Samstag/Sonntag, Mehr ars rausend ff'/ **::1"i.-**ffi* r"o* -tffiräy-onh. '§mffiJ:;?t"H'*H:****************ä:f Immerwiederkomrnerrtrre"**.n,i*ffi + der Geschichte aangradesihs. -ffi :ff.ffi1§rxtrl#::. missachtet werden, Das öffi t*ir.iil*rn*, diä Menschen und die wesrriche \rert? sind,wütend. rexr,hän;;;;ä#ä"* ä;;;ä;r_ zu krimmern. Streng und gnadenlos - Die Näherinnen müssen schnell und fehlerfrei arbeiten koste es, was es wolle. Für Geld ist alles machbar. Nur an die Menschen denkt niemand VON KARIN STEINBERGER A /} 1I m Anfang ist da nur Lärm, ohrenbetäubender, nie endender, jedes Cespräch abwürgender Nähmaschi- nenlärm. Die Frauen schauen kurz auf, kurz nur, dann sind sie wieder bei der Naht, die ihnen zugeteilt wurde, Außen- naht, Innennaht, Reißverschlussnaht, Hosentaschennaht, 50, 70, 1oo Mal die Stunde. Jede Frau eine Nähmaschine, eine Frau vor der anderen, jede schmeißt ihr Bündel zur nächsten, bis ganz vorne in der ersten Reihe eine fertige Hose liegt, senfgelb, bordeauxrot, lavendelfarben. Je nachdem, was die Mädchen in den fremden Ländern gerade cool finden. Wichtig ist, dass es schnell geht. Und feh- lerfrei, vor allem, wenn Fremde in der Fa- brik sind. Ausländer sind meist Einkäufer, da darf kein Fehler passieren, keine Maschine stehen. Einkäufer sind streng und gnadenlos. Sie handeln die Fabrik-Bosse in ihfttteisgekühlten Büros runter, kalt 1ächelnd. Urxü die Fabrik-Bosse handeln die Arbeiter runter,: momentan sind sie bei z8 Euro im Monat. Selbst in Bangladesch reicht das nicht zum Leben. Aber davon möchte jetzt keiner mehr etwas wissen. Es ist nkFt gut, nicht mitzuhaliex mit dem TaI$ der Frauen: tackr tack . Im .Sjal nebenarr turnen junge Mämrcr mit naEkten Ftißen über senfgelbe Stoffbahnen. Die Männdr sind dünn und zäh. Sie ziehen die Stoffe zehn Meter weit über den Tisch, eine Lage, und noch eine,legen Schablonen auf, schneiden mit surrenden Geräten durch faustdicke Stoffberge, ver- schwinden in senfgelben Stoffstaubwol- ken. Daneben stempeln FrauenZahlen auf Stoffschnipsel, jede Hose eine Nummer. Aufjedes noch so winzige Einzelteil der Hose muss diese Nummer drauf. Die Stemplerin fängt an zu schwitzen, das Zählgerät klernmt, der Chef steht vor ihr. Ausgerechnet. Es ist nicht gut, nicht mitzuhalten mit dem Takt der Frauen: tack, tack. Mit den tanzenden Männern und den stempelnden Frauen fängt jedes T-Shirt, jede Hose, jede Bluse in Bangladesch an. DerChef geht durch die Reihen derNassa Basic Fabrik inAshulia, zieht eine Hose aus dem Haufen, Stretch, sehr bequern,.für Zara Kids, Sie hatten bei Nassa auch Probleme. zolostreikten die Arbeiter, weil Mitarbeiter aus dem mittleren Management Frauen in der Fabrik belästigten. Es gab Probleme mit der Bezahlung von Uberstun- den und Löhnen. Vor ein paar Monaten sind Hunderte krank gewoiden, nachdem sie Bananen, Brot und Kuchen in der Kanti-' ne gegessenhatten. Die Besitzer sagten, da wollte jemand die Arbeiter aufwiegeln, die Arbeiter sagten, dass der Fabrikbesitzer sie vergiften wollte. Sie arbeiten trotzdem weiter. Sie haben keine Wahl. Nichts spült so viel Getd in dieses Land wie die Teitilindustrie, nichts hat die Befreiung derFrauen so vorangetrieben. Und nichts hat so viel Leid gebracht. Auch wenn sie jetzt, zweieinhalb Wochen naih dem Einäturz des Rana Plaza, noch eine Überlebende aus dem Schuttberg in Savar gezogen haben - die Zahl der Toten steigt immer weiter: 1ooo, 11oo. Die Angehörigen, die noch suchen, starren in die staubigen Gesichter