Terror in Frankreich Hollande spricht von Krieg 14. November 2015, von Stefan Simons, Paris DPA "Wir werden gnadenlos reagieren": Frankreichs Präsident Hollande wählt drastische Worte im Kampf gegen den Terror. Der Papst spricht gar vom Dritten Weltkrieg. Das ist passiert: Nach der Terrorserie am Freitagabend (13. November 2015) ist Paris im Schockzustand. Mehr als 120 Menschen starben bei Explosionen am Stade de France, bei einer Massengeiselnahme in der Konzerthalle Bataclan und bei Schüssen auf Cafés. Rund 250 wurden verletzt. Frankreichs Präsident Hollande sprach von "Krieg" und verhängte den Ausnahmezustand. Der "Islamische Staat" hat sich zu den Anschlägen bekannt. Das Stade de France sei angegriffen worden, weil sich Hollande zum Zeitpunkt der Tat dort aufhielt. Die Konzerthalle, weil dort "eine perverse Feier" stattgefunden habe. Einer der vermutlich acht Attentäter war ein polizeibekannter Islamist. Viele europäische Länder haben ihre Sicherheitskontrollen verschärft. Lesen Sie dazu auch: Was wir bisher über die Anschläge wissen Die aktuellen Entwicklungen im Newsblog Das Bekenntnis des "Islamischen Staats" So funktioniert der "Islamische Staat" Die Bilder aus Paris Amateurvideo vom Anschlag auf das Bataclan Paris am Tag nach den Anschlägen Reaktionen von Merkel, Obama, Cameron Kommentar: Die Terroristen werden verlieren "Es ist ein Akt der absoluten Barbarei", begangen durch "eine Armee von Terroristen", erklärte François Hollande nach dem Treffen des Nationalen Verteidigungsrats während einer kurzen TV-Ansprache. "Es ist ein Angriff des 'Islamischen Staates', wir werden gnadenlos reagieren - auf allen Ebenen, in Abstimmung mit unseren Partnern", so der Staatschef. Später sagte er direkt, was er meint: "Konfrontiert mit Krieg muss die Nation angemessene Maßnahmen ergreifen." Hollande sieht sich im Krieg, Frankreichs Presse sieht die Nation im Krieg, der Papst spricht gar vom Dritten Weltkrieg. Auf die Frage des TV-Senders Tv2000, ob dieser durch Anschläge fortgesetzt werde, sagte Franziskus: "Das ist ein Teil davon." Mit den brutalen Anschlägen, bei denen acht Terroristen mehr als 120 Menschen ermordeten und sich einige anschließend selbst in die Luft sprengten, hat der Kampf der Republik gegen den "Islamischen Staat" eine neue, fürchterliche Qualität erreicht. Mit Konsequenzen für das politische Selbstverständnis Frankreichs und seiner politischen Führung. Anschläge in Frankreich: Der Horror von Paris In den Planspielen von Frankreichs Sicherheitskräften war es das ultimative Albtraum-Szenario: Ein simultaner Terrorüberfall auf mehrere stark besuchte Knotenpunkte der französischen Hauptstadt - koordiniert, mörderisch, mit vielen Dutzend Toten und Verletzten. Seit Freitagabend ist das oft durchgespielte Horrorszenario schreckliche Realität. Erst drei Explosionen rund um das Stade de France, ausgeführt von Selbstmordattentätern. Zudem mehrere Attacken mit Schusswaffen im belebtem Kneipenviertel des zehnten und elften Arrondissements zwischen dem Place de la République und dem Place Bastille. Und schließlich eine Geiselnahme im Konzertsaal Bataclan, wo die Kamikaze-Täter ein Blutbad anrichteten. "Eine ähnliche Situation hat 2001 zum Bündnisfall geführt" Inzwischen wird darüber debattiert, ob die Nato aktiv werden muss. Der frühere Nato-General Egon Ramms hält das nicht für ausgeschlossen: "Eine ähnliche Situation hat im Jahr 2001 zum Bündnisfall geführt. Der NatoRat müsste auf Antrag von Frankreich entscheiden, ob das nach den Anschlägen von Paris jetzt auch der Fall ist", sagt Ramms der "Bild"-Zeitung. Hollande, gerade noch mit Steuerreformen, Regionalwahlen und dem Weltklimagipfel beschäftigt, ist jetzt in der Rolle des Staatsoberhaupts gefordert, wie sie in der Präsidialverfassung der V. Republik angelegt ist zumal in Zeiten der Krise: Als