Die Unsicherheit ist groß

Nr. 75 / Rhein-Neckar-Zeitung
WIRTSCHAFTS−MAGAZIN
Dienstag, 31. März 2015
Die Uhr ist
nicht genug?
Ein Bekenntnis zum
klassischen Zeitmesser
Patek Philippe Pilotenuhr, WG, Ref. 5524,
Automatik, stundenweise Schaltung des Ortszeit-Stundenzeigers in beide Richtungen.
Omega Seamaster „James Bond“. Schießen
kann sie nicht, ist aber magnetfeldresistent und
den Rotor ziert der Boden einer Patronenhülse.
Hommage an die frühen Chronographen von
Heuer: die Neuauflage der Carrera 2 mit Telemeter-Skala und 30-Minuten-Totalisator.
Glashütte Original bietet die PanoMaticLunar mit dem Panoramadatum in Stahl mit modisch blauem Zifferblatt an.
Die Unsicherheit ist groß
Die Uhrenbranche reagiert auf die Herausforderung der Smartwatch – digital, nervös, oder mit dem,
was sie am besten kann – Ein Bericht von der Messe „Baselworld“
Von Manfred Fritz
Thierry Stern ist vor Journalisten gerade
so schön am Erzählen, als ein Mitarbeiter sein Handy hochhält. „Ist mein Vater
dran?“, fragt er. Gelächter. Bisher war der
Senior-Präsident des Branchen-Primus
Patek Philippe immer selbst zum Auftakt der Baselworld dabei. Aber seit einiger Zeit führt sein Sohn das Genfer Uhrenhaus. Was man auch an den Uhren ablesen kann.
zurück zu Thierry Stern. Denn so wie er,
besinnen sich große Namen genau darauf, die gute Uhr auch bei den Jüngeren
zum Thema zu machen. Piloten-, Taucher- und jede Form von sportlichen Uhren sind „hipp“. Auf der anderen Seite
lässt sich aber auch ein neuer Minimalismus mit schlichten Zwei-Zeiger-Uhren beobachten. Die Farbe Blau flutet die
Zifferblätter. Kleinere und flachere Gehäuse sind gefragt.
Omega hat das Pferd am konsequen-
den ist auch eine verlängerte, vierjährige
Garantie.
Die Bieler Marke setzte in Basel neben der erstmaligen Lancierung zweier
„Master Chronometer“ (Globemaster und
Taucheruhr Ploprof) die endlose Geschichte seiner Speedmaster „Moonwatch“ in schwarzer und weißer Keramik fort. Spektakulärer die neue „BondUhr“ aus der Seamaster Aqua-Terra-Familie mit Anspielungen auf den Geheimagenten, der demnächst im 24. Film
Connected: Die Smartwatch von Frederique
Constant sieht aus wie eine Uhr, ist aber mit
den Handy verbunden und misst Körperfunktionen.
Quarzgetrieben, aber mit praktischem Großdatum: der Chronograph von Alpina aus der
Serie „Startimer Pilot“ im Military-Look.
Zum 100. Geburtstag des separaten Chronographen-Drückers präsentiert Erfinder Breitling die Transocean 1915 mit Handaufzug.
Eine typische Einsatzuhr mit vielen technischen Feinheiten ist die U212 von Sinn in
Frankfurt, dieses Modell ist auf 300 limitiert.
Wiedersehen: Die puristische „Museumsuhr“
von Movado erlebt eine Renaissance in Stahl;
der Punkt bei „12“ steht für die Sonne.
Denn Thierry Stern erklärt gerade das
Highlight der Messe: Patek hat eine Pilotenuhr mit zweiter Zeitzone und amagnetischer Silizium-Spirale kreiert, die
man über zwei Drücker leicht bedienen
kann – plakativ, ein wenig nostalgisch,
sehr begehrenswert. Natürlich nicht
in Stahl, sondern in Weißgold. Und für
41 000 Euro kein Schnäppchen. Auch gibt
es schon Fliegeruhren. Aber bislang keine, auf der Patek Philippe steht. Das ist
ein Unterschied. Angesicht der traditionellen Kollektion der Edelmarke wirkt
das fast so, als ob der Papst in Sportschuhen zur Generalaudienz käme.
