Sozial Extra 4 2015: 20-23 DOI 10.1007/s12054-015-0054-0 Praxis aktuell Flüchtlingssozialarbeit Flüchtlinge in den Hilfen zur Erziehung Eine Fallanalyse am Beispiel der Erziehungsbeistandschaft Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien nach Deutschland geflohen sind, treten auch in den Hilfen zur Erziehung in Erscheinung. Wie gestaltet sich eine Erziehungsbeistandschaft mit Jugendlichen und ihren Familie, die Flüchtlinge sind? Welche besonderen Bedürfnisse und Herausforderungen sind damit verbunden? Helen Breit *1987 Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin bei einem freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe mit den Arbeitsschwerpunkten Hilfe zur Erziehung und Gruppenarbeit. Aktuell Abschluss Master „Erziehungswissenschaft“ an der PH Freiburg mit dem Thema „Jugendliche begleitete Flüchtlinge“. [email protected] Kinder und Jugendliche, die gemeinsam mit ihren Eltern nach Deutschland geflohen sind, treten in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe in Erscheinung, jedoch in geringer Fallzahl . Die geringe Fallzahl kann ein Grund sein, warum sowohl in der Praxis als auch in der Forschung die Bedürfnisse von begleiteten Flüchtlingskindern (noch) nicht ausreichend in den Blick genommen werden (vgl. Johansson 2014). Darüber hinaus wird bei Flüchtlingskindern das Wohl der Kinder häufig allein an dem Vorhandensein eines Erziehungsberechtigten gemessen – unabhängig von der Unterbringungsart und den besonderen Herausforderungen, mit denen Flüchtlingskinder konfrontiert werden. Damit wird Jugendhilfe ihrem gesetzlichen Auftrag nicht gerecht. Jugendhilfe besonders gefragt Dass an dieser Stelle die Jugendhilfe vielmehr in besonderem Maße gefragt ist und Verantwortung übernehmen sollte, untermauert die 2014 erschiene Studie „In erster Linie Kinder“ (Berthold 2014). Im Folgenden wird dies auf der Grundlage eigener Erfahrungen in der Arbeit mit jungen Flüchtlingen mittels einer Fallanalyse - dem Fall „Elira“ - aufgezeigt, um die besonderen Bedürfnisse von Jugendlichen und ihren Familien, die nach Deutschland geflüchtet sind, darzustellen. In unserer Einrichtung der Jugendhilfe begegnen uns in den verschiedenen Arbeitsbereichen junge Flüchtlinge: in der Schulsozialarbeit, in der offenen Jugendarbeit, im Fanprojekt und in den Hilfen zur Erziehung. Elira nahm in unserer Einrichtung zwei Jahre eine Hilfe zur Erziehung in Form einer Erziehungsbeistandschaft in Anspruch. Der Fall „Elira“ Die 15-jährige Elira und ihre Familie – die Eltern und vier Geschwister - lebten zum Hilfebeginn bereits fünf Jahre in Deutschland. Die Eltern flohen mit vier Kindern aus dem Kosovo. Elira als älteste und ihr nachfolgender Bruder kamen mit einer angeborenen Sehbehinderung zur Welt. Aufgrund ihrer Roma-Zugehörigkeit hatten beide in ihrem Herkunftsland keinen Zugang zu einer adäquaten Bildungseinrichtung. Die Familie lebte abgeschieden und ohne Zukunftsperspektiven im Kosovo. In Deutschland lebte die Familie dann die ersten sieben Jahre in zwei Flüchtlingswohnheimen, anschließend durften sie in eine eigene Wohnung umziehen. Elira und ihre Familie mussten in den ersten drei Jahren in einem Flüchtlingswohnheim eine beengte Wohnung mit einer anderen Familie teilen. Als nach diesen drei Jahren das fünfte Kind geboren wurde, durfte die Familie in ein anderes Flüchtlingswohnheim umziehen. In diesem