Amalia - Epubli

Nadia Chafchaoui
Amalia
Impressum
Nadia Chafchaoui
Copyright: © 2015 Nadia Chafchaoui
Verlag: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
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Für meine geliebte Tochter Danielle.
Ohne dich wäre dieses Märchen nie entstanden.
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or langer, langer Zeit lebte eine königliche
Familie glücklich und zufrieden.
Die Königin gebar endlich das lang ersehnte
Kind, das sie immer bei sich trug, weil sie es so sehr
liebte. Der König verzieh seiner Frau, dass das
wunderschöne Baby ihr ein und alles war. Denn er
wusste nur zu gut, wie sehr sie sich dieses kleine
Mädchen gewünscht hatte, nachdem sie bereits fünf
Knaben zur Welt gebracht hatte.
Eines Tages schaffte er es endlich seine liebste Frau
zu einem Ausritt zu überreden. Die Köchin überreichte
ihnen den prall gefüllten Picknickkorb und das
Kindermädchen versprach mehrmals, gut auf den
kleinen Schatz aufzupassen. Die jungen Prinzen
rollten schon mit den Augen, weil ihre Mutter sich
kaum von dem Anblick ihrer Schwester losreißen
konnte. Erst als ihr Gemahl sie liebevoll am Arm
berührte und ihr aufmunternd zu lächelte, war sie
bereit, auf ihr Pferd zu steigen.
„Oh Liebster, glaubst du wirklich, sie werden gut
auf sie aufpassen?“, fragte sie, als sie sich schon ein
ganzes Stück vom Schloss entfernt hatten.
„Aber ja doch, sie ist zu Hause. Ihre Brüder und
unsere Bediensteten werden sie mit ihrem Leben
beschützen. Niemand würde den Zorn seiner Königin
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heraufbeschwören wollen. Auch nicht ihre Söhne.“ Er
lächelte schief. „Und jetzt entspann dich und lass uns
weiterreiten, bevor das Wetter umschlägt und es
anfängt zu stürmen. Unsere wunderschöne Prinzessin
wird noch viele Prinzenherzen brechen“, fügte er mit
einem Augenzwinkern hinzu.
Die Königin sah ihn von der Seite an und lächelte
zufrieden. Sie liebte ihren Mann von ganzem Herzen.
Er war ein guter König, so wie ein guter Vater und
Ehemann. Und genauso einen besonderen Mann
wünschte sie sich für ihre Tochter.
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17 Jahre später
A
malia band sich ihre Schürze um die Hüfte und
kämmte mit den Fingern ihre Haare.
„Hey Prinzessin, ran an die Arbeit!“, ertönte
eine Stimme von der anderen Seite der Tür. Eine
Stimme, die sie nur zu gut kannte.
Die Putzmagd warf einen Blick in den zerbrochenen
Spiegel über dem Waschtisch und seufzte.
„Ich komm ja schon!“, rief sie, weil das Klopfen an
der Tür lauter wurde.
Mit einem Ruck riss sie die Tür auf und funkelte ihr
Gegenüber zornig an.
„Was soll das?“
Peter lächelte schief und betrachtete sie von Kopf
bis Fuß. „Hast du wieder mal geträumt, Prinzessin?“
Er lehnte sich an den Türrahmen und sah sie
verschmitzt an.
„Ich bin keine Prinzessin“, murmelte Amalia und
entspannte sich wieder.
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Peter war der einzige Freund, den sie jemals hatte.
Er war immer gut und freundlich zu ihr. Als sie vor
drei Monaten endlich der einen Hölle entkommen
konnte, fand sie sich kurz danach in der nächsten
wieder. Sie war sich nicht bewusst gewesen, wie hart
das Leben auf der Straße sein würde. Ihr war es
zunächst nur wichtig gewesen, sich so schnell wie
möglich von ihren gemeinen Pflegeeltern zu befreien.
Doch ohne jeglichen Schutz und Geld war sie auf der
Straße genauso in Gefahr wie bei den Menschen, die sie
zwar schlecht behandelten, bei denen sie aber ein Bett,
etwas zu essen und zu trinken hatte. Sie schüttelte den
Kopf, als könne sie damit die Ängste, die sie bei dieser
Familie und auf der Straße durchgemacht hatte, aus
ihrem Gedächtnis löschen.
„Wer so aussieht, so spricht und so duftete wie du …“,
Peter schnupperte an ihr, „… muss eine Prinzessin
sein.
„Lass das!“, kicherte Amalia und hob ihren Zeigefinger.
„Hey ihr zwei! Fehlt es euch etwa an Arbeit?“ Die
Haushälterin stand im Flur, stemmte ihre Hände in die
Hüften und tippte mit ihrem Fuß auf den Boden. „Los,
los, los!“, rief sie und machte auf dem Absatz kehrt.
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Amalia und ihr Freund grinsten sich an und
machten sich sofort an ihre Arbeit.
Vorsichtig öffnete die Putzmagd das Zimmer des
Prinzen und trat hinein. Sie stellte den schweren Eimer
Wasser in die Mitte des Raumes und ging wieder
hinaus, um einen Besen und einen Lappen aus der
Putzkammer zu holen.
