Berenberg DAS Magazin für Wirtschaft, Gesellschaft & Lebensart N 9 o 1 Editorial Dr. Hans-Walter Peters, Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter der Berenberg Bank Verehrte Freunde des Hauses, „Wahre Werte“ – was versteht man eigentlich darunter? Das kommt ganz auf den Blickwinkel an. Gemeint sein können innere Werte, es kann der Wertekanon eines Unternehmens sein, aber auch die monetären Werte, die wir in vielfältiger Form von einer Generation an die nächste weitergeben. Mit zwei dieser Ausprägungen beschäftigen wir uns in diesem Magazin. Man könnte sie ganz schnöde als „Assetklassen“ bezeichnen, doch die Leidenschaft, mit der sie von ihren Besitzern gehegt und gepflegt werden, wird dem bei weitem nicht gerecht. Es handelt sich zum einen um wertvolle Uhren und zum anderen um historische Autos, Vorkriegsrennwagen. Es sind nur zwei Beispiele, wie Menschen sich Träume erfüllen. Andere sind glücklich, wenn sie einen großen Fisch an der Angel haben – auch wenn es hier einmal nicht um den übertragenen Sinn, sondern vielmehr um den Wortsinn geht. Unsere Autoren haben sich nämlich nicht nur bei Schweizer Uhrmachern und auf dem Nürburgring umgesehen, sondern erlebten am Roten Meer hautnah eine Gruppe von Hochseeanglern – „Big Game Fishing“ nennt sich das. Ist der Wertmaßstab der Politik die Meinungsumfrage? „Nein!“, sagt CDU-Fraktions chef Volker Kauder. Mit ihm setzen wir unsere Reihe hochkarätiger Politikerinterviews fort. „Man kann sich in der Politik nicht von demoskopischen Momentaufnahmen leiten lassen. Das wäre kein guter Ratgeber.“ Ihr guter Ratgeber zu sein, Sie dabei zu unterstützen, Ihr Vermögen sicher an die nächste Generation weiterzugeben – das ist unser Ziel und unser Bemühen. Dafür setzen sich meine Kolleginnen und Kollegen jeden Tag aufs Neue ein. Bei der Lektüre unseres Magazins wünsche ich Ihnen viel Vergnügen – und ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen! 5 Inhalt I n h a lt Volker Kauder, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Bundestag über Konflikte, konservative Positionen und das Krisenmanagement unter Parteifreunden ein Fischzug im Roten Meer und ein Männertraum wird wahr. Von Großwildjägern zu Wasser, vom Singen der Schnur und vom Kampf gegen die Kreatur 38 Die teuersten Uhren der Welt In Genf werden noch Werte von Hand geschaffen. Die Meisterwerke erzielen Höchstpreise bei internationalen Auktionen Klassiker am Start Beim 69. ADAC-Eifelrennen, unterstützt von der Berenberg Bank, lieferten sich die Boliden der 1920er-Jahre packende Duelle 58 C l a u d i a S c h i ffe r braucht Flügel“ Sportliches Hochseeangeln, E l ef a n t e n Re n n e n „Eine Volkspartei Abenteuer pur 48 P a t e k P h i l i ppe P OLITIK 20 B i g g a me F i s h i n g 28 E DITION Herbert G. Ponting und der Wettlauf zum Pol Das 250.000.000Dollar-Baby Wenn es ein deutsches Fräuleinwunder gibt, dann ist es Claudia Schiffer, die in 22 Jahren als Model zur Multimillionärin wurde. Sie hatte es so geplant T V - L a d i es Die Macht der Frauen im Fernsehen Politik Volker Kauder im Gespräch 16 20 B i g G a me F i s h i n g Männerträume am Roten Meer W E RTANLA G E Die teuersten Uhren der Welt 28 38 P AT E K P HILI P P E M U S E U M Der Louvre der Uhren BERENBERG E L E F ANT E NR E NN E N Klassische Boliden in der Eifel 45 48 S AL Z B U R G E R F E S T S P I E L E Nike Wagner über 90 Jahre Eventkultur C l a u d i a S c h i ffe r Das 250.000.000-Dollar-Baby B E R E N B E R G News Hamburgs Privatbank aktuell 8 54 58 62 Imp r essum Herausgeber: Berenberg Bank, Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG, Neuer Jungfernstieg 20, 20354 Hamburg; Projektleitung: Karsten Wehmeier; Redaktion: Dr. Werner Funk (v.i.S.d.P.); Emanuel Eckardt, Constanze Lemke, Thomas Košinar, Roswitha Knye, Farimah Justus Adresse: Dr. Werner Funk, Klein Fontenay 1, 20354 Hamburg; Anzeigen: Armin Roth, Telefon (040) 361 31-425, [email protected] Druck: NEEF + STUMME premium printing GmbH & Co. KG, Schillerstrasse 2, 29378 Wittingen Repro: E I N S A T Z Creative Production, 20359 Hamburg; Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Fotomaterialien Titelfoto: Herbert G. Ponting / ©2009 Scott Polar Research Institute, University of Cambridge Fotos Inhalt: Jim Rakete/Photoselection, Katja Hoffmann, PR, picture-alliance/dpa, Dorothea Schmid 7 B e r e n be r g E d i t i o n Wettlauf zum Pol Der Brite Herbert G. Ponting war ein Pionier der Polar-Fotografie, mit der Kamera dokumentierte er die Vorgeschichte der Tragödie seines Landsmannes Robert Scott und schuf dabei Ikonen der Fotogeschichte Porträt Ponting: Royal Geographical Society, London F o t o s : He r be r t G . P o n t i n g * Te x t : P e t e r S a n d me y e r Zwei wollen Erster sein. Der uralte Wettstreit, immer wieder ausgetragen, quer durch die Menschheitsgeschichte. Besonders fiebrig an der Wende zum 20. Jahrhundert, als es um die letzten noch unerreichten Flecken der Erde geht. Längst ist der Globus ausgekundschaftet, bekannt bis in die Wüsten Asiens und Herbert G. Ponting mit einer die Dschungel des AmaFilmkamera im antarktischen Eis zonas. Nur seine eisigen Kappen oben und unten sind noch weiß und unbetreten. Stumme Unendlichkeit. Letzte Terra incognita. Allerletzte Chance für eine Eintragung ins goldene Buch der geographischen Entdeckungen. In den wissenschaftlichen Gesellschaften von London, Amsterdam, Berlin, Kopenhagen und Boston debattierte man sich die Köpfe heiß. Expeditionen wurden erwogen und verworfen, beschlossen und vertagt. Es ging um nationales Prestige, wissenschaftliche Ehre, Forscherruhm und den uralten Ehrgeiz, Erster zu sein. „Der Nordpol ist unerreichbar“, hatte noch 1876 der englische Expeditionsleiter George Nares verkündet, nachdem sein Vorstoß ins ewige Eis unter unsäglichen Mühen nur bis 82° 30’ nördlicher Breite geführt hatte. Aber 33 Jahre später wurden auch die letzten noch fehlenden 7° 30’ bezwungen: Zwei Amerikaner, Robert Peary und Frederick Cook, kehrten im Abstand weniger Monate von arktischen Expeditionen zurück und beanspruchten beide, als Erster am Nordpol gewesen zu sein. Eine einzige Gelegenheit blieb jetzt auf dem ganzen Globus noch, der Erste zu sein: der Südpol! Eine furchtbare Herausforderung. Der südlichste Punkt der Erde, ihr extremster. Abgeschirmt von Eisgebirgen und ewigem Sturm, von klirrendem Frost und fürchterlicher Finsternis; Mittelpunkt der kältesten, trockensten, windigsten Region der Erde. Allen Schrecken zum Trotz brannten zwei darauf, ihn als Erster erreichen. D er eine: Roald Amundsen, norwegischer Abenteurer, getrieben von fanatischem Ehrgeiz nach Ruhm und Geld. Eigentlich wollte er zum Nordpol, aber dort wäre er nur noch der Dritte. Also sucht er sich ein anderes Ziel, das einzige, das noch Weltruhm einbringt. Mit dem angeblichen Vorhaben einer Forschungsfahrt ins arktische Eis erschleicht er sich Geld und Fridtjof Nansens legendären Schoner „Fram“. Erst bei Madeira, als man ihn nicht mehr zurückholen kann, offenbart er der Mannschaft das wahre Ziel der Fahrt und schickt Briefe nach Oslo ab, in denen er seine Absicht offenbart: den Sturm auf den Südpol. Der andere: Robert Falcon Scott, ein Kapitän der britischen Marine, „irgendeiner“, schreibt Stefan Zweig in seinen „Sternstunden der Menschheit“: „Er hat gedient zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, hat später an Shackletons Expedition teilgenommen. Keine sonderliche Konduite deutetden Helden an, den Heros. Sein Gesicht das von tausend Engländern, von zehntausend, kalt; energisch, ohne Mus * © 2009 Scott Polar Research Institute, University of Cambridge Scotts Expeditionschiff „Terra Nova“ 1910 im Packeis des McMurdo Sounds 9 B e r e n be r g E d i t i o n kelspiel, gleichsam beworben, Scott wählte hartgefroren von verHerbert Ponting. innerlichter Energie. Der schnauzbärtige Man spürt einen völlig Hüne geht mit seiner traumlosen Menschen, tonnenschweren Ausrüeinen Fanatiker der stung in Neuseeland an Sachlichkeit.“ Im SepBord der „Terra Nova“, tember 1909 hat er seier ist 40 Jahre alt und hat ne Südpol-Expedition schon einige Abenteuer angekündigt. Seitdem hinter sich. Geboren und aufgearbeitet er planvoll an wachsen ist er im südenihrer Verwirklichung. glischen Salisbury, er hat Der Träumer und im Bergbau gearbeitet, der Traumlose, der ging dann nach Amerika Ehrgeizige und der und kaufte sich in KaliSachliche, der Heißfornien eine Obstfarm, sporn und der Kühle, mit der er scheiterte. Dader 38-jährige Abennach begann er, sich mit teurer aus Norwegen der noch immer jungen und der vier Jahre älBernard G. Day, Elektriker und Mechaniker, brach mit der ersten Kunst des Fotografierens tere Kapitän der Royal Gruppe von Scotts Winterlager aus zum Pol auf. Nach dem zu beschäftigen, reiste als Navy. Beide wollen Zusammenbruch der Motorschlitten wurde er zum Basislager Pionier der Reportageihre Flagge ins Eis des zurückgeschickt Fotografie durch China Südpols rammen. Selund Japan, veröffentten war ein Duell scholichte ein Buch und belieferte mit seinen Bildern britische nungsloser. Nie endete es schrecklicher. Es beginnt ritterlich. Als sportlicher Wettstreit zwischen Magazine. Die Verbesserung der Drucktechnik ermöglichGentlemen. Aus Madeira sendet Amundsen ein Telegramm te erstmals das Abdrucken von Fotografien, und populäre an seinen Konkurrenten: „Erlaube mir, Sie zu informieren, Blätter wie die „Illustrated London News“ und das „Strand FRAM auf dem Weg zur Antarktis. Amundsen.“ Am 14. Ja- Magazine“ stürzten sich auf Pontings Bilder. Auch auf die, die er während des Russisch-Japanischen Krieges 1905 aufnuar 1911 ankerte er in der Walfischbucht. Scott bekommt das Telegramm von Amundsen bei sei- nahm. Dort war er dem irischen Abenteurer Cecil Meares ner Ankunft in Melbourne. Drei Monate später, es ist der begegnet, der jetzt, fünf Jahre später, von Scott für seine Süd4. Januar 1911, erreicht sein Expeditionsschiff, der Walfän- pol-Expedition als oberster Hundeführer angeheuert wurde. ger „Terra Nova“, Ross Island. Beide Konkurrenten errich- Meares brachte Scott und Ponting zusammen. Scott erkannte Pontings Talent und begriff, dass dessen Fotos ihm nach der ten ihre Winterlager. Reise helfen würden, das dringend benötigte Geld einzunehnders als Amundsen, der nichts weiter will, als Er- men, mit dem er die Schulden bezahlen musste, die er für sein ster am Südpol zu sein, möchte Scott auch umfang- Projekt aufgenommen hatte. Abenteuer wie das, das vor ihm reiches Material sammeln für die spätere Nachberei- lag, wurden durch Fotografien zum ersten Mal für ein großes tung seiner Expedition, für Bücher, Aufsätze und Vorträge. Publikum miterlebbar. Anders als die meist ins Heroische In seiner Gruppe sind Wissenschaftler und ein professio- oder Pathetische geschönten Illustrationen herkömmlicher neller Fotograf, der das Antarktis-Abenteuer dokumen- Expeditionsmaler zeigten Fotografien nicht mehr Interpretieren soll. Hundert Fotografen haben sich für diesen Job tationen der Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit selbst. A 10 Becker B e r e n be r g E d i t i o n Rund 50 Jahre war es jetzt her, dass bei einer der Suchexpeditionen nach dem in der Nordwest-Passage spurlos verschollenen Sir John Franklin die erste britische „Kalytypie“ im Eis entstanden war, ein mit Silbernitrat und Jodkalium behandeltes Papierblatt, das lichtempfindlich war und belichtet, entwickelt und fixiert werden konnte. Seit diesem ersten primitiven Verfahren, einen Gegenstand mit optischen und chemischen Mitteln zu reproduzieren, hatten die Erfindungen der Kollodium-Nassplatte und dann der Gelantine-Trockenplatte der Fototechnik zu gewaltigen Fortschritten verholfen und die Qualität der Bilder dramatisch verbessert. Außer den vielen Utensilien und Chemikalien, die Ponting für die Einrichtung einer Dunkelkammer benötigte, brachte er zwei Filmkameras und mehrere Fotoapparate in das Basislager am Cape Evans. Rollfilme existierten zwar schon, aber der Fotograf zog es vor, mit den bewährten Glasplatten des Formats 178 x 127 mm zu arbeiten. Auch mit ersten Farbaufnahmen auf Autochromplatten experimentierte er. Über eine Eishöhle, die er fotografierte, schrieb Ponting: „Von außen betrachtet schien sie nur weiß und farblos zu sein; aber innen war sie eine wundervolle Symphonie von Blau und Grün.“ In Farbe dokumentierte er auch seine Dunkelkammer und das Innere der Holzhütte, in der Scotts 25 Überwinterer hausten. P onting dokumentierte das Leben dieser Männer in der engen, vollgestopften Hütte, die durch ein hölzernes Schott noch einmal unterteilt war; ein Bereich war Offizieren und Wissenschaftlern vorbehalten, der andere war für die Mannschaft. Er fotografierte die Männer in ihren schmalen Kojen, begleitete sie bei ihrer Arbeit, beobachtete sie auf Ausflügen und trug während der langen Wintermonate zum allabendlichen Bildungsprogramm mit einem eigenen Lichtbildvortrag über Japan bei. Sein Handwerk musste Ponting unter den klirrenden Bedingungen der Antarktis noch einmal neu lernen. Die Kameras, so stellte er fest, mussten grundsätzlich draußen bleiben, weil sich Kondenswasser bildete, sobald er sie der Hüttenwärme aussetzte. Wenn er die Fotoplatten von außen in die Dunkelammer transportierte, dann musste das mit äußerster Vorsicht und sehr langsam geschehen, weil sie beim abrupten Wechsel der extremen Temperaturunterschiede zerbrechen konnten. Sogar seine physische Aufnahmetechnik musste 12 Ponting neu lernen. Anfangs kam er beim Fokussieren einmal mit seiner Zunge gegen ein Metallteil der Kamera, und die Zunge fror sofort fest. Sie ließ sich nicht mehr lösen, er musste sie gewaltsam losreißen und büßte dabei die Haut an der Spitze ein. Bis heute gehören die Landschaftsbilder, die Ponting unter diesen Bedingungen mit seiner schweren Plattenkamera machte, zu den Ikonen der Polarfotografie. Noch eindrucksvoller und bewegender aber sind seine Porträts der Männer, die er begleitete. Während des ersten Winters machen sich drei dieser Männer zu einem 100-Kilometer-Marsch auf, um Eier von Kaiserpinguinen zu sammeln, von denen man sich wissenschaftlichen Aufschluss über die Entwicklung der Reptilien zu Vögeln erwartete. Doch diese Erwartung erfüllte sich nicht, der Ausflug der drei wurde zum Fiasko: Fünf Wochen ziehen sie ihren Schlitten durch die Dunkelheit der Polarnacht, das Thermometer fällt auf 46 Grad unter null, der Wind weht mit Orkanstärke, die Kleidung friert steif, so dass die Männer manchmal stundenlang mit verdrehten Köpfen laufen müssen, auch ihre Schlafsäcke sind hart gefroren, sie bekommen den Einstieg nicht mehr auf, der Schnee ist so trocken, dass sich der Schlitten wie durch Sand zieht, und am Ende weht der Sturm sogar noch das Zelt weg. Einer der drei, Apsley Cherry-Garrard, ein junger britischer Intellektueller, kurzsichtig und vermögend, hat die Erlebnisse dieser Reise später unter dem Titel „Die schlimmste Reise der Welt“ („The Worst Journey in the World“) veröffentlicht. Dass er und seine beiden Gefährten überleben und lediglich leichte Erfrierungen davontragen, grenzt an ein Wunder. Herbert Pointing hat sie nach ihrer Rückkehr in das Basislager fotografiert, und man braucht keine Beschreibung ihrer Torturen mehr, Kein Platz für Heroen Unbeschönigt und detailgenau zeigt Ponting die drangvolle Enge der Hütte, in der Scotts Expeditionsmannschaft überwintert wenn man die Gesichter auf diesen Bildern betrachtet. Man blickt in Augen, die das Grauen sahen. „War es das wert?“, fragt Apsley am Ende seines Buches. Die Antwort lässt er offen. D ie qualvolle Reise der drei Männer war wie ein Vorzeichen für das, was der ganzen Scott-Expedition bevorstand. Konkurrent Amundsen bricht am 19. Oktober 1911, zu Beginn des antarktischen Sommers, mit fünf Männern und 42 Schlittenhunden auf und ist am 14. Dezember planmäßig und sogar acht Tage früher als berechnet am Südpol. Er hat gesiegt. Er ist der Erste. Er pflanzt die Fahne Norwegens auf. Er ist am Ziel, aber auch „in völligem Gegensatz zum Ziel meines Lebens“. Immer, schreibt Amundsen später, „hatte es mir der Nordpol angetan, von Kindesbeinen an, und nun befand ich mich am Südpol! Kann man sich etwas Entgegengesetzteres denken?“ Robert Falcon Scott gibt am 24. Oktober 1911 das Startsignal zum Marsch auf den Pol. Zwei Gruppen setzen sich in Bewegung, insgesamt 16 Männer mit zwei Motorschlitten, zehn Ponys und 33 Hunden. Es sieht aus wie der besser geplante und abgesicherte Angriff auf den Pol. Doch der Marsch entwickelt sich zu einer Kette von Katastrophen. Die Motorschlitten verrecken, die Pony brechen immer wieder in den Schnee ein, die Hunde sind zu wenig, die 13 B e r e n be r g E d i t i o n Schlitten zu schwer, die Proviantdepots falsch angelegt. Unter unsäglichen Strapazen erreichen Scott und vier seiner Gefährten schließlich am 16. Januar den Pol – und finden dort das Steindenkmal von Amundsen. „Ein grauenhafter Tag liegt hinter uns“, hält Scott in seinem Tagebuch fest. „An diesen entsetzlichen Ort haben wir uns mühsam hergeschleppt, und erhalten als Lohn nicht einmal das Bewusstsein, die Ersten gewesen zu sein.