standen der Familie drei Zimmer und eine kleine Küche zur alleinigen Verfügung. Die Eltern teilten sich mit dem jüngsten Sohn ein Zimmer, Elira und ihre drei anderen Brüder teilten sich das zweite Zimmer. Zu diesem Zeitpunkt war Elira 15 Jahre alt. Der Vater arbeitete nach Erhalt der Arbeitsgenehmigung in schlecht bezahlten, befristeten Aushilfsjobs, die Mutter war Hausfrau und stellte die Versorgung der Kinder sicher. Elira besuchte auf einer Sehbehindertenschule den Förderschulzweig, ihr Bruder an der gleichen Schule den Hauptschulzweig, zwei Brüder die Grundschule und der jüngste mit vier Jahren den Kindergarten. Zum Hilfebeginn waren alle Familienmitglieder in Deutschland geduldet. Wegen andauernder Konflikte zwischen Elira und ihren Eltern, die zu eskalieren drohten, entschied sich Elira im Alter von 15 Jahren für eine Inobhutnahme. Auf Empfehlung des Jugendamts stellten die Eltern im Anschluss daran einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung, woraufhin eine Erziehungsbeistandschaft installiert wurde. Abstract / Das Wichtigste in Kürze Der Artikel setzt sich mit Hilfen zur Erziehung mit begleiteten jugendlichen Flüchtlingen auseinander. Anhand einer Fallanalyse einer Erziehungsbeistandschaft werden die Herausforderungen für die Fachkräfte und die besonderen Bedürfnisse von begleiteten jugendlichen Flüchtlingen herausgestellt. Keywords / Stichworte Jugendhilfe, Hilfe zur Erziehung, jugendliche begleitete Flüchtlinge 20 Unterschiedliche Blicke auf „Jugend“ Im Verlauf des Hilfeprozesses wurde deutlich, dass Elira und ihre Eltern sehr divergierende Vorstellungen dazu hatten, wie (weibliche) Jugendliche aufwachsen sollen, wie viele Freiheiten ihnen zustehen und welche Pflichten sie haben. Elira erlebte dieses Spannungsverhältnis als sehr belastend. Grundsätzlich wollte sie den Erwartungen ihrer Eltern gerecht werden und ein „gutes“ Kind für ihre Eltern sein. Gleichzeitig erlebte sie durch ihre (Schul-) FreundInnen andere und freiere jugendliche Lebensentwürfe als den ihr familial zugewiesenen. Dieses Spannungsverhältnis war Elira seit Beginn der Hilfe bewusst: Bereits im Hilfeplangespräch benannte sie als ein Ziel der Hilfe, für sich herauszufinden, wann sie richtig handle und wann nicht. Sie erlebte es als Überforderung, alleine zu entscheiden, wann es in Ordnung ist, nach ihren Bedürfnissen zu handeln und wann sie sich nach den Bedürfnissen ihrer Familie richten sollte. Daher erfolgten im Hilfezeitraum Gespräche mit Elira, Gespräche mit den Eltern und gemeinsame Gespräche über die Rechte und Pflichten von Kindern sowie welche Freiheiten gut für ihre Entwicklung sind. Für die Eltern war es neu, mit einer Person außerhalb der Familie über ihre Erziehungsvorstellungen Gespräche zu führen und gemeinsam mit ihrem Kind in Diskussionen und Aushandlungsprozesse zu gehen. Obwohl die Eltern im Vergleich zu ihrer eigenen autoritären Erziehung einen offeneren Erziehungsstil pflegten, unterschied er sich deutlich von gängigen Erziehungsvorstellungen in Deutschland. Daher beinhalteten die Gespräche Auseinandersetzungen über verschiedene Ansätze der Erziehung, Fragen über Möglichkeiten, die Entwicklung zu fördern sowie die Verdeutlichung von Rechten der Kinder - wie zum Beispiel das Recht auf Freizeit und Erholung - , die in Deutschland Kindern und Jugendlichen zugesprochen werden. Für die Eltern war