Durch Krieg zum Frieden? - Alpen-Adria

Durch Krieg zum Frieden?
Drei Argumente, warum das nicht funktionieren kann
Werner Wintersteiner
„Jetzt also Krieg.“ Mit diesen Worten hat Präsident François Hollande unmittelbar nach den Pariser
Anschlägen vom November zum Krieg gegen den Terror und gegen den „Islamischen Staat“ (IS)
aufgerufen. Er hat damit eine Definition der Situation vorgegeben, der bloß wenige widersprechen
wollten.
Wahrscheinlich weiß auch Hollande, dass der „Krieg gegen den Terror“, der Schlachtruf, mit dem
George Bush jun. den Irak angegriffen hatte, völlig gescheitert ist und entscheidend zur heutigen
Misere beigetragen hat. Frankreich, und besonders die französische Linke, hat sich damals vehement
gegen die amerikanischen Kriegspläne gestemmt. Aber die Rede vom Krieg hilft einem schwachen
Präsidenten, die komplexe Situation auf einen einfachen Nenner zu bringen. Die Vokabel Krieg
erlaubt es, die Dinge zu begreifen und einzuordnen. Die Rede vom Krieg schafft klare Fronten. Man
weiß, wer die Guten und wer die Bösen sind. Krieg ist ein Ausnahmezustand, der den
Überwachungsstaat rechtfertigt.
Hollande versucht damit paradoxerweise, durch die Bombenattentate vom Jänner und November
wieder Terrain zu gewinnen. Tatsächlich führt dies aber nur zur Stärkung des Front National von
Marine Le Pen, wie auch die Ergebnisse der Regionalwahlen zeigen.
Doch ob „Krieg“ die treffende Beschreibung ist, ist längst keine philosophische Debatte mehr.
Inzwischen hat Frankreich seine Luftangriffe (Irak und Syrien) verstärkt, Deutschland hat eine
militärische Beteiligung „aus Solidarität“ beschlossen, jüngst hat auch das britische Parlament der
Ausweitung der Luftangriffe auf syrisches Territorium zugestimmt. Ja, die EU hat wie George Bush
jun. auf den Terror mit Krieg im Nahen Osten reagiert!
Das ist eine gefährliche Entwicklung, die genau das zu provozieren droht, was sie verhindern möchte
– die Ausweitung des Krieges im Nahen Osten und die Verstärkung des Terrors, auch in Europa.
Angesichts der medial geschürten Hysterie, die das Ausmaß der Anschläge in unserer Wahrnehmung
ins Unendliche zu steigern droht, geht es jetzt zunächst darum, unserer Denkfähigkeit
zurückzugewinnen. Unsere Analyse muss der Komplexität der Situation angemessen sein. Vor allem
kommt es darauf an, nicht isoliert auf einzelne Ereignisse zu reagieren, sondern Zusammenhänge und
Folgewirkungen zu verstehen und komplexere Strategien zu entwickeln.
Dafür sollen hier drei Argumente eingebracht werden.
(1) Die Legitimität eines „Krieges gegen IS“ ist äußerst strittig.
