User-ID: [email protected], 19.10.2015 11:03:37 Dokument CaS 2014, 199 Autor Remus Muresan, Niklas Korff Titel Sportschiedsgerichtsbarkeit: Wie weiter nach dem «Pechstein-Urteil» des Landgerichts München? Publikation Causa Sport Herausgeber Ulrich Haas, Peter W. Heermann, Ingeborg Mottl, Remus Muresan, Urs Scherrer, Daniel Thaler, et. al. Frühere Herausgeber ISSN 1660-8399 Verlag Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG CaS 2014, 199 Sportschiedsgerichtsbarkeit: Wie weiter nach dem «Pechstein-Urteil» des Landgerichts München? Sind Schiedsklauseln und damit der Schiedszwang unwirksam, weil ihnen auf Seiten der Athleten die erforderliche Freiwilligkeit fehlt und dies Art. 6 EMRK zuwiderläuft? Dr. iur. Remus Muresan, Küsnacht, und Dr. iur. Niklas Korff, LL.M., Hamburg* Die Frage der Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen wird in der Sportwelt seit jeher kontrovers diskutiert. Viele Sportler kritisieren die Schiedsgerichtsklauseln, weil ihnen, wenn sie am organisierten Wettkampfsport der Sportverbände teilnehmen möchten, keine andere Wahl bleibe, als sich den entsprechenden, insbesondere in sog. Athletenvereinbarungen enthaltenen, Vorgaben zu beugen. Das LG München I hat nunmehr mit seinem Urteil zum «Fall Pechstein» einerseits diese Umstände anerkannt und andererseits aus ihnen die Konsequenz abgeleitet, dass auf solche Weise vereinbarte Schiedsklauseln unwirksam seien, weil ihnen auf Seiten der Athleten die erforderliche Freiwilligkeit fehle, was insbesondere Art. 6 EMRK zuwiderlaufe. Die Feststellungen des LG München I müssen jedoch nicht unbedingt das Ende des Schiedszwangs im Sport bedeuten. Allerdings erscheint es für die Sportorganisationen angezeigt, umgehend zu reagieren und insbesondere die CAS-Schiedsgerichtsbarkeit * Dr. iur. Remus Muresan ist Experte für Sport- und Europarecht sowie Mitglied des Herausgeberkollegiums und der Redaktion dieser Zeitschrift. Dr. iur. Niklas Korff, LL.M., ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Sportrecht und Dozent für Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Fachbereich Sozialökonomie, Fachgebiet Recht der Universität Hamburg. Ausdruckseite 2 von 19 sowie die CAS-Verfahren in absehbarer Zeit zu reformieren, um sie vollumfänglich in Einklang mit den Anforderungen, die sich aus Art. 6 EMRK ergeben, zu bringen. Damit könnte der Schiedszwang zugunsten des CAS im Bereich des Sports beibehalten werden, womit sich langfristig auch die Bedeutung der Sportschiedsgerichtsbarkeit, wie sie ihr gegenwärtig zukommt, sichern liesse. 1. Einführung «Die Schiedsvereinbarungen, die die [Athletin] mit den [Sportverbänden] abgeschlossen hat, sind mangels einer freien Willensbildung der [Athletin] bei der Unterzeichnung unwirksam.»1 Dieser im Urteil des Landgerichts (LG) München I vom 26. Februar 2014 zum «Fall Pechstein»2 enthaltene Satz birgt eine erhebliche Sprengkraft für die bis anhin üblichen Streitbeilegungsstrukturen im Sport. Das Urteil ist zwar – noch – nicht rechtskräftig3; sollten die Feststellungen des Gerichts zur (fehlenden) Freiwilligkeit von Vereinbarungen schiedsgerichtlicher Streitbeilegung im Sport schliesslich aber doch verbindlich werden, müssen die Sportorganisationen unverzüglich reagieren, wenn die Schiedsgerichtsbarkeit als vorherrschende Methode der Streitbeilegung im Sport nicht stark relativiert werden soll. Die Entscheidung von Streitigkeiten im Sport mittels Schiedsgerichtsbarkeit, insbesondere im Zusammenhang mit Doping, wird allgemein als vorteilhaft angesehen. Von grosser Bedeutung sind hier insbesondere das internationale Sportschiedsgericht (Court of Arbitration for Sport; CAS) in Lausanne, Schweiz, sowie das Deutsche Sportschiedsgericht mit Sitz in Köln. Positiv hervorgehoben im Hinblick auf die Schiedsgerichte im Sport werden regelmässig die Einheitlichkeit der Sportgerichtsbarkeit v. a. hinsichtlich internationaler Dopingstrafen, die gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit schnelleren Entscheidungen, die grössere Sachnähe sowie die häufig auch geringeren Kosten4. Voraussetzung für die Durchführung eines Schiedsverfahrens ist die rechtsgeschäftliche Vereinbarung des Schiedsgerichts; diesbezüglich wird von Schiedsvereinbarungen bzw. -klauseln gesprochen5. Schiedsvereinbarungen werden regelmässig von Sportverbänden und -vereinen in ihre Satzungen aufgenommen, was nach deutschem Recht gem. § 1066 ZPO zulässig ist und grundsätzlich zu einer Bindung der Mitglieder führt6. Auch der WADA- bzw. der NADA-Code, die von den nationalen Sportverbänden in ihre Regelwerke übernommen 1 LG München I, Urteil vom 26. Februar 2014 – 37 O 28331/12, Claudia Pechstein gegen Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) und International Skating Union (ISU), Entscheidungsgründe, A.III.3. – Das Urteil ist – in leicht gekürzter Fassung – abgedruckt in CaS 2014, 154 ff. 2 Vgl. zu diesem Urteil Fn. 1. 3 Gegenwärtig ist eine Berufung gegen das Urteil beim Oberlandesgericht (OLG) München hängig. Angesichts der erheblichen Tragweite der relevanten Rechtsfragen ist allerdings davon auszugehen, dass das Verfahren auch in der zweiten Instanz kein endgültiges Ende finden, sondern dass letztlich der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung wird treffen müssen. 4 Vgl. Jens Adolphsen, in: Jens Adolphsen/Martin Nolte/Michael Lehner/Michael Gerlinger (Hrsg.), Sportrecht in der Praxis, 2011, 257 f.; Karl Heinz Schwab/Gerhard Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 1 Rn. 8; Ulrich Haas, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer und internationaler Schiedssprüche, 1991, 21 ff.; ferner die weiteren Hinweise bei Peter W. Heermann, Freiwilligkeit von Schiedsvereinbarungen in der Sportgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2014, 66 ff., 75 (Fn. 74). 5 Vgl. Bernhard Berger/Franz Kellerhals, Internationale und interne Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, Bern 2006, 93 ff.; Daniel Girsberger/Philipp Habegger/Michael Mràz/Urs WeberStecher, in: Karl Spühler/Luca Tenchio/Dominik Infanger (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung, Basler Kommentar, Basel 2013, Vor Art. 353 – 399 ZPO N 25; Daniel Girsberger, in: Karl Spühler/Luca Tenchio/Dominik Infanger (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung, Basler Kommentar, Basel 2013, Art. 357 ZPO N 4; Markus MüllerChen/Rahel Egger, in: Thomas Sutter-Somm/Franz Hasenböhler/Christoph Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Zürich 2013, Art. 357 ZPO N 1. 6 BGH NJW 2000, 1713; OLG Hamburg SpuRt 2001, 247. Ausdruckseite 3 von 19 worden sind7, sehen zwingend eine Schiedsgerichtsbarkeit im Falle des Einlegens von Rechtsbehelfen gegen Verbandsentscheidungen im Zusammenhang mit Dopingvergehen vor8. Daneben kommt die Vereinbarung einer vertraglichen Schiedsklausel z. B. im Rahmen eines Regelanerkennungs-, eines Lizenzvertrages oder einer AthCaS 2014, 199, 200 letenvereinbarung9 in Betracht10. Durch den Abschluss entsprechender Vereinbarungen soll v. a. eine Bindung der Nicht- und der mittelbaren Mitglieder (der Sportler) erreicht werden. Die Frage der Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen wird in der Sportwelt seit jeher kontrovers diskutiert11. Viele Sportler kritisieren die Schiedsgerichtsklauseln, weil ihnen, wenn sie am organisierten Wettkampfsport der Sportverbände teilnehmen möchten, keine andere Wahl bleibe, als sich den entsprechenden Vorgaben zu beugen. Eine Freiwilligkeit, die für die Wirksamkeit erforderlich sei, könne so nicht existieren. Ein prominenter Gegner der Schiedsgerichtsklauseln ist etwa der deutsche Diskuswerfer Robert Harting, der seit einiger Zeit prinzipiell keine Schiedsvereinbarungen mehr unterschreibt. Er begründet dies damit, dass er durch die fraglichen Schiedsklauseln der ihm zustehenden Gerichtsbarkeit beraubt werde12. Mit dem Urteil des LG München I zum «Fall Pechstein» wurde diese Auffassung in aller Deutlichkeit bestätigt. Ist das nun tatsächlich das «Ende des Schiedszwangs im Sport»13? Dieser Frage – und anderen potenziellen Konsequenzen des Urteils des LG München I – soll im vorliegenden Beitrag nachgegangen werden. Dabei sollen auch Ansätze dargestellt werden, mit denen sich das bis anhin praktizierte Streitbeilegungssystem im Sport weitestgehend beibehalten lassen, aber rechtlich tragfähiger ausgestaltet werden könnte. Zuvor werden jedoch die wichtigsten Feststellungen des Urteils des LG München I zum «Fall Pechstein» rekapituliert und kritisch gewürdigt. 2. Das Urteil des Landgerichts München zum «Fall Pechstein» 2.1 Vorgeschichte Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein hatte im Jahr 2013 vor dem LG München I gegen die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) und den Eislauf-Weltverband (International Skating Union; ISU) auf Schadenersatz in Höhe von ca. 3,5 Mio. € und 400.000 € Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer gegen sie im Jahr 2009 verhängten zweijährigen Dopingsperre geklagt. Die fragliche Dopingsperre war durch die beiden Verbände ausgesprochen worden, weil bei der Eisschnellläuferin ein erhöhter Wert von Retikulozyten im Blut festgestellt und dies als Hinweis auf sog. «Blutdoping» qualifiziert wurde. Claudia Pechstein war gegen diese Sperre auf dem dafür vorgesehenen schiedsgerichtlichen Wege vorgegangen, zu dem 7 Siehe zur Übernahme der WADA- bzw. NADA-Codes in nationale Verbandssatzungen Michael Lehner, in: Jens Adolphsen/Martin Nolte/Michael Lehner/Michael Gerlinger (Hrsg.), zit. in Fn. 4, 343 f. 8 Vgl. Art. 13.2.1 WADA-Code und Art. 13.2.1 und 13.2.2 NADA-Code. 9 Vgl. zum Begriff der Athletenvereinbarung etwa Urs Scherrer/Kai Ludwig (Hrsg.), Sportrecht – Eine Begriffserläuterung, 2. Aufl., Zürich 2010, 40. 