EnergieForum Deutschland Verwaltertalk am 9. April 2015 in Hamburg Aktuelle Entscheidungen zu wohnungseigentumsrechtlichen Themen RA Dr. Jan-Hendrik Schmidt, Hamburg S. 1 Themenauswahl • Macht eine verfehlte qualifizierte Mehrheit den Beschluss nichtig oder nur anfechtbar? • Versperrt ein Beschluss über die gemeinschaftliche Rechtsverfolgung durch die WEG einer Individualklage des einzelnen Eigentümers den Weg? • Muss der Verwalter vor der Abstimmung über Fördermittel beraten? • Macht ein schlechter Verwaltervertrag die Bestellung / Wiederbestellung kaputt? • Muss der Verwalter als Versammlungsleiter bei Abstimmungen über „verbummelte Instandsetzungen“ namentlich abstimmen lassen und Namen dokumentieren? S. 2 Macht eine verfehlte qualifizierte Mehrheit den Beschluss nichtig oder nur anfechtbar? S. 3 Fall: AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg In TE/GO ist Öffnungsklausel vereinbart, wonach Änderungen mit ¾-Mehrheit beschlossen werden. Das Stimmrecht richtet sich lt. TE/GO nach MEA. EV 3.8.2007. Beschluss TOP 6 b: Teilnahme WE 23 an öffentlichen Abgaben, IRL und Versicherung. Nach Hinweis auf die verpasste qualifizierte Mehrheit verkündet V auf Wunsch der EV: „Der Antrag wird mit 704:296 MEA angenommen.“ Anfechtungsklage. Das AG greift zu § 49 II WEG und legt V die ganzen Prozesskosten auf. Frage: Zu Recht? Wie kann sich V wehren? S. 4 LG Berlin ZMR 2009, 393 hebt AG Berlin Tempelhof-Kreuzberg ZMR 2008, 997 auf. • Die Prozesskosten tragen die Beklagten und nicht gem. § 49 II WEG der Verwalter. • Der Verwalter handelte nicht pflichtwidrig, da er die EV auf das Anfechtungsrisiko hinwies und andernfalls die bestehende Beschlussfassungskompetenz der WEer der Beschlussfeststellungskompetenz des Verwalters zum Opfer fiele. S. 5 Anmerkungen • Der Fall aus Berlin betraf ein in der GO vertraglich (satzungsmäßig) vereinbartes qualifiziertes Mehrheitserfordernis für einen Bereich, in dem vor dem 1.7.2007 Beschlussnichtigkeit herrschte. • § 22 II WEG betrifft ein gesetzlich qualifiziertes Mehrheitserfordernis für einen Bereich, in dem weder vor noch nach dem 1.7.2007 Nichtigkeit herrschte. S. 6 Was herrscht unterhalb der 75%-Grenze? 1. Bei in der GO vereinbarter qualifizierter Mehrheit – h.M.: Nur Anfechtbarkeit wegen bloßer Rechtswidrigkeit (Zählfehler), LG München I ZMR 2014, 480; 2008, 915; LG Berlin ZMR 2009, 393; KG NZM 2002, 613 – a.A.: Nichtigkeit, LG Hamburg ZMR 2009, 872 – Offen gelassen von BGH 12.12.2014 – V ZR 53/14 Rn 16 2. Bei gesetzlich qualifizierter Mehrheit des § 22 II – h.M.: Nur Anfechtbarkeit wegen bloßer Rechtswidrigkeit – a.A.: Abramenko: Nichtigkeit S. 7 Versperrt ein Beschluss über die gemeinschaftliche Rechtsverfolgung durch die WEG einer Individualklage des einzelnen Eigentümers den Weg? S. 8 Fall: BGH 5.12.2014 – V ZR 5/14 A und B sind WEer. In Wohnung des B wird Prostitution gewerblich ausgeübt. A regt sich hierüber auf und verklagt B auf Unterlassung von Störungen des GemEig (Lärmbelästigung, Verschmutzung Treppenhaus + Flure). AG und LG halten Klage für unzulässig, weil EV vorher beschlossen hatte, dass die den Eigentümern zustehenden Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche gegen die Prostitution im Objekt durch den Verband (WEG) geltend gemacht werden. Beide Instanzen wiesen Klage daher ab. Der Fall geht zum BGH. Frage: Sperrwirkung ja oder nein? S. 9 BGH 5.12.2014 – V ZR 5/14 Zieht die Wohnungseigentümergemeinschaft die Durchsetzung von Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüchen wegen Störungen des Gemeinschaftseigentums durch Mehrheitsbeschluss an sich, so begründet sie damit ihre alleinige Zuständigkeit für die gerichtliche Geltendmachung S. 10 Beschlussmuster zum „Ansichziehen“ „Die Wohnungseigentümer beschließen, dass die ihnen aus ihrem Eigentum zustehenden Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche wegen der gewerbsmäßigen Prostitution im Objekt (…), gemeinschaftlich durch den Verband (…) geltend gemacht werden sollen. Die Verwaltung wird beauftragt, einen Rechtsanwalt mit der gerichtlichen Durchsetzung der Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zu den üblichen Rechtsanwaltsgebühren zu beauftragen.