WS 13/14

Erfahrungsbericht
zu Auslandssemester in Eger (Ungarn) im Wintersemester 2013/2014
1. Vorbereitung und Ankunft
2. Unterkunft
3. Formalitäten
4. Allgemeine Infos zu Eszterházy Károly Főiskola
5. Akademisch
6. Leben in Eger
7. Abreise und Rückkehr
8. Probleme/Sonstiges
9. Fazit
1. Vorbereitung und Ankunft
Mein Erasmus-Aufenthalt in Ungarn bahnte sich stellenweise recht spontan an. Über ein
hochschulinternes Bewerbungsverfahren hatte ich einen Platz an der Eszterházy Károly
Főiskola in der Kleinstadt Eger (dt. Erlau) erhalten. Ich wusste vorher ungefähr nichts über
Ungarn und hatte auch keine Ungarischkenntnisse. Mehr die vage Idee, ein längerer
Aufenthalt in diesem mir ziemlich unbekannten osteuropäischen Land könnte auf
verschiedene Arten interessant sein.
Das Semester sollte Anfang September starten; offiziell war vom 4. bis 6. September
Anreise. Weil ich dir Vorstellung, mit 40 bis 50 anderen gleichzeitig anzukommen, wenig
verlockend fand, nahm ich einige Monate vorher Kontakt zum Präsident des ESN Eger
auf, der gleich sehr hilfsbereit und dann auch während des gesamten Aufenthalts ein
wichtiger Ansprechpartner war. Trotzdem war lange unklar, wann ich dann wirklich würde
anreisen können, sodass ich meine Fahrt schließlich erst ca. drei Tage vor Abreise
gebucht habe. Am 1. September ging es für mich mit dem Bus (Eurolines, 119 Euro) von
Frankfurt am Main aus nach Budapest (13 Stunden).
Hier sei vielleicht angemerkt, dass diese Reiseform eine persönliche Entscheidung war, es
gibt durchaus auch Flüge, die sich mit umfangreichem Gepäck in einer ähnlichen oder
günstigeren Preiskategorie bewegen. So oder so kann die Reise aber nur bis Budapest
gebucht werden. Dort kommt man dann entweder vom Bahnhof Keleti mit dem Zug oder
vom Puskás Ferenc Busbahnhof per Bus nach Eger (1465 Ft. für Studenten, 2930 ohne
gültigen Studentenausweis. Offiziell braucht man, glaube ich, einen internationalen oder
ungarischen Ausweis, aber bei BesucherInnen von mir hat es auch mit deutschen
funktioniert). Die Busse fahren alle 30 Minuten und brauchen knappe zwei Stunden, die
Züge haben einen ähnlichen Rhythmus. Da der Flughafen richtig außerhalb liegt und der
besagte Busbahnhof nicht derjenige ist, an dem internationale Fernbusse ankommen, ist
es wahrscheinlich, dass man zwischendurch öffentliche Verkehrsmittel nutzen muss –
Tickets hierfür erhält man üblicherweise an Kiosken oder Ticketständen in der Nähe der
Metros. Mitunter wird ziemlich streng kontrolliert.
Ich selbst hatte mich ein bisschen wenig informiert und habe mich dann vom
internationalen Busbahnhof, wo ich erst mal meine Euro in Forint gewechselt habe (1 Euro
= ca. 300 Ft. Es war da gerade günstiger, erst in Ungarn zu wechseln, worüber aber nicht
alle Banken informiert haben.) mehr oder minder mit Händen und Füßen durchgefragt
(viele Ungarn* können meiner Erfahrung nach kein oder nur mäßiges Englisch – dafür hat
man manchmal mit Deutsch Glück).
In Eger hat mich der ESN Präsident dann mit seinem Trabi am Busbahnhof abgeholt und
zu dem Wohnheim gebracht, in dem alle Erasmus Studierenden untergebracht waren. Wir
haben mich angemeldet und ich habe mich in mein Zimmer aufgemacht.
