`wir` das schuld? Datei

Samstag/Sonntag,
Mehr ars rausend
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+ der Geschichte aangradesihs.
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missachtet werden, Das
öffi
t*ir.iil*rn*, diä Menschen
und die wesrriche \rert?
sind,wütend.
rexr,hän;;;;ä#ä"* ä;;;ä;r_
zu krimmern.
Streng und gnadenlos
-
Die Näherinnen müssen schnell und fehlerfrei arbeiten koste es, was es wolle.
Für Geld ist alles machbar. Nur an die Menschen denkt niemand
VON KARIN STEINBERGER
A
/}
1I
m Anfang ist da nur Lärm, ohrenbetäubender, nie endender, jedes
Cespräch abwürgender Nähmaschi-
nenlärm. Die Frauen schauen kurz auf,
kurz nur, dann sind sie wieder bei der
Naht, die ihnen zugeteilt wurde, Außen-
naht, Innennaht,
Reißverschlussnaht,
Hosentaschennaht, 50, 70, 1oo Mal die
Stunde. Jede Frau eine Nähmaschine, eine
Frau vor der anderen, jede schmeißt ihr
Bündel zur nächsten, bis ganz vorne in der
ersten Reihe eine fertige Hose liegt, senfgelb, bordeauxrot, lavendelfarben. Je nachdem, was die Mädchen in den fremden Ländern gerade cool finden.
Wichtig ist, dass es schnell geht. Und feh-
lerfrei, vor allem, wenn Fremde in der Fa-
brik sind. Ausländer sind meist Einkäufer,
da darf kein Fehler passieren, keine Maschine stehen. Einkäufer sind streng und
gnadenlos. Sie handeln die Fabrik-Bosse
in ihfttteisgekühlten Büros runter, kalt 1ächelnd. Urxü die Fabrik-Bosse handeln die
Arbeiter runter,: momentan sind sie bei z8
Euro im Monat. Selbst in Bangladesch
reicht das nicht zum Leben. Aber davon
möchte jetzt keiner mehr etwas wissen.
Es ist nkFt gut, nicht
mitzuhaliex mit dem TaI$
der Frauen: tackr tack
.
Im .Sjal nebenarr turnen junge Mämrcr
mit naEkten Ftißen über senfgelbe Stoffbahnen. Die Männdr sind dünn und zäh.
Sie ziehen die Stoffe zehn Meter weit über
den Tisch, eine Lage, und noch eine,legen
Schablonen auf, schneiden mit surrenden
Geräten durch faustdicke Stoffberge, ver-
schwinden
in senfgelben Stoffstaubwol-
ken. Daneben stempeln FrauenZahlen auf
Stoffschnipsel, jede Hose eine Nummer.
Aufjedes noch so winzige Einzelteil der Hose muss diese Nummer drauf. Die Stemplerin fängt an zu schwitzen, das Zählgerät
klernmt, der Chef steht vor ihr. Ausgerechnet. Es ist nicht gut, nicht mitzuhalten mit
dem Takt der Frauen: tack, tack.
Mit den tanzenden Männern und den
stempelnden Frauen fängt jedes T-Shirt,
jede Hose, jede Bluse in Bangladesch an.
DerChef geht durch die Reihen derNassa Basic Fabrik inAshulia, zieht eine Hose
aus dem Haufen, Stretch, sehr bequern,.für
Zara Kids, Sie hatten bei Nassa auch Probleme. zolostreikten die Arbeiter, weil Mitarbeiter aus dem mittleren Management
Frauen in der Fabrik belästigten. Es gab
Probleme mit der Bezahlung von Uberstun-
den und Löhnen. Vor ein paar Monaten
sind Hunderte krank gewoiden, nachdem
sie Bananen, Brot und Kuchen in der Kanti-'
ne gegessenhatten. Die Besitzer sagten, da
wollte jemand die Arbeiter aufwiegeln, die
Arbeiter sagten, dass der Fabrikbesitzer
sie vergiften wollte. Sie arbeiten trotzdem
weiter. Sie haben keine Wahl.
Nichts spült so viel Getd in dieses Land
wie die Teitilindustrie, nichts hat die Befreiung derFrauen so vorangetrieben. Und
nichts hat so viel Leid gebracht. Auch wenn
sie jetzt, zweieinhalb Wochen naih dem
Einäturz des Rana Plaza, noch eine Überlebende aus dem Schuttberg in Savar gezogen haben - die Zahl der Toten steigt immer weiter: 1ooo, 11oo. Die Angehörigen,
die noch suchen, starren in die staubigen
Gesichter der Toten, was liegen bleibt,
wird in Massengräbern verscharrt.