der Toten, was liegen bleibt, wird in Massengräbern verscharrt. In Ashulia, Mirpur, Savar, in den 45oo anderen Textilfabriken des Landes, nähen sie weiter. Immer weiter. Weil nichts schlechter ist fürs Geschäft als ein Auftrag, der nicht erledigt wird. Die Käufer, die Lieferanten, die Frauen, die tanzenden Männer, alle machenweiter. Obwohl es gerade wieder in einer Fabrik gebrannt hat, acht Tote. Und die internationalen Marken hof- fen, dass nicht doch noch eines ihrer T-shirts auftaucht neben einer leblosen Hand im GeröIIvon Rana Plaza, So wie die von Joe Fresh,Ivlango, Primark, Benetton, Kik. Matle in Bangladesch. §i,e.macheneinf"aehrry:stts*.§o.;rr.iesiein der Tazreon,Fäbrikdn.Ashulia'im.November letzten Jahres weitergemacht haben, qbwohl Feueralarm ausbrach. Aber die Vorarbeiter zwangen die Mitarbeiter weiterzu- arbeiten und sperrten die'Türen zu:'mindestens u2 Menschen verbranriten. So'wie sie im Rana Plaza einfach weitergemacht haben, obwohl sich durch das ganze Gebäude Risse zogen am Tag vor dem Einsturz. Obwohl der Besitzer wusste, dass nichts an diesem Gebäude ausgelegt war für das Gewicht der schweren Maschinen, für das Für Geld schicken sie ihre Kinder in diese surrenden, wankenden Betonkäfige und beten, dass sie heil nach Hause kommen. In den Slums vonMirpur, am Rand von gleichmäßige Geratter. Rana Plaza der tilfabriken rundherum arbeiten. In ihren Holzhütten, die auf wackeligen Stelzen katastrophe des Landes und für die Gier des Besitzers Sohel Rana, den sie an der Grenze geschnappt haben,'kurz bevor er sich nach Indien absetzenkonnte. über brackigem Wasser stehen, leben Familien auf zehn Quadratnietern, durch die Ritzen schwärmen Myriaden von Mücken. Mälaria, Denguefieber - sie wissen hier, warum es Knochenbrecherfieber heißt. Die Kinderhocken auf dem Holzbett, in dem sie alle zusammen schlafen. DerVater ist vor Jahren verschwunden. Die Mutter ist unterwegs, sie sucht Arbeit, ihre Augen sind zu schlecht für die Näherei. Die drei Kinder arbeiten wie 3,5 Millionen Menschenin diesem Land in der Textilbranche. Der Sohn ist 17, er arbeitet jeden Tag etf Stunden für 4roo Taka, 39 Euro, im Monat. Die ältere Tochter verdient ein bisschen mehr. Und die Kleine ist zwölf, sie arbeitet. seit acht Monaten. Sie erzählt, wie toll der Job ist, ihre Geschwister lachen. ,,Erzähl', was sie dirbezahlen." - ,,Viel." Ge- - Name steht jetzt für die größte Industrie- Der Job sei toll, sagt die Zwö(iäihrige. Sie werde hier nur mit der Hand geschlagen rvl/ahrs0heinlich wäre er davongekommen, wenn nicht Tausende nach dem Einsturz des Rana Plaza am 24. April auf die Straße gegangen wären und seinen Tod gefordert hätten. Die Polizei machtjedenfalls Dinge, die ungewöhnlich sind. Sie macht ihre Arbeit, verhaftet Fabrikbesitzer, Inge- nieure, schließt 18 weitere Fabriken. Bei früheren Tragödien wurde niemand verhaftet. Und die Regierung verspricht schnellAbfindungenfur die mehr als 24oo Verletztenund die Familien derToten. Und die internationalen Firmen? Halten sich zu- rück. Als Erste sagten Primark und Lctblaw Kompensationen 2u. Der Rest: wartet. Die Menschen in Bangladesch glauben ohnehin nicht daran. Sie wissen: Wer keine Leiche findet, bekommt'nichts. So läuft das hier. Für'Gelit wird uleggeschaut, fu[' Geld kann man einfach ein paar Stockwer- ke mehr bauen, als genehmigt sind, für Geld werden die Sicherheitsvorkehrungen und die Arbeitsrechte so lax gelassen wie sie sind, für Geld werdep Gewerkschaftsmitglieder tot