Staatsanwaltschaft Chemnitz Postfach 921 09009 Chemnitz

Niema Movassat
Mitglied des Deutschen Bundestages
Niema Movassat, MdB, Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Staatsanwaltschaft Chemnitz
Postfach 921
09009 Chemnitz
Berlin, 20.02.2016
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Niema Movassat, MdB
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Obmann der Fraktion DIE LINKE.
im Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Sprecher für Welternährung der Fraktion DIE LINKE.
Strafanzeige gemäß § 340 Abs. 1 StGB
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit erstatte ich Strafanzeige gemäß § 340 Abs. 1 StGB
und aller weiteren in Betracht kommenden Straftatbestände
gegen Unbekannt.
Es handelt sich um einen Polizeibeamten, der am 18.02.2016
in Clausnitz ein Kind im Würgegriff in eine Flüchtlingsunterkunft abführt. In diesem Video hier ist der betreffende
Beamte identifizierbar:
https://www.youtube.com/watch?v=4jxNVUR6aPs (ab 0:56).
Hintergrund:
Die Polizeidirektion Chemnitz war vom Landratsamt Mittelsachsen beauftragt, am 18.02.2016 die Erstbelegung einer
Asylunterkunft in der Cämmerswalder Straße in Clausnitz
durchzuführen. Die 25 Personen, die in die Unterkunft gebracht werden sollten, wurden mit einem Bus dorthin transportiert und erreichten laut Polizei gegen 19:20 Uhr Clausnitz. Beim Eintreffen des Busses kam es zu unangemeldeten
Protesten, wodurch die Personen im Bus nicht aus dem Bus
steigen und in die Unterkunft gehen konnten. Gegen 21:00
Uhr, d.h. nachdem die Personen im Bus seit einem recht
langen Zeitraum den verbalen Angriffen der Protestierenden
ausgesetzt waren und die Stimmung sehr angeheizt war,
sollten sie nun in die Unterkunft gehen. Viele Menschen im
Bus waren stark verängstigt und hatten vermutlich auch
Angst um Leib und Leben, da die draußen stehenden Personen unentwegt Hassparolen riefen. Die Polizei vor Ort bestand darauf, dass die Personen den Bus verlassen, obwohl
sie nach eigener Aussage nicht in der Lage war, die rechtswidrig demonstrierenden Personen, die bereits einem Platzverweis nicht nachgekommen waren, abzudrängen. Zwischen 21:00 Uhr und 21:20 Uhr wendet die Polizei nach ei-
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gener Auskunft insgesamt dreimal „unmittelbaren Zwang“
an. Einer dieser drei Fälle ist im Video zu sehen. Der Grund
für die Gewaltanwendung liegt nach Auskunft der Polizei
darin, dass ein Junge den Mittelfinger gezeigt haben soll.
Nach Auskunft der Polizei liegt aber keine Strafanzeige gegen den Jungen vor. Bei den beiden anderen Personen wurde
die Gewalt damit begründet, dass sie die Unterkunft nicht
betreten wollten.
Zur Strafbarkeit gemäß § 340 Abs.1 StGB
Der Tatbestand ist erfüllt. Der Tatverdächtige ist ein Amtsträger gemäß § 11 Abs.1 Nr.2 a StGB. Er handelte zudem in
Ausübung seines Dienstes, da er in hoheitlicher Funktion
zuständig für die Zuführung der im Bus befindlichen Personen in die Asylunterkunft war.
Eine Körperverletzung i.S.d. § 223 Abs. 1 StGB liegt vor.
Eine Körperverletzung begeht, wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Hier
liegt eine körperliche Misshandlung vor, da es eine üble,
unangemessene Behandlung ist, eine andere Person in den
Würgegriff zu nehmen. Die körperliche Unversehrtheit und
das körperliche Wohlbefinden werden hierbei mehr als unerheblich beeinträchtigt. Auch handelte der Beamte vorsätzlich. Der Tatbestand des § 340 Abs. 1 StGB ist gegeben.
Der Polizeipräsident berief sich im Rahmen der Pressekonferenz am 20.02.2016 darauf, dass die Gewaltanwendung gegen das Kind im Rahmen des „einfachen unmittelbaren
Zwanges“ stattgefunden habe. Damit beruft er sich zur
Rechtfertigung der Gewaltanwendung auf § 32 SächsPolG.
Gemäß § 31 Abs. 1 SächsPolG stellt die einfache körperliche
Gewalt unmittelbaren Zwang dar. Allerdings müssen die
Voraussetzungen gegeben sein, damit diese polizeiliche
Maßnahme statthaft ist, insbesondere muss auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Folgende Aspekte
sprechen klar dafür, dass der unmittelbare Zwang hier nicht
angewendet werden durfte:
Unmittelbarer Zwang muss vor seiner Anwendung angedroht werden, vgl. § 32 Abs.2 S.1 SächsPolG. Dem Video ist
eine solche Androhung ist dem Video nicht zu entnehmen.
Auch liegt keine gegenwärtige Gefahr vor, die die Androhung entbehrlich machen würde nach § 32 Abs.2 S.2 SächsPolG.
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Zudem muss nach § 32 Abs.1 S.4 das angewendete Mittel
nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand des Betroffenen angemessen sein. Hier haben wir es
ersichtlich mit einem Kind zu tun, dem gegenüber besondere
Zurückhaltung geboten ist. Ein Würgegriff ist ein heftiger
Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, die in keinem
Verhältnis steht. Insbesondere da das mögliche Fehlverhalten (Zeigen des Mittelfingers), falls überhaupt stattgefunden,
eine Beleidigung nach § 185 StGB darstellt, d.h. ein Antragsdelikt ist und kein Antrag gestellt wurde.
Die Polizei begründet die Maßnahme damit, dass durch das
Kind Provokationen ausgingen und daher zur Deeskalation
der unmittelbare Zwang erfolgen musste, um das Kind in die
Asylunterkunft zu bringen. Diese Argumentation bedeutet
eine Umkehrung der Verantwortlichkeiten: Die Menschen
im Bus wurden durch die Protestierenden verbal massiv attackiert. Die Polizei war nicht in der Lage, dieses rechtswidrige Verhalten zu unterbinden. Die Menschen im Bus waren
diesen Provokationen über eine geraume Zeit ausgesetzt. In
Videos ist zu sehen, dass einige der Businsassen angesichts
der Bedrohungslage in Tränen ausbrechen und offensichtlich verängstigt sind. Dass es in so einer Situation zu Gegenreaktionen kommen kann, ist nachvollziehbar. Immerhin
liegt mindestens eine Nötigung gegen die im Bus befindlichen Menschen nach § 240 StGB vor. Hier wurde im Ergebnis nicht gegen die eigentlichen Störer und Verursacher der
Situation, nämlich die rechtswidrig demonstrierenden Menschen vorgegangen, sondern gegen die Opfer dieses Angriffs.
Dies ist eine massive Täter-Opfer-Umkehr.
Im Ergebnis ist die Körperverletzung nicht gerechtfertigt. Der
Tatverdächtige hat rechtswidrig und im Übrigen auch
schuldhaft gehandelt. Eine Strafbarkeit nach § 340 Abs. 1
StGB ist gegeben.
Ich bitte Sie, mir den Eingang der Strafanzeige zu bestätigen
und über den Fortgang des Verfahrens zu unterrichten.
Mit freundlichen Grüßen
Niema Movassat, MdB