Führer der Nation jenseits der Niederungen des Polit-Alltags, als verantwortungsvoller Beschützer seiner Mitbürger und vor allem als Oberkommandeur der Streitkräfte. Der Staatschef reagierte mit hartem Durchgreifen und emotionaler Rhetorik. Zum ersten Mal seit dem Algerienkrieg wird landesweit der Ausnahmezustand verhängt, inklusive Grenzkontrollen: An den Flughäfen müssen sich einreisende EU-Bürger ausweisen, so wie in den Zeiten vor dem Schengenabkommen. Der Präsident mobilisierte die Armee, kasernierte die Bereitschaftspolizei und Gendarmerie, für die Krankenhäuser gilt der nationale Notfall. Per Dekret werden die Bürgerrechte eingeschränkt, die Bewegungsfreiheit etwa. Personalkontrollen sind ohne Anlass erlaubt, Durchsuchungen auch ohne Richterbeschluss. "Frankreich ist stark. Nichts kann uns auslöschen." Zugleich appelliert der Staatschef an die Einheit der Franzosen, die Parteien will er während einer außerordentlichen Sitzung beider Kammern der Nationalversammlung am Montag auf den Schulterschluss einschwören. "Frankreich ist stark. Doch selbst wenn das Land verletzt ist, steht es wieder auf. Nichts kann uns auslöschen." Bewegende Worte, dennoch bleibt ein Gefühl von Unsicherheit, von "déja vu": Noch nicht mal ein Jahr nach den Mordanschlägen auf das Satireblatt "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt ist Paris wieder vom Terror gepackt. Und trotz der Mobilisierung von Sicherheitskräften schlugen die Attentäter wieder zu, aber erbarmungsloser, schrecklicher. "Bei den Angriffen im Januar hatten wir es mit Amateuren zu tun, jetzt sind zu allem entschlossene Profis am Werk", resümiert ein Journalist im Nachrichtensender BFM TV. Die gezielten Angriffe richteten sich auf Symbole der Nation. Weiche Ziele, sagen Experten, nicht die scharf bewachten Ministerien, Bahnhöfe oder Flughäfen: Stattdessen ein Sportstadion, ein Konzertsaal, Restaurants und Strassencafés. Es ist, so kommentieren die Medien am Tag danach, eine Attacke auf Frankreichs Zivilisation, seine Kultur, seine Lebensart. Die Opposition gelobt staatsbürgerliche Geschlossenheit Und auf Frankreichs Außenpolitik: Gemeint ist Frankreichs Engagement in Nahost, wo Kampfflugzeuge vom Typ Mirage und "Rafale" nicht mehr nur im Irak gegen die Truppen des "Islamischen Staates" (IS) vorgehen, sondern nun auch im Luftraum von Syrien ihre Angriffe auf IS-Ziele fliegen. Das militärische Engagement, gemessen an der Zahl der verfügbaren Flieger eher symbolisch, genügt, um Frankreich ins Fadenkreuz der ISTerroristen zu rücken. Terrorziele in Paris Fotos: AP, AFP, dpa Stade de France 1 2 Rue Alibert 3 Rue de la Fontaine au Roi 4 Konzertsaal Bataclan 5 Boulevard Voltaire 6 Rue de Charonne Die Politik reagiert mit reflexartiger Solidarität der etablierten Parteien, die Opposition gelobt staatsbürgerliche Geschlossenheit. Kritik wegen mangelnder Sicherheit kommt allein vom rechtsextremen Front National. Dennoch ist die Nation nach den Mordtaten im Mark getroffen. Nach den Attacken vom Januar hatte die massive Mobilisierung und die allgegenwärtige Präsenz von Polizei und Militär den Bürgern den Eindruck gefühlter Sicherheit vermittelt. Man hatte sich eingerichtet mit der Bedrohung. Jetzt sind die Franzosen einmal mehr gefordert: Über die dreitägige Staatstrauer hinaus, muss das Land in Zeiten einer existenziellen Bedrohung zusammenrücken, so hofft es Hollande. Die Hauptstadt verbarrikadiert sich derweil, die traumatisierte Nation igelt sich ein. Eine Rückkehr zur Normalität? Vorläufig undenkbar. Frankreich scheint tatsächlich im Krieg zu sein. Terror in Frankreich Wer Krieg sagt, muss Krieg führen Kolumne von Georg Diez Hollande spricht von "Krieg", Gauck von einer "neuen Art von Krieg". Man sollte vorsichtig sein mit Worten und besser alte Strategien überdenken. Der IS und die Anschläge von Paris