Roman Kirsch im Fotostudio, in dem die Waren fUr

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Roman Kirsch im Fotostudio, in dem die Waren fUr seinen Onlineshop abgelichtet werden
Mit 23 Jahren hatte er seine erste Million verdient. Jetzt baut Roman Kirsch, 26, die nächste Firma auf
er Millionär hat kein Büro.
Er hat einen Schreibtisch,
der an zwei andere Schreib­
tische grenzt, zusammen­
gestellt wie für eine Grup­
penarbeit in der Schule. Der
Millionär sitzt in einem
Großraumbüro. Zusammen mit Einkäufern, Gra­
fikern, Produktbeschreibern und Marketingleuten.
Der Millionär ist einer der Jüngsten hier im Raum.
Er ist 26 Jahre alt.
Roman Kirsch heißt er, und er leitet ein Start-up.
Aber er läuft nicht rum, wie Start-up-Männer so rum­
laufen. Er hat keinen Dreitagebart. Er trägt keinen
Kapuzenpulli. Und Badelatschen hat er höchstens zu
Hause im Bad an. Kirsch ist frisch rasiert. Er trägt ein
weißes, frisch gestärktes Hemd. Es steckt in einer
grauen Leinenhose.
Ein Hinterhof in Berlin-Mitte. Eine grauer Win­
tertag. Kirsch ist früh gekommen, so wie jeden Tag.
Er sitzt an seinem Schreibtisch, blickt auf türkisfar­
bene Säulen, schlichte Designerlampen an der Decke,
junge Menschen hinter Rechnern. Auch sie sind früh
gekommen. »Es ist schon ein Wahnsinnsgefühl, fur
so eine große Crew verantwortlich zu sein«, sagt er.
Kirsch bezeichnet seine Mitarbeiter ausdrücklich als
"Crew«. Er benutzt gern englische Begriffe. 60 Mit­
glieder hat seine Crew mittlerweile.
Vor einem Jahr .hat Kirsch das Unternehmen
Lesara gegründet. Einen Internethändler, der Klei­
dung, Schmuck, Dekoration und Haushaltswaren
zu Discountpreisen verkauft. Vor vier Jahren hatte er
schon einmal ein Unternehmen gegründet. Casacan­
da nannten er und zwei Freunde das. Es bot Möbel
und andere Produkte von kleinen Designfirmen zu
günstigen Preisen an. Sie verkauften das Start-up nach
sieben Monaten für zehn Millionen Dollar an den
US-Konkurrenten Fab.
Aus Roman Kirsch, dem Jungunternehmer, wur­
de Roman Kirsch, der Jungmillionär.
Damals war er 23 Jahre alt. Was macht einer in
seinem Alter mit so viel Geld? Manche werden spiel­
süchtig, kaufen sich ein schnittiges Auto, kaufen sich
noch ein schnittiges Auto. Kirsch machte noch mal
das Gleiche: Start-up gründen. Start-up aufbauen.
Morgens um zehn, die erste Sitzung. Ein kleiner
Raum am Ende des Großraumbüros. Zehn Ein­
käufer, alle um die dreißig. Sie sitzen auf unbeque­
men Holzstühlen. Kirsch steht. )JAlright«, sagt er,
»lasst uns quick durchgehen, was wir heute brauchen
und was wir bestellen müssen .«
»Wir bekommen ein paar MP3-Player«, sagt ein
Mann im HolzfaJlerhemd. »Und bei Modellhelikop­
tern geht der Trend klar zu denen mit Kameras.«
»Alles, was es zum Spionieren gibt, verkauft sich
gut«, sagt Kirsch, »das ist ein Megatrend, es gibt sogar
welche, die man in Vasen versteckt. «
Alle lachen.
»Alright«, sagt Kirsch, »der nächste, Olli.«
Olli erzählt vom neuen Tablet, das sie ein paar
Euro günstiger verkaufen als die Mitbewerber. Dann
geht es um Lockenwickler, Kinderrucksäcke und
Lätzchen, um Pullis mit den Skylines von London
und New York. Kirsch lässt es laufen. Bis es um Des­
sous geht.
"Wir haben eine ganze Ladung bestellt, alle Far­
ben, alle Modelle«, sagt eine junge Frau mit über­
weitem Flauschpulli.
»Auch XXV«, fragt Kirsch.
»Sogar XXXL«, sagt sie.
»Great, das ist gut, das wollen unsere Kunden.«
Das einzige Problem, sagt sie, sei der Lieferant,
der sei so wahnsinnig langsam .
»Typisch«, sagt er, »das ist so Old Economy.«
Old Economy. Bei Kirsch hört sich das an, als
würde er über einen Stammesbrauch aus dem Rö­
mischen Reich sprechen. Über längst untergegange­
ne Zeiten. Kirsch ist ein Mann der New Economy.