Im Zimmer stellte sie den Besen an die Wand und
warf den Lappen in den Eimer. Sie öffnete die Fenster
und atmete die frische Winterluft tief ein. Der
Ausblick auf den Rosengarten, der jetzt vollkommen
mit Schnee bedeckt war, war zu jeder Jahreszeit
einfach nur herrlich. Es dauerte immer eine Weile, bis
sie sich von dem Anblick des Gartens losreißen konnte.
Amalia erinnerte sich noch genau an den Tag, an
dem sie zum ersten Mal das Zimmer des Prinzen
betreten hatte, als sei es gestern gewesen. Der Prinz
war nicht ausgeritten, so wie ihr mitgeteilt worden
war. Er hatte stattdessen an seinem Schreibtisch
gesessen und gelesen.
Sofort war Seine Königliche Hoheit vom Stuhl
gesprungen und hatte ihr mit dem schweren Eimer
Wasser geholfen.
Es hatte eine Weile gedauert, bis sie beide aufgehört
hatten, sich gegenseitig anzustarren. Der Prinz hatte
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sich zuerst erholt, etwas von einem verletzten Pferd
gestammelt und eilig das Zimmer verlassen.
Wie sie später erfahren hatte, war sein Pferd
tatsächlich verletzt und deshalb war Prinz Kilian
nicht wie jeden Morgen ausgeritten.
Amalia hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sich
jeden Morgen ans Fenster zu stellen und von ihrer
ersten Begegnung mit dem Prinzen und leider auch
letzten bisher zu träumen, bevor sie anfing, das
Zimmer zu reinigen. Er war mit Abstand der schönste
Mann, den sie je gesehen hatte.
Mit einem wehmütigen Lächeln und dem Wissen,
dass er niemals ihr gehören würde, stützte sie sich vom
Fenster ab und machte sich als erstes an das königliche
Bett. Das Bettzeug, das wieder einmal auf dem Boden
neben dem Bett lag, entlockte ihr ein Schmunzeln.
Langsam hatte sie auch das Gefühl, der Prinz warf die
Decke und das Kissen mit Absicht auf den Boden.
Denn Anne hatte ihr einmal versichert, dass, als sie
noch das Zimmer des Prinzen gereinigt hatte, seine
Decke und sein Kissen immer auf dem Bett lagen und
nicht auf dem Boden, wie Amalia erzählte.
„Vielleicht will der Prinz damit deine Aufmerksamkeit erregen“, hatte Anne gesagt und ihr dabei
zugezwinkert.
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Amalia hatte nur den Kopf geschüttelt und sie mit
einer Servierte beworfen. Anne hatte sie geschickt aufgefangen und lachend die Küche verlassen.
Lächelnd hob die Magd das Kissen vom Boden auf,
umklammerte es und atmete den Duft des Mannes ihrer
Träume tief ein. Sie summte vor sich hin und wiegte
sich langsam zu der Melodie. Im Nu befand sie sich auf
einem Ball und tanzte mit dem Prinzen Walzer. Sie
war so vertieft in ihren Traum, dass sie nicht einmal
bemerkte, dass sie beobachtet wurde.
„Wie gern würde ich einmal mit Prinz Kilian
tanzen“, seufzte Amalia, als sie endlich wieder zu sich
kam.
„Oh, das wirst du.“
Amalia zuckte erschrocken zusammen und blickte
sich peinlich berührt im Zimmer um.
„Wer spricht da?“, fragte sie, während ihr die Röte
ins Gesicht stieg.
„Schau nach unten, dann wirst du mich sehen. Ich
stehe genau vor deinen Füßen.“
Amalia sah nach unten und entdeckte ein kleines
Tier, das vor ihren Füßen saß und zu ihr hoch blickte.
„Oh nein, eine Ratte!“ Amalia ging langsam ein
paar Schritte rückwärts und sah dann panisch zur Tür,
weil sie Schritte im Flur hörte.
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Wenn Jemand herausfindet, dass im Zimmer des
Prinzen eine Ratte ist, werde ich mit Sicherheit aus
dem Schloss geworfen, dachte sie verzweifelt.
Peter! Sie musste unbedingt Peter holen. Er war der
einzige, der ihr helfen würde, ohne es jemandem zu
verraten.
„So, liebe kleine Ratte“, sagte Amalia und versuchte
vorsichtig, zur Tür zu gelangen, „du bleibst jetzt genau
da, wo du bist, bis ich wiederkomme.“
Hatte die Ratte eben ihre Augen verdreht oder
bildete sie sich das nur ein?
„Könntest du dich bitte mal beruhigen, damit ich
endlich zur Sache kommen kann?“
Amalia traute ihren Ohren nicht. Verwundert blieb
sie an der Tür stehen und schüttelte den Kopf. Sprach
die Ratte etwa gerade mit ihr? „Du kannst sprechen?“
Amalia sah jetzt genauer zu dem kleinen Wesen und
bemerkte: „Du bist gar keine Ratte, du bist ein
Frettchen.“
„Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, aber
ich habe viel zu lange auf dich gewartet, um das Ganze
jetzt behutsam anzugehen“, sagte das Frettchen und
kam näher.