sind auch ein Ergebnis der gescheiterten Politik des Westens. Das ist nicht Krieg. Wer sagt, dass das Krieg ist, folgt einer falschen Logik und verzerrt, was passiert ist. Paris ist ruhig an diesem sonnigen Sonntagmorgen, es ist leer, es ist wie verschwunden hinter all dem Schmerz und dem Schock. Ratlosigkeit ist die einzige Realität. Die Stadt leidet, und sie leidet leise. Die Einschusslöcher sind noch zu sehen, in den Fenstern, in den Mauern, auf Höhe der Köpfe der Menschen, die dort saßen. Die Blutlachen sind noch da, vor den Lokalen, in denen sie sich trafen, die Hipster, die Bobos, die kreative Bohème, an einem ganz normalen Freitagabend, warm genug, um draußen zu sitzen. Es war tatsächlich ein Angriff, ein Angriff auf einen ganz bestimmten Lebensstil, ein Angriff auf den Hedonismus, ein Akt des Terrors, der Angst verbreiten sollte. Das ist es, was Terror macht. Aber Krieg? Krieg hat einen klaren Feind. Ist dieser Feind im Inneren? Ist es ein Krieg gegen Millionen von jungen Muslimen in Frankreich, ausgegrenzt, ohne Chance, ohne Perspektive? Ist es das, was François Hollande meint, was Manuel Valls meint, wenn sie vom Krieg reden? Oder ist es ein Krieg im Äußeren, ein Krieg gegen IS, ISIS, ISIL, Daesh? Diesen Krieg könnte man führen, müsste man führen, hätte man längst führen müssen. Und zwar seit 2011. Aber diesen Krieg vermeidet der Westen ja genau, seit vier Jahren schaut die Welt dem Morden zu, das nun, wie zu erwarten, wie von vielen vorhergesagt, wie lange von den Regierungen ignoriert, auch nach Europa dringt. AFP Reaktionen auf Anschläge von Paris: "Man kann sich nicht ins Schneckenhaus zurückziehen" Was also soll es, jetzt zu sagen, man werde "schonungslos" sein? Was hat Frankreich, was haben die USA, was hat Deutschland getan, in Syrien, im Irak? Und was wollen sie jetzt tun? Bodentruppen? Bündnisfall? Wer vom Krieg redet, muss sagen, was er will. Tatsache ist aber doch, dass der IS nicht vom Himmel gefallen ist. Auch das muss man benennen, wenn man vom Krieg redet: der IS ist ein Ergebnis der gescheiterten Politik des Westens. Es ist gut beschrieben worden, wie Saudi-Arabien, Katar und die Türkei die Extremistengruppe Jabhat al-Nusra in Syrien mit Waffen unterstützte, es ist gut beschrieben, welche fatalen Folgen es hatte, dass die USA im Irak so lange das Wüten des MalikiRegimes gegen die Sunniten duldeten. Wer also vom Krieg redet, der muss zum Beispiel von Saudi-Arabien reden, es ist der Hauptsponsor des Terrors, vom Westen hofiert, der Quell des radikalen Islam. Die Schlacht ist, mit anderen Worten, nicht im Marais und auch nicht in den Vororten von Paris zu gewinnen. Die Schlacht muss man im Syrien, im Irak führen. All das muss man sagen, wenn man vom Krieg redet, der ja auch immer einen Beginn hat. Wann hätte aber dieser Krieg begonnen? Ist das, was am 13. November 2015 in Paris passierte, der Anfang, die Kriegserklärung? Oder wäre es die Revanche, die Rache für etwas? Für was? Oder begann dieser Krieg doch am 11. September 2001? Und was hätte man dann aus den Fehlern von damals gelernt? Hat das, was wir jetzt erleben, mit dem Angriff der USA auf den Irak 2003 begonnen? Das Chaos, das folgte, schuf Rückzugsorte für Radikale, die Bilder schufen Argumente für Extremisten. Man muss diese Kausalität kennen und benennen, wenn man jetzt über die Konsequenzen nachdenkt. Alles andere macht die Sache nur noch schlimmer: Es zerstört das Vertrauen in Politik, wenn sie angesichts einer Tat wie der von Paris in durchschaubaren Aktionismus flüchtet. Es ist deshalb schändlich, wenn ein von allem Anstand und aller Menschlichkeit und Würde befreiter Polit-Roboter wie Markus Söder anfängt, seine Propaganda loszulassen, über die Trauer um die Toten hinweg. Es ist hilflos und heuchlerisch, wenn nun genau die, die vor dem Terror in Syrien fliehen, wieder