WIRTSCHAFT 19 ||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| D I E N S TA G 7. JULI 2015 WWW. S Z - O N L I N E . D E / W I R TS C H A F T Leipzig verzichtet auf Leipziger Straßenbahnen Die Stadt hat, was kaum eine hat: eine eigene Straßenbahn-Manufaktur. Den kommunalen Großauftrag bekommt sie dennoch nicht. Von Sven Heitkamp D iese Straßenbahn fährt erstmal auf dem Laster mit. Auf dem weitläufigen Hof der Firma HeiterBlick in Leipzig-Plagwitz wurde die schlanke, grün-schwarz-silberne Tram soeben auf einen Spezial-Tieflader manövriert. Nun tritt sie ihre erste Dienstreise nach Hannover an. In Niedersachsens Landeshauptstadt wird die nagelneue Hochflurstadtbahn aus Leipzig künftig auf Linie 7 im Nahverkehr unterwegs sein. Sie gehört zu einem Großauftrag für HeiterBlick: Mindestens 100 Fahrzeuge fertigt die kleine Manufaktur als Partner eines Konsortiums vom Rohbau bis zum Innenausbau. Nach anfänglichem Kummer mit Schweißnähten eines Subunternehmens läuft jetzt die Auslieferung Tram für Tram, verbunden mit der Option auf bis zu 50 weitere Wagen. HeiterBlick ist ein Unikum in der Schienenfahrzeugbranche. Einst die Hauptwerkstatt der städtischen Verkehrsbetriebe in Leipzig begann das Tochterunternehmen 2004 mit dem Bau einer eigenen Fahrzeugreihe, dem schmalen „Leoliner“, der heute zigfach in Leipzig und Halberstadt unterwegs ist. Seit Ende 2010 gehört HeiterBlick allein zum Familienunternehmen Kirow Ardelt, einem Weltmarktführer für ausgefeilte Eisenbahnkrane und gewaltige Schlackentransporter. Im Straßenbahn-Werk unweit der Leipziger Baumwollspinnerei sind heute rund 95 Mitarbeiter beschäftigt. Die lichtdurchflutete Manufaktur wurde jüngst für fast vier Millionen Euro komplett modernisiert. Mit einer getakteten Fließfertigung und drei Arbeitsebenen wurde die Produktion auf mehr Effizienz und höhere Qualität getrimmt. Vorbild für den Ausbau der Produktionshalle und den Ablauf der Montageschritte war das Leipziger Porsche-Werk. Kein Wunder: Geschäftsführer von HeiterBlick ist seit 2011 Samuel Kermelk, früher Leiter Logistikplanung bei den Autobauern. Unter seiner Regie wurde die veraltete Straßenbahn-Werkstatt einer der modernsten Montageorte für Schienenfahrzeuge. Zu den Kunden gehört außer der Stadt Hannover auch Bielefeld. Deren Stadtbahn „Vamos“ wurde 2012 mit dem internationalen „if“-Produkt-Designpreis ausgezeichnet. Umso schmerzhafter ist es nun allerdings für die Traditions-Schmiede, dass jüngst ein Großauftrag ihrer Heimatstadt Leipzig über 41 Fahrzeuge ausgerechnet an ihnen vorbei zum Konkurrenten Solaris nach Polen ging. Fünf Bahnen sind verbindlich bestellt, weitere 36 sollen in den nächsten Jahren hinzukommen. Ende März wur- Der Chef von HeiterBlick Samuel Kermelk kann so schöne Bahnen bauen und Leipzig will sie nicht. Foto: S. Willnow de der Vertrag unterzeichnet. Umfang des Deals: 120 Millionen Euro. „Diese Entscheidung hat uns einen Dämpfer verpasst“, räumt Geschäftsführer Kermelk ein. Denn die Hoffnungen waren lange Zeit groß. Inzwischen aber mussten mehr als 20 Mitarbeiter entlassen werden, darunter mehrere Konstrukteure. „Dabei kennen unsere Spezialisten jede Kurve in Leipzig“, sagt Kermelk. 300 000 Euro habe sein Unternehmen in die Leipziger Ausschreibung investiert, sogar ein 1:1-Modell wurde gebaut und die Kalkulation der Pro- duktionskosten gesenkt. Doch gegen Ende des langwierigen Verfahrens habe HeiterBlick kein Angebot abgeben können. Kermelk: „Die zeitlichen und finanziellen Bedingungen waren unrealistisch.“ Besonders die Mitarbeiter sind empört. „Man fühlt sich nicht gewollt“, sagt Betriebsratschef Mike Steinkopf. „Die Verbundenheit der Kollegen mit dem einstigen Mutterhaus ist noch sehr groß. Warum haben wir als ehemaliges Tochterunter- nehmen der LVB keine Präferenz?