„Moment!“ Oh nein, sie sprach tatsächlich mit
einem Tier! Amalia holte tief Luft. „Was bedeutet das,
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du hast zu lange auf mich gewartet? Und wieso
kannst du überhaupt sprechen?“
„Dass du mich für eine Ratte gehalten hast, nehme
ich dir übel“, sagte das Frettchen beleidigt und
schüttelte den Kopf.
Amalia verzog den Mund und murmelte eine
Entschuldigung.
„Also in Wirklichkeit bin ich kein Frettchen,
sondern ein Mensch, so wie du. Allerdings hat man
mich vor einiger Zeit in das, was du jetzt hier vor dir
siehst, verzaubert.“
„Aber wer tut denn sowas?“, fragte Amalia, die
plötzlich Mitleid mit dem kleinen Wesen hatte.
„Das ist eine lange Geschichte, die ich dir auch
erzählen werde. Aber zuerst bitte ich dich, mir sofort in
den Turm zu folgen.“
„In den Turm? Du willst wohl, dass sie mich auf die
Straße setzen! Nein, das kommt gar nicht in Frage.
Und jetzt entschuldige mich bitte, wie du siehst, habe
ich noch eine Menge Arbeit zu verrichten.“ Amalia
strich über ihre Schürze und ging wieder zum Bett
hinüber. Das Frettchen folgte ihr und beobachtete sie
eine Weile bei der Arbeit. Als die Magd das Bett
gemacht hatte, drehte sie sich um und ihre Blicke trafen
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sich. Das Frettchen sah sie traurig an und neigte den
Kopf.
„Oh nein. So nicht. Lass das!“ Amalia beugte sich
vor und hob ihren Zeigefinger.
„Du willst mir also nicht helfen, wieder ein ganz
normaler Mensch zu sein, so wie du?“, fragte es mit
einem herzzerreißenden Blick.
Amalia atmete laut aus und hob die Hände. „Also
gut, also gut. Lass mich nur schnell meine Arbeit hier
zu Ende bringen und …“
„So viel Zeit haben wir aber nicht. Lass uns zuerst
in den Turm gehen, bitte.“
Amalia sah sich im Zimmer um und nickte dann
widerwillig. Auch wenn sie es riskierte, ihr einziges zu
Hause zu verlieren, brachte sie es nicht über das Herz,
das kleine Frettchen im Stich zu lassen. Sie wusste
genau, wie es war, auf Hilfe angewiesen zu sein. Mit
einer Handbewegung deutete sie dem Frettchen
vorzugehen.
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„I
ch kann nicht mehr.“ Schwer schnaufend
blieb Amalia stehen und stützte die Hände
auf die Knie.
„Ach komm schon, was soll ich denn dazu sagen. Ich
bin ein Frettchen, viel kleiner als du und dazu auch
noch doppelt so alt wie du.“
Amalia verzog verächtlich das Gesicht und lief
schweigend die letzten Stufen hoch.
Als sie in den Turm traten, schloss Amalia die
Augen in der Hoffnung, nach dem Öffnen in der
Dunkelheit etwas sehen zu können. Leider funktionierte das nicht wirklich. „Tja, ohne Licht werde ich
keinen Schritt weitergehen.“
Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, sah sie, wie
das Frettchen den Vorhang vor einem der Fenster zur
Seite schob. Und ein kleiner Lichtstrahl erhellte ein
wenig den Raum.
„Komm hier entlang!“, rief das Frettchen und lief
auf allen vieren in eine Ecke, die der Lichtstrahl nicht
erreichte.
„Wo führst du mich hin?“, fragte Amalia und folgt
ihm.
„Mach die Augen zu“, sagte das kleine Tier ganz
aufgeregt. „Nun mach schon!“, drängte es sie.
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Amalia rollte mit den Augen und schloss sie
schließlich. „Ich habe zwar keine Ahnung, warum ich
mich darauf eingelassen habe, aber …“
„Schscht“, unterbrach das Frettchen sie und sah
nach vorne. „Es werde Licht!“
Als Amalia das hörte, öffnete sie die Augen und
zwinkerte, weil sie von dem Anblick geblendet wurde.
„Was …?“ Fassungslos näherte sie sich den
wunderschönen Kleidern, Schuhen und Accessoires, die
ordentlich in einem riesigen Wandschrank hingen und
lagen.
„Wem gehören diese Sachen?“ Ehrfürchtig strich sie
über ein Tageskleid, das schöner war als alle Kleider,
die sie je bei einer Adligen gesehen hatte.
Weil das Frettchen nicht antwortete, drehte sich
Amalia zu ihm um und sah es an. Die kleine Kreatur
saß auf einem alten verstaubten Stuhl und blickte
traurig auf die Kleider. Endlich blickte es auf und
seufzte. „Sie gehörten meiner Herrin, der Großmutter
des Prinzen.“
„Seiner Großmutter“, wiederholte die Magd und
richtete ihren Blick wieder auf die Kleider. „Warst du
auch Putzmagd in diesem Schloss?“ fragte Amalia und
bewunderte ein Reitkleid, das sie nun in den Händen
hielt.