zu Opfern gemacht werden sollen in einem Europa, das am liebsten weit weit weg sein will von dieser Realität. Und es ist schlicht gefährlich, wenn der Papst vom "Dritten Weltkrieg" spricht. Paris, an diesem Sonntag im Jahr 2015, gibt all das nicht her. Es ist nicht "alles anders", es ist nicht "der Beginn einer neuen Zeit". Es ist etwas passiert, und es hilft nicht, nun erst einmal wieder nach "mehr Sicherheit" zu rufen, dieser Schlachtruf aller, die eine schlimme Situation für ihre eigenen Interessen nutzen. Mehr Sicherheit? Das hat ja offensichtlich nach den Angriffen vom Januar 2015 nichts genutzt. Warum also nicht: "Mehr Lehrer?" "Mehr Sozialarbeiter?" "Mehr Jobs?" Mehr Bildung, mehr Aufklärung, mehr Möglichkeiten, sich als Teil dieser Gesellschaft zu sehen, die es gilt, in ihrer Freiheit und Schönheit zu bewahren? Den Kampf gegen den Terror wird man nicht gewinnen, indem man Grenzkontrollen wieder einführt. Den Kampf gegen den Terror wird man nur gewinnen, wenn man versteht, und das ist keine Tautologie, dass das Wesen der offenen Gesellschaft ihre Offenheit ist. Das macht sie verletzlich. Das macht sie stark. Anschläge in Paris Kampf um jedes Leben Aus Paris berichtet Björn Hengst DPA Krankenhauses La Pitié Salpêtrière: "Die Menschen daran hindern zu sterben" Nach den Pariser Terroranschlägen ringen Ärzte noch immer um das Leben etlicher Schwerverletzter. Selbst kriegserfahrenen Medizinern gehen die Erlebnisse unter die Haut. Ein rotes Dreieck mit schwarzem Rand, dazu die Aufschrift "Alerte attentat": Die Schilder an den Eingängen des Pariser Krankenhauses La Pitié Salpêtrière machen für jedermann deutlich, dass hier Ausnahmezustand herrscht. Es gilt die höchste Terrorwarnstufe, am Haupteingang ist Sicherheitspersonal vor den Absperrgittern postiert, mehrere Seitenzugänge sind verriegelt. Die Wachleute weisen am Sonntag etliche Besucher ab und vertrösten sie auf einen späteren Zeitpunkt. Zugang erhalten zunächst nur ausgewählte Personen - diejenigen, die Opfern der Pariser Anschläge nahestehen. Wie etwa ein junges Paar, das einen Blumenstrauß mitgebracht hat und sich nach einer Ausweiskontrolle wortlos an den Gittern vorbeidrückt. In dem Krankenhaus werden, wie in mehreren anderen Kliniken der französischen Hauptstadt, Hunderte Verletzte der Terroranschläge versorgt. 129 Menschen starben bei den Anschlägen, mindestens 352 wurden verletzt, 99 von ihnen befinden sich in kritischem Zustand. (Lesen Sie hier das Newsblog zur aktuellen Entwicklung, eine Übersicht über die Geschehnisse finden Sie hier.) Zuletzt besuchte bereits Frankreichs Staatspräsident François Hollande Überlebende im Pariser Krankenhaus Saint-Antoine, um seine Anteilnahme auszudrücken. Aus den hermetisch abgeriegelten Kliniken dringt bislang nur wenig an die Öffentlichkeit. Aber bereits die spärlichen Informationen, die es gibt, legen nahe, dass sich in der Terrornacht auch in einigen Krankenhäusern der französischen Metropole regelrechte Dramen abspielten - und dass die Situation für viele Verletzte noch immer sehr kritisch ist. Nach den Anschlägen in Paris: Trauer, Wut, Ohnmacht Da ist zum Beispiel Philippe Juvin. Der 51-Jährige ist Chef der Notaufnahme im Pariser Krankenhaus George Pompidou. Irgendwann habe ihn ein Anruf erreicht, um ihn umgehend in die Klinik zu beordern, sagte er zuletzt im Fernsehsender Public Sénat: "Plan blanc", lautete die Ansage - der sogenannte weiße Plan versetzt Krankenhäuser in die höchste Alarmbereitschaft. Es dauerte nicht lange, dann kamen in jener Nacht gegen 2 Uhr Dutzende Verletzte "auf einen Schlag" in die Klinik, viele mit Schusswunden. Einige von ihnen wiesen Verletzungen am Bauch auf, andere am Brustkorb, manche hatten dazu noch gebrochene Knochen. "Wir hindern die Menschen daran zu sterben", so beschrieb Juvin im Fernsehen den Job, um