„Wir sind sehr erstaunt, dass der Kanton Thurgau in den

1. Was denken Sie, warum wurden die Anforderungen neu festgelegt, ist die Situation in
den Pflegeheimen akut und was bedeutet dies in der Praxis?
Der Kanton Thurgau hat einen optimalen Skill Grade Mix definiert und somit die qualitative
Pflege in den stationären (wie übrigends auch in der ambulanten Pflege, Spitex) stets sehr hoch
gehalten. Dies begrüssten wir auch, denn dadurch war die Pflegequalität soweit gewährleistet.
Insbesondere in der Nacht war in den Thurgauer Institutionen immer eine Pflegende mit
mindestens Niveau DN I vor Ort.
Da die Anstellungsbedingungen im Kanton Thurgau bzw. der Lohn tiefer ist als in den
Nachbarkantonen ist die Rekrutierung von dipl. Pflegefachpersonen im Thurgau, so scheint es,
schwieriger.
Das Gesundheitsamt hat vor einem Jahr schon kommuniziert, dass die Pflegeinstitutionen die
Altenpflegerinnen als Diplomierte mitzählen können für die Tertiärstufe. Dagegen haben wir
informell protestiert.
Wir bedauern sehr, dass der Kanton diesen Schritt nun formalisiert hat, weil wir einen Abbau der
Pflegequalität sehen und begründen dies wie folgt oder in den nachstehenden Fragen.
2. War das Personal bislang überqualifiziert für die Pflege von alten Menschen oder
Langzeitpatienten?
Die Anforderungen in Pflegeinstitutionen haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Mit
DRG bleiben die Patienten kürzer im Spital und werden sobald nur noch pflegerische Leistungen
notwendig sind in stationäre Langzeitinstitutionen entlassen. Heute sind keine tradionellen
Altersheime mehr vorhanden im Thurgau. Dies hat auch mit dem Moratorium der Pflegebetten
zu tun. Der Kanton will, dass in den Alters- und Pflegeheime keine Menschen mehr mit niedrigen
Pflegestufen betreut werden, sondern nur noch ab Pflegestufe 4 (?). Die anderen sollten durch die
Spitex betreut werden. Das heisst die Anforderungen an die Pflege ist hoch, auch weil die
Patienten meist Mehrfacherkrankungen haben und komplexe Pflege benötigen. Dazu braucht es
gut ausgebildetes Fachpersonal.
Die RN4cast Studie beweist, dass mit einen hohem Stellenschlüssel an Diplompflege die Qualität
steigt, weniger Infekte, Stürze oder Todesfälle eintreten. Genügend Pflegefachpersonen auf der
Abteilung machen sich wett, weil die Kompetenzen und Abläufe stringent sind.
3. Wird es durch die Neuanpassungen Qualitätseinbussen geben? Wie könnten die konkret
aussehen?
„Wir sind sehr erstaunt, dass der Kanton Thurgau in den Mindestanforderungen für die
Pflege die Standards herabsetzt und das Diplompflegepersonal durch deutsche
Altenpflegerinnen oder Fachpersonen Gesundheit ersetzt. Die Diplompflege hat fünf Jahre
Ausbildung und kann niemals mit der zwei- oder dreijährigen Altenpflege gleichgesetzt
werden.“ Erklärend dazu, dass die dipl. Pflegefachpersonen die Kompetenzen besitzen, den
Pflegeprozess zu steuern und dies zu verantworten. Die Kompetenzunterschiede zwischen
den Pflegefachfrauen und den Fachfrauen Gesundheit waren auch vor der Reform der
Bildungssystematik (z.B. Krankenpflege AKP oder DN II) gegeben. Die altrechtliche
„Krankenschwester“ hatte früher und trägt heute die Verantwortung der Pflegequalität.
Natürlich braucht es sie alle – auch die Fachpersonen Gesundheit.