“ H erbert Ponting ist beim Marsch zum Pol nicht dabei. Er bleibt im Basislager zurück. So bleibt es ihm erspart, das dramatischste Foto dieser Expedition zu machen: Scott und seine vier Gefährten vor der Fahne Norwegens am Pol, erschöpft, enttäuscht, entmutigt, verzweifelt. Das Foto wird ein halbes Jahr später mit Scotts Tagebüchern und seinem Abschiedbrief von einem Suchtrupp in dem Zelt gefunden, in dem er auf dem Rückmarsch von einem brutalen Kälteeinbruch und tagelangem Schneesturm gefangen gehalten wird und erfriert. Vor dem Ende schrieb er in sein Tagebuch: „All die Mühsal, all die Entbehrung, all die Qual – wofür? Für nichts als Träume, die jetzt zu Ende sind.“ Dann korrigierte er noch penibel den Text seiner Bitte, das Tagebuch an seine Frau zu schicken. Die Worte „meine Frau“ strich er durch und schrieb darüber „meine Witwe“. Herbert Ponting kehrte 1912 nach London zurück. Auch er hatte sich vor dem Aufbruch in die Antarktis verschuldet und erwartet, sich mit den Erlösen aus der Expedition wieder zu sanieren. Seine Fotos und die Filme, die er gedreht hatte, sollten das optische Futter für Scotts Vorträge, Aufsätze und Bücher sein. Doch Scott konnte keine Vorträge mehr halten. Und mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 gab es so viele neue Tragödien, dass das Interesse des Publikums an jener der fünf Männer im ewigen Eis der Antarktis erlosch. Der Sieger des Wettlaufes zum Pol, Roald Amundsen, tingelte unterdessen durch die Vortragssäle Europas. Auch er ein tragischer Held. Der große Abenteurer, der ein Kaiser seiner Existenz sein wollte, wurde zum Sklaven des Publikums. Retardierendes Leben, Ruhm, der auf der Stelle tritt, öde Verdienst-Routine, die mit akuten Geldnöten wechselt. Die Reisen, die er noch machte, waren wissenschaftliche und wirtschaftliche Katastrophen. Es ist wie eine Gnade, als er sich im Mai 1928 mit einem Flugzeug von Tromsoe aus auf die Suche nach dem irgendwo im Norden verschollenen italienischen Luftschiffer Umberto Nobile begab und nie wieder gesehen wurde. Zwei wollten Erster sein. Beide fanden ihre letzte Heimat im Eis. Der eine in der Antarktis, der andere in der Arktis. Herbert Ponting brachte sich 1921 noch einmal mit einem fotografischen Erzählband über die Antarktis in Erinnerung, „The Great White South“. Doch der Erfolg des Buches wie auch der anderer Projekte blieb mäßig. Der Fotograf starb 1935 in London. F o t o g r a f i e zum S a mme l n B e r e n be r g E d i t i o n 9 Herbert G. Ponting († 1935) „Grotto in Berg, Terra Nova in Distance. Taylor and Wright”, January 5th, 1911 B e r e n be r g E d i t i o n 1 - 8 Unterschiedliche Formate, hochwertiger Barytabzug, Auflage: 10, signiert vom Fotografen, Bestellfax: 040-411 72 008 Modern Platinum Palladium print, printed 2010 Titled, dated and numbered by Salto Ulbeek No. 9 Herbert G. Ponting Auflage: 30, 36 x 50 Ab 2200,- € (Nummern 1-4/30) 14 Bezugsquelle: Flo Peters Gallery Chilehaus C / Pumpen 8 20095 Hamburg Telefon: 040-303 746 86 No. 4 No. 5 No. 6 F.C. Gundlach Esther Haase Herbert List 2400,- € ab 1600,- € ab 2500,- € No. 1 Jim Rakete 950,- € No. 7 René Burri ab 2500,- € No. 2 No. 3 Robert Lebeck Elliot Erwitt 1200,- € 1480,- € No. 8 Jochen Knobloch ab 2500,- € T V - L a d i es Die Macht der Frauen Deutschlands TV-Ladies beherrschen den Bildschirm Te x t : E m a n ue l E c k a r d t D ie Wende im Fernsehen verlief geräuschlos und ist doch unübersehbar: Die Machtübernahme der Frauen im politischen Journalismus. Frauen berichten von der Börse, leiten investigative Magazine und politische Gesprächssendungen. Das Fernsehen wird leichter. Im deutschen Fernsehen hatten Männer das Sagen. Fast drei Jahrzehnte las KarlHeinz Köpcke in der Tagesschau Nachrichten vom Blatt, Hanns Joachim Friedrichs reifte als „Mister Tagesthemen“ zum Leitbild journalistischer Qualität. Die Herren Wieben und Wickert, Lueg und Lojewski gaben den Ton an, Frauen blieben im Schatten dieser Lichtgestalten; das Damenprogramm beschränkte sich auf dekorative Assistenz, mit extrabreit gezogenem Lidstrich und hochgetürmten Haaren, blonde Schutzhelme auf der Baustelle Fernsehen. Als erste politische Journalistin las Wibke Bruhns 1971 in der Spätausgabe der heuteSendung die Meldungen des Tages. Nie- mand zweifelte an ihrer Seriosität; nur Werner Höfer vom Frühschoppen trug eine dickere Hornbrille. Das Erste wollte nichts übereilen, wartete ein halbes Jahrzehnt und rückte Dagmar Berghoff ins Bild, bis zur Jahrtausendwende sogar Chefsprecherin der Tagesschau, unverzichtbares Portal einer Feierabendgestaltung, die sich im Sitzenbleiben manifestiert. Der Deutsche verharrt am Schirm, drei, vier Stunden am Tag. Und die Konkurrenzprodukte aus Mainz holten auf. Das ZDF löste sich zuerst vom staatstragenden Stil abgelesener Verlautbarungen, brachte den „Redakteur im Studio“ ins heute journal, der seine Texte selbst schreibt und die Reihenfolge der Meldungen mitbestimmt. Dieser Redakteur ist immer häufiger eine Frau. Wo die Frontmänner der medialen Gesprächskultur nur zu gern von ihrer eigenen Bedeutungsschwere durchdrungen sind, setzen Frauen locker das System Wichtig außer Kraft, wie die erfrischend uneitle Bettina Schausten. Damenprogramm Frauen wie Judith Rakers, Marietta Slomka und Anne Will prägen das neue Bild des Fernsehens T V - l a d i es „Politik verla ngt Hingabe“ des ZDF, und ist angetreten, Politik zu erklären Frauenpower Maybritt Illner ist stets gut vorbereitet und diskutiert mit Spitzenpolitikern auf gleicher Augenhöhe Äußerlich ein Muster an Zurückhaltung und dezent geschminkt zeigt Bettina Schausten, Leiterin des ZDF Hauptstadtstudios in Berlin neue Wege, sachorientiert, kompetent und frei von Glamour. Die studierte Theologin predigt nie, sieht ihre Aufgabe eher darin, Politik zu erklären, und sei es als Stimmungsbild beim ZDF-politbarometer. Als Interviewerin ist sie unverkrampft, eine besonders offene Frage an die Kanzlerin verpackte sie in der Sendung Was nun? in einen Halbsatz: „… dass Ihr tief ausgeschnittenes Kleid im In- und Ausland für Furore gesorgt hat ...“ Die Spielregeln verlangten, dass die Interviewpartnerin den Satz vollendet. Das tat Angela Merkel dann auch: „... ist Ausdruck der Tatsache, dass eine Frau Bundeskanzlerin ist.“ Damit hatte sie keine erstaunliche Erkenntnis verkündet, außer der, dass es keine Fragen gibt, die dieser Kanzlerin gefährlich werden können. Im Parteienstreit um Posten und Positionen, der das ZDF gelegentlich erschüttert, (der Blogger Stefan Niggemeier nennt es das „Das Eins-links-eins-rechts-einen-fallenlassenSpiel“) läuft Schausten auf dem schwarzen Ticket. Ein hö- 18 D ie Gesprächsführung ihrer Nachfolgerin Anne Will ist souveräner. Den Unarten der Gäste, auf Fragen nicht zu antworten, sondern stattdessen einstudierte Phrasen abzuspulen und Gemeinplätze von gähnender Leere auszubreiten, begegnet sie mit Nachfragen und überlegener Autorität, ohne ihre Gesprächspartner bloßzustellen. Das machen die in der Regel selbst. „Jeder Politiker will natürlich etwas darstellen, aber gewieft wirken dabei eigentlich die wenigsten“, hat ihre Kollegin Maybritt Illner beobachtet. „Ein Politiker ist extrem unter Druck. Und das ist die Regel. Politiker wollen jederzeit eine möglichst erhellende und geniale Antwort geben. Meistens können sie es nicht, antworten aber trotzdem wie aus der Pistole geschossen. In dieser Situation leuchten in ihren Hirnen Textbausteine auf wie „Exit“-Zeichen in einem notlandenden Flugzeug.“ Dann kommen Phrasen wie „Wir müssen die Sozialsysteme zukunftsfest machen“, oder „der Aufschwung muss verstetigt werden.“ Fotos: picture-alliance/dpa (5), Dirk Schmidt/Agentur Focus, André Rival/Agentur Focus Damenwahl Bettina Schausten leitet das Hauptstadtstudio heres Sendungsbewusstsein schadet nicht, auch ZDF-Kollege Peter Hahne ist diplomierter Theologe. Befragt, wie sie zu viel Nähe zur Politik vermeiden wolle, antwortet sie dem Satiriker Erwin Pelzig: „Indem ich alles immer wieder reflektiere, nicht auf jeder Katzenkirmes auftauche und um so mehr aufs Handwerk, auf Fairness, journalistische Sorgfalt und Unabhängigkeit achte. Davon abgesehen glaube ich jedoch, das ist weniger eine Frage der Methodik als eine Frage der inneren Haltung.“ Den bisher größten Erfolg aller Frauen am Schirm verbuchte Sabine Christiansen. Die Tagesthemen-Moderatorin wurde zur Quotenkönigin im Sonntagsstaat, und wurde in den 428 Folgen ihrer Talkshow Sabine Christiansen im Schnitt von mehr als vier Millionen Menschen gesehen, zusammengenommen ergibt das 1,804 Milliarden Zuschauer, so viele Menschen leben nicht mal in China. Zweimal moderierte sie gemeinsam mit Maybritt Illner vom ZDF ein Kanzlerduell: 2002 zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem Herausforderer Edmund Stoiber, 2005 zwischen Schröder und der späteren Kanzlerin Angela Merkel. Ihr gelang es auch, das erste Interview mit einem amerikanischen Präsidenten im deutschen Fernsehen an Land zu ziehen. Es wurde das längste Interview, das George W. Bush je einem ausländischen Sender gewährte, die Fragen waren allerdings auch absolut schmerzfrei. Bohren war ihre Sache nicht. „Politik verlangt Hingabe“, sagt sie. „Du musst dich mit den Themen wirklich befassen, und ich bin offensichtlich Politik-Junkie genug, um mich dazu nicht erst überreden zu müssen.“ Sie liest von FAZ bis taz täglich sieben, acht Tageszeitungen, dazu die Wochenmagazine. Die Berlinerin Illner, geborene Klose, bis zur Wende Mitglied der SED, begann ihre Karriere als Sportreporterin im DDR-Fernsehen. Auch Anne Will kam über die Sportschau ins Revier der Quotenbringer. Der Weg dorthin ist mühsam, vor allem wenn männliche Dominanz die Regeln vorgibt. Sandra Maischberger hatte als Co-Moderatorin der politischen Talkshow Talk im Turm neben dem Vollblutjornalisten und ehemaligem Spiegel-Chef Erich Böhme keine Chance. „Ich hab sie rausgeekelt“, offenbarte der im stern. „Dazu stehe ich. Ein alter Esel und eine junge Gans passen nicht zusammen.“ 2003 hat sie dann den Talk-Sendeplatz der ARD am späten Dienstagabend von Alfred Biolek übernommen, ihre Talkshow Menschen bei Maischberger läuft nun im achten Jahr. Sie sammelte rund ein Dutzend Auszeichnungen vom Goldenen Schlitzohr bis zur Goldenen Kamera, wurde vom knurrigen Altmeister Wolfgang Menge für ihr teilnehmendes Zuhören und große Einfühlsamkeit gelobt und kann recht hartnäckig sein. Fast zwanzig Jahre lang bemühte sie sich um ein Gespräch mit Helmut Schmidt. Inzwischen war er schon mehrere Male bei ihr zu Gast. Doch es gibt auch Karriere-Knicks, die Männern naturgemäß nicht zustoßen können. Gabi Bauer, hoch gelobte vielfach ausgezeichnete Fernseh-Journalistin, galt als „Mrs. Tagesthemen“, gab aber die Moderation ab, als sie mit Zwillingen schwanger war. Seit 2006 moderiert sie das ARDNachtmagazin. Nun ist sie die „Königin der Nacht“. Die Ausstattung der Nachrichtensendungen wird opulenter. Wenn Marietta Slomka, Moderatorin des heute journals, im Bild erscheint, wirkt sie fast verloren in den Weiten des 700 Quadratmeter großen Studios, in dem auch Wagners „Götterdämmerung“ Platz hätte. Doch die Kamera fährt schnell heran, zeigt den eisblauen Blick, der cool die Nachrichtenwelt durchdringt. Der stets spöttisch-ironische Vortrag hat seinen Charme. Außerdem hat Frau Slomka Biss. Das musste der wahlkämpfende FDP-Politiker Andreas Pinkwart erfahren, als er versuchte, die studierte Volkswirtin mit sinnfreiem Politsprech abzufertigen. Sie wollte wissen, woher das Geld für Steuererleichterungen kommen solle, wenn die Neuverschuldung Rekordhöhen erreiche, und fuhr Quotenkönigin Sabine Christiansen lud 428-mal zum Talk am Sonntag, und erreichte in achteinhalb Jahren mehr als 1,8 Milliarden Zuschauer unsanft dazwischen, als er davon sprach, dass man die Krise gestalten müsse. „Das ist all das, was Sie im Wahlkampf auch schon erzählt haben, aber wir sind ja ganz gespannt, wie Sie das jetzt finanzieren wollen“, lächelte sie maliziös. Der Politiker wand sich, sprach vom nachhaltigem, vernunftgeleiteten Sparen. Die Journalistin ließ ihn nicht entkommen. Es war wie das Zureiten eines Bullen beim Rodeo. Die Phrasen staubten nur so. Sie blieb im Sattel. Alte Gesichter, neue Gesichter. Steffen Seibert ging, Maybritt Illner macht beim heute journal seinen Job. Inzwischen fand auch Judith Rakers, 34, ein neues Aufgabenfeld. Die blonde Tagesschausprecherin moderiert neben Giovanni di Lorenzo die Radio-Bremen-Talkshow 3 nach 9. Ab Herbst 2011 wird Günther Jauch, neben Frank Plasberg einer der wenigen Männer, die im Run auf die attraktivsten Sendeplätze noch mithalten können, den Sonntags-Talk von Anne Will übernehmen. Sein mutmaßlicher Minutenpreis liegt mit 4487 Euro wesentlich höher als bei Anne Will, die sich mit 3164 Euro zufrieden gibt. Es gibt eben noch Unterschiede. 19 Politik „Wir sind im Aufwind“ W ir haben es uns nicht leicht gemacht mit unserer Freundschaft“, sagt Volker Kauder zuweilen, wenn er über seine Beziehung zu Angela Merkel spricht. Sie passen eben mit ihren programmatischen Profilen an einigen Stellen nicht zusammen. Er ein überzeugter Konservativer, sie eine CDU-Politikerin ohne vergleichbar feste weltanschauliche Standpunkte. Harmonisch aufeinander zugelaufen sind ihre politischen Lebensläufe nicht. Kauder war es, der 2002 Angela Merkel klipp und klar mitgeteilt hat, der Kanzlerkandidat der Union müsse jetzt Stoiber heißen und nicht Merkel. Heute ist er als Fraktionsvorsitzender die verlässlichste Stütze der Kanzlerin. Zwar hat er zuweilen mit der Übernahme eines Ministeramtes geliebäugelt. Aber dann blieb er seinem Posten treu. Aus Merkels Sicht ist der Fraktionsvorsitz für ihn maßgeschneidert: Als Junge habe er davon geträumt, Zirkusdirektor zu werden. Jetzt sitze er auf einem Platz, der ähnliche Erscheinungsformen aufweise. Herr Kauder, kennen Sie eigentlich den Mann, den der CSU-Vorsitzende Seehofer unlängst mit den Worten begrüßte: „Beliebtester Politiker, Hoffnungsträger, Mann mit beispielloser Karriere ...“ Politik „Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand so schnell Der kann Wahlen gewinnen und er kann uns helfen, Er hat am Schluss meinen Namen genannt, aber jeder der Zuhörer wusste, dass er den CSU-Senkrechtstarter Karl-Theodor zu Guttenberg meinte. Und Sie fühlen sich dennoch heimisch in Ihrer Union, in der sich die CSU solche Scherze auf Ihre Kosten macht? Die Union ist meine politische Familie, in der ich groß geworden bin, an der ich mich freue und zuweilen leide. Eher leiden oder eher freuen? Derzeit freue ich mich. Wir sind im Aufwind. Nach der Sommerpause haben wir schon viele wichtige Entscheidungen gefällt. Das Energiekonzept steht. Der Haushalt 2011 wird die notwendige Konsolidierung der Staatsfinanzen einleiten. Bei der Bundeswehrreform sind wir auf einem guten Weg. Wichtige Eckpfeiler der Hartz-IV-Reform stehen. Wir sind in einer Phase, in der es nach vorne geht. gen sich viele, sie fühlten sich in der CDU sehr vernachlässigt. Bitte definieren Sie sich einmal als konservativen Politiker. einen so breiten und positiven Zuspruch erhalten hat. dass wir auch miteinander Wahlen gewinnen.“ Dazu möchte ich von ihm gerne wissen, ob er als CDU-Mitglied gesprochen hat oder als Mitglied der globalisierungskritischen Organisation Attac, wo er auch Mitglied ist. Ungeachtet dessen: Ich schätze Heiner Geißler sehr. Richtig ist an seiner Kritik, dass die Menschen tief verunsichert sind in der globalisierten Welt. Dennoch müssen wir den Wettbewerb auch in einer globalisierten Welt annehmen. Wir Politiker sind gefordert, die Globalisierung zu gestalten. Dazu haben wir immer noch genügend Spielraum. Auch die Unternehmen sollten sich dessen bewusst sein. Wir müssen den Menschen Sicherheit geben. Dazu gehört zum Beispiel, dass junge Menschen auch am Anfang in feste Arbeitsverhältnisse einsteigen können und sich nicht nur von Zeitarbeitsvertrag zu Zeitarbeitsvertrag hangeln müssen. Die CDU ist keine konservative Partei. Wir sind die christlichen Demokraten. Wir machen Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes. Wir haben eine konservative, eine christlich-soziale, eine liberale Wurzel. Alle drei machen die Volkspartei CDU/CSU aus. Ist denn die CDU in Ihren Augen nicht zu neoliberal? Viele in der Partei beklagen es. Wir stehen in einem harten globalen Wettbewerb mit anderen Volkswirtschaften. Wirtschaftliche Reformen waren in der Vergangenheit notwendig. Auch die CDU hat sich dazu bekannt. Da kam der Eindruck auf, dass wir Neoliberale sind. Dies war immer eine Verkürzung. Unser Ansatz auch in der heutigen Regierung ist breiter. Wir wollen Deutschland fit für die Zukunft machen. Die Menschen sollen bessere Chancen Wenn die Union wieder bundesweit über 40 Prozent kommen will, muss die CSU wie in der Vergangenheit wieder auf 60 Prozent kommen. Doch davon kann sie doch nur träumen bei derzeit weniger als 40 Prozent. Ich bin fest davon überzeugt, dass die CSU in Bayern wieder zu einer absoluten Mehrheit kommen kann. Bayern und Baden-Württemberg waren immer die Spitzenländer der Union. Und das werden sie auch bleiben. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im nächsten März wird das auch deutlich gemacht werden. haben. Dazu gehört auch, dass die Arbeitnehmer wieder einen fairen Anteil am Wirtschaftswachstum haben. Man kann sich in der Politik nicht von demoskopischen Momentaufnahmen leiten lassen. Das wäre kein guter Ratgeber. Einer Ihrer prominenten Parteifreunde, der frühere CDUGeneralsekretär Heiner Geißler, sieht das ganz anders: Die CDU-Verluste, sagt er, seien nicht durch Vernachlässigung konservativer Wähler bedingt, sondern dadurch, wir zitieren, dass die CDU „mit einer beachtlichen sozialpolitischen Schieflage und ohne zukunftweisendes Konzept für eine humane Gestaltung des Globalisierungsprozesses die Interessen einer zutiefst verunsicherten Bürgerschaft zugunsten einer klientelorientierten Wirtschaftsideologie beiseite geschoben hat.“ Kurz gesagt: die CDU sei nicht mehr die Mutter der sozialen Marktwirtschaft. Forsa sieht die CDU sogar unter 30 Prozent. Umfragen sind Momentaufnahmen. In Umfragen sehe ich allenfalls eine Herausforderung. Sie werden bald bessere Ergebnisse sehen. Die Bürger werden unsere Entscheidungskraft honorieren. Fühlen Sie sich denn noch heimisch in Ihrer CDU? Sie nennen sich einen konservativen Politiker, und von denen bekla- 22 Foto: Getty Images Wie bitte? Die Union liegt in Umfragen knapp über 30 Prozent, noch schlechter als schon beim schlechten Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2009. Sie gelten ja weithin als Realist. Jetzt müssen wir Sie doch fragen: Sind Sie ein Traumtänzer? Sie sacken in Umfragen ab, die Jugend läuft der Union weg, CDU und CSU verlieren Mitglieder zuhauf. Seit einem Jahr büßt die schwarzgelbe Koalition Zustimmung ein. Wo ist da die Wende? Ich bin kein guter Tänzer, schon gar kein Traumtänzer. In der Beschreibung der konkreten Situation, in der wir uns politisch befinden, sind wir uns sehr schnell einig. Ich bin aber überzeugt, dass wir die Situation auch wieder ändern können. Wir müssen jeden Tag bereit sein, das Land ein Stück voranzubringen. Wir müssen in unsere alternde Gesellschaft wieder mehr junge Dynamik hineinbringen. Das ist eine riesengroße Herausforderung. Sonst hat dieses Land keine Perspektive. Das Glaubwürdigkeitsdefizit des politischen Systems und der derzeit auftretenden Akteure ist aber vor allem bei der Jugend erheblich. Es gibt in allen gesellschaftlichen Bereichen Irritationen. Ob bei den Kirchen, den Gewerkschaften, den Verbänden und auch in der Politik. Die Menschen bezweifeln, ob diese Organisationen ihre Anliegen noch vertreten. Sie beschreiben eine dramatische Entwicklung sehr verharmlosend. Manches spricht dafür, dass bei der nächsten 23 Politik „Umfragen sind Momentaufnahmen. Ich sehe darin allenfalls eine Herausforderung. Sie werden bald bessere Ergebnisse sehen. Die Bürger werden unsere Entscheidungskraft honorieren.“ Bundestagswahl die Partei der Nichtwähler auf jeden Fall größer ist als Union oder SPD. ich mache die kniefälle vor der Partei der nichtwähler nicht mit. Ein Staatsbürger sollte in einer demokratie, für die Menschen oft Jahrhunderte gekämpft haben, zur Wahl gehen. auswahl unter den Parteien ist doch genug da. Laufen wir Gefahr, in eine plebiszitäre Demokratie abzudriften, in der das parlamentarische System durch die Glaubwürdigkeitskrise der Parteien unter die Räder kommt. Nehmen Sie doch nur die Bewegung in Stuttgart, die sich dort gegen das Projekt der Bahn stemmt. Sie gewinnt an Kraft, tagtäglich. Wie klug war es von Kanzlerin Merkel, sich so massiv hinter ein Bahnprojekt zu stellen? Letztlich verknüpft sie ihre politische Zukunft in Berlin mit einem überaus offenen Projekt. ich sehe das nicht so. die landesregierung dringt mehr und mehr mit ihren argumenten durch. die Bahnlinie ist auch eine nationale aufgabe – die linie von Bratislava nach Paris über Stuttgart sogar eine europäische. die kanzlerin hat damit deutlich gemacht, dass es sich nicht nur um ein regionales Projekt handelt, sondern dass es für die Bundesrepublik von großer Bedeutung ist. Eines ist doch auch sicher: Wir haben über das Projekt 15 Jahre beraten. die Öffentlichkeit war immer beteiligt. nun müssen wir konsequent bleiben und das Projekt auch verwirklichen. Und weshalb sehen das denn die Bürger nicht? Bei Stuttgart 21, das räume ich ein, müssen wir unsere argumente noch besser vermitteln. CDU und SPD treiben dort vor allem den Grünen Wähler zu. Vielleicht hat sie es nur getan, weil bei einer Niederlage der Vorwurf käme, sie habe den baden-württembergischen nun mal langsam. Es wird erst am 27. März 2011 gewählt. Die Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wahlbeteiligung und Stimmenanteile bei Wahlbeteiligung in % 100% 91,1 86,0 75% 87,8 87,7 86,8 90,7 86,7 88,6 89,1 84,3 78,5 82,2 77,8 79,1 79,0 Zurück aus Stuttgart nach Berlin. Sie haben mit der FDP Ihre Traumkoalition bilden können ... 75% 77,7 Unsere Wunschkoalition! 70,8 40% se nis 35% 30% 25% 45,3% 45,2% 45% 31,0% b ge ler h Wa 29,2% 47,6% 48,6% 46,1% 45,8% 50% 48,8% 44,5% 44,3% 44,9% U CS U/ CD 39,3% se SPD Wahlergebnis 31,8% 28,8% 42,6% 42,7% 43,8% 42,9% 38,2% 36,2% 37,0% 41,4% 40,9% 36,4% 35,1% 33,5% 38,5% 38,5% 35,2% 34,2% 33,8% 25% 23,0% 0% Konrad Adenauer 1949 1949 Heinrich von Brentano Heinrich Krone 1949-1955 1955-1961 1953 1957 Heinrich von Brentano 1961-1964 1961 Rainer Barzel 1964-1973 1965 1969 Karl Carstens 1973-1976 1972 Helmut Kohl 1976-1982 1976 Alfred Dregger 1982-1991 1980 1983 Na schön, wie kann denn diese Wunschkoalition ihr Erscheinungsbild verbessern? Nehmen wir mal Umweltminister Norbert Röttgen. Der will sich offenbar auf Teufel komm raus auf Kosten der Koalition nur profilieren. Wolfgang Schäuble 1991-2000 1987 1990 1994 Friedrich Merz 2000-2002 1998 Angela Merkel 2002-2005 2002 2005 Volker Kauder seit 2005 0% Fotos: pictures-alliance/dpa (10), laurence Chaperon, Pr 50,2% 50% Angenommen – wir wissen, dass Sie da jetzt widersprechen, aber einmal angenommen –, Ihr Baden-Württemberg geht Ihnen nach mehr als einem halben Jahrhundert CDURegierung verloren, droht dann nicht auch im Kanzleramt ein politisches Erdbeben? Vor allem dann, wenn es in Stuttgart zu einer grün-roten Regierung käme. ich bin kein Politikwissenschaftler, sondern handelnder Politiker. deshalb befasse ich mich nicht mit Fragen, was würde passieren, wenn. Wir haben noch sechs Monate Zeit, unser Ziel zu erreichen. ich werde den Baden-Württembergern sagen: Es geht um die gute Zukunft unseres landes und damit auch um eure. Stuttgart 21 ist nur ein teil unserer Pläne, wie wir das land voranbringen wollen. Bundestagswahlen: Der lange Abstieg 100% Ministerpräsidenten Stefan Mappus nicht unterstützt? angela Merkel ist von dem Projekt überzeugt. deshalb hat sie sich dahinter gestellt. an eines möchte ich in diesem Zusammenhang auch erinnern: der endgültige Beschluss fiel in der Zeit der großen koalition. SPd-Verkehrsminister tiefensee hat das Projekt am Ende unterschrieben. Wie die SPd sich jetzt verhält, ist für mich ein akt politischer Schizophrenie. ich will nicht auf einzelne Personen eingehen. richtig ist, dass wir das Bild unserer koalition verbessern können, indem wir unsere Politik geschlossen vertreten. Wann ist denn die Union nahe an die 40 Prozent gekommen? immer dann, wenn sie geschlossen aufgetreten ist. Beim Energiekonzept ist etwas beschlossen worden, was mit dem nicht übereinstimmt, was Röttgen zuvor verkündet hatte. Höchstens acht Jahre längere Laufzeit für die Atommeiler, hatte er gesagt. Kaum waren zwölf Jahre beschlossen, hat dieser Minister daran herumgemäkelt. norbert röttgen hat das Energiekonzept zuletzt mehrfach verteidigt. 2009 Bundestagswahlen 1949 bis 2009 24 25 Politik „Ich begleite Angela Merkel seit Jahren. Wir telefonieren jeden Tag miteinander. Ich kann ihr jeden Tag die Dinge sagen, die nicht in Ordnung sind.“ Haben Sie Röttgen eigentlich verziehen, dass der einmal nach Ihrem Fraktionsvorsitz geschielt hat? Das ist für mich überhaupt kein Thema. Ich wurde gerade als Fraktionsvorsitzender wiedergewählt. Mit großer Mehrheit. Wie berechtigt ist die Hoffnung, dass die schwarz-gelbe Regierung in Zukunft geschlossener auftreten kann als bisher? Die letzten zwölf Monate waren ein eher deprimierendes Schauspiel. Der Zusammenhalt hat sich in den letzten Wochen stark verbessert. Sehen Sie eine ernst zu nehmende Gefahr, dass es rechts der Union zu einer erfolgreichen Parteigründung kommt? Eine neue Partei auf Bundesebene zu gründen ist ein außerordentlich schwieriges Unterfangen. Wir werden auch unsere Stammwähler wieder mehr von unseren Zielen überzeugen können. Vielleicht hat der Politikprofessor Gerd Langguth recht, der sagt, es gebe keine neue rechte Partei, weil die derzeitige Konservatismus-Debatte in der Union eine versteckte innerparteiliche Merkel-Schelte ist? Nein. Nein. Es findet überhaupt keine Diskussion in dieser Richtung statt. Verzeihung, man kann die CDU-Politiker doch kaum noch zählen, die sich immer mal wieder über die führungsschwache Moderatorin Merkel beklagten, mal über die Sozialdemokratisierung der CDU durch sie jammern. Sie scheinen ein bedingungslos treuer Soldat der Kanzlerin zu sein. Ich begleite Angela Merkel seit Jahren, und ich spreche ihr gegenüber alle Probleme an. Aber ich glaube nicht, dass es erfolgreiche Politik ist, wenn man Krawall nach außen für die Hauptsache hält und dann glaubt, dadurch komme man in der Öffentlichkeit gut weg. Die Zusammenarbeit zwischen Angela Merkel und mir ist gemessen daran, was andere Fraktionsvorsitzende für ein Verhältnis zu früheren Kanzlern hatten, ganz anderer Natur. Wir telefonieren jeden Tag miteinander. Ich kann ihr jeden Tag die Dinge sagen, die nicht in Ordnung sind. Welche Rolle kommt einem Stefan Mappus in der CDU künftig zu? Ein neuer Konservativer in Ihrem Sinn? Und welche Rolle sehen Sie für ihn in der Zukunft? Zunächst schätze ich an ihm, dass er ein dynamisch zupackender Mensch ist. Er will etwas bewegen. Der sagt immer wieder, dass er vor allem für seine Kinder eine gute Zukunft schaffen will. Das ist überzeugend. Im Bereich der Wirtschaftspolitik wird er eine wichtige, zentrale Rolle in der Union übernehmen. Er weiß, wie wir unser Land modernisieren müssen, um nicht rückständig zu werden. Im Übrigen bin ich der Pate seines ältesten Sohnes und dadurch ihm und seiner Familie besonders verbunden. Baden-Württemberg verhalten, wird es mit Schwarz-Grün hundertprozentig nichts. Sie werden mit ihrer weitgehend perspektivlosen Politik die Menschen auf Dauer nicht überzeugen. Sehen Sie auch für Karl-Theodor zu Guttenberg eine so gute Zukunftsperspektive? Könnte er tatsächlich einmal Kanzlerkandidat der Unionsparteien werden, worüber heute schon viele Ihrer Parteifreunde geradezu schwärmerisch reden? Die Frage stellt sich mir nicht, denn er ist nicht bei uns. Einige seiner Befunde sind ja richtig. Aber ich muss auch sagen, dass er ebenso zu völlig absurden Konsequenzen rät. Wer vorschlägt, an Akademikerinnen 50 000 Euro Prämie zu bezahlen, wenn sie unter 30 Jahren ein Kind bekommen, der sollte vor allem als Sozialdemokrat mal darüber nachdenken, ob er hier nicht einen Klassenkampf von oben empfiehlt, der menschenverachtend ist. Wir haben eine glänzende Bundeskanzlerin, und das wird sie noch eine lange Zeit bleiben. Deshalb ist es überflüssig, über weitere Kanzlerkandidaten zu spekulieren. Zu Guttenberg ist eine Bereicherung unserer Unionsfamilie und ein sehr talentierter Politiker. Ich freue mich über jeden in meiner Fraktion, der bei den Menschen ankommt und erfolgreich ist. Weshalb reden Sie so zurückgenommen über einen Hoffnungsträger, der geradezu umschwärmt wird von Medien und Wählern? Einen vergleichbaren Senkrechtstart hat in der Union seit Jahrzehnten keiner mehr hingelegt. Ich kann mich in der Tat nicht erinnern, dass jemand in meiner oder auch einer anderen Partei so schnell einen so breiten und positiven Zuspruch erhalten hat. Ich wünsche mir wirklich, dass dies auch so bleibt. Karl-Theodor zu Guttenberg kann uns helfen, dass wir miteinander Wahlen gewinnen. Wir brauchen solche Talente wie ihn in Berlin. Um damit die Grünen wieder etwas zu entzaubern? Alle kuscheln mit ihnen rum, die CDU ebenso wie die SPD. Wenn die Grünen in Zukunft irgendwann mal wieder in eine Regierungsverantwortung kommen, werden die alten Konflikte in der Partei wieder aufleben. Die Grünen sind zurzeit ein Sammelbecken für jede Form von Protest. Aber ich kann nicht erkennen, wo eine Zukunftsperspektive formuliert wird. Auch der Union wird seit Jahren perspektivlose Politik vorgeworfen, vor allem in der Integrationspolitik. Angenommen, Herr Sarrazin wäre CDU-Mitglied und nicht in der SPD, würden Sie dann auch seinen Rausschmiss aus der Partei betreiben? Glauben Sie eigentlich, dass die deutsche Wirtschaft bei der derzeitigen Geburtenrate ohne Zuwanderung aus dem Ausland auskommt, um den Bedarf an Facharbeitern zu decken? Wenn es uns gelingt, die Integration zu verbessern, benötigt unser Land keine Zuwanderung. Dass der eine oder andere Spezialist dazukommen muss, ist keine Frage. Aber ich möchte nicht gerne haben, dass das überholte Modell einiger deutscher Fußballclubs auch von der Wirtschaft übernommen wird, das unter dem Motto steht: „Wir kaufen die Fertigen ein“. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist heute nur deshalb so erfolgreich, weil sie den eigenen Nachwuchs mittlerweile exzellent ausbildet. Sie empfehlen der deutschen Politik und Wirtschaft also Integrationspolitik nach dem Rezept des Deutschen Fußballbundes? Aber natürlich. Damit werden wir Weltklasse bleiben. Also bitte, eine schwarz-grüne Koalition könnte es doch allenthalben sein. Etwa in Baden-Württemberg. Wenn etwas glasklar ist: So wie die Grünen sich derzeit in D a s G esp r ä c h f ü h r t e n W e r n e r F u n k u n d H a n s P e t e r Sc h ü t z | Fotos : J i m Ra k e t e 26 Rub B ig r G iakme F i s h i n g Vom Glück geküsst Oliver Schwenke (links) und Uwe Kauntz präsentieren stolz ihre Beute: zwei kapitale Hundezahn-Thunfische Strike! Strike! Strike! Ein Schlag auf den Köder, das Wasser kocht, es beginnt ein zäher Kampf aber wer sich auf die Suche nach dem Fisch des Lebens macht, der braucht mit der Kreatur. Sportliches Hochseeangeln ist Abenteuerlust pur, ebenso Respekt und Demut vor der Natur. B i g G a me F i s h i n g „Das Kreischen der Rollenbremse lässt dein Herz hämmern. Jetzt sind alle Sinne geschärft“ F o t o s : K a tj a H o ffm a n n Te x t : H a n s B o r c h e r t Hochseeangeln ist Teamsport Egal ob beim Poppern mit Casting -Wurfruten (Bild oben) oder nach einem Biss beim Trolling: Jeder hilft jedem. Manchmal muss man den Kameraden beim Stand-up-Drillen am „fighting belt“ festhalten, sonst ginge er während des Kampfes über Bord 30 Z ugegeben: Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung. Nicht vom Fischen, nicht von diesem Sport. Ich hatte nur einen ganzen Giftschrank voller Vorurteile. Dazu ein paar neue Segelschuhe, meine zerfledderte Hemingway-Ausgabe von „Der alte Mann und das Meer“ und die Weisheit eines Onkels, der sagte: „Wer auf ein Schiff steigt, der glaubt an sein Glück.“ So kletterte ich an Bord – mit Gottvertrauen. Natürlich machten sie mich sofort zu ihrem Logbuchführer. „Man kann auch nach Worten fischen“, beschloss Oliver Schwenke, 43, und drückte mir Kladde samt Stift in die Hand. Ich schrieb: „Auf Großwildjagd im Jurassic Park.“ Das war ihr Motto, und dahinter verbarg sich der Traum vom großen Fischzug im Roten Meer. Wonach wir suchten und was wir fangen wollten, das waren ausnahmslos die großen Killer und Kämpfer des Meeres. Schwerttragende Raubtiere wie Marlin oder Segelfisch. Ausdauernd, zäh und gefährlich. Zahnbewehrte Fressmonster wie Gelbflossen- und Hundezahn-Thunfische. Barrakudas. Pfeilschnelle Wahoos. Und dazu muskulöse Riffgangster vom Stamm der Giant Trevally. Ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, denn so viel verriet Oliver noch, bevor unser Schiff von Marsa Alam aus in die tiefschwarze Mitternachtsweite gen Zielgebiet St. John’s Reef ablegte: „Wohin wir unterwegs sind, das ist Terra Incognita.