es z.B. schwer nachzuvollziehen, dass es für ihre Kinder neben schulischen und häuslichen Pflichten genauso wichtig ist, Freizeit mit Gleichaltrigen zu verbringen. Eine spezielle Problematik lag darin, dass nur Elira selbst andere Erziehungsstile bei ihren FreundInnen kennenlernte – die Eltern hatten wegen der Unterbringung in Wohnheimen (anschließend in einer abgeschiedenen Wohnung) keine Chance, sich mit anderen Eltern mit Varianten im Erziehungsverhalten auseinanderzusetzen, oder diese aus erster Hand zu erleben. So kannten sie nur ihren eigenen Erziehungsentwurf. Kinder als Hoffnungsträger Dass die Eltern auch in diesem Fall sehr viel Wert auf die Schulbildung ihrer Tochter legen und auch deshalb den Stellenwert von Freizeit nur schwer verstehen konnten, ist neben einer anderen Sozialisation im Herkunftsland auch auf die Fluchtentscheidung zurückzuführen. Denn die Eltern sind nicht zuletzt deshalb nach Deutschland geflohen, um ihren Kindern eine Zukunftsperspektive zu ermöglichen. Daher sollte ihre Tochter ihre Zeit und ihr Engagement in die Schule investieren, anstatt in Freunde oder Freizeitgestaltung. Die Eltern fühlten sich in der Pflicht, auf die Einhaltung dieses Engagements zu achten – ohne Kenntnisse darüber zu haben, wie viel und in welchem Maße sich ihre Tochter für die Schule engagieren muss, um erfolgreich zu sein und in welchem Möglichkeitsraum sie sich bewegte. Aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse und den fehlenden Informationen zu unserem Schulsystem fiel es den Eltern zudem sehr schwer, die Leistungen ihrer Tochter richtig einzuordnen. Elira wollte stets den Ansprüchen ihrer Eltern genügen, jedoch fiel es ihr aufgrund ihres Alters und Entwicklungsstandes schwer, diesen stets gerecht zu werden. Auch hier befand sich Elira in dem Spannungsverhältnis zu wissen, dass ihre Eltern auch für sie geflohen sind und dem gleichzeitigem Bedürfnis nach jugendtypischen Verhalten und Aktivitäten. Hinzu kommt, dass Elira mit Vollendung des 15. Lebensjahres einen Aufenthaltsstatus für gut integrierte jugendliche Flüchtlinge (nach § 25a AufenthG) erhalten konnte. Hierfür musste unter anderem eine gute schulische und soziale Prognose ausgestellt werden. Dieser Umstand erforderte von Elira ein stets (sozial- und gesetzes-) konformes Verhalten sowie gute Schulleistungen und eine Aussicht auf einen Ausbildungsplatz. So musste Elira nicht nur den Druck aushalten, für sich und auch für ihre Eltern schulischen Erfolg zu erzielen, sondern auch selbst für die Sicherung ihres Aufenthaltsrechts (und somit für das Aufenthaltsrecht ihrer Familie) Sorge zu tragen. Dass Elira dann einen Aufenthaltstitel erhielt, machte sie sehr stolz, gleichzeitig war dessen Gültigkeit an eine weitere positive Karriere geknüpft. Darüber hinaus erhielt sie als einzige Person in der Familie, die einen Aufenthaltstitel inne hat, eine neue und sehr wichtige Rolle, welche neue Verantwortung mit sich brachte. Elira schaffte es aufgrund ihres Engagements nach Abschluss der Förderschule, eine duale Ausbildungsstelle zu erhalten, durch die sie nach Beendigung der Hilfe einen ersten Berufsabschluss und ihren Hauptschulabschluss erlangte. Erwachsene Kinder Nicht nur durch den Erhalt des Aufenthaltstitels, sondern auch durch ihre sehr guten Deutschkenntnisse und dem Status als ältestes Kind wurde Elira bereits sehr früh eine