Predigt zu Apg 8,27-39

Schlachten geführt wird, und wie ein Lamm, das
Predigt zu Apg 8,27-39
beim Scheren keinen Laut von sich gibt.
von Johannes Brakensiek
33 Er wurde zutiefst erniedrigt, doch das Urteil gegen
Predigttext (BasisBibel)
ihn wurde aufgehoben. Wer wird je seine
27 […] Und sieh doch: Dort war ein Äthiopier
Nachkommen zählen können? Denn sein Leben
unterwegs. Er war Eunuch und hoher Beamter am
wurde von der Erde weg zum Himmel
Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien. Er
emporgehoben.«
verwaltete ihre Schatzkammer und war nach
34 Der Eunuch fragte Philippus: »Bitte sag mir, von
Jerusalem gekommen, um Gott anzubeten.
wem spricht der Prophet hier – von sich selbst oder
28 Jetzt war er auf der Rückreise. Er saß in seinem
von einem anderen?«
Wagen und las im Buch des Propheten Jesaja.
35 Philippus nahm die Frage auf. Ausgehend von dem
29 Der Heilige Geist sagte zu Philippus: »Geh hin und
Wort aus Jesaja, verkündete er ihm die Gute
bleibe in der Nähe des Wagens!«
Nachricht von Jesus.
30 Philippus lief hin und hörte, wie der Mann laut im
36 Als sie auf der Straße weiterfuhren, kamen sie an
Buch des Propheten Jesaja las. Philippus fragte:
einer Wasserstelle vorbei. Der Eunuch sagte: »Sieh
»Verstehst du eigentlich, was du da liest?«
doch, dort ist eine Wasserstelle. Spricht etwas
31 Der Eunuch sagte: »Wie soll ich es verstehen,
dagegen, dass ich getauft werde?« 37 […]
wenn mir niemand hilft?« Und er bat Philippus:
38 Er befahl, den Wagen anzuhalten. Beide, Philippus
»Steig auf und setz dich zu mir!«
und der Eunuch, stiegen ins Wasser, und Philippus
32 An der Stelle, die er gerade las, stand: »Er ertrug
taufte ihn.
alles, ohne zu klagen – wie ein Schaf, das zum
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39 Als sie aus dem Wasser herausstiegen, wurde
Äthiopien bis nach Jerusalem in Israel. Warum macht
Philippus vom Geist des Herrn fortgenommen. Der
der das? Im Text steht, „um im Tempel anzubeten“.
Eunuch sah ihn nicht mehr. Aber er setzte seinen
Ich will nicht ausschließen, dass es so war, aber
Weg voller Freude fort.
vielleicht war das auch eine wohlwollende
Interpretation im Nachhinein. Das ist ja ein bisschen
so als würde man über eine Reise von Sigmar Gabriel
Predigt
nach China sagen: „Er war in China, um dort einen
Und er setzt seinen Weg voller Freude fort. Wie wäre
chinesischen Tempel zu besuchen und die lokale
das, wenn Sie heute nach dem Gottesdienst hier
Kultur kennen zu lernen.“ Klingt in meinen Ohren
rausgingen und sich sagten: „Ich setze meinen Weg
voller Freude fort.“ Ich find, etwas viel besseres kann
einem im Gottesdienst eigentlich nicht passieren.
nicht so wahnsinnig einleuchtend. Ich vermute,
dieser Kämmerer wird erst einmal handfeste
Geschäfte und Verträge gemacht haben und dafür
Nun kann ich Ihnen nicht versprechen, dass es Ihnen
hat er diese Reise angetreten. Aber vielleicht hat ihn
heute so gehen wird. Dem Äthiopier, von dem im
dann ja doch irgendetwas in den Tempel getrieben.
Predigttext die Rede ist, dem erging es nach seiner
Das kann ich mir schon vorstellen. Sigmar Gabriel
Taufe so. Und ich möchte das einfach ein bisschen
würde wahrscheinlich sagen: „Wenn man schon mal
nachzeichnen. Und vielleicht können wir neben den
in Peking ist, kann man sich da ja auch mal so einen
Taufen von heute, auch von dieser Freude etwas
Tempel anschauen.“
mitnehmen.
