Süddeutsche Zeitung WIRTSCHAFT Montag, 18. April 2016 Bayern, Deutschland, München Seite 18 interview: marc beise und elisabeth dostert D er Höhepunkt seiner dreijährigen Amtszeit kommt noch. Am nächsten Sonntag sieht Reinhold Festge, oberster Lobbyist des Maschinenbauverbandes VDMA, Barack Obama. Er eröffnet gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Industrieschau Hannover-Messe. Ob er dann Gelegenheit hat, mit dem USPräsidenten zu sprechen, weiß Festge noch nicht. Es gäbe aber einiges zu bereden. Zum Beispiel, warum in Deutschland die Proteste gegen das transatlantische Handelsabkommen TTIP so heftig sind. „Wir könnten uns das Leben doch einfacher machen“ Maschinenbau-Präsident Reinhold Festge über mächtige Menschen wie Barack Obama und Angela Merkel, das transatlantische Handelsabkommen TTIP und Berufsschulen nach deutschem Vorbild in Afrika MONTAGSINTERVIEW SZ: Herr Festge, Barack Obama eröffnet am kommenden Sonntag die HannoverMesse. Wie nah werden Sie dem amerikanischen Präsidenten kommen? Reinhold Festge: Ich würde ihm gerne persönlich begegnen. Ich hoffe, dass ich dazu auf der Hannover-Messe die Gelegenheit bekomme. Was fasziniert Sie an Menschen wie Obama? Es ist doch interessant, die Mächtigen dieser Welt hautnah zu erleben und sich selbst ein Bild zu machen. Ich habe Bill Clinton einmal persönlich erlebt, das war beeindruckend. Was genau passierte? Ich war mit meiner Familie vor einigen Jahren zu Weihnachten in New York in der Radio City Music Hall. In die Halle passen 8000 Menschen. Auf einmal wurde es ganz still, das Weihnachtsspektakel hatte noch gar nicht begonnen. Wir drehten uns um, und Clinton setzte sich in die Reihe hinter uns. Als er den Gang herunterkam, applaudierten alle. Das war sehr beeindruckend, wie so ein Mensch nur durch sein Erscheinen solch eine Wirkung haben kann. Frau Merkel löst solche Effekte nicht aus? Sie wirkt auf eine andere Art und Weise, indem sie ihre Positionen klar darlegt. Wenn Sie in Hannover mit Barack Obama ins Gespräch kommen, wie würden Sie ihm die Proteste in Deutschland gegen das geplante transatlantische Handelsabkommen TTIP erklären? Ich würde ihm sagen, dass wir sehr viele TTIP-Gegner haben, aber eine schweigende Mehrheit für das Abkommen ist. Wir waren allerdings auch ungeschickt. Es ist uns nicht gelungen, den Menschen klarzumachen, wie viele Vorteile TTIP hat. Machen wir es konkret: Wie sieht es bei Ihrem Unternehmen Haver & Boecker aus? Wir haben das durchgerechnet und sind auf 18 Prozent Zusatzkosten gekommen. Wir wollen noch mehr von unseren Maschinen und Anlagen in den USA verkaufen. Unsere Produkte haben da gute Chancen. Eben, Sie liefern jetzt schon dahin – ganz ohne TTIP! Ja, aber es ist ein mühsames Geschäft. Wir arbeiten in Europa nach ganz anderen Normen als die Amerikaner. Das benachteiligt uns im Vergleich zu unseren US-Wettbewerbern und asiatischen Anbietern, die häufig nach US-Standards arbeiten. Noch konkreter, bitte! Wir stellen zum Beispiel Abfüllanlagen für Zucker her. Die müssen einen Explosionsschutz haben, weil beim Abfüllen in Säcke durch Abrieb Feinstaub entsteht. Ab einem bestimmten Feinstaubanteil explodiert das Gemisch. In den USA sieht der Explosionsschutz anders aus als in Europa. Der Effekt ist der gleiche, aber durch die Mehrarbeiten ist die Maschine dann ein Fünftel teurer. Oder ein Beispiel aus dem Alltag . . . . . . nur zu . . . Ich habe mir in den USA ein Motorrad gekauft, eine Harley. Als ich die nach Europa holte, musste ich neue Streuscheiben in den Scheinwerfer einbauen lassen. Das ist unnötiger technischer Aufwand, und es kostete ein paar Hundert Euro. Fahren Sie immer noch Motorrad, so richtig in Lederkluft? arbeiter angewiesen und muss Verantwortung für sie übernehmen. Ein Politiker trägt die Verantwortung für noch mehr Menschen, nicht nur für die, die ihn gewählt haben. Herr Festge, Ihre Präsidentschaft endet im Herbst. Was haben Sie erreicht? Das müssen Sie jemand anderes fragen. Im VDMA hat jeder Präsident ein Sonderprojekt, um das er sich kümmert. Bei mir ist das Afrika, und da bin ich auch vorangekommen. Wir bauen jetzt in Botswana, Nigeria und Kenia jeweils eine duale Berufsschule, die nach deutschem Vorbild lokale Kräfte in Afrika für Afrika ausbildet. Im Januar 2017 fangen die ersten Kurse an, im Lauf von drei Jahren sollen es insgesamt 1000 Schüler in allen drei Ländern werden. Das ist sehr verdienstvoll, aber im Inland . . . . . . reden Sie das bitte nicht klein, Ausbildung in Afrika sichert künftige Märkte. Die Kunden müssen doch mit unseren Maschinen arbeiten können. Im Inland mussten Sie heftige Niederlagen einstecken: der Mindestlohn, die Mütterrente, die Rente mit 63 – alles Gesetze, die Sie nicht wollten, aber auch nicht verhindern konnten! „Ich habe versucht, das Kindergeld abzulehnen. Das war nicht möglich.