Aber in der zentralen Neuheit steckt
eine ganze Geschichte – nämlich der sich
anbahnenden Spaltung des Uhrenmarktes: Da die Klassiker, die auf feine
Mechanik setzen. Und dort die verspäteten Trittbrettfahrer der digitalen Revolution, die den Uhren einen funktionalen Mehrwert mitgeben wollen. Sie
hoffen, sich damit gegen Giganten wie
Apple, Motorola, Samsung oder Huawei
verteidigen zu können, die in ihr Reich
im unteren Preissegment eingebrochen
sind.
Ihre Uhren sehen aus wie Uhren, sind
aber mit dem Handy „connected“. Es gibt
kein Display, nur einen Zeiger, der auf einer Skala von 1–100 ausgewählte Werte
anzeigt. Sie können sensorisch Körperaktivitäten wie Bewegungen oder
Schlafphasen messen und auf dem Handy genauer darstellen. Die Batterie hält
zwei Jahre. Vorreiter bei dieser Technik
waren in Basel Frederique Constant, Alpina und Mondaine. Aber ein Dutzend
Marken will mitmachen.
Das ganze große Rad drehte aber JeanClaude Biver, Präsident der Uhrengruppe des Luxuskonzerns LVHM, zu der
neben Hublot auch TAG Heuer gehört.
Durch die Kooperation mit Google und
dem Chip-Hersteller Intel hat er sich zu
den Experten für Smartwatches ins Boot
gesetzt. TAG Heuer wird eine „LuxusComputeruhr“ entwickeln und im Herbst
präsentieren. Aber nützt die Entscheidung der Schweizer Uhr? Die Unsicherheit ist groß.
Einige Hersteller, an der Spitze
Swatch mit der „Touch Zero One“, setzen derzeit noch auf die Technik von NFCChips (Near Field Communication), die
sich für sichere Bezahl- oder Identifizierungsfunktionen gut eignen. Aber der
Wettlauf hat ja gerade erst begonnen. Ab
April, wenn Apple mit seiner Uhr kommt,
wird sich herausstellen, wo der Zeiger
hängt.
Unsicher scheint auf der anderen Seite aber auch, ob jüngere Käufer für kostspielige mechanische Uhren noch gewonnen werden können. Es ist die Existenzfrage für die Branche. Damit wieder
testen von der richtigen Seite aufgezäumt und stellt immer größere Teile der
Produktion auf seine neuen Werke um, die
bis 15 000 Gauss gegen Magnetfelder resistent, also dank neuer Materialien
amagnetisch sind. Das und der neue Teststandard „Master Chronometer“, der vom
inflationären Chronometerzeugnis der
Schweizer Qualitätskontrolle (COSC)
abgekoppelt wurde, verschaffen neue
Glaubwürdigkeit. Denn damit verbun-
die Welt rettet. Eine Laser-Säge hat das
Teil nicht, ist aber mit dem Cal. 8507 bis
„15 007“ Gauss magnetfeldresistent.
Bei Rolex gibt es bei einigen Modellen neue Farben und Größen. Die meistverkaufte Day-Date erhält ein verbessertes Automatik-Kaliber mit drei Tagen
Gangreserve und amagnetischen Komponenten, die Yacht-Master ein Kautschukband – fast ein Sakrileg. Aber auch
da hat man jüngere Käufer im Blick.
Vor vielen Jahren schon gesehen, aber
trotzdem schön – der Carrera-Chronograph von Heuer mit Telemeter-Skala.
Eine Vintage-Uhr auch die Transocean
1915 von Breitling, mit der die Marke die
Erfindung des Eindrücker-Stoppers vor
100 Jahren feiert. Alpina hat im Bereich
der Stoppuhren gleich zwei Neuheiten
gezeigt: Einen Chrono mit eigenem Werk
(„Alpiner 4 Chronograph Flyback“) und
eine quarzgetriebene Variante aus der
Reihe „Startimer Pilot“, dessen Besonderheit das Großdatum darstellt.
