Zuchtwerte für Eutergesundheit und Kalbemerkmale auf der Basis der Testherden - Eine neue Ergänzung zur nationalen Zuchtwertschätzung des vit Prof. Dr. Hermann H. Swalve In den beiden Verbänden RBB und RinderAllianz werden seit 2009 bzw. seit 2005 Testherdenprogramme durchgeführt. Wesentlicher Sinn dieser Programme ist das Testen von Bullen in vertraglich gebundenen Betrieben, welche sich zu einer umfangreichen Dokumentation, insbesondere hinsichtlich der Gesundheitsmerkmale verpflichtet haben. Auch in Zeiten der genomischen Selektion ist diese Überprüfung angemessen und sinnvoll und wird zukünftig auch gleichzeitig wesentlich zu einer genomischen Zuchtwertschätzung für Gesundheitsmerkmale beitragen. Aufgrund der sehr gleichlautend durchgeführten Testherdenprogramme in beiden Verbandsregionen erschien es sinnvoll, die Daten neben verbandsspezifischen Auswertungen auch gemeinsam im Sinne einer überregionalen Zuchtwertschätzung auszuwerten. In den zurückliegenden Jahren sind dabei durch die beiden Verbände selbst, die beiden Landesanstalten und das Team der Uni Halle umfangreiche Vorarbeiten geleistet worden. Aufgrund des etwas längeren Zeithorizontes fanden diese zunächst überwiegend für die RinderAllianz (bzw. RMV) statt, mittlerweile sind aber auch die Daten der RBB voll in Auswertungen einbezogen. In zahlreichen vorbereitenden gemeinsamen Zusammenkünften kam man überein, die nun aufzulegenden Routineauswertungen an das VIT zu übertragen, da die Daten dort nicht nur gelagert, sondern auch immer sehr schnell mit den vorhandenen Standarddaten der MLP verknüpft werden können. Das VIT wurde deshalb in die genannten Beratungen einbezogen und Testläufe zu einer ergänzenden Zuchtwertschätzung wurden vom VIT durchgeführt. Hinsichtlich der neuen, die bisherige Zuchtwertschätzung ergänzenden Merkmale, kam man überein, mit den Komplexen Eutergesundheit und Kalbemerkmale zu beginnen. Diese ergänzenden Zuchtwertschätzungen sind nunmehr soweit gediehen, dass die Ergebnisse den Züchtern von RinderAllianz und RBB zur Verfügung gestellt werden können. Das VIT konnte sich bei den jetzt in eine Routine überführten Zuchtwertschätzungen wesentlich auf die beiden in Halle angefertigten Dissertationen von Gunter Martin (Eutergesundheit) und Benno Waurich (Kalbemerkmale) stützen. Zuchtwertschätzung Eutergesundheit Eutererkrankungen sind nicht nur eine der häufigsten Abgangsursachen auf Milchviehbetrieben sondern verursachen auch extreme Kosten durch Behandlung, Milchverlust und Bestandsergänzung. Zur Verbesserung der Eutergesundheit auf den Betrieben sollte neben hygienischen Maßnahmen und der Futterqualität auch die Genetik der Tiere berücksichtigt werden. Die Zucht auf die Gesundheit des Euters erfolgte bisher über die Zahl an somatischen Zellen (umgerechnet als transformierte Zellzahl, somatic cell score = SCS) in der Milch und über die Exterieurmerkmale des Euters. Zwar korrelieren SCS und klinische Mastitis positiv (r = 0,60) miteinander, da das Immunsystem der Kuh aber unterschiedlich auf verschiedene Pathogene reagieren kann, müssen auch Töchter von Bullen mit niedrigem Zellzahlzuchtwert nicht unbedingt häufiger erkranken als ihre Stallgefährtinnen. Es hat sich in bisherigen Untersuchungen auch immer wieder gezeigt, dass zwar für die Masse der Bullen eine Rangierung nach SCS völlig ausreichend ist, für einzelne Bullen kann aber die Situation eintreten, dass auch bei etwas schlechteren Zellzahlzuchtwerten eigentlich unauffällige Werte der Erkrankungshäufigkeit der Töchter vorliegen bzw. umgekehrt, dass Bullen mit sehr guten