V ZR 9/14 - Verwaltertalk

EnergieForum Deutschland
Verwaltertalk am 9. April 2015 in Hamburg
Aktuelle Entscheidungen zu
wohnungseigentumsrechtlichen
Themen
RA Dr. Jan-Hendrik Schmidt, Hamburg
S. 1
Themenauswahl
•  Macht eine verfehlte qualifizierte Mehrheit den Beschluss
nichtig oder nur anfechtbar?
•  Versperrt ein Beschluss über die gemeinschaftliche
Rechtsverfolgung durch die WEG einer Individualklage des
einzelnen Eigentümers den Weg?
•  Muss der Verwalter vor der Abstimmung über Fördermittel
beraten?
•  Macht ein schlechter Verwaltervertrag die Bestellung /
Wiederbestellung kaputt?
•  Muss der Verwalter als Versammlungsleiter bei
Abstimmungen über „verbummelte Instandsetzungen“
namentlich abstimmen lassen und Namen dokumentieren?
S. 2
Macht eine verfehlte qualifizierte
Mehrheit den Beschluss nichtig
oder nur anfechtbar?
S. 3
Fall: AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg
In TE/GO ist Öffnungsklausel vereinbart, wonach
Änderungen mit ¾-Mehrheit beschlossen werden.
Das Stimmrecht richtet sich lt. TE/GO nach MEA.
EV 3.8.2007. Beschluss TOP 6 b: Teilnahme WE 23
an öffentlichen Abgaben, IRL und Versicherung.
Nach Hinweis auf die verpasste qualifizierte
Mehrheit verkündet V auf Wunsch der EV: „Der
Antrag wird mit 704:296 MEA angenommen.“
Anfechtungsklage. Das AG greift zu § 49 II WEG und
legt V die ganzen Prozesskosten auf.
Frage: Zu Recht? Wie kann sich V wehren?
S. 4
LG Berlin ZMR 2009, 393 hebt AG Berlin Tempelhof-Kreuzberg
ZMR 2008, 997 auf.
•  Die Prozesskosten tragen die Beklagten und nicht
gem. § 49 II WEG der Verwalter.
•  Der Verwalter handelte nicht pflichtwidrig, da er
die EV auf das Anfechtungsrisiko hinwies und
andernfalls die bestehende
Beschlussfassungskompetenz der WEer der
Beschlussfeststellungskompetenz des Verwalters
zum Opfer fiele.
S. 5
Anmerkungen
•  Der Fall aus Berlin betraf ein in der GO vertraglich
(satzungsmäßig) vereinbartes qualifiziertes
Mehrheitserfordernis für einen Bereich, in dem
vor dem 1.7.2007 Beschlussnichtigkeit herrschte.
•  § 22 II WEG betrifft ein gesetzlich qualifiziertes
Mehrheitserfordernis für einen Bereich, in dem
weder vor noch nach dem 1.7.2007 Nichtigkeit
herrschte.
S. 6
Was herrscht unterhalb der 75%-Grenze?
1.  Bei in der GO vereinbarter qualifizierter Mehrheit
–  h.M.: Nur Anfechtbarkeit wegen bloßer Rechtswidrigkeit
(Zählfehler), LG München I ZMR 2014, 480; 2008, 915; LG
Berlin ZMR 2009, 393; KG NZM 2002, 613
–  a.A.: Nichtigkeit, LG Hamburg ZMR 2009, 872
–  Offen gelassen von BGH 12.12.2014 – V ZR 53/14 Rn 16
2.  Bei gesetzlich qualifizierter Mehrheit des § 22 II
–  h.M.: Nur Anfechtbarkeit wegen bloßer Rechtswidrigkeit
–  a.A.: Abramenko: Nichtigkeit
S. 7
Versperrt ein Beschluss über die
gemeinschaftliche Rechtsverfolgung
durch die WEG einer Individualklage
des einzelnen Eigentümers den
Weg?
