Wirtschaft Nummer 69 • Mittwoch, 23. März 2016 Vorübergehend Entlastung bei Betriebsrenten Von der Provinz hinaus in die ganze Welt Niedrigzinsen zwingen Konzerne, immer mehr Geld zurückzulegen Von Rolf Obertreis aus Frankfurt Maschinenbau-Präsident Reinhold Festge über die Stärken und Schwächen der deutschen Vorzeigebranche Maschinenbau-Urgestein und höchster Repräsentant der Branche in Deutschland: VDMA-Präsident Reinhold Festge sieht freien Handel als Schlüssel für Unternehmenserfolg STUTTGART. Reinhold Festges Idee von erfolgreichem Unternehmertum lässt sich am besten mit ein bisschen Physik beschreiben: Man nehme einen Stein und lasse ihn senkrecht ins Wasser fallen. Von einem kleinen Punkt breiten sich konzentrische Kreise dann rasch überallhin aus. Reinhold Festges Zentrum liegt in Oelde, einer 30 000-Seelen-Gemeinde tief im Münsterland. Nicht so recht bei Dortmund, nicht so recht bei Hannover, sondern einfach irgendwo im Nirgendwo. Dort hat Festge, der heute Präsident des einflussreichen Maschinenbauerverbands VDMA ist, seine Firma Haver & Boecker. Seit er im Jahr 1980 bei dem Baustoff- und Drahtanlagenspezialisten eingetreten ist, haben sich konzentrische Kreise schnell um das kleine Oelde und seinen Vorzeigebetrieb gebildet. 50 Tochtergesellschaften und 150 Vertretungen hat das Unternehmen mittlerweile in der ganzen Welt. „Mit der Konjunktur ist es wie mit einer Welle“, sagt Festge beim Redaktionsbesuch unserer Zeitung. „Sie läuft um die ganze Welt. Wenn ein Markt gesättigt ist und die Nachfrage nachlässt, zieht sie weiter, und dann läuft es anderswo gut.“ Der Kniff sei, überall präsent zu sein. Dann könne man Schwierigkeiten in einzelnen Märkten „einfach wegpuffern“. „Vielfüßigkeit“ nennt der 70 Jahre alte Firmenpatriarch diese Strategie, mit der er seine Firma zum Hunderte Millionen Euro starken Technologieführer in einer sonst eher von Milchkühen und fetten Weiden geprägten Ecke Deutschlands gemacht hat. Die Erfolgsgeschichte von Haver & Boecker und seinem umtriebigen Chef und Mitinhaber steht aber auch stellvertretend für den ganzen deutschen Maschinenbau. Wohl keine der klassischen Industriebranchen der Republik ist derart international vernetzt. Kaum eines der renommierten Unternehmen exportiert weniger als die Hälfte seiner Produktion. Der Branchendurchschnitt liegt irgendwo bei mehr als 75 Prozent. Außerdem steht keine andere Branche so für Qualität, Verlässlichkeit und technologi- US-Bundesstaat Kentucky verklagt VW im Abgas-Streit FRANKFORT (dpa). Die „Dieselgate“-Klagelawine gegen Volkswagen nimmt weiter Fahrt auf: In den USA hat der Bundesstaat Kentucky den Autobauer sowie die Töchter Audi und Porsche wegen Täuschung von Verbrauchern verklagt. „VW muss zur Verantwortung gezogen werden“, teilte Generalbundesanwalt Andy Beshear am Dienstag mit. Der Wolfsburger Hersteller hatte in großem Stil Dieselwagen mit einer illegalen Software zur Manipulation von Abgaswerten verkauft. Die Fahrzeuge wurden in den USA mit großem Werbeaufwand als „sauber“ vermarktet, obwohl der Ausstoß des Schadstoffs Stickoxid die gesetzlichen Höchstwerte um ein Vielfaches überstieg. In Kentucky sind der Klage nach 3800 Fahrzeuge betroffen. ruf an seine 3100 Mitgliedsfirmen ausgesandt, nicht nur Hochtechnologie herzustellen, sondern auch den Massenmarkt in den Blick zu nehmen. Gefruchtet hat der Appell nicht. „Billig können wir einfach nicht“, sagt VDMA-Chef Festge heute. Die Ernüchterung ist ihm dabei ins Gesicht geschrieben. Außerdem erwachen schon totgeglaubte Konkurrenten wie die USA wieder zu neuer Stärke. Nach Jahren, in denen die stolze Nation ihre Industrie als