Predigt zu Matthäus 25 am Volkstrauertag/ Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres Lutherkirche/ Wiesbaden am 15.11.2015 Pfarrerin Sabine Müller-Langsdorf, Zentrum Oekumene der EKHN und der EKKW Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen Volkstrauertag – die Fahnen hängen auf Halbmast. Der Feiertag gedenkt seit dem Jahr 1952 (ichzitiere das Gesetz dazu) der „Toten zweier Kriege an den Fronten und in der Heimat und der Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen.“ Heute hängen diese Fahnen auf Halbmast auch für die Toten in Paris. Mindestens 120 Tote, über 200 Verletzte, das ist die Bilanz des Freitag Abends, als zu bester Sendezeit und vor den Augen eines internationalen Fußballpublikums Millionen zusehen konnten, was es bedeutet, Opfer von Gewaltherrschaft zu sein. Einer Gewaltherrschaft ohne Staat, ohne Legitimation und ohne Gesetze. Der Herrschaft terroristischer Gewalt ist es eigen, ohne Ankündigung, ohne die Möglichkeit, sich in einen Schutzraum zu begeben, wahllos Zivilisten zu töten. Gewöhnliche Orte mitten in einer großen Stadt, Restaurants, eine Konzerthalle, Straßen werden im Terrorismus zu dem, was man in einem Krieg das Schlachtfeld nennen würde. Doch Kriege kennen den Feind und es kämpfen identifizierbare Gegner gegeneinander. Soldaten tragen Uniformen, sind erkennbar und folgen nationalen wie internationalen Regeln der Kriegsführung. Beim Terror ist das anders: die Kämpfer sind nicht erkennbar, sie sind keiner Nation zuzuordnen, sie halten sich weder an das Völkerrecht noch irgendwelche ethisch-rechtlichen Errungenschaften im Bereich des Kriegsführung. Das macht es schwer, auf solche Terrorakte angemessen zu reagieren. Nach den Anschlägen in New York 2001 hatte der amerikanische Präsident George W. Busch dem Terror den Krieg erklärt und ist unter Missachtung und Brechung internationalen Rechts und ohne Mandat der UNO in den Krieg gegen den Terror gezogen. Die Folgen dieses Terrorkrieges waren für die Länder Afghanistan und Irak verheerend. Die Zerstörung der Infrastruktur, Verarmung, die Erfahrung willkürlicher Gewalt -Abu Grab steht dafür-und die Missachtung der kulturellen und religiösen Identität von Völkern. Eine Folge war die Enststehung der Terrormiliz Islamischer Staat. Sie hat sich zu den Anschlägen in Paris gestern bekannt und es soll von den Attentätern der Ruf „Alla u Akbar“ Gott ist groß gerufen worden sein. Religion als Brandbeschleuniger, das ist auf religiöser Ebene die Perversion aller aufgeklärten Werte. Interessant auch als letztes: die Waffen im Terrorkrieg sind vergleichsweise billig und einfach: Sprengstoffgürtel am eigenen Leib der Attentäter und Maschinengewehre. Die internationalen hohen Ausgaben für Rüstung und Militär macht der Terrorismus geradezu lächerlich und will das wohl auch. Unser aller Sicherheitsdenken herausfordern. Am Ende werden die wenigen Waffen die Produktion vieler neuer Waffen ankurbeln. Volks-trauer-tag, die Fahnen hängen auf Halbmast für die Toten der Kriege und der Gewaltherrschaft. Und es ist wohl auch zuerst Entsetzen und Trauer, die da kommt, wenn wir an Gewalt und Terror durch Kriege denken. Trauer um so viel Tote und Verletzte. Trauer um so vielsinnloses menschliches Sterben. Unsere Anteilnahme ist bei den Angehörigen der Toten und beiden Opfern. Ich habe in diesen Gottesdienst die Ökumenische Wanderfriedenskerze mitgebracht. Die Aktion Wanderfriedenskerze wurde nach den Terroranschlägen in New York 2001 vom Ökumenischen Friedenskonveniat Rhein-Main in Frankfurt auf den Weg gebracht. Damals war die Frage: Was können wir als Christinnen und Christen angesichts von Terror und Gewalt tun? Beten für die Opfer, ist die erste Antwort. Und so wurde eine Kerze von Gemeinde zu Gemeinde weitergegeben, die in Gottesdiensten und Friedensandachten entzündet wird und Menschen genau dazu sammelt: zum Gebet für die Opfer. Ich zünde die Kerze an für die Opfer der Gewalt in Paris und für alle Menschen, die wegen Krieg und Gewalt auf der Flucht sein müssen. 