Er war also in dem großen Tempel in Jerusalem und
Da ist also dieser Kämmerer. Der Verwalter des
ich vermute mal, dass er dort auch diese besondere
Schatzes der Königin von Äthiopien. So etwas wie ein
Kostbarkeit als Mitbringsel erstanden hat: Die
Finanz- und Wirtschaftsminister. Und der reist von
Schriftrolle des Propheten Jesaja. Ich gehe davon aus:
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Das war eines der besten und wertvollsten
damit auseinandersetzen. Also fängt er an sie zu
Kulturgüter, die man in Jerusalem so bekommen
lesen. Und er beschränkt sich da nicht auf ein
konnte. Vielleicht können wir uns das heute kaum
oberflächliches Lesen. Als der Evangelist Philippus zu
noch vorstellen: Aber so eine Schriftrolle war ein
ihm stößt, ist er bereits bei Kapitel 53. Das ist ja das
seltenes, extrem wertvolles, in wochenlanger
Besondere bei diesen Schriftrollen, die kann man
Handarbeit hergestelltes Kunstwerk. Und dieser
nicht einfach irgendwo aufschlagen, die muss man
Kämmerer nimmt nicht irgendeine Rolle. Er hätte ja
schön von vorne nach hinten durchrollen. Philippus
den Propheten Sacharja nehmen können, kurz, mit
kommt also auf wundersame Weise zu ihm und fragt
nur 14 Kapiteln. Nein, er nimmt den Propheten
ihn, ob er denn auch versteht, was er da liest. Und
Jesaja. 66 Kapitel feinste hebräische Schrift. Im 20.
unser Mann antwortet: „Wie soll ich es verstehen,
Jahrhundert hat man in den Höhlen von Qumran am
wenn mir niemand hilft?“ Das kann ja nun nicht
Toten Meer so eine Rolle gefunden. Die ist etwa
wörtlich gemeint sein. Niemand liest 53 Kapitel in
sieben einhalb Meter lang. Vollständig erhalten und
einem Buch, wenn er nichts versteht. Ich glaube,
über 2000 Jahre alt. Ein wirklich haltbares
diesem Mann ist einfach nicht klar geworden, was
Qualitätsprodukt.
diese Worte für ihn bedeuten. Was sie mit ihm zu tun
Diese Jesaja-Rolle, die dieser Minister kauft, war für
haben. Und das kann ich gut verstehen. So geht es
jemanden wie diesen Wirtschaftsminister genau das
mir auch oft, wenn ich die Bibel lese. Und wenn ich
richtige Mitbringsel für die nette Königin zuhause
Jesaja lese erst recht. Da ist es schon eine immense
oder für seine Vitrine. Doch, das wird dann im
Leistung bis Kapitel 53 durchgehalten zu haben. Aber
Verlauf der Erzählung deutlich, der Mann war kein
ich glaube, der Äthiopier hatte so eine unbestimmte
ignoranter Snob, der wollte die Rolle nicht nur, damit
Ahnung. Er sagt nämlich: „Bitte sag mir, von wem
sie in der Vitrine gut aussieht. Der wollte sich auch
spricht der Prophet hier – von sich selbst oder von
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einem anderen?“ Und Philippus nimmt diese Frage
dass er nämlich sich selbst von diesem Schriftwort
auf und erklärt ihm dann seine Interpretation der
angesprochen gefühlt hat. Er hatte die Hoffnung,
Stelle. Er erzählt ihm von Jesus Christus. Denn bei
dass Gott ihm damit etwas sagen wollte.
Jesaja steht: „Er wurde zutiefst erniedrigt, doch das
Er war nämlich nicht nur ein sehr mächtiger Mann
Urteil gegen ihn wurde aufgehoben. Wer wird je
im Staat. Er war auch, das war für diese Position wohl
seine Nachkommen zählen können? Denn sein Leben
so üblich, ein Eunuch: Er war ein Verschnittener, er
wurde von der Erde weg zum Himmel
war kastriert. „ Er wurde zutiefst erniedrigt“ - liest er
emporgehoben.“ Das passt gut zur Passionszeit, in
im Text. Und davon fühlt er sich sofort
der wir gerade sind. Und auch Philippus konnte da
angesprochen. So geht es ihm auch. Aber, das bleibt
erzählen. Von Jesus Christus, der zum Todesurteil am
nicht bestehen. „Wer wird je seine Nachkommen
Kreuz erniedrigt wurde und der dann zum Himmel
zählen können?“ Kinder, Nachkommen haben, das
auferstand. Er konnte davon erzählen, dass sich dann
wünscht er sich. Er weiß natürlich, dass das
die christliche Gemeinde bildete – mit Menschen in
eigentlich nicht mehr geht. Und so fragt er, halb
großer, ungezählter Menge.