den er sich mit seinem Team in der Notaufnahme kümmert. Er lachte dabei für einen Moment - und trotzdem war ihm bei seinem TV-Auftritt anzusehen, wie nahe ihm der Einsatz nach den Pariser Attentaten geht. Juvin ist ein routinierter Mediziner, sogar mit Erfahrungen in einer Kriegsregion: In Afghanistan war er 2008 als Narkosearzt im Einsatz. Damals sei er Zeuge vieler Feuergefechte und Explosionen geworden, sagte er der Nachrichtenagentur AP. Aber noch nie zuvor habe er in so kurzer Zeit so viele Opfer gesehen. Viele seien wortlos in die Notaufnahme gekommen, innerlich gelähmt von dem, was sie gesehen und erlebt hatten. Einsatz im Urlaub Die Hektik angesichts der vielen Verletzten war groß in der Notaufnahme, aber es kam auch ungeahnte Hilfe: So berichtete Juvin etwa von einem Medizinerpaar aus der Bretagne, das gerade in Paris Urlaub macht - es bot im Krankenhaus George Pompidou seine Unterstützung an, nachdem es von den Anschlägen erfahren hatte. Das größte Glück in jener Nacht im Krankenhaus Georges Pompidou: Keiner der Verletzten starb. Juvin führt das auch darauf zurück, dass es sich bei den Verletzten vor allem um junge und damit grundsätzlich gesundheitlich robuste Patienten handelt. Trotzdem ist die Situation für Dutzende der insgesamt mindestens 352 Verletzten weiter kritisch. Aus Medizinerkreisen ist zu hören, dass es viele komplizierte Operationen gegeben habe und die ärztlichen Behandlungen teilweise sehr intensiv seien und noch lange Zeit in Anspruch nehmen würden. Manche Verletzte und auch einige Todesopfer konnten noch nicht identifiziert werden, die Behörden versuchen Angehörigen mit psychologischer Betreuung und Notfallnummern zu helfen. An Kiosken und Straßenecken werden derweil die Zeitungen verkauft, die seitenweise nur über ein Thema berichten: "La terreur à Paris", schreibt "Le Monde" auf der ersten Seite und zeigt ein großes Foto von Ermittlern, die auf dem Boulevard des Filles-du-Calvaire, einem der Tatorte, Spuren suchen. Angst und Bedrückung sind manchen Menschen auf der Straße anzusehen. Bei Yanis Ony gibt es davon keine Spur. Der Bankangestellte mit tunesischen Wurzeln steht auf dem Platz der Republik, dort, wo zuletzt viele Menschen der Opfer gedachten. "Die Freiheit und die Demokratie werden gewinnen", sagt der 32-Jährige. Dann formt er seine rechte Hand zum Victory-Zeichen. Die Attentäter von Paris: Terroristen der Generation Syrien 16. November 2015, aus Paris berichten Björn Hengst und Raniah Salloum REUTERS Über die Attentäter von Paris werden immer mehr Details bekannt. Alle bisher Identifizierten sind junge Franzosen und Belgier. Mehrere waren in Syrien - aber in einem Punkt weicht ihr Profil von den Lebensläufen vieler Islamisten ab. Das ist passiert: Bei den Terroranschlägen am Freitagabend in Paris sind mindestens 132 Menschen gestorben. Unter den Opfern ist mindestens ein Deutscher. Rund 350 Menschen wurden verletzt. Der "Islamische Staat" hat sich zu den Anschlägen bekannt. Frankreich startete Luftangriffe auf die syrische IS-Hochburg Rakka. Vier der Attentäter sind nach bisherigem Stand Franzosen. In mehreren französischen Städten und in Belgien gab es Polizei-Razzien. Viele europäische Länder haben ihre Sicherheitskontrollen verschärft. Bei der Aufklärung der Anschläge von Paris machen die Ermittler Fortschritte. Inzwischen haben sie mehrere Männer identifiziert, die an der Terrorserie beteiligt waren. Die Details, die bisher öffentlich wurden, scheinen ein Profil zu ergeben, das den Tätern früherer Attentate in vielem ähnelt: Die bisher Identifizierten sind junge Franzosen zwischen 20 und 31 Jahren mit arabischem Migrationshintergrund, die in den Vororten von Paris und Brüssel aufwuchsen und lebten. Sie hielten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser oder waren arbeitslos. Mindestens einer war