In Ashulia, Mirpur, Savar, in den 45oo
anderen Textilfabriken des Landes, nähen
sie weiter. Immer weiter. Weil nichts
schlechter ist fürs Geschäft als ein Auftrag,
der nicht erledigt wird. Die Käufer, die Lieferanten, die Frauen, die tanzenden Männer, alle machenweiter. Obwohl es gerade
wieder in einer Fabrik gebrannt hat, acht
Tote. Und die internationalen Marken hof-
fen, dass nicht doch noch eines ihrer
T-shirts auftaucht neben einer leblosen
Hand im GeröIIvon Rana Plaza, So wie die
von Joe Fresh,Ivlango, Primark, Benetton,
Kik. Matle in Bangladesch.
§i,e.macheneinf"aehrry:stts*.§o.;rr.iesiein
der Tazreon,Fäbrikdn.Ashulia'im.November letzten Jahres weitergemacht haben,
qbwohl Feueralarm ausbrach. Aber die Vorarbeiter zwangen die Mitarbeiter weiterzu-
arbeiten und sperrten die'Türen zu:'mindestens u2 Menschen verbranriten. So'wie
sie im Rana Plaza einfach weitergemacht
haben, obwohl sich durch das ganze Gebäude Risse zogen am Tag vor dem Einsturz.
Obwohl der Besitzer wusste, dass nichts an
diesem Gebäude ausgelegt war für das Gewicht der schweren Maschinen, für das
Für Geld schicken sie ihre Kinder in diese
surrenden, wankenden Betonkäfige und
beten, dass sie heil nach Hause kommen.
In den Slums vonMirpur, am Rand von
gleichmäßige Geratter. Rana Plaza
der
tilfabriken rundherum arbeiten. In ihren
Holzhütten, die auf wackeligen Stelzen
katastrophe des Landes und für die Gier
des Besitzers Sohel Rana, den sie an der
Grenze geschnappt haben,'kurz bevor er
sich nach Indien absetzenkonnte.
über brackigem Wasser stehen, leben Familien auf zehn Quadratnietern, durch die
Ritzen schwärmen Myriaden von Mücken.
Mälaria, Denguefieber - sie wissen hier,
warum es Knochenbrecherfieber heißt.
Die Kinderhocken auf dem Holzbett, in
dem sie alle zusammen schlafen. DerVater
ist vor Jahren verschwunden. Die Mutter
ist unterwegs, sie sucht Arbeit, ihre Augen
sind zu schlecht für die Näherei. Die drei
Kinder arbeiten wie 3,5 Millionen Menschenin diesem Land in der Textilbranche.
Der Sohn ist 17, er arbeitet jeden Tag etf
Stunden für 4roo Taka, 39 Euro, im Monat. Die ältere Tochter verdient ein bisschen mehr. Und die Kleine ist zwölf, sie arbeitet. seit acht Monaten. Sie erzählt, wie
toll der Job ist, ihre Geschwister lachen.
,,Erzähl', was sie dirbezahlen." - ,,Viel." Ge-
-
Name steht jetzt für die größte Industrie-
Der Job sei toll, sagt die
Zwö(iäihrige. Sie werde hier
nur mit der Hand geschlagen
rvl/ahrs0heinlich wäre er davongekommen, wenn nicht Tausende nach dem Einsturz des Rana Plaza am 24. April auf die
Straße gegangen wären und seinen Tod gefordert hätten. Die Polizei machtjedenfalls
Dinge, die ungewöhnlich sind. Sie macht
ihre Arbeit, verhaftet Fabrikbesitzer, Inge-
nieure, schließt 18 weitere Fabriken. Bei
früheren Tragödien wurde niemand verhaftet. Und die Regierung verspricht
schnellAbfindungenfur die mehr als 24oo
Verletztenund die Familien derToten. Und
die internationalen Firmen? Halten sich zu-
rück. Als Erste sagten Primark und Lctblaw
Kompensationen 2u. Der Rest: wartet.