S. 8
Fall: BGH 5.12.2014 – V ZR 5/14
A und B sind WEer. In Wohnung des B wird Prostitution
gewerblich ausgeübt. A regt sich hierüber auf und verklagt
B auf Unterlassung von Störungen des GemEig
(Lärmbelästigung, Verschmutzung Treppenhaus + Flure).
AG und LG halten Klage für unzulässig, weil EV vorher
beschlossen hatte, dass die den Eigentümern zustehenden
Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche gegen die
Prostitution im Objekt durch den Verband (WEG) geltend
gemacht werden. Beide Instanzen wiesen Klage daher ab.
Der Fall geht zum BGH.
Frage: Sperrwirkung ja oder nein?
S. 9
BGH 5.12.2014 – V ZR 5/14
Zieht die Wohnungseigentümergemeinschaft die
Durchsetzung von Beseitigungs- oder
Unterlassungsansprüchen wegen Störungen des
Gemeinschaftseigentums durch
Mehrheitsbeschluss an sich, so begründet sie
damit ihre alleinige Zuständigkeit für die
gerichtliche Geltendmachung
S. 10
Beschlussmuster zum „Ansichziehen“
„Die
Wohnungseigentümer beschließen, dass die ihnen aus
ihrem Eigentum zustehenden Beseitigungs- und
Unterlassungsansprüche wegen der gewerbsmäßigen
Prostitution im Objekt (…), gemeinschaftlich durch den
Verband (…) geltend gemacht werden sollen. Die
Verwaltung wird beauftragt, einen Rechtsanwalt mit der
gerichtlichen Durchsetzung der Beseitigungs- und
Unterlassungsansprüche zu den üblichen
Rechtsanwaltsgebühren zu beauftragen.“
(aus BGH, Urt v 05.12.2014 – V ZR 5/14 Rn. 1)
S. 11
Muss der Verwalter vor der
Abstimmung von sich aus über
öffentliche Fördermöglichkeiten
beraten?
S. 12
Fall: LG Mönchengladbach ZMR 2007, 402
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Umstellung der Heizungsanlage auf Erdgas
örtlicher Energieversorger fördert mit EUR 1.125,00 pro Einheit
Verwalter V versäumt Hinweis auf diese Fördermittelmöglichkeit
V stellt keinen Förderantrag
WEG verklagt V auf Schadenersatz
Das LG Mönchengladbach verurteilt V, da die Pflicht zur
Herbeiführung notwendiger Beschlüsse eine entsprechende
Hinweis- und Beratungspflicht in Bezug auf die mögliche
Inanspruchnahme von Fördermitteln wie Darlehen, Zuschüssen
oder Nutzung steuerlicher Vorteile umfasse.
S. 13
Meinungsstand heute (März 2015)
1.  Verwalter muss die Eigentümer auf Fördermittel
hinweisen und hierzu beraten
LG Mönchengladbach ZMR 2007, 402
2.  Verwalter muss nicht beraten
Dötsch ZWE 2015, 79; J.-H. Schmidt ZWE 2014, 440
3.  Verwalter darf nicht, da Fördermittelberatung
verbotene Rechtsberatung
AG Oberhausen ZWE 2013, 463
S. 14
Macht ein schlechter
Verwaltervertrag die Bestellung /
Wiederbestellung kaputt?
S. 15
Fall: BGH Urt. v. 27.02.2015 - V ZR 114/14
In 4er-WEG enden Bestellung und Verwaltervertrag 31.12.2012.
Daher wird in EV 11.12.2012 zu TOP 14 A Wiederbestellung
bis 31.12.2017 beschlossen und zu TOP 15, dass Beirat mit
Verwalter neuen Verwaltervertrag verhandelt, über den bis
28.02.2013 beschlossen werden soll. Sollte es keinen
Beschluss für den neuen, verhandelten Verwaltervertrag
geben, soll Verwalteramtszeit am 28.02.2013 enden.