10 Vgl. Jochen Fritzweiler/Bernhard Pfister/Thomas Summerer (Hrsg.), Praxishandbuch Sportrecht, 2. Aufl. 2007, 215. 11 Vgl. zu einem entsprechenden Überblick Peter W. Heermann, zit. in Fn. 4, 66. 12 Vgl. den Beitrag «Harting hat Schiedsgerichtsklausel abgelehnt», Zeit Online, 12. November 2013, www.zeit.de/news/2013-11/06/leichtathletik-harting-hat-schiedsgerichtsklausel-abgelehnt06155204 (1. August 2014). 13 So jedenfalls z. B. der Titel des Beitrags von Dirk Monheim, Das Ende des Schiedszwangs im Sport – Der Fall Pechstein, SpuRt 2014, 90 ff. Ausdruckseite 4 von 19 sie sich in einer gegenüber den Eislaufverbänden abgegebenen Athletenerklärung verpflichtet hatte. Diese sah (ausschliesslich) die Möglichkeit der Berufung gegen die Verbandsentscheidung beim CAS in Lausanne vor. Das CAS hatte in der Folge – mit Schiedsspruch vom 25. November 2009 – die Verbandsentscheidung bestätigt und die Berufung abgewiesen. Gegen die Entscheidung des CAS erhob die Athletin Beschwerde in Zivilsachen beim Schweizerischen Bundesgericht; dieses wies die Beschwerde jedoch zurück14. 2013 reichte Claudia Pechstein dann die Klage beim LG München I ein. Sie stützte diese insbesondere darauf, dass sie einen Anspruch auf Schadenersatz wegen Verstössen der DESG und der ISU gegen kartellrechtliche Vorschriften habe. Das LG München I hat die Klage für zulässig erklärt, aber als unbegründet abgewiesen15. 2.2 Die wichtigsten Feststellungen des Gerichts 2.2.1 Zur Zulässigkeit der Klage Die Zulässigkeit der Klage vor dem LG München I sah das Gericht als gegeben an. Die internationale Zuständigkeit für die Klage gegen die DESG ergebe sich aufgrund ihres Sitzes in München in der Bundesrepublik Deutschland nach § 17 Abs. 1 ZPO, die internationale Zuständigkeit für die Klage gegen die ISU aus Art. 6 Nr. 1 LugÜ. Zudem scheitere die Zulässigkeit der Klage nicht an den von der DESG und der ISU erhobenen Einreden der Schiedsgerichtsbarkeit nach §§ 1032 Abs. 1, 1025 Abs. 2 ZPO, da diese Schiedsvereinbarungen aufgrund der fehlenden freien Willensbildung der Klägerin bei ihrer Unterzeichnung unwirksam seien; sie würden darüber hinaus auch einer Inhaltskontrolle nicht standhalten. CaS 2014, 199, 201 In der Beziehung zur DESG finde deutsches, in der Beziehung zur ISU schweizerisches Recht Anwendung16. Aufgrund der Machtstellung der beiden Sportverbände, die sich aus dem Ein-Platz-Prinzip17 ergebe, habe es der Klägerin Claudia Pechstein nicht freigestanden, ob sie die Schiedsvereinbarungen unterschreiben wolle, sofern sie ihren Beruf als professionelle Eisschnellläuferin weiterhin ausüben wollte18. Insofern habe es an der erforderlichen Freiwilligkeit der von ihr geleisteten Unterschrift gemangelt. Im deutschen Recht ziehe dies eine Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach § 138 Abs. 1 BGB nach sich19. Auch sofern vertreten werde, dass lediglich eine Inhaltskontrolle nach §§ 138, 242 BGB vorgenommen werde, führe dies zur Unwirksamkeit der Schiedsklausel20. Hinsichtlich der Beziehung zur ISU ergebe sich die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung aus Art. 27 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) 21. Das Schweizerische Bundesgericht hat zwar in der Vergangenheit Schiedsvereinbarungen zwischen einem Athleten und einem Verband, ungeachtet des zwischen diesen beiden Akteuren bestehenden Ungleichgewichts, für wirksam erachtet und lediglich einen im Vorfeld erklärten Rechtsmittelverzicht in Bezug auf Schiedssprüche seitens der Athleten für unwirksam qualifiziert22. Das LG München I 14 Urteil vom 10. Februar 2010 – 4A_612/2009. 15 Vgl. eingehend zur Vor- und Prozessgeschichte des «Falls Pechstein» CaS 2009, 368; CaS 2010, 3; CaS 2010, 85; CaS 2014, 154 ff. 16 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.a). 17 Auch «Ein-Verbands-Prinzip» genannt; vgl. dazu etwa Urs Scherrer/Kai Ludwig (Hrsg.), zit. in Fn. 9, 101, sowie unten 3.1.1. 18 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.b). 19 Urteil LG München I zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.c)aa)(1). 20 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.c)aa)(2). 21 Art. 27 Abs. 2 ZGB hat den Wortlaut: «Niemand kann sich seiner Freiheit entäussern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken.» 22 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.c)bb) a. A., m.H. auf die einschlägige Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts. Ausdruckseite 5 von 19 folgte dieser Ansicht indes nicht. Vielmehr verwarf das Gericht diese Argumentation mit der Begründung, dass ihr die Garantien der Art. 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die auch die Schweiz ratifiziert habe, entgegenstünden. Diesen Normen, die auf europäischer Ebene den Justizgewährungsanspruch beinhalten, werde die Ausgestaltung des CAS-Verfahrens angesichts der nicht freiwillig erfolgten Unterzeichnung der Schiedsvereinbarung durch Claudia Pechstein nicht gerecht23. Das Gericht sei zudem bei der Prüfung der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nicht an die Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts gebunden, die dieses im Rahmen zweier Verfahren, die die Klägerin bezüglich des hier relevanten CAS-Urteils angestrengt hatte, erlassen hat. Das anwendbare Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ) sowie entsprechend das deutsche Zivilverfahrensrecht (§ 1061 ZPO) sehen die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen vor. Völlig einhellig, so das LG München I, werde die Anerkennung von Exequatururteilen, die einen Schiedsspruch bestätigen oder diesen für vollstreckbar erklären, abgelehnt24. Schliesslich hielt das LG München I auch fest, dass sich Claudia Pechstein durchaus auf die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung berufen könne, obwohl sie aufgrund der Schiedsvereinbarung bereits das CAS angerufen habe. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern durch das Verhalten der Klägerin ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sein sollte oder andere besondere Umstände einer Berufung auf die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung entgegenstehen würden25. 2.2.2 Zur Unzulässigkeit des Feststellungsantrags Das LG München I hat den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen Claudia Pechstein im Jahr 2009 verhängten Dopingsperre als unzulässig angesehen. Hierzu führte es aus, dass ausländische Schiedssprüche nach §§ 1025 Abs. 4, 1061 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. den Vorschriften des UNÜ anzuerkennen seien, wenn die Voraussetzungen des § 1061 ZPO und des UNÜ erfüllt sind. Dies sei hier der Fall, so dass der Schiedsspruch des CAS vom 25. November 2009 in Rechtskraft erwachsen sei26. Besonders bemerkenswert ist, dass das Gericht ein Anerkennungshindernis als nicht gegeben ansah. Ein solches Hindernis könnte darin bestehen, dass die dem Schiedsspruch zugrunde liegende Schiedsvereinbarung ungültig ist, wie es das LG München I im vorliegenden Fall gerade festgestellt hat27. Dennoch sah das Gericht ein entsprechendes Anerkennungshindernis nicht als gegeben an. Es begründete dies damit, dass die Klägerin im Verfahren vor dem Schiedsgericht die fehlende Freiwilligkeit bei der Unterzeichnung der Schiedsklausel und damit die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht habe und demzufolge Präklusion eingetreten sei28. Auch weitere Verfahrensmängel, die von der CaS 2014, 199, 202 Athletin im Verfahren vor dem LG München I gerügt wurden, habe sie im schiedsgerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht, so dass auch hinsichtlich dieser Einwände von Präklusion auszugehen sei29. 23 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.c)bb)(1) und (2). 24 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.2. 25 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.4. 26 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.IV.1)a). 27 Vgl. vorstehend 2.2.1. 28 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.IV.1)b). 