Aus der Luft in die Tiefe: Bei Sinn fiel
uns die größte (47 mm) Taucheruhr des
Frankfurter Herstellers auf, Gehäuse aus
U-Boot-Stahl, mit schwarzer Hartstoffbeschichtung, bis 1000 m druckfest, mit
elfenbeinfarbener Superluminova und
dem bekannt guten Preis-Leistungsverhältnis: 2360 Euro kostet die Uhr mit Automatikwerk.
Der Hersteller Glashütte Original, der
in der Swatch Group ein feinmechanisches Eigenleben führen darf, stellte die
Senator Cosmopolit vor, die 37 verschiedene Zeitzonen kann, auch ungerade (36 000 Euro in Rotgold). Weniger
komplex, aber dafür in Stahl und mit dem
blauen Zifferblatt aus eigener Fertigung
für 9700 Euro zu haben, sind die PanoReserve und PanoMaticLunar – mit
Gangreserve oder Mondphasenanzeige.
Die Senator Observer, eine maskuline
Beobachtungsuhr, bleibt ebenfalls unter
der 10 000-Euro-Schmerzgrenze.
Wer bekommt das größte Stück vom Käse, resp. Kuchen? TAG Heuer-Direktor Guy Semon, Vorstandschef Jean-Claude Biver, Intel-Manager Michael Bell und Android-Entwickungschef David Singleton (v.l.) bei Bekanntgabe der Kooperation für eine TAG-Heuer Smartwatch. Den Käse macht Biver übrigens selbst.
mf. Die Geschichte der Zeitmessung ist
viel älter als die Menschheit selbst. Denn
die ganz großen Uhren – Gestirne, Jahreszeiten oder der Wechsel von Tag und
Nacht – waren schon da und gaben jeglichem Leben den Takt, bevor der erste
Homo sapiens einen Stab in den Boden
steckte und den Schatten der Sonne maß.
Bevor er Wasser oder Sand zu Hilfe nahm,
um das Verrinnen von Zeit anschaulich
zu machen. Und bevor er schließlich im
13. Jahrhundert eine geniale Maschine
erfand, die nur dem einen Zweck diente,
mit Hilfe von Zeigern den ständig wandernden Grat der Gegenwart anzuzeigen. Jene schmale Linie, die Vergangenheit und Zukunft unwiderruflich trennt.
Wir nennen es seither Uhr. Weil es ursprünglich mit einem Zeiger nur die
Stunde, lateinisch: hora, anzeigte. Seither ist viel dazugekommen, was auf einem kleinen Zifferblatt noch zusätzlich
dargestellt werden kann. Auch die Anzeigegenauigkeit ist enorm gewachsen.
Aber am ursprünglichen Prinzip, dass
die Uhr den bewusst erlebten Moment, also die Gegenwart anzeigt, hat sich nichts
geändert. Denn nur von dort aus lässt sich
nach hinten schauen oder nach vorne blicken.
Insofern ist dieser alltägliche Gegenstand auch niemals unmodern oder
auch nur andeutungsweise überflüssig
geworden. Denn am Grundbedürfnis, sich
im Zeit-Raum zu orientieren, die Zeit einzuteilen, die uns Menschen wie der kostbarste Besitz gehört, hat sich nichts geändert. Daran wird sich auch nie etwas
ändern. Deshalb hat Uhr Zukunft. Und
zwar durchaus die Uhr, die nicht viel mehr
kann als das, wofür sie einst erfunden
wurde. Es ist das, worauf es immer ankommen wird.
Es gibt übrigens heute wieder Armbanduhren mit nur einem Zeiger, die sich
dieser ursprünglichen Funktion des „Gegenwartsanzeigers“ besinnen und das
minuten- oder sekundengenaue Zeitdiktat bewusst weglassen.
Umgekehrt bildet eine der beliebtesten Zusatzfunktionen sportlicher Armbanduhren, der Chronograph mit seiner
Stoppfunktion, geradezu eine zeitphilosophische Dimension ab: Wenn man
nämlich den Stoppzeiger mit dem Minutenzeiger in Deckung bringt und anhält, bleibt er dort stehen. Er markiert
schon Augenblicke später das Vergangene, das nie mehr zurückgeholt werden
kann. Fixiert man ihn hingegen ein Stück
weit vor dem Minutenzeiger, befindet er
sich in der Zukunft, die noch nicht Gegenwart geworden ist.
