Ein ganzer Mann - Business Montres

Ein ganzer Mann
Für nichts, was der Mann am Körper trägt, ist er bereit, so viel Geld auszugeben wie für Uhren.
Was macht die noblen Zeitanzeiger für Männer so unwiderstehlich?
Von Claudia Schumacher
Es ist nicht nur eine Frage des Stils. Der Unterschied fällt buchstäblich ins Gewicht: Eine
diamantbesetzte Platin-Rolex hängt schon
einmal ein Viertelkilo schwerer am Handgelenk als eine federleichte Patek Philippe, gemacht aus dem reinen, so markentypischen
Understatement – wohlgemerkt: ein Understatement für um die 30 000 Franken aufwärts.
Was fasziniert insbesondere Männer an
Uhren, und was macht die Uhr mit dem
Mann? Warum sind gerade auch die sparsamen, bescheidenen Schweizer so verliebt in
die luxuriösen Statussymbole und bereit,
horrende Summen für sie auszugeben?
«Natürlich hat die Technik einer Patek Philippe mit mehreren Komplikationen, also mit
diversen Zeitfunktionen wie einer Datumsrepetition oder einem ewigen Kalender, auch ihren
Preis in der Herstellung», sagt der smart auftretende Verkaufsleiter der Genfer Uhrenmanufaktur in der Boutique in Zürich. Frische Blumensträusse. Feine Lindt-Schokolade auf jedem
Kundenberatungstisch. Getränke werden gereicht. Cremefarbenes Leder. Edelholz. «Aber
der Preis erklärt sich bei Uhren schon nicht allein über die Technik und das Material.» Es sei
«die Geschichte», für die der Käufer auch zahle.
«Eine Patek Philippe gehört einem nie ganz
allein. Man erfreut sich ein Leben lang an ihr,
aber eigentlich bewahrt man sie schon für die
nächste Generation.» – So der schöne Werbespruch. Der Hersteller der vielleicht elegantesten Uhren auf dem Markt setzt auf konservative
Familienbilder und die Betonung von Tradition.
Grosses Storytelling
Anders Rolex: Die bislang noch vor der Smartwatch von Apple erfolgreichste Uhrenmarke
der Welt hat die Sportuhr erfunden. 1927
schwamm die englische Schwimmerin Mercedes Gleitze durch den Ärmelkanal. An ihrem
Handgelenk: die «Oyster» von Rolex, die erste
wasserdichte Uhr der Welt. Ein mediales Ereignis, welches das Image der Marke prägte
(und in der historischen Werbewirkung vielleicht nur noch getoppt wird vom Medienereignis, das Omega einst für sich zu nutzen
wusste: Die «Speedmaster Professional» war
die erste Armbanduhr auf dem Mond).
Seither wird Rolex stark mit Wassersport
assoziiert. Und als bekannteste Luxusuhrenmarke: auch stärker einfach mit der Anwesenheit von Geld. Lange drückte sich das auch
darin aus, dass Rolex die grössten Uhren
machte, es also tatsächlich viel teures Material
52
um das Handgelenk gab. Mittlerweile stellen
IWC Schaffhausen und Hublot die grösseren
Uhren her und damit die vielleicht noch offensichtlicheren Chefmodelle.
Am stärksten mit klassischen Vorstellungen
von Maskulinität und einem Hauch Machismo
verbunden ist wohl Breitling. In der Werbung
werden Flieger und sexy Girls bei heissem Wetter gezeigt, die miteinander flirten. Die Marke
sponsert Red-Bull-Rennpiloten. Bei Promo-Veranstaltungen hat Breitling die reizendsten Hostessen. In der Marketingabteilung des Familienunternehmens arbeiten junge, virile Männer.
Das Uhrendesign setzt auf kräftige Eleganz.