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„Nein“, lächelte das Frettchen. „Ich bin Lady
Sophie, ich war die Gouvernante der Königinmutter.“
„Oh“, entfuhr es Amalia. Sie sah wieder zu dem
Frettchen. „Wollt Ihr mir erzählen, was genau passiert
ist und warum wir hier sind, Lady Sophie?“ Sie hängte
das Kleid wieder zurück und setzte sich vor dem Stuhl
auf den Boden, um mit dem kleinen Tier auf Augenhöhe zu sprechen.
„Ich werde dir alles erzählen, wenn wir mehr Zeit
haben. Zuerst müssen wir uns um Prinz Kilian
kümmern. Zieh das Reitkleid an und reite in den Wald,
in dem er immer jagen geht.“
„Was soll ich …?“
„Los, los und trödele nicht rum. Das Pferd wartet
bereits auf dich. Bitte, vertraue mir“, sagte Lady
Sophie schließlich, weil Amalia sich immer noch nicht
bewegt hatte. „Du bist meine einzige Chance, um
wieder ein Mensch zu werden.“
Amalia stand auf, stemmte die Hände in die Hüften
und schnaubte. „Findet Ihr nicht, ich habe ein Recht
darauf, zu erfahren, was hier gespielt wird? Immerhin
verlangt Ihr von mir, meinen Kopf für Euch zu
riskieren! Und überhaupt, was hat das mit mir zu
tun?“ Sie redete sich so sehr in Rage, dass sie am
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ganzen Körper zitterte. Lady Sophie sah sie verdutzt
an.
„Bitte sagt mir nur, warum Ihr glaubt, ich sei Eure
einzige Rettung“, bat Amalia jetzt etwas sanfter, weil
ihr das Frettchen irgendwie leidtat.
Lady Sophie nickte und begann zu erzählen, wie es
zu dieser Verwünschung gekommen war. Das Ganze
hatte begonnen, als der König nach dem Tod seiner
Gemahlin einige Zeit später wieder heiratete.
Mit der Ankunft der neuen Königin veränderte sich
so einiges im Schloss. Die Königinmutter und ihre neue
Schwiegertochter waren nie miteinander zurechtgekommen.
Auch zwischen dem König und seiner neuen
Königin war es immer häufiger zum Streit gekommen.
Die verstorbene Gemahlin hing wie ein Schatten über
dem Schloss. Prinz Kilian war der neuen Königin
besonders ein Dorn im Auge gewesen, weil er sie immer
an ihre Vorgängerin erinnerte. Immer wenn sie ihn
gesehen hatte, erblickte sie seine Mutter - ein Gespenst,
dem sie nie das Wasser reichen konnte. Dieser Gedanke
hatte so sehr an ihr gezerrt, dass sie immer hässlicher
wurde, von außen wie von innen. Das Schloss glich mit
der Zeit einem Spukschloss.
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Die Königin hatte sich immer mehr zurückgezogen und
ließ niemanden mehr an sich ran. Eines Morgens war
sie ganz plötzlich aus ihrem Zimmer gekommen, ging in
die Küche und scheuchte alle Bediensteten aus der
Küche.
Eine Weile später war sie mit einem Picknickkorb in
der Hand in die Halle gekommen und ließ nach Prinz
Kilian rufen. Als er vor ihr gestanden hatte, kniete sie
sich vor ihm hin und lächelte ihn an. Sie sagte etwas zu
ihm und der kleine Prinz nickte erfreut. Lady Sophie
war zufällig in der Nähe gewesen, aber zu weit weg,
um zu hören, was sie zu ihm gesagt hatte. Aber ihr war
klar gewesen, dass sie mit Prinz Kilian einen Ausflug
plante. Also war sie schnell losgerannt und berichtete
es der Königinmutter. Otilia hatte wahnsinnige Angst
um ihren Enkel gehabt und hatte darauf bestanden,
ihre Schwiegertochter auf den Ausflug zu begleiten.
Die Königin verkniff sich einen Wutanfall und nickte
steif.
Die Königinmutter hatte kurz in Lady Sophies
Richtung geblickt, ihren Enkel an die Hand genommen
und mit ihm und der bösen Königin die Burg verlassen.
Lady Sophie war froh, als alle drei Gesund wieder zu
Hause angekommen waren. Doch der zornige Blick der
Königin hatte sie ahnen lassen, dass etwas nicht
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stimmte. Sie hatte angenommen, dass sie immer noch
wütend war, weil Otilia ihre Pläne durchkreuzt hatte.
Als die Gouvernante sich am Abend ins Bett legen
wollte, hatte sie nebenan ein ständiges Stöhnen gehört.
Sie hatte sich schnell einen Morgenmantel übergezogen
und war durch die Zwischentür in Otilias Zimmer
geeilt.
Sie war beinah in sich zusammengesackt, als sie die
Königinmutter zusammengekrümmt auf dem Boden
liegen sah. Als sie näher gekommen war, bemerkte sie,
dass sich Otilia übergeben hatte. Sie richtete sie auf
und lehnte sie an das Bett. Als der Arzt endlich
eingetroffen war, war es schon zu spät. Otilia war an
einer Lebensmittelvergiftung gestorben.
Das kleine Frettchen wischte sich eine Träne aus
dem Gesicht und schluchzte. Auch Amalia waren die
Tränen gekommen.