Die Menschen in Bangladesch glauben
ohnehin nicht daran. Sie wissen: Wer keine
Leiche findet, bekommt'nichts. So läuft
das hier. Für'Gelit wird uleggeschaut, fu['
Geld kann man einfach ein paar Stockwer-
ke mehr bauen, als genehmigt sind, für
Geld werden die Sicherheitsvorkehrungen
und die Arbeitsrechte so lax gelassen wie
sie sind, für Geld werdep Gewerkschaftsmitglieder tot am Straßenrand abgelegt.
Dhaka,leben Zehntausende, die in den Tex-
lächter. Sie haben alle als helper angefangen, so nennen sie Anfänger, die den ande-
ren erst mal zuschauen. Kein helper verdient viel. Wenn es gut geht, bekommt
man zzdo Taka im Monat, z1 Euro. Volle Ar-
beitszeit. Aber die Kinder lernen schnell,
nach ein paar Tagen können sie es, dann arbeitensiewie die anderen. Aber sie bleiben
,qoclenlangi oft monq
KleiriÜsteht auf dem
Holz,unter ihr glitzert das stinkende Wasser. Der Bruder fragt: ,,Musst du eine Mas-
- ,,Was ist das?o'Gelächter rjetzt
auch von draußen, Nachbarkinder stehen
herum. Die Kleine sagt: ,,Wenn ich einen
Tag nicht komme, ziehen sie mir drei Tage
ab." Alle lachen. ,,Es gibt viele bei uns, die
kleiner sind als ich. In meiner Fabrik sind
nur funf Erwachsene." Sie schaut raus aus
dem finsteren Zimmer, auf die wackeligen
Plumpsidos, ein paar Meter entfernt. Alles
hier fällt ins \Masser unter ihren Hütten.
Danngeht sie raus, renntWege entlang,
Stufenrauf, runter, gleichhinter ilem Kino
ist ihre Fabrik, ein dickes Schloss hängt an
der Tür, Feiertag. An den kleinmaschigen
Gittern vor den Fenstern hängt zentimeterdick der Staub. Da oben, sie zeigt in den
dritten Stock, ,,meine Fabrik". Sie hört bei
derArbeit die Lieder aus dem Kino nebenan, manchmal, wenn die Geräte still stehen. Sie ist zwölf Jahre alt, arbeitet von
sechs Uhr morgens oft bis spät in die
Nacht. Sie sagt, es ist eine gute Fabrik. Warum?,,Weil sie die Mädchen mit der Hand
schlagen, nur die Jungs mit dem Stock."
ke tragen."
Billig, billig, billig
Wenn Sicherheit und Arbeit nichts kosten, steigen die Gewinne
München - Schlichte Kleidungsstücke wie
T-Shirts kosten mitunter so wenig, dass sie
nur einmal getragen und dann weggeworfen werden. Kunden sollten sich darüber
im Klaren sein, dass Billigklamotten unter
menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt werden, sagt Gisela Burckhardt
von der Frauenrechts-Organisation Femnet. Allerdings sei ein höher Preis noch
kein Garant für gute Arbeitsbedingungen.
,,In den Preisen für Markenprodukte stecken viele Kosten für Werbung oder Laden-
mieten. Die Herstellungskosten spielen
kaum eine Rolle", erklärt Burckhardt. Femnet unterstützt die Kampagne für saubere
K1eidung, eine Initiative von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen.
In Bangladesch wird produziert - egal
ob Billigware oder nicht - weil es sich dort
billig produzieren lässt. Die niedrigen Löhne der Näherinnen treiben die Margen der
Firmen hoch - und entwerten die Arbeit
der Frauen. Oftgenugbezahlen sie das mit
ihrem Leben. Wie am 24. April beim Einsturz des Fabrikgebäudes Rana P1aza in
Bangladesch nahe der Hauptstadt Dhaka.
Mehr als looo Menschen starben. Die meisten Toten sind Frauen. Sie nähten Bekleidung für nordamerikanische und europäische Unternehmen, als das achtstöckige
Gebäude zusammenbrach. Einige Unternehmen haben bestätigt, dass Textilien ihrer Marke in einer der Fabriken gefertigt
oder bearbeitet wurden. Dazu gehören die
irische Primark, die britische Bon Marche,
Joe Fresh/Loblaws aus Kanada, die spanischen Marken El Corte Ingles und Mango.