Sein Unternehmen Lesara setzt voll auf das Netz.
»Das ist das Schöne an dieser Arbeit.
Alles ist messbar«
Lesara
Das Start-up
Das von Roman Kirsch gegründete
Internetgeschäft Lesara hat im
November des vergangenen Jahres
seinen ersten Geburtstag gefeiert.
Der Umsatz des Versandhändlers
habe sich im Gründungsjahr im
zweistelligen Millionenbereich
bewegt, sagt Kirsch, genauere
Zahlen will er nicht verraten. In
Deutschland soll das Unternehmen
von 2017 an erste Gewinne
erwirtschaften.
Lesara ist auch in der Schweiz, in
Österreich und in L~xemburg tätig,
im Verlauf dieses Jahres sollen
weitere europäische Länder
hinzukommen. Die Zahl der
Mitarbeiter wuchs im ersten Jahr
von 10 auf 70.
Die Konkurrenten
Lesara ist ein Online-Discounter.
Die Website leuchtet in knalligen Farben, Türkis und
Rot. Es gibt keine Suchfunktionen, es gibt Empfeh­
lungen der Mitarbeiter. 20 000 Produkte verkauft
Lesara insgesamt, täglich kommen 300 neue hinzu .
Jedes wird kategorisiert: Damen, Herren, Schmuck,
Zuhause, Kinder. Jedes bekommt ein Foto, eine Be­
schreibung, einen Preis. Und immer wieder steht da
auch ein durchgestrichener Preis. So viele Prozente
sparen Sie! Lesaras Zielgruppe sind Frauen, eher die
älteren. Frauen, die gerne im Internet surfen, am
liebsten mit ihren Smartphones.
Was sich am besten verkauft? Was am schlechtes­
ten? Das zeigen die Zahlen auf einem Flachbild­
schirm, der im Großraumbüro hängt. Kirsch sagt
nicht »verkauft«. Er sagt »gedreht«. Wenn ein Produkt
sich nicht dreht, wird es rausgenommen. Wenn es
sich schlechter dreht, schauen die, die fur die kleinen
Anpreisungstexte im Netz zuständig sind, ob sie es
noch besser anpreisen können. Wem wann was emp­
fohlen wird, berechnen Algorithmen. Sie berechnen
auch, wann welcher Preis am besten ist. Wenn es
regnet, wird es ein wenig teurer. Da sind die Men­
schen häufiger online unterwegs.
»Das ist das Schöne an dieser Arbeit«, sagt Kirsch,
»alles ist messbar. «
Es verkauft also bewusst keine
teuren Markenprodukte. Das
Unternehmen will mit dieser
Strategie Kunden erreichen, die
keine Lust mehr haben, für günstige
und namenlose Artikel in klassische
Geschäfte zu gehen. Viele der von
Lesara verkauften Waren kommen
aus China (Foto unten).
Zu den
Konkurrenten
gehören Fir­
men wie KiK,
Butlers oder
die zahlreichen
1-Euro-Shops, aber
auch Discounter
wie Aldi, Lidl,
Netto und Tchi­
bo, die in den ver­
gangenen Jahren
große Online­
Auftritte auf­
gebaut haben.
VON KILIAN TROTIER
Das Meeting ist zu Ende. Die Mitarbeiter mit den
HolzfaJlerhemden und den Flauschpullis sind ge­
gangen. Kirsch dreht einen Bierdeckel hin und her.
Er braucht etwas zu tun. Das war schon immer so.
Als Kirsch zwölf war, er lebte mit seinen Eltern in
Hamburg, teilte er nach der Schule Zeitungen aus.
Irgendwann wurde es für ihn alleine zu viel. Also
suchte er Leute. Kirsch sagt, er »rekrutierte« sie. Er
überlegte, wer wo am besten einzusetzen war. Ko­
ordinieren und Prozesse einüben, das habe ihn früh
gereizt, sagt er. Seine Eltern waren aus Russland ge­
kommen, hatten alles aufgegeben, für ihn.
Er wollte ihnen etwas zurückgeben. In der Schu­
le übersprang Kirsch zwei Klassen. Er machte Abitur,
bestand die Aufnahmeprüfung an der privaten Wirt­
schaftshochschule WHU und bekam ein Vollstipen­
dium, mit 18. Als er mit dem Bachelor fertig war, da
war er 21 , ging er ein Jahr lang an die London School
of Economics. Kurz vor Ende, es lief die Klausuren­
phase, rief er zwei seiner Freunde von der WHU an.
Er habe eine Idee: Produkte von jungen Designern
online verkaufen. Seid ihr dabei? Sie waren dabei.
Flogen zu ihm nach London, stellten einen Business­
plan auf, machten eine Präsentation. Morgens schrieb
Kirsch eine Klausur. Mittags flogen sie alle nach
Berlin, stellten das Konzept Investoren vor. Um
Mitternacht waren sie wieder in London.