2. Unterkunft
Untergebracht war ich mit den anderen 42 Erasmusleuten auf anderthalb Stockwerken
des Imola Hostels (das nur in dem Semesterferien ein Hostel ist und sonst voll belegt mit
Studierenden). Dort gibt es Dreier- und Zweierzimmer; die Zweierzimmer bilden
dreierweise je eine Wohneinheit mit geteilter Toilette und Dusche sowie einem kleinen
Küchenbereich (Spüle, Kühlschrank, Mikrowelle, Stauraum). Eine richtige Küche mit Herd
gibt es flurweise, in jedem zweiten Stockwerk ist auch ein Ofen vorhanden. An die Küche
angeschlossen ist ein Waschraum mit ein bis zwei Waschmaschinen (unterschiedlicher
Qualität und Waschdauer).
Einzelzimmer gibt es keine – in den Sechserwohnungen verfügt allerdings das mittlere
Zweierzimmer über eine Trennwand in der Mitte, die es erlaubt, sich weiterhin direkt zu
unterhalten und auszutauschen, aber deutlich mehr Privatsphäre vermittelt und für eine
gemütlichere Raumaufteilung sorgt. Meine Zimmernachbarin und ich sind nach einem Tag
in einen solchen Raum umgezogen und fanden das beide eine enorme Verbesserung.
Da das Hostel am Hang liegt, kann man entweder ziemliches Pech und ein Zimmer nach
hinten raus (mit Blick auf ebendiesen Hang), oder aber sehr viel Glück und einen
großartigen Ausblick über die Stadt und die wunderschönen Sonnenuntergänge haben.
Eingerichtet sind die Zimmer mit je einem Bett, Schreibtisch, Regal, Nachttisch, Stuhl und
Rolltisch/Schrank/Ding pro Person; einen Schrank für jede(n) gibt es auf dem
wohnungsinternen Gang. Töpfe, Geschirr etc. waren nicht vorhanden, wobei man hier
wohl den ESN-Präsidenten fragen kann, ob man etwas von vorherigen
Erasmusgenerationen übernehmen könnte.
Die Miete beträgt 30 000 Ft. pro Monat für Nichtungarn, alles inklusive (Internet per
Kabel). Man erhält eine Karte, mit der man sich im Haus ein- und ausloggen muss, wann
immer man rein- oder rausgeht, außerdem sitzt rund um die Uhr ein Security-Mensch am
einzigen Eingang. Besucher muss man anmelden; bleiben sie bis nach 22 Uhr, wird das
als Übernachtung gewertet und eine Bezahlung gefordert. In dem Beilagezettel unseres
Mietvertrages stand hierzu, man habe drei Übernachtungen für Gäste frei – später wurde
aber erklärt, das sei veraltet, und man müsse immer 2000 Ft. bezahlen, selbst wenn den
Gästen kein Bett gestellt wird.
Insgesamt fand ich diese Form der Unterkunft für einen Erasmus-Aufenthalt ziemlich ideal.
Man ist einander sehr nah, weil alle immer nur wenige Schritte und Türe entfernt sind, hat
aber trotzdem Rückzugsraum (wobei das in den Dreierräumen wohl manchmal
schwieriger war). Vorher habe ich mir etwas Sorgen gemacht, weil ich ungefähr seit der
Grundschule kein Zimmer mehr geteilt habe, aber letzten Endes war auch das sehr schön,
weil sich Beziehungen und Konstellationen natürlich ganz anders entwickeln, wenn man
von vornherein in Zweiereinheiten vernetzt ist.
Ärgerlich fand ich lediglich, dass bei der Verteilung auf die Zimmer offiziell angeboten wird,
Wünsche zu äußern, die letztlich aber nur Beachtung zu finden scheinen, wenn die
verantwortliche Person diese auch für sinnvoll erachtet (in unserem Fall betraf das bei
mehreren Studentinnen den Wunsch, das Zimmer nicht mit einer Frau gleicher Nationalität
zu teilen).
3. Formalitäten
Ich selbst habe mich im Voraus nicht damit beschäftigt, würde aber empfehlen, sich auf
der eigenen Bank zu informieren, welcher Möglichkeiten zum kostenfreien Geldabheben
es während des Aufenthalts in Eger gibt. Vorhanden sind z.B. ein Sparkassen ATM, eine
Unicredit Bank, eine Raiffeisen Bank und eine Volksbank, außerdem mindestens zwei
Wechselstuben und diverse weitere ATMs – mir hat das aber beispielsweise nichts
gebracht, ich habe überall gleichermaßen 5 Euro Gebühr pro Abheben zahlen müssen,
sodass ich eher selten und dafür relativ große Summen abgehoben habe. Andere hatten
aber vorgesorgt und diese Gebühren gespart, z.B. durch spezielle Konten und
Kreditkarten. Mehr Infos dazu habe ich leider nicht.