Die Supermarktketten Primark und Lo-
für Opfer
und Hinterbliebene angekündi§t. Die spanische Kleidermarke Mango und der italie-
blaw haben Entschädigungen
nische Benetton-Konzern teilten mit, in
dem Gebäude lediglich Muster beziehungsweise für eine einmalige Bestellung produ-
ziert zuhaben. Aus Deutschland sind bisher nur die Textildiscounter NKD und Kik
in die Schlagzeilen geraten.
Im vorigen Jahr noch habe man mit ei-
ner Vertriebsgesellschaft kooperiert, die
Aufträge an die Phantom Apparels vermittelte, die in dem zusammengestürzten Gebäude arbeitete, teilte NKD mit.,,Wegen erheblicher Qualitätsprobleme" seien die Geschäftsbeziehungen dann 2oP beendet
worden. Jedoch habe es keine Anhaltspunkte ,,auf eine gefährliche Umgebung
oder Hinweise auf eitre fehlende Baugeneh-
migung" gegeben. Der Textildiscounter
Kikprüft, wie.Kleidungsstii
cke seiner. al«tu-
ellen Kollektion in die Trümmer des citr&9;
stürzten Gebäudes kamen.
'' - Irhrriet' wiiederrruerätin
§l&ettreitsmängel in bangladeschischen Zulieferbetrieben entdeckt. Geändert hat sich kaum etwas: Seit dem Brand in der Tazreen Fabrik,
bei dem mehr als 1oo Menschen im vorigen Jahr ums Leben kamen, seien von den
Markenunternehmen nur wenige Maßnahmen ergriffen worden, um die Sicherheit
zu erhöhen, kritisiert die Kampagne für
saubere Kleidung. Filme von H&M oder
Akademien von Walmart seien zu wenig.
,,Wie viel Sicherheit bietet jedoch ein Film,
wenn ein Gebäude zusammenstürzt oder
Notausgänge einfach nicht existieren?"
Die Kampagne für saubere Kleidung fordert neben Entschädigungen einen verlässlichen Brand- und Gebäudeschutz.
,,Die Unternehmen müssen endlich das
verbindliche Abkommen zum Gebäude-
und
_
Brandschutz unterzeichnen,
das
schonvor zwei Jahrenvon lokalen und internationalen Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen erarbeitet worden ist", sagt Frauke Banse von der Organisation. Das Abkommen sieht unter anderem unabhängige Gebäudeinspektionen,
Schulungen im Arbeitsrecht, öffentliche
Auskunftspflichten und eine Überarbeitung der Sicherheitsstandards vor.
Bisherhaben PVH (Tommy Hilfiger, Calvin Klein) und Tchibo das Brandschutzabkommen unterzeichnet. Kik kündigte an,
den Brand- und Gebäudeschutz in Bangladesch vorarräutreiben.,,Dafür braucht es ei-
ne Gesamtlösung. Alle direktimportieren-
den Textilunternehmen, die Produzenten
vor Ort sowie die lokalen Organisationen
müssenjetzt an einem Strang ziehen."
Die Textithtindler sind
dafür Yerantwortlich, wie
ihre Ware hergestellt wird
Der Vorsitzende der bangladeschischen
Textilarbeiter-Gewerkschaft NGWF, Amirual Haque Amin, kritisierte bei einem
Treffen mit der GewerkschaftVerdi die Hal-
tung einiger deutscher
Textilfirmen
.scharf. So weigere sich C&A noch immer,
für die Toten und Verletzten des Brandes
bei Tazreen Fashion, die für C&A produziert haben, angemessene Entschädigungen zu bezahlen. Verdi fordertvon denFirmen, dem Internationalen Brandschut2ab kommen beizutreten.,,Die Textilhändler
tragen auch Verantwortung daftir, unter
welchen Bedingungen ihre Produkte hergestellt ',verden", sagt Verdi-Experte Johann
Rösch. Erverlangt mehr Fairness. ,,Wenn
die deutschen Textilhändler in ihrer Kalku-
lation für jede Näherin im Monat zusätzlich So Euro berücksichtigen, würde das
einzelne Produkt wie etwa das T-Shirt
oder die B1use lediglich zwölf. Cent mehr
kosten. Das ist für die Händler ein lächerlicher Betrag, für die Beschäftigten aber ein
§roßer Schritt aus derArmut."
Femnet-Chefin Burckhardt rät dazu, Kleidung von Firmen zu kaufen, die sich an faire Konditionen bei derProduktion hielten.