am Straßenrand abgelegt. Dhaka,leben Zehntausende, die in den Tex- lächter. Sie haben alle als helper angefangen, so nennen sie Anfänger, die den ande- ren erst mal zuschauen. Kein helper verdient viel. Wenn es gut geht, bekommt man zzdo Taka im Monat, z1 Euro. Volle Ar- beitszeit. Aber die Kinder lernen schnell, nach ein paar Tagen können sie es, dann arbeitensiewie die anderen. Aber sie bleiben ,qoclenlangi oft monq KleiriÜsteht auf dem Holz,unter ihr glitzert das stinkende Wasser. Der Bruder fragt: ,,Musst du eine Mas- - ,,Was ist das?o'Gelächter rjetzt auch von draußen, Nachbarkinder stehen herum. Die Kleine sagt: ,,Wenn ich einen Tag nicht komme, ziehen sie mir drei Tage ab." Alle lachen. ,,Es gibt viele bei uns, die kleiner sind als ich. In meiner Fabrik sind nur funf Erwachsene." Sie schaut raus aus dem finsteren Zimmer, auf die wackeligen Plumpsidos, ein paar Meter entfernt. Alles hier fällt ins \Masser unter ihren Hütten. Danngeht sie raus, renntWege entlang, Stufenrauf, runter, gleichhinter ilem Kino ist ihre Fabrik, ein dickes Schloss hängt an der Tür, Feiertag. An den kleinmaschigen Gittern vor den Fenstern hängt zentimeterdick der Staub. Da oben, sie zeigt in den dritten Stock, ,,meine Fabrik". Sie hört bei derArbeit die Lieder aus dem Kino nebenan, manchmal, wenn die Geräte still stehen. Sie ist zwölf Jahre alt, arbeitet von sechs Uhr morgens oft bis spät in die Nacht. Sie sagt, es ist eine gute Fabrik. Warum?,,Weil sie die Mädchen mit der Hand schlagen, nur die Jungs mit dem Stock." ke tragen." Billig, billig, billig Wenn Sicherheit und Arbeit nichts kosten, steigen die Gewinne München - Schlichte Kleidungsstücke wie T-Shirts kosten mitunter so wenig, dass sie nur einmal getragen und dann weggeworfen werden. Kunden sollten sich darüber im Klaren sein, dass Billigklamotten unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt werden, sagt Gisela Burckhardt von der Frauenrechts-Organisation Femnet. Allerdings sei ein höher Preis noch kein Garant für gute Arbeitsbedingungen. ,,In den Preisen für Markenprodukte stecken viele Kosten für Werbung oder Laden- mieten. Die Herstellungskosten spielen kaum eine Rolle", erklärt Burckhardt. Femnet unterstützt die Kampagne für saubere K1eidung, eine Initiative von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen. In Bangladesch wird produziert - egal ob Billigware oder nicht - weil es sich dort billig produzieren lässt. Die niedrigen Löhne der Näherinnen treiben die Margen der Firmen hoch - und entwerten die Arbeit der Frauen. Oftgenugbezahlen sie das mit ihrem Leben. Wie am 24. April beim Einsturz des Fabrikgebäudes Rana P1aza in Bangladesch nahe der Hauptstadt Dhaka. Mehr als looo Menschen starben. Die meisten Toten sind Frauen. Sie nähten Bekleidung für nordamerikanische und europäische Unternehmen, als das achtstöckige Gebäude zusammenbrach. Einige Unternehmen haben bestätigt, dass Textilien ihrer Marke in einer der Fabriken gefertigt oder bearbeitet wurden. Dazu gehören die irische Primark, die britische Bon Marche, Joe Fresh/Loblaws aus Kanada, die spanischen Marken El Corte Ingles und Mango. Die Supermarktketten Primark und Lo- für Opfer und Hinterbliebene angekündi§t. Die spanische Kleidermarke Mango und der italie- blaw haben Entschädigungen nische Benetton-Konzern teilten mit, in dem Gebäude lediglich Muster beziehungsweise für eine einmalige Bestellung produ- ziert zuhaben. Aus Deutschland sind bisher nur die Textildiscounter NKD und