29 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.IV.2). Ausdruckseite 6 von 19 3. Kritische Würdigung 3.1 Die Feststellungen des Gerichts zur Zuständigkeit Die grösste Brisanz des Urteils steckt darin, dass sich das LG München I überhaupt für zuständig erklärt und die Klage von Claudia Pechstein als zulässig erachtet hat. Hier sind zwei Konstellationen zu trennen: Erstens die nach deutschem Recht zu beurteilende Wirksamkeit der Schiedsabrede mit der DESG und zweitens die nach schweizerischem Recht zu beurteilende Wirksamkeit der Schiedsabrede mit der ISU. 3.1.1 Die Frage der Wirksamkeit der Schiedsabrede nach deutschem Recht Zwar führte das Gericht aus, dass Schiedsvereinbarungen für den Sportbetrieb von grosser Bedeutung seien, um die Einheitlichkeit der Sportgerichtsbarkeit zu wahren. Dennoch nahm es die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung mit der DESG gem. § 138 Abs. 1 BGB an30. Dieses Ergebnis ist zutreffend und zu begrüssen31. Anderenfalls wäre der sich aus dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Anspruch des Einzelnen auf den Zugang zu den staatlichen Gerichten verletzt. Die strukturelle Unterlegenheit des Sportlers gegenüber dem Verband ergibt sich aus der klassischen Organisationsstruktur des Sports. Im Bereich des Sports hat der jeweilige Bundesfachsportverband eine überragende Machtstellung inne. Die Rechtsprechung und die Literatur bejahen übereinstimmend und richtigerweise sogar eine Monopolstellung32. Eine solche wird bedingt durch die deutsche Sportorganisation, die durch den pyramidenförmigen Aufbau33 innerhalb der einzelnen Fachsportarten sowie durch das sog. «Ein-Verbands-Prinzip» die Machtpositionen der einzelnen Fachsportverbände und hier ganz besonders der jeweiligen Spitzenverbände fördert und deren Bestand schützt. Das «Ein-Verbands-Prinzip» besagt, dass jeder Bundesverband jeweils nur einen Landesverband einer Fachsportart aufnimmt und weitere, evtl. neu gegründete Verbände nicht zusätzlich im Bundesverband Mitglied werden können34. Als Konsequenz hieraus ist es daher für Sportler in aller Regel nur dann möglich, am Wettkampfbetrieb einer bestimmten Sportart teilzunehmen, wenn sie sich in die Organisationsstruktur der entsprechenden Sportart eingliedern. Für professionelle Sportler ist dies zumeist die einzige Möglichkeit, ihrem Beruf nachzugehen. Zur Rechtfertigung der Sportorganisation muss zwar beachtet werden, dass richtigerweise erstens Vereinfachungen bezüglich der Verwaltung und Organisation erreicht werden und zweitens es erst dadurch ermöglicht wird, flächendeckend nach einheitlichen und damit vergleichbaren Massstäben einen Sportwettkampfbetrieb zu veranstalten35. Dies kann zwar als Rechtfertigung für das 30 Auch der BGH hat – bereits im Jahr 2000 – eine Schiedsgerichtsvereinbarung für nichtig erachtet, die einer Partei gleichsam «abgenötigt» wurde; siehe BGH, Urteil vom 3. April 2000 – II ZR 373/98, NJW 2000, 1713. 31 Im Ergebnis ebenso Dirk Monheim, zit. in Fn. 13, 92. 32 BGH, Urteil vom 27. September 1999 – II ZR 305/98, ZIP 1999, 1807, 1808; BGH, Urteil vom 5. Mai 1992 – 19 U 6735/91, NJW-RR 1993, 183, 184; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1985 – KZR 2/85, JW-RR 1986, 583; Klaus Vieweg, JuS 1983, 825; Jochen Fritzweiler/Bernhard Pfister/Thomas Summerer, zit. in Fn. 10, 11. 33 Vgl. nur Klaus Vieweg, JuS 1983, 825, 826; Martin Schimke/Goetz Eilers, in: Martin Nolte/Johannes Horst (Hrsg.), Handbuch Sportrecht, 2009, 89 f.; Niklas Korff, Insolvenz- und Lösungsklausel im professionellen Mannschaftssport, 2012, 39 f. 34 Klaus Vieweg, Normsetzung und -anwendung deutscher und internationaler Verbände, 1990, 61 ff.; Bernhard Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 11. Aufl. 2007, 1160; Dirk Monheim, Sportlerrechte und Sportgerichte im Lichte des Rechtsstaatlichkeitsprinzips – auf dem Weg zu einem Bundessportgericht, 2006, 61 ff.; siehe auch § 6 Abs. 2 der Satzung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) i. V. m. § 4 der DOSB-Aufnahmeordnung. 35 Vgl. Ulrich Haas/Tanja Haug/Eike Reschke (Hrsg.), Handbuch des Sportrechts, 2006 ff., B., 1. Kapitel, Rn. 53. Ausdruckseite 7 von 19 bestehende System herangezogen werden36, es darf jedoch keineswegs zu einer Beschneidung der Rechte der Athleten führen. Ganz im Gegenteil müssen Nachteile aus der Organisation für den Einzelnen besonders kritisch hinterfragt und ggf. korrigiert werden. Im Verhältnis der grundgesetzlich festgeschriebenen Ansprüche wie dem Zugang zu den staatlichen Gerichten kann deswegen die Einheitlichkeit der Sportgerichtsbarkeit kein anderes Ergebnis rechtfertigen37. CaS 2014, 199, 203 3.1.2 Die Frage der Wirksamkeit der Schiedsabrede nach schweizerischem Recht 3.1.2.1 Die Positionen des LG München I und des Schweizerischen Bundesgerichts Die Schiedsvereinbarung mit der ISU wurde vom LG München I richtigerweise nach schweizerischem Recht beurteilt. Die vorstehend hinsichtlich der Machtstellung der nationalen Bundesfachsportverbände getätigten Ausführungen gelten für die internationalen Fachsportverbände entsprechend, da auch hier die pyramidale Organisationsstruktur und das «Ein-Verbands-Prinzip» vorherrschen38. Im entsprechenden Kontext räumte das LG München I in einem bemerkenswert deutlichen und selbstbewussten Schritt mit dem – gelinde ausgedrückt – etwas inkonsequenten Ansatz des Schweizerischen Bundesgerichts, den dieses in Zusammenhängen wie dem hier relevanten anzuwenden pflegt, auf. Wie das Münchener Gericht zutreffend rekapitulierte, anerkennt auch das oberste schweizerische Gericht durchaus, dass zwischen (Berufs-)Sportlern und den jeweiligen Verbänden insofern ein Ungleichgewicht bzw. Abhängigkeitsverhältnis besteht, als die Athletinnen und Athleten angesichts der dominierenden Stellung der Sportorganisationen schlicht keine andere Wahl haben, als die ihnen von den Verbänden vorgegebenen Schiedsklauseln und sonstigen Vereinbarungen zu akzeptieren, wenn sie ihren Sport nicht in völliger Bedeutungslosigkeit ausüben wollen39. Das Schweizerische Bundesgericht hat diesbezüglich sogar ausdrücklich festgehalten, dass die entsprechenden Vereinbarungen unter solchen Umständen nicht die Folge eines frei ausgedrückten Willens seitens der Athleten seien40. Die sich aus dieser Feststellung geradezu aufdrängenden Konsequenzen zog das Bundesgericht bislang jedoch nur in Bezug auf den in Athletenvereinbarungen enthaltenen Verzicht auf Rechtsmittel gegen Entscheide von verbands- oder schiedsgerichtlichen Instanzen; diesen qualifiziert es als unwirksam41. Was hingegen insbesondere in solchen Vereinbarungen enthaltene Schiedsklauseln anbelangt, nimmt das Schweizerische Bundesgericht eine grosszügige Haltung ein und akzeptiert sie trotz des Umstands, dass sie als den Athleten aufgezwungen einzustufen sind, als wirksam. Es begründet dies damit, dass es angebracht sei, die rasche Streitbeilegung im Bereich des Sports durch spezialisierte Schiedsgerichte, die – wie das CAS – hinreichende Gewähr bezüglich ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit böten, zu begünstigen. Die Folgen dieses «wohlwollenden» Ansatzes kompensiert das Bundesgericht durch eine strenge 36 Die Organisationsstruktur wird von den ordentlichen Gerichten auch als prinzipiell zulässig angesehen; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1984 – II ZR 91/84, BGHZ 93, 151; BGH, Urteil vom 2. Dezember 1974 – II ZR 78/72, NJW 1975, 771; OLG Stuttgart SpuRt 2001, 72; vgl. dazu auch Martin Nolte/Carsten Polzin, NZG 2001, 980 ff. 37 Vgl. ausführlicher zu den entsprechenden Erwägungen und Argumenten 3.1.2; diese beanspruchen mutatis mutandis auch im vorliegenden Kontext Geltung. 38 Siehe zur pyramidalen Struktur auf internationaler Ebene etwa Mauríco Ferrao Pereira Borges, Verbandsgerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit im internationalen Berufsfussball, 2009, 11 ff. 39 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.b), m.H. auf BGE 133 III 235, E. 4.3.2.2. 40 BGE 133 III 235, E. 4.3.2.2. 41 BGE 133 III 235, E. 4.3.2.2. Ausdruckseite 8 von 19 Haltung hinsichtlich des bereits erwähnten Rechtsmittelverzichts; an dessen Gültigkeit stellt das Gericht strengere Anforderungen 42. Zu dieser Argumentation hat das LG München I nun Klartext gesprochen: Ihr «kann angesichts der Garantien der Art. 6 und 13 [EMRK] nicht gefolgt werden»43. In der Tat steht der soeben dargestellte Ansatz des Schweizerischen Bundesgerichts – wenn die konkrete Ausgestaltung der Verfahren vor dem CAS mit einbezogen wird – insbesondere nicht im Einklang mit den Verfahrensgarantien, die sich aus Art. 6 EMRK ergeben. Dies betrifft nicht so sehr die Frage der Zulässigkeit der Vereinbarung einer Schiedsgerichtsbarkeit an sich, denn solchen Vereinbarungen steht Art. 6 EMRK grundsätzlich nicht entgegen, soweit sie freiwillig erfolgen44. Auch ist es mit dieser Bestimmung konform, dass die Parteien im Rahmen einer Schiedsvereinbarung auf gewisse Einzelrechte, die sich aus Art. 6 EMRK ergeben (z. B. das Recht auf Öffentlichkeit des Verfahrens), verzichten45. Und schliesslich ist es sogar mit Art. 6 EMRK vereinbar, dass zur Beilegung bestimmter Streitigkeiten anstelle der staatlichen Gerichte eine CaS 2014, 199, 204 Schiedsgerichtsbarkeit zwingend vorgeschrieben wird. Die Konsequenz eines solchen «Schiedszwangs» ist allerdings, dass das betreffende Schiedsgericht und die entsprechenden schiedsgerichtlichen Verfahren die Garantien von Art. 6 EMRK vollumfänglich respektieren müssen46, was insbesondere bedeutet, dass kein Verzicht auf die Teilgehalte von Art. 6 EMRK mehr möglich ist. Dabei schien zunächst nicht ganz klar, für welche Art von Schiedszwang dies gilt. Dass Schiedsgerichte vollumfänglich Art. 6 EMRK entsprechen müssen, wenn der Schiedszwang durch Gesetz vorgeschrieben wird, galt bereits seit Längerem als etabliert. Dies ist für den Bereich des Sports freilich von zu vernachlässigender Bedeutung, da die Streitbeilegung durch Schiedsgerichte hier kaum per Gesetz angeordnet wird47. Spätestens seit dem Urteil des EGMR zum Fall «Suda»48 im Jahr 2010 steht nun jedoch fest, dass die vorstehend dargestellten Grundsätze auch dann gelten, wenn der Schiedszwang seine Grundlage in Handlungen von Privatrechtssubjekten findet. 