemacht hat von vier verschiedenen Täterprogrammen. Er
schreibt, dass in 40 % aller Fälle die Gewalt von der Partnerin ausgegangen ist.
Der Mann lässt sich nichts gefallen, wodurch es zur Eskalation kommt. Und
natürlich, wenn es um die körperliche Gewalt geht, sind die Männer die
2
O´Leary, K.D. (1999), Developemental and affective issues in assessing and treating
partner aggression. Clinical Psychology: Science and Practice, 6 (4), 400-414.
3
Berns et.al. (1999). Demand-withdrawl interaction in couples with a violent husband.
Journal of Consulting and Clinical Psychology, 67(5), 666-674.
4
Archer, J. (2000). Sex differences in aggression between heterosexual partners: A
meta-analytic review. Psycological Bulletin, 126, 651-680.
5
Gondolf, E. W. (2002). Batterer intervention systems: Issues, outcomes, and
recommendations. Thousand Oaks, CA: Sage.
2
dominierenden, weil in der Regel die Frauen körperlich schwächer als die Männer
sind und daher dem Mann nicht so viel entgegensetzen können. Dieses Ergebnis,
in dieser Runde formuliert, ist möglicherweise kontrovers zu sehen.
Ich hab schon ein Kopfschütteln bemerkt, vielleicht können wir in der Diskussion
noch näher darauf eingehen.
KOGNITIVE ASPEKTE
Ich komme jetzt zu den kognitiven Aspekten und beziehe mich nun ausschließlich
auf Männer als Täter. Gewalttätige Männer glauben, dass sowohl
gewalttätige als auch nicht-gewalttätige Beziehungskonflikte von ihren
Partnerinnen verursacht werden.6 Sie gehen von negativen Attributionen und
feindseligen Einstellungen ihrer Partnerinnen aus. Typisch ist, dass diese Männer
nicht „unbedarft“ sind, sondern von vornherein der Gegenseite ein negatives und
boshaftes Verhalten unterstellen, was sie aber andererseits nur noch zusätzlich
reizt und die Konfliktdynamik vorantreibt.
Gewalttätige Männer haben grundsätzlich positivere Einstellungen zum
Einsatz
von
Gewalt
in
Beziehungen
als
ihre
gewaltfreien
7
Geschlechtsgenossen. Es existieren also Einstellungen, die noch aus der
patriarchalen Sozialisation kommen. Und schließlich das dritte Ergebnis von
Untersuchungen im Hinblick auf die kognitiven Aspekte: Irrationale
Denkmuster sind charakteristisch für gewalttätige Männer, wie das
Unterstellen einer bösen Absicht/Feindseligkeit.8 Diese konstituieren sich
oft erst im Zustand der emotionalen Erregung. Wenn man mit solchen Männern
spricht, haben sie vielleicht andere Einstellungen, solange sie ruhig sind, sobald
sie jedoch innerlich aufgeregter werden, verändert sich ihr Denken in Richtung
Irrationalität.
AFFEKT, PERSÖNLICHKEIT, PSYCHOPATHOLOGIE
Zum dritten großen Bereich der Affekte, Persönlichkeit und Psychopathologie
möchte ich mit dem Ergebnis einer Untersuchung beginnen, die zeigt, dass ein
Großteil der gewalttätigen Männer ein höheres Ärgerniveau hat als ihre
nicht-gewalttätigen
Geschlechtsgenossen.9
Es
gibt
zahlreiche
Untersuchungen, die zeigen, dass gewalttätige Männer leichter frustriert sind und
sich leichter ärgern als nicht-gewalttätige Männer.
6
Cantos et.al. (1993). Me and women`s attributions of blame for domestic violence.
Journal of Family Violence, 8, 289-302.
7
Sugarman, D. B., & Frankel, S.L. (1996). Patriarchal ideology and wife assault: A metaanalytic review. Journal of Family Violence, 11, 13-40.
8
Eckhardt et. al. (1998). Articulated thoughts of maritally violent and nonviolent men
during anger arousal. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 66, 259-269.