Bei den Orientierungstagen, die relativ bald nach der offiziellen Ankunft stattfanden,
erhielten wir Prepaid-Karten von Vodaphone und somit ungarische Nummern, die es uns
erlaubt haben, relativ günstig mit anderen ungarischen Nummern zu kommunizieren und
innerhalb von Vodaphone kostenlos zu telefonieren. Das gibt es, soweit ich weiß, jedes
Semester.
4. Allgemeine Infos zu Eszterházy Károly Főiskola
Die Eszterházy Károly Főiskola verteilt sich auf mehrere Gebäude, einige davon im
Stadtzentrum, eines direkt vorm Wohnheim und einige auf einem kleinen Campus
oberhalb des Wohnheims. Sie alle sind in 2 bis 10 Minuten zu Fuß zu erreichen (das gilt
für die meisten Punkte in Eger), sodass eigentlich nie jemand Bus fährt. Bahnen gibt es
nicht. Eine Mensa versteckt sich vielleicht auf besagtem Campus, dort war ich allerdings
nie. In ziemlicher Nachbarschaft zum A-Gebäude (das Hauptgebäude) im Stadtzentrum
allerdings gibt es das Café/Bistro Fany, das sehr günstig und auf Kantinenqualität Essen
anbietet. Im B-Gebäude ein paar Meter weiter ist ein Kiosk untergebracht, in dem man
belegte Brötchen etc. erhält.
Internet ist in allen Unigebäuden per WLan frei zugänglich.
Im A-Gebäude gibt es eine wunderschöne Bibliothek (generell ein sehr schönes Haus, hat
so was von Bilderbuchuni), die auch auf den Orientierungstagen besucht wird. Gleiches
gilt für die Camera Obscura und die Aussichtsplattform im Magic Tower.
Die Orientierungstage decken weiterhin eine Tour durch die Innenstadt, zu diversen
Einkaufsmöglichkeiten und zur Burg ab. Außerdem gibt es Kennlernspiele und
interkulturelles Training sowie, sehr angenehm, eine kostenlose Weinprobe im
Szépasszonyvölgy (Liebfrauental), dem Winevalley, in dem sich Weinkeller an Weinkeller
reiht. Wer keinen Alkohol mag, erhält stattdessen Traubensaft.
Sowohl während der Orientierungstage als auch im Verlauf des Aufenthalts wird immer
wieder deutlich, dass das gesamte für die internationalen Studierenden verantwortliche
Team sehr hilfsbereit, verständnisvoll und engagiert ist. Fragen und Problemen, selbst
wenn sie nur einzelne betreffen, wird mit großem Engagement nachgegangen. Neben den
Festangestellten gibt es auch ehrenamtliche Mentoren* - ungarische Studierende, die an
den Erasmus-Veranstaltungen teilnehmen und unkomplizierte Ansprechpartner darstellen,
wenn man Fragen, Wünsche oder Probleme hat, z.B. einen Dolmetscher* braucht oder ein
Ausflugsziel sucht.
5. Akademisch
Bis alle schließlich sicher in ihren Kursen gelandet sind, gab es einiges an Chaos.
Nacheinander lagen uns, glaube ich, fünf Listen mit den „aktuellen“ Kursen (und deren
jeweiliger Sprache vor), von denen sich früher oder später jede als mehr oder minder
unzutreffend herausstellte. Als das Learning Agreement fällig gewesen war, hatte man
sowieso gerade nur Zugriff auf eine Liste des letzten Frühjahrssemesters, was schon
deswegen ein Problem war, weil dort häufig Teil 1 einer Veranstaltung und im
Herbst/Winter dann nur noch Teil 2 angeboten wird (für den Teil 1 aber Voraussetzung
ist). Schließlich gingen wir einfach zum ersten Termin der Kurse, die wir gerne belegen
wollten, und klärten vor Ort ab, ob diese für Erasmusstudierende geeignet waren. Dadurch
habe ich zweimal versehentlich rein ungarische Vorlesungen besucht, was irgendwie ganz
lustig war. Die meisten Lehrenden fand ich an dieser Stelle überraschend hilfsbereit. Ich
nahm an zwei Zeichenkursen (hoher Praxisanteil) teil, die an sich auf Ungarisch waren,
bei denen sich die Dozenten aber bereiterklärten, die Anweisungen für uns (zwei deutsche
Studentinnen) auf Englisch bzw. einem Mix aus Französisch und Deutsch zu wiederholen.
