Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Gewalttätige Unruhen Definition Gewalttätige Unruhen sind meist politisch motivierte, in der Öffentlichkeit ausgetragene, gewalttätige Ausschreitungen, die die innere Ordnung stören. Bei Krawallen kann es zu Sachbeschädigungen, Vandalismus und weiteren Gewalttätigkeiten, wie Plünderungen und Brandstiftungen kommen. In schweren Fällen können Krawalle auch Verletzte und Tote zur Folge haben. Die Auslöser sind oftmals vielfältig. Unzufriedenheit und Frustration spielen dabei meist eine tragende Rolle. Auch infolge von Katastrophen und Notlagen, wie beispielswiese bei einem langanhaltenden Stromausfall oder nach einem Erdbeben, kann es zu gewalttägigen Ereignissen kommen. 30. Juni 2015 Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Ereignisbeispiele Mai 2013 Schweden Unruhen in Stockholm Am 19. Mai 2013 brachen Unruhen in Stockholm aus, nachdem ein mit einer Machete bewaffneter Mann von Polizisten erschossen worden war. Der Aufruhr begann im Stadtbezirk Rinkeby-Kista und konzentrierte sich zunächst auf den Ortsteil Husby, dessen Einwohner zum grössten Teil über einen Migrationshintergrund verfügen. Die Unruhen weiteten sich später ins nördliche, westliche und südliche Stockholm aus. Oktober – November 2005 Frankreich Unruhen in mehreren Städten Nach dem Tod zweier Jugendlicher kam es am 27. Oktober 2005 zu Brandstiftungen und Sachbeschädigungen im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois. Im Laufe der folgenden Tage weiteten sich die Unruhen zunächst auf weitere Vororte von Paris aus, später auch auf weitere französische Städte. Zwei Personen starben, 126 Polizisten und Feuerwehrleute wurden verletzt. Die Schäden wurden auf rund 200 Mio. Euro geschätzt, über 9000 Autos wurden angezündet und rund 2800 Personen wurden festgenommen. 1980 – 1982 Schweiz Opernhauskrawalle Im Mai 1980 genehmigte der Züricher Stadtrat 60 Mio. Fr. für die Renovation des Opernhauses und lehnte gleichzeitig die Forderungen nach einem autonomen Jugendzentrum ab. Dies löste eine Gewaltspirale zwischen den Unterstützern des Jugendzentrums und der Polizei aus. Auch in anderen Schweizer Städten gab es gewalttätige Proteste für mehr kulturellen Freiraum sowie für sozialpolitische Anliegen. Insgesamt gab es in den folgenden zwei Jahren mehrere hunderte Verletzte auf beiden Seiten und Sachschäden in Millionenhöhe. 2/10 Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Einflussfaktoren Diese Faktoren können Einfluss auf die Entstehung, Entwicklung und die Auswirkungen der Gefährdung haben. Gefahrenquelle Anzahl und Gewaltbereitschaft der Unruhestiftenden Ziele der Unruhestiftenden Mittel und Waffen der Gewaltbereiten Organisationsform und -grad der Unruhestiftenden Unterstützung durch Dritte (Sympathisanten, Gruppierungen, politische Parteien, Nationen) Zeitpunkt Jahreszeit (Sommer oder Winter) Zusammentreffen mit besonderen Grossveranstaltungen oder anderen Ereignissen, die Einsatzkräfte binden Ort / Ausdehnung Ein (Ausgangs-)Ort oder gleichzeitig an vielen Orten Topografie Soziales Gefüge / Bevölkerungsdichte in betroffenen Gebieten Direkte oder indirekte Einwirkungen auf oder durch die dort befindliche Infrastruktur (Bsp. Verkehrswege, besondere Objekte wie Regierungssitze oder Kraftwerke) Ereignisablauf Dauer der Unruhen Intensität der Unruhen Ausbreitung auf andere Städte und Regionen Verhalten der Politik, Einsatzkräfte und verantwortlichen Behörden 3/10 Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Abhängigkeiten Mögliche Auslöser Dargestellt sind Ereignisse und Entwicklungen aus dem «Katalog möglicher Gefährdungen» des Bundesamts für Bevölkerungsschutz (BABS), die Auslöser oder Folge gewalttätiger Unruhen sein können. Hydrologische / meteorlogische Naturgefahren Trockenheit Hochwasser Ausfälle von Versorgungs-, Verkehrsund Informationsinfrastrukturen Ausfall Stromversorgung Ausfall IKT Politische Ereignisse oder Entwicklungen Flüchtlingswelle Sonstige Unruhen Gravitative Naturgefahren Erdbeben Störfälle / Unfälle in Produktions- und Speicheranlagen KKW-Unfall Inland Versorgungsengpässe Versorgungsengpass Strom Versorgungsengpass Nahrungsmittel Entsorgungsengpässe Entsorgungsengpass normaler Abfall Entsorgungsengpass Abwasser Entsorgungsengpass Sondermüll Kriminalität / Terrorismus Amoklauf Konventioneller Anschlag A-Anschlag Cyber-Angriff Andere gesellschaftlich bedingte Gefährdungen Generalstreik Mögliche Folgen Politische Ereignisse oder Entwicklungen Gewalttätige Unruhen Schadensereignisse bei Bauwerken Brand / Explosion Gebäude Ausfälle von Versorgungs-, Verkehrsund Informationsinfrastrukturen Ausfall Bahninfrastruktur Ausfall Strasseninfrastruktur Kriminalität / Terrorismus Konventioneller Anschlag Attentat Cyber-Angriff 4/10 Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Szenario Intensität In Abhängigkeit der Einflussfaktoren können sich verschiedene Ereignisse mit verschiedenen Intensitäten entwickeln. Die unten aufgeführten Szenarien stellen eine Auswahl von vielen möglichen Abläufen dar und sind keine Vorhersage. Mit diesen Szenarien werden mögliche Auswirkungen antizipiert, um sich auf die Gefährdung vorzubereiten. 1 – erheblich Jugendkrawalle hauptsächlich gegen Ordnungskräfte gerichtet Während weniger Tage Vandalismus, Einsatz Pflastersteine, vereinzelt Molotow-Cocktails Krawalle v. a. in grossen Städten 2 – gross Jugendliche und Sympathisanten gegen Ordnungskräfte und staatliche Einrichtungen Während rund drei Wochen Vandalismus, Einsatz Molotow-Cocktails und teilweise gezielte Brandlegung Einige grössere Städte in der Schweiz betroffen 3 – extrem Politisch motivierte Krawalle gegen Ordnungskräfte und staatliche Einrichtungen, Gegendemonstrationen mit gewaltsamen Auseinandersetzungen Über mehrere Monate andauernd Vandalismus auch bei kritischen Infrastrukturen, Einsatz Molotow-Cocktails, teilweise auch Verwendung von anderen Waffen (Messer, Schlagstöcke etc.) Sämtliche grössere Städte in der Schweiz betroffen Wahl des Szenarios Für dieses Beispiel ist das Szenario mit der Intensität «gross» gewählt worden. Dieses Szenario ist in der Schweiz grundsätzlich vorstellbar, aber doch selten zu erwarten. 5/10 Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Ereignis Ausgangslage / Vorphase Über längere Zeit baut sich aus verschiedenen Gründen Frustration vor allem bei Jugendlichen auf: schlechte wirtschaftliche Lage, relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit, zurückgehendes kulturelles Angebot für Jugendliche aufgrund des hohen Spardruckes, fehlende Zukunftsperspektiven. Die Ankündigung der Schliessung eines Jugendzentrums führt zu verschiedenen, immer grösser werdenden und zunächst friedlichen Demonstrationen für den Erhalt des Jugendzentrums. Eine Demonstration eskaliert schliesslich; Jugendliche zünden Abfalleimer an, Scheiben werden eingeschlagen, etc. Die Polizei setzt Schlagstöcke, Tränengas, Gummischrot und Wasserwerfer ein und nimmt