9
Barbour et. al. (1998). The experience and expression of anger in maritally violent and
non-violent men. Behaviour Therapy, 29, 173-191.
3
Gewalttätige Männer charakterisieren sich selbst durch eine hohe
negative Affektivität.10 Negative Affektivität meint eine Mischung aus Wut,
Angst und depressiver Verstimmtheit. All diese Gefühle sind bei gewalttätigen
Männern im Vergleich mit gewaltfreien Männern stärker ausgeprägt. Außerdem
haben sie einen niedrigeren Selbstwert und fühlen sich abhängiger in der
Beziehung als ihre gewaltfreie Vergleichsgruppe.
Gewalttätige Männer haben auch Probleme mit dem adäquaten Ausdruck
von Gefühlen und eine geringere Konfliktkompetenz.11 Das ist etwas
Typisches, dass gewaltbereite Männer, wenn es zu einem Konflikt kommt, oft die
affektive oder gefühlsmäßige Kommunikation auslassen und viel leichter und
schneller zu Drohungen und Einschüchterungen übergehen als gewaltfreie
Männer. Dies heißt, dass sie Defizite in der sozialen Kompetenz haben, einmal
allgemein formuliert. Und innerhalb der Gruppe der gewalttätigen Männer
lassen sich zumindest zwei Untergruppen unterscheiden.12 Eine Gruppe ist
nur in der Familie und in der Beziehung gewalttätig und erscheint in
psychologischen Tests sonst relativ normal.
Die andere Gruppe zeigt eine Ärgerproblematik mit Impulskontrolldefiziten sowie
bis ins Pathologische gehende antisoziale oder Borderline-Symptome.
Die erste große Untersuchung dazu war schon eine Meta-Analyse und stammt
aus dem Jahr 1994.13 Unterschieden wurden drei Tätertypen. Der Familientäter
ist nur innerhalb der Familie gewalttätig. Er ist sozusagen der Nachbar von
nebenan. Das ist die größte Gruppe. Dann gibt es eine kleinere Gruppe - da
schwanken die Zahlen in den diversen klinischen Stichproben zwischen 20 und
30 % – von Männern mit einer Persönlichkeitsproblematik. Die wichtigsten
Störungsbilder sind: die antisoziale Persönlichkeitsstörung/Psychopatie, die
Borderline-Persönlichkeitsstörung und die narzisstische Störung.
In verschiedenen Untersuchungen werden diese Gruppen noch einmal unterteilt.
Es gibt Forscher, die meinen, dass es Psychopathen gibt, die man nicht mehr
behandeln
kann.
Allerdings
lässt
sich
dazu
sagen,
dass
eine
Persönlichkeitsstörung kein diskretes Phänomen ist, in der Art: Es ist vorhanden
oder es ist nicht vorhanden. Es gibt auch ein Kontinuum vom Normalen zum
Pathologischen, das ist ebenso wichtig zu beachten. Ein Forscher14 spricht zum
Beispiel nicht vom „Borderline-Täter“ im Sinne einer Borderline-Struktur, sondern
von „Borderline-Organistation“, das ist eine schwächere Ausprägung einer
Borderline-Struktur. Dass Borderline - wenn ich schon dabei bin - grundsätzlich
10
Murphy et al., (1993). Family of origin violence and MCMI-2 psychopathology among
partner assaultive men. Violence and Victims, 8, 165-176.
11
Barbour et al., (1998). The experience and the expression of anger in maritally violent
and nonviolent men, Behaviour Therapy, 29, 173-191.
12
Waltz et al., (2000). Testing a typology of batterers. Journal of Consulting and Clinical
Psychology, 68, 658-669.
13
Holtzworth Munroe, A., & Stuart, G. L. (1994). Typologies of male batterers: Three
subtypes and the differences among them. Psychological Bulletin, 116, 476-497.
14
Dutton, D. G. (1998). The abusive personality: Violence and control in intimate
relationships. New York: Guilford Press.
