VGH München: Einsichtsmöglichkeit, Dachaufbau

VGH München, Urteil v. 24.11.2015 – 15 B 13.2414
Titel:
VGH München: Einsichtsmöglichkeit, Dachaufbau, Dachterrasse, Flachdach,
Landesanwaltschaft, Berufung der Kläger, Rechtsquelle, Nachbarschutz,
Nutzungsmöglichkeit, Beklagte, Interessenausgleich, Kostenschuldner, Grösse,
Planbereich, Baufläche, Sonnenkollektor, Gemarkung, Wohngebiet
Normenketten:
BBauG 1960 § 9 I Nr. 1, II
BauNVO1968 §§ 15 I 2, 16 II 2 Nr. 3, 18
BauNVO 1969 Art. 2 V 1
107 I Nr. 1, IV 1
§ 113 Abs. 1 VwGO
§ 18 BauNVO 1968
§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO
§ 15 Abs. 1 BauNVO
Schlagworte:
Bauantrag, Baugenehmigung, Bebauungsplan, Festsetzungen, Nachbarschutz, Dachform, Flachdach,
Flachdachbungalow, Unzulässigkeit von Dachterrassen, Interessenausgleich, Rücksichtslosigkeit
Entscheidungsgründe
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München
15 B 13.2414
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 24. November 2015
(VG Augsburg, Entscheidung vom 11. Juli 2013, Az.: Au 5 K 12.866)
15. Senat
P.-M., als stellvertretende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Sachgebietsschlüssel: 920
Hauptpunkte: Zwingende Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse (eines); Zwingende Festsetzung der
Dachform (Flachdach); Haustyp Flachdachbungalow ohne Dachaufbau; Unzulässigkeit von Dachterrassen;
Nachbarschutz durch abschließenden, wechselseitigen Interessenausgleich im Bebauungsplan;
Rücksichtslosigkeit infolge neuer Einsichtsmöglichkeiten, die nicht adäquate Folge der vorgegebenen
baulichen Nutzungsmöglichkeiten sind;
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache
1. ...,
2. ...,
gegen
Freistaat Bayern,
vertreten durch die Landesanwaltschaft Bayern, Ludwigstr. 23, 80539 München,
- Beklagter beigeladen:
...
bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...
wegen Baugenehmigung,
hier: Berufung der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 11. Juli
2013,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat, durch die Vorsitzende Richterin am
Verwaltungsgerichtshof Müller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Gänslmayer, den Richter am
Verwaltungsgerichtshof Schweinoch aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2015
folgendes Urteil:
I.
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 11. Juli 2013 wird geändert. Die
Baugenehmigung des Landratsamts Augsburg vom 29. Mai 2012 wird aufgehoben.
II.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen je zur Hälfte.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Kostenschuldner dürfen die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die
Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Kläger wenden sich gegen eine Baugenehmigung des Beklagten vom 29. Mai 2012 für die Errichtung
einer Dachterrasse mit Außentreppe auf dem südlich benachbarten Grundstück der Beigeladenen (Fl. Nr.
1270/3 Gemarkung S.).
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Auf beiden Grundstücken wurden, ebenso wie auf 28 weiteren Bauflächen im Geltungsbereich des am 14.
Mai 1971 öffentlich bekannt gemachten, ein reines Wohngebiet festsetzenden Bebauungsplans „Am K.“,
den §§ 4 und 7 Abs. 1 dieser Satzung entsprechend, rund 3,20 m hohe, eingeschossige
Flachdachbungalows errichtet. Der hier maßgebliche, nahezu rechteckige Planbereich wird vom R.-weg im
Osten, der K.-straße im Süden und der G.-straße im Norden umgrenzt und ist vom in Nord-Süd-Richtung
verlaufenden R.-weg aus in Richtung Westen gemessen bis zu 86 m breit. Die Größe der Grundstücke in
diesem Areal reicht von rund 300 qm bis knapp 800 qm. Das Gelände steigt in dem beschriebenen Umgriff
von Ost nach West um gut zwei Meter an. Bis auf zwei schräg nach Süden ausgerichtete
Sonnenkollektoren-Elemente auf dem Haus Nr. 12 befinden sich in dieser Umgebung, von
Rauchgaskaminen und Belichtungskuppeln abgesehen, keine über die mit Kies bedeckten Dachflächen der
Hauptgebäude hinausreichenden Dachaufbauten.