“ In anderen Ländern Europas sei es normal, lokale Wertschöpfung bei der Beschaffung zu berücksichtigen. Steinkopf ist seit 30 Jahren in der Firma, der gelernte Fahrzeugschlosser ist heute Vorarbeiter in der Fertigung. Die Belegschaft habe den Eindruck, erzählt er, die Stadt Leipzig wollte vor allem einen Schnäppchenpreis erzielen. Nun gehe die Angst vor weiteren Job-Verlusten um. „Die Mitarbeiter verstehen nicht, warum ihnen solche Steine in den Weg gelegt und Arbeitsplätze in der Region gefährdet werden“, sagt Steinkopf. Die Leipziger Verkehrsbetriebe weisen die Kritik indes zurück. „Bei einem Projekt von 120 Millionen Euro haben wir uns streng an europäisches Vergaberecht zu halten“, sagte LVB-Geschäftsführer Ulf Middelberg. „Wir tragen schließlich die Verantwortung für öffentliche Gelder, die wir einsetzen.“ Am Ende der Ausschreibung hätten zwei Angebote von Solaris und von Bombardier vorgelegen, nicht aber von HeiterBlick. „Die LVB haben sich dabei für die günstigste Kalkulation von Kaufpreis und Lebenszykluskosten sowie für eine hohe Qualität entschieden“, so Middelberg. Günstiger Nebeneffekt: Bei dem Auftrag könne fast die Hälfte der Wertschöpfung in Ostdeutschland erzielt werden. Solaris lasse die Bahnen bei Voith in Chemnitz konstruieren, Motoren und Getriebe kämen vom VEM Sachsenwerk in Dresden und die Drehgestelle von Transtec Vetschau im Spreewald. Überdies sei künftig die Endmontage in Leipzig denkbar. Die ersten Fahrzeuge sollen Anfang 2017 geliefert werden. Den Leipziger IG-Metall Chef Bernd Kruppa überzeugt diese Argumentation nicht. Es sei schon merkwürdig, dass Solaris nach der Ausschreibung mehr Zeit für die Lieferung bekommen habe, als zunächst eingeräumt wurde. „Man wollte nicht das Beste für Leipzig, sondern das Billigste“, so Kruppa. Er habe den Eindruck, dass bei der Entscheidung politische Interessen im Spiel waren. „Wir haben nichts gegen die Kollegen bei Solaris. Aber in Bayern oder in Frankreich würde es ein solches Vorgehen nicht geben“, sagt Kruppa. „Es ist traurig, dass in Sachsen keine engagiertere Industriepolitik gemacht wird.“ Gerade der Schienenfahrzeugbau sei eine der wenigen Schlüsseltechnologien in Sachsen. SÄCHSISCHE ZEITUNG NACHRICHTEN |||||||||||||||||||||||||||||||||||||| Bahnstreiks sorgen für mehr Lkw-Verkehr Köln. In Deutschland werden immer mehr Güter auf der Straße transportiert. Während Bahn und Binnenschiffer im vergangenen Jahr Einbußen hinnehmen mussten, stieg der Anteil der per Lkw beförderten Güter von 72,4 Prozent im Jahr 2013 auf 73,1 Prozent weiter an. Rückgänge habe es beim Schienenverkehr vor allem bei der Deutschen Bahn gegeben, teilte das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) mit. Grund seien unter anderem die Streiks. (dpa) Hitzehoch kurbelt Getränkeabsatz an Berlin. Der warme Juli kommt der Getränkebranche gelegen. Vor allem der Mineralwasserbranche. Zwei oder drei Hitzetage wirken sich zwar noch nicht sehr stark aus, heißt es beim Verband Deutscher Mineralbrunnen. Bei längeren Hitzeperioden sei das anders. „Da jetzt mindestens noch zwei Wochen sonniges und heißes Wetter erwartet wird, werden die Absätze steil in die Höhe gehen“, sagt Geschäftsführer Stefan Seip. Erfahrungen zeigen, dass dann Steigerungen des Wochenabsatzes um 100 Prozent keine Seltenheit seien. (dpa) Air Berlin kämpft ums Überleben Frankfurt am Main. Die angeschlagene Fluggesellschaft Air Berlin verschärft bei ihrer Sanierung den Schrumpfkurs. Die rund 140 Maschinen starke Flotte werde nach dem Abgang von sieben Jets im vergangenen Jahr wohl auch 2015 weiter verkleinert. Auf der Kippe stehen zudem die eigene Flugzeugwartung und flugfremde Abteilungen wie die Personalverwaltung. Air Berlin fliegt seit Jahren Verluste ein. Seit 2011 summierte sich das Minus auf mehr als eine Milliarde Euro. (dpa) Deutschlands Weinproduktion wächst Mainz. Weltweit ist die Weinproduktion im vergangenen Jahr um sieben Prozent zurückgegangen, die deutschen Winzer aber konnten ihren Ertrag um neun Prozent auf 9,2 Millionen Hektoliter steigern. Damit festigte Deutschland seinen zehnten Platz bei den Erzeugerländern, wie die Internationale Organisation für Rebe und Wein (OIV) gestern mitteilte. Beim Weinkonsum stehen die Deutschen mit 20 Millionen