“ Oli war neben Bau-Ingenieur Carsten Niederlag, 42, und IT-Service-Manager Uwe Kauntz, 33, unser Mann mit der größten Big-Game-Erfahrung an Bord. Ob Florida oder Malediven, Mauritius oder Karibik – er war schon überall. Ein Kerl wie der wiedergeborene Seewolf. Muskelbepackt und braungebrannt. Das lange Haar zum Zopf gebunden, viele kleine Ringe im Ohr, nie um einen Spruch verlegen. Ein Lebenskünstler, angetrieben von vielerlei Talenten in immer neuen Existenzen. Mal Tischler, dann Schauspieler, Rocksänger, Musikproduzent. Aber zuletzt: „Tackle Dealer“. In dieser Funktion Betreiber des szenebekannten Big Game Online Shops in Berlin. Seine Ausrüstung war danach. Alles Rolls Royce. Ruten, Rollen, Schnüre, Köder – jedes einzelne Stück vom Feinsten. Gesamtwert annährend 30.000 Euro. Knappe Ansage dazu: „Du kannst Trabbi fahren oder Porsche. Die werden dich beide von A nach B bringen, die Frage ist nur: wie schnell, wie komfortabel? Und genauso ist es beim Angeln.“ Auszugsweise notierte ich, was er mit fiebrigen Händen aus Koffern, Köchern und Kistchen hervorkramte und was zuvor auf dem Flughafen ganze 45 Kilo an Übergepäck auf die Waage gebracht hatte. Zum Vorschein kamen Accurate ATD Platinum TwinDrag-Rollen mit Reibungsdämpfer aus Titanium, Stückpreis 1799 Euro. Kamen Alutechnos Trolling-, Ocean Xtreme Popper- und Alutechnos Standup-Ruten zu Preisen von 250 bis 400 Euro. Kamen Seaguar Fluoro Carbon-Schnurspulen, je dreißig Meter zu 99,99 Euro. Kamen jede Menge „Lures“ genannte und säuberlich in Sichttaschen verpackte kunterbunte Köder. Zu 9 Euro, zu 24 Euro, zu 49,99 Euro. Und noch jede Menge Nebengeräusche – vom vollgepackten Werkzeugkasten über Messer und Flachzange mit Seitenschneider bis hin zu „Harness“ und „Gimbal“ genannten Fighting Belts. Aber lassen wir das und springen in die Gegenwart des ersten Morgens. Der sieht unser Schiff einem galaktischen Schlachtkreuzer gleich über die Wellen tanzen. Im Heck stecken steil und schlank neun Ruten. Es ist Herrgottsfrüh, 6.30 Uhr. Wir machen sieben Knoten. Schleppfahrt, genannt Trolling. Der Kampf mag beginnen. Die Weichen sind gestellt. Wisst ihr, wie das ist, wenn die Sonne im roten Streitwagen aus dem Meer emporfährt und sich die Nervosität an Deck hinter gedämpften Stimmen versteckt? Die Welt hält den Atem an und alles ist ein einziger, lauernder Gedanke. Wir blinzeln durch schmale Augenschlitze ins goldene Licht. Reglos, zugleich gespannt. Dennoch trifft uns der Schlag auf einen der ausgelegten Köder unvermittelter noch als ein ansatzlos abgefeuerter Magenhaken. Es ist, als explodiere im wirbelnden Heckstrudel eine Granate, und urplötzlich ist die Hölle los. „STRIKE“, brüllt Oli. „STRIKESTRIKESTRIKE“, brüllen Carsten und Uwe. Maschine auf Stopp, sie rennen los. Stürzen zu ihren Ruten, von denen eine nach vorne peitscht. Schnur rast, rast immer schneller, jagt gegen den Widerstand der Rollenbremse, die gequält ihr Lied singt. Sirenenhaft, in wilden Terzsprüngen ansteigend. Schrill, scharf, durchdringend. „Burning reels“, nennen sie das, und Carsten diktiert ins Logbuch: „Es gibt kein schöneres Geräusch als diesen nahezu ans Schmerzzentrum reichenden Sound. Er weckt deinen Fluchtinstinkt. Alle Sinne sind geschärft, dein Herz hämmert, die Adrenalinausschüttung ist enorm, aber zugleich sind deine Gedanken sehr, sehr klar.“ Verflixt fingerfertig Das Binden von Knoten- und Spieß verbindungen auf schwankenden Schiffsplanken will geübt sein. Es gibt weit über hundert unterschiedliche Varianten, und ihre Herstellung trainieren Hochseeangler oft fern des Meeres daheim am Wohnzimmertisch 31 B i g G a me F i s h i n g „Angeltag ist immer, aber nicht immer ist Fangtag. Manchmal beißt einfach kein Fisch“ Uwe hat den Biss. Er ringt schon mit der Beute. Was am Haken hängt, verbirgt sich in der Tiefe und hat noch keinen Namen. „Jetzt bloß keinen Schnursalat“, ruft Oli. Er und Carsten holen ihre Leinen ein, helfen, so gut sie können. Legen Uwe den Kampfgurt um, schaffen herumliegendes Material aus dem Weg. Feuern ihn an, flehen: „Lass den bloß nicht nach Panama.“ Später sagt Oli: „Big Game ist Teamsport. Du wirst nie alleine einen Rekordfisch fangen. Dazu gehören der Bootskapitän, die Besatzung, deine Kollegen. Einer bekommt den Biss, dem muss geholfen werde, selbst wenn er vier Stunden braucht, um seinen Fisch zu landen. Und da ist keiner, der sagt: Mach voran, wir wollen auch noch angeln. Das ist Gesetz: Du darfst deinen Fisch fangen.“ Uwe drillt. Drillen ist Pumpen. Rute ins Kreuz ziehen, nach vorne beugen und dabei kurbeln, was das Zeug hält. Immer auf und nieder. So gewinnt man Schnur. Zentimeter um Zentimeter. Bis die tobende Kreatur an der Wasseroberfläche auftaucht. Ein wenig löst sich die Spannung. „Barrakuda“, brüllt Carsten. „Barrakuda.“ In diesem Pfeilhecht steckt unbändige Kraft. Es windet sich, peitscht mit der Schwanzspitze das Wasser, ist ein einziger zuckender Muskel und hängt doch fest am Haken. Verloren ist der Kampf, auch das Leben. Unsere ägyptischen Bootsleute halten nichts von fangen und freilassen. „Catch and kill“ ist ihre Devise. Nur ein toter ist ein guter Fisch, und was angelandet wird, das gehört der Crew. Ein Gaff genannter Enterhaken ist ihre tödliche Waffe. Dessen gekrümmte Spitze gräbt sich in die bebende Flanke des Barrakudas, dann katapultiert ein harter Ruck den Fisch an Deck. Es ist ein kapitaler Bursche mit Mördergebiss. 16 Kilo schwer, 1,35 Meter lang. „Jetzt fahren wir nicht mehr als Schneider heim“, freut sich Carsten, gesteht aber auch: Das mit dem Töten sei eine zwiespältige Sache. „Unser Ding ist mehr ‚catch and release‘, denn du bist dankbar, wenn du das gefangene Tier ohne schwere Verletzungen wieder in seinen Lebensraum entlassen kannst. Ein Schlag mit der Flosse, der taucht ab und ist weg – allein das ist ein fast göttlicher Moment. So ein Fisch erfüllt ja meistens einen ganz persönlichen Traum, und den sieht man viel lieber frei davonziehen als im Kühlfach verschwinden.“ Eigentlich ist jetzt Frühstückszeit, aber von wegen. Nicht heute. STRIKE um 7.20 Uhr. Ein mächtiger HundezahnThun hängt an Olis Angel. Nach acht Minuten entert der 20 Kilo schwere Fisch das Deck. STRIKE um 9.27 Uhr. Wieder ein Dogtooth. Dieser bringt 25 Kilo auf die Waage, und jetzt blitzt regelrechtes Jagdfieber in Olis Augen. STRIKE um 10.16 Uhr. Barrakuda Numero zwei schlägt auf den Köder. Double STRIKE um 10.38 Uhr: erneut ein Barrakuda, aber auch ein Gelbflossen-Thun. „Was für eine Show“, ruft Uwe, da sprintet Oli schon wieder zu seiner Rute. Unglaublich, aber wahr: STRIKESTRIKESTRIKE. Gelungener Fischzug Wunschbeute vieler Big Gamer ist ein Giant Travelly, genannt GT. Die in allen Regenbogenfarben schillernde Riesenstachelmakrele fängt man beim Poppern in der Dünung vor steil abfallenden Riffkanten 32 Ein Blick zur Uhr. Es ist erst elf. Draußen, wo der Köder eine leichte Blasenspur gezogen hat, kocht jetzt das Wasser, und es braucht Olis ganze 100 Kilo Lebendgewicht, um auch noch diesen Kampf zu bestehen. Er stemmt sich mit den bloßen Füßen gegen die Reling und drillt. Stand up, die aberwitzig gekrümmte Angel in beiden Händen. Brüllt, Schweißperlen auf der Stirn: „Das ist der Burner.“ Lässt sich, was vorgeht, beschreiben? Carsten versucht es: „Angeln hat ganz viel mit Gefühl zu tun, denn der Kampf spielt sich für unser Auge zum Großteil unsichtbar unter der Wasseroberfläche ab. Da wird wenig rational gedacht, das ist eine Bauchgeschichte. Reines Feeling. Man weiß, wie weit sich die Rute zu biegen vermag, weiß, wie die Schnur klingt, wenn sie im Wind singt. Man spürt in den Fingerspitzen, welche Bewegungen unter Wasser stattfinden und versucht anhand des Fluchtverhaltens rauszukriegen: Kämpft der Fisch an der Oberfläche? Geht er in die Tiefe? Bleibt er einfach stehen? Macht er lange, macht er kurze Fluchten? Wie weit kann ich mein Gerät noch belasten? Was kann ich dem Fisch noch zumuten? Überhaupt: Welche Art Fisch könnte das sein?“ Olis Beute fightet verzweifelter noch als alle Kundschaft zuvor. Flüchtet, lässt sich Meter um Meter andrehen, sammelt neue Kräfte, flüchtet erneut. 120 Meter Schnur sind irre schnell abgespult, darauf lastet ein immenser Wasserdruck. Jetzt die Rollenbremse richtig einstellen und keine falsche Bewegung. Sonst ist er weg. Sekunden dehnen sich zu Minuten, es ist ein zähes Kräftemessen. Mensch gegen Kreatur. Allmählich verliert der Gegner an Kraft, muss dem Zug nachgeben, taucht ins gleißende Sonnenlicht. Noch vier Meter, drei, dann nur noch einer. Und Ende. Das Gaff schlägt in einen dreißig Kilo schweren Hundezahn-Tuna, und alles an Bord brüllt wie von Sinnen: „Doggy Day, Doggy Day.“ Damit war nicht zu rechnen. Fünf FTs in nur vier Stunden. FT, das ist ihr Kürzel für „Fettes Teil“ und ich notiere, was Oli nach Atem ringend herausstößt: „Angeltag ist immer, aber nicht immer ist Fangtag. Manchmal beißt einfach nichts. Nette Leute an Bord, tolles Revier, aber kein Fisch. Du bist frustriert, echt am Arsch. Und dann ist auf einmal alles nur noch Action. Beim Big Game spielst du immer mit dem Unerwarteten, dem Unberechenbaren. Manchmal möchtest du gar nicht wissen, was da unterwegs ist. Ich hatte mal eine Makrele als Köder draußen, darauf bissen große Wahoos, aber alle, die ich nicht schnell genug drillen konnte, die kamen mit abgebissenem Kopf und ohne Rumpf raus. Noch etwas anderes, Gefährlicheres war hinter denen her. Aber was es war, das weiß ich bis heute nicht, denn als dieser Killer selbst am Haken hing, hat er mir ein zweieinhalb Millimeter starkes Stahlseil gesprengt – damit lässt sich mühelos ein VW-Bus abschleppen.“ Es gibt diesen Aspekt: das Größte, das Geilste, die Erfüllung überhaupt. Big Game Fishing ist Männersehnsucht pur. Jagen, nicht Sammeln. Ist gelebte Großwild-Fantasie und testosterongesteuerter Reflex eines Urinstinkts. Sagt Uwe: „Wenn es knallt, spürst du jede Faser in deinem Körper. Du bist wie elektrisiert, aber zugleich fühlst du dich von Gottes Hand berührt. Womit du kämpfst, das ist so vital, so frei und lebendig, es flößt dir Ehrfurcht ein. Vor seinem Willen, seiner Größe, seiner Kraft. Wenn du am Ende Erfolg hast, dann ist das ein unbeschreiblich emotionales Gefühl.“ Der Nachmittag sucht ein Ereignis, aber das Angelglück rutscht uns zwischen die Wellen. Revierwechsel. Unser Kapitän geht auf Südkurs. Dort fällt die Riffkante 256 Meter 33 B i g G a me F i s h i n g „Womit du kämpfst, das ist so vital, so frei und so lebendig – es flößt dir Ehrfurcht ein“ tief ab. Unter bewölkter Stirn ruht sein Blick auf der weiten Wasserfläche. Sucht nach Zeichen. Nach kreisenden Möwen, nach den markanten Finnen ziehender Segelfische, nach plötzlich aufkochendem Wasser. So genannte Baitballs sind sicheres Zeichen für Kämpfe unter Wasser. Dann jagt der Thunfisch und treibt seine Beute an die Oberfläche. Aber nichts. „Salao“ nennt das Hemingway. Pech. 84 Tage kreuzte sein alter Mann über das Meer. Ohne Biss und Beute. Spencer Tracy lieh ihm auf Hollywoods Leinwand das Gesicht. Großes Kino. Carsten Niederlag, geboren und aufgewachsen in der ehemaligen DDR, sah den Film viele Male, verschlang das Buch. Es wurde seine Bibel und sein Versprechen auf zukünftiges Glück. „Der Film war wie eine Initialzündung. Die Handleine, das kleine Boot, die goldene Rolle. Ich war damals sieben Jahre alt und was ich da sah, wurde meine Sehnsucht. Ein Traumgespinst natürlich, denn wir kamen ja nicht raus, und diese Angelrealität war ebenso unerreichbar wie die Reise zum Mond. Die Wende änderte dann alles. Big Game war nun möglich, und meiner Frau war das auch klar. Die hat mich als Angler kennengelernt und wusste immer: In dem Mann schlummert ein Fischer.“ Darüber reden wir in der Zwischenzeit, wenn nichts passiert: Angelfieber und Leidenschaft. Uwe Kauntz, geboren in Siebenbürgen, fühlt sich vor einer Reise immer wie ein Boxer, der in den Ring steigt. Will, das es endlich losgeht. Will, wie er sagt, die Früchte seiner peniblen Vorbereitung ernten. Das Einstellen des Zugwiderstands an seinen Rollenbremsen gehört dazu. Dabei hilft ihm ein Spiel mit seiner Tochter. Ihr bindet er Schnur um die Taille, und damit läuft sie los. Abends dann, wenn seine Frau gemütlich im Sofa sitzt und Fernsehen schaut, übt er am Esstisch das Binden von Knoten und Spießverbindungen. Es gibt weit über hundert Varianten, die heißen Offshore Swivel und Unit. Oder Spider Hitch, Dacron Loop, Tube Nail. Heißen Sneel und Rapala. „Knoten und Montage, das ist ein ganz eigenes Kapitel und dazu eine Wissenschaft für sich. Das Knüpfen erfordert Fingerspitzengefühl und großes Wissen um den jeweiligen Einsatz. Jeder hat so seine Favoriten, und keiner lässt sich gerne in die Karten blicken. Die Knoten sollten sicher hal- Ausgeflippt und zugenäht Die Präsentation der Beute gehört zum Ritual: Carsten Niederlag freut sich über den Fang eines Giant Travelly, derweil präpariert Oliver Schwenke schon fachmännisch eine Makrele als nächsten Köder 34 ten und das Zusammenbinden muss schnell gehen, auch unter widrigsten Umständen. Das lässt sich trainieren, und ich stelle mir dabei schon die Drill-Situation vor und nehme den Kampf mit dem Fisch gedanklich vorweg.“ Oliver Schwenke verbessert seine Technik am computergesteuerten Drillsimulator im Hinterzimmer seines Ladens. Carsten Niederlag wiederum zieht es in das Untergeschoss seines Hauses. Dort hat er sich sein eigenes Reich geschaffen. Mit Seekarten von Angelrevieren und den entsprechenden Fischvorkommen an der Wand. Mit Regalen, in denen liegt, was es für seinen Sport braucht. Ruten, Schnüre, Rollen, Haken, Wirbel. Alles säuberlich geordnet, beschriftet, abgelegt. „Der Keller ist meine ganz andere Welt. Die Vorfreude wohnt dort, denn das Angelfieber steigert sich vor einer Reise von Monat zu Woche zu Tag. Ich beschäftige mich mit Ködern, baue verschiedene Rutenkombinationen zusammen, packe probeweise, um das Gewicht zu bestimmen. Packe wieder aus, baue um, sortiere alles neu – ich glaube, ich mache das nur, um diesen Kick zu haben und ein Stück weit weg zu sein aus der Normalität.“ Auch uns ist die Welt abhanden gekommen, aber sie fehlt uns nicht. Fern liegen längst alle Landdinge. Die Familie, die Frauen. Kinder, der Job. Nah, ganz nah ist dafür der nächste Adrenalinstoß. Gestern, an Tag zwei, war nur das gähnende Nichts. Köder riggen und Material pflegen, dösen und kein Biss. Jetzt nährt wachsendes Licht wieder unsere Hoffnung auf Erlösung. Ein Barrakuda entert früh das Deck, wird abgehakt und darf ausnahmsweise zurück ins nasse Element. Es herrscht Gerechtigkeit an diesem Morgen „Der“, ruft Carsten dem Gaff schwingenden Bootsmann zu, „ist für Allah.“ Nennt ihn wie ihr wollt, aber der Herr im Himmel lohnt die gute Tat. Er schenkt uns in Gestalt smaragdgrün funkelnder Korallenbänke eine regelrechte Südsee-Verheißung, und schon gibt es kein Halten mehr. „Näher ran, jetzt wird gepoppert“, ruft Oli hinauf zur Brücke, und der Kapitän steuert pflichtschuldig mitten hinein in die Dünung. Das Schiff krängt wie verrückt, verrückter noch gebärden sich die Angelfreunde. Im Nu stehen sie mit ihren extrem biegsamen Casting-Wurfruten vorne am Bug und schleudern, selbst im Erhoben und gewogen Barrakudas sind pfeilschnelle Räuber mit furchteinflößendem Mördergebiss. Uwe Kauntz stemmt ein 16 Kilo schweres und 1,35 Meter langes Exemplar. Das Gewicht eines jeden Fischs wird mittels Handwaage ermittelt 35 B i g G a me F i s h i n g „Angeln ist Psychologie und zugleich Aberglaube. Jeder schwört auf seine Geheimwaffe“ Anglers Augenweide Ob Köder, Rollen oder Ruten – das richtige Material spielt beim Big Game Fishing eine große Rolle. Die Liste an Zubehör ist unendlich groß und befördert die Materialsucht, genannt „Tackle-Wahn“. Der Fischer, so heißt es, „muss an sein Material glauben können“ 36 Schlingern des Bootsrumpfes gefährlich schwankend, ihre Oberflächenköder gen Riffkante. Zu dritt nebeneinander platziert ist das riskant und so gar nichts für kleinmütige Feiglinge. Jetzt bloß in Deckung. Es mag nämlich sein, das der messerscharfe Stahlhaken nicht hinausfliegt, sondern sich tief ins Fleisch des seitlich postierten Nachbarn gräbt. Solche Verletzungen sehen übel aus, und darüber gibt es grausige Berichte. Also brüllt Carsten „Action“ und setzt erst dann an zum Fünfzig-Meter-Wurf. Keiner kann das so geschmeidig, so kraftvoll wie er. Und keiner peitscht den Köder danach mit so kompromisslos harten Schlägen zurück über das Wasser. Die Methode gleicht einer Folter, denn mit jedem Ruck rammt er sich das Rutenende in den Rippenbogen, dort färbt sich Stunden später alles hübsch veilchenblau. Man muss schon angelverrückt sein, um sich das freiwillig anzutun. Wiederum bewundern alle seine Technik. Wo lernt man das? Antwort: an einem Baggersee der Heidenauer Kiesgrube nahe Leipzig. Dort trainiert er zweimal die Woche je zwei Stunden. So wird man Popper-König. „Für mich ist das die ehrlichste, die sportlichste Form des Angelns. Da ist Fischen noch Arbeit, länger als eine halbe Stunde stehst du das körperlich überhaupt nicht durch. Dann bist du am Limit. Manchmal gibt es Blickkontakt zu den Beutefischen. Man sieht, wie sie im Wasser stehen, versucht zielgenau zu werfen, und mit Glück kommt sofort die Attacke. Das gibt einen Mördersplash im Wasser, wenn du dann nicht aufpasst, reißt es dir die Rute aus der Hand.