bereits durch Kleinkriminalität aufgefallen. Mehrere hatten mit ihren Familien gebrochen. Doch in einem Punkt weicht ihr Profil von den Lebensläufen vieler auffällig gewordener europäischer Islamisten ab: Nach bisherigen Erkenntnissen hat keiner von ihnen jemals eine Haftstrafe verbüßt - sie können sich also nicht im Gefängnis radikalisiert haben. Stattdessen wurde ihre Radikalisierung möglicherweise im Ausland beschleunigt: Mindestens drei von ihnen sind seit Ende 2013 nach Syrien gereist. Sie hielten sich mehrere Monate lang in dem Bürgerkriegsland auf. Mit den Anschlägen von Paris scheint also der Terror der "Generation Syrien" endgültig in Europa angekommen zu sein. Zwei Brüder stehen im Zentrum der Ermittlungen Nach bisherigen Erkenntnissen haben die jungen Männer untereinander verschlüsselt kommuniziert. Mehrere von ihnen lebten in Belgien. Möglicherweise erschwerte dieser Umstand es den französischen Geheimdiensten, ihnen im Vorfeld der Anschläge auf die Spur zu kommen. Obwohl einer der Täter, Ismaël Omar Mostefaï, den französischen Geheimdiensten als mögliches Sicherheitsrisiko galt, hatten sie ihn nach Berichten französischer Medien seit seiner Reise in die Türkei 2013 aus den Augen verloren. Wie beim Anschlag der Kouachi-Brüder auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Januar dieses Jahres stehen erneut Geschwister im Zentrum der Ermittlungen: die Abdeslams. Ibrahim Abdeslam: Der 31-jährige Franzose sprengte sich vor der Brasserie Comptoir Voltaire in die Luft. Dabei kam außer ihm niemand ums Leben, es gab allerdings Verletzte. Brahim hatte ein Auto angemietet, das bei den Anschlägen genutzt wurde: einen Seat Leon, der später nahe Paris gefunden wurde. Mit dem Fahrzeug waren Attentäter im 10. Arrondissement der französischen Hauptstadt unterwegs. Dort feuerten sie später mit Kalaschnikowgewehren auf Menschen in der Bar Le Carillon und auf Gäste des Restaurants Le Petit Cambodge. Er lebte zuletzt in Molenbeek bei Brüssel. Salah Abdeslam: AFP / POLICE NATIONALE Der 26-jährige Franzose ist derzeit auf der Flucht, nach ihm wird per internationalem Haftbefehl gesucht. Die Polizei stufte ihn als gefährlich ein. Wer ihm begegne, solle nicht eingreifen, sondern die Behörden alarmieren. Es ist noch nicht erwiesen, ob Salah Abdelslam einer der Attentäter war. Er hatte aber unter anderem den VW Polo gemietet, mit dem die Todesschützen zur Konzerthalle Bataclan fuhren. Das abgestellte Fahrzeug brachte die Ermittler auf die Spur der Täter. Der Polizei unterlief eine Panne: Salah Abdeslam war am vergangenen Samstag im nordfranzösischen Cambrai kontrolliert worden - er durfte seine Fahrt in einem VW Golf aber fortsetzen. Den Beamten war noch nicht klar, dass der 26-Jährige in die Anschläge verwickelt war. Im Auto hätten noch zwei weitere Passagiere gesessen, heißt es. Zuletzt lebte Salah Abdelslam in Brüssel. Mohamed Abdeslam: Der jüngste der drei Brüder saß seit Samstagabend in Brüssel in Untersuchungshaft und ist inzwischen nach Angaben seiner Anwältin wieder frei. Er lebte mit seinen Brüdern zusammen und arbeitet in der Verwaltung von Molenbeek. Ob Mohamed Abdeslam von den geplanten Anschlägen wusste, ist unklar. Der französische TV-Sender BFMTV hatte zuletzt mit einer Schwester der Abdeslam-Brüder gesprochen. Sie war erschüttert und gab an, sich nicht vorstellen zu können, dass ihre Brüder an den Terrorakten beteiligt gewesen sein könnten. Ismaïl Omar Mostefaï: Er war einer der Selbstmordattentäter im Konzertsaal Bataclan und konnte als erster identifiziert werden. Der 29-Jährige stammte aus Courcouron- nes, einer Gemeinde südlich von Paris. Sein Vater stammte aus Algerien, seine Mutter soll nach verschiedenen Medienberichten Portugiesin sein. Portugal hat dies jedoch bisher nicht bestätigt. Seit Jahren stand er nicht mehr mit seiner Familie