„Der kleine Kilian hatte sich vor seine Großmutter
hingekniet“, erzählte Lady Sophie, „und wollte dort
nicht mehr weggehen. Erst als er eingeschlafen war,
hat ihn der König in sein Zimmer getragen.“
Auf dem Dachboden wurde es ganz still. Es dauerte
eine Weile, bis Amalia ihre Stimme wiederfand.
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„Und was ist dann passiert? Ich meine mit Euch.“
Amalia zeigte auf die Gestalt, in der die Gouvernante
steckte.
„Alle im Schloss glaubten, dass Otilia etwas
Verdorbenes gefrühstückt hatte. Der arme Koch wurde
sogar daraufhin aus dem Schloss verbannt.“ Lady
Sophie schüttelte traurig den Kopf. Sie war die Einzige
damals, die sich sicher gewesen war, dass die Königin
ihre Schwiegermutter auf dem Gewissen hatte. Also
war sie zu ihr gegangen und hatte sie zur Rede gestellt.
Doch die böse Königin hatte Lady Sophie nur
ausgelacht und gemeint, dass sie keinerlei Beweise für
ihre Anschuldigung hätte. Daraufhin hatte die
Gouvernante erwidert, dass sie sich da nicht so sicher
sein sollte und gedroht, alles dem König zu berichten
und Prinz Kilian würde es bezeugen. Dafür würde sie
hängen, hatte Lady Sophie in ihrem grenzenlosen
Kummer gefaucht. Ehe sie sich versah, hatte die
Königin einen Fluch ausgesprochen und die
Gouvernante wurde zu diesem Häufchen Elend, das
Amalia vor sich sitzen sah. Von da an war Lady
Sophie klar gewesen, dass der König eine böse Hexe ins
Schloss geholt hatte. Als das Frettchen sich von seinem
Schock nach der Verwandlung erholt hatte, versuchte
es aus dem Fenster zu fliehen. Doch die Königin hatte
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es gepackt, es hasserfüllt angesehen und gesagt, dass
nicht sie Otilia umgebracht hätte, sondern ihr eigener
Enkel sei es gewesen. Denn das vergiftete Stück
Kuchen, das Otilia gegessen hatte, sei für ihren Enkel
gedacht gewesen, aber er hätte sich geweigert, es zu
essen und hätte es seiner Großmutter gegeben.
Amalia bewegte sich und kniete sich vor dem
kleinen Frettchen hin. „Es tut mir alles so schrecklich
leid, Lady Sophie, aber was genau hat das alles mit mir
zu tun?“, fragte sie vorsichtig.
Das Frettchen hob sein kleines Gesicht und sah
Amalia direkt in die Augen. „Als die böse Hexe im
Sterben lag, ging ich in ihr Zimmer, als gerade niemand
bei ihr war und bat sie, den Fluch wieder aufzuheben.
Es sei nun ohnehin nicht mehr wichtig, was ich wüsste,
da sie sterben würde. Die Hexe hatte nämlich durch
ihre eigene Giftmischung ihrem Leben ein Ende
gesetzt.“
Amalia sah sie verwundert an. „Wieso das denn?“
Das Frettchen fuhr fort und erzählte Amalia, dass
die Königin wieder versucht hatte, den Prinzen bei
einem Picknick zu vergiften. Nur diesmal hätte der
Junge es abgelehnt mitzukommen, und weil sie dann
angefangen hatten zu streiten, bot sich der König an,
sie beide zu begleiten.
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„Ehe sie in den Hof traten schmuggelte ich mich in
eine der Satteltaschen, um sie im Auge zu behalten. Als
der König gerade in das Stück Kuchen beißen wollte,
das sie für Prinz Kilian zubereitet hatte, der es wieder
nicht essen wollte, bat sie ihren Gatten, sie mit dem
Gebäck zu füttern. Der König lächelte und fütterte sie
mit dem vergifteten Stück.“
„Hatte sie denn vergessen, dass es vergiftet war?“,
fragte Amalia erstaunt.
Die Gouvernante schüttelte langsam den Kopf.
„Nein, sie hat den König so sehr geliebt, dass sie es
nicht übers Herz brachte, ihn den Kuchen essen zu
lassen. Lieber starb sie.“
„Wow!“ Amalia sackte in sich zusammen. Prinz
Kilian wäre jetzt längst tot, wenn das Schicksal der
bösen Stiefmutter nicht einen Strich durch die
Rechnung gemacht hätte, schoss es ihr durch den Kopf.
„Kurz vor ihrem Tod verriet mir die Königin, dass
der Bann nur gebrochen werden kann, wenn der
Thronfolger eine Frau heiratet, die zuvor Böden
geschrubbt hat.“
Amalia sah sie ungläubig an.
„Tja, als sie den Fluch aussprach, war das ihr
Gedanke, mit dem man ihn wieder Rückgängig machen
konnte.“
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Amalia schüttelte fassungslos den Kopf. „Sie wusste
genau, dass das so gut wie unmöglich ist. Ich meine,
welcher Prinz heiratet eine Putzmagd?“
Das Frettchen sah sie eine Weile an, ehe Amalia
begriff, was das Ganze mit ihr zu tun hatte.
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A
malia saß auf einer prächtigen weißen Stute
und fühlte sich wie eine wahre Prinzessin.