zahlreiche Randalierer fest, darunter sind viele Minderjährige. Auf der Flucht vor der Polizei nach einem Brandanschlag verunfallt ein Jugendlicher tödlich. Ereignisphase Tags darauf versammeln sich in verschiedenen Schweizer Städten Menschen, um gegen das harte Vorgehen der Polizei und mehr Freiräume für die Jugendlichen zu demonstrieren. Zudem wird eine unabhängige Aufklärung der Todesursache des Jugendlichen gefordert. Die Gewaltbereitschaft vieler Jugendlicher ist sehr hoch. Polizisten werden mit Pflastersteinen beworfen, vereinzelt fliegen Molotow-Cocktails. Nach der ersten Krawallnacht werden schweizweit dutzende ausgebrannte Autos und zahlreiche zerstörte Fensterscheiben von Geschäften gezählt. In einigen Läden kam es zu Plünderungen. Es werden auch Polizistinnen und Polizisten verletzt. In den folgenden zwei Wochen dreht sich die Gewaltspirale immer schneller. Die Polizei versuchst zunächst mit hartem Vorgehen ein schnelles Ende der Ausschreitungen zu erwirken, bewirkt aber das Gegenteil. Die Gewaltbereitschaft der Randalierer nimmt zu, die Zahl der Sympathisanten steigt. Als nach einem Brand in einer Bankfiliale eine Person an Rauchvergiftung stirbt, getrauen sich viele Personen nicht mehr in die Innenstädte, das öffentliche Leben gerät langsam ins Stocken. Neben Angriffen auf Gebäude von internationalen Konzernen sind vor allem auch staatliche Einrichtungen betroffen. Die betroffenen Innenstädte werden während den Unruhen gemieden, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen für einige Tage geschlossen oder mit grossen Aufwand von Polizei und privaten Sicherheitsfirmen bewacht. Da Busse und Trams demoliert und teilweise angezündet werden, wird in vielen Städten auch der öffentliche Verkehr zumindest teilweise eingestellt. Schliesslich werden in einigen Städten Ausgangssperren verhängt. Zusätzlich verspricht die Politik, sich den Problemen der Jugendlichen anzunehmen, keine weiteren Jugendzentren zu schliessen und Programme gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu fördern. Nach einigen Tagen lassen die Krawalle zunehmend nach. Die Situation beruhigt sich wieder. Regenerationsphase Die Aufräumarbeiten und Reparaturen dauern rund ein halbes Jahr an. In der ersten Zeit arbeitet die Polizei noch mit einem erhöhten Aufgebot und zeigt an wichtigen öffentlichen Plätzen erhöhte Präsenz. 6/10 Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Nach einer Woche friedlichen Protests eskaliert die Lage. Während rund drei Wochen dauern die Krawalle an, danach beruhigt sich die Situation. Die Reparaturarbeiten dauern rund ein halbes Jahr an. Auswirkungen Zeitlicher Verlauf Dauer Vorphase: 1 Woche Räumliche Ausdehnung Ereignisphase: 3 Wochen Regenerationsphase: 6 Monate Ausgehend von einer Stadt breiten sich die Krawalle schnell in weitere grössere Schweizer Städte aus. Vereinzelt kommt es auch in ländlichem Gebiet zu Ausschreitungen und Vandalismus, der Fokus liegt aber im städtischen Gebiet. Auswirkungen Personen Die Polizei stösst mit ihren Kapazitäten an ihre Grenzen. Die Polizeikräfte sind physisch und psychisch stark gefordert. Auch die übrigen Einsatzkräfte der Feuerwehr und Sanität sind stark beansprucht. Sie werden bei ihrer Arbeit oft behindert und teilweise sogar tätlich angegriffen. Kriminelle nützen die Dauerbelastung der Polizei aus und verüben vermehrt Einbrüche und Plünderungen ausserhalb der Krawallzonen. Auf beiden Seiten kommt es zu mehreren Verletzten, die im Spital behandelt