42 BGE 133 III 235, E. 4.3.2.3; vgl. auch Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.c)bb) a. A. 43 Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.c)bb)(1). A.M. Antonio Rigozzi/Fabrice Robert-Tissot, La pertinence du «consentement» dans l’arbitrage du Tribunal Arbitral du Sport, Jusletter vom 16. Juli 2012, Rz. 10 ff., die jedoch die Problematik der Verfahrensgarantien der EMRK im entsprechenden Zusammenhang nicht thematisieren. 44 Vgl. Hans-Heiner Kühne, in: Katharina Pabel/Stefanie Schmahl (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Köln u. a., 11. EL 2009, Art. 6 EMRK N 293; Mark Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), 2. Aufl., Zürich 1999, N 439; Jan Bangert, Die Bindung privater Schiedsgerichte an Art. 6 Abs. 1 EMRK, in: Stephan Breitenmoser/Bernhard Ehrenzeller/Marco Sassòli/Walter Stoffel/Beatrice Wagner Pfeifer (Hrsg.), Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat – Liber amicorum Luzius Wildhaber, Zürich/Baden-Baden 2007, 44; Sébastien Besson, Arbitration and Human Rights, ASA Bulletin 3/2006, 395 ff., 398; Olivier Jacot-Guillarmod, L’arbitrage privé face à l’article 6 § 1 de la Convention européenne des Droits de l’Homme, in: Franz Matscher/Herbert Petzold (Hrsg.), Protection des droits de l’homme: la dimension européenne, Mélanges en l’honneur de Gérard J. Wiarda, Köln u. a., 1988, 281 ff., 282 f. (jeweils m.H. auf die einschlägige Rechtsprechung des EGMR bzw. der früheren Konventionsorgane). 45 Vgl. Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 293; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 439; Jan Bangert, zit. in Fn. 44, 58. 46 Vgl. Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 439; Sébastien Besson, zit. in Fn. 44, 398; Jan Bangert, zit. in Fn. 44, 44 (jeweils m.H. auf die einschlägige Rechtsprechung des EGMR bzw. der früheren Konventionsorgane). Diesbezüglich etwas zu wenig differenziert Peter W. Heermann, zit. in Fn. 4, 70. 47 Vgl. diesbezüglich aber immerhin die Hinweise auf entsprechende Regelungen in Österreich und den USA bei Peter W. Heermann, zit. in Fn. 4, 78. 48 EGMR, Beschwerde Nr. 1643/06, Suda c. Tschechische Republik, Urteil vom 28. Oktober 2010. Ausdruckseite 9 von 19 3.1.2.2 Das Urteil des EGMR zum Fall «Suda» Das Urteil des EGMR zum Fall «Suda» hatte zwar keinen sportbezogenen Sachverhalt zum Gegenstand, jedoch sind die entsprechenden Umstände sowie die Erwägungen und Feststellungen des Gerichtshofs ohne weiteres auf den Sport übertragbar. Dem Urteil des EGMR lagen Vorgänge im Zusammenhang mit der Auflösung einer Aktiengesellschaft zugrunde. Im Zuge der betreffenden Auflösung wurde ein Vertrag zwischen der Gesellschaft und einem der Aktionäre über die Übernahme seiner Gesellschaftsanteile abgeschlossen. Dieser Vertrag enthielt neben den eigentlichen materiellen Regelungen auch eine Schiedsklausel, welche Streitigkeiten erfasste, an denen (potenziell) auch die übrigen Aktionäre beteiligt waren, d. h. also Personen, die nicht direkt Parteien des Vertrages waren. Darüber hinaus war der Beschluss innerhalb der Gesellschaft, den Vertrag abzuschliessen, nicht einstimmig gefasst worden; einige Aktionäre hatten gegen den Vertragsschluss gestimmt. In der Folge kam es tatsächlich zu Streitigkeiten, die von der betreffenden Schiedsklausel erfasst wurden; diese betrafen zudem einen der Aktionäre, die dem Vertragsabschluss nicht zugestimmt hatten. Dieser fühlte sich nicht an die entsprechende Schiedsvereinbarung gebunden und klagte vor ordentlichen staatlichen Gerichten, um seine Ansprüche durchzusetzen. Die staatlichen Gerichte verneinten jedoch allesamt ihre Zuständigkeit unter Hinweis auf die im fraglichen Vertrag enthaltene Schiedsklausel. Der betroffene Aktionär gelangte schliesslich an den EGMR und machte hier eine Verletzung des in Art. 6 EMRK gewährleisteten Anspruchs auf Zugang zu einem Gericht geltend49. Der EGMR bestätigte im Urteil zum Fall «Suda» zunächst seine bereits früher eingenommene Haltung, nach der Schiedsvereinbarungen vor dem Hintergrund von Art. 6 EMRK grundsätzlich zulässig sind. Der Gerichtshof hielt jedoch auch fest, dass der Abschluss der Schiedsvereinbarung freiwillig erfolgen müsse, was insbesondere bedeutete, dass die Schiedsgerichtsbarkeit nicht durch Gesetz zwingend vorgeschrieben sein dürfe50. Im Unterschied dazu war das Schiedsgericht dem Betroffenen im Fall «Suda» aber durch eine Vereinbarung zwischen Privaten aufgezwungen worden. Diesbezüglich stellte der EGMR nunmehr fest, dass er auch solche Konstellationen im Lichte von Art. 6 EMRK als problematisch erachtet; dies insbesondere dann, wenn das fragliche Schiedsverfahren die durch Art. 6 EMRK garantierten Einzelrechte nicht vollumfänglich gewährleistet51. Dies war gemäss EGMR aber in der Causa «Suda» der Fall, da das betreffende Schiedsverfahren u. a. nicht öffentlich gewesen war52. Diesbezüglich hielt der Gerichtshof fest, dass kein Verzicht seitens des klagenden Aktionärs vorgelegen habe, da die Schiedsklausel gegen seinen Willen auf ihn angewendet worden sei53. Im Ergebnis stellte der EGMR fest, dass die staatlichen tschechischen Gerichte Art. 6 EMRK verletzt hätten, indem sie ihre Zuständigkeit unter Verweis auf die in casu relevante Schiedsklausel verneinten 54. CaS 2014, 199, 205 49 Vgl. näher zum Sachverhalt des «Suda-Urteils» EGMR, Beschwerde Nr. 1643/06, Suda c. Tschechische Republik, Urteil vom 28. Oktober 2010, Rz. 5 ff. 50 EGMR, Beschwerde Nr. 1643/06, Suda c. Tschechische Republik, Urteil vom 28. Oktober 2010, Rz. 48 f. (m.w.H.). 51 EGMR, Beschwerde Nr. 1643/06, Suda c. Tschechische Republik, Urteil vom 28. Oktober 2010, Rz. 51 ff. 52 EGMR, Beschwerde Nr. 1643/06, Suda c. Tschechische Republik, Urteil vom 28. Oktober 2010, Rz. 53. 53 EGMR, Beschwerde Nr. 1643/06, Suda c. Tschechische Republik, Urteil vom 28. Oktober 2010, Rz. 51. 54 EGMR, Beschwerde Nr. 1643/06, Suda c. Tschechische Republik, Urteil vom 28. Oktober 2010, Rz. 55. Ausdruckseite 10 von 19 3.1.2.3 Die Sportschiedsgerichtsbarkeit im Lichte von Art. 6 EMRK Mit Bezug auf die Relevanz des «Suda-Urteils» des EGMR, das vom LG München I in seiner Entscheidung zum «Fall Pechstein» übrigens ausdrücklich referenziert wurde55, für den Sport ist daran zu erinnern, dass das Schweizerische Bundesgericht – und nunmehr auch das LG München I – ausdrücklich festgestellt hat, dass die Vereinbarungen zugunsten einer Schiedsgerichtsbarkeit aus der Sicht der Athletinnen und Athleten in aller Regel nicht freiwillig erfolgen56. Mithin liegt in den entsprechenden Konstellationen ein Schiedszwang vor, der ohne weiteres mit demjenigen vergleichbar ist, der dem «Suda-Urteil» des EGMR zugrunde lag. Werden die in der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR entwickelten Grundsätze nun auf die – im «Fall Pechstein» relevanten – Klauseln in Athletenvereinbarungen, die eine Schiedsgerichtsbarkeit des CAS vorschreiben, angewandt, muss in der Tat gefolgert werden, dass solche Konstellationen mit Art. 6 EMRK nicht vereinbar sind. Wie bereits ausgeführt, müssen Schiedsgerichte und die entsprechenden schiedsgerichtlichen Verfahren die Garantien von Art. 6 EMRK vollumfänglich respektieren, wenn die fragliche Schiedsgerichtsbarkeit zwingend vorgeschrieben wird57. Spätestens seit dem «Suda-Urteil» des EGMR steht fest, dass dies auch dann gilt, wenn ein Schiedszwang seine Grundlage in Handlungen von Privatrechtssubjekten findet. Dies ist in aller Regel bezüglich Schiedsklauseln zugunsten des CAS, die in Athletenvereinbarungen enthalten sind, der Fall. Was nun die Konformität der Verfahren vor dem CAS mit den Einzelrechten, die sich aus Art. 6 EMRK ergeben, anbelangt, ist festzustellen, dass diese gleich in mehrfacher Hinsicht nicht gegeben ist. Aus Art. 6 EMRK – relevant ist im vorliegenden Kontext insbesondere Abs. 1 der Bestimmung – ergeben sich im Einzelnen folgende Rechte und Anforderungen an die gerichtlichen Verfahren: Recht auf Zugang zu einem (staatlichen) Gericht58; Recht auf ein unabhängiges Gericht59; Recht auf ein unparteiisches Gericht60; Das Gericht muss auf Gesetz beruhen61; 55 Vgl. Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.c)bb)(1) und (2). 56 Vgl. BGE 133 III 235, E. 4.3.2.2, und Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.b), sowie schon 3.1.2.1. 57 Vgl. oben 3.1.2.1. 