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Im Jahr 2011 wurde an der Westseite des auf dem Baugrundstück befindlichen Bungalows eine
Außentreppe in Spindelform errichtet und auf dem Dach ein circa 25 qm großer Bereich mit Platten belegt,
um ihn als Dachterrasse nutzen zu können. Nach einer Baukontrolle reichte die Beigeladene Ende Januar
2012 einen Bauantrag ein, den der Beklagte mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid genehmigte.
Die Bauvorlage zeigt eine auf der Westhälfte des Flachdachs mittig angeordnete Terrassen-Hauptfläche
von 4,50 m mal 4,50 m, an die sich nach Südwesten, zur Spindeltreppe hin versetzt, ein kleinerer, etwa 2,00
m mal 2,80 m messender Teil anschließt. Um die gesamte Fläche herum soll ein abbaubares, 0,90 m hohes
Metallgeländer errichtet werden, dessen senkrechte Stäbe - von Mitte zu Mitte - jeweils einen Abstand von
0,12 m aufweisen.
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Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 11. Juli 2013 ab. Ob das Vorhaben in Widerspruch
zum Bebauungsplan stehe, könne letztlich dahinstehen, denn die zum Maß der Nutzung und zur Dachform
getroffenen Festsetzungen vermittelten regelmäßig keinen Nachbarschutz. Für eine diesen Maßgaben
seitens der Plangeberin ausnahmsweise beigelegte drittschützende Wirkung fehlten zureichende
Anhaltspunkte. Das Vorhaben sei auch nicht rücksichtslos. Das Rücksichtnahmegebot gebe den Nachbarn
nicht das Recht, vor jeglichen Einblicken verschont zu bleiben. Im dicht bebauten innerstädtischen Bereich,
der sich vorliegend als besonders kleinteilig darstelle, seinen gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten
nahezu unvermeidlich.
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Im Berufungsverfahren verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter und beantragen,
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die Baugenehmigung des Beklagten vom 29. Mai 2012 unter Abänderung des Urteils des
Verwaltungsgerichts vom 22. Juli 2013 aufzuheben.
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Die Festsetzungen des Bebauungsplans zur Zahl der Vollgeschosse und zur Dachform seien
nachbarschützend, was sich aus ihrer Auslegung unter Berücksichtigung der Planbegründung und weiterer
Umstände ergäbe. Die mit den genannten Festsetzungen verbundenen Beschränkungen der
Planbetroffenen dienten auch der gegenseitigen Absicherung der nach der Begründung zum
Bebauungsplan gegebenen guten Wohnlage am Osthang. Bestätigt werde diese Zielsetzung durch das
bewusste Festhalten der Stadt an diesen Festsetzungen im fraglichen Bereich, obwohl mehrfach
Änderungswünsche an sie herangetragen worden seien.
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Daneben sei das Rücksichtnahmegebot verletzt, da von der Dachterrasse aus das gesamte Wohnzimmer
der Kläger, der Flur bis zur Haustür, weitere Aufenthaltsräume und der gesamte rückwärtige Gartenbereich
der Kläger „von oben herab“ eingesehen werden könnten. Dieses Maß an Einsichtsmöglichkeiten
überschreite die Grenze des Zumutbaren. Mit der durch das Vorhaben eröffneten qualifizierten
Einsehbarkeit, die den sozialen Wohnfrieden erheblich stören könne, müsse hier gerade nicht gerechnet
werden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
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Auch aus den Vorgängen zu Umfragen der Stadt aus den Jahren 1987 bis 1989 zu Möglichkeiten der
Dachgestaltung im Plangebiet ergebe sich nicht, dass die ursprünglichen Festsetzungen auch zum Zweck
des Nachbarschutzes getroffen worden seien. Selbst wenn in diesem Zusammenhang einzelne Eigentümer
auf ihre freie Aussicht als schutzwürdigen Belang hingewiesen hätten, belege dies nicht, dass die Stadt
seinerzeit drittschützende Festsetzungen habe treffen wollen. Bei den gegebenen Größe- und
Lageverhältnissen sei das Maß des für die Nachbarn Zumutbaren nicht überschritten.