1 Volks-trauertag. In der Zählung des Kirchenjahreskalenders heißt dieser Sonntag schlicht „Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr“. Der vorletzte Sonntag im Kirchenjahr ist in der evangelischen Tradition der Sonntag vor dem Buß-Und Bettag und dem Ewigkeitssonntag. In der Feier unserer Gottesdienste sind wir also bei der Reue für begangenes Unrecht und dem Blick auf die Ewigkeit, die letzten Dinge, das Ende des Lebens. Darum gibt es an diesem heutigen Sonntag Predigttexte wie den, den wir eben in der Lesung gehört haben. Den Text vom „großen Weltgericht“ Matthäus 25. Am Ende der Zeit wird Jesus, der Menschensohn, kommen und auf einem Thron richten über alle Völker, wie es heißt. Nun ist heute nicht das Ende der Zeit, aber der Gedanke des „großen Weltgerichtes“ ist angesichts des Geschehen in Paris fast ein menschlich verlockender Wunsch: Möge doch einer kommen, der den Terror beendet. Möge doch ein Richter da sein, der Gewalttäter bestraft. Und wenn wir an Paris denken, dann glaube ich, sind wir in unserer Hilflosigkeit, Angst und Ohnmacht auch bei der Frage: wie kann ein solcher Terror beendet werden? Der Front Nationale in Frankreich redet davon, dass Frankreich wieder aufgerüstet und der islamische Fundamentalismus vernichtet werden muss. Gewalt gegen Gewalt. Die französische Regierung hat den Ausnahmezustand ausgerufen, das äußerste Mittel eines demokratischen Staates im Frieden, das viele Freiheitsrechte außer Kraft setzt, um die Sicherheit eines Landes zu wahren. Grenzen werden geschlossen, Menschen dürfen sich nicht versammeln und das Militär wird in die Exekutive eingebunden. Das sind rechtliche Schritte, die die Bevölkerung schützen sollen und die Sicherheit wahren. Sie geschehen im Rahmen der geltenden Gesetze und Rechte eines Landes. Präsident Hollande und die französische Regierung, aber wohl auch die internationale westliche Staatengemeinschaft werden in diesen harten Tagen gut beraten sein, auf der Ebene des demokratischen Rechts und des internationalen Rechts Wege zu finden, die nicht in den Terrorkrieg führen, sondern mit allem Wissen und Errungenschaften eines humanitären Völkerrechts auf die Gewalt des Terrorismus zu reagieren. Jesus, am Ende seines Weges und bevor ihm Unrecht, Gewalt und Tod begegnen werden, malt auch ein Bild, das das Recht herbei zitiert. So entwirft er für sich und die Seinen das Bild vom Weltgericht. er selbst ist der Richter. Der Menschensohn, der, der all das Leid und Unrecht kennt und durchlebt und leidet und es überwinden wird. Und dieser Richter, der Menschensohn, lenkt die Aufmerksamkeit seiner Zuhörerinnen und Zuhörer nicht auf marodierende Horden, Mörder, Terroristen, auch nicht auf Gesetze und Vergeltung, sondern zuerst auf den Menschen. Und zwar den geschundenen Menschen: Hungernde, Durstige, Fremde, Menschen in Lumpen oder gar nackt, Gefangene in Ketten. Menschen, deren Knochen gebrochen und deren Leiber und Seelen zerstört sind. Die ausgemergelt sind vor Hunger, gezeichnet von Gefangenschaft und Demütigung, mit Angst geweitete Augen, weil sie fremd sind und dies zu spüren bekommen durch Ablehnung und Hass. Das sind die, von denen Jesus sagt: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ In diesem Jahr jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 70.mal. Am Volkstrauertag sehen die Älteren unter