58 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl., München u. a. 2012, § 24 N 27 ff.; Wolfgang Peukert, in: Jochen Abr. Frowein/Wolfgang Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl., Kehl 2009, Art. 6 EMRK N 200 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 428 ff. (jeweils m.H. auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). Vgl. zu möglichen Einschränkungen dieses Anspruchs, insbesondere durch die Vereinbarung einer Schiedsgerichtsbarkeit, Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 431 ff., N 439; HansHeiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 293 i. V. m. N 409 ff. 59 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, zit. in Fn. 58, § 24 N 32 ff.; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 204 ff.; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 296 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 415, 417; (jeweils m.H. auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). Vgl. zur Möglichkeit eines Verzichts auf diesen Anspruch Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 416, sowie – allgemein bzgl. aller in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltenen Garantien – Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 409 ff.; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 3. 60 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, zit. in Fn. 58, § 24 N 39 ff.; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 213 ff.; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 306 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 417; (jeweils m.H. auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). 61 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, zit. in Fn. 58, § 24 N 30 f.; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 200 ff.; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 291 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 413 f.; (jeweils m.H. auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). Vgl. zu möglichen Einschränkungen dieses Anspruchs, insbesondere durch die Vereinbarung einer Schiedsgerichtsbarkeit, Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 439. Ausdruckseite 11 von 19 Das Gericht muss umfassende Kognition haben62; Recht auf ein faires Verfahren: Recht auf persönliche Teilnahme, Waffengleichheit, Beweisrecht, Wahrung des rechtlichen Gehörs63; Die Verhandlung muss grundsätzlich öffentlich sein 64; Die Urteilsverkündung muss grundsätzlich öffentlich erfolgen65; CaS 2014, 199, 206 Die Verhandlung muss innert angemessener Frist stattfinden 66. Bezüglich dieser Teilgehalte von Art. 6 Abs. 1 EMRK ist zunächst evident, dass das Recht auf Zugang zu einem staatlichen Gericht sowie das Erfordernis, nach dem das Gericht auf Gesetz beruhen muss, im Kontext der Vereinbarung einer Schiedsgerichtsbarkeit keine – vollumfängliche – Geltung beanspruchen können67, und zwar auch dann nicht, wenn eine entsprechende «Vereinbarung» als einer Partei aufgezwungen erscheint. Denn einerseits besteht der Zweck einer Schiedsvereinbarung naturgemäss gerade darin, die staatliche Gerichtsbarkeit (jedenfalls in einer ersten Instanz) auszuschliessen68. Und andererseits findet ein Schiedsgericht – ebenfalls naturgemäss – seine Grundlage in aller Regel nicht in einem Gesetz, sondern in einer Abrede unter Privaten69. Die übrigen, vorstehend resümierten Teilgehalte von Art. 6 Abs. 1 EMRK sind jedoch vollumfänglich zu respektieren, sofern die Schiedsgerichtsbarkeit in konkreten Einzelfällen als aufgezwungen zu qualifizieren ist70. Dies hat der EGMR im Urteil zum Fall «Suda» (nochmals) in aller Deutlichkeit festgehalten71. Was nun die durch das CAS ausgeübte Schiedsgerichtsbarkeit – die nicht nur Claudia Pechstein im vorliegend relevanten Fall, sondern auch regelmässig anderen Athletinnen 62 Vgl. Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 287 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 427 (jeweils m.H. auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). 63 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, zit. in Fn. 58, § 24 N 60 ff.; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 112 ff.; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 356 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 470 ff.; (jeweils m.H. auf mögliche Einschränkungen dieser Ansprüche und auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). 64 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, zit. in Fn. 58, § 24 N 73 ff.; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 187 ff.; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 345 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 440 ff.; (jeweils m.H. auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). Vgl. zu möglichen Einschränkungen dieses Anspruchs Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, zit. in Fn. 58, § 24 N 76 ff.; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 198 f.; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 350 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 448 f. 65 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, zit. in Fn. 58, § 24 N 97; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 196 f.; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 355; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 450 f. (jeweils m.H. auf mögliche Einschränkungen dieses Anspruchs und auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). 66 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, zit. in Fn. 58, § 24 N 69 ff.; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 235 ff.; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 321 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 452 ff. (jeweils m.H. auf mögliche Einschränkungen dieses Anspruchs und auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). 67 Mit der Vereinbarung der Streitbeilegung durch ein Schiedsgericht verzichten die Parteien auf das Recht auf Zugang zu einem staatlichen Gericht gem. Art. 6 EMRK; vgl. Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 439; Antonio Rigozzi/Fabrice Robert-Tissot, zit. in Fn. 43, Rz. 1; Jan Bangert, zit. in Fn. 44, 49; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 293. 68 Vgl. Bernhard Berger/Franz Kellerhals, zit. in Fn. 5, 1, 158 f. 69 Vgl. Bernhard Berger/Franz Kellerhals, zit. in Fn. 5, 93; Daniel Girsberger, zit. in Fn. 5, Art. 357 ZPO N 4. 70 Erfolgt die Vereinbarung einer Schiedsgerichtsbarkeit durch alle beteiligten Parteien vollständig freiwillig, kann im entsprechenden Kontext auf einzelne Teilgehalte von Art. 6 Abs. 1 EMRK – z. B. auf das Recht auf Öffentlichkeit des Verfahrens oder auf das Recht auf öffentliche Urteilsverkündung – durchaus wirksam verzichtet werden; vgl. dazu Jan Bangert, zit. in Fn. 44, 49; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 293 i. V. m. N 409 ff. 71 Vgl. dazu oben 3.1.2.2. Vgl. ferner oben 3.1.2.1. Ausdruckseite 12 von 19 und Athleten aufgezwungen wurde bzw. wird72 – anbelangt, respektiert diese zunächst etwa weder das sich aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergebende Recht auf Öffentlichkeit des Verfahrens noch das Recht auf öffentliche Urteilsverkündung73. Darüber hinaus steht die CAS-Schiedsgerichtsbarkeit auch nicht mit dem Recht auf ein unabhängiges Gericht in Einklang. Denn nach der Praxis des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK muss ein Gericht nicht nur unabhängig von anderen Staatsgewalten, sondern auch von den Parteien sein74. Dies ist hinsichtlich des CAS zumindest zweifelhaft, da etwa in CASBerufungsverfahren zwei der Schiedsrichter eines Dreier-Panels durch je eine der Parteien nominiert werden75. Auch das LG München I hat im «Pechstein-Urteil» die Unabhängigkeit der CAS-Schiedsrichter in Zweifel gezogen; dies unter Hinweis darauf, dass die CAS-Schiedsrichter nach Art. R33 der CAS-Verfahrensregeln von einer geschlossenen Liste gewählt werden, wobei nur bei 20% der auf der Liste befindlichen Schiedsrichter die Interessen der Athletinnen und Athleten berücksichtigt werden müssen76. Das auch schon bei der Unterzeichnung der Schiedsvereinbarung bestehende Ungleichgewicht zwischen Verband und Sportler manifestiert sich demnach zudem auch bei den CAS-Schiedsrichtern77. Genau die vorstehend erwähnten Aspekte – keine Öffentlichkeit des Verfahrens; mangelnde Unabhängigkeit des Schiedsgerichts – sind im Übrigen vom EGMR im Urteil zum CaS 2014, 199, 207 Fall «Suda» bemängelt worden; sie haben letztlich dazu geführt, dass der Gerichtshof die betreffende Konstellation als mit Art. 6 EMRK unvereinbar qualifiziert hat 78. 3.1.2.4 Ergebnis Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist festzustellen, dass die durch das CAS ausgeübte Schiedsgerichtsbarkeit sowie die entsprechenden Verfahren keineswegs vollumfänglich im Einklang mit Art. 6 EMRK stehen. Wird die einschlägige Rechtsprechung des EGMR zu dieser Bestimmung mit einbezogen, muss weiter konstatiert werden, dass jegliche Konstellationen, in denen die CASSchiedsgerichtsbarkeit einer Athletin oder einem Athleten aufgezwungen wird, mit Art. 6 EMRK nicht vereinbar sind. Dies hat einerseits zur Folge, dass staatliche Gerichte, wenn sie unter solchen Umständen mit einem Streitfall befasst werden, ihre Zuständigkeit nicht unter Hinweis auf die vereinbarte Schiedsgerichtsbarkeit verneinen dürfen, ansonsten sie Art. 6 EMRK verletzen79. Andererseits kann dies zur Folge 72 Vgl. zu den entsprechenden Feststellungen des LG München I sowie des Schweizerischen Bundesgerichts oben 3.1.2.1. 