Polizei- und Ordnungsrecht (Fragen und Antworten – Teil 2)

Prof. Dr. Hubertus Gersdorf
Polizei- und Ordnungsrecht (Fragen und Antworten – Teil 2)
Fragen:
Handlungsformen zur Gefahrenabwehr / Vorbehalt des Gesetzes
1. Worin unterscheiden sich polizeiliche Verfügung und polizeilicher Realakt voneinander?
2. Was versteht man unter einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt? Nennen Sie Beispiele!
3. Definieren Sie den Vorbehalt des Gesetzes! Auf der Grundlage des § 114 SOG MV ergeht ein
Kostenbescheid (VA). Ist dem Vorbehalt des Gesetzes entsprochen?
2
Polizei- und Ordnungsrecht (Fragen und Antworten – Teil 2)
Antworten:
Handlungsformen zur Gefahrenabwehr / Vorbehalt des Gesetzes
1. Die polizeiliche Verfügung unterscheidet sich in zwei Punkten vom polizeilichen Realakt:
Wenn zum einen die Maßnahme nicht auf die unmittelbare Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, also keine Regelung im Sinne des § 35 VwVfG (MV) enthält, liegt keine Verfügung,
sondern ein (polizeilicher) Realakt vor. Zum anderen kann es an der für die Wirksamkeit eines
VA erforderlichen Bekanntgabe (vgl. § 41 VwVfG [MV]) fehlen; dies etwa dann, wenn der Adressat einer Verfügung nicht vor Ort ist (Maßnahmen gegenüber Abwesenden). Auch in diesem
Fall liegt keine (wirksame) polizeiliche Verfügung, sondern ein polizeilicher Realakt vor.
2. Bei einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist das in Rede stehende Verhalten nach
der einfachgesetzlichen Regelung grundsätzlich erlaubt, jedoch an die Erteilung einer Erlaubnis
geknüpft (Beispiel: §§ 1, 2 GaststG, § 72 LBauO MV).
Demgegenüber ist das Verhalten bei einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt nach der
einfachgesetzlichen Regelung grundsätzlich verboten; dies ändert freilich nichts daran, dass das
Verhalten prinzipiell grundrechtlich geschützt ist, mit der Folge, dass ein repressives Verbot mit
Befreiungsvorbehalt in grundrechtliche Positionen eingreift und nur dann vor diesem Grundrecht
Bestand hat, wenn es Ausdruck der Schranke des betreffenden Grundrechts ist, d.h. insbesondere
dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (Beispiel für ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt: § 32 StVO verbietet, Sachen auf die Straße zu bringen. Eine Befreiung von
diesem Verbot ist nach § 46 Abs. 1 Nr. 8 StVO möglich).
3. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip fließende Vorbehalt des Gesetzes besagt, dass der Staat nur
auf Grundlage eines Gesetzes handeln darf („Kein Handeln ohne Gesetz“). Der Kostenbescheid
bedarf wegen seiner belastenden Wirkung zur Rechtmäßigkeit einer Ermächtigungsgrundlage.
Diese könnte hier in § 114 SOG MV zu erblicken sein. Diese Vorschrift besagt ausdrücklich nur,
dass die entsprechenden Kosten erhoben werden dürfen. Sie besagt aber nicht ausdrücklich, dass
sich die Behörde hierzu der Handlungsform des VA bedienen darf; kurzum: sie enthält keine
ausdrückliche VA-Befugnis. Fraglich ist also, ob § 114 I SOG MV trotz fehlender ausdrücklicher
VA-Befugnis zum Erlass eines Kostenbescheids berechtigt; verneinte man dies, bliebe der Behörde nur der Weg, ihre öffentlich-rechtliche Forderung im Wege der allgemeinen Leistungsklage vor dem VG durchzusetzen.
Nach einer Ansicht betreffe der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes nur den Inhalt des Verwaltungshandelns, nicht aber die Handlungsform. Dem ist indes nicht zu folgen, weil die Handlungsform des VA die Behörde maßgeblich privilegiert (Möglichkeit der Durchsetzung der Forderung im Wege des Verwaltungszwangs ohne Inanspruchnahme der Gerichte). Wegen dieser
belastenden Wirkung für den Bürger bedarf es einer speziellen Ermächtigungsgrundlage, die eine
VA-Befugnis begründet.
Eine andere Meinung betrachtet den VA als originäre Handlungsform der Verwaltung; die Verwaltung besitze die grundsätzliche Möglichkeit, kraft hoheitlicher Gewalt tätig zu werden und
damit auch VA zu erlassen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Ausübung hoheitlicher
Gewalt dem rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes entsprechen muss. Dieser Grundsatz verlangt eine Ermächtigungsgrundlage mit VA-Befugnis, sofern die Behörde in der Handlungsform
des VA tätig wird.
Überzeugen könnte allenfalls der dritte Begründungsansatz, wonach die Behörde kraft Gewohnheitsrechts berechtigt sei, die entsprechenden Verwaltungskosten im Wege eines Kostenbescheids durchzusetzen. In der Tat entspricht dies einer langanhaltenden Übung der Verwaltung,
die gemeinhin als rechtens angesehen wird. Die Voraussetzungen einer gewohnheitsrechtlich an-
Polizei- und Ordnungsrecht (Fragen und Antworten – Teil 2)
3
erkannten VA-Befugnis zum Erlass von Kostenbescheiden liegen vor. Auch Gewohnheitsrecht
ist eine Rechtsquelle, die dem Vorbehalt des Gesetzes entspricht.
_______________