Mehr als hunde'it Ugleiiith*.n - unter ihnen viele Produzenten von Outdoor-Kleidüirg Ll hgü,ön ßflcti' bbi§ffelsweise der Fair
Wear Foundation angeschlossen, die auf
die Arbeitsbedingungen bei der Konfektion dQr Kleidung achte, zusätzlich aber auch
die Einkaufspolitik der Unternehmen hierzulande überprüfe. Mehr noch vertraue sie
kleineren Labels, die sich zertifizieren lassen wie Monkee oder Nudie Jeans.
SIBYLLE HAAS, HANS VON DER HAGEN
I Ein Interaiew mit Gi,sela Burckhardt
Thema unt er w ww. s z. de /kleidung
zum
Kann Kaufen Sünde sein?
Für Hartz-lV-Empfänger ist diese Frage der blanke Hohn
- Die Textilindustrie bewegt sich
zwar weit weg von Deutschland duich die
Welt, doch die Folgen davon sind auch in
Großstädten hierzulande zu besichtigen.
Wo sich früher ein Fachgeschäft an das anBerlin
dere reihte, dominieren heute Handyläden, Tag-und-Nacht-Geschäfte, Niedrigpreisläden aller Art, Spielhallen und Wett-
Grundversorgung wöfür ausgeben darf.
Sehr genau sogar: Die ,,regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgabentt werden anhand der durchschnittlichen monatlichen
Ausgaben von Referenzhaushalten festgelegt. Das sind für Bekleidung und Schuhe
etwas über 3o Euro. Knapp die Hälfte davon ist für Damenbekleidung gedacht, kei-
büros. Besonders gut zu sehen ist dies an
den sozialen Brennpunkten.
ne fünf Euro für Herrenbekleidung. Dazu
gibt es zwei Euro für Herrenschuhe und
So war die Karl-Marx-Straße im Berliner Problembezirk NeuköIln einmal eine
fünf für Damenschuhe. Damit muss jeder
Einkaufsbummel in Billigläden führen.
der attraktivsten Einkaufsstraßen der ge-
teilten Hauptstadt. Sie konkurrierte mit
der Steglitzer Schloßstraße um Rang drei
hinter dem Kurfürstendamm und der Wilmersdorfer Straße. ,,Heute ist der einstige
Einkalrfsboulevard nur noch ein Schatten
seiner selbst", stellt Neuköllns Bürgermeis-
ter Heinz Buschkows§ fest. ,,Der frühere
Glanz musste der Tristesse iveichen." Von
den einst 4oo Fachgeschäften sind auf der
drei Kilometer langen Karl-Marx-Straße
nicht mehr als ein Dutzend geblieben.
Hier in der Gegend leben viele Menschen von öffentlichen Leistungen. Mehr
als die Hälfte der Eltern schulpflichtiger
Kinder in Neukölln sind von der Zuzahlung
zu Lerrtmitteln befreit, weil sie Sozialhilfe,
Wohngeld, Bafög oder Hartz IV erhalten.
Die Wahl zwischen politisch korrekt herge-
stellten und schlicht billigen Textilien ist
für sie eine eher theoretische. Kann Kaufen Sünde sein? Die Frage klingt wie Hohn.
Im Sozialgesetzbuch ist ziemlich genau
festgelegt, was der Empfänger staatlicher
Die Globalisierung hat für arme
Menschen modische Textilien
erschwinglich gemacht
Kritiker bemängeln an der Berechnung,
dass die Lage der Referenzhaushalte besser dargestellt wird als sie ist. Wer ein geringes Einkommen erzielt, aber aus verschiedensten Gründen keine staatliche Hilfe beantragt, der ist ebenfalls arm, auch wenn
die Statistik das ignoriert. Man sprichtvon
verdeckter Armut. Der könnten Mindestlöhne entgegenwirken, allerdings nicht
wirklich. Denn wer 8,5o Euro pro Stunde
bezahlt bekommt, verdient etwa 1428 Euro
brutto im Monat. Auch mit einem solchen
Einkommen für geleistete Arbeit und nicht
vom Staat muss man sich Billigkleidung
kaufen - egal, wohersie stammt. Andererl
seits: Erst die Globalisierung hat für diese
Menschen modische Textilien erschwingMICHAEL KUNTZ
lich gemacht.