Kik in die Schlagzeilen geraten. Im vorigen Jahr noch habe man mit ei- ner Vertriebsgesellschaft kooperiert, die Aufträge an die Phantom Apparels vermittelte, die in dem zusammengestürzten Gebäude arbeitete, teilte NKD mit.,,Wegen erheblicher Qualitätsprobleme" seien die Geschäftsbeziehungen dann 2oP beendet worden. Jedoch habe es keine Anhaltspunkte ,,auf eine gefährliche Umgebung oder Hinweise auf eitre fehlende Baugeneh- migung" gegeben. Der Textildiscounter Kikprüft, wie.Kleidungsstii cke seiner. al«tu- ellen Kollektion in die Trümmer des citr&9; stürzten Gebäudes kamen. '' - Irhrriet' wiiederrruerätin §l&ettreitsmängel in bangladeschischen Zulieferbetrieben entdeckt. Geändert hat sich kaum etwas: Seit dem Brand in der Tazreen Fabrik, bei dem mehr als 1oo Menschen im vorigen Jahr ums Leben kamen, seien von den Markenunternehmen nur wenige Maßnahmen ergriffen worden, um die Sicherheit zu erhöhen, kritisiert die Kampagne für saubere Kleidung. Filme von H&M oder Akademien von Walmart seien zu wenig. ,,Wie viel Sicherheit bietet jedoch ein Film, wenn ein Gebäude zusammenstürzt oder Notausgänge einfach nicht existieren?" Die Kampagne für saubere Kleidung fordert neben Entschädigungen einen verlässlichen Brand- und Gebäudeschutz. ,,Die Unternehmen müssen endlich das verbindliche Abkommen zum Gebäude- und _ Brandschutz unterzeichnen, das schonvor zwei Jahrenvon lokalen und internationalen Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen erarbeitet worden ist", sagt Frauke Banse von der Organisation. Das Abkommen sieht unter anderem unabhängige Gebäudeinspektionen, Schulungen im Arbeitsrecht, öffentliche Auskunftspflichten und eine Überarbeitung der Sicherheitsstandards vor. Bisherhaben PVH (Tommy Hilfiger, Calvin Klein) und Tchibo das Brandschutzabkommen unterzeichnet. Kik kündigte an, den Brand- und Gebäudeschutz in Bangladesch vorarräutreiben.,,Dafür braucht es ei- ne Gesamtlösung. Alle direktimportieren- den Textilunternehmen, die Produzenten vor Ort sowie die lokalen Organisationen müssenjetzt an einem Strang ziehen." Die Textithtindler sind dafür Yerantwortlich, wie ihre Ware hergestellt wird Der Vorsitzende der bangladeschischen Textilarbeiter-Gewerkschaft NGWF, Amirual Haque Amin, kritisierte bei einem Treffen mit der GewerkschaftVerdi die Hal- tung einiger deutscher Textilfirmen .scharf. So weigere sich C&A noch immer, für die Toten und Verletzten des Brandes bei Tazreen Fashion, die für C&A produziert haben, angemessene Entschädigungen zu bezahlen. Verdi fordertvon denFirmen, dem Internationalen Brandschut2ab kommen beizutreten.,,Die Textilhändler tragen auch Verantwortung daftir, unter welchen Bedingungen ihre Produkte hergestellt ',verden", sagt Verdi-Experte Johann Rösch. Erverlangt mehr Fairness. ,,Wenn die deutschen Textilhändler in ihrer Kalku- lation für jede Näherin im Monat zusätzlich So Euro berücksichtigen, würde das einzelne Produkt wie etwa das T-Shirt oder die B1use lediglich zwölf. Cent mehr kosten. Das ist für die Händler ein lächerlicher Betrag, für die Beschäftigten aber ein §roßer Schritt aus derArmut." Femnet-Chefin Burckhardt rät dazu, Kleidung von Firmen zu kaufen, die sich an faire Konditionen bei derProduktion hielten. Mehr als hunde'it Ugleiiith*.n - unter ihnen viele Produzenten von Outdoor-Kleidüirg Ll hgü,ön ßflcti' bbi§ffelsweise der Fair Wear Foundation angeschlossen, die auf die Arbeitsbedingungen bei der Konfektion dQr Kleidung achte, zusätzlich aber auch die