Es ist ein zivilisatorischer Fortschritt, dass sich die Staatenwelt nach 1945 auf das Prinzip verständigt
hat, nicht mehr einfach gegeneinander Krieg zu führen, sondern die UN zur Vermittlung
einzuschalten. Auch die Bekämpfung von internationalen Übeltätern ist demnach nicht mehr dem
Gutdünken einzelner Staaten überlassen, sondern eine Aufgabe der Vereinten Nationen. Ausnahmen
sind Selbstverteidigung und Reagieren auf den Hilferuf eines bedrohten Staates. Bekanntlich wird
dieses Prinzip immer wieder durchbrochen. Aber das ist noch lange kein Grund, dass die Europäische
Union, selbst ernannter Hort der Menschenrechte und Trägerin des Friedensnobelpreises, die
eigenen Regeln mit Füßen tritt. Der Verteidigungsfall, der ein Widerstandsrecht vorsieht, auf das sich
Frankreich nun beruft (Artikel 51 der UN Charta), gilt für den Angriff durch einen anderen Staat, nicht
aber für Terrorgruppen, die zwar mittlerweile große Gebiete erobert, aber trotz ihrer
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Selbstbeschreibung „Islamischer Staat“ eben keine Staatlichkeit hinter sich haben (und die teilweise
auch aus Staatsbürgern des eigenen Landes bestehen, die mit IS/ISIS/Daesh sympathisieren). Bleibt
die Berufung auf UN-Resolutionen, die zum Widerstand gegen den Terrorismus aufrufen. Aber diese
Rechtfertigung steht auf so schwachen Füßen, dass sie weder von Cameron noch von Hollande
wirklich bemüht wird. Selbst die unter dem Eindruck der Attentate im November verabschiedete UNSicherheitsrat-Resolution UNSCR 2249 legitimiert nicht den Einsatz von ausländischen Militärs in
Syrien, sei es aus der Luft, sei es am Boden. Auch ein „Briefing Paper“ für das britische House of
Commons sieht nur eine sehr schwache „legal basis for UK military action in Syria“.
Diese Missachtung einer legalen Basis ist bedenklich, weil fragwürdige Militäreinsätze die
zivilisatorischen Errungenschaften aushöhlen, die zu verteidigen der Krieg angeblich geführt werden
soll. Wir müssen, wie Herwig Münkler unlängst in der ZEIT anmerkte, nicht nur der Rhetorik, sondern
auch der Logik des Krieges widerstehen.
Wer so argumentiert, handelt sich schnell den Vorwurf ein, den notwendigen Kampf gegen den
„Islamischen Staat“ zu vernachlässigen. In Wirklichkeit geht es aber darum, wie man diesen Kampf
effizient führen und gewinnen kann. Diesen Kampf wird man nur gewinnen können, wenn man
Frieden in Syrien und Irak schafft. Es geht um vernünftige Alternativen gegenüber dem Wahn zu
meinen, dass Gewalt im Nahen Osten die Gewalt in Europa stoppen könnte. Die Gewalt in Europa
wird man nur stoppen können, wenn man Frieden in den Pariser Vorstädten schafft, der
Islamophobie Einhalt gebieten und die Flüchtlingskrise mit ziviler Konfliktbearbeitung transformieren
kann. Ein Bombenkrieg ist dafür denkbar ungeeignet.
(2) Der Militäreinsatz ist ungeeignet, Frieden in Syrien zu schaffen und nützt den Terroristen.
Es beginnt schon damit, dass die „Koalition gegen den Terror“ keine Koalition ist, sondern ein Haufen
zerstrittener Staaten mit oft konträren strategischen Interessen. Bislang handelt sich um lauter
Einzelkämpfer, die ihre Waffen gegeneinander richten – von Einigkeit keine Spur.
Weiters: Es werden Luftschläge „gegen IS“ geführt, von denen niemand glaubt, dass sie
kriegsentscheidend sein können. Bodentruppen will hingegen derzeit niemand einsetzen, sie sollen
von den Kurden, den Assad Rebellen oder den Assad Truppen kommen, entsprechend den
strategischen Partikularinteressen, aber das wird wahrscheinlich nicht funktionieren. Falls aber doch,
so stellen sich erst recht grundlegende Fragen: Was sind eigentlich die Kriegsziele, jenseits der
militärischen Vernichtung des IS? Wie soll die Zukunft aussehen? Es ist wirklich die Frage, ob nicht
das Medikament, das hier von Ärzten verabreicht wird, die die Krankheit nicht diagnostizieren
können, schlimmer ist als die Krankheit selbst. Die weitere Bombardierung von Regionen des Iraks
und nun auch Syriens – mit den unvermeidlichen Kollateralschäden für die Zivilbevölkerung – droht
den Zustrom zum IS nur noch verstärken. Eine „direkte Kollaboration mit den Terroristen“ hat das
der israelische Schriftsteller Uri Avnery genannt.