73 So sind etwa – gem. Art. R43 der CAS-Verfahrensregeln – ordentliche Verfahren vor dem CAS sowie die entsprechenden Urteile bzw. Urteilsverkündungen nicht öffentlich. Diese Grundsätze werden vom CAS auch auf Berufungsverfahren angewandt. So wurde auch im CAS-Verfahren betr. Claudia Pechstein – einem Berufungsverfahren – ein Antrag der Athletin auf öffentliche Durchführung des Verfahrens abgelehnt (vgl. Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Tatbestand, S. 8). Gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK sollte sich dies indessen genau umgekehrt verhalten: Das Verfahren sollte grundsätzlich öffentlich sein (vgl. oben Fn. 64). 74 Vgl. Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 296; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 204; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 417 (jeweils m.H. auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR). 75 Vgl. Art. R48 und R53 der CAS-Verfahrensregeln. 76 Vgl. Art. S14 der ICAS/CAS-Statuten sowie Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.c)bb)(2). Damit hat das LG München I einmal mehr eine vom Schweizerischen Bundesgericht – welches das CAS grundsätzlich als hinreichend unabhängig erachtet; vgl. etwa BGE 133 III 235, E. 4.3.2.3 (m.w.H.) – abweichende Haltung eingenommen. Im Gegensatz zum CAS weist etwa das Deutsche Sportschiedsgericht keine geschlossene Schiedsrichterliste auf, sondern ermöglicht es den Parteien grundsätzlich, die Auswahl der Schiedsrichter frei zu treffen (vgl. § 3.1 DIS SportSchO), und ist demnach eher als konform mit Art. 6 EMRK zu qualifizieren. 77 Vgl. Jens Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, 2003, 494. 78 Vgl. EGMR, Beschwerde Nr. 1643/06, Suda c. Tschechische Republik, Urteil vom 28. Oktober 2010, Rz. 52 ff. 79 Genau diese Konstellation lag dem EGMR-Urteil zum Fall «Suda» zugrunde (vgl. oben 3.1.2.2). Ausdruckseite 13 von 19 haben, dass die betreffende Schiedsvereinbarung zivilrechtlich als unwirksam zu qualifizieren ist. Genau dies hat das LG München I in Bezug auf die in der Athletenvereinbarung zwischen Claudia Pechstein und der ISU enthaltenen Schiedsklausel festgestellt80. Im Lichte der vorstehenden Ausführungen ist dieses Ergebnis sachgerecht und zutreffend. 3.1.2.5 Ergänzende Anmerkungen Dass das LG München I im vorliegend relevanten Kontext der Auffassung des Schweizerischen Bundesgerichts, nach der es angebracht sei, die rasche Streitbeilegung im Bereich des Sports durch spezialisierte Schiedsgerichte, die – wie das CAS – hinreichende Gewähr bezüglich ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit böten, zu begünstigen und demnach hinsichtlich der Zulässigkeit eines Schiedszwangs eine etwas grosszügige Haltung einzunehmen81, nicht gefolgt ist, erscheint ebenfalls durchaus sachgerecht82. Denn einerseits gehören nicht nur die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Gerichts zu den Teilgehalten von Art. 6 EMRK; vielmehr gewährleistet diese Bestimmung noch zahlreiche weitere Einzelrechte83. Die Fokussierung des Schweizerischen Bundesgerichts auf die Kriterien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des CAS greift demnach zu kurz. Und andererseits bestehen gewisse Zweifel daran, dass die Einsetzung der CASSchiedsrichter in konkreten Einzelfällen den Unabhängigkeitserfordernissen, wie sie sich aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergeben, genügt84. Mithin erscheint fraglich, ob eines der Kriterien, die das Bundesgericht im Rahmen seines «wohlwollenden» Ansatzes als relevant erachtet, bezüglich des CAS tatsächlich erfüllt ist. Dem Ansatz des Schweizerischen Bundesgerichts könnte u. U. etwas abgewonnen werden, wenn die Entscheide des CAS in einem Rechtsmittelverfahren vor staatlichen Gerichten mit voller Kognition überprüfbar wären. Dies ist jedoch – zumindest soweit es sich um Konstellationen handelt, in denen das CAS als internationales Schiedsgericht entscheidet85 – nicht der Fall. Die Anfechtung von Schiedssprüchen des CAS in internationalen Fällen richtet sich nach Art. 190 ff. IPRG; zuständig ist direkt das Schweizerische Bundesgericht86. In den entsprechenden Rechtsmittelverfahren können indes nur ganz bestimmte Mängel der CAS-Urteile gerügt werden87; zudem überprüft das Bundesgericht die Entscheide überwiegend nur mit eingeschränkter Kognition88. In Anbetracht dieser Umstände ist der Ansatz des Schweizerischen Bundesgerichts, im Bereich des Sports bezüglich des Schiedszwangs im Allgemeinen eine grosszügige Haltung 80 Vgl. Urteil LG München I, zit. in Fn. 1, Entscheidungsgründe, A.III.3.c)bb). 81 Vgl. zu diesem Ansatz des Schweizerischen Bundesgerichts oben 3.1.2.1. 82 Eine andere Frage ist freilich, ob sich das LG München I über die hier relevante Praxis des Schweizerischen Bundesgerichts überhaupt hinwegsetzen durfte. Denn zum schweizerischen Recht, das das LG München I auf die Schiedsvereinbarung zwischen Claudia Pechstein und der ISU – richtigerweise – angewandt hat, könnte durchaus auch die fragliche Praxis des Schweizerischen Bundesgerichts zu zählen sein (so Jens Adolphsen, LG München I zu Claudia Pechstein – Das Aus für die Sportschiedsgerichtsbarkeit?, Legal Tribune Online, 28. Februar 2014, www.lto.de/persistent/a_id/11197/ [1. August 2014]); vgl. dazu eingehend Götz Schulze, Fortentwicklung des Schweizer Vertragsrechts und Präklusion bei der inzidenten Anerkennung eines CAS-Entscheids, SpuRt 2014, 139 ff., 140 f.). Es ist davon auszugehen, dass diese Frage im Rahmen der Berufung gegen das Urteil des LG München I (vgl. oben Fn. 3) geklärt werden dürfte. 83 Vgl. zu diesen oben 3.1.2.3. 84 Vgl. oben 3.1.2.3 (Fn. 74). 85 Eine solche Konstellation lag auch dem «Fall Pechstein» zugrunde. 86 Art. 191 IPRG. 87 Vgl. Art. 190 Abs. 2 IPRG. Zu den entsprechenden Rügegründen gehören etwa Fehler des Schiedsgerichts bei der Feststellung seiner Zuständigkeit oder Verletzungen des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs. 88 Vgl. Bernhard Berger/Franz Kellerhals, zit. in Fn. 5, 541 ff., 546 ff.; Stefanie Pfisterer, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Anton K. Schnyder/Stephen V. Berti (Hrsg.), Internationales Privatrecht, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 190 IPRG N 25. Ausdruckseite 14 von 19 CaS 2014, 199, 208 einzunehmen und dafür bezüglich eines aufgezwungenen Rechtsmittelverzichts nur eine geringe Toleranz an den Tag zu legen 89, wenig überzeugend. 3.2 Die Feststellungen des Gerichts zur Bindungswirkung des CAS-Urteils Trotz des Überspringens der scheinbar höchsten Hürde, nämlich der Zulässigkeit der Klage vor dem LG München I, blieb Claudia Pechsteins Klage ohne Erfolg, weil die nach Auffassung des Gerichts gegebene Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung einer Anerkennung des Schiedsspruchs nicht entgegenstand. Der Klägerin wurde hier zum Verhängnis, dass sie die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung nicht bereits vor dem CAS geltend gemacht hat. Das LG München I sah ihr diesbezügliches Vorbringen aufgrund des rügelosen Einlassens nunmehr als präkludiert an90. Hätte Claudia Pechstein die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung bereits im CAS-Verfahren vorgebracht, spricht vieles dafür, dass die Klage vor dem LG München I erfolgreich hätte sein können. Diese Umstände sind im Übrigen auch im Hinblick auf eine mögliche Haftung der Vertreter der Athletin, die diese während des CAS-Verfahrens betreut haben, potenziell relevant91. Problematisch hierbei ist indessen, dass das Gericht zuvor die materielle Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung festgestellt hat. Es erscheint zumindest widersprüchlich, zunächst die Unwirksamkeit der Schiedsklausel anzunehmen, anschliessend aber dennoch die Bindungswirkung des Schiedsspruches allein aufgrund der nicht erhobenen Rüge vor dem Schiedsgericht zu bejahen92. Allerdings wohnt der Präklusion auch in den gesetzlich anerkannten Konstellationen – wie bspw. §§ 296, 296a, 322 ZPO – immer die Gefahr der materiell-rechtlich falschen Entscheidung allein aufgrund formeller Vorschriften inne. Dies ist jedoch hinzunehmen, da die Präklusion der Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit dient. In diesem Zusammenhang gilt es zu berücksichtigen, dass – wie das LG München I zutreffend festgestellt hat – im Rahmen der Durchführung des Schiedsverfahrens vor dem CAS kein Ungleichgewicht zu Ungunsten von Claudia Pechstein mehr gegeben war, auch weil sie dort anwaltlich vertreten war. Anders hätte die Frage der Präklusion wohl dann beurteilt werden müssen, wenn eine anwaltliche Vertretung der Athletin vor dem CAS nicht gegeben gewesen wäre93. 4. Perspektiven für den Schiedszwang im Sport 4.1 Beibehaltung des Schiedszwangs ist möglich Leitet das Urteil des LG München I zum «Fall Pechstein» nun tatsächlich «das Ende des Schiedszwangs im Sport» ein, wie es mitunter im Nachgang der Entscheidung diskutiert wurde94? – Nach der vorliegend vertretenen Auffassung muss dem keineswegs so sein. Allerdings werden bezüglich der CAS-Schiedsgerichtsbarkeit einige – wenige – Modifizierungen vorgenommen werden müssen. Ansonsten droht 89 Vgl. zu diesem Ansatz des Schweizerischen Bundesgerichts oben 3.1.2.1. 90 Vgl. oben 2.2.2. 