“ (aus BGH, Urt v 05.12.2014 – V ZR 5/14 Rn. 1) S. 11 Muss der Verwalter vor der Abstimmung von sich aus über öffentliche Fördermöglichkeiten beraten? S. 12 Fall: LG Mönchengladbach ZMR 2007, 402 • • • • • • Umstellung der Heizungsanlage auf Erdgas örtlicher Energieversorger fördert mit EUR 1.125,00 pro Einheit Verwalter V versäumt Hinweis auf diese Fördermittelmöglichkeit V stellt keinen Förderantrag WEG verklagt V auf Schadenersatz Das LG Mönchengladbach verurteilt V, da die Pflicht zur Herbeiführung notwendiger Beschlüsse eine entsprechende Hinweis- und Beratungspflicht in Bezug auf die mögliche Inanspruchnahme von Fördermitteln wie Darlehen, Zuschüssen oder Nutzung steuerlicher Vorteile umfasse. S. 13 Meinungsstand heute (März 2015) 1. Verwalter muss die Eigentümer auf Fördermittel hinweisen und hierzu beraten LG Mönchengladbach ZMR 2007, 402 2. Verwalter muss nicht beraten Dötsch ZWE 2015, 79; J.-H. Schmidt ZWE 2014, 440 3. Verwalter darf nicht, da Fördermittelberatung verbotene Rechtsberatung AG Oberhausen ZWE 2013, 463 S. 14 Macht ein schlechter Verwaltervertrag die Bestellung / Wiederbestellung kaputt? S. 15 Fall: BGH Urt. v. 27.02.2015 - V ZR 114/14 In 4er-WEG enden Bestellung und Verwaltervertrag 31.12.2012. Daher wird in EV 11.12.2012 zu TOP 14 A Wiederbestellung bis 31.12.2017 beschlossen und zu TOP 15, dass Beirat mit Verwalter neuen Verwaltervertrag verhandelt, über den bis 28.02.2013 beschlossen werden soll. Sollte es keinen Beschluss für den neuen, verhandelten Verwaltervertrag geben, soll Verwalteramtszeit am 28.02.2013 enden. Anfechtungsklage gegen TOP 14A, gegen TOP 15 nicht. Frage: Hat die Anfechtungsklage Erfolg? S. 16 BGH Urt. v. 27.02.2015 - V ZR 114/14 Die (Wieder-)Bestellung des Verwalters entspricht grundsätzlich nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn in derselben Eigentümerversammlung, in der die Bestellung erfolgt, auch die Eckpunkte des abzuschließenden Verwaltervertrags (Laufzeit und Vergütung) in wesentlichen Umrissen geregelt werden; hiervon kann nur unter besonderen Umständen übergangsweise abgewichen werden. S. 17 Fazit für den Verwalter • Der sicherste Weg ist, über Bestellung und Abschluss des Verwaltervertrages in derselben EV abstimmen zu lassen. • Liegt Verwaltervertrag noch nicht vor oder soll er verhandelt werden, ist zu empfehlen, dass EV dem Verhandlungsführer der WEG die Eckpunkte (Laufzeit, Vergütung) zumindest in den wesentlichen Umrissen (so der BGH in Rn 9 des Urteils) vorgibt. • Hier kann zB zu „Von…. bis…. EUR/Jahren“-Regelungen gegriffen werden, die dem Verhandlungsführer also einen Spielraum lassen, aber mit festgelegter Obergrenze. S. 18 Muss der Verwalter als Versammlungsleiter bei Abstimmungen über „verbummelte Instandsetzungen“ namentlich abstimmen lassen und Namen dokumentieren? S. 19 Fall: BGH 17.10.2014 – V ZR 9/14 [feuchte Kellerwohnung] Fall: 3er-WEG mit Wohnungen in Keller, EG, DG. Aufteilung/TE 1995. Kellerwohnung 1996 ausgebaut, Nachtrag zur TE. Klägerin kaufte sie 2002. Seit 2008 Feuchteschäden, bald darauf unbewohnbar. 