Diesen „Krieg“ wird jedenfalls nicht die Seite gewinnen, die die modernsten Waffen hat, sondern
diejenige, die die Unterstützung der Bevölkerung erlangt. Und das ist nur möglich, wenn man – so
schwer und so langwierig es auch sein mag – eine Gesamtlösung für den Mittleren Osten anstrebt,
die vor allem von den zivilen Kräften vor Ort unterstützt und getragen wird. Den Terrorismus wird
man „besiegen“, das heißt stark zurückdrängen, wohl aber niemals gänzlich beseitigen können. Wie
die Macht des IS mit nicht-militärischen Mitteln eingedämmt werden könnte, dazu sind viele kluge
Vorschläge gemacht worden. Sie sind bislang an der fehlenden Einheit und der mangelnden
Entschlossenheit der Staaten, die sich verbal gegen den Terrorismus aussprechen, gescheitert. Hier
tut sich ein großes Feld an politischen und diplomatischen Aufgaben auf, nicht zuletzt auch Aufgaben
einer inoffiziellen Diplomatie seitens der Zivilgesellschaft bei uns und vor Ort.
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(3) Der Militäreinsatz fungiert als Surrogat, das von den eigentlichen Aufgaben ablenkt.
Die Konzentration auf militärische Maßnahmen ist nicht nur kontraproduktiv, sie lenkt auch von den
eigentlichen Lösungsmöglichkeiten ab. Das Hauptproblem der Europäischen Union besteht darin,
dass sie nicht mehr an sich selbst glaubt, an jene Werte, die ihren Aufstieg begründet haben.
Einigkeit für Frieden und Wohlstand – das war bislang das europäische Erfolgsrezept. Bereits
während der so genannten „Griechenlandkrise“ war nichts mehr von dieser Einigkeit zu merken. In
der Flüchtlingsfrage sind die Differenzen nur umso stärker aufgebrochen. Jetzt rächt sich das alte
Versäumnis, dass die Union immer mit zweierlei Maß gemessen hat – offen und grenzenlos nach
innen, Festung Europa nach außen; demokratisch und menschenrechtsorientiert innerhalb Europas,
opportunistisch auf ökonomische Vorteile bedacht im internationalen Kontext.
Es geht darum, endlich den Zusammenhang zu sehen, der zwischen Flüchtlingskrise und Kampf gegen
„Islamischen Staat“ besteht. Nicolas Henin, ein französischer Journalist, der zehn Monate vom
„Islamischen Staat“ gefangen gehalten war, hat es sehr schön gezeigt: Die Tatsache, dass so viele
Menschen dem „islamischen Paradies“ entfliehen wollen, ist eine schlimme Niederlage für die
Gotteskrieger. Die Flüchtenden suchten ausgerechnet bei den „Ungläubigen“ in Europa Zuflucht –
und wurden auch noch freundlich aufgenommen! Das ist doch ein eindeutiger Beweis, dass das
Feindbild Westen ein Popanz ist, um die eigene Bevölkerung zu täuschen. Wir müssen sehr
aufpassen, diesen Vorteil nicht wieder zu verspielen! Wir dürfen auf keinen Fall jenen Kräften
nachgeben, die aus durchsichtigen politischen Motiven die Karte des Rassismus spielen und pauschal
jene, die dem Terror zuhause mit knapper Not entkommen sind, des Terrorismus verdächtigen!
Mit einem Wort: Nicht die impotente Kriegslogik (eines seit 15 Jahren ineffizienten Anti-TerrorKriegs) oder die wahnhafte Sicherheitslogik (die sich nur um die eigene Sicherheit zu kümmern
versucht und dabei ihre institutionellen und kulturellen Grundlagen zerstört), sondern eine vielfältige
Friedenslogik, die die Sicherheit der anderen mitdenkt und die Probleme mit friedlichen Mitteln
wirklich angeht, muss die Leitlinie sein, um das Bündel an Problemen, Gefahren und Konflikten
nachhaltigen Lösungen zuzuführen. Wir brauchen wieder den Mut, in Alternativen zu denken! Sonst
werden uns Alternativen aufgezwängt, die wir lieber nicht denken mögen!
Werner Wintersteiner ist Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedenspädagogik an der
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
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