“ Zwei dunkle Schatten, groß wie Tischplatten, jagen Uwes Köder. Anschlag. Kurz und hart. Dann nichts mehr. Lose Schnur, Vorfach gesprengt. Totalverlust. Oli drillt einen Barrakuda. Zwei, drei und hopp an Bord. Das war einfach. Jetzt Carsten. Der schreit: „Jowjowjow“. Rute im 90-GradWinkel. Anschwellende Blutgefäße, Halsschlagader dick wie eine Ringelnatter. Tiefes, angestrengtes Grunzen: „Komm, komm, komm.“ Jetzt wird es richtig persönlich, denn was am Haken hängt, gehört in die Kategorie „Wunschfisch“. Giant Travelly stand ganz oben auf der Liste, und alsbald befördern bleischwere Arme eine kapitale Riesenstachelmakrele, im Big-Game-Jargon „Riffsau“ genannt, ans Sonnenlicht. Schuppen wie ein regenbogenfarbenes Ballkleid, 26 Kilo schwer. Zu verlockend war wohl der Köder Marke Carsten Eigenbau: gelb-schwarz lackiert wie eine Tigerente und bestückt mit den Glasaugen eines Teddybären. „Angeln ist Psychologie und zugleich Aberglaube. Jeder erholt sich ebenfalls, macht 100 Meter - die dritte Flucht. Dann schwört auf seine Geheimwaffe, und wenn man einen Köspringt er, schon näher jetzt, und ich sehe, wie groß der mit der hat, der fängt, dann bleibt man dabei. Geangelt wird mit seinen zwei Metern Länge ist. Von da an habe ich inständig bunten, in Größe, Gewicht und Kopfform unterschiedlichen gebetet. Es war ein echt harter Kampf, und darauf bin ich jetzt Fisch-Imitaten aus Hart- oder Weichplastik. Manche haben sehr stolz: Ich habe ihn Stand-up gedrillt und alles war selbst aufgeklebte Schuppenfolie, andere, wie der ,Oli Special Island gemacht – Leinen, Knoten, Köder.“ Der Fisch des Lebens ist eine Definitionsfrage. Sagt Oli. Lure‘, tragen ein Ballyhoo genanntes Röckchen. Das Auge Salz- oder Süßwasser? Ganz allgemein: Sorte, Größe, Anangelt eben mit, und das abgefahrene Design dient nur einem gelmethode, Kampfzeit? Es kann, wie bei Carsten, der erste Zweck: Der Fischer muss an sein Material glauben können. kleine Weißfisch sein. Aus dem Wasser gezogen mit sieben Ist so eine Art Krankheit. Wir nennen das Tackle-Wahn.“ Jahren. Den bekam die Mutter, und er wurde sofort gebraUwe sitzt an Deck. Es ist drei Stunden nach Mitternacht. ten. Ein kapitaler, knapp 1,20 Meter große Hecht war es Der Mond rundet sich an diesem letzten Tag und bleicht das bei Uwe. Zusammen mit dem Vater saß er im Regen an der Meer mehlweiß wie einen Möwenflügel. Was macht er da, Theiß. Er sagt: Den Augenblick, als der Fisch raus kam, habe so ganz allein, in Melancholie versunken? Von allen Glücker nie vergessen. Oli wiederum erinnert sich an Blue Marlin, lichen war zuletzt er der Glücklichste. Carsten landete zwei Kapverdische Inseln. weitere GTs, und auch Oli er„Ich lag in der Koje, döste hielt zum Abschied noch seivor mich hin, da knallte es. Der nen Travelly. 24 Kilo schwer, Marlin stieg auf einen Köder ein, das Tier. Er hievt ihn hoch und der gar nicht in sein Beuteschema küsst ihn im Überschwang aufs passte. Aber so ist das: Du kannst nasse Maul. Uwe aber, Uwe reinhängen was du willst, am hängt bei der letzten SchleppEnde entscheidet der Fisch, wofahrt etwas ganz Besonderes rauf er beißt. Ich also schnell die am Haken. Ein Sailfish. Davon Badehose an, raus und von da an hat er geträumt, das lässt ihn viereinhalb Stunden Fight. Ich nicht mehr los und schon gar weiß noch, wie erschöpft ich war nicht schlafen. „Der Biss kommt um 17.20 und was mich hat durchhalten Uhr. Ich höre die Bremse, lassen. Es war der Gedanke: Gib sehe sofort, wie er springt. Der nicht auf, der Fisch gibt ja auch nimmt wahnsinnig viel Schnur, nicht auf.“ circa 150 Meter. Die zweite Mein letzter Eintrag. Und Flucht geht sogar 300 Meter, Ende. Die Tür schwingt auf, alles dann macht der Kapitän einen sagt: zu Hause. Nach einer WoFehler. Er fährt in die falsche che im „Jurassic Park“. Nichts Richtung. Ich muss nach vorne schwankt mehr, und alle Erinnean die Bugspitze, dann wieder rung wird allmählich zu einem zurück. Immer den Fisch am fernen Echo. Es sei denn, das TeHaken und Oli im Rücken. lefon schellt. Dann ertönt schrill Der hält mich am Gurt fest, und grell Olis-Accurate-Sinfonie. sonst wäre ich über Bord. Nach Mann und Meer Gleich einer Galionsfigur hält ein Es war sein Abschiedsgeschenk, 25 Minuten bin ich schon ganz Besatzungsmitglied Ausschau nach neuer Beute. ein Klingelton. Er signalisiert bei müde, aber ich schüttele den Gut zu sehen sind die Flossenfinnen von Marlin und Anruf: STRIKE. Arm aus und weiter. Der Fisch Segelfisch 37 W e r t a n l a ge Die teuersten Uhren der Welt Fotos : J e n s G ö r l i c h Te x t : E m a n ue l E c k a r d t Perfektion ist keine Frage der Zeit. Luxuslimousinen werden in vierzig Stunden montiert, eine Uhr von Patek Philippe zu bauen, kann ein Jahr dauern. Ein Werkstattbericht ueen Victoria hatte ihre immer dabei, KarlTheodor zu Guttenberg trägt eine, und Nicolas Sarkozy auch, ein Geschenk von Carla Bruni. Frauen, heißt es, entwickelten inzwischen die gleiche Leidenschaft für mechanische Uhren wie Männer. Und sie haben ein Gespür für Klasse. Eine Uhr von Patek Philippe ist nichts für Parvenüs in italienischen Maßhemden, deren linker Ärmel zwei Zentimeter kürzer ist, damit man sieht, welche Uhr sie am Handgelenk tragen. Die Zeitmesser der Genfer Manufaktur Patek Philippe sind optisch eher dezent, gelten als Meisterwerke der Uhrmacherkunst, und als durchaus krisenfeste, sichere Wertanlage. Die zwanzig teuersten Armbanduhren, die je bei Auktionen verkauft wurden, stammen allesamt aus dem Hause Patek Philippe. Warum ist das so? Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs? Auf den ersten Blick erschließt es sich nicht. Ein Hausbesuch in der Manufaktur in Plan-les-Quates vor den Toren Genfs. Moderne Fabrikationshallen, klinisch sauber, lichtdurchflutet. Lange Tische, Menschen, die konzentriert ihrer Arbeit nachgehen. Hier entstehen Uhren nach alter Väter Art, mechanische Präzisionsgeräte, handgemachte Wertgegenstände mit Unruh, Anker und Hemmungsrad. Niemand braucht solche Uhren, um zu wissen, wie spät es ist. Zeit lässt sich überall ablesen. Hier geht es um Handwerkskunst in höchster und zugleich kleinster Form, eine Kultur im Verborgenen. Die wahre, die innere Schönheit dieser anachronistischen Meisterwerke sehen nur die Uhrmacher und am Ende der Meister, der sie zusammensetzt. Daniel Jaquet hat 43 Jahre bei Patek Philippe gearbeitet, zuletzt als Leiter der Projektgruppe für die Automatikuhr mit der Referenznummer 5960, an deren Entwicklung zwanzig Mitarbeiter rund vier Jahre lang gearbeitet haben. 1964 hat er hier angefangen. „Seither hat sich unendlich viel geändert. Die Informatik hat uns weitergebracht, aber bei den Werkzeugmaschinen erst einmal alles auf den Kopf gestellt.“ Seit er in Pension ist, führt er Besucher durchs Haus, erzählt von den Grundprinzipien Tradition und Innovation. Nein, das ist keine Floskel für Betriebsführungen, sondern ausbalanciertes Spannungsfeld der Unternehmenskultur, Erkenntnis eines zwei Jahre währenden Selbstfindungsprozesses, den Philippe Stern, bis 2009 Präsident des Unternehmens, angestoßen hatte. Alle Abteilungen waren daran beteiligt; alle sollten aufschreiben, was Patek-PhilippeQualität bedeutet. Das Resultat wurde Firmenphilosphie, gipfelt im Patek-Philippe-Siegel, Gütezeichen des derzeit strengsten Verfahrens zur Qualitätskontrolle in der Uhrenindustrie. Innere Schönheit Perfekte Arbeit unter der Lupe. Die Oberfläche einer Wippe für komplizierte Uhren wird geprüft Urfassung Prototyp des Star Kalibers, einer Taschenuhr mit 21 Komplikationen, die nur als Vierer-Set angeboten wurde. Für 8,7 Millionen Euro 38 39 W e r t a n l a ge Im Atelier Taillage, der Miniaturwunderkammer für den Zwergenbiss, werden Zähne poliert und winzige Rädchen entgratet Der Weg dorthin ist weit, braucht unendlich viele sehr kleine, geruhsame Schritte. Man muss ihnen nur zusehen, den Uhrmachern mit der ruhigen Hand, vor sich eine Winzigkeit unter der Lupe, ein Werkstück, das manchmal mit bloßem Auge kaum zu erkennen ist, wie der Zapfen zwischen zwei Rubinen, der gerade mal ein siebenhundertstel Millimeter misst und später in 28 800 Halbschwingungen pro Stunde rotieren wird. Ist das noch Stahl? Achsen dünn wie Heuschreckenfühler, Schräubchen klein wie das Auge eines Goldkäfers, mit einem Gewinde, dessen geschliffene Präzision nur der Blick durchs Mikroskop offenbart. I m Atelier Taillage, der Miniaturwunderkammer für den Zwergenbiss, werden Zähne gefräst, Zähne poliert, winzige Rädchen entgratet, die nur mit einer Pinzette erfasst werden können. Neben dem Objektträger klebt ein Stück grüne Knetmasse wie Kaugummi auf Irrwegen, ein Hilfsmedium, um kleinste Teile festzuhalten, die sonst ein Luftzug davon blasen würde. Ein einziges dieser filigranen Zahnräder herzustellen, braucht bis zu 60 Arbeitsschritte. Nur dreißig Prozent der Arbeiten seien funktional unentbehrlich, erklärt Daniel Jaquet; der Rest, das Anglieren, Abrunden und Vergolden, das Polieren, Perlieren und Guillochieren, dient der Perfektion, der stufenweisen Vervollkommnung des untadeligen Gesamtbildes, der Schönheit. Garantiert rostfrei Fingerlinge verhindern, dass die winzige Kupplungswippe mit menschlichen Schweiß in Berührung kommt Eigentlich waren sie schon immer so. Sehnsucht nach Vollkommenheit, der Ehrgeiz, die schönsten aller Uhren zu bauen, trieb den polnischen Adligen Antoine Norbert Graf de Patek am 1. Mai 1839 in Genf mit seinem Landsmann, dem Uhrmacher Francois Czapek die Uhrenmanufaktur Patek, Czapek & Co. zu gründen. Czapek ging bald eigene Wege, Patek gewann den genialen französischen Uhrmacher Jean-Adrien Philippe als neuen Partner, den Erfinder des Kronenaufzugs. Eine revolutionäre Tat: Endlich war es möglich, Uhren ohne separaten Schlüssel aufzuziehen und auch gleich die Zeiger zu stellen. Seit 1851 nannte sich die Firma Patek Philippe & Co., zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde sie in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und investierte vor allem in Ideen: 1902 wird ein Patent für einen Doppel-Chronographen mit Schleppzeiger angemeldet, 1925 erscheint die weltweit erste Armbanduhr mit ewigem Kalender, 1927 gehen die ersten Armbandchronographen in Serie. Als die Weltwirtschaftskrise das erfolgsverwöhnte Unternehmen erfasst, übernehmen die Brüder Charles und Jean Stern, bis dahin Fabrikanten von Zifferblättern, die Aktienmehrheit und schließlich das ganze Unternehmen. Patek Philippe ist nun wieder ein Familienbetrieb und produziert Klassiker mit Zukunft. Die 1932 eingeführte „Calatrava“, benannt nach einem spanischen Ritterorden, wird heute noch äußerlich kaum verändert produziert, das „Calatrava-Kreuz“ seither als Logo der Manufaktur in die Kronen geprägt. 1937 kommt die Weltzeituhr, 1962 die erste Armbanduhr mit ewigem Kalender und automatischem Aufzug, 1977 das weltweit flachste Automatikwerk mit nur 2,40 mm Höhe. Den vorläufigen Höhepunkt markiert das Jahr 1989. Nach neun Jahren Entwicklung präsentiert Patek Philippe zum 150. Firmenjubiläum die komplizierteste Uhr, die jemals gebaut wurde, ein Werk mit 33 Komplikationen und 1728 Bestandteilen, zu groß um es noch am Arm zu tragen. Die Taschenuhr mit dem Kaliber 89 bietet auf zwei Seiten 24 Zeiger und 12 Hilfszifferblätter sowie ein Abbild der Milchstraße mit 2800 Sternen des nördlichen Nachthimmels. Zu Minimalistische Kunst Das Profil eines 0,8 Millimeter großen Zahnrades wird poliert, ein Stahlstift dient als Achse 40 Fertigungsraum für Filigranes Ende der Mittagspause. In der „Pivotage“ werden Achsen rolliert und Triebräder poliert W e r t a n l a ge Zum 150. Firmenjubiläum präsentiert Patek Philippe das Caliber 89, die komplizierteste Uhr, die je gebaut wurde den uhrmacherischen Feinheiten zählen eine Minutenrepetition mit großem und kleinem Läutwerk, Wecker, Tourbillon und ewiger Kalender, ein Schleppzeiger-Chronographenwerk und ein Rad, das sich in 400 Jahren nur einmal vollständig dreht. Dann nämlich wird nach dem Gregorianischen Kalender das Schaltjahr einmal ausgesetzt. Die Jubiläumsuhr wurde nur fünfmal gebaut, für mehr reichte die Kapazität nicht aus. Eins der schweren Kaliber blieb als Prototyp im Hause. Aber das Thema Taschenuhr blieb aktuell. Zur Jahrtausendwende produzierte Patek Philippe die Star Caliber 2000, eine Taschenuhr mit 21 Komplikationen, die nur als Vierer-Set in einer limitierten Auflage von 20 Stück zum Preis von 8,7 Millionen Euro angeboten wurde. Z Obligate Zwischenprüfung Gibt es Kratzer? Einschläge? Eine Mitarbeiterin kontrolliert die Brücken in einer 50-StückSchachtel, ehe sie weiter verarbeitet werden. Im Werk einer Uhr mit Minutenrepetition werden die Funktionen angepasst. Die klingenden Tonfedern laufen außen ums Werk (oben rechts). Entladen von der Transfermaschine. Stück für Stück wird jede einzelne Platine (Grundplatte) genauestens untersucht (unten rechts) 42 wei Jahre später kommt die Sky Moon Tourbillon mit der Referenznummer 5002 heraus, die erste doppelseitige und zugleich komplizierteste Armbanduhr, die Patek Philippe je gefertigt hat, mit Minutenrepetition und Tourbillon, ewigem Kalender und den Anzeigen von Mondalter (die Anzahl der Tage seit dem letzten Vollmond), Schaltjahrzyklus, Wochentag, Monat und Datum mit Rückstellzeiger (springt bei Monatsende, auch am 28. oder 29. Februar zuverlässig auf die Eins). Auf der Rückseite bewegt sich unter einem Saphirglas der Sternenhimmel der nördlichen Hemisphäre gegen den Uhrzeigersinn und zeigt die Winkelbewegung der Sterne und des Mondes in einem Zyklus von 29 Tagen, 12 Stunden und 44 Minuten. Von dieser Uhr werden pro Jahr nur zwei Exemplare hergestellt, der Preis liegt derzeit für die Platin-Version bei 897.130 Euro. Erfindergeist ist die Unruh der Firma. In ihrer Geschichte hat die Manufaktur rund achtzig Patente angemeldet, zuletzt für eine Uhr mit Tourbillon, die zehn Tage Gangautonomie garantiert. Das Gestell des Tourbillons dreht sich, um die Erdanziehung auszugleichen, um die eigene Achse, ein minimalistisches Wunderwerk aus 72 Einzelteilen mit einem Gesamtgewicht von 0,3 Gramm. Die Nachfrage nach solchen technischen Raffinessen ist groß, Luxusuhren boomen. Patek-Philippe-Uhren sind Raritäten. Das Werk hat in 170 Jahren weniger als ein Prozent der Schweizer Uhren gebaut, die heute in einem Jahr produziert werden. Die inzwischen älteste unabhängige Uhrenmanufaktur in Familienbesitz gilt im Premiumbereich unangefochten als die Nummer eins. Dabei wäre fast alles schief gegangen. Uhrmacherkunst in Höchstform Paul Buclin, Maître Horloger, präsentiert Meisterwerke der Manufaktur. Taschenuhren mit vielfältigen Komplikationen takten Sekunden, Mondphasen und die Zeiträume des Universums In den siebziger Jahren fegte ein eisiger Wind durch die Manufakturen. Die Schweizer Uhrenindustrie war auf das elektronische Zeitalter nicht vorbereitet. Die Lawine billiger Quarzuhren aus Japan begrub eine ganze Branche unter sich. Von 90000 Arbeitsplätzen gingen 70000 verloren. Traditionsmarken wurden zu Spottpreisen verkauft. Doch die Familie Stern gab nicht auf. „Wenn nur eine einzige Manufaktur übrig bleibt, sollten wir es sein“, glaubte Philippe Stern, „schon wegen der vielen Sammler.