Herr der Zeit
Schneidigkeit, Sex-Appeal und Aviatik: Das ist
hier die Marke. CEO Jean-Paul Girardin fliegt
selbst Hubschrauber. Gerade ist Breitling mit
Swiss eine Kooperation eingegangen. Auf der
Boeing 777 sind alle Uhren von Breitling, auch
die am Handgelenk der Piloten. Natürlich hat
Breitling passend dazu eine limitierte Uhrenedition herausgebracht, die das Flugzeug auch
preislich reflektiert: 7077 Franken kostet die
«Navitimer Swiss Boeing 777» – während die
normale «Navitimer» je nach Ausstattung
mindestens einen Tausender günstiger ist.
Wenn man sich überlegt, was die ganze Arbeit am Storytelling, an der Marke, am Image
kostet – und was es wohl kostet, dass ein John
Travolta eine Breitling oder eine Cara Delevingne eine Tag Heuer trägt: Dann wird der
Preis von Luxusuhren relativ nachvollziehbar.
Schön sind sie ja irgendwie alle. Grosse
Schweizer Handwerkskunst. Aber der Uhrenträger zahlt stärker für das Statement, das er
mit der Uhr machen kann, als für die Technik
und das Material. Was für eine Art Mann bin
ich? Der Gebildete, der Sportliche, der klassisch Maskuline? Verschiedene Uhren geben
verschiedene Antworten. In manchen Gesellschaftsschichten dienen sie auch als Initiationssymbol: Der junge Mann bekommt zur
Konfirmation oder zum Schulabschluss eine
Uhr von den Eltern. Oder er kauft sie sich später nach ein paar erfolgreichen Jahren im Beruf selbst und sagt damit: «Ich bin jetzt jemand. Ich bin ein ganzer Mann.»
Am häufigsten hört man: Die Uhr ist das so
ziemlich einzige Schmuckstück, das ein Mann
tragen kann. Natürlich spielt da auch die männliche Neigung hinein, sich von technischen Spielereien verzaubern zu lassen. Nicht umsonst
wird das Uhrwerk mit der sich schnell bewegen-
den Unruh oft auf der Rückseite des Gehäuses
hinter Glas gezeigt. Es sieht nicht nur hübsch
aus. Es fasziniert, was da passiert. Die Bewegung
der Zeit in vielen kleinen Rädchen wird sichtbar.
Und Hersteller wie Patek Philippe hören nie auf,
sich neue «Komplikationen», wie sie ihre technischen Finessen nennen, für mechanische Uhren
auszudenken. Darüber hinaus spricht die Uhr
archaische Instinkte an. Während die Frau eher
beherzt in eine edle Handtasche investiert, in der
man ganz viele Dinge sammeln kann, steht die
Uhr für Kontrolle, Struktur und Orientierung:
Sie ordnet die Zeit. Wer sie trägt, hat das Gefühl,
er könne ihrer Herr werden. Mit einer Rolex am
Handgelenk lebt man nicht in den Tag hinein.
Man hat etwas vor.
Was nicht heisst, dass es kein luxuriöses
Uhrenbrand für Lebemänner, Libertins und
bunte Vögel geben würde. Im Laden von Maurice de Mauriac, dem kleinen Nischenplayer
made in Zurich, findet sich ein buntes Sammelsurium an Fotobänden ein, an Fundstücken von
überall her, Tennisbällen, Modellen von Rennautos und Booten sowie natürlich: an Lederbändern in allen erdenklichen Farben, von Schwarz
über Grün zu Pink, dazu Uhren, Uhren, Uhren.
Auch ausgefallene Sachen, wie ein Ziffernblatt,
auf dem «Run DMC» steht. Vielleicht die einzige
Luxusuhr auf dem Markt, die einer Hip-HopBand huldigt. Gründer Daniel Dreifuss pflegt einen fröhlichen Eklektizismus. «Mein Sohn, der
gerade die Kunsthochschule besucht, sagt immer: ‹Daddy, du machst es genau so, wie wir immer lernen, dass man kein Geschäft aufziehen
kann›», lacht er. Die Tür geht auf, und es kommt
ein Kunde herein, der in seiner Freizeit gerne
abenteuerlich reist und der Fliegenfischerei
nachgeht. Es gibt wohl kaum einen männlichen
Lebensentwurf, der nicht von irgendeinem
Schweizer Uhrenhersteller reflektiert würde.