wichtige Rolle in der Familie zuteil: Schon als älteres Kind wurde ihr die Rolle der Dolmetscherin übertragen. Ihr Vater sprach gebrochenes bis gutes Deutsch, Schriftdeutsch fiel ihm schwer. Ihre Mutter war Analphabetin und sprach nur bruchstückhaft deutsch. Daher wurde Elira bereits im kindlichen Alter als Übersetzerin herangezogen: einerseits von ihren Eltern selbst (bei Schreiben von Behörden, Terminen mit Anwälten und Ärzten etc.), andererseits von den Institutionen, mit denen Elira und ihre Familie in Kontakt standen (Ausländerbehörde, Soziale Dienste, Schule etc.). Durch die Übersetzungstätigkeit musste sie sich zum Einen mit Themen auseinandersetzen, deren Inhalt sie nicht verstand und die nicht für Kinder und Jugendliche gedacht sind, zum Anderen übersetzte sie auch bei Gesprächen, bei denen es um sie selbst 21 Sozial Extra 4 2015 Praxis aktuell Flüchtlingssozialarbeit ging. Hier musste sie stets eine Doppelrolle einnehmen: sie war sowohl Gesprächsteilnehmerin als auch Übersetzerin für die Erwachsenen. In den Gesprächen lastete daher ein sehr hoher Druck auf ihr, alles sprachlich richtig weiterzugeben. Gleichzeitig wurde von ihr erwartet, alles richtig zu übersetzen, auch wenn es um Inhalte ging, die sie selbst und in negativer Weise betrafen. Elira musste also den sprachlichen Anforderungen gerecht werden und so diszipliniert sein, auch negative Äußerungen, die sie betrafen, ohne Veränderung des Inhalts weiterzugeben. Im Rahmen der Hilfe wurde dann versucht, so oft wie möglich professionelle DolmetscherInnen zu organisieren, um Elira die Chance zu geben, nur für sich sprechen zu dürfen. Darüber hinaus nutze Elira die Erziehungsbeistandschaft, um das Wissen, das sie durch ihre Übersetzungen erlangt hat, einzuordnen und inhaltliche Fragen zu klären - zum Ausländerrecht, ärztlichen Fachbegriffen, schulischen Angelegenheiten ihrer Brüder etc. „Freiwilligkeit“ der Hilfe zur Erziehung Dass die Hilfe zur Erziehung nicht freiwillig, sondern auf Anraten des Jugendamts eingerichtet worden war, war bereits am Anfang der Hilfe klar. Jedoch wurde im Verlauf der Hilfe deutlich, dass die Eltern einen zusätzlichen Druck verspürten, den vermeintlichen Erwartungen im Rahmen der Hilfe zu entsprechen. Sie meinten, dass sie sich mir als Fachkraft und dem Kommunalen Sozialen Dienst gegenüber angepasst und äußerst offen verhalten müssen, da für sie die Trennung von Ausländerbehörde und Jugendamt nicht eindeutig war. Deshalb verspürten die Eltern eine große Angst, dass ein „Fehlverhalten“ in der Hilfe Einfluss auf ihre Duldung haben könnte und somit zu einer Abschiebung führen könnte. Dies wurde gerade in Gesprächen über Eliras Freiraum deutlich: Elira äußerte immer wieder eine große Skepsis gegenüber Versprechungen ihrer Eltern, die ihr mehr Freiheiten zugestanden und nicht nur einmal betonte Elira „dass nach der Hilfe alles wieder so sein wird wie davor“. Trotz eines sehr guten Vertrauensverhältnisses und einer stabilen Beziehung zu den Eltern und der Zusicherung, dass die Hilfe nichts mit ihrem ausländerrechtlichen Status zu tun hat, war es bis zum Ende der Hilfe nicht möglich, die Sorge um eine vermeintliche Verbindung zwischen der Ausländerbehörde und mir als Leistungserbringerin gänzlich aufzulösen. Unterstützungsbedarf außerhalb des Hilfeplans Trotz dieser Sorge erkannten die Eltern im Verlauf der Hilfe, dass sie die