Anfechtungsklage gegen TOP 14A, gegen TOP 15 nicht.
Frage: Hat die Anfechtungsklage Erfolg?
S. 16
BGH Urt. v. 27.02.2015 - V ZR 114/14
Die (Wieder-)Bestellung des Verwalters entspricht
grundsätzlich nur dann ordnungsmäßiger
Verwaltung, wenn in derselben
Eigentümerversammlung, in der die Bestellung
erfolgt, auch die Eckpunkte des
abzuschließenden Verwaltervertrags (Laufzeit
und Vergütung) in wesentlichen Umrissen
geregelt werden; hiervon kann nur unter
besonderen Umständen übergangsweise
abgewichen werden.
S. 17
Fazit für den Verwalter
•  Der sicherste Weg ist, über Bestellung und Abschluss des
Verwaltervertrages in derselben EV abstimmen zu lassen.
•  Liegt Verwaltervertrag noch nicht vor oder soll er
verhandelt werden, ist zu empfehlen, dass EV dem
Verhandlungsführer der WEG die Eckpunkte (Laufzeit,
Vergütung) zumindest in den wesentlichen Umrissen (so
der BGH in Rn 9 des Urteils) vorgibt.
•  Hier kann zB zu „Von…. bis…. EUR/Jahren“-Regelungen
gegriffen werden, die dem Verhandlungsführer also einen
Spielraum lassen, aber mit festgelegter Obergrenze.
S. 18
Muss der Verwalter als
Versammlungsleiter bei
Abstimmungen über „verbummelte
Instandsetzungen“ namentlich
abstimmen lassen und Namen
dokumentieren?
S. 19
Fall: BGH 17.10.2014 – V ZR 9/14 [feuchte Kellerwohnung]
Fall: 3er-WEG mit Wohnungen in Keller, EG, DG. Aufteilung/TE
1995. Kellerwohnung 1996 ausgebaut, Nachtrag zur TE.
Klägerin kaufte sie 2002. Seit 2008 Feuchteschäden, bald
darauf unbewohnbar. 2010 selbst. Beweisverfahren Kl. ./.
übrige WEer. SV stellt fest: bei Kellerausbau Planungs- und
Baufehler (Vertikal-/ Horizontalsperre, Dränung fehlen,
geschätzte Sanierungskosten ca. 54.000 €).
Kl. verklagt übrige WEer auf Zustimmung zur Sanierung,
gemeinsame Kostentragung, Erhebung Sonderumlage
54.000 €, Schadensersatz (u.a. 8.153,60 € Mietausfall).
AG gibt teilw. statt, weist bzgl. Sanierung ab (Vorbefassung)
LG weist komplett ab: keine Vorbefassung, zu teuer gekauft,
Opfergrenze, nur Keller, keine Passivlegitimation usw.
S. 20
Ermessens- und Gestaltungsspielraum der WEer
Grundsätzlich weiter Gestaltungsspielraum der Mehrheit und
schwacher Schutz der Minderheit. Vor größerer Sanierung sind
Bestandsaufnahme und weitere Untersuchungen, Planung,
Ausschreibung idR ermessensfehlerfrei.
Aber: Entspricht nur die sofortige Vornahme einer zur
Instandsetzung des GemEig erforderlichen Sanierungsmaßnahme
ordnungsmäßiger Verwaltung, muss dem Beschlussantrag
zugestimmt werden. Es haftet nicht der Verband, sondern
diejenigen Eigentümer, die schuldhaft untätig geblieben sind oder
nicht für die erforderliche Maßnahme gestimmt bzw. sich
enthalten haben.
(BGH, Urteil vom 17.10.2014 – V ZR 9/14)
S. 21
BGH 17.10.2014 – V ZR 9/14
1.  Entspricht nur die sofortige Vornahme einer zur Instandsetzung
des GemEig erforderlichen Sanierungsmaßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung, ist für die Berücksichtigung finanzieller
Schwierigkeiten oder des Alters einzelner WEer kein Raum.