Einkaufspolitik der Unternehmen hierzulande überprüfe. Mehr noch vertraue sie kleineren Labels, die sich zertifizieren lassen wie Monkee oder Nudie Jeans. SIBYLLE HAAS, HANS VON DER HAGEN I Ein Interaiew mit Gi,sela Burckhardt Thema unt er w ww. s z. de /kleidung zum Kann Kaufen Sünde sein? Für Hartz-lV-Empfänger ist diese Frage der blanke Hohn - Die Textilindustrie bewegt sich zwar weit weg von Deutschland duich die Welt, doch die Folgen davon sind auch in Großstädten hierzulande zu besichtigen. Wo sich früher ein Fachgeschäft an das anBerlin dere reihte, dominieren heute Handyläden, Tag-und-Nacht-Geschäfte, Niedrigpreisläden aller Art, Spielhallen und Wett- Grundversorgung wöfür ausgeben darf. Sehr genau sogar: Die ,,regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgabentt werden anhand der durchschnittlichen monatlichen Ausgaben von Referenzhaushalten festgelegt. Das sind für Bekleidung und Schuhe etwas über 3o Euro. Knapp die Hälfte davon ist für Damenbekleidung gedacht, kei- büros. Besonders gut zu sehen ist dies an den sozialen Brennpunkten. ne fünf Euro für Herrenbekleidung. Dazu gibt es zwei Euro für Herrenschuhe und So war die Karl-Marx-Straße im Berliner Problembezirk NeuköIln einmal eine fünf für Damenschuhe. Damit muss jeder Einkaufsbummel in Billigläden führen. der attraktivsten Einkaufsstraßen der ge- teilten Hauptstadt. Sie konkurrierte mit der Steglitzer Schloßstraße um Rang drei hinter dem Kurfürstendamm und der Wilmersdorfer Straße. ,,Heute ist der einstige Einkalrfsboulevard nur noch ein Schatten seiner selbst", stellt Neuköllns Bürgermeis- ter Heinz Buschkows§ fest. ,,Der frühere Glanz musste der Tristesse iveichen." Von den einst 4oo Fachgeschäften sind auf der drei Kilometer langen Karl-Marx-Straße nicht mehr als ein Dutzend geblieben. Hier in der Gegend leben viele Menschen von öffentlichen Leistungen. Mehr als die Hälfte der Eltern schulpflichtiger Kinder in Neukölln sind von der Zuzahlung zu Lerrtmitteln befreit, weil sie Sozialhilfe, Wohngeld, Bafög oder Hartz IV erhalten. Die Wahl zwischen politisch korrekt herge- stellten und schlicht billigen Textilien ist für sie eine eher theoretische. Kann Kaufen Sünde sein? Die Frage klingt wie Hohn. Im Sozialgesetzbuch ist ziemlich genau festgelegt, was der Empfänger staatlicher Die Globalisierung hat für arme Menschen modische Textilien erschwinglich gemacht Kritiker bemängeln an der Berechnung, dass die Lage der Referenzhaushalte besser dargestellt wird als sie ist. Wer ein geringes Einkommen erzielt, aber aus verschiedensten Gründen keine staatliche Hilfe beantragt, der ist ebenfalls arm, auch wenn die Statistik das ignoriert. Man sprichtvon verdeckter Armut. Der könnten Mindestlöhne entgegenwirken, allerdings nicht wirklich. Denn wer 8,5o Euro pro Stunde bezahlt bekommt, verdient etwa 1428 Euro brutto im Monat. Auch mit einem solchen Einkommen für geleistete Arbeit und nicht vom Staat muss man sich Billigkleidung kaufen - egal, wohersie stammt. Andererl seits: Erst die Globalisierung hat für diese Menschen modische Textilien erschwingMICHAEL KUNTZ lich gemacht. ,,Kunden sind vergesslich" Mieses Image, miese Geschäfte? Von wegen, sagt ein Experte SZ: Herr Koch, wenn Menschen sterben, weil Konzerne so billigwie möglich produzierenwollen, werden die Kunden in den westlichen Inddstriestaaten dann nicht mit Konsumverweigerung reagieren? Klaus-Dieter Koch: Kunden sind vergesslich. Vor allem wenn es um Märken geht, die sie lange kennen