Nachdem sie sich bereit erklärte hatte, Lady
Sophie zu helfen, verlor das kleine Wesen keine Zeit
mehr und drängte Amalia in das Reitkleid der verstorbenen Königinmutter.
Gott, sie konnte es immer noch kaum glauben. Als
sie einen Blick in den Spiegel geworfen hatte, war sie
einer Ohnmacht nah gewesen. Sie hatte sich selbst
kaum wieder erkannt. Niemand würde erkennen, wer
oder was sie tatsächlich war, dachte sie und lächelte
kopfschüttelnd. Und wenn doch? Ihr Lächeln erstarb
bei dem Gedanken gleich wieder. Hängen würde man
sie! Sie schluckte heftig und hoffte, dass alles gut
werden würde. Amalia atmete den Duft des Schnees
tief ein und schloss dabei kurz die Augen.
„Lieber Gott, steh mir bei und mach, dass der Prinz
nur das sieht, was er sehen soll“, flüsterte Amalia vor
sich hin.
Sie schnalzte mit der Zunge und das Pferd setzte
sich in Bewegung.
Der Wald schien ihr so unendlich groß und doch
verspürte sie keine Angst. Der Schnee hatte ihn in
einen Mantel gehüllt und ließ ihn so rein und friedlich
wirken. Als sie Hunde bellen hörte und Trompetenlaute
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ertönten, brachte sie das Pferd zum Stehen und stieg
ab. Sie band die Stute an einen Baum fest und lief zu
Fuß einen Hügel hinauf.
Auf der anderen Seite des Hügels standen die Jäger
und huldigten das Wild, das sie geschossen hatten. Der
Prinz lächelte erfreut, denn heute war er der Jagdkönig.
Amalia eilte wieder zurück zu ihrem Pferd und stieg
auf. „So, jetzt oder nie“, sagte sie zu sich selbst und ritt
direkt auf die Jäger zu.
Das Pferd wurde etwas unruhig, als Amalia es vor
den Jägern zum Stehen bringen wollte. Einer der Jäger
nahm es an den Zügeln und beruhigte es, bis es
aufgehört hatte, sich zu bewegen.
Amalia nickte dankend und ließ sich von dem Jäger
vom Pferd helfen. „Guten Morgen, meine Herren.“
Die Jäger nahmen ihren Hut ab und erwiderten den
Gruß mit einem leichten Kopfnicken. Amalia sah zu
dem Prinzen und lächelte zaghaft. Prinz Kilian war
wie erstarrt, während er sie ansah.
Sein Jagdleiter neben ihm verpasste ihm einen leichten
Rippenstoß und neigte seinen Kopf. „Kommt zu Euch,
Eure Hoheit!“
„Eure Königliche Hoheit“, Amalia knickste und
hielt den Kopf gesenkt.
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Der Prinz setzte sich in Bewegung und stellte sich
vor sie. Amalia richtete sich wieder auf und sah ihm
direkt in die Augen.
Die Kleidung, die sie anhatte, machte nicht nur
optisch eine Lady aus ihr, sondern sie gab ihr auch das
nötige Selbstbewusstsein, um nicht als Hochstaplerin
enttarnt zu werden.
„Ich habe mich verirrt“, log sie.
„Wieso reitet Ihr ohne Begleitung?“, fragte der
Prinz sie etwas schroffer als beabsichtigt.
Amalia sah ihn verwirrt an. Doch dann lächelte sie,
weil sie begriff: Er hielt sie für eine Lady und
wunderte sich, dass sie keinen Schutz dabei hatte.
„Ich habe meine Begleitung aus den Augen verloren,
als uns ein Schneesturm überraschte.“ Die Lügen
nahmen kein Ende. Aber das tat sie alles für das kleine
Frettchen, redete sie sich ein.
„Dann werde ich Euch zu Eurem Haus begleiten“,
sagte der Prinz plötzlich und drehte sich zu den Jägern
um. „Reitet ohne mich wieder zurück zum Schloss.
Sobald ich die Lady sicher nach Hause gebracht habe,
komme ich nach.“
Einer der Jäger bot ihm an, sie beide zu begleiten,
aber der Prinz lehnte mit einer Handbewegung ab.
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Während die Jäger ihre Beute auf einen Karren luden,
half Prinz Kilian Amalia auf ihr Pferd. Dann stieg er
auf seinen schwarzen Hengst und ritt neben ihr im
Schritt tiefer in den Wald. Er nahm wohl an, dass sie
in der Stadt wohnte, überlegte Amalia, denn gefragt
hatte er sie nicht.
„Wohin reiten wir?“, fragte sie ihn und sah ihn von
der Seite an.
„Zu Euch nach Hause. Oder etwa nicht?“ Er
lächelte. „Wie ist Euer Name?“
Amalia antworte eine Weile nicht, denn sie hatte
nicht die geringste Ahnung, was sie ihm sagen sollte.
Die Wahrheit, beschloss sie. Zumindest was ihren
Namen betraf. „Mein Name ist Amalia und ich bin
Eure zukünftige Gemahlin. Und wenn Ihr mich aus
irgendeinem Grund nicht heiratet, wird es in Eurem
Schloss keinen Frieden mehr geben.“
Prinz Kilian stoppte sein Pferd und sah sie verdutzt
an.