2.  Erleidet ein einzelner WEer einen Schaden an seinem
Sondereigentum, weil eine Beschlussfassung über die sofortige
Vornahme derartiger Instandsetzungsmaßnahmen unterblieben
ist, so trifft die Verpflichtung zum Schadensersatz nicht den
rechtsfähigen Verband, sondern diejenigen WEer, die schuldhaft
entweder untätig geblieben sind oder nicht für die erforderliche
Maßnahme gestimmt oder sich enthalten haben.
S. 22
Detailauswertung von BGH 17.10.2014 – V ZR 9/14
• 
Vorbefassung nicht nötig, wenn unnötige Förmelei (Rn. 7)
–  Die Aussage „Das ist Sache der Klägerin“ reichte dem BGH
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• 
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Auch Kellerwohnung (lt. TE) ist Wohnung (Rn. 11)
Für § 16 Abs. 4 WEG ist kein Raum (Rn. 16)
Abwägung: Nicht zwingend erforderliche Maßnahmen dürfen ggf.
zurückgestellt werden (Rn. 10), d.h. ohne Haftung
Setzt Haftung Ermessensreduzierung auf null voraus („nur“)?
„schuldhaft“, d.h. Nichtverschuldenseinwand statthaft
–  Ausreden der Sanierungsgegner: „Kein Geld, nicht gewusst, falsch
beraten, konnte/ wollte nicht zur EV gehen.“
–  Zwang zur Stimmrechtsvollmachtserteilung mit Weisung?
• 
Was bei mehr als einer fachgerechten Sanierungsmöglichkeit und
Stimmenpatt oder genereller Ablehnung?
S. 23
Wozu ist jeder Eigentümer bei sofort erforderlicher
Instandsetzung rechtlich verpflichtet?
• 
• 
Aktive Mitwirkung statt Nichtstun?
Zustimmung?
–  Ja-Stimme in der Versammlung oder im Umlaufverfahren
–  Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht mit Weisung "Ja"?
–  Nur Grundsatzbeschluss oder auch Ausführung?
→ was gilt bei mehreren Varianten, die jede für sich den aaRdT
entsprechen (vgl. dazu BGH 24.5.2013 – V ZR 182/12)?
–  Instandsetzung iSd § 21 WEG ist auch die Vorbereitungsphase, zB
Bestandsaufnahme, Gutachten, Zweitgutachten, Gegengutachten,
Einschaltung Planer/Bauleiter, Energie- oder Fördermittelberatung
→ „Alibibeschlüsse“, um erst später über die weitere Instandsetzung
zu beschließen, sind riskant, wenn Sachlage klar festgestellt und/ oder
alles längst hätte geschehen können und müssen (Verzug).
• 
Aktive Einwirkung auf andere Eigentümer?
S. 24
Wozu ist der Verwalter verpflichtet?
•  Vor der Eigentümerversammlung
–  Rechtlicher Hinweis auf Haftungsrisiko gemäß BGH?
–  Vollmachtsformulare mit Weisungsfeld benutzen?
–  (anwaltliche) Aufforderungsschreiben mit versenden?
•  In der Eigentümerversammlung
–  Rechtlicher Hinweis auf Haftungsrisiko gemäß BGH?
–  Abstimmungsverhalten festhalten und dokumentieren?
–  Was bei Geschäftsordnungsantrag „geheime Abstimmung“?
•  Nach der Eigentümerversammlung
–  Abstimmungsverhalten ins Protokoll?
–  Eigentümern Auskunft erteilen über Abstimmungsverhalten?
S. 25
Verwaltertalk
- Gesprächsrunde
S. 26
Herzlichen Dank für
Ihre Aufmerksamkeit und dem
EnergieForum Deutschland für die
Einladung und Organisation
S. 27