“ 1983 kam die Swatch auf den Markt. Die Billiguhr rettete die Schweizer Uhrenindustrie, die sich nach und nach erholte. Handgearbeitete Luxusuhren erleben ein triumphales Comeback. Doch die Schweizer Uhrenindustrie sieht anders aus. Die meisten der alten Manufakturen sind inzwischen in 43 W e r t a n l a ge mächtig wuchernden LuxuskongloKlangbild der Uhren mit Minutenmeraten aufgegangen, allen voran im repetition. Ping, Ping schlagen zwei Richemont-Konzern in Bellevue (KanHämmerchen die Stunden auf der tieton Genf), der die Marken Baume & fen Tonfeder, dann folgen die ViertelMercier SA, Cartier, IWC, Jaeger-Lestunden mit einem Doppelschlag und Coultre, Lange & Söhne, Officine Pazum Schluss die verbleibenden Minunerai, Piaget, Roger Dubuis, Vacheron ten auf der hohen Tonfeder. Doch es Constantin und Van Cleef & Arpels genügt nicht, dass Maître Buclin zuunter seinem Dach versammelt. frieden ist. Erst wenn Thierry Stern, Die Swatch Group SA, als Holder Präsident, und sein Vater und ding in 50 Ländern vertreten, hat unVorgänger Philippe Stern den Klang ter anderem die Uhrenmarken Breakzeptieren, darf die Uhr verkauft guet, Blancpain, Glashütte-Original, werden. Ein Insider-Tipp: Gold und Omega, Longines, Rado und Union Weißgold klingen immer besser als im Portfolio. Im Luxuskonzern Moet Platin. Vermögenswert Die 5002P, derzeit teuerste lieferbare Hennessy Louis Vuitton S.A. (LVMH) Das Unternehmen ist ausgelastet. Uhr von Patek Philippe: Unverbindliche ticken Uhren nur am Rande: TAG Patek Philippe verkauft rund 42.000 Preisempfehlung 897.130 Euro Heuer, Dior Watches, Zenith und Uhren im Jahr. Laut aktueller PreisHublot. Seiteneinsteiger F. A. Porsche liste sind derzeit 160 Uhren lieferbar, hat sich die Marke Eterna gesichert, rund, elipsenförmig oder in Tonneauund Montblanc, Schreibgerätehersteller mit Nebenlinien, Form, mit oder ohne Mondphasenanzeiger, Schleppsekunde konnte die hochklassige Manufaktur Minerva SA erobern. und Tourbillon, in Gelbgold, Weißgold, Rotgold, Stahl oder als Platinversion, mit guillochierter „Clous de Paris“-Lündkontrolle bei Patek Philippe, Zugang ist nur in nette und römischen Zahlen oder als Offiziers-Armbanduhr staubfreier Schutzkleidung gestattet. Hier wird jedes mit Turbankrone. Uhrwerk 18 Tage hart geprüft, wird das Werk drei Siebzehn Basiskaliber stehen zur Wahl, darunter fünfzehn Tage lang geschüttelt, gestoßen und gedreht, um das Tragen für Armbanduhren mit bis zu zwölf Komplikationen. Jede am menschlichen Handgelenk zu simulieren. Die Hochzeit, vierte Uhr trägt den Vermerk „Spezialanfrage“, für die es das Zusammenfügen von Uhrwerk und Gehäuse erfolgt in Wartezeiten gibt. Quarzwerke gibt es auch, in den Dameneinem keimfreien Glaskasten, in dem leichter Überdruck uhren Nautilus, Aquanaut und Twenty~4, der mittlerweile herrscht. Die Zeremonie wirkt etwas verblasen: Aus dem meistverkauften Uhr von Patek Philippe, lieferbar in allen Kasten dringt ein steter Luftstrom nach draußen, damit kein Stufen der Haute Joaillerie mit Brillianten und BaguetteStäubchen den Weg hinein findet. Diamanten bis in die Preisklasse von weit über einer halben Die fertige Uhr wird abermals 18 Tage lang in die Man- Million Euro. gel genommen, durchläuft noch einmal die gleichen Tests, Wer eine Patek Philippe kauft, erwirbt damit das Anrecht die schon das Werk ohne Gehäuse hinter sich gebracht hat. auf lebenslange Betreuung – der Uhr, übertragbar auch auf Jede Uhr wird eine Stunde ins Wasser gelegt, und danach – kommende Generationen. Jede Uhr, die das Werk seit seiimmer noch im Wasser – einem Druck ausgesetzt, der dem ner Gründung 1839 verlassen hat, ist registriert, und wird Druck in 30 bis 120 Meter Wassertiefe entspricht. Danach – sofern sie nicht von unfähigen Uhrmachern verschandelt kommt die Uhr auf eine Hitzeplatte. Ein Wassertropfen wurde – auch vom Werk überholt. Revision und Reparatur wird auf das Saphirglas geträufelt, läuft es an, ist Wasser in sind garantiert. Der Zeitrahmen ist weit gesteckt. Die Star der Uhr. Alles noch mal von vorn. Caliber braucht in neunzig Jahren eine neue JahrhundertDie höchsten Weihen bekommen die Uhren, die Paul scheibe, weil dann ein Schaltjahr ausfällt. Die nächste wird Buclin, Maître Horloger, vorgelegt werden. Er prüft das dann erst wieder in vierhundert Jahren fällig. P a t e k P h i l i ppe M useum Zum Schießen Die Frères Rochat fertigten um 1810 diese schmucke Duellpistole. Beim Abdrücken kommt ein zwitscherndes Vögelchen aus dem Lauf Der Louvre der Uhren Das Patek Philippe Museum in Genf E 44 Foto : PR E ine vergleichbare Schau wird man nicht finden. Das Trommeluhr aus dem 16. Jahrhundert, Meisterwerke Patek Philippe Museum zeigt die umfassendste der Uhrmacherfamilie Rousseau und die Pendeluhr Sammlung kostbarer Uhren aus fünf Jahrhundes niederländischen Astronomen Christiaan Huyderten, in Szene gesetzt in einem renovierten viergegens (1629–1695), der als Erfinder der Unruh in die schossigen Gewerbebau im Zentrum von Genf, als Geschichte einging. Zu den Höhepunkten der Sammlung zählen einzigartiges kulturelles Welterbe, ein Louvre der filigrane fürstliche Scherzartikel aus der Zeit zwiUhren. Auf 2000 Quadratmetern sind historische schen 1760 und 1850. Duellpistolen versprühen Maschinen, Werkbänke und Werkzeuge Parfüm oder lassen beim Abdrücken ein Vözu bestaunen und mehr als 2200 kostgelchen zwitschern, nussgroße Mandolinen bare Sammlerstücke der Uhrmacherticken von innen, Kirschen und mit Edelsteikunst hinter Glas, perfekt ausgeleuchnen verzierte Käfer messen die Zeit, Fracktet. Animationsfilme spielen die vor uhren zeigen wilde Beeren und die Lilien auf Jahrhunderten minutiös ausgetüftelten dem Felde. Moses berührt einen Berg und Funktionen komplizierter Räderwerke ein Wasserfall aus Silber rettet das dürstenUhrlaute in Zeitlupe nach; geniale Kleinkunst, ande Volk Israel, Automaten als Taschenkino, Anhänger mit integriertem schaulich inszeniert. Gezeigt werden zauberhafte, zahnradgetriebene Smartphones Musikautomat von 1810 die noch vergleichsweise urig wirkende aus dem Zeitalter der Erfindungen. 45 P a t e k P h i l i ppe M useum Der Bau an der Rue des Vieux-Grenadiers ist zuvon Dänemark oder Umberto I. von Italien, die Uhr gleich ein Museum der europäischen Malerei – en mides Komponisten Peter Tschaikowsky oder der niature. Detailgenaue Emailbilder auf Taschenuhren zweifachen Nobelpreisträgerin Marie Curie. Der erste Stock des Museums ist dem Gesamtund Automaten spiegeln die Epochen der Kunst, ins werk von Patek Philippe gewidmet, von den frühen Winzige transponierte Kopien barocker FürstenportMeisterwerken der Manufaktur aus der ersten räts, schimmernde Seestücke, romantische LandHälfte des 19. Jahrhunderts über Art-decoschaften, wundersam zeitlos leuchtende Emaillen Formen zum legendären Kaliber 89 und dem der „chinesischen Kaliber“, jener Uhren, die an 10-Days-Tourbillon zur Jahrtausendwendie europäischen Kolonien in Kanton und Made. Auch die erste Armbanduhr der Schweiz cao geliefert wurden, oft paarweise, eine skurrile stammt aus dem Hause Patek Philippe, ein zierMode, die der Nachwelt einzigartige Sammlerstücke liches Schmuckstück, 1868 gefertigt. Damals hinterließ. Philippe Stern, langjähriger Präsident von war es noch undenkbar, dass Herren jemals Patek Philippe, dessen Privatsammlung solchen Damenschmuck am Arm tradas Fundament dieses Museums bildet, hat gen würden. 1889 wurde die erste Armdreizehn Paare beigesteuert und zeitweise banduhr patentiert, aber erst im frühen Schlicht genial durch Leihgaben bedeutender Sammlungen zwanzigsten Jahrhundert setzte sie sich Pendeluhr von Breguet mit ergänzt. Königliche Taschenuhren sind zu seals Männermode durch, in wahrhaft beZeitgleichung und Thermometer hen, wie die von Queen Victoria, Christian IX. eindruckender Vielfalt. Frühwerk Tragbare Dosenuhr aus Eisen, um 1540 in Süddeutschland gebaut Patek Philippe Museum Rue des Vieux-Grenadiers 7 CH-1205 Genf Tel. +41 (0) 22 807 09 10 www.patekmuseum.com Geöffnet Di-Fr 14-18, Sa 10-18 Uhr 46 Fotos : Patek Philippe Museum Glanzstücke für China, gefertigt um 1800: Genfer See mit Montblanc in Emaille; das schmucke Herz schlägt alle Viertelstunde, und wurde wie die Mango-Uhr als Paar produziert; die Kriegerin der Antike zeigt die Stunden mit links B e r e n be r g E l ef a n t e n r e n n e n „Wenn ich ehrlich bin: ich brems’ nicht viel“ Showdown der Motorsport-Klassiker aus großer Zeit: Unterstützt von der Berenberg Bank kommt es im Rahmen des 69. ADAC Eifelrennens zum Aufeinandertreffen der Mercedes- und BentleyBoliden aus den goldenen zwanziger Jahren B e r e n be r g E l ef a n t e n r e n n e n Freude am Fahren: Bei Veranstaltungen mit historischen Rennwagen hat nicht unbedingt der Schnellste auch den größten Spaß Te x t : H a n s B o r c h e r t F o t o s : D o r o t h e a sc h m i d Z uerst die Wahl: Bentley oder Mercedes. Dann entscheide man sich: Rennstrecke oder Garage. Ist man Sammler, so sonne man sich im Glanz der stillgelegten historischen Preziose – für die schon mal 5 Mio. Euro gezahlt werden – und freue sich an ihrer blankgeputzten Unversehrtheit. Ist man allerdings ein Mann, also ein richtiger Mann, dann gibt man Gummi und brennt mit 180 Sachen durch den Hatzenbachbogen am Ring. Nordschleifenfeeling pur. Flugplatz, Fuchsröhre, Metzgesfeld, Caracciola-Karussell. Hohe Acht, Brünnchen, Schwalbenschwanz, Döttinger Höhe. 20,83 Kilometer immer Vollgas, aber bitte nicht vergessen: vorher antreten zum Gebet. Die Kerns sind von solchem Kaliber. Vater Peterheinz und noch mehr Thomas, der Sohn. Mit seinem weißen 7.2-Liter-6-Zylinder-Mercedes 720 SSKL, Baujahr 1930, hängt er bei Trainingsrunden dem ADAC-Intervention Car nahezu im Auspuff. Rolf Siebert, dem Mann am Steuer des 3-Liter-Audi RS, wird ganz mulmig. Später treffen sich die beiden im Fahrerlager. Fragt Kern: „Ihr konntet doch auch nicht schneller, oder?“ Siebert: „Nee. Ich hab mich nur gefragt: Was hast du eigentlich für Reifen?“ „Lkw.“ „Und wat iss mit deinen Bremsen?“ „Na ja, wenn ich ehrlich bin: Ich brems nich viel.“ Hört, hört! So feiern die „good old days“ des Motorsports rund um das 69. Eifelrennen Wiederauferstehung. Drei herrlich nostalgische Tage und ein Höhepunkt mit gewichtigem Namen: Elefantenrennen. Lauter bullenstarke Legenden am Start. Dunkelgrüne Speed-Six und Blower-Monster gegen schneeweiße Kompressor-Heuler Typ S (Sport), SSK (Super-Sport-Kurz) und SSKL (Super-Sport-Kurz-Leicht). Dazu Lagonda, Bugatti, Aston Martin. Sie alle Champions der Vorkriegsjahre. Angetreten zu einem packenden Revival und dabei maßgeblich unterstützt von der Berenberg Bank. „Ein Event mit Extrakick, genannt Gänsehautgefühl“, sagt Kommunikationschef Karsten Wehmeier und erläutert die Idee zum ambitionierten Sponsoring. „Der Rennsport mit historischen Fahrzeugen und seine Marken-Rivalität ist faszinierend, und er passt hervorragend zu unserer Bank – denn auch bei uns stehen Pflege und Erhalt von Werten hoch im Kurs.“ 50 Tierisch schön Für Liebhaber alter Automobile zählen nicht allein PS und Hubraum. Sie erfreuen sich an der Vielzahl hübsch gearbeiteter Details, siehe MercedesLenkrad und -Kühler samt Stern Genial einfach Ob Armaturenbrett mit KompressorÖlversorgung unter Glas oder gleich der ganze Motor: Die Technik des Bentley Blower hat einen großen Vorteil – man kann selbst Hand anlegen Kleine Zeitreise gefällig? Die letzte Schlacht dieser Boliden wurde 1930 in den Ardennen geschlagen, beim Klassiker jener Tage – den 24 Stunden von Le Mans. Für Mercedes tritt Rudolf Caracciola gegen die Meute der Bentley-Boliden an. Einer gehetzt von allen. Das ist die Dramaturgie des Rennens, und am Ende steht zur deutschen Enttäuschung der vierte englische Triumph in Folge. Und was sind das auch für wunderbare Karossen. Jede ist auf ihre Art ein Unikat, denn die Firma Bentley lieferte lediglich Motor, Chassis, Aufhängung und Getriebe, während der restliche Aufbau dem Wunsch des Käufers und den von ihm beauftragten Blechschneidern, sogenannten coach buildern, überlassen blieb. Man nehme zum Beispiel das spätere Siegfahrzeug des Elefantenrennens in der Eifel, den mit Schriftzug „Mothergun“ in Silbermetallic lackierten Le-Mans-Champion von 1927. Er trägt ein windschnittiges Leichtmetallkleid, und selbst von heute aus betrachtet erscheint er seiner Zeit weit voraus. Klassisch zu nennen ist dagegen der Anblick eines Bentley Blower mit Roots-Kompressor, Jahrgang 1930. Ihm verleihen ein paar Schalter-Elemente aus Spitfire-Kampfmaschine und Lancaster-Bomber eine eigenwillig-persönliche Note im Armaturenbrett. Der stolze Besitzer steht gleich daneben: Es ist Sati Lall, ein Nachfahre des Gründers der Assam Company, einst im British Empire gerühmt als „Rothschild von Kalkutta“. Lall rollte selbstredend auf eigener Achse von London gen Eifelkurs. Er wurde dabei „mehrmals bis auf die Unterwäsche nass“, musste gar einmal selbst zum Schraubenschlüssel greifen – und dennoch geht ihm nichts über mannhafte Tradition. „Das ist Ehrensache: Race on sunday, drive on monday.“ Aber bitte – weitere Vorstellung der illustren Teilnehmerschar gestattet? Unter den „Bentley Boys“ der Moderne findet sich auf deutscher Seite neben einem Maschinenbau-Professor, einem Schokoladen-Fabrikanten und einem Druck- und Database-Unternehmer auch Bernd Dimbath, seines Zeichens Geigenbauer. Ihm, der ebenso Brot-undButterautos wie Kadett A- und B-Modelle mag, gilt sein Bolide als „automobile Stradivari der zwanziger Jahre“. Allerdings bekennt er freimütig: „Den zwei Tonnen schweren Wagen mit hundert Sachen durch die Fuchsröhre zu steuern – das ist schon ein echt dolles Ding. Aber zum Glück geht es bei uns nicht um Leben und Tod.“ 51 B e r e n be r g E l ef a n t e n r e n n e n Die Legende lebt Wie schon 1927 beim 24-StundenRennen von Le Mans, so auch 2010 am Nürburgring: Sieg für Bentley „Mothergun“ mit Michael Rudnig am Steuer Dennoch bereitet das Fahren der urtümlichen Gefährte mit ihren Drei-bis-Acht-Liter-Motoren und einer Leistung bis zu 350 PS echte Mühe. „Das ist richtig anstrengend“, stöhnt Michael Rudnig, später Siegfahrer hinter dem Steuer von „The Mothergun“. „Man braucht richtig Muskeln.“ Und Hasso G. Nauck ergänzt: „Die Dinger sind eher für den Geradeauslauf gebaut und nicht für einen kurvenreichen, modernen Grand-Prix-Kurs. Für den Fahrer jedenfalls ist das echt ein Akt der Arbeit.“ Wobei schon Kuppeln, Bremsen und Gasgeben einem regelrechten Kunststück gleichen, weil die Anordnung der Pedale (rechts Bremse, Mitte Gas, links Kupplung) gewöhnungsbedürftig ist und man, wie Dimbath sagt, „beim Schalten nur einen Versuch hat.“ Wer sich das freiwillig auch bei Überland-Fahrten von oft Hunderten von Kilometern antut, der muss, nein, der ist definitiv ein wahrer Enthusiast. Nauck war mit seinem 4,5-Liter-Bentley „Open Tourer“ von 1928 schon über dreitausend Kilometer nonstop unterwegs. „Einmal Rom und retour“, sagt er. Alte Autos gab es in seinem Leben zwar viele – vom Austin Healey über Porsche bis zu AC –, aber nur der Bentley war „immer so ein Traum“. Aus seiner Sicht eine logische, mit der eigenen beruflichen Karriere durchaus vergleichbare Entwicklung: „Je weiter man nach oben klettert, desto spannender wird es.“ Peter Godehardt beschreibt die Neigung zu seinem 2,4 Tonnen schweren grünen 8-Liter-Monster dagegen eher wie eine Krankheit. „Am Anfang ist es Leidenschaft, danach ein Bazillus.“ Sein Bentley sah schon den indischen Subkontinent, sah Südafrika, sah Argentinien. Erklärender Hinweis für den staunenden Laien: „Ich fahr halt immer mit meinem Mechaniker.“ Demnächst ist eine Rallye im Konvoi geplant – mit vier Fahrzeugen kreuz und quer über den Balkan. Obwohl beinharter Konkurrent, lobt Mercedes-Kompressor-Clubmitglied Peterheinz Kern die Rivalen von jenseits des Kanals. Ihm sind im Museum oder in der heimischen Garage auf ewig abgestellte historische Fahrzeuge ein echtes Greuel. Darüber kann er sich immer wieder ereifern. „Das sind doch keine Stehzeuge. Da ist doch Seele drin. Die müssen bewegt werden, sonst sind solche Autos tot, tot, tot.“ 52 Kerns Privileg ist das unerschöpfliche Wissen um noch existierenden Wagen der berühmten S-Serie. Technik, Geschichte, Einsatz: Er weiß um jedes Detail und kennt sie alle. Dazu ist er selbst im Besitz einer absoluten Rarität. Es handelt sich um den Typ 680 S mit 6,8-Liter Maschine und 180 PS Leistung bei Kompressor-Einsatz. Rudolf Caracciola bestritt damit 1927 das erste Rennen auf dem Nürburgring. „Der Wagen war über Jahrzehnte verschollen“, erzählt Kern. „Gefunden haben wir ihn mehr durch Zufall in einem New Yorker Schuppen, Stadtteil Bronx. Es wuchs damals ein Baum durch das Bodenbrett, und wir hatten zu Anfang nicht den Hauch einer Ahnung, um welches Fahrzeug es sich handelte. Von dem Typ wurden nur acht Exemplare gebaut, und dieser kam lediglich drei Mal zum Einsatz.“ Eine wahre, eine nahezu unglaubliche Geschichte. Man könnte nun denken, Kern fahre seinen schier unbezahlbaren Boliden mit Samthandschuhen. Aber weit gefehlt. Beim Trainingslauf über die Nordschleife fliegt er am Bergwerk ab und ramponiert leicht das Heck. Soll er deshalb auf das Rennen verzichten? „I wo, daran kein Gedanke.“ Also Start. Im Le-Mans-Stil. Die Piloten sprinten zu ihren Fahrzeugen. Und los. Mercedes gegen Bentley – die Revanche nach 80 Jahren. Natürlich Vollgas. Aber nicht mehr verbissen, nicht mehr unerbittlich. „Man fährt nur so schnell wie es geht, ohne etwas kaputt zu machen“, sagt Bernd Dimbath. Ohnehin lautet die Order der Rennleitung: „Passt auf euch und eure Fahrzeuge auf. Alles piano und mit Umsicht.“ Thomas Kern, der Zweitplazierte, nennt das „einen Fingerbreit Sport“. Und gesteht: „Mit diesen Elefanten ist nicht zu spaßen. Mein SSKL ist mir zwar wie an den Arsch gewachsen, und wenn ich ihn nahe am Limit fahre, dann bin ich mit allen Sinnen dabei. Aber es gibt eine haarfeine Grenze, die sagt mir: als Berufsrennfahrer wärst du mit dem Ding längst Frischer Lorbeer Für die Berenberg tot. Glück und Bank übernahm Kommunikationschef Pech zugleich – Karsten Wehmeier die Ehrung der Sieich bin eben zu ger Stanley Mann, Michael Rudnig und Thomas Kern (v.l.n.r.) spät geboren.