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1 taz Berlin vom 4.11.2015 Seite 21
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M IT T WOCH , 4 . NOVEM BER 201 5
TAZ.D I E TAG ESZE IT U NG
Aktionsplan für Vetternwirtschaft
FILZ Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann will Vergabe von Geldern aus dem Roma-Aktionsplan vom Landesrechnungshof
prüfen lassen. Mitarbeiterin der Integrationsverwaltung hatte persönliche Beziehungen zu von ihr geförderten Vereinen
VON SUSANNE MEMARNIA
Die Grünen wollen die Vergabe
von Geldern aus dem Roma-Aktionsplan durch die Integra­
tions­
verwaltung vom Landesrechnungshof überprüfen lassen. Sie werde in Kürze einen
Brief aufsetzen und auch die
Staatsanwaltschaft informieren,
sagte die Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin
Monika Herrmann der taz. „Was
wir hier erleben, hat mit Transparenz nichts zu tun.“
Die Abgeordnete Susanna
Kahlefeld kritisiert, die Verwaltung vergebe Aufträge von
Hunderttausenden Euro „nach
Gutsherrenart“: ohne Ausschreibung, Evaluation und Kontrolle
würden Vereine berücksichtigt,
die keine Qualifikation vorzuweisen hätten – außer ihren persönlichen Beziehungen zu den
entscheidenden Stellen.
Eine Menge Geld
Die Geschichte begann damit,
dass eine frühere Mitarbeiterin der Integrationsverwaltung
über Jahre zuständig für einen
Verein namens Südosteuropa
Kultur e. V. war, bei dem ihr Ehemann sowie kurzfristig auch
die Lebensgefährtin ihres Sohnes beschäftigt waren. Im Sommer 2014 verließ der Mann den
Verein, der kurz darauf seinen
wichtigsten Auftrag vom Senat
verlor: die „Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiter und
Roma“, die man unter allgemeiner Anerkennung über Jahre
aufgebaut hatte.
Für das Projekt führte die Integrationsverwaltung im Oktober 2014 ein „Interessenbekundungsverfahren“ durch. Es bewarben sich Südosteuropa, die
Caritas und Amaro Foro – die
beiden letzten bekamen im Dezember den Zuschlag. Schwiegertochter, Freundin und weitere Südosteuropa-Leute gingen zum Verein Phinove.
Seitdem bekommt dieser eine
Menge Geld: 2015 rund 560.000
Euro, fast ein Viertel der Gesamtsumme, die die Integra­
tions­verwaltung in diesem Jahr
laut Bericht im Rahmen des Roma-Aktionsplans ausgeben will:
rund 2,5 Millionen Euro.
Für die Verwaltung selbst gibt
es kein Problem. Zwar bestätigte
der neue Integrationsbeauftragte, Andreas Germershausen, der taz, dass eine frühere
Mitarbeiterin „familiäre Verbindungen“ zu von ihr geförderten Vereinen gehabt habe.
Sobald die Tatsache bekannt geworden sei, habe die Verwaltung
aber „höchst sensibel reagiert“,
eine interne Revision eingesetzt
und die betreffende Kollegin
von ihrer Aufgabe abgezogen.
Sie sei im Juni dieses Jahres auf
eigenen Wunsch in eine andere
Verwaltung gewechselt. Insgesamt sehe er „keine Anhaltspunkte für Korruption“, so Germershausen. Zudem, argumentiert seine Verwaltung, habe die
Mitarbeiterin nicht für Zahlungen an die Vereine gezeichnet.
Kahlefeld sieht das anders. Jeder habe gewusst, dass man sich
Transparenz geht anders: Im Wohnprojekt der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft für Roma-Familien in der Harzer Straße in Neukölln Foto: Steffi Loos/ddp
an diese Frau zu wenden habe,
„wenn es um Gelder für den Aktionsplan ging“. Auch die Dokumente, die sie bei einer Akten­
einsicht habe sehen können,
zeigten ihre Beteiligung. Und so
sei es weitergegangen. „Seit die
Lebensgefährtin ihres Sohnes
bei Phinove Geschäftsführerin
ist, bekommt dieser völlig unerfahrene Verein immer mehr
Gelder und Projekte, ohne dass
er Nachweise seiner Arbeit bringen muss.“ Sie verweist auf die
„Nostels“: Bei dem Wohnprojekt
für obdachlose Familien, das im
September 2014 startete, soll
Phinove den untergebrachten
Roma-Familien helfen, binnen
eines Monats ihren Anspruch
auf Hartz IV oder sonstige Hilfen zu klären und eine „richtige“
Wohnung zu finden.
Keine Statistiken
Auf zwei Anfragen von Kahlefeld zum Erfolg des Projekts antwortete die Verwaltung knapp
ein Jahr nach Projektbeginn,
man habe noch keine Statistiken vorliegen. Dennoch bekam
Phinove in 2015 weitere 350.000
Euro für das Projekt, auch die
Verlängerung 2016 ist offenbar
beschlossene Sache: Die Verwaltung hat sich mit dem Verein
zusammen um EU-Gelder „für
eine berlinweite Clearingstelle
für wohnungslose Familien aus
EU-Mitgliedstaaten“ beworben,
um das Projekt fortzusetzen,
wie es im kürzlich veröffentlichten Bericht zum Roma-Aktionsplan heißt. Kahlefeld nennt das
Ist Phinove ein
Träger wie andere?