uns, die das Ende des Krieges miterlebt haben, eigene Bilder dazu: das ausgemergelte Gesichts der Mutter in den Hungerzeiten. Das Bild des humpelnden oder einbeinigen Vaters, der aus der Gefangenschaft heimkommt. Das Bild der Lumpen, in die man selber als Kind gekleidet war und die immer zu kalt waren, um es warm zu haben. Nur noch wenige werden das Bild der jüdischen Mitbürger erinnern, die sich auf den Weg zur Sammelstelle in der Stadt machen mussten. Eine weniger werdende Zahl von Menschen in unserem Land erinnert die Bilder der Schlachtfelder, der Flucht und Vertreibung. Den Jüngeren bleiben diese Erlebnisse als erzählte, oft auch irritierende Erinnerungen in Kopf und Seele. Hören wir heute, am 15. November 2015 Jesu Worte, dann fallen uns zu den Hungernden, Armen, Gefangenen und Fremden unserer Tage wohl die Flüchtlinge ein, die nun auch hier ankommen. Aus Afghanistan und Syrien, aus Somalia und dem Irak. Menschen, denen Haus und Arbeit, Freiheit und Frieden verloren ging. 2 Die Ursachen für ihre Flucht? Es wäre zu kurz gedacht, wenn wir sagen, sie liegen allein in der Ferne. und wir haben keinen Anteil daran. Vor Buß- und Bettag und Ewigkeitssonntag muss man wohl auch sagen: Deutschland ist Waffenexporteur Nummer 4 weltweit. Wir liefern Waffen an Unrechtsregime wie Saudi-Arabien. Damit unterstützen wir diejenigen, die den IS Terror unterstützen. Aus deutscher Produktion kommt das Sturmgeweht G36, neben der russischen Kalaschnikow die Todesursache Nummer 1 in gewaltsamen Konflikten. 95% aller Toten durch Gewalt sterben durch Gewehre. „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Jesus lenkt unseren Blick auf die Schwachen und Leidenden. Die Gerechtigkeit Gottes geschieht, wo Menschen gegen Hunger und Armut kämpfen, wo Menschen für Menschen und deren Freiheit und Menschenwürde eintreten. In Bezug auf die Geschehnisse in Paris zitiere ich unseren Kirchenpräsidenten Volker Jung: „Ich wünsche mir sehr, dass trotz aller Schocksituation, die politischen Köpfe klug und klar bleiben“, sagte Jung. Ja, Sicherheit spielt eine wichtige Rolle, aber „man muss auch aufpassen, dass man die Werte die uns prägen, wahrt: Freiheit und Menschenrechte. Terroristen, die Menschen abschlachten mit dem Ruf: Gott ist groß! - das kann Glaubende aller Religionen nur beschämen und empören. Für Terror kann man Gott nicht missbrauchen. Gott steht für Frieden. Gewalt und Gott gehen nicht zusammen. Volkstrauertag – die Fahnen hängen auf Halbmast. Ich ende mit einem Gedicht zu unserem Predigttext von Lothar Zenetti: DIE EMPÖRUNG GOTTES Die Empörung Gottes geht in Lumpen einher, hat nur Fetzen an sich, sie geht barfuß und bloß. Und sie sieht, was wir Christen tragen Und sie fragt, was wir Christen tun Und sie hört, dass wir Mitleid haben – Doch vielleicht ist das nicht genug. Die Empörung Gottes geht in Elend einher, schreit nach Brot und Arbeit, und sie bettelt am Weg Und sie sieht, was wir Christen haben Und sie fragt, was wir Christen tun Und sie hört, dass wir manchmal spenden – Doch vielleicht ist das nicht genug. Die Empörung Gottes geht in Ketten einher, unterm Joch der Herren sucht sie Freiheit und Recht Und sie sieht, wie wir Christen leben Und sie fragt, was wir Christen tun Und sie hört, dass wir dafür beten – Doch vielleicht ist das nicht genug. Die Empörung Gottes geht an uns nicht vorbei, aus Millionen Augen sieht sie uns heute an. Und sie will, dass wir uns empören Und sie fragt, ob wir Christen sind, denn es gilt: Selig seid ihr Armen, nicht den Satten gehört mein Reich. Die Empörung Gottes geht mit uns ins Gericht und die Erde zittert: Herr, verdamme uns nicht! 3
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