Ein Professor hielt eine seiner Veranstaltung speziell für zwei von uns noch einmal auf
Englisch und Deutsch eine Stunde vor dem eigentlichen Seminar ab. Insgesamt konnte
ich Veranstaltungen aus den Bereichen Anthropologie, Kunst, Psychologie,
Informationstheorie und Informatik besuchen, wobei ich einräumen muss, dass es in der
informatischen und mathematischen Ecke die größten Schwierigkeiten gab. Der Katalog
führte hier anfangs noch ein ziemlich umfangreiches Angebot auf, dass aber nach und
nach dahin schmolz und sich schließlich auf Informatikkurse reduziert hatte, die mehr oder
minder als E-Learning stattfinden sollten. Das wurde angesprochen und soll eventuell
geändert werden; in unserer Generation war es etwas schade.
Die meisten meiner Kurse waren dann entweder speziell für Erasmusleute oder von
vornherein auf Englisch, sodass sehr wenige bis keine Ungarn* kamen, was zwar vom
Lernklima angenehm war, den Kontakt zu Leuten außerhalb des betreuenden Kreises
aber wenig unterstützte. Hierzu trug auch die bereits erwähnte Sprachbarriere bei.
Ein ungarischer Sprachkurs für die Erasmusstudierenden wird angeboten, allerdings ist
ein hohes Eigenengagement erforderlich, um wirklich etwas Anwendbares zu lernen. Bei
uns zumindest war die Gruppendynamik hier etwas bescheiden, die Motivation vielerorts
niedrig, sodass man häufig wiederholt hat und letztlich nur weiterkam, wenn man sich
selbstständig dahinter geklemmt hat. Empfehlenswert: Das Durcharbeiten ungarischer
Comics mit Google Translate.
Ein weiteres Angebot speziell für das Erasmus-Programm ist der Kurs Hungarian Culture.
Dieser umfasst Ausflüge wie z.B. zum Parlament nach Budapest oder in einen
nahegelegenen Nationalpark. Außerdem fand eine Global Cooking Night statt, die auf dem
Gedanken basiert, einander nationale kulinarische Highlights näher zu bringen sowie eine
Reihe von Vorträgen (freiwillig) der internationalen Studierenden zu deren jeweiligem
Heimatland. Solche Veranstaltungen waren zwar interessant und mit einem gewissen
Chaosfaktor auch spaßig, allerdings wurden dadurch meiner Meinung nach mitunter
einfach Stereotypen verfestigt, statt ein besseres Verständnis füreinander aufgebaut.
6. Leben in Eger
Meine Bedenken im Bezug auf das Leben in einer Kleinstadt waren ähnlich wie die des
geteilten Zimmers wegen: Zu wenig Anonymität/Rückzugsmöglichkeit, nichts los, wenig zu
entdecken. Ich hatte von Eger auch einfach nie etwas gehört, bevor es auf der Liste der
Partnerhochschulen meines Studiengangs auftauchte. Tatsächlich ist die Weinstadt aber
eines der touristischen Highlights in Ungarn und taucht in vielen Reiseführern auf. Im
Sommer ist es vielleicht nervig, wenn der Dobo Square von Touristen bevölkert wird und
man überall Deutsch hört (das lassen zumindest die vielen „Zimmer frei“-Schilder
erwarten), im September klingt das aber schon ab, während das Wetter mit etwas Glück
noch bis Ende Oktober großartig sommerlich ist und vieles von dem, das den Charme der
Stadt ausmacht, weiterhin da und geöffnet bleibt.
