Ein Pilz, bitte!

reise 65
F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TA G S Z E I T U N G , 1 8 . O K T O B E R 2 0 1 5 , N R . 4 2
Ganz klein noch, aber groß im Bild: Der Rostrote Lärchenröhrling. Jochen Kurth sitzt vor einem Kupferroten Lackporling, und der Pilz am Stiel heißt: Langstieliger Knoblauchschwindling.
Fotos Mirco Lomoth
Ein Pilz, bitte!
Eine Pilztour durch die Wälder Mecklenburg-Vorpommerns führt am Ende zu einem würzigen Abendessen
Gepackt vom Sammelfieber, rascheln
wir weiter durchs Laub. Ein brauner
Springfrosch hüpft davon. „Pilzjagd ist
die schönste Jagd, das Wild läuft nicht
weg“, bemerkt Kurth nebenbei, ohne
den Kopf zu heben. Unsere Ausbeute ist
jedoch nicht besonders groß, wir finden
nicht sehr viele Pilze an diesem Vormittag im September. Auch dafür hat der
Pilzkenner eine Erklärung: „Die letzten
Monate waren ungewöhnlich trocken,
und das Myzel im Boden muss sich erst
langsam wieder erholen.“ Ein Trost, und
immerhin ist die Bandbreite beeindruckend. An einer toten Buche sprießt ein
weißer Korallenstachelbart, den wir für
den Kochtopf abschneiden. Daneben
steht Langstieliger Knoblauchschwindling, ein unscheinbarer Geselle, der jedoch stark nach Knoblauch riecht und
Weißstieliges Stockschwämmchen
IN DIE PILZE
Feldberg Informationen zu Unterkünften und Aktivitäten in der
Feldberger Seenlandschaft in
Mecklenburg-Vorpommern unter
www.feldberger-seenlandschaft.de.
Wanderungen und Kurse Eine
Pilzwanderung mit Jochen Kurth
und ein Kochkurs bei Daniel
Schmidthaler in der „Alten Schule“
(www.hotelalteschule.de) kosten
135 Euro. Zweistündige Pilzwanderungen (ab Feldberg) mit Kurth
ohne Kochkurs finden das ganze
Jahr jeden Samstag um zehn Uhr
statt und kosten zehn Euro pro
Person, Anmeldung unter
www.heilpilze-kurth.de.
Neubrandenburg
A20
Tollensesee
MECKLENBURGVORPOMMERN
Naturpark
Feldberger
Feldberg
F.A.Z.-Karte lev.
D
a steht auch schon das Weißstielige Stockschwämmchen.
Hut an Hut drängt sich eine
ganze Kolonie der kleinen
braunen Pilze um einen mit Moos bewachsenen Baumstumpf am Waldrand,
wenige Meter von der Landstraße entfernt. Jochen Kurth knipst einen davon
ab, beißt eine Ecke heraus und bewegt
das Stück im Mund, als würde er Wein
verkosten. „Sehr starker Pilzgeschmack,
eignet sich hervorragend zum Braten
und für Suppen“, erklärt der Pilzführer.
„Die nehmen wir auf dem Rückweg
mit.“ Der 75-Jährige geht mit gesenktem Blick in den Wald. Wir folgen ihm
zwischen Buchen, die auf einem Werder
im Carwitzer See bei Feldberg in Mecklenburg-Vorpommern stehen. Hier wollen wir Pilze finden, um sie mittags in einem nah gelegenen Restaurant selbst zuzubereiten.
Wir suchen den Waldboden ab, scannen das Muster gelber und brauner Blätter nach auffälligen Farben und Formen,
schauen hinter umgefallene Baumstämme, Totholz und bemooste Findlinge.
Dort! Ein Pilz mit trübgelbem Fleisch,
dessen Rand angefressen ist. „Ein Rotfußröhrling, aber der ist hinüber“, sagt
Kurth und ist bereits ein paar Schritte
weiter: Am Stumpf einer Buche wachsen
wulstige weiße Tellerchen, keiner größer
als eine Zwei-Euro-Münze. „Das ist eine
junge Schmetterlingstramete, die wird
von Pilzsammlern nicht beachtet, aber es
ist die stärkste Waffe gegen Husten und
Schnupfen“, behauptet Kurth und knabbert an einem der weißen Tellerchen, die
in herkömmlichen Bestimmungsbüchern
nicht einmal erwähnt werden. „Sie ist
noch weich. Später wird sie hart, und
man muss sie zu Pulver verarbeiten, um
sie einzunehmen.“
Wir lassen die Tramete wachsen und
dringen an einem Hang entlang tiefer in
den Wald. Unten leuchtet der Carwitzer
See, ein glänzendes Spiegelbild des wolkenverhangenen Himmels. An dessen
Ufer verbrachte Rudolf Ditzen, alias
Hans Fallada, einige Jahre, bis er 1945
nach Berlin zog, wo er schließlich 1947
starb. „Kaum Feld, kaum Wiese, kaum
ein Haus. Toteneinsamkeit“, schrieb er.