Zellzahlzuchtwerten doch Töchter aufweisen, die häufiger erkranken als in anderen Nachkommenschaften. Derartige Auswertungen sind in Deutschland ausschließlich für die Testherdenprogramme von RinderAllianz und RBB möglich, da nur in diesen die zugrundeliegenden Eutergesundheitsdaten auch zur Verfügung stehen, ein Alleinstellungsmerkmal für RinderAllianz und RBB gegenüber allen anderen Holstein-Verbänden in Deutschland. Die Zuchtwertschätzung für den somatischen Zellgehalt erfolgt beim VIT bereits seit 1996. Die Zellzahlergebnisse aus der Milchleistungsprüfung werden vor Verwendung in der Zuchtwertschätzung logarithmisch transformiert zum Linear Somatic Cell Score (SCS = log2 (Zellzahl / 100000) + 3). Die Zuchtwertschätzung für Zellzahl erfolgt mit einem Random Regression Testtagsmodell. Es werden Einzelkontrollergebnisse (Laktationstag 5 bis 365) von Testtagen der Laktationen 1 bis 3 berücksichtigt. Züchterisch positive Tiere, d.h. solche, die niedrige Zellzahlen vererben, erhalten Relativzuchtwerte(RZ) über 100. Er wird so standardisiert, dass die Bullen in der jeweiligen Rassebasis einen Mittelwert von 100 und eine genetische Streuung von 12 Punkten haben. Für die ergänzende Zuchtwertschätzung Eutergesundheit anhand von MastitisDiagnosemeldungen der Jahre 2007-2014 der Testherden wurden auf Vorschlag des VIT zunächst verschiedene Merkmalsdefinitionen für die Mastitis-Erkrankung (Mastitis gesamt, Frühe Mastitis (bis 50. Tag) und Späte Mastitis (ab 51. Tag)) entwickelt. Die Datengrundlage umfasst dabei insgesamt 382.000 Laktationen von 172.000 Kühen, welche von 4.858 Bullen abstammten. Aufgrund der für Gesundheitsmerkmale allgemein niedrigen Erblichkeiten erfüllen jedoch nur 379 Bullen die Mindestanforderungen von mehr als 50 % Sicherheit und die Anforderung, „aktive“ Bullen zu sein. Aber auch dieser Pool von Bullen erlaubt eine sinnvolle Arbeit mit diesen Zuchtwerten, da die Mindestanforderungen bereits berücksichtigen, ob der Bulle „aktiv“ ist. Die ausgegebenen Zuchtwerte liefern eine Aussage im Sinne geringer bis hoher Mastitisanfälligkeit einer Kuh für die Gesamtlaktation bzw. für verschiedene Laktationsabschnitte. Außerdem erfolgte eine Gewichtung des Frühen und Späten Mastitis Zuchtwertes hinsichtlich der potenziellen wirtschaftlichen Bedeutung zu einem „Mastitis Index“ (= Frühe Mastitis 60% + Späte Mastitis 40%). Zur Abgrenzung gegenüber den offiziellen, nationalen Zuchtwerten für den SCS werden die Zuchtwerte der Bullen in den Veröffentlichungen der beiden Verbände mit „Mastitis Plus“ besonders gekennzeichnet und ihr Index als Relativzahl wie gewohnt ausgegeben. Zuchtwertschätzung Kalbemerkmale Hinsichtlich der Kalbemerkmale ist das Alleinstellungsmerkmal für die Testherden von RinderAllianz und RBB in der sehr guten Betreuung der Testherden zu sehen. Weiter ermöglicht die Erfassung der Geburtsgewichte auch eine Zuchtwertschätzung für Geburtsgewicht, welche intern dazu verwendet werden wird, ganz besondere Ausreißer zu identifizieren und von der Zucht auszuschließen. Für die Züchter ist aber insbesondere relevant, welche Werte für den Kalbeverlauf und die Totgeburtenrate ausgewiesen werden können. Bei den Kalbemerkmalen ist zunächst wichtig, zwischen dem direkten Effekt und dem maternalen Effekt zu unterscheiden. Der direkte Effekt bezeichnet das Vermögen des Kalbes, geboren zu werden, der maternale Effekt das Vermögen der Kuh, zu gebären. Während der direkte Effekt also wesentlich eine Funktion des Geburtsgewichtes des Kalbes ist (daneben ist natürlich auch die Vitalität des Kalbes entscheidend), ist der