und gewohnt sind. Das sieht man etwa an der Selbstmordse- rie, die es beim Apple-Zulieferer Foxconn gegeben hat. Die Aufregun€ war groß, aber den iPhone-Verkaufszahlen hat das über- haupt nicht geschadet. Dann haben die vielen negativen Schlag- zeilen für die Unternehmen also keine wirtschaftlichen Konsequenzen? Man muss da unterscheiden. Wenn es kurzfristig, also bloß ein paar Wochen lang, Aufregung gibt und das Thema dann wieder aus der Offentlichkeit verschwindet, dann muss man ehrlich sagen: Nein, das ficht die Geschäftszahlen der Unternehmen in den meisten Fällen überhaupt nicht an. Aberwenn das Thema bleibt, wenn sich eine breite öffentliche Debatte entwickelt, die Monate und Jahre anhält, dann wirkt sich das natürlich auf das Image der Firma aus. Oder wie wir sagen: Dann wird Markenkapital vernichtet. Und das hat dann auchAuswirkungen auf das Kaufuerhalten der Menschen - weil sich die Assoziationen mit einem Produkt oder einem Konzern zum Negativen verändern. Ist es denn ein Unterschied, ob in dent berresten einer eingestürzten Fabrik in Bangladesch die produlrte eines Discounters kommen in Hinblick auf die Produktionsbedingungen ihrer Handtaschen, wäre das für diese Firmen eine absolute Katastrophe. Unverzeihlich. Aber die Zielgruppe von Discountern wie Kik ist w'ohl für solche Schlagzeilen eher unempfindlich. Kik muss also gar nicht gegensteuern, um den Imageschaden zu bereinigen und den Umsatz zu retten? Keine Hilfsprojekte, keine Versprechen, sich zu bessern? Wenn man ehrlich ist: Nein, die müssen jetzt gar nichts tun. Weil die Menschen, die bislang bei Kik eingekauft haben, es auch weiterhintunwerden - egal, was berichtet wird. Und in der Konsequenz heißt das leider auch, dass sich überhaupt nichts än- dernwird. Die viel beschworene Macht der Konsumenten gibt es also gar nicht - weil die Menschen gar nicht versuchen, sie einzusetzen? Doch, es gibt sie schon und sie kann auch sehr wirksam sein. Aber dieser Mechanismus funktioniert meist sehr viel langsamer, als das gemeinhin erwartet wird. Menschen hängen stark an ihren Verhaltensweisen. In dieser Hinsicht sind wir alle wahnsinnig träge. Einstellungen und Konsumgewohnheiten ändern sich deshalb nur-sehr langfristig. Meist nehmen solche Bewegungen ihren Anfang in einer sehr kleinen Nische. Bis daraus ein Massenphänomen werden kann, etwas, das den Kon- zernen spürbar zusetzt, ist der Medienhype meist wieder vorbei und das Thema verschwindet wieder aus den Köpfen. wie Kik gefunden werden oder die einer teureren Marke? Konsumenten sind in unterschiedlichem Ausrnaß kritisch. Die schwierigste ZielBruppe, die Sie haben können, ist jung, weiblich, urban und gebildet - diese Menschen machen sich unheimlich viele Gedanken darüber, wie und was sie einkaufen. Diese Gruppe war zum Beispiel auch die treibende Kraft hinter der Bio-Bewegung.Außerdem gilt: Je mehr Geld Menschenausgeben, desto mehr Gedanken machen sie sich. Würde also etwa eine Luxusmarke wie Hermös oder Chanel in Verruf INTERVIEW: ANGELIKA SLAVIK Klaus-Dieter Koch, 48, ist Markenstratege und Chef des Beratungsunternehmens Brandtrust. Zu seinen Kunden gehören BASF, Schwäbisch Hall, und die Volks- und Raiffeisenbanken. Er ist Autor mehrerer Bücher zum Thema. FoTo:oH UPC ) = cL' o -I e. 3 0J t cr - IA t+ o 9. f1 -, s. (D ö.t =r. 3 o z o: I 3 (+ sq ct o = x (D o I J ) UI t tr cr o CL o UT 9. o J trr o ct o 9. o o ta o o J o, C ? o ,+ o = UI I, ) UI
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