Die Geschichte der Zeitmessung ist so
eng verknüpft mit der menschlichen Kulturgeschichte, wie kaum ein anderer kreativer Bereich. Die Geschmäcker und das
Stilempfinden aller Generationen spiegeln sich in diesem einen Gegenstand.
Und ganz zweifellos möchte der
Mensch mit Hilfe seiner Uhr auch kommunizieren. Aber das ist nicht in dem Sinne gemeint, dass der Platz am Handgelenk zur verlängerten Anzeigetafel des
Smartphones wird und ständig stört. Oder
zum Sklaventreiber, der die Schritte
zählt. Von dieser exponierten Stelle soll
vielmehr ein Statement, ein Bekenntnis
über den Lebensstil, den Geschmack oder
eine besondere sportliche Vorliebe ausgehen. Zeige mir deine Uhr, und ich sage
dir, wer du bist.
Das gilt insbesondere für die klassische Uhr, hinter der ein altes Handwerk
steht. Im schönen Gehäuse einer Räderuhr wird unser elementares Verständnis
von Zeit und Vergänglichkeit und damit
ein bedeutendes Menschheitserbe lebendig erhalten. Das macht sie zum emotionalsten Gegenstand, den wir nutzen.
Die neuen Flachmänner aus Glashütte
Nomos setzt auf Autonomie: Motor der Fortschritts ist ein neues Automatikwerk für die Stilikone Tangente und die Minimatik
mf. Bei Nomos in Glashütte, seit Jahren
heftig im Aufwind, scheint man eine Philosophie zu leben, die lautet: Es ist schöner, über Erfolge zu reden, als ständig die
Stirn in Falten zu legen. Aber man muss
dem Erfolg eine Chance geben. Das hat
die Manufaktur letztes Jahr mit dem eigenen Hemmungssystem „Swing“ in der
pfiffigen „Metro“ mit Gangreserve getan. Und sich damit vom Schweizer Monopolisten für das uhrmacherische Herzstück abgekoppelt. Das Publikum dankt
diese Unabhängigkeit: Nomos wurde vom
Erfolg geradezu überrollt, wie Geschäftsführer Uwe Ahrendt stolz, aber
kein bisschen abgehoben bemerkt.
Die „Metro“ hat vor kurzem auch eine Datumsanzeige (mit und ohne Gangreserve, 2380 Euro) bekommen, und es
gibt sie sogar in „stadtschwarz“. Ob man
dabei mehr an Dresden oder Berlin gedacht hat? Cool wirkt sie allemal.
Aber zum eigentlichen Motor künftigen Erfolges soll das neue, für größere
Stückzahlen und hohe Präzision ausge-
legte Automatikwerk Cal. 3001 werden.
Nichts Besonderes? Denkste: Mit nur 3,2
mm Bauhöhe ist es ein echter Flach-
Zwei automatische Schönheiten von Nomos: Die „Tangente“ (l) und die neue „Minimatik“, jeweils mit dem hauseigenen extraflachen Cal. 3001. Bilder: Werksfotos/AFP (1)
mann, der bei Laborversuchen jetzt schon
Chronometerfähigkeit erreicht hat.
Flach ist gleich schwierig. Alles, sogar die Zahnräder wurden für das „3001“
neu gerechnet, damit es trotz geringerer
Toleranzen und schwächerer Feder reibungsarm läuft. Ziel erreicht: 94 Prozent
(plus 10) beträgt der Wirkungsgrad, der
bei der eigenen Hemmung unter der stabilen, doppelarmigen Unruhbrücke ankommt.
Zwei Uhren profitieren als erste von
der Innovation: Eine neue „Minimatik“
(35,5 mm x 8,8 mm / 2800 Euro), feminin
und doch in der Handschrift ganz typisch Nomos sowie die meistverkaufte
Uhr der Hauses, die Tangente Automatik
(35 mm x 6,5 mm, 2600 Euro), die Nomos
trotz Selbstaufzug so flach wie das Handaufzugsmodell baut. Lieferbar ab Herbst.
Damit man auch 2016 wieder über ein
erfolgreiches Jahr reden kann.