verlegen, halb zweifelnd den Philippus, ob das, was
Aber ich glaube, danach wird der äthiopische
er da liest, wohl auf ihn zutreffen könnte. Könnte es
Wirtschaftsminister erst einmal gar nicht gefragt
sein, dass der, der so erniedrigt wurde, viele
haben. Als er fragte „von wem spricht der Prophet
Nachkommen haben kann?
hier – von sich selbst oder von einem anderen?“, da
Und Philippus erzählt ihm davon, dass Jesus Christus
hatte er folgende Hoffnung: „Spricht der Prophet
durch die Auferstehung die Niedrigkeit der
vielleicht gar nicht von sich, sondern von mir? Was
Kreuzigung überwandt und dass die Christen nun
ist, wenn ich damit gemeint bin?“ Ich glaube, dass
eine große Gemeinschaft mit dem auferstandenen
diesem Mann etwas ganz Wunderbares passiert ist,
Jesus Christus bilden, dass sie so etwas wie eine
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Familie sind. Und ich kann mir gut vorstellen, dass
Oder zumindest die Hoffnung auf eine Erfüllung
das für diesen mächtigen Mann ein phantastischer
seiner Träume. Träume, an deren Erfüllung er als
Gedanke war. Mächtige Menschen sind ja manchmal
Eunuch, als Kastrierter sicher nicht zu glauben
einsam. Und dieser Mann war auf jeden Fall ohne
gehofft hat. Doch jetzt hat er eine neue Perspektive.
Familie. Da war es für ihn - erst hoffte er ein wenig,
Die wird er weitergegeben haben. Er wird die Familie
dann begriff er immer stärker – es war eine
vergrößert haben wollen. Eine Familie, eine
Befreiung. Da war es für ihn eine Erfüllung zu hören,
Gemeinde in Äthiopien.
dass er zu dieser großen Familie der Christen dazu
Aber erst einmal zog er seines Weges voll Freude.
gehören konnte. Und das durch so etwas Einfaches
Alleine. Er brauchte den Philippus nicht mehr. Er hat
wie eine Taufe. „Sieh doch, dort ist eine Wasserstelle.
sein Ziel, seine Erfüllung, sich selbst in der Bibel
Spricht etwas dagegen, dass ich getauft werde?“, sagt
entdeckt und dabei bemerkt, dass seine Geschichte
er.
mit der von Jesus zusammentrifft. Dass seine
Und er wird getauft, er gehört dazu. Und damit nicht
Geschichte mit der von Jesus Christus zu tun hat. Er
genug, vermutlich wird er in Äthiopien seine Familie
konnte alleine und froh weitergehen.
weiter vergrößert haben, wird er dort auch selbst
Wir haben heute vier Kinder und Jugendliche getauft.
getauft haben. Zumindest berufen sich die
Für unsere Kinder wünschen wir uns doch genau das.
äthiopischen Christen bis heute auf diesen Mann als
Dass sie irgendwann sicher, zufrieden und froh
den Gründer ihrer Kirche. Das kann ich sehr gut
weitergehen. Dass sie selbstständig weitergehen
nachvollziehen. Ein Mann, der in so einer Schriftrolle
können. Für mich spielt da der Glaube eine große
der Bibel so lange sucht und liest, bis er sich dort
Rolle. In der Pädagogik gibt es z.B. Studien, die
selbst wiederfindet, bis er dort von Gott
zeigen, dass gläubige Menschen eine größere
angesprochen wird und darin seine Erfüllung findet.
Resilienz haben. Das heißt, dass glaubende Menschen
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bessere Mechanismen zur Stressbewältigung haben,
dass sie seltener an Depressionen erkranken. Und ich
finde das in dieser Geschichte von dem Kämmerer
aus Äthiopien wieder. Da entdeckt ein stark
geschädigter Mann den Glauben an Jesus Christus
und er kann nach seiner Taufe fröhlich und gestärkt
weiterziehen. Er ist in einer Gemeinschaft gehalten,
auch wenn er alleine weiterfährt. Das wünsche ich
uns, aber besonders auch unseren Täuflingen, dass
wir die Taufe als den Anfang eines Weges entdecken.
Der Anfang eines Weges, auf dem wir Gott entdecken
können. Ein Weg, den wir fröhlich gehen können. Im
Glauben und in der Gemeinschaft mit anderen
Christinnen und Christen.
Amen.
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