in Kontakt. Seb Snow Schüsse im Bataclan: Konzertbesucher filmt Beginn des Angriffs Terror in Paris: Augenzeuge filmt Anschlag auf das Bataclan Seine zwei Brüder und zwei Schwestern waren der Polizei nie aufgefallen, doch Ismaïl Omar Mostefaï galt in Teenagerjahren als Unruhestifter. Einer seiner Jugendfreunde erzählte dem französischen Fernsehsender BFMTV, dass Mostefaï häufig an Bandenkriegen beteiligt gewesen sei. 2009 tauchte er im Hintergrund eines Rap-Clips auf, der im Internet zirkuliert. Zwischen 2004 und 2010 wurde Mostefaï achtmal wegen kleinerer Delikte verurteilt, musste aber nie ins Gefängnis. 2010 habe er die Religion für sich entdeckt, danach hätten "die ganzen Dummheiten aufgehört", erzählt der Kindheitsfreund. Frankreichs Geheimdiensten galt er ab 2010 als möglicher Radikaler. Doch im Winter 2013 verloren sie ihn aus den Augen, als er in die Türkei ausreiste. Dort soll er sich mehrere Monate lang aufgehalten haben. Anschließend zog er offenbar nach Belgien, ohne dass die französischen Geheimdienste dies mitbekamen. Bilal Hadfi: Der 20-jährige Franzose war einer der Selbstmordattentäter vor dem Fußballstadion Stade de France. Auch er lebte zuletzt in Belgien, nachdem er sich mehrere Monate in Syrien aufgehalten hatte. Hadfi hatte sich offenbar besonders schnell radikalisiert: Belgische Medien berichten, er habe sich ab Sommer 2014 für Dschihadismus interessiert. Im Frühjahr 2015 sei er dann nach Syrien gereist. Bisher ist noch nicht bekannt, wann er zurückkam. Samy Amimour: Der 28-jährige Franzose war einer der Selbstmordattentäter im Konzertsaal Bataclan. Er stammte aus dem Pariser Vorort Drancy. Frankreichs Geheimdiensten war er bereits bekannt, weil er versucht hatte, in ein Terrorcamp im Jemen zu reisen. Nach Berichten französischer Medien hat er sich regelmäßig bei den Behörden melden müssen, doch 2013 verschwand er plötzlich. Seitdem wurde er mit Haftbefehl gesucht. Auch Amimour war zuletzt in Syrien. Sein Vater war im Juni 2014 dorthin gereist, um den Sohn zurückzuholen. Doch der Sohn wollte nichts davon wissen. Er hatte sich dem IS angeschlossen, lebte in Rakka und wollte dort bleiben. Der Vater musste ohne ihn zurückkehren, berichtete die französische Zeitung "Le Monde". Die Identität der anderen Attentäter ist noch immer unklar. Neben einer Leiche wurde ein syrischer Pass gefunden, doch handelt es sich bei dem Dokument möglicherweise um eine Fälschung. Abdelhamid Abaaoud: Islamistisches Propaganda-Magazin Der 27-jährige Belgier habe die Anschläge geplant, berichtet der französische Fernsehsender RTL. Er soll in direktem Kontakt gestanden haben mit einem der Attentäter. Deswegen gilt er nun als möglicher Drahtzieher der Attacken. Bisher gibt es für diese Meldung aber noch keine Bestätigung durch eine zweite Quelle. Auch Abaaoud stammt aus dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek, einem Brennpunkt der belgischen islamisten-Szene. Sein Vater kommt ursprünglich aus Marokko. Abdelhamid Abaaoud reiste schon sehr früh nach Syrien - Anfang 2013 war er bereits dort - und stieg in den Reihen des "Islamischen Staates" (IS) auf. Unter dem Kriegsnamen "Abu Omar" war er als Henker berüchtigt. Den belgischen Behörden war Abaaoud bereits mehrmals aufgefallen: Im Frühjahr 2013 lockte er seinen 13-jährigen Bruder zum IS. Im März 2014 erschien er in einem Video der Dschihadisten. Darin zog er mit einem Pick-up vier Leichen auf einer Straße hinter sich her. Der französische TV-Sender berichtet, dass Abaaoud aus Syrien unbemerkt zurückgekommen sei. Im Januar habe er Anschläge in Belgien geplant. Doch die belgischen Behörden seien seiner Zelle auf die Spur gekommen. Danach sei er geflohen. Nun hält er sich höchstwahrscheinlich in Syrien auf. Papst sieht Terror "als Teil des Dritten Weltkriegs" Die internationale Rhetorik gegen