Jahresrückblick 2015 am 21. Januar 2016 Einleitende Gedanken

Jahresrückblick 2015 am 21. Januar 2016
Einleitende Gedanken zum Jahresbericht 2015 von
Vinzenzbruder Roland Daniel (Kassier und Schriftführer)
Lieber Herr Pastoralreferent Scherer, lieber Egon, liebe Vinzenzbrüder,
wie in den Vorjahren möchte ich, bevor ich den Jahresbericht vortrage,
ein paar eigene Gedanken zu unserer ehrenamtlichen Arbeit als
Vinzenzbrüder voranstellen.
Das Thema „Flüchtlinge”, realistisch besser als „Flüchtlingskrise"
bezeichnet, beherrscht seit Monaten die Politik, die Medien und die
Gesellschaft. Deutschland hat über viele Wochen und Monate eine
beispiellose Willkommenskultur gezeigt. Aber seit wenigen Wochen wird
deutlich, dass unser Land einem weiteren großen Zustrom an
Flüchtlingen und Migranten nicht mehr gewachsen und mit der Situation
überfordert ist. Die Stimmung in der Gesellschaft dreht sich, um nicht zu
sagen sie kippt, und der Bundesregierung und der Politik insgesamt wird
Versagen vorgeworfen. Selbst die bisher so fest im Sattel sitzende
Kanzlerin hat in den eigenen Reihen und in der Bevölkerung an
Vertrauen verloren. So ist es jedenfalls den Medien zu entnehmen.
Mit ganzem Herzen Vinzenzbruder sein und dabei völlig unpolitisch
bleiben, das geht für mich gar nicht. Ich habe in den letzten Jahren
gelernt, zu meiner Überzeugung zu stehen, klare Kante zu zeigen und
keinen zu fragen, wenn ich meine Meinung sagen möchte.
Ich werde jetzt allerdings nicht den Fehler machen, die derzeitige
angespannte Situation und die Maßnahmen der Politik oder gar die
Vorfälle zum Jahreswechsel in Köln und anderen Städten zu bewerten.
Ich will vielmehr Euch alle dazu ermutigen, dass wir hier in Bühl vor Ort
zeigen, dass wir in dieser außergewöhnlich schwierigen Situation die
alten, kranken und einsamen Menschen nicht vergessen.
Ich denke, es entspricht dem christlichen Gebot der Nächstenliebe, dass
Menschen, die vor Krieg, Terror, Verfolgung und Hunger aus ihrer
Heimat geflohen sind, bei uns Zuflucht und Hilfe finden. Da sind wir uns
sicher auch alle einig.
Aber, es kann doch nicht sein, dass in unserem Land -wohlwissend um
den demographischen Wandel- die alten und pflegebedürftigen
Menschen immer mehr aus dem Blickwinkel verschwinden und sich
Politik und Gesellschaft nur noch mit den Themen „Flüchtlinge“ und
„Asylpolitik“ auseinandersetzt. Der Pflegenotstand wird meiner Meinung
nach kollektiv verdrängt und von der Flüchtlingskrise überlagert. Ich sehe
da eine gewisse Schieflage.
Viele von den in den Alten- und Pflegeheimen oder noch selbständig im
eigenen Haushalt lebenden Menschen müssen mit ihrer Situation
irgendwie fertig werden, mit ihrer Einsamkeit, Krankheit und ihren
Gebrechen. Und es ist mir wichtig, zu betonen, dass es sich dabei um
die Generation handelt, die nach dem Krieg unter schwierigsten
Bedingungen und Entbehrungen die Ärmel hochgekrempelt, den
Wiederaufbau angepackt und wesentlich zu unserem heutigen
Wohlstand beigetragen hat. Und es ist meiner Meinung nach in erster
Linie genau dieser Wohlstand, der Deutschland für die vielen Flüchtlinge
und Migranten so attraktiv macht.
Wer mich kennt, weiß, dass ich nichts mit dem rechten Spektrum zu turı
habe oder gar in der rechten Ecke stehe, aber ich sehe den sozialen
Frieden in Gefahr.
Ich habe mich entschieden, mich nicht im Unterstützerkreis für
Flüchtlinge zu engagieren. Nicht, weil ich diese humanitäre Arbeit nicht
für sinrıvoll hielte, sondern weil meine Erfahrung mir zeigt, dass unsere
Arbeit im Besuchsdlenst bei Alten und Kranken immer stärker gefordert
und gefragt ist.
Am letzten Samstag fand ich im Acher- und Bühler Bote eine kleine
Nachricht mit der Überschrift „Papst überrascht mit Besuch bei
Senioren". Franziskus habe dabei 30 in einem Altenheim am Stadtrand
von Rom lebende Senioren besucht, die vorab nicht informiert gewesen
seien. Er habe damit deutlich machen wollen, welchen hohen Wert ältere
Bürger für die Kirche und die ganze Gesellschaft hätten.
Papst Franziskus hat in seinem Schreiben zur Verkündigung des
Heiligen Jahres der Barmherzigkeit die Christen aufgefordert, die Welt
aus der Sicht der Schwachen und Benachteiligten zu sehen und sich für
ein würdiges Leben der Menschen einzusetzen.
Er schreibt dazu: „Es gibt Augenblicke, in denen wir aufgerufen sind, in
ganz besonderer Weise den Blick auf die Barmherzigkeit zu richten, um
dabei selbst zum wirkungsvollen Zeichen des Handelns des Vaters zu
werden.“
Auch das Jahresmotto unserer Pfarrgemeinde für 2016 „Mit dem Herzen
sehen", zielt in die gleiche Richtung.
Von der seligen Mutter Teresa von Kalkutta, deren Heiligsprechung für
September dieses Jahres erwartet wird, stammt der Satz: „Christus wird
uns irgendwann nicht fragen, wie viel wir geleistet haben, sondern rnit
wie viel Liebe wir unsere Taten vollbracht haben.“
Ich würde mich freuen, wenn das Wort von Papst Franziskus zum
Heiligen Jahr der Barmherzigkeit für uns als Vinzenzbrüder einen
Motivationsschub bringen würde, der weit über das Heilige Jahr hinaus
seine Wirkung zeigt.
Ich denke, Gottesdienst findet nicht nur in der Kirche statt, sondern
überall dort, wo wir uns alten, kranken, einsamen und sterbenden
Menschen zuwenden, ihnen unsere Zeit schenken und sie spüren
lassen, dass sie als Gottes geliebte Geschöpfe nicht allein gelassen
sind.
Und wenn der eine oder andere von uns vielleicht denkt, ich bin jetzt
schon so alt, was kann ich noch tun? Dem möchte ich sagen, ich bin
überzeugt, dass Gott viel mehr am Zustand meines Herzens interessiert
ist, als am biologischen Alter meines Körpers.
Bühl, 16.Januar 2016
(Dieser Einführung stimmtem alle Teilnehmer der Konferenz mit ihrem
Beifall zu)