Kern der Wertschöpfung vernachlässigt hatte, reindustrialisiert sich das Land wieder. „Den meisten Flüchtlingen werden wir keinen Job geben können“ Reinhold Festge Maschinenbau-Präsident Für Deutschland und seine Firmen ist das zunächst von Vorteil, weil Ausrüstungsinvestitionen gefragt sind. Wie zum Beweis haben die USA gerade China als größten deutschen Maschinen-Exportmarkt abgelöst. Anlagen im Wert von 16,8 Milliarden Euro sind 2015 nach Übersee ausgeführt worden. Nach China, dessen Wirtschaftswachstum sich abschwächt, waren es etwa 16 Milliarden Euro. Aber in den USA wachsen auch neue Konkurrenten heran, die den deutschen Firmen irgendwann gefährlich werden könnten. Und in Russland liegt das Geschäft seit dem EU-Embargo infolge der Ukraine-Krise darnieder. Mit nur gespielter Gelassenheit schielt die Branche daher auf Chancen, die sich auftun. Etwa im Iran. Vor Beginn der islamischen Revolution 1979 war das Perserreich der Zur Person Preisbereinigter Index, Basis 2010 = 100 Reinhold Festge 140 Gleitender 12-Monats-Durchschnitt 130 120 110 100 90 80 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Foto: Horst Rudel zweitwichtigste Absatzmarkt der Deutschen. Vier Milliarden Euro ließen sich nun mittelfristig im Iran wieder verdienen, schätzt man heute im VDMA. „Wir haben da immer noch ein Superimage“, sagt Festge. Der Markt müsse allerdings erst wieder in Tritt kommen. Im Moment hapert es an so banalen Dingen wie Banküberweisungen, die noch viel zu kompliziert ablaufen. Solche kleinen Details, die trotzdem das Potenzial haben, das große Ganze auszubremsen, fuchsen Festge. Handelsbarrieren und Protektionismus, die große Warenströme austrocknen, sind ihm ein Gräuel – egal ob Präsidentschaftsbewerber Donald Trump in den USA davon schwadroniert oder in der EU aufgrund der Flüchtlingskrise ähnliche Ideen auf den Tisch kommen. „Wenn wir uns abschotten, werden wir alle verlieren“, ist sich Festge sicher. Gleichzeitig räumt er aber auch mit der Illusion auf, die deutsche Wirtschaft könne einem Großteil der derzeit ins Land strömenden Flüchtlinge eine Perspektive schaffen. Der „bei weitem größten Menge all derer, die kommen“, werde man keinen Job bereitstellen können, sagt er. Das Qualifikationsniveau der Migranten sei einfach nicht ausreichend. Vieles bei der aktuellen Flüchtlingsdiskussion liege allerdings auf Seiten der Politik im Argen. Die zu schwergängige Bürokratie, die kreative Einzelentscheidungen verhindere, sei eines der Haupthemmnisse für die rasche Integration der Migranten, ist sich Festge sicher. Ganz aufgegeben hat der leidenschaftliche Motorradfahrer die Hoffnung allerdings nicht. „Wir haben gerade einen Syrer eingestellt“, sagt er. „Um mal zu testen, wie es klappt.“ Deutsche Maschinenproduktion StN-Grafik: Gröger / Quelle: Stat. Bundesamt, VDMA Von Walther Rosenberger sches Vorreitertum wie die ingenieurgetriebenen Maschinenbauer, die mit knapp über einer Million Beschäftigten – 304 000 davon in Baden-Württemberg – sogar die strahlende Automobilwirtschaft um rund ein Drittel übertreffen. Wobei Maschinenbau und Autobauer eigentlich eins sind. Ohne Pressen, Fräsen, Drehmaschinen und Laser als „Enabler“ – also als Möglichmacher –, wie Festge es nennt, gäbe es keine Automobile. Ohne Autos keine Nachfrage nach Maschinen, um sie herzustellen. „Wir sind diejenigen, die moderne Industrieproduktion mit unseren Produkten überhaupt erst möglich machen“, sagt Festge. Die Welt hat das über Jahrzehnte auch so gesehen. Egal wo auf dem Globus produziert wurde – der deutsche Mittelstand war meist dabei. Nennenswerte Konkurrenten gab es zwar immer schon, etwa die