*Blick 20.01.2016 Bundesrat Burkhalter über Schweizer Hilfe im Iran, Durchsetzungs-Initiative und EU-Probleme «Spielt die Flüchtlings-Krise der Schweiz in die Hände?» Bundesrat Didier Burkhalter lässt am WEF in Davos kein gutes Haar an der DurchsetzungsInitiative. Kuscheljustiz sei zwar falsch – aber falsche Härte noch viel schlimmer. VON PETER HOSSLI Herr Bundesrat, der deutsche Präsident Joachim Gauck hat gesagt, es brauche eine Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen. Ist das ein Wendepunkt der europäischen Flüchtlingspolitik? Didier Burkhalter: Soll diese Krise gelöst werden, dann muss man für den Frieden sorgen. Die Quelle des Problems ist der Krieg. Wären Sie Syrer, Herr Hossli, würden Sie Ihr Land ebenfalls verlassen. Seit fünf Jahren tobt Krieg, das Land ist zerbombt. In Jordanien habe ich syrische Flüchtlinge getroffen. Sie haben mir gesagt, sie möchten eigentlich zurück. Aber sie glauben nicht mehr an eine Perspektive. Wie kann Europa darauf reagieren? Es reicht nicht, irgendetwas zu machen – wir müssen Frieden machen. Die Menschen sollen wieder an ihre Zukunft glauben. Flüchtlinge kommen aber nicht nur aus Syrien, sondern zunehmend aus Nordafrika. Verändert das die europäische Flüchtlingspolitik? Für die Schweiz ist klar: Wir wollen aktiv sein in Syrien und seinen Nachbarländern, aber auch am Horn von Afrika. So bilden wir etwa in Kenia junge Männer aus, damit sie in ihrem Land eine Perspektive haben. Sonst flüchten sie in ein anderes Land – oder auch in den Extremismus. Viele sehen den Extremismus als einzige Perspektive. Sie verbringen die Woche hier in Davos. Was bringt Ihnen das WEF? Als Aussenminister habe ich zwei Prioritäten: Europa und Frieden im Nahen Osten. Es kommen viele wichtige Gesprächspartner nach Davos, leider nicht alle. Letzte Woche einigten sich Iran und die USA im Nuklearstreit. Der Iran liess Geiseln frei. US-Präsident Obama dankte der Schweiz. Wie wichtig waren Schweizer Diplomaten wirklich? Eine Lösung ohne die bescheidene Rolle der Schweiz wäre nicht zustande gekommen. Für mich als Aussenminister ist beim Iran-Dossier das SchutzmachtMandat das wichtigste. Was war denn die Rolle der Schweiz? Es gibt wenig Vertrauen zwischen den USA und dem Iran – erst jetzt wächst es langsam, das braucht Zeit. Ein Land, das glaubwürdig und effizient ist wie die Schweiz, ist sehr hilfreich. Als es hoffnungslos schien, halfen unsere Ideen und Vorschläge. Zentral war der Schluss. Hätten wir die Gespräche in den letzten 14 Monaten nicht organisiert und in der Schweiz abgehalten, wäre das nicht möglich gewesen. Die Schweiz hat Frieden geschaffen? Unser Beitrag war bescheiden, aber wichtig. Ein kleines Stück in einer Maschine. Aber ohne dieses Stück würde die Maschine jetzt nicht laufen. In Zürich trafen sich heute US-Aussenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergei Lawrow in Zürich. Es scheint, die Schweiz werde in der Diplomatie wieder wichtiger. Gibt es Krisen, schwinden die Diskussionmöglichkeiten. Dann braucht es jemanden, der vermitteln kann. Die Rolle der Schweiz hängt davon ab, wie sich die Welt entwickelt. Seit einigen Jahren nimmt die Zahl der Krisen zu – deshalb ist unsere Rolle wichtiger geworden. Und das bleibt so? Sie wird auch in nächster Zeit sehr wichtig sein. Es ist nicht einfach, so neutrale Glaubwürdigkeit zu finden wie in der Schweiz. Fragt uns jemand an, schauen wir, ob wir etwas tun können. Letzte Woche rollten Lastwagen in belagerte syrische Städte … … es ist schrecklich zu sehen, was dort passiert … … die Schweiz verhandelt mit Ländern wie Syrien und Iran. Wir verhandeln seit Längerem darüber, dass der Zugang für humanitäre Hilfe zu den Opfern verbessert wird. Es gibt Leute, die darüber überrascht sind, aber niemand ist wirklich dagegen. Entscheidend ist, dass der Zugang jetzt offen ist. Was trug die Schweiz dazu bei? Einen kleinen, aber wichtigen Teil. Redet man nicht mit Syrien und Iran, bleiben die Länder isoliert. Wir sind zwar nicht mit allem einverstanden, aber entscheidend ist, dass der Dialog offen bleibt. Wie reagieren Sie, wenn Sie sehen, dass hungernde Kinder etwas zu essen erhalten? Es ist fantastisch, dass die Schweiz etwas dazu beitragen kann. Mein Herz springt vor Freude, wenn ich das sehe. Aber dann bin ich auch traurig, dass wir nicht überall den Frieden herstellen können. Was sagen Sie den Gesprächspartnern der EU, falls die DurchsetzungsInitiative angenommen wird? Darüber reden wir jetzt nicht, sie ist ja noch nicht angenommen. Was ist Ihre Meinung dazu? Die Initiative ist unmenschlich. Wollen wir wirklich automatisch einen Vater ausschaffen, der zwanzig Jahre in der Schweiz lebte und hier seine Familie hat, nur weil er vor neun Jahren und jetzt wieder eine Dummheit begangen hat? Ist das angemessen, dass Kinder deshalb von ihrem Vater getrennt werden? Sie sind für eine Kuscheljustiz? Nein, es muss streng sein, aber immer auch gerecht. Streng und ungerecht ist falsch. Diese Initiative ist streng und ungerecht. Joachim Gauck sagt, die Flüchtlingskrise gefährde die Freizügigkeit in Europa, sie sei die grösste Gefahr für die EU. Immer mehr EU-Länder machen die Grenzen zu. Spielt die Krise der Schweiz in die Hand? Es zeigt, wie schwierig es ist. Und es zeigt, dass unser System sehr gut ist, in dem wir den Dialog mit dem Volk führen. Die Flüchtlingskrise bringt die EU-Kommission in eine schwierige Position. Eine Lösung mit der Schweiz zu finden, ist nicht prioritär. Ist das nicht möglich, bringen wir eine einseitige Lösung. Wie sicher sind Sie, dass das WEF in der Schweiz bleibt, auch ohne Klaus Schwab? Sicher ist man nie. Das WEF ist wichtig für die Schweiz, weil es eine aktive Rolle in der Diplomatie spielen kann. Das WEF ist eine zusätzliche Möglichkeit für die Diplomatie. Und das WEF kann der Welt zeigen, wie schön es ist, in der Schweiz geboren zu sein.
© Copyright 2024 ExpyDoc