maternale Effekt vornehmlich, aber nicht ausschließlich, eine Funktion der Beckenmaße der Kuh. Beide Merkmale stehen in schwach negativer Beziehung zueinander, was sich auch ganz einfach dadurch begründen lässt, dass ein kleines schmales Kalb zwar leicht geboren wird, jedoch, wenn es denn weiblich ist, später als Kuh auch tendenziell schmal ist und deshalb mehr Probleme bei der Kalbung hat. Dieser fundamentale Zusammenhang ist eben auch der Grund dafür, weshalb man es strikt vermeiden sollte, alle Kühe einer Herde an so genannte „Färsenbullen“ anzupaaren, über die Jahre werden so alle Kühe der Herde immer schmaler und kleiner. „Färsenbullen“ gehören eben nur auf ausgewählte Rinder, von denen man möglichst keine weitere Nachzucht für den Betrieb ziehen sollte. Die negative Beziehung zwischen direktem und maternalem Effekt ist nun aber nicht derartig stark, dass man nicht auch, wenn auch seltener, Bullen finden könnte, „die beides können“, also Kälber produzieren, welche vergleichsweise leicht geboren werden und auch als Kühe später kaum Probleme haben. Es gilt also, Bullen zu identifizieren, welche in beiden Merkmalen, direkt und maternal, hervorragende Werte aufweisen. Für eine einfache Selektionsentscheidung werden alle Informationen zu einer Risikokennzeichnung zusammengefügt: Mit +++ sind die Bullen gekennzeichnet, die kein Kalbe-Risiko auf Basis der Testherdendaten aufweisen. ++ sagen aus, dass Kalbeschwierigkeiten hinsichtlich Kalbeverlauf oder Totgeburten auftreten können, bei + ist ein Risiko für beide Merkmale zu beachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die beschriebene Kennzeichnung für direktpaternal und maternal gleichermaßen erfolgt. Auch dieser neue Zuchtwert ist als ergänzende Information zu den bekannten Zuchtwerten (RZKd und RZKm) zu verstehen. Die Datengrundlage für die Zuchtwertschätzung bildeten insgesamt ca. 478.000 Kalbungen der Kalbenummern 1 bis 3, wobei knapp die Hälfte auf die erste Kalbung entfiel. Dieser Umstand macht deutlich, dass die Schätzung sich in erheblichem Ausmaß auf die erste Kalbung stützt bei der naturgemäß eher Probleme auftreten können als bei den späteren Kalbungen. Zwischenzeitlich war in den vorbereitenden Zusammenkünften diskutiert worden, die gesamt Zuchtwertschätzung auf die erste Kalbung zu beschränken, dieser Vorschlag wurde aber aus zwei Gründen wieder verworfen: Erstens hätte man so auf einen erheblichen Teil des Datenmaterials unnötigerweise verzichtet und zweitens treten Fälle auf, wo aufgrund von Vorinformationen bestimmte Bullen bei Rindern nicht mehr eingesetzt werden, aber später sogar noch bei höheren Kalbenummern Probleme auftreten können. Derartige Daten sollten unbedingt einbezogen werden. Fazit Die beiden Verbände RinderAllianz und RBB nehmen in der deutschen Holsteinzucht durch ihre Testherdenprogramme eine Vorreiterrolle ein. Nach Jahren des Aufbaus und der vielen Auswertungen zur Auslotung der Tauglichkeit des Materials wird jetzt die regelmäßige Ernte eingefahren. Zukünftig werden die beiden Zuchtwertschätzungen für Mastitisereignisse und für Kalbemerkmale die nationale Zuchtwertschätzung ergänzen und gleichzeitig werden die Daten eines wesentlichen Teils der Testherden im KUH-L – Projekt zur Vorbereitung einer genomischen Zuchtwertschätzung für Gesundheitsmerkmale genutzt. Eine Zuchtwertschätzung für Klauenerkrankungen auf der Basis von Informationen beim Klauenschnitt ist in Vorbereitung und soll voraussichtlich in der ersten Hälfte des nächsten Jahres veröffentlicht werden.
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