Er lässt sich nicht
in die Karten gucken
„sehr unüblich“: andere Vereine
müssten laufend Erfolgsnachweise bringen, um gefördert zu
werden.
Aber ist Phinove ein Träger
wie andere? Fest steht, der Verein lässt sich nicht gern in die
Karten gucken: Auf mehrere
Anfragen der taz per Mail und
Telefon gab es bis heute keine
Rückmeldung. Ende 2013 wurde
er von Benjamin Marx gegründet, einem Projektleiter des
Immobilienunternehmens Aachener Siedlungsgesellschaft.
Marx wurde bekannt durch ein
medial gefeiertes Wohnprojekt für Roma und Nichtroma
in Neukölln. Seither sind Marx
und Phinove beliebte Partner
des Senats – nicht nur bei wohnungspolitischen Roma-Projekten: Phinove macht inzwischen
Sprachvermittlung an Schulen,
Mieterberatung und betreibt
eine „Clearingstelle zur Vergabe
von Integrationskursen“.
Als Begründung, warum Phinove das „Nostel“-Projekt bekommen hat, heißt es aus der
Verwaltung, der Verein habe
nach dem Neukölln-Projekt
„Erfahrungen sowohl in der
Betreuung von ausländischen
Roma-Familien als auch in der
Zusammenarbeit mit der Aa-
chener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft“. Die Formulierung ist zumindest missverständlich, schließlich besteht
der Phinove-Vorstand mit Marx
und Ana-Maria Berger aus zwei
Vertretern der Aachener. Und
die Aachener Siedlungsgesellschaft stellt für das „Nostel“-Projekt praktischerweise auch die
elf Wohnungen: Rund 83.000
Euro Miete soll sie dafür in diesem Jahr bekommen.
Ein schlechter Witz
Ansonsten begründet die Verwaltung ihre Entscheidungen
für einen Träger eher spärlich.
Die Gelder würden ohne Ausschreibung „frei“ vergeben, weil
es in diesem Bereich zu wenige
Organisationen „mit entsprechenden Erfahrungen und den
notwendigen Kompetenzen“
gebe, so die Integrationsverwaltung im September in einer Vorlage für den Senat, die der taz
vorliegt. Die Auswahl der Träger „erfolgt nach Expertise, Kapazität und insbesondere bei
­bezirksbezogenen
Projekten
im Benehmen mit den Bezirken“, heißt es weiter.
Für Kahlefeld ist das ein
schlechter Witz: Die Verwaltung
arbeite nicht im Einvernehmen
mit den Bezirken, im Gegenteil
versuche sie, „Phinove an den
Bezirksämtern vorbei in Projekte zu drücken“. Bürgermeisterin Herrmann bestätigt das:
Besagte Mitarbeiterin habe dem
Bezirk erklärt, Südosteuropa
müsse als Träger für Mietrechts-
beratung von EU-Bürgern aufgegeben werden, stattdessen solle
man Phinove nehmen. Auch in
Neukölln ist der grüne Sozial­
stadtrat Bernd Szcze­panski „etwas besorgt“, wie er der taz,
sagte, weil der Senat in dem Antrag auf EU-Mittel nur Phinove
als Träger vorgeschlagen hat.
Und was ist aus den zwölf Familien geworden, die zwischen
Oktober 2014 und Mai 2015 in
den „Nostels“ gelebt haben, immerhin 53 Personen? Als die
taz nachfragt, weiß die Integra­
tions­
verwaltung dann doch
mehr. „Fast alle“ Familien seien
inzwischen auf dem normalen Wohnungsmarkt untergekommen, erklärt Integrations­
beauftragter Germershausen.
Dass diese Information nicht
in den Antworten auf Kahle-
felds Anfragen stand, sei ein
„bürokratischer Fehler“ gewesen, so Germershausen weiter.
Das Projekt sei ein Erfolg und
das Phinove-Team „einfach gut“.
Kahlefeld erkennt das nicht
an. Auskünfte in Parlamentarischen Anfragen und Ausschüssen seien „verbindlich. Das Parlament hat als Haushaltsgesetzgeber das Recht, Auskünfte über
Mittelvergabe zu bekommen.“
Sie will nicht warten müssen,
bis im März 2016 endlich Statistiken über die Nostel-Erfolge
vorliegen. „Ich will wissen, wo
die Familien geblieben sind“,
sagt sie.
Der Verein Südosteuropa
wollte sich auf taz-Anfrage nicht
äußern. Marx und Phinove haben auf Gesprächsanfragen der
taz bis heute nicht geantwortet.
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Berlin, 4. November 2015 – 19.30 Uhr
Podiumsdiskussion
Syrien und das Scheitern
der Weltgemeinschaft
mit u.a.:
Botschafter Miguel Berger Auswärtiges Amt, Berlin; Dr. Talal Nezameddin
American University of Beirut; Libanon; Dr. Muriel Asseburg Stiftung
Wissenschaft und Politik, Berlin; Prof. Dr. Andreas von Arnauld
Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, Universität zu Kiel;
Frithjof Schmidt Bündnis 90/Grüne; Moderation: Dr. Antonie Nord
Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Heinrich-Böll-Stiftung Schumannstraße 8 10117 Berlin-Mitte
Information: T 030.285 34-353 E [email protected] www.boell.de