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Die Beigeladene beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Regelungen zu Dachterrassen enthalte der Bebauungsplan nicht. Die Begründung zum Plan ziele nur
darauf ab, den Gebietscharakter störende Nutzungen aus dem Plangebiet fernzuhalten. Über die
festgesetzte Art der Nutzung hinaus vermittle der Plan keinen Drittschutz. Wegen der fehlenden
Rücksichtslosigkeit sei auf das erstinstanzliche Urteil zu verweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten und des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung hat Erfolg. Die Baugenehmigung vom 29. Mai 2012 ist rechtswidrig und verletzt die
Kläger in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
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1. Das bereits verwirklichte Vorhaben widerspricht dem Haustyp, den der am 14. Mai 1971 öffentlich
bekannt gemachte Bebauungsplan „Am K.“ in der Fassung vom 9. Juni 1969, geändert am 5. Dezember
1969, für das Plangebiet verbindlich vorgeschrieben hat. Die Auslegung des Planexemplars und der
Begründung zum Bebauungsplan sowie eine zu den Akten gelangte Äußerung des ersten Bürgermeisters
vom 9. Dezember 1969 führen dazu, dass sich die Planbetroffenen untereinander auf die Einhaltung dieses
Haustyps berufen können.
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Der Bebauungsplan setzt in seinem hier maßgeblichen Geltungsbereich, der westlich des R.-wegs liegt, im
Norden durch die G.-straße und im Süden durch die K.-straße begrenzt ist und aktuell 30 seit längerem
bebaute und zwei unbebaute Grundstücke umfasst, ein reines Wohngebiet fest. Dazu treten die zwingende
Begrenzung der Zahl der Vollgeschosse auf eines (vgl. neben der Planzeichnung auch § 4 des Textes der
Satzung) und die weitere Festsetzung, dass für die Hauptgebäude nur Flachdächer zulässig sind (vgl. auch
§ 7 Abs. 1 des Textes). Die Begründung zum Bebauungsplan führt aus, dass die Nachfrage nach
Wohnbauflächen in der nahe bei der Stadt Augsburg gelegenen Gemeinde sehr groß sei und für das - in
seiner Ursprungsfassung annähernd doppelt so große - Plangebiet viele Bauanträge vorlägen. Wegen der
guten Wohnlage (Osthang) werde das Gebiet als reines Wohngebiet ausgewiesen; es seien nur
erdgeschossige Bebauung, Kettenhäuser und Einzelhäuser mit Flachdach zulässig. In einem während des
Aufstellungsverfahrens an einen Einwender gerichteten Schreiben vom 9. Dezember 1969 führte der erste
Bürgermeister zu den letztgenannten Festsetzungen aus, dass mit Rücksicht auf die Geländeform eine
andere Bebauung nicht zugelassen werden könne; insbesondere dürfe der Ausblick in das Wertachtal und
nach Augsburg nicht durch Dachaufbauten genommen werden. Zweigeschossigen Wohnhäusern mit
Dachaufbauten könne daher nicht zugestimmt werden.