“ s a l zbu r ge r F es t sp i e l e Fest und Spiel Die Salzburger Festspiele sind 90 Jahre alt geworden. Nike Wagner fragt: Ein Grund zum Feiern? N early Ninety“ heißt das letzte große Werk des amerikanischen Choreographen Merce Cunningham, weltweit gefeiert, wie das „Really Ninety“ der Salzburger, die erfolgreiche Riesenchoreographie aus Oper, Konzert und Schauspiel, eingebettet in strahlendes Kirchenbarock und eine Naturkulisse, die das enge Städtchen zur sprichwörtlichen „Auster“ machen, die sich jeden Sommer öffnet, um ihre Perlen aus „Fest, Geist, Musik und Spiel“ zu zeigen. Die elegante Welt trifft sich immer noch in Salzburg, international, vorwiegend münchnerisch und amerikanisch, häufig im Festdirndl, aber auch auf High Heels und in Miniröcken. Schlampiges Theaterschwarz oder Warhol-Bunt für die Herren haben sich eingebürgert. Immer noch gibt es die Mozartmatineen, Mozartopern, Mozartkugeln und Mirabell-Gärten, hallen die Jedermann-Rufe über den Domplatz. Aber auch zeitgenössisch-dissonante Klänge mischen sich in diese harmonia mundi und drastisches junges RegieTheater verbreitet „Szene“-Atmo. Wir flanieren die Ufer der Salzach entlang, rechter Hand das traditionsreiche Café Bazar mit seinem cremig-festen Wiener Eiskaffee und den Sacher-Würstln, links schweift der Blick die Felswände hoch zum trotzigen Museum der Moderne und mitten in die „schöne Stadt“ (Georg Trakl) zum Salzburg-Ärgernis schlechthin: einer Mozart-Plastik des Künstlers Markus Lüpertz, der zierliche genius loci als klobige Frauengestalt. Neunzig Jahre sind die Festspiele Lebensader dieser Stadt, versorgen sie mit Kunst-Blut, und der Dank der Wirtschaft bleibt nicht aus, das „Ehre sei Gott in der Höhe der Preise“, wie Karl Kraus schon 1922 zürnte, als er vor Wut über den Verbund von Religion, Kunst und Geschäft aus der katholischen Kirche austrat. Wieso kann man die 100-Jahr-Feier nicht abwarten? Das ältere Bayreuth, erlebte zum Zentenarium 1976 einen Umbruch in Stil und Gesellschaft, als der Avantgarde-Komponist Pierre Boulez den „Ring“ dirigierte und ein junger französischer Regisseur den Nationalmythos der Deutschen ins Industriezeitalter versetzte. Wie wollen die Salzburger sich selber toppen in zehn Jahren? Oder fließt der Euro einfach nur schneller ins Kulturtouristen-Paradies, wenn eine runde Dezimalzahl – egal welche – vor einer Saison klebt? Solcher Zahlenzauber hatte Salzburg zuletzt 2006 erfasst, als es im Mozartjahr 2006 gelang, die Zahl seiner Bühnenwerke in wunderbarer Weise von 16 auf 22 zu erhöhen und diese spektakulär, wenn auch zumeist nicht festspielwürdig, auf die Salzburger Bühnen zu stemmen. Wie immer. Werfen wir einen Blick zurück, um der Feierlaune gerecht zu werden. Wer hat hier nicht alles gesungen, dirigiert, inszeniert, getönt, gewirkt. Eine von der Berenberg Bank und dem Festspiel-Freundeskreis ermöglichte Ausstellung widmete sich in diesem Jahr dem Großen Salzburger Welttheater von A bis Z. Mit einem nostalgischen KulissenDefilee – audiovisuell aufbereitet – ist es aber nicht getan. Was wollten und sollten die Festspiele, wie lösten sie ihre Ansprüche ein? Als „Triumphpforte österreichischer Kultur“ waren sie vom legendären Theatermann Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal im Jahr 1918 erdacht worden, um dem gedemütigten Schrumpfstaat Österreich eine neue kulturell bestimmte Identität zu geben – ein „Friedenswerk“ sollten Jedermann jederzeit 55 s a l zbu r ge r F es t sp i e l e sie sein, das Scheitern der Monarchie über eine europäische Kulturpolitik kompensieren und die verlorenen Kronländer über ihre Künste wieder auffangen. Das aber war Anpassungsrhetorik, um politische und finanzielle Unterstützung für das Festspielprojekt zu bekommen. Denn „österreichisch sein“ bedeutete damals: deutsche Kultur haben. Und wenn Hofmannsthal das Wort „europäisch“ in seinen programmatischen Gründungs-Aufsätzen gebrauchte, so meinte er damit ein „idyllisches“ Europa vor der französischen Revolution, fern vom Chaos der Gegenwart, von Hunger und Inflation. G roßartig war die künstlerische Ausbeute der Anfangsjahre nicht. Hofmannsthal recycelte seine Bearbeitung eines englisches Moralspiels vom Everyman von 1911, Max Reinhardt erreichte die kirchliche Erlaubnis, diesen Jedermann vor dem Dom zu inszenieren, und der bei der Gründung der Festspiele mitbeteiligte Komponist Richard Strauss schaute zu. Hofmannsthal, Reinhardt und Strauss ignorierten den scharfen Wind der Geschichte, der ihnen durch die Künstlergeneration der neuen Sachlichkeit ins Gesicht blies. „An ihrem Ursprung um 1920 waren die Salzburger Festspiele ein Projekt der Antimoderne. In der prästabilierten Harmonie des barocken Welttheaters erblickten die Festspielgründer das Heilmittel, das die zerrissene Welt zumindest im Ästhetischen kitten sollte“, schreibt der Salzburger Theaterpublizist Andres Müry („Jedermann darf nicht sterben“). 56 Das Heilmittel wirkte. Von der Selbstdefinition der Österreicher als der „eigentlichen Kulturdeutschen“ war der Applaus für einen politischen Anschluss an Großdeutschland nicht mehr weit. Ab 1938 wurden die Festspiele zum Schauplatz nationalsozialistisch bestimmter Kultur, der Jedermann als Produkt eines Juden abgesetzt, Max Reinhardt ging ins Exil, und die „Arisierungsprofiteure“ Clemens Krauss, Wilhelm Furtwängler und Karl Böhm ersetzten Bruno Walter und Arturo Toscanini. Im Unterschied zu Bayreuth lebten die Salzburger Festspiele nach dem Krieg viel schneller – schon 1945 – wieder auf und von 1948 bis zu seinem Tod 1989 regierte das „Wunder Karajan“. Zunächst mit vielen interpretatorischen und künstlerischen Aufbrüchen – Oscar Fritz Schuh und Caspar Neher fürs zeitgenössische Musiktheater, der mäßig moderne Gottfried von Einem und eine hervorragende Sänger-Riege. Je länger die Ära Karajans aber dauerte, desto entschiedener nahm sie alleinherrscherliche Züge an, nicht nur im Breitwand-Bau des neuen Festspielhauses, in szenischer Stagnation. Die lähmende Karajan-Ästhetik offenbarte dessen Defizite in der Moderne und förderte die Interessen von Schallplattenindustrie und Tourismus. Salzburg boomte wirtschaftlich, auf die aktuelle Kunstdiskussionen hatte es sich nie eingelassen. Nach Karajans Tod mischte ein neues Leitungsteam das katholische Salzburg und seine selbstzufriedene Bussi-Bussi-Gesellschaft auf. Gérard Mortier und Hans Landesmann stellten sich dem Anspruch eines Festivals auf Gegenwärtigkeit und wechsel- Fotos: action press, Getty Images (3), picture-alliance/dpa (2) PR (2) Vergangene Größe Gründerjahre mit Bruno Walter, Thomas Mann und Arturo Toscanini (links) und Herbert von Karajan (rechts). Markus Lüpertz ärgert Salzburg mit einer Mozart-Skulptur (unten) Heimatloser Ödipus Klaus Maria Brandauer mit seinen Töchtern Antigone und Ismene Umjubelte Julia Salzburgs Superstar Anna Netrebko mit ihrem Romeo Pjotr Beczala ten von Karajans „Interpreten-Kultur“ zu einer „Werkkultur“, dem Interesse an der Sache selbst. Mortier hat Salzburg als „Werkstatt“ verstanden – wieso auch sollte man hier mehr von Mozart verstehen als anderswo? – und versichert, dass er nicht nach Salzburg gekommen sei, um „die Wirtschaftskammer zu befriedigen“. Die folgenden Intendanten milderten diesen Kurs und die verschreckte snob society fand sich wieder ein, angezogen von Namen wie Anna Netrebko und Ausstattungspomp. Doch ein Zurück zu Karajan konnte es nicht geben. Das weltweite Kooperationsgeschäft und der Zeitgeist ließ selbst verstockte Konservative unsicher werden, ob sie nicht etwa als ewig Gestrige zurückblieben. Der Oberammergau-Effekt des szenisch inzwischen sanft modernisierten „Jedermann“ – sollte das bei der ranzigen Moritat möglich sein! – mag geblieben sein, er ist nun einmal der „Parsifal“ Salzburgs, die sichere Nummer und finanziert das gesamte Schauspiel. Aber bisweilen gibt es sogar in der Oper, künstlerisch erfolgreich, die neue Musik (Luigi Nono), gar eine Uraufführung (Wolfgang Rihm): vorsichtige Schritte nach vorn. Aber man muss auch wissen, wer diese zu großen Teilen finanziert: Es ist die Konzert-Sparte mit ihrem sechsstelligen Betrag an die teure Schwester Oper. Diese Konzerte wiederum, in der Hand des Konzertdirektors Markus Hinterhäuser, eines Pianisten vornehmlich neuer Musik, verblüffen nun seit einigen Jahren die Konzertgemeinde durch phantasievoll-stimmiges Komponieren von Programmen aus neu und alt. Behauptungskultur jedoch ist auch in Salzburg die Regel: da wird behauptet, dass ein jährliches „Motto“ die Buntheit des Angebots sinnvoll ordne. Aber nur Programminseln der Konzert-Dramaturgie lösen diesen Anspruch ein, kleine Festivals innerhalb des großen. Es gibt durchaus „Moderne“ inmitten des antimodernen Salzburgs. Doch wie damals dem Deutschtum, wirft sich Salzburg dem Gott Mammon, wie er im „Jedermann“ auftritt – oder auch in neueren medialen Gewändern –, zu Füßen, nicht anders als viele andere Festivals, Bayreuth nicht ausgenommen. Muss das so sein? Die Salzburger Wirtschaftskammer beziffert die Umwegrentabilität der Festspiele auf 230 Millionen Euro jährlich, Kulturtourismus sei ein stark wachsendes Segment, schaffe Tausende von Arbeitsplätzen. Die Salzburger und die Bregenzer Festspiele bringen dem Staat rund 80 Millionen Euro an Steuern ein. Solchen Zahlen gegenüber ist jede Frage nach einem Kunstverständnis machtlos, und jede Behauptung, es gehe hier zentral um die Kunst, widerlegt. Immer noch ist das „Ehre sei Gott in der Höhe der Preise“ die stetig anschwellende Leitmelodie in Kultur und Politik. Salzburg wird bald hundert Jahre und hoffentlich ein bisschen weise: Ganze zehn Jahre hat es Zeit, um den Konsumbürger Jedermann in einen Zeitgenossen der Zukunft zu verwandeln. D i e Au to r i n Nike Wagner, 65, Musik-, Theater- und Litarturwissenschaftlerin, lebt in Weimar und Salzburg. Die Urenkelin von Richard Wagner (und Ur-UrEnkelin von Franz Liszt) hatte mehrfach ihren Anspruch auf die Leitung der Festpiele in Bayreuth angemeldet. Seit 2004 leitet sie die „Pélerinages“, das Kunstfest Weimar. 57 C l a u d i a S c h i ffe r Modell Deutschland Claudia Schiffer wirbt als Fahnen jungfer für das Land der Ideen Te x t : J o c h e n S i eme n s Das 250.000.000 Dollar Baby 58 E s ist schon sehr lange her, vielleicht 15 Jahre, als ich Claudia Schiffer einmal fragte, ob sie an diesem Tag und in dieser Stunde den Stand ihres Bankkontos kenne. Das war an einem Abend in einer New Yorker Hotellobby, Naomi Campbell lief vorbei, Christy Turlington saß zwei Tische weiter, die Modewelt schwappte in die Nacht. Claudia schaute mich ungerührt an und sagte: Ja. Auf den Pfennig genau? Ja. Aber sie müsse doch sicher mehrere Konten haben? Ja, und? Sie kenne alle. Damals war sie vielleicht 25, und es gab das Internet noch nicht wie heute, man konnte also nicht auf einem Laptop oder Handy seine Kontostände online sehen. Sie mache das, sagte sie, mündlich telefonisch. Es war die Zeit, als Claudia Schiffer schon sieben Jahre eine Karriere hatte; und es war auch die Zeit, als Schiffer zu der Riege von Supermodels gehörte, den neuen Model- stars also, die für einen Laufsteg-Auftritt 10.000 Dollar und mehr bekamen. Und Claudia hatte viele Laufsteg-Auftritte, New York, Paris, Mailand, sie war in fast jeder Schau jedes großen Designers zu sehen, sie war auf den Covern von Vogue, Elle und Harper’s Bazaar. Sie war so berühmt, dass es in New York oder in Paris Verkehrsstaus gab, wenn sie über die Straße ging. Es müssen also längere Telefonate gewesen sein, wenn sie ihre Kontostände kontrollierte. Es war aber auch die Zeit, in der sie, in Deutschland einmal befragt, was sie sich für 100 Mark kaufen würde, sagte: „Für 100 Mark? Da bekommt man nicht mal ein T-Shirt“, und von der auch der Satz überliefert ist: „Warum soll ich einem Taxifahrer Trinkgeld geben, den ich sowieso nie wiedersehe?“ Es war die Zeit, in der die Modewelt anfing zu raunen, „die Schiffer ist nur hinterm Geld her“, sie sei eine geistige Tochter des Geldhais Howard Hughes. Dass die Modelagenten und Designer sich leise beschwerten, war in Wahrheit laute Verlogenheit, denn wie in jedem anderen Geschäft geht es auch in der Mode nur und nochmal nur um Geld. Und dass eine noch nicht mal 30-jährige, 1,82 Meter große Blonde aus Deutschland selbst den Wert ihres Handschlags berechne 59 C l a u d i a sc h i ffe r N un mag man sich fragen, was für eine Abiturientin, die vielleicht Jura studiert hätte, an einem Modelberuf eigentlich so aufregend sein soll – Laufsteg rauf, Laufsteg runter, Kamera hier, bitte lächeln – und Claudia Schiffer wäre heute die erste, die sagen würde: Nichts. Es ist wirklich eine hohle Tätigkeit, es ist ein Gesicht und einen Körper verleihen. Aufregend daran ist dagegen das Geldverdienen, oder anders gesagt, sich selbst zum Vorstandsvorsitzenden des eigenen Körpers zu machen. Und wenn in der Modewelt immer wieder leise gelästert wird, Claudia Schiffer sei überschaubar unterhalt- 60 sam, aber unüberschaubar finanzversessen, kann man das auch umdrehen und sagen, Claudia Schiffer ist die ökonomische Kunst, aus blonden Haaren, einem 1,80 Meter langen Körper mit einer Architektur, bei der Gott beste Laune gehabt haben muss, 250 Millionen Dollar gemacht zu haben. Einmal saß ich mit ihr auf einem Balkon in Los Angeles, und wir sprachen wieder über Geld. Ich fragte sie, ob sie nicht längst ausgesorgt hätte. Sie war damals 29. „Darum geht es nicht“, sagte sie, „an den Summen, die ich verlange und die gezahlt werden, kann ich meinen Marktwert ablesen, sie sind sozusagen meine Marktforschung.“ Am Nachmittag waren wir dann in einem Studio in Venice Beach, wo sie fotografiert wurde, und der Fotograf machte Polaroids, um das Licht und die Posen zu testen, ab und zu konnte man viel von Claudias Busen sehen. Nach drei Stunden war alles fertig und alle wollten gehen und standen in der Tür, man verabschiedete sich. Claudia Schiffer drehte noch einmal um, sammelte die Polaroids, die teils schon im Mülleimer lagen, ein und nahm sie mit, „wer weiss, wo die sonst landen“, sagte sie. Nur ein Zentimeter zu viel Busen, hier von einem Assistenten oder der Putzfrau eingesammelt und irgendwo veröffentlicht, hätten den Marktwert Schiffer beschädigen können. Ihren Markt kontrollieren, beschützen, abzugrenzen und aufzuwerten, nichts anderes, was Mercedes mit sei- Durchsichtig und millionenschwer Lächelnd trägt das Unternehmen Schiffer seine Haut zu Markte Das Leben als Laufsteg, und jeder Schritt ist kalkuliert. Im Mai posierte sie hochschwanger für Vogue, vor 22 Jahren brachte sie Brigitte auf den Titel. Ein langbeiniges Erfolgsunternehmen als Körperschaft öffentlichen Interesses ner S-Klasse oder American Express mit seiner schwarzen Karte auch machen – das konnte man von Claudia Schiffer lernen. In London fragte ich sie einmal, warum sie so selten und ungern Interviews geben würde, Deutschland interessiere sich doch für sie, sie könne doch auf den Titelseiten wohnen.„Nein, auch wenn es gute Interviews im stern oder im Spiegel sein würden, sie nützen mir nichts. Mein Markt sind die Vogue oder die Elle, die großen edlen Magazine. Und die wollen sozusagen unter sich bleiben, da schadet mir zu viel normale Presse, weil mein Markt exklusiv bleiben soll.“ Überflüssig zu sagen, dass Claudia auch „normale“ Interviews nur macht, wenn es etwas zu verkaufen gibt, wenn also ein Shampoo oder ein Lippenstift erwähnt werden. Nur war sie da in der Vergangenheit nicht immer instinktsicher, und warb als erklärte Gesundernährerin und Mutter ausgerechnet für einen völlig überzuckerten Süßriegel für Kinder, der, davon kann man ausgehen, in ihrer Küche nicht zu finden sein wird. Fotos: picture alliance/dpa (5), Getty Images te, ärgerte die, die an diesem Handschlag verdienen wollten und nun erstmal selbst zahlen sollten. Von mir, so das Credo der Rheinberger Anwaltstochter, deren Vater die ersten Verträge formulierte, als sie 17 war, von mir gibt es nichts umsonst. Ob sie ihr Lächeln einfach so anknipsen könne, auch wenn es ihr nicht gut gehe, wurde sie einmal gefragt. „Ja, das kann ich“, sagte sie, „wenn es bezahlt wird“ hat sie dann nicht gesagt. Heute ist Claudia Schiffer 40 und lebt mit ihren drei Kindern und ihrem Mann, dem Filmproduzenten Matthew Vaughn, in London. Das Forbes Magazine schätzt ihr Vermögen auf 250 Millionen Dollar, Tendenz steigend, denn Claudia arbeitet immer noch, wenn auch weniger als früher und nur mit ausgesuchten Kunden wie Chanel oder L’Oreal. A ber das ist Werbung, und für Claudia Schiffer sind das Mechanismen einer Industrie, die Schein und nicht Sein verkauft. Man kann auch davon ausgehen, dass sie nie mit strohigen Splisshaaren zu kämpfen hat, von denen sie in der Werbung erzählt, und die nur von einem L’Oreal-Shampoo geheilt werden können. Früher, vor 12 Jahren, war ihr monetärer Sinn noch etwas gröber, als sie für für geschätzte 600.000 Mark eine private Modenschau für die Ehefrauen des libanesischen Kabinetts gab. Oder als sie für damals 200.000 Mark in der Slowakei einen Autobahnabschnitt eröffnete und mit dem damaligen Des- poten Vladimir Meciar über den Asphalt tanzte. Über die Slowakei sagte sie danach, sie hätte sich doch nur das schöne Land ansehen wollen. Später moderierte es Claudia Schiffer eleganter, als sie 2005 mit ihrem Sohn Caspar einen Werbespot für jenen besagten Süßriegel drehte, und man sich fragte, ob das schon Kinderarbeit sei. Nein, das habe sich ergeben, weil sie ihr Kind eben mit zur Arbeit nehme wollte und es sich an die Kameras gewöhnen könne, „außerdem gab es einen Beitrag für sein Sparschwein.