werden müssen. Mehrere Hundert Personen tragen leichte Verletzungen davon. Bei den Unruhen ist mit 2 Toten zu rechnen, die direkt bei den Ausschreitungen zu Tode kommen und mit weiteren 2 Personen, die indirekt ums Leben kommen. Aufgrund von Brandschäden müssen wenige Personen während einiger Tage in Notunterkünften untergebracht werden. Einige Personen, darunter auch Einsatzkräfte, müssen psychologisch betreut werden. Die Bevölkerung in den betroffenen Städten ist verängstigt und traut sich besonders nachts nicht mehr auf die Strassen. 7/10 Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Umwelt Es treten keine massgeblichen Schäden an der Umwelt auf. Wirtschaft Die Sachschäden an Gebäuden der öffentlichen Verwaltung, Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die entstanden Kosten für das erhöhte Aufgebot werden auf über 110 Mio. Fr. geschätzt. Da viele Innenstädte von der Bevölkerung während der drei Wochen gemieden werden, fehlt den Geschäften weitgehend die Kundschaft. Viele Berufstätige erscheinen nicht am Arbeitsplatz, entweder aus Angst vor den Ausschreitungen oder auch, weil der öffentliche Nahverkehr nur eingeschränkt funktioniert. Insgesamt wird mit wirtschaftlichen Folgeschäden von ca. 115 Mio. Fr. gerechnet. Gesellschaft Das öffentliche Leben ist während der dreiwöchigen Unruhen z. T. eingeschränkt. Der öffentliche Nahverkehr steht zeitweise und lokal still, exponierte Einrichtungen wie Schulen, Verwaltungsgebäude, Bürogebäude usw., sind z. T. geschlossen. Grosse Teile der Bevölkerung sind verärgert, dass der Staat das Jugendproblem nicht früher und besser unter Kontrolle bringen kann. Der Umgang mit den Jugendlichen spaltet das Land: Die einen fordern härteres Durchgreifen, die anderen empören sich an der Gewalt der Sicherheitskräfte. Bilder von blutüberströmten Minderjährigen, die von der Polizei in Handschellen abgeführt werden, führen im In- und Ausland zu heftigen Reaktionen. Das Ansehen der Schweiz im Ausland sinkt kurzfristig. Auch nach Beruhigung der Lage stehen im ganzen Land Politiker, Krisenstäbe und Einsatzkräfte in der Kritik, da man ihnen zu spätes und vor allem falsches Vorgehen vorwirft. 8/10 Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Auswirkungsdiagramm Dargestellt ist das erwartete Ausmass pro Schadensindikator im beschriebenen Szenario. Pro Ausmassklasse nimmt der Schaden um den Faktor 3 zu. Risikodiagramm Dargestellt ist das Risiko des beschriebenen Szenarios zusammen mit den anderen Gefährdungsszenarien, die analysiert wurden. Je weiter rechts und oben ein Szenario liegt, desto grösser ist dessen Risiko. Mutwillig herbeigeführte Ereignisse sind den Plausibilitätsklassen zugeordnet, die anderen den Häufigkeitsklassen. Die Schäden sind aggregiert und monetarisiert dargestellt. 9/10 Nationale Gefährdungsanalyse – Gefährdungsdossier Gewalttätige Unruhen Grundlagen und Referenzen Verfassung Artikel 52, Verfassungsmässige Ordnung Artikel 57, Sicherheit Artikel 58, Armee Artikel 173, Weitere Aufgaben und Befugnisse Artikel 185, Äussere und innere Sicherheit Gesetz Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) vom 21. März 1997; SR 120 Verordnung Verordnung über das Sicherheitswesen in Bundesverantwortung (VSB) vom 27. Juni 2001; SR 120.72 Verordnung über den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen (VSPS) vom 3. September 1997; SR 513.73 weitere Grundlagen und Quellen Bildquelle Keystone 10/10
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