Amalia war ebenfalls stehen geblieben. Sie sah ihm
direkt in die Augen und das verwirrte den Prinzen
noch mehr. Er blinzelte und war nicht in der Lage, den
Blick von ihr zu nehmen, so schön war sie.
„Soll das ein Witz sein?“, fragte er schließlich, als er
einigermaßen zu sich gekommen war. „Wer seid Ihr?
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Die Tochter eines Gegners meines Vaters? Wir sind
soweit ich weiß zu Zeit mit niemandem verfeindet.
Ganz im Gegenteil, mein Vater ist seit Jahren dafür
bekannt, Konflikte zu schlichten und Frieden zu
bringen.“
Amalia biss sich auf die Innenseite ihrer Lippen und
verkniff sich einen Lachanfall. Prinz Kilian sah das
Zucken um ihre Mundwinkel, begriff, dass sie ihn auf
den Arm nehmen wollte und lachte laut auf. Amalia
stimmte mit ein und wischte sich eine Träne weg, die
ihr vor lauter Lachen die Wange runter gekullert war.
Sie ritten weiter bis zum Waldrand. Dort bat Amalia
den Prinzen, stehen zu bleiben.
„Von hier aus kann ich alleine weiterreiten.“
„Kommt nicht in Frage, es ist immer noch viel zu
gefährlich für Euch.“
Amalia lächelte, weil es ihr gefiel, dass er sich
Sorgen um sie machte.
„Mir wird schon nichts geschehen. Ohne Anstandsdame in Begleitung eines Mannes gesehen zu werden,
ist weitaus gefährlicher für mich, als das kleine Stück
alleine in die Stadt zu reiten. Auch wenn Ihr der Prinz
seid“, fügte sie hinzu, als er ihr widersprechen wollte.
„Ihr wollt doch nicht am Ende doch noch gezwungen
sein, mich zu Eurer Gemahlin zu machen.“
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Der Prinz sah sie intensiv an und lächelte. „Ihr habt
recht.“ Enttäuscht sah Amalia zu ihm auf.
„Wenn ich Euch zu meiner Frau mache, dann nur, weil
Ihr mich wollt.“
Amalias Augen leuchteten wieder und ein erfreutes
Lächeln erschien auf ihrem wunderschönen Gesicht.
„Darf ich Euch wiedersehen?“ fragte Kilian ernst.
Amalia nickte zaghaft. Gerade als sie das Pferd in
Bewegung setzten wollte, hielt er sie am Arm fest.
„Wann?“
Amalia sah ihn an und schluckte schwer, weil seine
Berührung sie erschaudern ließ.
„Morgen.“ Kaum hatte sie es ausgesprochen, bereute
sie es. Aber ehe sie es zurücknehmen konnte, hatte er
ihr einen Finger auf den Mund gelegt, als ahne er ihre
Gedanken. „Wo?“
„Hier.“
„Versprochen?“
Das war ein Versprechen, das sie unmöglich halten
konnte. Dennoch nickte sie. Amalia bewegte die Zügel
und führte das Pferd in Richtung Waldausgang. Als
sie sich ein wenig von Prinz Kilian entfernt hatte,
holte sie tief Luft, weil ihr Herz so sehr raste. Sie
brachte das Pferd zum Stehen und drehte sich um.
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Kilian hatte sich nicht vom Platz bewegt und sah in
ihre Richtung.
Amalia winkte und der Prinz nickte kurz. Dann ritt
sie davon.
30
„L
ieber Gott, lass niemanden etwas gemerkt
haben“, betet Amalia vor sich hin, während
sie zügig die Treppe im Turm hinauflief.
Völlig außer Atem öffnete sie die Tür, ging zu der
Nische mit den Sachen der verstorbenen Königinmutter
und zog sich eilig um.
Im Zimmer des Prinzen war alles so wie sie es
hinterlassen hatte. Es war also niemand hier gewesen.
Denn wäre jemand im Zimmer gewesen und hätte es in
diesem Zustand vorgefunden, wäre es längst von
jemand anderem gereinigt worden, und sie selbst hätte
man sehr wahrscheinlich auf die Straße gesetzt.
Sie seufzte kurz erleichtert auf und machte sich
sofort an ihre Arbeit.
Am Abend lag Amalia in ihrem Bett und dachte über
den Tag nach. Das war mit Abstand der schönste und
aufregendste Tag ihres Lebens gewesen. Mit einem
zufriedenen Lächeln drehte sie sich zur Seite und
schlief ein.
Ein wildes Klopfen an der Tür riss sie am frühen
Morgen aus dem Schlaf.
„Ja, ja, ich komm ja schon!“
„Guten Morgen, Prinzessin!“
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Amalia verschränkte die Arme vor der Brust und
sah ihren Freund verärgert an.
„Los, das musst du dir ansehen!“ Peter zog sie an
der Hand hinter sich her und kicherte fröhlich. Obwohl
Amalia keine Ahnung hatte, warum er so guter Laune
war, ließ sie sich von ihm anstecken und lachte auch.
Peter führte sie in das Zimmer des Prinzen und stellte
sich mit ihr an das Fenster, das in den Rosengarten
zeigte.