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Die das Maß der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BBauG 1960, § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, § 18 BauNVO
1968, Art. 2 Abs. 5 Satz 1 BayBO 1969) und die Dachgestaltung (§ 9 Abs. 2 BBauG 1960, Art. 107 Abs. 1
Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 BayBO 1969) betreffenden Vorgaben beanspruchen ausnahmslose Gültigkeit. Der
Bebauungsplan hat damit einen eingeschossigen, flach gedeckten Haustyp ohne Dachaufbauten entworfen
und für verbindlich erklärt, an den die Planbetroffenen einerseits - ihre Baufreiheit einschränkend gebunden sind. Nicht zuletzt aber deshalb, weil der Bebauungsplan bewusst keine Ausnahmen von seinen
zur Höhenentwicklung wie auch zur Baugestaltung festgesetzten Maßgaben vorgesehen hat (vgl. dazu:
OVG NRW, U. v. 3.5.2007 - 7 A 2364/06 - BauR 2007, 1560 = juris Rn.51; U. v. 12.12.1991 - 7 A 172/89 juris Rn. 11 f.), liegt es nahe, dass dadurch auch ein abschließender Ausgleich der Interessen und
Bauwünsche der Eigentümer im Plangebiet bewirkt werden sollte. Die strikte Einhaltung dieses deutlich
hervorgehobenen Grundzugs der Planung liegt damit hier nicht allein im öffentlichen Interesse, sondern
dient zugleich dem Interesse der Nachbarn am Fortbestand ihrer „guten Wohnlage“ am Osthang. Diese
vermittelt auch - obgleich nicht von jedem, so aber doch von einer mehr als nur ganz geringfügigen Anzahl
der Baugrundstücke aus - Ausblicke über das Wertachtal bis in das nahe gelegene Augsburg. Die
Festsetzung des Bungalow-Haustyps dient deshalb in diesem besonders gelagerten Fall auch dem
Nachbarschutz.
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Einen Beleg für die Richtigkeit dieser Auslegung liefert der Umstand, dass die eingeschossige
Flachdachbauweise ohne Dachaufbauten in den letzten vierzig Jahren einheitlich durchgehalten worden ist.
Außer zwei haustechnischen Anlagen (schräg aufgestellte Sonnenkollektoren) finden sich - von
Rauchgaskaminen abgesehen - keine die Flachdächer nennenswert überragenden Aufbauten. Das streitige
Vorhaben ist das erste, das die bisher strikt ebenerdige Wohnnutzung um eine neue, zweite Ebene
erweitern würde (vgl. ThürOVG, U. v. 26.2.2002 - 1 KO 305/99 - BRS 65 Nr. 130 = juris Rn. 36). Dass dies
nicht den Intentionen des Bebauungsplans entspricht, ist demgegenüber seit mittlerweile mehr als vier
Jahrzehnten „gelebte Überzeugung“ im Plangebiet.
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Der Beklagte und die Beigeladene vertreten die Auffassung, das Vorhaben stehe nicht in Widerspruch zu
einzelnen Festsetzungen des Bebauungsplans. Nachdem kein weiteres Vollgeschoss entstehe, werde die
zwingende Festsetzung nur eines Vollgeschosses im Bebauungsplan nicht berührt. Da die Grundform des
vorhandenen Flachdachs keine Wesensveränderung erfahre, könne das Vorhaben dieser Anforderung des
Bebauungsplans an die Gestaltung der Hauptgebäude ebenfalls nicht widersprechen.
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Diese Argumentation überzeugt nicht. Aus den zur Bestimmung des Inhalts der einschlägigen
Festsetzungen des Bebauungsplans vorhandenen Unterlagen geht hervor, dass mit der Beschreibung eines
allein zulässigen Haustyps - nämlich des eingeschossigen Flachdachbungalows ohne Dachaufbauten - das
Verbot jeglicher (Wohn-)Nutzung auf den Dächern verbunden sein sollte. Die Unzulässigkeit der Errichtung
von Dachaufbauten, wie beispielsweise der streitgegenständlichen Terrasse, ist zwar weder in der Legende
zu den Planzeichen noch im Text der Satzung ausdrücklich angesprochen. Der Wille zum Ausschluss
solcher Anlagen wird allerdings in den gleichzeitigen und zwingenden Festsetzungen zur Höchstzahl der
Vollgeschosse und der damit verbunden Dachform im gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplans
ausreichend deutlich verlautbart. Es kann keine Rede davon sein, dass Flachdächer als solche generell für
beliebige darauf stattfindende weitere Nutzungen offen stünden, zumal wenn diese - wie hier - der
eigentlichen Funktion des Daches als oberem Abschluss eines Gebäudes widersprechen. Mit dem auf diese
Weise im Plangebiet entstehenden einheitlichen Erscheinungsbild strikt eingeschossiger Wohnhäuser ist
die Errichtung mit Absturzsicherungen eingefriedeter und zweckentsprechend möblierter Terrassen an
beliebigen Standorten auf den jeweiligen Dächern deshalb auch rein optisch unvereinbar. Bestätigt wird
dieser Befund durch die bereits zitierte Äußerung des ersten Bürgermeisters vom 9. Dezember 1969, dass
nach dem Willen der Satzungsgeberin die Zulassung jeglicher Dachaufbauten ausscheide. Der damit
festgestellte Inhalt der planerischen Festsetzungen würde sinnentstellend konterkariert, wenn man die
Zulässigkeit des streitigen Vorhabens allein an eigens für diese Beurteilung voneinander getrennt
betrachteten Einzelfestsetzungen des Bebauungsplans messen wollte. Deswegen kommt es weder darauf
an, dass hier kein neues Geschoss entstehen soll, noch ist es - isoliert betrachtet - von Belang, dass das
Flachdach als solches erhalten bleibt. Das Vorhaben steht im Widerspruch zu dem festgesetzten Haustyp
„Flachdachbungalow ohne Dachaufbau“.