91 Demgegenüber sieht Götz Schulze, zit. in Fn. 82, 142, diesbezüglich wenig Raum für Vorhaltungen. 92 Vgl. eingehend zu dieser Frage Götz Schulze, zit. in Fn. 82, 141 ff. Vgl. zu den Schwierigkeiten, die sich als Folge der fraglichen Feststellungen des LG München I nunmehr für die einzelnen Athletinnen und Athleten bzw. für ihre rechtlichen Berater ergeben, Dirk Monheim, zit. in Fn. 13, 93 f.; Peter W. Heermann, zit. in Fn. 4, 78 f. 93 A.M. diesbezüglich Dirk Monheim, zit. in Fn. 13, 93. 94 Vgl. etwa den Titel des Beitrags von Dirk Monheim, zit. in Fn. 13, 90. Vgl. auch Jens Adolphsen, zit. in Fn. 82, nach dem ein Aus für die gesamte Sportschiedsgerichtsbarkeit drohe, wenn sich die Ansicht des LG München I durchsetzen sollte. Ausdruckseite 15 von 19 früher oder später tatsächlich nicht nur das Ende des Schiedszwangs im Bereich des Sports, sondern gar das Ende der durch das CAS ausgeübten Schiedsgerichtsbarkeit. Der Grund dafür liegt in erster Linie darin, dass – wie auch das LG München I im «Pechstein-Urteil» zutreffend festgestellt hat95 – die CAS-Schiedsgerichtsbarkeit nicht vollumfänglich in Einklang mit Art. 6 EMRK steht. Wie bereits ausgeführt, hat dies einerseits zur Folge, dass staatliche Gerichte, wenn sie u. U. mit einem Streitfall befasst werden, die durch einen Schiedszwang gekennzeichnet sind, ihre Zuständigkeit nicht unter Hinweis auf die vereinbarte Schiedsgerichtsbarkeit verneinen dürfen, ansonsten sie Art. 6 EMRK verletzen. Andererseits kann dies zur Folge haben, dass die fragliche Schiedsvereinbarung zivilrechtlich als unwirksam zu qualifizieren ist96. Als Konsequenz hiervon ist es ohne weiteres rechtlich zulässig, dass Sportlerinnen und Sportler, selbst wenn sie im Rahmen von Athletenvereinbarungen – gezwungenermassen97 – auch einer CAS-Schiedsklausel zugestimmt CaS 2014, 199, 209 haben, entsprechende Streitigkeiten (z. B. über die Frage der Rechtmässigkeit von Dopingsperren oder anderen Sanktionen) auch vor staatliche Gerichte bringen98. Dass dies zu einer Aufweichung des im Sport vorherrschenden Schiedszwangs und damit letztlich zu einer Relativierung der Sportschiedsgerichtsbarkeit führen kann, liegt auf der Hand. Vor dem Hintergrund von Art. 6 EMRK, an den die Schweiz (wo das CAS seinen Sitz hat) gebunden ist, und in Anbetracht der gegenwärtigen Ausgestaltung der CAS-Schiedsgerichtsbarkeit ist diese Situation indes sowohl unvermeidlich als auch rechtlich korrekt99. Dieser Feststellung mag entgegengehalten werden, dass die Schiedsgerichtsbarkeit ihre spezifischen Vorzüge (gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit) im Bereich des Sports mit besonders grossem Nutzen entfaltet. Wie bereits erwähnt, werden in diesem Zusammenhang regelmässig etwa die Einheitlichkeit der Sportschiedsgerichtsbarkeit (v. a. hinsichtlich internationaler Dopingstrafen), die gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit schnelleren Entscheidungen, die grössere Sachnähe sowie die häufig auch geringeren Kosten ins Feld geführt100. Diese Argumente sind jedoch – ungeachtet dessen, ob sie jeweils auch tatsächlich zutreffen – im Kontext der EMRK ohne Belang. Denn weder die Konvention selbst noch die einschlägige Rechtsprechung des EGMR sehen solche «Rechtfertigungsmöglichkeiten» bezüglich Verletzungen von Art. 6 EMRK vor101. Demnach gibt es vor dem Hintergrund dieser Bestimmung keinen Spielraum für eine «wohlwollende» Haltung hinsichtlich des Schiedszwangs im Sport, 95 Vgl. dazu oben 2.2.1, 3.1.1, 3.1.2. 96 Vgl. dazu oben 3.1.2.4. 97 Vgl. zum Ungleichgewicht zwischen Sportlern und Sportverbänden, das dazu führt, dass Letztere den Athleten gewisse Bedingungen – einschliesslich insbesondere der Streitbeilegung durch Schiedsgerichte anstelle von staatlichen Gerichten – gleichsam diktieren können, oben 2.2.1, 3.1.1, 3.1.2.1. 98 Diese Situation ist allerdings nicht frei von gewissen Komplikationen; vgl. dazu bereits oben 3.2 und Fn. 92. 99 Vgl. eingehend hierzu oben 3.1.1, 3.1.2. 100 Vgl. oben 1. 101 Vgl. auch Peter W. Heermann, zit. in Fn. 4, 69. Insoweit etwas unpräzise Ulrich Haas, Internationale Sportschiedsgerichtsbarkeit und EMRK, SchiedsVZ 2009, 73 ff., 77 ff., der den Ansatz des EGMR, nach dem Einschränkungen der in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltenen Rechte «in the interests of the good administration of justice» zulässig sind, als Grundlage für die Annahme einer EMRK-Konformität von Schiedszwängen im Bereich des Sports, selbst wenn das fragliche Schiedsgericht bzw. schiedsgerichtliche Verfahren den Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht (vollumfänglich) genügt, fruchtbar machen möchte. Diese Argumentation übersieht, dass der erwähnte Ansatz des EGMR lediglich dazu dient, bspw. die Möglichkeit eines Verzichts auf einzelne Teilgehalte von Art. 6 Abs. 1 EMRK prinzipiell zu begründen (wie Ulrich Haas, a. a. O., 78, im Übrigen selbst ausführt). Er kann hingegen nicht dazu herangezogen werden, die Anforderungen, die der EGMR an einen solchen Verzicht stellt (zu diesen zählt, soweit es den Verzicht auf das Recht auf Zugang zu staatlichen Gerichten im Rahmen der Vereinbarung einer Schiedsgerichtsbarkeit betrifft, die Freiwilligkeit eines solchen Verzichts; vgl. oben 3.1.2.1), zu relativieren. Dies wurde in aller Klarheit spätestens durch das Urteil des EGMR zum Fall «Suda» (vgl. zu diesem oben 3.1.2.2) deutlich gemacht. Ausdruckseite 16 von 19 wie sie das Schweizerische Bundesgericht einzunehmen pflegt102. Die diesbezüglich vom LG München I in seinem «Pechstein-Urteil» vertretene, konsequentere Position103 ist durchaus die zutreffende. Und dennoch muss dies keineswegs das Ende der Sportschiedsgerichtsbarkeit – ja nicht einmal das «Aus» für den Schiedszwang im Bereich des Sports – bedeuten. Wie bereits dargelegt, steht Art. 6 EMRK auch einer aufgezwungenen Schiedsgerichtsbarkeit nicht per se entgegen. Die Konsequenz in Situationen, in denen die Vereinbarung einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung für eine der Parteien nicht (vollständig) freiwillig erfolgt, ist jedoch, dass das betreffende Schiedsgericht sowie das Schiedsverfahren die Einzelgarantien von Art. 6 EMRK vollumfänglich respektieren müssen104. Dies wiederum bedeutet: Wenn das CAS sowie die entsprechenden Verfahren vollständig konform mit Art. 6 Abs. 1 EMRK ausgestaltet werden105, steht auch einer Beibehaltung des Schiedszwangs zugunsten des CAS – jedenfalls vor dem Hintergrund der EMRK – nichts im Wege. 4.2 Herstellung vollständiger Konformität der CASVerfahren mit Art. 6 EMRK Das CAS und die CAS-Verfahren in vollständigen Einklang mit Art. 6 EMRK zu bringen, dürfte mit einem relativ überschaubaren Aufwand zu realisieren sein. Zudem müssen die entsprechenden Anpassungen auch nicht zwangsläufig zu eigentlichen Paradigmenwechseln in der CAS-Schiedsgerichtsbarkeit führen. Dies lässt sich etwa am Beispiel der Öffentlichkeit der Verfahren illustrieren: Wie bereits erwähnt, müssen gerichtliche Verfahren, um den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu entsprechen, grundsätzlich öffentlich sein106. Dies gilt, soweit die Streitbeilegung durch das CAS einem Akteur im Bereich des Sports aufgezwungen wird, auch für die CAS-Verfahren. Nun ergibt sich indessen bereits aus der EMRK bzw. der Rechtsprechung des EGMR selbst, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verfahren nicht absolut gilt. Vielmehr kann hiervon abgewichen werden, so etwa wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privat CaS 2014, 199, 210 lebens der Prozessparteien dies erfordern107. Liegt in einem konkreten CAS-Verfahren einer dieser Gründe vor, steht die Bestimmung von Art. 6 EMRK einem Ausschluss der Öffentlichkeit – auch im Falle eines Schiedszwangs – nicht entgegen. Ein Ausschluss der Öffentlichkeit aus CAS-Verfahren wäre demnach selbst bei Vorliegen eines Schiedszwangs in Einzelfällen immer noch möglich. Dies würde aber eine Modifizierung der gegenwärtig geltenden Bestimmungen in den CAS-Verfahrensregeln bedingen108. Ungeachtet dessen bliebe auch im Rahmen der Herstellung vollständiger Konformität der CAS-Verfahren mit Art. 6 EMRK durchaus Raum für differenzierte Lösungen – auch Art. 6 EMRK fordert keine ausnahmslose Öffentlichkeit. Ein Verzicht 102 Vgl. zu diesem Ansatz des Schweizerischen Bundesgerichts oben 3.1.2.1. 103 Vgl. zum entsprechenden Ansatz des LG München I oben 2.2.1, 3.1.2.1. 104 Vgl. dazu oben 3.1.2.1. 105 Vgl. zu den diesbezüglichen Defiziten des CAS und der CAS-Verfahren oben 3.1.2.3. 106 Vgl. oben 3.1.2.3. 107 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, zit. in Fn. 58, § 24 N 76 ff.; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 198 f.; Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 350 ff.; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 448 f. (jeweils m.H. auf die einschlägige Praxis der Konventionsorgane bzw. des EGMR), sowie schon oben 3.1.2.3 (Fn. 64). 