Japaner, die Italiener, die Schweizer, auch die Franzosen und seit einigen Jahren zunehmend die Südkoreaner und Chinesen. Früher waren auch die USA eine Maschinenbaunation – aber die deutschen Ingenieure hielten sie mit klugen Ideen und immer ausgefeilteren Produkten auf Abstand. Diese Wohlfühlphase ist Vergangenheit. Längst hat sich China zur größten Maschinenbaunation aufgeschwungen. Zwar produziert das Reich der Mitte in erster Linie für den riesigen Heimatmarkt, aber aufgrund günstiger Preise und akzeptabler Qualität werden die Anlagen auch zunehmend in Schwellenländern nachgefragt, wo sie auf deutsche High-Tech-Produkte treffen, die sich die Kunden dort meist nicht leisten können. Vor einigen Jahren hat der Branchenverband VDMA daher eine Art Alarm- ¡ Der Westfale Reinhold Festge, Jahrgang 1945, ist seit Oktober 2013 Präsident des Maschinenbauverbands VDMA. ¡ 1980 startete der studierte Mediziner und Betriebswirtschaftler beim Maschinenbauer Haver & Boecker. Nach zwei Auslandsstationen in Brasilien und den USA wurde er 1987 persönlich haftender geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens mit zuletzt knapp 500 Millionen Euro Umsatz. (wro) Neuer Chef der Monopolkommission FRANKFURT. Die Niedrigzinsen machen den 30 im Deutschen Aktienindex (Dax) notierten Konzernen mit Blick auf die Pensionszusagen an ihre Beschäftigten weiter zu schaffen, auch wenn das vergangene Jahr etwas Entspannung gebracht hat. Die Pensionsverpflichtungen – das Geld, das für künftige Betriebsrenten zurückgelegt werden muss – sind 2015 leicht um 2,4 Prozent auf 364 Milliarden Euro gesunken. Dies belegt eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Willis Towers Watson. Den Experten zufolge sei mit weiterer Entspannung angesichts der anhaltend niedrigen Zinsen nicht zu rechnen. Basis für die Pensionszusagen ist der Durchschnittswert der aktuellen Rendite von sicheren Unternehmensanleihen mit guter Bonität. Im vergangenen Jahr waren die Zinsen für diese Anleihen und damit auch der sogenannte Rechnungszins für die Pensionszusagen leicht auf 2,5 Prozent gestiegen und hatten für Entlastung gesorgt. Je mehr er allerdings sinke, desto mehr müssten die Unternehmen für ihre Pensionsverpflichtungen zurücklegen, sagt Willis-Towers-Watson-Experte Thomas Jasper. In diesem Jahr sind die Renditen wieder gesunken, nach Ansicht von Ökonomen vor allem deshalb, weil die Europäische Zentralbank (EZB) ab Ende des zweiten Quartals auch Unternehmensanleihen aufkaufen will, um die Inflation anzuheizen und Investitionen anzustoßen. Der Studie zufolge sind die Pensionsverpflichtungen bei VW mit fast 39 Milliarden Euro am höchsten. Bei Siemens sind es knapp 37, bei Daimler knapp 29 Milliarden Euro. Bei Bayer betragen sie fast 27, bei BASF knapp 25 Milliarden. Insgesamt hätten die 30 Dax-Konzerne 2015 für die betriebliche Altersvorsorge neu 9,9 Milliarden Euro bereitgestellt. Die Kosten für einen Euro Rente seien seit 2008 dramatisch gestiegen, sagt WillisExperte Alfred Gohdes. BGH gibt Stadt im Streit um Zinswetten recht KARLSRUHE (dpa). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat einer kleinen nordrhein-westfälischen Stadt im Streit um Millionenverluste aus hochriskanten Zinswetten weitgehend recht gegeben. Dennoch verwies der für Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat den Fall am Dienstag zurück an das Oberlandesgericht Köln, um Lücken in der Beweisaufnahme zu schließen. Die Landesbank WestLB habe beim Abschluss von sogenannten Swapgeschäften gegen Aufklärungspflichten verstoßen, sagte der Vorsitzende Richter Jürgen Ellenberger in Karlsruhe. Es geht um einen