“ Dass es dabei auch eine andere, eine 40-jährige vermögende Frau mit spendablem Gewissen gibt, weiß kaum jemand. So warb sie in Berlin mit ihrem Gesicht um Spenden für das Holocaust-Denkmal, unterstützte die Forderung nach einem Schuldenerlass für die ärmsten Länder und engagierte sich für die deutsche Knochenmark spenderdatei. So was macht sie ganz im Stil alter Upperclass – tu was und sprich nicht darüber. Aber auch um eine Schlange von Bittstellern zu vermeiden. Das Model Claudia Schiffer gibt es so lange, wie es das wiedervereingte Deutschland gibt. 1989 wurde sie erstmals für ein Cover der Elle fotografiert. Kurz danach saß ich mit ihr in Paris auf der Place de la Concorde auf dem Rand eines Brunnens, wir kannten uns nicht, und sie war 17, und ich fragte sie Teenager-Fragen. Was sie mögen würde, und was sie nicht ausstehen könne, so Sachen eben. Eine Antwort fand ich damals noch seltsam, „Schmarotzer, die überall mit essen gehen und nie bezahlen“ fände sie ganz schlimm, sagte sie, mit 17. Heute versteht man das. 61 B e r e n B e r g News HWWI/Berenberg-Städteranking 62 Platzierung 2010 Platzierung 2008 1. Frankfurt am Main 1. 2. München 2. 3. Düsseldorf 11. 4. Bonn 9. 5. Köln 7. 6. Wiesbaden 4. 7. Hamburg 7. 8. Berlin 24. 9. Dresden 5. 10. Hannover 15. 11. Leipzig 25. 12. Aachen 14. 13. Karlsruhe 6. 14. Nürnberg 17. 15. Münster 21. 16. Stuttgart 3. 17. Duisburg 21. 18. Bremen 16. 19. Augsburg 12. 20. Dortmund 10. 21. Essen 19. 22. Braunschweig 20. 23. Mannheim 13. 24. Kiel 25. Gelsenkirchen 28. 26. Mönchengladbach 18. 27. Bielefeld 28. Wuppertal 23. 29. 29. Bochum 30. Chemnitz 27. 30. Quelle: HWWI/Berenberg-Städteranking Foto : Getty Images S tädte sind Motoren des regionalen Wachstums. Ihre Zukunftsfähigkeit entscheidet über die Rolle, die Deutschland künftig im internationalen Wettbewerb spielen wird. Die deutschen Städte haben in den kommenden Jahrzehnten strukturelle Veränderungen zu bewältigen. Ihre ökonomischen Perspektiven hängen entscheidend davon ab, wie sie die Auswirkungen der demografischen Entwicklung in den Griff bekommen, und wie sie den fortschreitenden Wandel zu wissens- und forschungsintensiven Produktionsweisen bewältigen werden. In der Tendenz stärkt dieser Strukturwandel die Bedeutung der Städte vor allem, wenn es ihnen gelingt, als Impulsgeber für regionales Wachstum, den Unternehmen der Wissenswirtschaft attraktive Standortbedingungen zu bieten. Das Qualifikationsniveau der Stadtbevölkerung ist vergleichsweise hoch, Universitäten und Forschungseinrichtungen befinden sich überwiegend in urbanen Zentren. Die räumliche Nähe von Unternehmen in den Städten fördert den Wissens- und Erfahrungsaustausch, sowie Innovation und Weiterentwicklung von Technologien. Das aktuelle HWWI/Berenberg-Städteranking (vgl. Abbildung) analysiert die Standortbedingungen der 30 größten deutschen Städte im Hinblick auf wirtschaftliche und demografische Dynamik, Bildung, Internationalität und die Erreichbarkeit europäischer Agglomerationen. Die Ergebnisse der Studie zeigen stark ausgeprägte Unterschiede der Standortbedingungen sowie der ökonomischen und demografischen Dynamik. Das Spitzenduo bilden, wie bereits im HWWI/Berenberg-Städteranking 2008, Frankfurt am Main und München aufgrund ihrer hervorragenden Standortfaktoren und der günstigen demografischen Aussichten. Beide Metropolen punkten in ihrer Internationalität, die sich in ihrer Attraktivität für Studenten und Touristen aus dem Ausland zeigt. Frankfurt am Main bleibt als internationales Verkehrsdrehkreuz in der Spitzenposition unerreicht. Seine hohe Wirtschafts- und Bevölkerungsdynamik brachte Düsseldorf im Vergleich zur Untersuchung aus dem Jahre 2008 vom elften auf den dritten Platz. Auschlaggebend waren die inzwischen sehr guten Voraussetzungen für Unterneh- men der Wissenswirtschaft. Auf den Plätzen vier bis fünf folgen mit Bonn und Köln zwei weitere Städte aus Nordrhein-Westfalen. Hervorzuheben sind zudem die Platzierungen von Berlin, Leipzig und Dresden, in denen sich in der jüngeren Vergangenheit ein deutlicher ökonomischer und demografischer Aufwärtstrend zeigt; auch die Zahl der Arbeitsplätze ist deutlich gestiegen und die Zukunftsperspektiven sind günstig: die demografischen Prognosen für diese drei Städte gehen von einer weiteren Zunahme der Bevölkerung aus. Für die Städte an der Spitze des Rankings können die ökonomischen Entwicklungsperspektiven in der nahen Zukunft als sehr günstig bewertet werden, weil sie in keinem der betrachteten Bereiche ausgeprägte Defizite aufweisen. Am unteren Ende der Skala befinden sich mit Mönchengladbach, Bielefeld, Wuppertal, Bochum und Chemnitz Städte, die in den Bereichen Bildung und Internationalität deutliche Standortnachteile haben sowie bei der Arbeitsplatzentwicklung zurückbleiben. Zudem stellen sich die demografischen Trends in diesen Städten ungünstig dar, was in der Tendenz ihre ökonomischen Entwicklungspotenziale negativ beeinflusst. Der Unterschied zu den wachsenden Städten in der oberen Hälfte des Rankings ist signifikant. Zahlreiche Städte sind in ihren Standortfaktoren deutlich abgeschlagen, insbesondere in ihrer Ausstattung mit der Schlüsselressource „Wissen“. Berlin hat sich etabliert Foto: Mareike Suhn Die Spitze setzt sich deutlich ab Karsten Saft, Immobilienexperte der Berenberg Bank, über Gewinner und Verlierer im Wettbewerb der Städte Zum zweiten Mal hat die Berenberg Bank zusammen mit dem HWWI Deutschlands Großstädte auf ihre Zukunftsfähigkeit hin untersucht. Wer sind die Gewinner? Zu den deutlichsten Aufsteigern zählen Berlin, Leipzig und Düsseldorf. Berlin hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut als Immobilienstandort etabliert. Die Mieten in Berlin-Mitte sind in zahlreichen Teilmärkten rapide gestiegen und liegen nun teilweise gleichauf mit Hamburg. In Berlin wird es nach unserer Einschätzung in den kommenden Jahren zu weiteren Preissteigerungen kommen. Die Hauptstadt ist im nationalen und auch im internationalen Vergleich einfach unterbewertet gewesen. An der Spitze etabliert haben sich Frankfurt und München, aber auch Köln, Bonn, Wiesbaden und Hamburg zählen beständig zur Spitzengruppe. Wo lohnt es sich Ihrer Meinung nach besonders, in Immobilien zu investieren? Ganz vorn sehen wir nach wie vor München und Hamburg. Sie sind nach unserer Einschätzung die beiden nachhaltigsten Standorte für Immobilieninvestitionen. München belegt beim Zuwanderungssaldo in den letzten sechs Jahren mit + 76.018 Platz eins und Hamburg mit + 52.955 Platz drei. Dies spiegelt besonders die steigende Attraktivität dieser Städte wider und symbolisiert ihre Verankerung als „regionale Wachstumspole“. Gerade wurde Hamburg zur Umwelthauptstadt Europas 2011 gewählt und ist somit auch international ein Vorbild. Gibt es auch klare Verlierer? Gibt es Standorte, an denen Sie nicht in Immobilien investieren würden? Aus unserer Sicht gibt es fast überall gute Lagen, an denen es sich lohnen kann, in Immobilien zu investieren. Es bedarf jedoch einer sehr genauen Standortprüfung. Generell würde ich immer von Investitionen abraten, wenn man als Investor nicht über lokale Kenntnisse verfügt oder entsprechende Berater hat. Welche Platzierung im Städte-Ranking hat Sie besonders überrascht? Überrascht hat mich das Abrutschen von Stuttgart von dem ehemals dritten auf den 16. Platz. Ich halte Stuttgart für einen sehr attraktiven Immobilienstandort. Interessant wird die Frage sein, ob und wie sich „Stuttgart 21” auf den lokalen Immobilienmarkt auswirken wird. 63 K o l um n e : sc h m i e d i n gs B l i c k Deutschland: Ein goldenes Jahrzehnt als Lohn der Mühe 64 betriebe sich mehr als sonst bemüht haben, ihre Stammbelegschaft zu halten. Aus dem Ausland wird uns manchmal vorgehalten, Deutschland habe seine jüngsten Erfolge auf Kosten seiner Handelspartner erzielt. Wie bei vielen letztlich absurden Thesen steckt ein Körnchen Wahrheit darin. Jeder Arbeitnehmer, der sich weiterbildet, jedes Unternehmen, das seine Kosten senkt, jedes Land, das Strukturprobleme angeht, verbessert damit seine Position im Wettbewerb mit anderen. Deutschland ist wieder ein Standort, an dem es sich für Unternehmen lohnt, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber geht dies wirklich zu Lasten anderer? Nein. Wenn jeder sich weiterbildet, wenn alle Unternehmen auf die Zeichen der Zeit reagieren, wenn alle Staaten ihr Haus in Ordnung bringen, kann letztlich der Wohlstand aller steigen. Stellen wir uns einmal vor, Deutschland hätte die Wende am Arbeitsmarkt nicht geschafft. Dann hätten wir nach dem schärfsten Konjunktureinbruch der letzten sechzig Jahre jetzt wieder weit mehr Arbeitslose als zuvor, über den bisherigen Negativrekord von fünf Millionen Anfang 2005 hinaus. Deutschland ist die mit Abstand größte Wirtschaft Europas. Könnte es für unsere Nachbarn wirklich besser sein, wenn ihr wichtigster Absatzmarkt jetzt sechs statt drei Millionen Arbeitslose hätte? Deutschland kann auf ein goldenes Jahrzehnt hoffen. Aber wenn wir nicht aufpassen, könnte dies der Schwanengesang unserer Wirtschaftskraft werden. Angesichts unserer niedrigen Geburtenrate und angesichts unserer Schwierigkeiten, manche Einwanderer voll in unseren Arbeitsmarkt zu integrieren, brauchen wir weitere Reformen, um den Wohlstand unserer alternden Gesellschaft zu sichern. Leider ist es nur allzu menschlich, sich auf Erfolgen auszuruhen. Angesichts der besseren Arbeitsmarktlage schwingt das politische Pendel langsam wieder von Reformen zum Stillstand oder sogar zum Rückschritt. Wenn wir den Arbeitsmarkt wieder mehr regulieren, auch durch immer mehr politisch gesetzte Mindestlöhne, wenn wir das Einstiegsalter in die Rente nicht voll an die steigende Lebenserwartung anpassen oder generell wieder mehr Staatswohltaten verteilen, als wir uns leisten können – dann könnte Deutschland in einigen Jahren wieder zurückfallen. D r . H o l ge r S c h m i e d i n g i s t se i t 1 . O k t o be r C h efv o l k sw i r t d e r B e r e n be r g B a n k . Z uv o r w a r e r C h efv o l k sw i r t E u r o p a d e r B a n k o f Ame r i c a M e r r i l l Ly n c h . Foto: Mareike Suhn Deutschland hat es geschafft. 40 Jahre lang ging bei uns der Trend in die falsche Richtung. Von Abschwung zu Abschwung stieg die Zahl der Arbeitslosen immer höher, während sich die langfristigen Wachstumsaussichten immer weiter eintrübten. Jetzt haben wir unser größtes Wirtschaftsproblem in den Griff bekommen: den Arbeitsmarkt. Seit dem Höchststand von über fünf Millionen Anfang 2005 ist die Arbeitslosigkeit bis zum Herbst 2010 um nahezu zwei Millionen gesunken, trotz der Lehman-Krise zwischendurch. Deutschland kann auf ein goldenes Jahrzehnt hoffen mit mehr Wachstum, weniger Arbeitslosen, einem solideren Staatshaushalt und mehr Spielraum für den privaten Verbrauch. Anders als früher kann der Trend, um den unsere Konjunktur schwankt, jetzt nach oben statt nach unten weisen. Diesen Erfolg haben wir uns mühsam erarbeitet. Während die Verbraucher in den USA, Großbritannien und Spanien nach 2003 eine rauschende Party auf Pump feierten, haben wir den Gürtel enger geschnallt. Mit schmerzhaften Einschnitten bei den Sozialleistungen und einer ausgeprägten Sparpolitik haben wir den Staatshaushalt weitgehend saniert. Mit den Hartz-Gesetzen haben wir den Unternehmen mehr Chancen eingeräumt, neue Arbeitsplätze zu schaffen, auch über Zeitarbeit. Gleichzeitig haben wir den Menschen mehr Anreize gegeben, Arbeit aufzunehmen, selbst wenn sie nicht gut bezahlt wird und mancher Lohn vom Staat aufgestockt werden muss. Viele deutsche Unternehmen hatten lange Zeit keine Wahl gesehen: Um dem Kostendruck daheim auszuweichen, mussten sie weitere Arbeitsplätze nach Osteuropa oder Asien verlegen. Nach der Rezession von 2001/2002 ist es ihnen aber zunehmend gelungen, mit ihren Belegschaften flexiblere Regeln für den Arbeitseinsatz bei uns auszuhandeln. Gleichzeitig haben die Gewerkschaften einen Stillstand oder sogar leichten Rückgang im Lebensstandard vieler Arbeitnehmer akzeptiert. Anders als nahezu überall sonst in der westlichen Welt sind die Löhne in Deutschland nicht stärker gestiegen als die Preise. So konnten die Unternehmen den Produktivitätsfortschritt nutzen, um Kostennachteile auszugleichen. Seit Ende 2007 ernten wir die Früchte unserer Mühsal. Deutschlands kleines Jobwunder geht weit über die normale Konjunktur hinaus. Nach der Lehman-Pleite haben bei uns weit weniger Menschen ihre Arbeit verloren als in früheren Abschwüngen. Einiges davon können wir dem Puffer Kurzarbeit zurechnen. Noch wichtiger aber war, dass Industrie- B e r e n be r g News „Baggern“ für den guten Zweck: 55.000 Euro für Kinder 120.000 Euro für Beckenbauer Stiftung Anlässlich der Eröffnung unserer Salzburger Repräsentanz fand das erste Berenberg Bank Invitational zugunsten der Franz Beckenbauer Stiftung im Golfclub Mondsee statt. Zusammen mit unseren Gästen gingen Sport-Größen wie Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Costantino Rocca, Franz Klammer, Hansi Hinterseer und Sven Ottke an den Start. „Wir freuen uns, dass dank der großartigen Unterstützung unserer Partner die phantastische Summe von 120.000 Euro zusammengekommen ist, die nun der Franz Beckenbauer Stiftung zur Verfügung gestellt wird“, so Dr. Hans-Walter Peters. Maßgeblichen Anteil daran hatten der Unternehmer Frank Stronach sowie Hans Peter Porsche. Extra für dieses Turnier aus Südkorea angereist war FIFA-Vizepräsident Dr. Mong-Joon Chung. „Mit dieser großartigen Summe können wir Menschen helfen, mit denen das Schicksal nicht so großzügig umgegangen ist wie mit uns – körperlich und geistig Behinderten und unverschuldet in Not geratenen Menschen“, sagte Franz Beckenbauer sichtlich bewegt beim anschließenden Dinner auf Schloss Fuschl. Dazu überraschte Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler Thomas Gyöngyösi, den Leiter der Berenberg-Repräsentanz Salzburg, und seine 160 Gäste mit einem musikalischen Highlight: „Don Giovanni“ Christopher Maltmann zeigte wenige Tage vor Eröffnung der Salzburger Festspiele eindrucksvoll sein Können. Spitzen-Research Europas Finanzszene kürte die Berenberg Bank gleich in drei Kategorien zum besten Dienstleister im Bereich deutsche Small- und Mid-Cap-Unternehmen: Platz eins für Research, Sales und Corporate Access. Das Berenberg Investment Banking hat sich in den letzten Jahren insbesondere bei deutschen Nebenwerten einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Das bestätigte die Umfrage unter 9200 Fondsmanagern und Investoren durch Thomson Reuters. In der Gesamtwertung der Aktienanalysen deutscher Unternehmen belegte Berenberg nach Commerzbank und vor Deutscher Bank Platz 2. Berenberg erstellt derzeit Research über 200 Unternehmen in 17 Sektoren und will diese Zahl in den nächsten Monaten auf 400 verdoppeln. I h r e A n sp r ec h pa r t n e r Berenberg Bank · Neuer Jungfernstieg 20 · 20354 Hamburg Private Banking: Michael Otto (040) 350 60-513 Investment Banking: +44 20 3207-7800 Commercial Banking: Andreas Schultheis (040) 350 60-441 Asset Management: Tindaro Siragusano (040) 350 60-713 Niederlassung Bielefeld · Welle 15 · 33602 Bielefeld Volker Steinberg (0521) 97 79-100 Repräsentanz Braunschweig · Vor der Burg 1 · 38100 Braunschweig Torben Friedrichs-Jäger (0531) 120 582-20 Niederlassung Bremen · Hollerallee 77 · 28209 Bremen Thomas Müller (0421) 348 75-11 Niederlassung Düsseldorf · Cecilienallee 4 · 40474 Düsseldorf Raymund Scheffler (0211) 54 07 28-10 66 Aigner Niederlassung Frankfurt · Bockenheimer Anlage 3 · 60322 Frankfurt/Main Lars Andersen (069) 91 30 90-13 Niederlassung München · Possartstraße 21 · 81679 München Carsten Gennrich (089) 25 55 12-100 Niederlassung Stuttgart · Panoramastraße 17 · 70174 Stuttgart Oliver Holtz (0711) 490 44 90-10 Repräsentanz Wiesbaden · Wilhelmstraße 12 · 65185 Wiesbaden Albrecht von Harder (0611) 711 85-10 Repräsentanz Salzburg · Sigmund-Haffner-Gasse 16 · 5020 Salzburg Thomas Gyöngyösi +43 662 444 000-11 Berenberg Bank (Schweiz) AG · Kreuzstrasse 5 · 8034 Zürich Jens Schütrumpf +41 44 284 21-84 Fotos: Marko Pauleweit, Wolfgang Meindl Berenberg-Golfturnier: Bereits zum dritten Mal engagierten sich die Mitarbeiter der Berenberg Bank für den guten Zweck: Wer beim BerenbergKids Beachvolleyball teilnehmen wollte, musste sich vorher beim Spenden sammeln ordentlich ins Zeug legen: 55.000 Euro kamen so zusammen! Unterstüzt wurde die gute Sache auch durch Tagesschau-Sprecher Marc Bator, Box-Weltmeisterin Ina Menzer und Sängerin Gabriela Gottschalk, die mit Berenberg Partner Andreas Brodtmann spielten ( Foto). Insgesamt sammelten die Mitarbeiter der Berenberg Bank seit 2007 über 400.000 Euro für Kinder. Darüber hinaus engagieren sie sich aber auch mit direkter Hilfe. Rub r i k
© Copyright 2024 ExpyDoc