“ Was heißt denn Niederlagen? Wir sind durch diesen Schlauch gegangen und stecken teilweise noch drin. Wir haben Mittel und Wege gefunden, die Belastungen zu kompensieren, aber das wird immer schwieriger und geht zu Lasten der Ergebnisse. Gegen solche Dinge anzukämpfen, ist müßig. Ein Beispiel: Als ich mit meiner Frau aus den USA zurückkam, habe ich versucht, das Kindergeld für meine Familie abzulehnen. Uns ging es gut, wir brauchten es nicht. Aber das war nicht möglich. Im Herbst endet die Amtszeit von Reinhold Festge als Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA. Länger als drei Jahre macht das keiner, dann ist der nächste Unternehmer dran. FOTO: STEPHAN RUMPF Mittlerweile habe ich einen Dreirad-Roadster von Bombardier, der kippt nicht so leicht und da reicht eine Jeans. Ich mache richtig große Reisen, vergangenes Jahr war ich am Nordkap. Wer fährt mit? Meine Frau fährt im Auto hinterher. Auch als ich den Roadster aus Kanada importiert habe, musste ich technisch nachrüsten. Völlig überflüssigerweise – wir könnten uns das Leben doch einfacher machen. Es gibt aber auch Dinge, die durch TTIP komplizierter und intransparenter würden, zum Beispiel durch die geplanten internationalen Schiedsgerichte. Deutschland hat schon über 150 Verträge dieser Art und niemanden hat das gestört. Sie sind aber nur für den Notfall, wenn ein Investor in einem anderen Land diskriminiert wird. Aber es läuft nicht immer ordentlich. Viele Ihrer Kollegen klagen darüber, dass „die“ Amerikaner ihre Lieferanten gerne über den Tisch ziehen. Kennen Sie das nicht auch? Sind wir denn selbst solche Heilige? Natürlich gibt es einen kulturellen Unterschied zwischen Deutschen und Amerikanern, und der ist größer, als wir denken. Den müssen wir kapieren. Das gleiche Problem habe ich aber auch in Nigeria und in China. Beschreiben Sie bitte die kulturellen Unterschiede im Geschäft mit den USA. Ich muss ein wenig ausholen. Meine erste Auslandserfahrung bei Haver & Boecker habe ich in Brasilien gesammelt. Als meine Frau, die Kinder und ich dort hinzogen, das war in den 70er-Jahren, wurden wir in Brasilien mit offenen Armen empfangen. Die Brasilianer mussten wir auch nicht von unseren Packmaschinen überzeugen, die glaubten einfach an deutsche Wertarbeit. Dann zogen wir in die USA, und das war in der Tat ein Kulturschock. Was war so schockierend? Wenn ich zu einem US-Kunden kam, sagte der erst einmal „proof it“, beweise es. Verstehen Sie? Die glaubten mir einfach nicht. Sie verlangten detaillierte Konstruktionszeichnungen der Anlage. Das ist nicht bösartig, nur anders. Das muss man kapieren. „Wenn wir TTIP dieses Jahr nicht zum Abschluss bringen . . . machen die Asiaten das Geschäft in den USA.“ In den TTIP-Verträgen gibt es ein eigenes Kapitel für den Maschinenbau. Kennen Sie den aktuellen Stand? Nein, das ist zum einen noch in Arbeit, zum anderen hat der VDMA dafür ein Büro in Brüssel. Angeblich soll das Kapitel aus den Verhandlungen herausgenommen werden, damit man schneller zu einem Abschluss kommt. Das wäre schlimm für uns und ich habe deshalb auch bei der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel interveniert. Es zeugt auch nicht von einer besonderen Wertschätzung des Maschinenbaus, oder? Den Verhandlungsführern scheinen andere Dinge wichtiger. Wie kann das sein, dass Ihr Verband und Sie als sein Präsident keinen einfachen Zugang zu den TTIP-Unterlagen haben, zumindest zu den Kapiteln, die Sie betreffen? Ich finde es auch schade, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Ich halte es aber für übertrieben, dass jeder alles wissen muss. Wir haben unsere Forderungen formuliert; solange ich nichts Gegenteiliges höre, gehe