Streitwert von fast 20 Millionen Euro (AZ: XI ZR 425/14). Das Städtchen Hückeswagen hatte sich seit 2006 mehrfach mit dem Ziel der Zinsoptimierung auf riskante Geschäfte mit der WestLB eingelassen, will für die Verluste aber nicht mehr zahlen. Kern der Auseinandersetzung ist, ob die Bank die Stadt darüber aufklären hätte müssen, wie hoch ihre Marge ist und dass daraus ein „negativer anfänglicher Marktwert“ resultierte. Die Entscheidung hat Bedeutung für zahlreiche Kommunen, die mit ähnlichen Geschäften Verluste gemacht haben. Festgeld 5000 Euro, Laufzeit 12 Monate Anbieter-Auswahl NIBC Direct MoneYou Zins in % p.a. 1,2 1,20 1,2 1,15 Amsterdam-Trade-Bank1,2 1,10 Crédit Agricole1,2 1,05 1 1,05 CreditPlus Bank AKF Bank1,2 AutoBank 1,00 1,2 1,00 2 Nach dem spektakulären Rücktritt von Daniel Zimmer übernimmt Achim Wambach das Amt Deniz-Bank DHB Bank 1,00 BONN/MANNHEIM (dpa). Mit Achim Wambach übernimmt einer der einflussreichsten und renommiertesten Ökonomen in Deutschland den Chefsessel bei der Monopolkommission. Der Öffentlichkeit bekannt geworden ist der Kölner Professor zuletzt als designierter Chef des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), eines der drei großen Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland. Zum 1. April soll er dort die Aufgaben von Clemens Fuest übernehmen. Bei der Monopolkommission folgt Wambach auf den in der vergangenen Woche zurückgetretenen Daniel Zimmer. Er hatte aus Protest gegen die Zustimmung von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zur Fusion von Edeka und Kaiser’s Tengelmann sein Amt niedergelegt. Als derzeitiger Leiter des Instituts für Garanti Bank International1,2 1,00 Pbb direkt1 1,00 Wirtschaftspolitik an der Universität Köln ist Wambach bereits Mitglied des Wissenschaftler-Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Zudem ist er seit 1. Juli 2014 Mitglied der Monopolkommission, die als Expertengremium die Bundesregie- Wambach rung in Sachen Wettbewerbspolitik berät. Darüber hinaus ist er designierter Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik (VfS), einer der größten Ökonomenvereinigungen der Welt. Bei seinen Forschungen beschäftigt sich Wambach vor allem mit Informationsproblemen auf Märkten. Seine akademische Laufbahn begann der Foto: dpa Nach seinem fulminanten Aufstieg nach der Finanzkrise bekommt der Maschinenbau zusehends Gegenwind. Politische Krisen bremsen die deutsche Vorzeigebranche aus. 9 47-Jährige nicht als Wirtschafts-, sondern als Naturwissenschaftler. In den 1980er Jahren studierte er zunächst Mathematik und Physik und promovierte in Oxford. Danach hängte er ein Ökonomiestudium an – und blieb diesem Bereich bis heute treu. Die Monopolkommission ist ein unabhängiges Gremium: Im Auftrag der Bundesregierung berät sie auf den Gebieten Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht und Regulierung. Die Gutachten werden veröffentlicht. Alle zwei Jahre erarbeitet die Monopolkommission ein Hauptgutachten zur Unternehmenskonzentration in Deutschland. Zudem legt das Gremium Sondergutachten vor. Das ist insbesondere dann vorgesehen, wenn es um eine sogenannte Ministererlaubnis geht, kann aber auch im Auftrag der Bundesregierung oder aus eigenem Ermessen geschehen. 1,00 1,2 1,2 Renault Bank direkt 1,00 Ziraat-Bank 0,95 ABC Bank1 Grenke Bank 0,90 1 0,90 Debeka Bausparkasse Tendenz: 0,65 leicht fallend 1) Online-Kondition 2)Nur gesetzliche Einlagensicherung (100 000 Euro pro Person) Neukundenangebote bleiben unberücksichtigt. Angaben ohne Gewähr. Weitere Infos: www.stuttgarter-nachrichten.de/rechner Quelle: biallo.de Stand 22.3.2016
© Copyright 2024 ExpyDoc