Dafür Wald, viel Wald. Der Schriftsteller ging oft in die Pilze.
Erst interessierte sich Jochen Kurth
nur für Speisepilze. Er fotografierte und
sammelte sie, kochte und verspeiste sie.
Von seinem „Kochbuch für Pilzsammler“ wurden in der DDR der achtziger
Jahre rund 300 000 Exemplare verkauft.
Irgendwann, als er von Pilzpfannen und
Jägersoßen genug hatte, wandte sich der
promovierte Biochemiker den in der Naturheilkunde verwendeten Pilzen zu, las,
was er an Fachliteratur finden konnte,
und begeisterte sich immer mehr für die
Gewächse, die er für Alleskönner hält.
Kaum jemand wisse heute noch, was Pilze für die Gesundheit leisten könnten.
„Das Wissen darüber ist in Mitteleuropa
seit den Hexenverbrennungen verschwunden.“ Dass sie heilen, dürfe man
nicht behaupten, weil Pilze in Deutschland nur als Nahrungsergänzungsmittel
zugelassen seien, Kurth würde das aber
trotzdem gerne.
Seenlandschaft
10 km
Fürstenhagen
Carwitzer See
BRANDENBURG
getrocknet zum Würzen verwendet werden kann. Wir legen mehrere Exemplare
in den Korb.
Sobald Kurth etwas erspäht, beschleunigt sich sein gemächlicher Schritt abrupt. „Ach“, sagt er dann und nennt einen Namen, den man noch nie gehört
hat, wendet das Gewächs in der Hand,
untersucht es durch seine weit vorne auf
der Nase sitzende Brille, kostet ein Stück
und nickt oder korrigiert sich. Nie hat er
ein Bestimmungsbuch dabei, wenn er in
die Pilze geht. An die 500 Arten kann er
sicher erkennen, die anderen schlägt er
später zu Hause nach.
Zehn Meter weiter bemerken wir
Exemplare des Flaschenstäublings, einen
weißen, pfeffrigen Speisepilz, der aussieht, als sollte man ihn besser nicht essen: ein weißer Ball mit Mini-Stacheln.
Wir nehmen einige größere mit, denn
jung sind sie genießbar. Einen Rehbraunen Dachpilz lassen wir stehen: „Essbar,
aber schmeckt schlank weg“, befindet
Kurth – soll heißen: nach nicht viel. Wir
finden Kupferrote Lackporlinge, Sklerotienporlinge, Riesenporlinge, Glimmertintlinge, Waldfreundrüblinge, Gemeine
Wurzelrüblinge, Spindelige Rüblinge,
Rostrote Lärchenröhrlinge. Allein die Namen sind ein Spaß. Der Hallimasch etwa,
dem aus widersprüchlichen Gründen
nachgesagt wird, er heiße eigentlich „heil
im Arsch“. Leider finden wir ihn nicht.
Auf dem Rückweg zur Landstraße
macht Kurth uns auf einen Chaga aufmerksam, der wie ein pechschwarzes Geschwür aus dem Stamm einer Birke hervorbricht und in der russischen Volksmedizin beliebt ist. „Der wandelt Betulin aus
der Birkenrinde in Betulinsäure um“, sagt
Kurth. Gegen Akne und Schuppenflechte wirke er „Wunder“. Am Waldrand sammeln wir noch die Weißstieligen Stockschwämmchen ein, die wir am Morgen
stehen ließen. Unser Korb ist ganz ordentlich gefüllt, mit allerlei Pilzen, die
wir ohne kundige Begleitung gar nicht beachtet hätten.