Und was ist mit Markenfans, denen das nötige Kleingeld für eine allerschönste Uhr fehlt,
können die sich wenigstens ein Merchandising-Produkt kaufen? Zum Beispiel diesen
schwarzen Lederuntersetzer da, auf dem «Patek Philippe» steht? «Es gibt kein Merchandising», schmunzelt der smarte Verkäufer in der
Patek-Philippe-Boutique. «Das sind Geschenke – für unsere Kunden.» Ein bisschen dazugehören, das geht leider nicht. Einem jungen Interessenten, der soeben begeistert eine Uhr
anprobiert hat, dann aber mit wehmütigem
Blick ohne Kauf den Laden verlässt, steckt der
Verkäufer jedoch noch freundlich wie zum
g
Trost eine feine, kleine Schokolade zu.
Weltwoche Nr. 11.16
1
3
5
5
2
Empfehlungen
Welche Uhr?
Grégory Pons, Chefredaktor
der unabhängigen Schweizer
Uhrenpublikation Business
Montres & Joaillerie, stellt seine
liebsten Uhren der Saison vor.
1. Haldimann H11 Centralbalance 3 Hands _
Bei Haldimann vererbt sich die Freude am
Uhrenmachen vom Vater auf den Sohn seit
1642. Es handelt sich um das älteste Uhrenatelier der Schweiz. Am Thunersee scheut Beat
Haldimann weder die Tradition noch die Moderne. Gleichzeitig weist die Uhr einen mechanischen Fortschritt auf: Es ist das erste Mal,
dass eine Unruh (Bauteil eines mechanischen
Uhrwerks) im Zentrum platziert wurde – und
das, ohne die Zeiger aus dem Zentrum zu verschieben. Preis: 20 000 bis 50 000 Franken.
Weltwoche Nr. 11.16
Bild: Swisstime
4
2. Bulgari Octo Ultranero Finissimo
Tourbillon _ Das schwarze Titangehäuse
ist gerade so dick wie ein Fünffrankenstück.
Diese Zierlichkeit und die zeitgenössische
Linienführung machen sie zu einer der
elegantesten Uhren auf dem Markt. Ein
Hauch Roségold fängt den Blick ein und
lenkt ihn auf das fliegende Tourbillon – ein
flacheres wurde in der Schweiz übrigens
noch nie realisiert. Preisspanne: 50 000 bis
150 000 Franken.
3. Patek Philippe Nautilus Réf. 5711 _ Eine
Legende unter den Uhren, zum Preis eines
guten Autos: Vierzig Jahre nach ihrer
Lancierung erscheint die «Nautilus» ganz in
Roségold. Wunderbar harmoniert damit das
Braun des Ziffernblatts. Selbstverständlich
weist diese Automatikuhr mit der idealen
Grösse von 40 mm nicht mehr als drei Zeiger
und eine Datumsanzeige auf. Klassisch
reduziert. Eine Uhr zum Vererben. Preis:
45 000 Franken.
4. Carrera Heuer-02T Black Phantom _
Zum ersten Mal wird ein mechanischer Tourbillon-Chronograf aus der Schweiz unterhalb
der Preisgrenze von 20 000 Franken angeboten. Titangehäuse, schwarz-graues Design,
Manufakturfertigung. Dazu ein Tourbillon
von einer Präzision, die staunen lässt. Preis:
knapp unter 20 000 Franken.
5. Silvana Lady Lemarbre _ Und weil sie
einfach so schön ist, hier noch eine Damenuhr.
Sie stammt von der alten Schweizer Familienmarke Silvana, gegründet 1898 und vor kurzem neu lanciert von einem Schweizer Team
aus dem Umfeld der Familie Kirchhofer, der
berühmten Uhrenhändler aus Interlaken. Bei
Silvana weiss man offenbar, was Frauen erwarten, die Uhren tragen: keine Divenhaftigkeiten und keine seelenlosen Banalitäten. Die
«Lady Lemarbre Swiss made» ist eine automatische Uhr mit roségoldenem Gehäuse,
Perlmutt-Ziffernblatt und römischen Ziffern.
g
Preis: bei 700 Franken.
53