islamistischen Terror wird nach den Paris-Anschlägen kriegerischer. Die drastischsten Worte wählt Papst Franziskus. Eine Übersicht der Reaktionen aus aller Welt. 16. November 2015, von Dietrich Alexander Foto: REUTERSPapst Franziskus sieht die Anschläge von Paris als Teil des von ihm befürchteten "Dritten Weltkriegs" Niemand wählte so drastische Worte wie Papst Franziskus. "Es gibt keine Rechtfertigung für solche Taten. Das ist nicht menschlich", sagte der Argentinier dem Sender TV2000 der italienischen Bischofskonferenz am Samstag. Auf die Frage, ob damit der Dritte Weltkrieg in Stücken fortgesetzt werde – vor dem Franziskus bereits oft gewarnt hatte –, sagte er: "Das ist ein Teil davon." Cameron, Erdogan, Obama und Australiens Premierminister Malcom Turnbull überall auf der Welt haben sich Politiker zu den Anschlägen in Paris geäußert. Sie alle wollen dem Terror entgegentreten. Quelle: Die Welt Der US-Präsident weiß wegen "9/11" sehr gut, wie es sich anfühlt, in einem Land zu leben, das Ziel eines unfassbar brutalen Terroranschlags geworden ist. Schon deshalb zögerte Barack Obama nicht, sich nach den Paris-Anschlägen noch in der Nacht zum Samstag öffentlich und demonstrativ im Namen aller Amerikaner hinter die erneut so schwer verwundete französische Nation zu stellen. "Wir sind Zeuge eines abscheulichen Versuches geworden, unschuldige Zivilisten zu terrorisieren", sagte Obama in Washington. "Es ist ein Angriff nicht nur auf Paris, nicht nur auf das französische Volk, sondern ein Angriff auf die Menschheit und die universellen Werte, die wir teilen." USA sichert Frankreich "jegliche Hilfe" zu Zweimal hatte Obama am Freitag mit seinem französischen Amtskollegen François Hollande telefoniert. Beim ersten Mal, vor den Anschlägen, ging es noch um Klimafragen, die Ende des Monats Thema bei den Vereinten Nationen sind. Der zweite Anruf aus Washington drehte sich um die Anschläge. Die beiden Staatsoberhäupter sagten einander Zusammenarbeit zu, um die "Geißel des Terrorismus" zu besiegen. Ein kämpferischer Obama sagte: "Wir werden tun, was immer notwendig ist, und arbeiten mit Frankreich und allen Nationen dieser Welt zusammen, um diese Terroristen ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Wir werden jedes terroristische Netzwerk jagen, das Jagd auf unsere Menschen macht." Die internationale Rhetorik wird kriegerischer. "Was sich gestern ereignet hat, ist ein Kriegsakt", sagte Hollande und sprach damit aus, was sich in vielen westlichen freien Gesellschaften inzwischen verfestigt hat: Die fanatischen Mörder – heißen sie nun Islamischer Staat (IS), al-Qaida, Boko Haram oder al-Schabab –, sie alle führen Krieg gegen den Lebensentwurf freiheitlicher, säkularer Gesellschaften. Das scheint langsam allen klar zu werden. Und auch, dass dies ein langer, ein verlustreicher Kampf werden wird. Auch viele andere Staats- und Regierungschefs in aller Welt richteten sich auf einen massiven und langwierigen Kampf gegen den Terror ein. Russlands Präsident Wladimir Putin, der islamistischen Terror aus seinem Land gut kennt, rief zu einem gemeinsamen, effektiven Kampf der internationalen Gemeinschaft "gegen den Teufel" auf. "Diese Tragödie ist ein erneuter Beweis für die Barbarei des Terrorismus, der eine Herausforderung für die menschliche Zivilisation ist", hieß es in einem Beileidstelegramm Putins an Hollande. Großbritanniens Premierminister David Cameron verurteilte die "furchtbaren und widerlichen Anschläge". "Unsere Gedanken und Gebete sind mit dem französischen Volk", erklärte er. Cameron – "Frankreichs Kampf ist unser Kampf" "Wir dürfen nicht weichen!" Großbritanniens Premierminister David Cameron gibt sich nach den nächtlichen Anschlägen in Paris kämpferisch. Gemeinsam werde man die Terroristen besiegen.
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