Gegen Mittag erwartet uns Daniel
Schmidthaler im Gastraum der „Alten
Schule“ in Fürstenhagen. Er reicht uns
Kochschürzen und zeigt stolz eine Schale mit dicken Steinpilzen, die er selbst gefunden hat: „Ich gehe morgens oft in
den Wald, ich liebe den Geruch nach
feuchtem Moos und Erde.“ Vor fünf Jahren hat der Kitzbüheler mit seiner Frau
Nicole, die aus Mecklenburg stammt,
das Restaurant eröffnet. Sie bieten eine
regionale Gourmet-Landhausküche, die
2013 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Mit Jochen Kurth traf
der Sternekoch ein Arrangement: Was
Gäste mit dem Pilzkundler im Wald finden, können sie mit Schmidthaler in der
Küche zubereiten. „Für mich selbst ist
das spannend, ich entdecke immer wieder neue Pilze und Aromen“, sagt der
Mittdreißiger, der schon mal ein Schäumchen auf die Abendkarte setzt, das sich
als Waldaroma im Mund auflöst. Gerichte wie Pilzschnitzel, Pilzsuppe oder bunt
zusammengewürfelte Pilzpfannen gibt es
in der „Alten Schule“ nicht: „Ich will
den Horizont meiner Gäste erweitern
und ihnen beibringen, dass jeder Pilz
eine eigene Aufmerksamkeit braucht, je
nach Konsistenz und Geschmack“, sagt
er. „Wer gerne frei kocht, kann ein Gefühl dafür entwickeln.“
In der Küche mustert der Meister unseren Korb, bespricht die Lese mit Kurth
und ordnet die Pilze den Zutaten zu, die
er bereitgelegt hat: Forelle und Rehkeule,
Rote Beete und Kartoffeln. „Erdgemüse
und Pilze gehen eine perfekte Verbindung ein“, sagt Schmidthaler und macht
sich ans Werk. Uns erklärt er geduldig jeden Arbeitsschritt, zeigt, wie man Forelle
am erfolgreichsten filetiert oder filigrane
Pilze wie den Korallenstachelbart putzt:
Man schneidet sie in dicke Scheiben, um
Sand, Erde und Kleinstbewohner ausfindig zu machen, trennt die schmutzigsten
Stellen heraus und spült den Rest – anders als bei Pilzen üblich – mit lauwarmem Wasser ab. Die Steinpilze hingegen
tupft Schmidthaler mit Küchenkrepp
und Olivenöl ab. Eine geniale Idee, so einfach wie praktisch.
Für den lauwarmen Vorspeisensalat
kocht Schmidthaler gewürfelte Rote Beete mit Knoblauchschwindlingspulver ein,
schwitzt unsere Weißstieligen Stockschwämmchen in der Pfanne an und legt
die ebenfalls mit dem Pilzgewürz bestreuten und bei niedriger Temperatur im
Ofen gegarten Forellenfilets obendrauf.
Das Arrangement lässt er uns mit Rattenschwanzradieschen, Buchweizenblättern
und mexikanischem Epazote-Kraut aus
dem eigenen Garten dekorieren.
Auch die Hauptspeise ist aufregend anders als die sonst von uns zubereiteten
Pilzmahlzeiten. Zum Fleisch aus der Rehkeule gibt es Kartoffelstampf mit Stückchen vom geschmorten Korallenstachelbart, der bald intensiv nach Sojasoße duftet. Dazu passt die würzige Soße aus Riesenporling mit Zwiebeln, geriebenem Apfel und Sahne und als Beilage gebratene
Steinpilz-Sechstel und unsere Rostroten
Lärchenröhrlinge. Die Lärchenröhrlinge
gibt Schmidthaler erst in die Pfanne, als
der Steinpilz vor Hitze zu singen anfängt,
wie er es nennt. „Wichtig ist, dass man
sie ohne Fett heiß anbrät und erst am
Ende Butter, Salz, Thymian und Knoblauch zugibt, damit nichts verbrannt
schmeckt.“ Zum Schluss hobelt er noch
frische Steinpilzflocken über das Gericht.
Wir essen andächtig, was wir gesammelt und gekocht haben. Jochen Kurth
sitzt mit am Tisch. Zu Hause esse er
kaum Pilze, nur bei frischen Pfifferlingen
und Totentrompeten könne er nicht widerstehen. Und er nehme regelmäßig Pulver
vom Chaga-Pilz und vom tibetischen Raupenpilz ein, um allerlei Krankheiten vorzubeugen; für seinen Hund sammle er Igelstachelbart. Auch wir täten gerade etwas
für unsere Gesundheit: Die Menge Korallenstachelbart, die im Kartoffelmus enthalten sei, reiche aus, um Sodbrennen zu
lindern, meint Kurth. „Er macht übrigens
auch high, aber dafür braucht man etwas
mehr davon.“
MIRCO LOMOTH
Laura Andersen
Mir liegt die Welt zu Füßen. Und bei euch so?
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