Hektolitern auf Rang vier, hinter den USA, Frankreich und Italien. (dpa) Der Osten hält dicht Von Ines Mallek-Klein Der Fotoapparat klickt kaum hörbar. Im Fokus: Müllautos in einer alten Tongrube in Sachsen-Anhalt. Sie laden ihre stinkende, teils giftige Fracht ab. Illegal und lange unbemerkt. Sie sind Teil in dem wohl größten Wirtschaftskrimi Ostdeutschlands, aufgedeckt von Tamer Bakiner. Er leitete eine der erfolgreichsten Wirtschaftsdetekteien in Europa. Seine Aufklärungsquote liegt bei 90 Prozent. „Das liegt auch daran, dass ich nur erfolgversprechende Fälle annehme“, sagt er. Sieben Monate hat er im Fall der sachsen-anhaltischen Müllmafia ermittelt. Auftraggeber damals war ein großer Energiekonzern, der viel Geld in Verbrennungsanlagen investiert hatte. Deren Auslastung blieb aber weit unter den Erwartungen. Bakiner sollte herausfinden, warum. Es ging um Millionen, um Betrug und Korruption – wohl auch mit behördlicher Beteiligung. Noch immer laufen die Prozesse. „Ich war selber schockiert. Ich dachte nicht, dass es so etwas gibt, aber auch ich lerne immer noch selber dazu“, sagt der Ermittler. Sein Geschäft boomt. Betrüger und Schwindler haben Hochkonjunktur. Die Zeiten, in denen nur reiche und besonders neugierige Leute einen Detektiv beauftragt haben, sind vorbei. Auch immer mehr Privatleute, mittelständische Unternehmen, Banken und Versicherungen fragen die Dienstleistungen der Detekteien an. Die Polizei ist keine Alternative. „Sie hat dafür schlicht zu wenig Personal“, sagt Bakiner. Er erledigt die zeitraubende Vorarbeit, beschattet und sammelt Beweise. Mit denen arbeiten dann Polizei oder Staatsanwaltschaften. Korruption, Neid, Eifersucht, Geldgier nehmen zu, so die düstere Prognose des Tamer Bakiner (43): „Der Wahrheitsjäger. Andere richtig einschätzen, Lügen durchschauen, Erkenntnisse nutzen“, AristonVerlag, 16,99 ¤. von Augsburg aus agierenden Detektivs. Er arbeitet auch in Sachsen. In Leipzig und Dresden enttarnte er Außendienstler, die eifrig Kilometer bei ihrem Arbeitgeber abrechneten, aber statt Kunden zu besuchen lieber ein Sonnenbad auf der heimischen Terrasse genossen. Namen nennt Bakiner keine. Berufsehre. Aber er prognostiziert einen weiteren Verfall der Arbeitsmoral und wagt in seinem Buch „Der Wahrheitsjäger“ die These: „Wer sich gut bezahlt fühlt, betrügt weniger.“ Die Idee zu dem Buch reifte 2014. Bakiner brauchte nach einem Fall, der ihn „physisch und psychisch sehr forderte“, eine Auszeit. Er begann, seine Fälle aufzuschreiben und aufzuarbeiten. „Ich möchte die Leute sensibilisieren“, sagt der Ermittler, der einen Gefahr-Radar entwickelt. Seine Tipps basieren auf persönlichen Erfahrungen in über zwei Jahrzehnten. Dabei hat sich Bakiner auch ein Unterschied zwischen Ost und West offenbart. Die Nachbarschaft zwischen Rostock und Chemnitz ist deutlich weniger auskunftfreudig als die zwischen Hamburg und Rosenheim – „was aber nicht heißt, dass sie weniger weiß“. In 70 Ländern hat Bakiner Informanten. Er setzt besonders gern Frauen ein. Sie sind die besseren Detektive. In der Süddeutschen Zeitung wurde der 43-Jährige mit dem Satz zitiert: „Männer haben ein hormonelles Problem“. So sind auch glücklich verheiratete Männer empfänglich für Bestätigung. Die größte Fundgrube aber ist das Internet. Etwa ein Drittel seiner Informationen bezieht Bakiner aus dem Netz – das nie vergisst. Sachsen, 25 Jahre nach der Einheit. Vor 25 Jahren kam mit der D-Mark auch die Marktwirtschaft nach Sachsen! Die Serie „Markt statt Marx“ sammelt die Geschichten dahinter. Wie haben DDR-Betriebe und Industrien die Wende gemeistert? War die Treuhand Fluch oder Segen? Wie haben sich Arbeitsleben und Alltag verändert? Geht es uns heute besser als früher? Welche Erfahrungen haben unsere Leser gemacht? DIE SERIE ZUR WÄHRUNGSUNION VOM 13.6. BIS 11.7. www.sz-link.de/marktstattmarx © Bild: dpa / Ulrich Hässler Tamer Bakiner deckt Wirtschaftsskandale auf und weiß, wer was und wie viel weiß.
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