2010 selbst. Beweisverfahren Kl. ./. übrige WEer. SV stellt fest: bei Kellerausbau Planungs- und Baufehler (Vertikal-/ Horizontalsperre, Dränung fehlen, geschätzte Sanierungskosten ca. 54.000 €). Kl. verklagt übrige WEer auf Zustimmung zur Sanierung, gemeinsame Kostentragung, Erhebung Sonderumlage 54.000 €, Schadensersatz (u.a. 8.153,60 € Mietausfall). AG gibt teilw. statt, weist bzgl. Sanierung ab (Vorbefassung) LG weist komplett ab: keine Vorbefassung, zu teuer gekauft, Opfergrenze, nur Keller, keine Passivlegitimation usw. S. 20 Ermessens- und Gestaltungsspielraum der WEer Grundsätzlich weiter Gestaltungsspielraum der Mehrheit und schwacher Schutz der Minderheit. Vor größerer Sanierung sind Bestandsaufnahme und weitere Untersuchungen, Planung, Ausschreibung idR ermessensfehlerfrei. Aber: Entspricht nur die sofortige Vornahme einer zur Instandsetzung des GemEig erforderlichen Sanierungsmaßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung, muss dem Beschlussantrag zugestimmt werden. Es haftet nicht der Verband, sondern diejenigen Eigentümer, die schuldhaft untätig geblieben sind oder nicht für die erforderliche Maßnahme gestimmt bzw. sich enthalten haben. (BGH, Urteil vom 17.10.2014 – V ZR 9/14) S. 21 BGH 17.10.2014 – V ZR 9/14 1. Entspricht nur die sofortige Vornahme einer zur Instandsetzung des GemEig erforderlichen Sanierungsmaßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung, ist für die Berücksichtigung finanzieller Schwierigkeiten oder des Alters einzelner WEer kein Raum. 2. Erleidet ein einzelner WEer einen Schaden an seinem Sondereigentum, weil eine Beschlussfassung über die sofortige Vornahme derartiger Instandsetzungsmaßnahmen unterblieben ist, so trifft die Verpflichtung zum Schadensersatz nicht den rechtsfähigen Verband, sondern diejenigen WEer, die schuldhaft entweder untätig geblieben sind oder nicht für die erforderliche Maßnahme gestimmt oder sich enthalten haben. S. 22 Detailauswertung von BGH 17.10.2014 – V ZR 9/14 • Vorbefassung nicht nötig, wenn unnötige Förmelei (Rn. 7) – Die Aussage „Das ist Sache der Klägerin“ reichte dem BGH • • • • • Auch Kellerwohnung (lt. TE) ist Wohnung (Rn. 11) Für § 16 Abs. 4 WEG ist kein Raum (Rn. 16) Abwägung: Nicht zwingend erforderliche Maßnahmen dürfen ggf. zurückgestellt werden (Rn. 10), d.h. ohne Haftung Setzt Haftung Ermessensreduzierung auf null voraus („nur“)? „schuldhaft“, d.h. Nichtverschuldenseinwand statthaft – Ausreden der Sanierungsgegner: „Kein Geld, nicht gewusst, falsch beraten, konnte/ wollte nicht zur EV gehen.“ – Zwang zur Stimmrechtsvollmachtserteilung mit Weisung? • Was bei mehr als einer fachgerechten Sanierungsmöglichkeit und Stimmenpatt oder genereller Ablehnung? S. 23 Wozu ist jeder Eigentümer bei sofort erforderlicher Instandsetzung rechtlich verpflichtet? • • Aktive Mitwirkung statt Nichtstun? Zustimmung? – Ja-Stimme in der Versammlung oder im Umlaufverfahren – Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht mit Weisung "Ja"? – Nur Grundsatzbeschluss oder auch Ausführung? → was gilt bei mehreren Varianten, die jede für sich den aaRdT entsprechen (vgl. dazu BGH 24.5.2013 – V ZR 182/12)? – Instandsetzung iSd § 21 WEG ist auch die Vorbereitungsphase, zB Bestandsaufnahme, Gutachten, Zweitgutachten, Gegengutachten, Einschaltung Planer/Bauleiter, Energie- oder Fördermittelberatung → „Alibibeschlüsse“, um erst später über die weitere Instandsetzung zu beschließen, sind riskant, wenn Sachlage klar festgestellt und/ oder alles längst hätte geschehen können und müssen (Verzug). • Aktive Einwirkung auf andere Eigentümer? S. 24 Wozu ist der Verwalter verpflichtet? • Vor der Eigentümerversammlung – Rechtlicher Hinweis auf Haftungsrisiko gemäß BGH? – Vollmachtsformulare mit Weisungsfeld benutzen? – (anwaltliche) Aufforderungsschreiben mit versenden? • In der Eigentümerversammlung – Rechtlicher Hinweis auf Haftungsrisiko gemäß BGH? – Abstimmungsverhalten festhalten und dokumentieren? – Was bei Geschäftsordnungsantrag „geheime Abstimmung“? • Nach der Eigentümerversammlung – Abstimmungsverhalten ins Protokoll? – Eigentümern Auskunft erteilen über Abstimmungsverhalten? S. 25 Verwaltertalk - Gesprächsrunde S. 26 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und dem EnergieForum Deutschland für die Einladung und Organisation S. 27
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