Was auf den Orientierungstagen sowieso abgelaufen und im Wikipedia-Artikel erwähnt
wird, lasse ich überwiegend mal beiseite. Tipps wären allerdings das Café Süticake direkt
am Dobo Square, in dem es großartige Kuchen, nette Besitzer und eine sehr herzliche
Kellnerin gibt, der Eged, ein größerer Hügel direkt vor der Stadt, zu dessen Gipfel man
sehr gut Wandern kann, der Ostorosi See, ebenfalls ein schönes Wanderziel, der
Heilbrunnen, an dem man sich kostenlos Trinkwasser holen kann (das Leitungswasser ist
nicht so toll, aber diese Brunnengänge haben etwas sehr cool Rituelles), das Thermalund das türkische Bad (direkt am Brunnen. Wobei das Thermalbad zum Winter hin einen
Teil seiner Anlage schließt), der Palacsintavár (dt. Pfannkuchenburg, ein gemütliches
Restaurant mit tollen Pfannkuchenvariationen), Retroburger (wo es Burger in der Größe
von Fußbällen gibt), den Pizza Club (nicht so billig wie z.B. Fortuna Pizza, dafür aber
ziemlich italienisch in der Qualität), den Gödör Club unter der Basilika und natürlich das
Wine Valley mit seinen circa 50 Weinkellern (an dieser Stelle etwas Werbung für Keller 28,
wo man sehr gemütlich sitzt, obwohl der Wein ist Keller 46 ein bisschen besser ist). Im
Winter gibt es außerdem eine Eislaufbahn, und wenn man sich bis zum Nachbarort
Felsőtárkány bemüht (kann man gut gehen, es gibt aber auch Busse), bekommt man dort
den Kuchen von Süticake noch günstiger. Grundsätzlich kann man auf Fahrräder mieten
in Eger, im Winter ist der Verleih aber für eine Weile geschlossen, wobei bei uns tagelang
ein „gerade unterwegs, kommen Sie morgen wieder“-Schild da hing, das dann etwas in die
Irre geführt hat.
Generell ist die Einstellung zu solchen Feinheiten mitunter deutlich lässiger als in
Deutschland. Busse und Bahnen fahren üblicherweise sehr pünktlich, aber wenn man zu
jemandem ins Haus zum Essen eingeladen wird, soll man wohl eigentlich ca. 20 Minuten
später erscheinen. Halboffizielle Veranstaltungen fangen oft später an; z.B. beginnt dann
zu der angekündigten Anfangszeit eher der Aufbau als das eigentliche Event. Mitunter ist
es etwas schwierig abzuschätzen, was nun eine verbindliche Terminangabe ist und wann
es sich eher um eine vage Orientierung handelt – so oder so kann man sich als
Deutscher* viele Kommentare zur eigenen Pünktlichkeit anhören und muss mitunter
einfach etwas flexibler sein als zuhause.
7. Abreise und Rückkehr
Die Prüfungsphase startet eigentlich kurz vor Weihnachten und dauert dann bis Mitte oder
Ende Januar. De Facto wissen die Dozenten und das Internationale Team aber, dass viele
der Studierenden vor Weihnachten abreisen möchten, und kommen dem entgegen, indem
es z.B. anstelle von Examina Referate und Essays gibt oder Tests vorgezogen werden.
Bei uns sind die meisten innerhalb der Woche vor Weihnachten abgereist und hatten ihre
Kurse dann auch abgeschlossen. Ich selbst bin noch bis zum 23. Januar geblieben. Diese
Zeit fand ich auch nochmal sehr interessant, weil die tägliche Planung so ohne Gruppe
eine ganz andere war, ich durch die Abreise meiner Zimmernachbarin nun doch noch ein
Einzelzimmer (und somit auch Platz für Besuch) hatte und insgesamt so viele Studierende
die Stadt verlassen, dass diese einen anderen Charakter erhält. Allerdings werden in
dieser Zeit auch Zimmer vermietet, für die eigentlich noch bezahlt ist, sodass ich zum
Beispiel morgens davon aufgewacht bin, dass überraschend irgendjemand ins
Nebenzimmer eingezogen ist oder in meinem Bad geduscht hat. Darauf sollte man nur
vorbereitet sein, sonst ist das im ersten Moment sehr irritierend...
Am hilfreichsten an dieser Zeit fand ich aber, dass sie mir einen stufenweisen Abschied
von der Erasmuszeit ermöglichte. Ca. eine Woche lang gab es täglich Abreisen von
Freunden, danach erhielt ich diverse Nachrichten, in denen die frühe Abreise zumindest
leise bedauert wurde. Das hat einfach sehr deutlich gemacht, dass diese Phase sich
gerade ihrem Ende neigt, und die Möglichkeit gegeben, alles nochmal in Ruhe zu
reflektieren. Als ich dann nach Hause kam, hat sich der Zeitpunkt richtig angefühlt und ich
bin in kein Loch gefallen, zumal ich einen Umweg über Lettland gemacht habe, um dort
eine meiner neuen Freunde* zu besuchen.