,,Kunden sind vergesslich"
Mieses Image, miese Geschäfte? Von wegen, sagt ein Experte
SZ: Herr Koch, wenn Menschen sterben,
weil Konzerne so billigwie möglich produzierenwollen, werden die Kunden in den
westlichen Inddstriestaaten dann nicht
mit Konsumverweigerung reagieren?
Klaus-Dieter Koch: Kunden sind vergesslich. Vor allem wenn es um Märken geht,
die sie lange kennen und gewohnt sind.
Das sieht man etwa an der Selbstmordse-
rie, die es beim Apple-Zulieferer Foxconn
gegeben hat. Die Aufregun€ war groß, aber
den iPhone-Verkaufszahlen hat das über-
haupt nicht geschadet.
Dann haben die vielen negativen Schlag-
zeilen für die Unternehmen also keine
wirtschaftlichen Konsequenzen?
Man muss da unterscheiden. Wenn es kurzfristig, also bloß ein paar Wochen lang, Aufregung gibt und das Thema dann wieder
aus der Offentlichkeit verschwindet, dann
muss man ehrlich sagen: Nein, das ficht
die Geschäftszahlen der Unternehmen in
den meisten Fällen überhaupt nicht an.
Aberwenn das Thema bleibt, wenn sich eine breite öffentliche Debatte entwickelt,
die Monate und Jahre anhält, dann wirkt
sich das natürlich auf das Image der Firma
aus. Oder wie wir sagen: Dann wird Markenkapital vernichtet. Und das hat dann
auchAuswirkungen auf das Kaufuerhalten
der Menschen - weil sich die Assoziationen mit einem Produkt oder einem Konzern zum Negativen verändern.
Ist es denn ein Unterschied, ob in dent berresten einer eingestürzten Fabrik in Bangladesch die produlrte eines Discounters
kommen in Hinblick auf die Produktionsbedingungen ihrer Handtaschen, wäre das
für diese Firmen eine absolute Katastrophe. Unverzeihlich. Aber die Zielgruppe
von Discountern wie Kik ist w'ohl für solche Schlagzeilen eher unempfindlich.
Kik muss also gar nicht gegensteuern, um
den Imageschaden zu bereinigen und den
Umsatz zu retten? Keine Hilfsprojekte,
keine Versprechen, sich zu bessern?
Wenn man ehrlich ist: Nein, die müssen
jetzt gar nichts tun. Weil die Menschen, die
bislang bei Kik eingekauft haben, es auch
weiterhintunwerden - egal, was berichtet
wird. Und in der Konsequenz heißt das leider auch, dass sich überhaupt nichts än-
dernwird.
Die viel beschworene Macht der Konsumenten gibt es also gar nicht - weil die
Menschen gar nicht versuchen, sie einzusetzen?
Doch, es gibt sie schon und sie kann auch
sehr wirksam sein. Aber dieser Mechanismus funktioniert meist sehr viel langsamer, als das gemeinhin erwartet wird. Menschen hängen stark an ihren Verhaltensweisen. In dieser Hinsicht sind wir alle
wahnsinnig träge. Einstellungen und Konsumgewohnheiten ändern sich deshalb
nur-sehr langfristig. Meist nehmen solche
Bewegungen ihren Anfang in einer sehr
kleinen Nische. Bis daraus ein Massenphänomen werden kann, etwas, das den Kon-
zernen spürbar zusetzt, ist der Medienhype meist wieder vorbei und das Thema
verschwindet wieder aus den Köpfen.
wie Kik gefunden werden oder die einer
teureren Marke?
Konsumenten sind in unterschiedlichem
Ausrnaß kritisch. Die schwierigste ZielBruppe, die Sie haben können, ist jung,
weiblich, urban und gebildet - diese Menschen machen sich unheimlich viele Gedanken darüber, wie und was sie einkaufen. Diese Gruppe war zum Beispiel auch
die treibende Kraft hinter der Bio-Bewegung.Außerdem gilt: Je mehr Geld Menschenausgeben, desto mehr Gedanken machen sie sich. Würde also etwa eine Luxusmarke wie Hermös oder Chanel in Verruf
INTERVIEW: ANGELIKA SLAVIK
Klaus-Dieter Koch, 48, ist
Markenstratege und Chef
des Beratungsunternehmens Brandtrust. Zu
seinen Kunden gehören
BASF, Schwäbisch Hall,
und die Volks- und
Raiffeisenbanken. Er ist
Autor mehrerer Bücher
zum Thema. FoTo:oH
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