Zum Beispiel (Auszug aus Richtlinien Kanton Thurgau)
Das Pflege- und Betreuungskonzept macht insbesondere klare Aussagen zu folgen- den Themen (siehe
Anhang IV):
- Pflegemodell / Pflegeverständnis
- Pflegeprozess
- Bedarfs- und Abklärungsinstrument
- Pflegeorganisationssystem
- Eintritt und Austritt
- Biografiearbeit
- Angehörigenarbeit
- Gestaltung Tagesablauf
- Alltagsgestaltung / Aktivierung
- Mobilität und Sturzprävention
- Schmerz
- Bewegungseinschränkende Massnahmen (vgl. 4.3.1)
- Palliative Care (vgl. 4.3.2)
- Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz (vgl. 4.3.3)
- Akut- und Übergangspflege (vgl. 4.3.4)
- Weitere pflegerelevante Themen
In der Pflege verhält es sich nicht anders als in der Industrie. Es braucht Ingenieure sowie
auch Berufsfachleute.
4. Durch weniger qualifiziertes Fachpersonal dürfte es zu Einsparungen kommen, denken
Sie dass diese Einsparungen an die Pflegebedürftigen weitergegeben werden?
Aus unserem politischen Verständnis wird dies kaum der Fall sein. Es stellt sich auch die Frage der
Werte. Wie viel ist den LeistungsbezügerInnen, die Gesellschaft und die Politik definiert, was
Ihnen die hohe Pflegequalität wert ist. Politisch gesehen, scheint es, dass man die hohen Kosten
rein auf die Diplompflege fokussiert, statt betrachtet, was die Ursache dafür ist. Mit der
Einführung der Pflegeversicherung hat es Umwälzungen gegeben. Die verschiedenen
Kostenträger sind u.E. nicht austariert und dies müsste man klären.
Einige Leistungsanbieter werden versucht sein, beim Personal noch mehr zu sparen und die
eigenen finanziellen Mittel zu optimieren. Dies ist ein klarer Widerspruch zur Ethik.
5. Der Regierungsrat schreibt, dass dies dem zunehmenden Fachkräftemangel Rechnung
trage? Denken Sie, dass künftig vermehrt weniger qualifiziertes Personal aus dem
Ausland aquiriert wird?
Den Beruf der Pflege können wir nur attraktiv halten wenn wir die Arbeitsbedingungen wie
gute Entlöhnung und Entschädigungen für Nachtarbeit z.B. erhalten bzw. ausbauen. Auch ein
Pflegeheim sollte ein attraktiver Ausbildungsplatz sein. Ohne Diplom-Ausbildung kann der
Nachwuchs nicht gefördert werden! Für die Ausbildung braucht es Niveau HF.
Für Altenpflegerinnen aus Deutschland sind die Arbeitsbedingungen insbesondere der Lohn in
der Schweiz sehr attraktiv und es ist gut möglich, diese Berufsangehörige zu rekrutieren. Es
ist ethisch nicht vertretbar, dass wir ausländisches Personal rekrutieren, um Kosten zu
sparen. Die Institutionen tun gut daran, die Arbeitsbedingungen für die Pflege so
auszuformulieren, dass die Berufsverweildauer steigt. Aktuell verlieren wir viel zu viele
Berufsfachleute, weil die Arbeitsbedingungen unattraktiv sind.
6. Gäbe es Ihrer Meinung nach auch andere Wege einem Fachkräftemangel entgegen zu
wirken?
Siehe oben.
Zum Schluss noch dies: eine Altenpflegerin kann seit dem 1.Januar 2014 in der Schweiz
gemäss Richtlinien zur Anerkennung der ausländischen Diplome des SBFI keine Anerkennung
als Pflegefachfrau Tertiärstufe erlangen. Sie kann höchstens als Sekundarstufe II eingesetzt
werden. Siehe Link des SBFI:
http://www.sbfi.admin.ch/diploma/01800/02091/index.html?lang=de
St. Gallen, 22.12.2015
Barbara Dätwyler Weber, SBK Präsidentin Sektion SG TG AR AI;
Oberkirchstrasse 56, 8500 Frauenfeld, P 052 721 12 61, N 079 366 66 16
Edith Wohlfender, Geschäftsleiterin SBK Sektion SG TG AR AI