Zur Anrechnung meiner Kurse kann ich leider noch keine endgültige Aussage machen.
Mein Learning Agreement wurde auch nach seiner Änderung akzeptiert, aber bisher bin
ich noch nicht zu meiner Uni zurückgekehrt und bin noch nicht vollständig sicher. Fragen
hierzu beantworte ich aber gerne noch später per Email.
8. Probleme/Sonstiges
Etwas Fingerspitzengefühl erfordern politisch angehauchte Diskussionen. Im offiziellen
Erasmusprogramm wurden tagespolitische Entwicklungen in Ungarn nicht ein Mal
thematisiert. Spricht man verschiedene Leute gezielt an, stößt man mitunter durchaus auf
kritische Einstellungen, Diskussionsbereitschaft und spannende Innenansichten,
manchmal aber auch auf abwehrende Haltungen und z.B. Antiziganismus.
(Zumindest Kavaliers-)Sexismus scheint leider noch ziemlich verbreitet; obwohl ich mich
natürlich in einem begrenzten Kreis bewegt habe, hat sich dieser Eindruck auch in
Erzählungen und Alltagsbeobachtungen bestätigt. Argumente basierten häufig in
irgendeiner Form auf dem Gender der diskutierten Leute („...but he’s a guy!“, „...because
she is a lady!“) und Türen funktionierten als Siebe, weil der männliche Teil der Gruppe
immer den weiblichen passieren ließ. Ein ungarischer Freund hat mir erzählt, dass sein
Vater ihn immer noch ausschimpft, wenn er einer Frau nicht die Tür aufhält oder sie alleine
nach Hause gehen lässt. So etwas stört natürlich manche Leute mehr als andere, ich fand
es aber sehr anstrengend und mitunter beengend, zumal es sich nicht um ein exklusiv
ungarisches Phänomen handelte, sondern von Studenten und Studentinnen aus
Rumänien, Litauen, Lettland, der Türkei, Spanien und Deutschland mitfabriziert wurde.
Ähnlich salonfähig und präsent wie dieser Alltagssexismus waren auch homophobe
Scherze und Randkommentare.
9. Fazit
Ich kann einen Erasmus-Aufenthalt in Eger sehr empfehlen. Die Stadt ist auch im
Wintersemester wunderschön und man wird wirklich gut betreut. Für deutsche
Verhältnisse ist alles sehr, sehr günstig; und man bekommt mitunter einen ernüchternden
Einblick in andere Lebensstandards.
Schwierigkeiten ergeben sich vor allem je nach Studienrichtung – einige von uns hatten
sehr viel Glück (bessere Angebote als an ihrer eigenen Hochschule), andere ziemliches
Pech (überhaupt keine anrechenbaren Kurse). Ich persönlich bereue etwas, dass ich nicht
mehr in Ungarn und seinen Nachbarländern herumgereist bin, was aber zum Teil einfach
daran liegt, dass man mit öffentlichen Verkehrsmitteln meist den Umweg über Budapest
nehmen muss, sodass es einfacher ist, gleich dort zu bleiben (vor allem, wenn man keine
Kurse schwänzen will und entsprechend nur das Wochenende oder die einwöchigen
Herbstferien zur Verfügung hat).
Ich fand es sehr spannend, dass viele der Studierenden aus Osteuropa bzw. dem
Baltikum kamen und ich jetzt zu einigen Ländern, über die ich vorher peinlich wenig
wusste, ein persönliches Bild habe. Mir haben meine Begegnungen dadurch ein neues
Verständnis vermittelt und mich einigen Kulturen näher gebracht, außerdem habe ich jetzt
mehr das Gefühl, in Europa zu leben. Es ist toll, plötzlich Zugang zu ganz anderen
Netzwerken zu haben, und zu bemerken, dass neu geknüpfte Freundschaften die
Trennung überleben könnten. Natürlich ist gerade alles noch recht frisch, aber trotzdem
erscheint es vielversprechend, dass bereits zwei Monate nach Ende des Semesters die
ersten schon wieder zu Besuch in Eger sind, dass diverse Begegnungen für Frühjahr und
Sommer geplant sind und einem die Gesprächsthemen nicht ausgehen, nur weil man nicht
mehr jeden Tag gemeinsam begehen kann.