4
ein Risikofaktor für körperliche Gewalt ist, ist klar, weil ein Mann mit einem
derartigen Störungsbild Probleme hat, seine Emotionen in Beziehungen zu
regulieren. Der fühlt sich, wenn er jemandem nahe kommt, leicht aufgefressen
und vereinnahmt. Und wenn er in zu großer Distanz ist, fühlt er sich im Stich
gelassen. Das sind die beiden Pole, zwischen denen er schwankt.
Und last but not least zum Abschluss: Im Durchschnitt berichten etwa 60 %
aller gewalttätigen Männer aus klinischen Stichproben (Zur Erklärung: Das
ist eine Stichprobe, wo gewalttätige Männer aus einem Täterprogramm
untersucht werden, im Gegensatz zu den Community Samples der Bevölkerung),
dass sie in ihrer Kindheit ebenfalls Gewalt erlebt haben.15
In unserem Anti-Gewaltprogramm in Wien haben wir auch eine relativ
umfangreiche Testung der gewalttätigen Männer in der Abklärungsphase. Dort
verwende ich den Fragebogen zu den dissoziativen Symptomen.16 Dissoziative
Symptome sind Symptome, die man entwickelt, wenn man traumatisiert wurde.
Zwischen 15 und 20 % der Männer sind über dem Cut-Off-Wert von 20. Diese
Männer haben also eine relativ komplexe Traumatisierung in ihrem Leben
erlitten. Sie kommen vielleicht aus Familien, wo sie als Kinder selbst Gewalt von
den Eltern erfahren haben, kamen dann vielleicht in irgendwelche Jugendbanden,
wo Gewalt ein legitimes Muster war, miteinander umzugehen. Sie haben also
selbst viel Gewalt erlebt, kennen sie aus eigener Erfahrung und haben sie dann
weitergegeben.
Was ich damit sagen will, ist, dass es eben nicht so einfach ist zu sagen, hier ist
der Täter, hier das Opfer. Man muss sich konkret jede einzelne Situation
anschauen um sehen zu können, dass manche Täter - ohne ihre Gewalt
deswegen entschuldigen zu wollen - selbst auch Opfer von Gewalt waren. Ohne
auf ihre Opfererfahrungen einzugehen, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, sie
dazu zu bringen, im Endeffekt gewaltfrei zu leben. Wofür ich daher plädiere, ist
eine differenzierte Sicht auf häusliche Gewalt. Es bringt uns allen nichts, wenn
wir in Schemata denken oder auch in ideologischen Vorurteilen.
Vielleicht zum Abschluss noch: Innerhalb der Gruppe der Therapeuten oder
Berater, die mit gewalttätigen Männern arbeiten, gibt es vor allem in Amerika
zwei große Denkschulen, die miteinander in Konflikt geraten sind. Eine
Denkschule sieht den Grund für Männer, die gewalttätig in ihren Beziehungen
sind, im Patriarchat, in ihren Einstellungen, die sie in ihrer Sozialisation
mitbekommen haben. Die Abwertungen der Partnerin ist die Grundlage des
gewalttätigen Verhaltens: Das war so, das ist so, das wird auch immer so sein.
Die andere Denkschule meint wieder, nein, man kann die Ursache von Gewalt
nicht nur durch diese ideologische Brille sehen, es ist komplexer. Man sollte
15
Delsol & Margolin (2004). Te role of family-of-origin violence in men`s marital violence
perpetration. Clinical Psychology Riview, 24, 99-123.
16
Fragebogen zu den Dissoziativen Symptomen (FDS): Freyberger, Spitzer & Stiglitz
(1999).
5
genau hinsehen, manchmal ist die Gewalt einseitig, wird vom Mann gegenüber
der Frau ausgeübt, manchmal ist sie beidseitig. Daher ist es ein Erfordernis, die
Behandlungsschritte an die jeweiligen Umstände anzupassen. Deswegen wird die
Frage nach der Sicherheit der Opfer nicht unterhöhlt.
Da ich einige kontroverse Thesen vorgetragen habe, wird sich das auch in
unserer Diskussion widerspiegeln, worauf ich schon gespannt bin.
6