Sie bekamen das Geld zusammen. Gründeten
Casacanda. Wurden groß. Kirsch baute das Geschäft
in Europa auf. Dann verkauften sie. Und Kirsch wuss­
te nicht, wie er weitermachen sollte. »Ich wollte mir
Zeit nehmen für die, die ich vernachlässigt habe. Ich
habe zwei Wochen lang meine Wohnung aufgeräumt,
Rechnungen überwiesen, die überfällig waren. Und
mich dann gefragt: Okay, what's next?«
Kirsch bekam Angebote. Spotif)r in den USA mit
aufbauen. Führungsposition in einer Firma mit 1000
Mitarbeitern. Er machte es nicht. Er wollte neu auf­
bauen, wollte eine Firma nach seinen Regeln leiten.
Keine Angst vor dem Alleingang?
»Wer so etwas macht, muss ein Stückchen weit
schizophren sein. Wenn man den ganzen Tag lang
über die Summen nachdenkt, verzagt man. Viel­
leicht bin ich besonders gut darin, den Druck zu
verdrängen. «
Weil es etwas Spielerisches hat?
»Im Gegenteil. Weil ich ganz genau weiß, dass es
nicht zum besten Resultat für die Mitarbeiter und
das Unternehmen führt.«
Kirsch' gehört zu den erfolgreichsten Jung­
unternehmern in Deutschland. Stars der Szene sind
die Samwer-Brüder, doch sie scheinen selbst für ihn
unerreichbar. Sie haben ein ganzes Imperium an Netz­
Firmen aufgebaut und verkauft und damit Hunder-
te von Millionen verdient. Kirsch geht einen anderen
Weg. Er hat eine Firma, die er groß machen will. Er
kann das, weil er sehr zielstrebig ist. Er kann das, weil
er nicht anders kann, als in Strukturen zu denken.
Wenn er von Lesaras Vorteilen im Wettbewerb
spricht, sagt er: »Drei Sachen: Erstens die Technolo­
gie, die ist hochmodern in allen Abteilungen. Zwei­
tens: Einkauf, ohne gute Produkte zum richtigen Preis
mit guten Sryles geht nichts. Drittens: Operatiom, wir
ordern direkt aus China, dadurch können wir den
Preis niedrig halten.«
»Gas geben müssen wir vor allem mit
Sachen fürs Schlafzimmer«
Wenn er darüber spricht, was ihn motiviert, sagt er:
»Zwei Sachen: erstens die Möglichkeit, über das In­
ternet Millionen von Menschen zu erreichen. Zwei­
tens: das Tean1. « Jede Sitzung, die Kirsch den Tag
über hat, leitet er. Er wird nie laut. Nie dauert es
länger als eine halbe Stunde. Eine Mitarbeiterin ist
länger krank. Er organisiert Ersatz. Ein Software-Up­
date braucht Zeit. Er will es noch diese Woche haben.
Eine Präsentation über den Ausbau der Logistik in
China, das ist sein Projekt. Bis März will Kirsch in
der Nähe von Hongkong ein Lager aufbauen . Die
Waren sollen von dort direkt verschickt werden.
Lesara soll bald in andere Länder expandieren. Es
wäre zu teuer, die Waren von China in die deutschen
Lager zu senden, wenn der Kunde gar nicht in
Deutschland wohnt.
Am Abend, die letzte Runde. Es geht um Zahlen.
Was hat sich in der Kategorie »home« gut verkauft,
was nicht? Fünf Leute, Kirsch steht.
Eine junge Frau präsentiert. Was am besten lief:
ein Winterpullover für Hunde, 41-mal verkauft. Was
am schlechtesten lief: ein Zweierset Tierzahnbürsten,
nur einmal verkauft.
»Gas geben müssen wir vor allem mit Sachen fürs
Schlafzimmer«, sagt Kirsch.
»Ja, gerade Bettwäsche läuft nicht«, sagt die junge
Frau. »Bei Facebook wird ständig die Tierbettwäsche
angeboten, die kauft niemand.«
»Die gibt es auch bei lkea«, sagt eine andere Frau.
"Aber mit einem anderen Muster«, sagt Kirsch,
»und wir sind günstiger.« Dann stockt er. »Nur eine
Sache, passt jetzt nicht rein, aber: Kugelschreiber, die
brauchen wir auch. Wer kümmert sich?« Die beiden
Frauen heben die Hand. Kirsch nickt.
Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass er etwas
sagt, was nicht zum Thema gehört. Es ist das erste
Mal, dass er kurz seine Struktur durchbricht. Er blickt
in die Runde. Niemand sagt etwas. Alle blicken auf
ihn. »Alright«, sagt er, "what's next?«