Predigt zum Festgottesdienst am Freundestag der

Predigt zum Festgottesdienst am Freundestag der Diakonissenanstalt Emmaus,
11.10.2015 um 10.30 Uhr, Kirchsaal der Brüdergemeine Niesky
:: Predigttext Lukas 19,1-10
1 [Jesus] ging nach Jericho hinein und zog hindurch.
2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner
und war reich.
3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der
Menge; denn er war klein von Gestalt.
4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort
sollte er durchkommen.
5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend
herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.
6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.
7 Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er
eingekehrt.
8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem
Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es
vierfach zurück.
9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist
Abrahams Sohn.
10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was
verloren ist.
Liebe Schwestern und Brüder,
wir haben von Begegnungen gehört. Menschen, die schon lang miteinander
leben, sind einander neu begegnet. Unerwartet, überraschend. Alles, was vom
Anderen so unangenehm bekannt und berechnet war, kam in dieser
Begegnung im Anspiel ins Wanken. Wodurch? Durch ein Wort, durch ein gutes
Wort. In unserem Anspiel wurde es gesungen.
Ich will von einer anderen Begegnung erzählen: Der Geschichte von Zachäus
und Jesus.
:: Begegnung inmitten der Menge
Jesus zieht gerade in Jericho ein. Da begegnet er einem Menschen, einem
Zöllner, auf einem Maulbeerbaum sitzend. So einen Empfang hat Jesus nicht
erwartet. Oder doch? In all der Menschenmenge fällt Jesu Blick auf ihn. Die
Menschen in Jericho haben viel von Jesus gehört, offensichtlich hat sich das bis
zu den Steuereintreibern herumgesprochen, so meint Jesus. Ein
Steuereintreiber wird dieser zweifelsohne sein. Das kann Jesus schon an seiner
guten und sauberen Kleidung sehen. Die Szene ist bewegt, Menschen und ihre
Stimmen drängen sich durcheinander. Nur den Saum seines Gewandes einen
Augenblick berühren und die Kraft, die von ihm ausgeht tief im eignen Innern
spüren – so sagen sich manche und drängen sich nach vorn. Ich will ihn sehen,
ihn, der Kranke heilt, Tote auferweckt, ich will ihn sehen, meinen andere. Und
so drücken sie nach vorn. Die Großen und die Kleinen. Und einer, es ist Zachäus
– was macht er da? – klettert da auf einen Baum. Jetzt ist er oben. Wie seltsam,
ein solcher Mann in guter, kostbarer Kleidung zwischen Ästen und Gestrüpp!
Die Massen drängen sich. Er sieht es von Ferne. Zuschauer und Beobachter ist
er, zunächst nur das. Zachäus hat die Situation im Griff, scheinbar wie immer.
Und so sind sie da – Zachäus oben auf dem Baum, Jesus unten im Staube der
Massen. Und jetzt wird es still in all der Unruhe der Menge. Eine Begegnung
findet statt.
:: Wer ist dieser?
Wer ist dieser? Was ist dieser? Er ist ein interessanter Mensch, zweifelsohne.
Er ist unkonventionell – das muss man ihm lassen. Gut, von den Massen war er
schon immer misstrauisch beäugt worden, nur wenige hielten zum ihm. Nur
wenige Menschen konnten zu seinem engeren Freundeskreis gezählt werden.
Er handelt unerwartet, von den herum stehenden Menschen versteht ihn
niemand. Und keiner hatte eine solche Reaktion erwartet. Auch ich nicht.
Irgendwie hab ich es aber geahnt. Da ist etwas. Irgendetwas treibt ihn an.
Wer ist dieser? So gar nicht passt er in mein Schema. Ich kann ihn in keine
Schublade einordnen. Sein Verhalten – was will er? Wo will er hin? Wieso
dieses Gespräch? Ich durchschaue ihn nicht. Aber ich spüre sein Interesse an
mir. Ein interessanter Mensch! Er durchbricht das von ihm Erwartete. Er ist ein
Grenzgänger, er verschiebt die Grenzen, durchbricht sie
und verändert dadurch auch mein Denken und Fühlen.
Auf ein Wort mit ihm. Auf ein gutes Wort:
Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.
:: ein Grenzgänger
Ein Grenzgänger ist er. Ein Grenzgänger zwischen den Welten. Dass Zachäus in
Jericho lebt, unterstreicht gewissermaßen seinen Charakter. Freilich, Jericho als
Handelsmetropole des Orients zieht Händler und mit ihnen Zöllner in Scharen
an. Doch, was ist Jericho? Was ist Zachäus? Jericho – schon im Alten Testament
eine beeindruckende Stadt: Reich, nicht einnehmbar, durch starke Mauern und
scharfe Geschütze bewacht. Der Schlüssel zum Land Kanaan. Jericho – „der
Duftort“ übersetzt – ist auch zu Zeiten Jesu eine prachtvolle Stadt: Eine
fruchtbare Gegend mit fürstlichen Pflanzen, die beinahe nur hier wachsen und
blühen. Dort sind Palmen, Rosenstöcke, Balsamstauden, Dattelpalmen, ein
reich duftendes Pflanzenreich. Die Nähe zum Jordan und das warme, schwüle
Klima bringen eine große Fruchtbarkeit mit sich und reiche Erntegaben. Eine
prachtvolle und reiche Stadt, der Handel blüht, die Einwohner von Jericho
leben in sicheren Verhältnissen. Die Bauern aus dem Umland und die Händler
aus der Ferne bringen Reichtum in die Stadt. Doch das ist Jericho auch:
Verhasst und gefürchtet. Betrügereien und Korruption sind an der
Tagesordnung an den Marktständen. Und: Wie wehrhaft diese Stadt dalag, als
Gott sein erwähltes Volk einst nach Kanaan führen wollte. Wie herrschaftlich
und despotisch der Durchgang verwehrt wurde. Das verheißene Land – Jericho
hat es verweigert. Das ist Jericho auch: Einschüchternd, bedrohlich, gierig.