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Den Klägern steht danach ein von individuellen Beeinträchtigungen unabhängiger Anspruch darauf zu, dass
in ihrer Nachbarschaft im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Am K.“ keine Nutzung der Dachfläche zu
Wohnzwecken genehmigt wird.
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2. Daneben erweist sich das streitige Vorhaben als rücksichtslos, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, weil von ihm
Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet
selbst unzumutbar sind. Die in diesem Zusammenhang erforderliche Gesamtschau der Umstände des
Einzelfalls (BVerwG, B. v. 10.1.2013 - 4 B 48/12 - juris Rn. 7) ergibt das nachfolgende Bild.
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Die Eigenart eines in einem konkreten Bebauungsplan festgesetzten einzelnen Baugebiets im Sinn des §
15 Abs. 1 BauNVO ergibt sich nicht allein aus den typisierenden Regelungen der BauNVO. Sie lässt sich
vielmehr abschließend erst bestimmen, wenn zusätzlich auch die jeweilige örtliche Situation, in die ein
Gebiet „hineingeplant“ worden ist, und der jeweilige Planungswille der Gemeinde, soweit dieser in den
zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans unter Berücksichtigung der hierfür
gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist, berücksichtigt werden (BVerwG, U. v. 4.5.1988 - 4 C
34/86 - BVerwGE 79, 309 = juris Rn. 21).
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Die danach zu bestimmende Eigenart des Baugebiets ist oben unter 1. näher beschrieben. Die zwingende
eingeschossige Flachdachbauweise wirkt sich maßgeblich auf die Bestimmung dessen aus, was den
Planbetroffenen im Einzelfall an Belästigungen oder Störungen zugemutet werden kann. Das gilt umso
mehr, wenn ein Vorhaben - wie hier - den vom Bebauungsplan abgesteckten Zulässigkeitsrahmen nur auf
der Erdgeschossebene stattfindender Wohnnutzung verlässt. Mit der Verwirklichung eines solchen
Vorhabens muss im Plangebiet niemand rechnen. Hier muss keiner der Planbetroffenen davon ausgehen,
dass in sein Grundstück und in sein Wohnhaus von einer benachbarten Dachterrasse aus „von oben herab“
Einblick genommen wird. Diese neuen Einsichtsmöglichkeiten sind im vorliegenden Fall nicht die adäquate
Folge der gegebenen baulichen Nutzungsmöglichkeiten und führen zu einer einseitigen und unzumutbaren
Belastung der Nachbarn (vgl. ThürOVG, U. v. 26.2.2002 - 1 KO 305/99 - BRS 65 Nr. 130 = juris Rn. 43).
Hier fällt zusätzlich ins Gewicht, dass gerade die nach Süden ausgerichtete Seite des Wohnhauses und der
im Südwesten davon gelegene Terrassen- und Gartenbereich der Kläger von den angesprochenen
Einsehbarkeiten betroffen sind.
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3. Kosten: § 154 Abs. 1, Abs. 3 Halbs. 1, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.
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Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
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4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung
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Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen
Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift:
Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats
nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser
Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der
Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
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Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren,
durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein
Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind
neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit
Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten
Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu
Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen
Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
32
Beschluss:
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.500, - Euro festgesetzt.
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Gründe:
35
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt
Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.