ich davon aus, dass über sie verhandelt wird. Sie haben eben gefragt, was ich von Präsident Obama erwarte. Er ist vielleicht unsere letzte Chance, dass wir TTIP noch umgesetzt bekommen. Es kommen auch sieben EU-Kommissare nach Hannover. Alle, die die Verhandlungen positiv beeinflussen wollen, sind da. Wenn wir das Abkommen in diesem Jahr nicht zum Abschluss bringen, wird es sich um Jahre verzögern. Dann machen eben die Asiaten das Geschäft in den USA. Wir haben jetzt die Wahl. Welche Wahl? Die Standards zu vereinheitlichen oder gleich unsere Produktion in die USA zu verlagern. Ist das eine Drohung? Das ist keine Drohung, ich beschreibe Effekte. In den vergangenen fünf Jahren hat der deutsche industrielle Mittelstand im Ausland mehr investiert als im Inland. Das hat doch Gründe. Wenn in einem anderen Land die Bedingungen besser sind, dann DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de gehe ich dorthin. Ich lese in Deutschland wenig über unsere Forderung, die die Amerikaner so ärgert. Welche? Wir wollen den „Buy American Act“ knacken. Wir wollen, dass europäische Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen in den USA berücksichtigt werden müssen. Die Gleichstellung von Amerikanern und Europäern ist auch Gegenstand der TTIPVerhandlungen. In China und Indien leben jeweils rund 1,3 Milliarden Menschen. Selbst zusammengerechnet liegen die USA und Europa noch darunter. Wir brauchen große Märkte mit gemeinsamen Regeln. Glaubt denn irgendjemand, dass China irgendetwas tut, damit es den Europäern besser geht? Ich glaube, in hundert Jahren nicht. Viele Unternehmer werfen Politikern vor, dass sie zu wenig verstehen, wie Wirtschaft funktioniert und die Dinge nicht vorantreiben. Wie sehen Sie das? Wir tun den Politikern manchmal unrecht. Ein Unternehmer kann sagen, wie es in der Firma laufen soll, und das wird dann in der Regel umgesetzt. In der Politik, das habe ich in den Jahren als VDMAPräsident gelernt, geht es grundsätzlich um etwas anderes – um Mehrheiten. Es braucht eben Zeit, um alle Meinungen unter einen Hut zu bringen, das geht nicht von heute auf morgen. Gibt es überhaupt Gemeinsamkeiten von Politikern und Unternehmern? Beide haben die Gemeinschaft im Sinn. Ich als Unternehmer weiß doch, dass ich alleine nichts erreiche, ich bin auf meine Mit- Frau Merkel behandelt Sie nicht besonders gut, dabei ist sie doch in der Flüchtlingskrise mehr denn je auf Sie angewiesen, wenn es darum geht, Arbeitsplätze für Migranten zu schaffen. Schaffen Sie das? Ich will ganz klar sagen: Wir werden unseren Teil dazu beitragen, aber dieser Teil wird sehr, sehr klein sein. Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau beschäftigt jetzt gut eine Million Mitarbeiter, so viele wie noch nie – abgesehen von der Zeit der Wiedervereinigung. Wir können Flüchtlinge integrieren, wenn wir für sie Arbeit haben. Im Moment sehe ich jedoch nicht viele zusätzliche Stellen. Ob des demografischen Wandels brauchen wir künftig sicherlich neue Mitarbeiter, aber wir reden da von einer Größenordnung von 10 000 oder 15 000. Wir werden im Maschinenbau keine 700 000 Flüchtlinge aufnehmen können. Wie viele Flüchtlinge hat Haver & Boecker denn schon eingestellt? Einen Syrer als Praktikanten. Einen? Warum nicht zehn? So viel mehr Arbeit haben wir nicht. Wir hätten auch gar nicht die richtigen Bewerber. Das ist ein Problem. Ich war Anfang Februar dabei, als Bundespräsident Joachim Gauck Nigeria besucht hat. Da hat ein nigerianischer Minister zu mir gesagt, „wenn Frau Merkel jedem von uns einen deutschen Pass anbietet, sind 170 Millionen morgen bei euch“. Da ist es doch besser, wir bauen vor Ort Berufsschulen. Reinhold Festge, 70, ist persönlich haftender Gesellschafter der Firma Haver & Boecker aus Oelde mit 457 Millionen Euro Umsatz und 1850 Mitarbeitern. Sie stellt Verpackungsmaschinen und Drahtgewebe her. Festge hat in das Unternehmen eingeheiratet. Eigentlich wollte er Gynäkologe werden; nach dem Abitur studierte er in Münster Medizin. Als ihn sein Schwiegervater fragte, ob er die Nachfolge antreten wolle, hat Festge lange überlegt und dann erst einmal Betriebswirtschaft studiert. Seine beiden Söhne sind schon in der Firma. A67039643 svra039
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