Prinz Kilian stand unten mit dem König und beide
schienen ebenfalls bester Laune zu sein. Sie lachten
und der König gestikulierte aufgeregt mit den Händen,
während er mit seinem Sohn redete. Plötzlich
verstummte er, schlug seinem Sohn einmal nickend auf
die Schulter und verschwand Richtung Schloss.
„Es wird gemunkelt, der Prinz hätte sich verliebt
und zu Ehren dieser Dame wird jetzt ein Ball
geplant“, plauderte Peter, während sie immer noch aus
dem Fenster starrten.
Als Amalia sich ruckartig zu ihrem Freund drehte,
traf sie mit der Hand aus Versehen eine Blumenvase,
die auf der Fensterbank stand. Die Vase wackelte,
doch ehe Amalia sie halten konnte, kippte sie aus dem
Fenster. Beide sahen der Vase hinterher, die genau vor
die Füße des Prinzen fiel.
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Amalia und Peter hielten die Luft an und rissen
entsetzt die Augen ganz weit auf.
Prinz Kilian sah auf die zerbrochene Blumenvase
und dann nach oben. Amalia und Peter duckten sich
schnell und hofften, dass er sie nicht gesehen hatte.
Sie hörten noch wie die Wachmänner, die eilig zu
dem Thronfolger gerannt kamen, mit dem Prinzen
redeten und er ihnen den Befehl erteilte, nachzusehen,
wer oben in seinem Zimmer sei.
„Los, verschwinde! Nun mach schon!“ Amalia
dränge Peter, der immer noch unter Schock stand aus
dem Zimmer und schloss die Tür hinter ihm.
Schnell hob sie Prinz Kilians Bettzeug vom Boden
auf und machte sich dran, das Bett zu machen, als
plötzlich die Tür aufgerissen wurde.
„Du da, komm sofort her!“
Die Wachmänner standen im Zimmer und sahen sie
zornig an.
Amalia lief auf sie zu und blieb vor ihnen stehen.
„Hast du die Vase aus dem Fenster geworfen?“,
fragte der eine Wachmann.
Amalia wusste, wenn sie ihnen beichtete, dass sie es
war, dann würde sie dafür mindestens zehn Peitschenhiebe bekommen. Und doch musste sie die Wahrheit
sagen, denn wenn sie es abstritt, würden sie ihr
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ohnehin nicht glauben, und damit hätte sie sich noch
mal zehn Hiebe eingehandelt.
„Antworte!“, schrie sie der andere Wachmann an.
Amalia zuckte bei seinem Gebrüll zusammen. „Es tut
mir leid, aber das war ein Versehen …“
„Die Katze war es“, ertönte plötzlich eine Stimme
hinter den Männern.
Amalia sah zu Prinz Kilian, der in Begleitung des
Gärtners gekommen war, und machte einen Knicks.
Die Wachmänner drehten sich um und traten zur
Seite um Seiner Hoheit den Blick auf Amalia nicht zu
versperren.
„Der Gärtner hier hat die Katze auf der Fensterbank gesehen, als die Vase fiel.“, sagte Kilian zu seinen
Wachmännern.
Amalia richtete sich auf und sah den Gärtner dankbar
an, und der alte Mann zuckte kaum merklich mit dem
Mundwinkel.
Peter hatte sie gerettet, indem er seinen Vater um
Hilfe gebeten hatte.
Amalia spürte plötzlich den Blick des Prinzen auf
ihrem Gesicht ruhen. Sie senkte ihren Kopf und hoffte,
dass er sie mit der Haube und der Kleidung, die sie als
Magd trug, nicht erkannte.
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Als Kilian merkte, dass die Wachmänner auf den
Befehl warteten abzurücken, räusperte er sich und
deutete ihnen mit einem Handzeichen, gehen zu dürfen.
Während die Männer das Zimmer verließen, erlaubte er
dem Gärtner ebenfalls zu gehen.
Nun standen sie ganz alleine im Zimmer. Amalia
hielt ihren Kopf immer noch gesenkt, während Prinz
Kilian anfing, sie wie eine Raubkatze zu umkreisen.
„Ich nehme an, dass das ein Versehen war“, sagte er
plötzlich, „und nicht ein Attentat auf meine Person.“
Amalia schloss die Augen, weil der Prinz Bescheid
zu wissen schien. Er musste sie gesehen haben. Peter
und sie hatten sich wohl doch nicht rechtzeitig
geduckt.
Prinz Kilian blieb plötzlich stehen und stellte sich
dicht hinter sie. Sie konnte seinen Atem auf ihrem
Nacken spüren und Amalia erschauderte heftig.
Er bemerkte ihr Zittern und lächelte leicht. „Du
brauchst keine Angst zu haben, das bleibt unter uns.“
Ehe Amalia reagieren konnte, hatte er auch schon
das Zimmer verlassen. Ihre Beine drohten unter ihr
nachzugeben, deshalb setzte sie sich erst einmal auf das
Bett und atmete schwer.
Als sie Schritte im Flur hörte, stand sie schnell
wieder auf und machte sich an ihre Arbeit.
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Ende der Leseprobe von:
Amalia
Nadia Chafchaoui
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