Ausgerechnet Zachäus wohnt in dieser Stadt Jericho. Ein Mensch wie eine
Stadt. Immer auf der Grenze, mit zwei Seiten. Bei allem Reichtum zieht ihn
tatsächlich dieser ärmlich lebende Wanderprediger Jesus an. Jerichos Mauern
und Barrikaden fielen einst. Alle selbstsichere Stärke war dahin. Doch was
bringt Zachäus´ bröckelnde Mauer zum Einstürzen? Es ist ein Wort. Ein gutes
Wort:
Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.
:: Du bist berufen
Liebe Schwestern und Brüder, ich habe in Vorbereitung dieser Predigt an
meinem Schreibtisch einige theologische Lektüre zur Hand genommen. Unter
Anderem ein Andachtsbuch mit individuellen Andachten für besondere
Zielgruppen. Als ich so das Inhaltverzeichnis des Andachtsbuches durchging,
fand ich Zielgruppen wie Historikerin, Sozialpädagoge, Cellistin,
niedergelassener Internist, Politologe, Lehramtsstudent, Wohnungsverwalterin.
Scheinbar sind das die Zielgruppen an die sich das Wort Gottes so richtet. Und
ich habe die Befürchtung, dass dies mehr und mehr die Zielgruppen auch
unserer modernen Kirche sind: Alles feine, gestandene, ordentliche Berufe, das
steht außer Frage. Aber: Keine Rede von jenen Gruppen unserer Gesellschaft,
die wie Zachäus von der Mehrheit der Zeitgenossen lieber gemieden werden.
Mir ist nicht bekannt, dass es Andachtsbücher für Bankiers des Frankfurter
Finanzviertels gäbe. Gibt es ein extra ausgewiesenes Buch: „Das Wort Gottes
für neureiche, osteuropäische Oligarchen“? Ich meine nein.
Im Gegensatz zu meinem Andachtsbuch sucht Jesus gezielt jene Zielgruppe, die
sonst niemand sucht: Die Zöllner, die Geldeintreiber, die Verachteten,
Prostituierte, jene also die schlechthin als DIE Sünder bekannt sind. Für sie hat
er ein gutes Wort, für Zachäus hat er ein gutes Wort: Zachäus, steig eilend
herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Er sagt: Es geht um
Dich! Das ist keine Ansage an irgendeine kollektive Masse. Es geht konkret um
Dich: Bei Dir will ich einkehren. Die Grenze ist überschritten. Beide, Jesus und
Zachäus haben sich selbst und einander überrascht. Wie ungleich beide sind!
Trotzdem finden sie zusammen. Dem Neugierigen, der zunächst aus sicherer
Entfernung beobachtet, begegnet Jesus. Jesus teilt Gemeinschaft, unerwartet
und überraschend. Er geht nicht hindurch (durch Jericho). Er teilt Gemeinschaft
mit Zachäus, mit dem dies nicht so vorgesehen war. Das ist die frohe Botschaft,
das ist das Evangelium aus dem sich später das Handeln des Zachäus, indem er
wiederum seinen Reichtum teilt, speist und nährt: Das gute Wort der
Begegnung in eben jener Grenzerfahrung.
:: Gemeinschaft aus Christus heraus
Grenzerfahrungen ereignen sich, wenn Menschen aufeinander treffen in
Seelsorge, Pflege, Ausbildung. Sie ereignen sich immer wieder neu zwischen
Menschen, die sich scheinbar schon seit Jahren kannten im Kollegium, in der
Cafeteria, im Mutterhaus. Was für ein Wort wird da gesprochen?
Was für Worte prägen da? Worte des Teilens womöglich. Doch Zachäus teilte,
weil ihm Heil widerfahren war. Worte der Gemeinschaft, Worte des liebevollen
Miteinanders womöglich. Doch Zachäus eröffnete Gemeinschaft, weil er dazu
eingeladen worden war.
Zuerst steht das Wort des Herrn. Ich muss heute in deinem Haus einkehren. Das
ist der Anfang allen Teilens, allen brüderlichen und schwesterlichen
Zusammenlebens, alles andere kann nur als danach bezeichnet werden.
Und so werden mir und Ihnen noch viele Menschen begegnen, Grenzgänger,
die sich neugierig suchend oder zurückhaltend lauschend auf Bäumen
verkriechen, erst einmal Zuschauer sein wollen, abwartend und vorsichtig
herantastend: Zunächst noch nicht bereit vom hohen, sicheren Baum
herabzusteigen. Wir erwarten diese Menschen vielleicht nicht. Unser Plan ist es
vielleicht hindurch zuziehen, wie es Jesu Plan in Jericho war. Doch Zachäus
begegnet uns vielfach, mal sind wir es selbst, mal unser gegenüber, dem wir es
anfangs gar nicht ansahen. Gott möge es geben, dass wir uns solchen
unerwarteten Grenzgängern stellen, ihnen hingeben und auf sie einlassen. Ich
wünsche es uns, dass wir uns bei solchen Grenzerfahrungen überraschen
lassen, wie Jesus sich überraschen lies in dieser eigenartigen Begegnung. Und
dann möge uns der Geist Gottes ein gutes Wort finden lassen.
Vielleicht dieses:
Steig eilends herab, denn ich will heute mit Dir Gemeinschaft teilen.
Amen.