Möglichkeit hatten, auch Themen außerhalb des Hilfeplans in die Hilfe miteinzubringen. So nutzte die Mutter die Hilfe, um mit mir als einer deutschen Frau ins Gespräch zu kommen und gemeinsame Erledigungen zu machen oder gemeinsame Ausflüge zu unternehmen. Der Vater erkannte das Unterstützungspotenzial in der Übersetzung von Behördenbriefen und bei der Begleitung bei Behördengängen. Darüber hinaus zeigte sich bei dem Versuch, die erworbenen Qualifikationen des Vaters im Herkunftsland in Deutschland an22 erkennen zu lassen, ein enormer Unterstützungsbedarf. Es war nicht möglich und auch nicht zielführend, die Hilfe nur auf pädagogische Inhalte, die Elira direkt betrafen, zu beschränken. Denn bei einer genaueren Ursachen- und Wirkungsbetrachtung wurde deutlich, dass Elira nur Druck genommen werden konnte, wenn auch ihren Eltern ein selbstständigeres Leben ermöglicht wird und vor allem eine Klärung der Aufenthaltssituation angestrebt wird, um so der unsicheren Aufenthaltssituation zu entgehen. Jedoch wurde im Rahmen der Hilfe immer wieder deutlich, dass die Zeitressourcen zu gering waren, um die Eltern hinreichend zu unterstützen – es konnten stets nur kleine Schritte gegangen werden und die Eltern mussten sich jeweils auf neue Beratungssituationen mit neuen Menschen einlassen. Fazit Am Fall „Elira“ zeigt sich, dass sich durch den Flüchtlingsstatus von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien besondere Unterstützungsbedarfe ergeben. Diese Unterstützungsbedarfe sind nicht den Familien selbst, dem Erziehungsverhalten der Eltern oder Entwicklungsproblemen von Jugendlichen zuzuschreiben, sondern der neuen, unsicheren und teilweise schlechten Situation, in der sich die Familien befinden (vgl. Berthold 2014). Gerade wenn Flüchtlinge mit einem Duldungsstatus in Deutschland leben, ist die Situation sehr herausfordernd: Es ist schwer vorstellbar, welche Kräfte jungen Menschen und ihren Familien genommen werden, wenn sie jeden Tag oder auch alle paar Monate bangen müssen, dass sie weiterhin in Deutschland bleiben dürfen. In Eliras Fall ist ihre Familie seit nunmehr neun Jahren diesem Umstand ausgesetzt – dass alle Beteiligten überhaupt so viel erreichen konnten, ist auf ihren Willen und ihre Eigenkräfte zurückzuführen. Hierfür verdienen sie viel Respekt und gleichzeitig ist es ein Umstand, der mich als Fachkraft in der Arbeit nicht nur ein Mal ohnmächtig gemacht hat. Aus dem SGB VIII ergibt sich der Grundauftrag zu positiven Lebensbedingungen beizutragen und Benachteiligung abzubauen (§ 1, SGB VIII) – inwieweit das überhaupt in der Arbeit mit geduldeten Flüchtlingen möglich ist, ohne das Konstrukt der Duldung bei Kindern und Jugendlichen vehement in Frage zu stellen, ist für mich fraglich. Neben der Fähigkeit dieses Dilemma auszuhalten und trotz dieser Umstände eine positive Entwicklung der Jugendlichen und ihrer Familie zu unterstützen (vgl. § 30 SGB VIII), zeigt sich eine weitere Herausforderung für die Fachkräfte: das Wissen um ausländerrechtliche Fragen. Zwar ist es keine Aufgabe von Fachkräften, in den Hilfen zur Erziehung ausländerrechtlich zu beraten, dennoch ist es, wie in diesem Beitrag beschrieben, unabdingbar, sich mit den Umständen, Rechten und Pflichten auseinanderzusetzen und Wissen zu generieren, um alle Eventualitäten im Blick zu haben um überhaupt eine wirksame Unterstützung für die Jugendlichen