108 Gemäss den entsprechenden Bestimmungen sind CAS-Verfahren gegenwärtig grundsätzlich nicht öffentlich (vgl. bereits oben Fn. 73). Dies müsste dahingehend geändert werden, dass die Öffentlichkeit der Verfahren die Regel ist und der Ausschluss der Öffentlichkeit die Ausnahme. Ausdruckseite 17 von 19 auf die Öffentlichkeit eines CAS-Verfahrens (d. h. durch Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten) ist jedoch bei Vorliegen eines Schiedszwangs nicht möglich 109. Das CAS und die CAS-Verfahren in vollständigen Einklang mit Art. 6 EMRK zu bringen, würde im Übrigen auch die Vorteile, die mit Blick auf die schiedsgerichtliche Streitbeilegung im Bereich des Sports regelmässig ins Feld geführt werden, in keiner Weise relativieren. Zu den entsprechenden Vorzügen zählen – wie bereits erwähnt – etwa die Einheitlichkeit der Sportschiedsgerichtsbarkeit (v. a. hinsichtlich internationaler Dopingstrafen), die gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit schnelleren Entscheidungen, die grössere Sachnähe sowie die häufig auch geringeren Kosten110. Keiner dieser Aspekte würde tangiert werden, wenn die CAS-Verfahren künftig generell öffentlich durchgeführt, die CAS-Entscheide grundsätzlich öffentlich verkündet, die CAS-Schiedsrichter mehr Unabhängigkeit geniessen und das Konzept der geschlossenen Schiedsrichterliste aufgegeben würden111. Die spezifischen Vorzüge einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung im Bereich des Sports stehen der Herstellung vollständiger Konformität der CAS-Verfahren mit Art. 6 EMRK demnach in keiner Weise entgegen. Vorausgesetzt ist dabei aber natürlich, dass nicht in Tat und Wahrheit (auch) andere Aspekte zu den Vorzügen der Sportschiedsgerichtsbarkeit gezählt werden, so etwa der prinzipielle Ausschluss der Öffentlichkeit. Soweit eine solche – etwas provokativ ausgedrückt – «Geheimjustiz» als spezifischer Vorteil einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung im Bereich des Sports angesehen wird112, würde dieser durch die Herstellung vollständiger Konformität der CAS-Verfahren mit Art. 6 EMRK tatsächlich relativiert werden. Nach der vorliegend vertretenen Auffassung würde dies indessen keinen gravierenden Nachteil darstellen113. Denn einerseits würde die CAS-Schiedsgerichtsbarkeit von den positiven Aspekten profitieren, die gemeinhin mit der öffentlichen Durchführung von gerichtlichen Verfahren verbunden sind (zu diesen zählen etwa ein erhöhtes Vertrauen in die Gerichtsbarkeit, eine bessere – demokratische – Kontrolle des Gerichts sowie eine verstärkte Sicherung der Fairness des Verfahrens114). Und andererseits gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verfahren auch im Rahmen von Art. 6 EMRK, wie vorstehend ausgeführt, nicht uneingeschränkt; mithin liesse sich die Öffentlichkeit auch weiterhin – bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen – von CAS-Verfahren ausschliessen. 4.3 Gesamtbetrachtung Wie vorstehend dargestellt, müssen die Perspektiven für die Sportschiedsgerichtsbarkeit – einschliesslich des in diesem Kontext häufig gebräuchlichen Schiedszwangs – auch nach dem «Pechstein-Urteil» des LG München I keineswegs düster aussehen. Allerdings sind insbesondere hinsichtlich des CAS sowie der CAS-Verfahren einige – nicht allzu einschneidende – Modifizierungen vorzunehmen, um eine vollumfängliche Konformität mit den Anforderungen, die sich aus Art. 6 EMRK ergeben, herzustellen. Dann – und nur dann – wird sich der Schiedszwang im Bereich des Sports u. U. dauerhaft aufrechterhalten lassen und es droht auch der CAS-Schiedsgerichtsbarkeit keine gravierende Relativierung; mithin müssen sich auch die mit dem Urteil des LG München I zum «Fall Pechstein» und ähnlichen Entwicklungen verbundenen Gefahren für die Einheitlichkeit der Rechtsbeziehungen zu den Sportlern 109 Dies resultiert aus dem Umstand, dass ein Verzicht auf die Teilgehalte von Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht zulässig ist, wenn die Schiedsgerichtsbarkeit als aufgezwungen erscheint; vgl. dazu bereits oben 3.1.2.1. 110 Vgl. dazu schon oben 1. 111 Vgl. zu den entsprechenden Kritikpunkten bzgl. der CAS-Verfahren vor dem Hintergrund von Art. 6 EMRK bereits oben 3.1.2.3. 112 Vgl. einen entsprechenden Hinweis bei Ulrich Haas, zit. in Fn. 101, 73. 113 Ähnlich auch Jochen Fritzweiler/Bernhard Pfister/Thomas Summerer, zit. in Fn. 10, S. 209 N 280. 114 Vgl. etwa Hans-Heiner Kühne, zit. in Fn. 44, Art. 6 EMRK N 345; Wolfgang Peukert, zit. in Fn. 58, Art. 6 EMRK N 187; Mark Villiger, zit. in Fn. 44, N 441 (jeweils m.w.H.). Ausdruckseite 18 von 19 CaS 2014, 199, 211 und für die Funktionsfähigkeit des Sports115 nicht verwirklichen. Werden die schiedsgerichtliche Streitbeilegung durch das CAS sowie die CAS-Verfahrensregeln hingegen nicht vollumfänglich in Einklang mit Art. 6 EMRK gebracht, wird dies über kurz oder lang zunächst das «Aus» für den in diesem Kontext regelmässig vorgesehenen Schiedszwang bedeuten und darüber hinaus die Gefahr einer starken Relativierung der Sportschiedsgerichtsbarkeit nach sich ziehen. Das LG München I hat mit dem «Pechstein-Urteil» – sollte es letztlich rechtskräftig werden116 – hierfür den Boden bereitet. Denn aufgrund dieses Urteils könnten Sportler gegen Dopingsanktionen eines Verbandes, die vor dem CAS Bestand haben, mit grossen Erfolgschancen die – deutsche, soweit hierfür ein konkreter Anknüpfungspunkt besteht – staatliche Gerichtsbarkeit anrufen. Dies ist auch deswegen von grosser Bedeutung, weil vor dem CAS lediglich Englisch und Französisch Verfahrenssprachen sind und viele deutsche Sportler bereits hiervon abgeschreckt sein könnten. 5. Abschliessende Anmerkungen Wie kann – wie soll – es nach dem «Pechstein-Urteil» des LG München I nun weitergehen mit der Sportschiedsgerichtsbarkeit und insbesondere mit dem in diesem Kontext häufig vorgesehenen Schiedszwang? Die Versuchung ist natürlich – insbesondere für das CAS – gross, den sprichwörtlichen Kopf (weiterhin) «in den Sand zu stecken», d. h. nichts zu unternehmen und darauf zu vertrauen, dass das Urteil des LG München I letztlich nicht in Rechtskraft erwachsen wird117. Doch die – durchaus überzeugenden und stringenten – Erwägungen und Feststellungen des LG München I zur Frage der Vereinbarkeit des Schiedszwangs im Sport und der Konformität der CAS-Verfahren mit Art. 6 EMRK118 zeigen in aller Deutlichkeit, auf welch dünnem rechtlichen Eis sich die CAS-Schiedsgerichtsbarkeit gegenwärtig bewegt. Für «wohlwollende» Haltungen gegenüber dem Schiedszwang im Sport, wie sie insbesondere das Schweizerische Bundesgericht einnimmt119, ist in Anbetracht des Urteils des EGMR zum «Fall Suda»120 und der gegenwärtigen Ausgestaltung der CAS-Verfahren kein Raum. Vor dem Hintergrund der Feststellungen des EGMR im «Suda-Urteil» ist davon auszugehen, dass dieser die entsprechende grosszügige Praxis des Bundesgerichts als Verletzung der Bestimmung von Art. 6 EMRK qualifizieren würde, wenn er mit einer entsprechenden Beschwerde einer Athletin oder eines Athleten befasst werden würde121. In Anbetracht dieser Umstände erscheint es für die Sportorganisationen angezeigt, umgehend zu reagieren und die CAS-Schiedsgerichtsbarkeit sowie die CAS-Verfahren in absehbarer Zeit zu reformieren, um sie vollumfänglich in Einklang mit den Anforderungen, die sich aus Art. 6 EMRK ergeben, zu bringen. Wie im vorliegenden Beitrag dargestellt, ist dies mit einem verhältnismässig geringen Aufwand möglich. Darüber hinaus kann dies auch durchaus differenziert erfolgen, so dass den 115 Vgl. zu diesen Aspekten Peter W. Heermann, zit. in Fn. 4, 75 f. 116 Vgl. dazu oben Fn. 3. 117 Vgl. zur gegenwärtig hängigen Berufung gegen das Urteil des LG München I oben Fn. 3. 118 Vgl. zu diesen oben 2.2.1, 3.1.1, 3.1.2.1. 119 Vgl. dazu oben 3.1.2.1. 120 Vgl. zu diesem oben 3.1.2.2. 121 Gegenwärtig sind bereits zwei Beschwerden beim EGMR hängig, die (u. a.) behauptete Verletzungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK durch die Schweiz aufgrund von Urteilen des Bundesgerichts, mit denen Entscheide des CAS geschützt wurden, zum Gegenstand haben. Neben einer Beschwerde von Claudia Pechstein, die auf das auch vorliegend relevante CASUrteil zurückgeht (Beschwerde Nr. 67474/10), liegt dem EGMR auch eine Beschwerde des rumänischen Fussballspielers Adrian Mutu vor (Beschwerde Nr. 40575/10; vgl. zum «Fall Mutu» Urs Scherrer/Kai Ludwig, zit. in Fn. 9, 198 f.). Ob sich der EGMR in diesen Verfahren spezifisch mit der hier relevanten, «wohlwollenden» Praxis des Bundesgerichts auseinandersetzen wird, lässt sich gegenwärtig indessen nicht sagen; diesbezüglich sind eventuelle Anhörungen bzw. letztlich die entsprechenden Urteile abzuwarten. Ausdruckseite 19 von 19 Besonderheiten der Sportschiedsgerichtsbarkeit (weiterhin) Rechnung getragen werden könnte122. Und schliesslich würden die entsprechenden Modifizierungen die spezifischen Vorzüge der Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich des Sports in keiner Weise relativieren oder mindern. Als Ergebnis solcher Reformen könnte – nach der vorliegend vertretenen Auffassung – auch der Schiedszwang zugunsten des CAS im Bereich des Sports beibehalten werden, womit sich langfristig auch die Bedeutung der Sportschiedsgerichtsbarkeit, wie sie ihr gegenwärtig zukommt, sichern liesse. 122 Wie dies konkret aussehen könnte, wurde vorliegend am Beispiel des Anspruchs auf Öffentlichkeit der Verfahren verdeutlicht; vgl. dazu oben 4.2.
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