und ihre Familien zu sein. Wird das Postulat der „Hilfe zur Selbsthilfe“, und der Auftrag der Verbesserung der Lebensbedingungen tatsächlich ernst ge- nommen, so müssen sich die Fachkräfte in der Sozialen Arbeit noch deutlicher zur Situation und den Rahmenbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland positionieren. Kinder, Jugendliche und Erwachsene müssen ein Recht auf eine angemessene Unterstützung haben. Und zwar nicht über den Umweg von Symptomen wie vermeintlicher Entwicklungs- und Erziehungsprobleme. Die Ursachen, also Aufenthaltsstatus, Unterbringung, fehlende Förderung müssen anerkannt und bearbeitet werden. Im Fall Elira hätte es vielleicht trotz einer Bearbeitung dieser Ursachen auch eine Hilfe zur Erziehung gegeben, aber sie wäre anders ausgerichtet gewesen und hätte andere Inhalte gehabt: Nicht die in diesem Beitrag angeführten Themen hätten im Mittelpunkt gestanden, sondern „klassische“ sozialpädagogische Themen, wie Vorstellungen über das Aufwachsen, Stärkung einer Diskussionskultur innerhalb der Familie, Begleitung der Jugendlichen im Erwachsenwerden etc.. Doch so lange sich keine Unterstützung außerhalb von Hilfen zur Erziehung oder mühsam finanzierten Projekten etabliert, die die genannten Ursachen der schwierigen Lebenslage bearbeitet, sehe ich es weiter als Aufgabe der Fachkräfte an, sich neben pädagogischen Themen der Verbesserung der Lebensbedingungen zu widmen. Elira hat eine enorme Eigenleistung für eine positive Entwicklung erbracht, die jedoch nicht von Kindern und Jugendlichen erwartet werden kann. Denn es ist zu Recht nicht die Aufgabe von Kindern und Jugendlichen, ihre Benachteiligung selbst abzubauen und zu positiven Lebensbedingungen beizutragen, sondern Aufgabe der Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe (§ 1, SGB VIII). Eben damit Kinder und Jugendliche ihre Kräfte in ihre eigene Entwicklung investieren können und so das Recht auf eine eigenständige und angemessene Entwicklung wahrnehmen können. w Literatur: BERTHOLD, THOMAS (2014). In erster Linie Kinder. Flüchtlingskinder in Deutschland. Deutsches Komitee für UNICEF e.V. (Hrsg.) JOHANSSON, SUSANNE (2014). Begleitete Flüchtlingskinder in Deutschland: Einblicke in den Forschungsstand. DJI Impulse. (Über)Leben 1 (S.25-30) GESETZE: Sozialgesetzbuch VIII, Aufenthaltsgesetz springer-vs.de Aktuelles Wissen Ronald Giemulla; Sebastian Schulz-Stübner Hygiene in Kindertagesstätten • • 2015. VIII, 92 S. 43 Abb. Brosch. € (D) 14,99 | € (A) 15,41 | * sFr 19,00 ISBN 978-3-662-45034-5 (Print) € (D) 9,99 | * sFr 15,00 ISBN 978-3-662-45035-2 (eBook) • Die wichtigsten Fakten wie sich Infektionen bei Kindern in Kindertagesstätten vermeiden lassen Erregerspektrum, Händedesinfektion, Reinigung von Räumen und Gegenständen Hygiene in der KITA Küche; korrekte Zubereitung von Speisen, inkl. Säuglingsnahrung, Reinigung von Geschirr, Umgang mit Lebensmittelresten und mitgebrachten Lebensmitteln, Auftauen und Aufbewahren von Lebensmitteln € (D) sind gebundene Ladenpreise in Deutschland und enthalten 7% MwSt. € (A) sind gebundene Ladenpreise in Österreich und enthalten 10% MwSt. Die mit * gekennzeichneten Preise sind unverbindliche Preisempfehlungen und enthalten die landesübliche MwSt. Preisänderungen und Irrtümer vorbehalten. Jetzt bestellen: springer-vs.de 23 150040
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