Chancen nach dem Embargo

Iran sucht deutsche Exporteure
Handelsblatt Nr. 128 vom 08.07.2015 Seite 010 / Wirtschaft & Politik
ATOMABKOMMEN WIRTSCHAFT SETZT AUF ERFOLGREICHE GESPRÄCHE ZWISCHEN IRAN UND SEINEN SECHS
VERHANDLUNGSPARTNERN
Iran sucht deutsche Exporteure
Während Politiker über das Atomabkommen verhandeln, plant die Industrie den nächsten Schritt.
-- Veraltete Anlagen sollen modernisiert werden.
-- Im September startet die erste Delegationsreise.
Die iranischen Geschäftspartner haben nur einen Wunsch geäußert: Es sollen möglichst viele deutsche Firmen aus dem
Automobilbereich teilnehmen. Also rief das MDRC, ein Institut aus Teheran, das eigentlich iranische Manager weiterbildet, die
Industrie- und Handelskammer Darmstadt an. Die ist Träger des Automotive-Clusters Rhein-Main-Neckar, des größten
Netzwerks der deutschen Automobilbranche. In vertraulichen Vorgesprächen trugen die Iraner ihr Anliegen vor: die heimische
Industrie auf Vordermann zu bringen, sobald die Sanktionen gegen das Land fallen. Und zwar mit Hilfe deutscher
Ingenieurskunst. Sie stießen in Darmstadt auf offene Ohren.
"Marktchancen für Automobilzulieferer nach dem Embargo in Iran", heißt es in der Einladung für ein Event, das Anfang
September stattfinden wird. 20 iranische Industrielle werden dort auf 30 deutsche Exporteure treffen. Eine solche
Größenordnung kennt man sonst nur von Staatsbesuchen. In diesem Fall könnte das Treffen eine ähnliche Tragweite
besitzen. Denn während Dutzende Diplomaten in Wien noch darum feilschen, ob die jahrelangen Sanktionen gegen Iran
abschmelzen, plant die Industrie in Darmstadt den nächsten Schritt: die industrielle Modernisierung eines Landes mit der
Einwohnerzahl Deutschlands.
Bis Dienstag sollte der Atomstreit mit dem Land am Persischen Golf beendet sein. Zuletzt hieß es aber, dass die Unterhändler
wahrscheinlich länger brauchen (siehe Seite 11).
Als Folge des Abkommens sollen die Wirtschaftssanktionen gegen das Land fallen gelassen werden. Die Bundesregierung
setzt auf eine Annäherung an Iran. So plant Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), im Juli gemeinsam mit
Wirtschaftsvertretern nach Teheran zu fliegen. In Regierungskreisen hieß es allerdings einschränkend, Voraussetzung sei ein
positiver Verlauf der Atomverhandlungen.
Die Strafmaßnahmen des Westens haben tiefe Furchen in die Wirtschaft des Landes geschlagen. Die Inflation betrug 2013
rund 35 Prozent, das Handelsvolumen mit westlichen Ländern ist eingebrochen. In der Folge war Iran nicht in der Lage, seine
traditionsreichen Industriezentren zu modernisieren. "Die Produktionsanlagen stammen vorwiegend aus den 1970er-Jahren
oder sind noch älter", erklärt Alexander Haghani von der Unternehmensberatung Germela aus Hamburg, die Unternehmen bei
Geschäften mit Iran berät.
Dabei gehört das Land, was seine Ressourcen angeht, zu den reichsten der Welt. Wegen der vielen Handelsbeschränkungen
hat die Wirtschaft allerdings keine Chance gehabt, dem internationalen Wettbewerb standzuhalten. Sollten die Sanktionen in
nächster Zeit fallen, muss die marode Industrie schnell modernisiert werden. "Deswegen wird Iran schnell handeln wollen",
bemerkt Thomas Wülfing, Partner der Kanzlei WZR aus Hamburg. WZR eröffnete im April eine eigene Niederlassung in
Teheran und ist dort zurzeit die einzige größere deutsche Wirtschaftskanzlei.
Nach Informationen des Handelsblatts soll in Darmstadt ebenfalls schnell gehandelt werden. Die meiste Zeit der
Delegationsreise ist für Gespräche unter vier Augen reserviert, um Kooperationen auszuloten und Verträge abzuschließen.
"Die deutsche Wirtschaft könnte enorm von diesem bisher brachliegenden Potenzial profitieren", betont Ludovic Subran,
Chefökonom der Euler Hermes Gruppe, die Exportkredite vergibt. "Insbesondere weil die Nachfrage gerade in den Branchen
stark ansteigen wird, in denen die deutschen Exporteure traditionell sehr stark sind."
Und so ist der Wunsch, die iranische Industrie in die Moderne zu katapultieren, auch nicht nur auf den Automobilsektor
beschränkt. Nach Informationen des Handelsblatts haben gleichfalls Getränkehersteller Gespräche aufgenommen mit dem
Ziel, Lizenzen zu vergeben und sich an iranischen Produktionsstätten zu beteiligen. Im Tourismussektor loten Hotelketten
derzeit aus, wie die Qualität iranischer Hotels für Touristen und Geschäftsreisende verbessert werden kann. WZR-Anwalt
Wülfing hat nach eigenen Angaben auch schon Anfragen von Versicherungen, Gesundheitskonzernen und Unternehmen aus
anderen Dienstleistungssektoren bekommen. "Alle wollten wissen, wie sie künftig in Iran Fuß fassen können."
Deutschlands Vorteil liege vor allem in den langen und engen Beziehungen zu dem Land, meint Subran. Konkurrenz komme
allerdings aus China: Ölexporte in das Land würden schon länger in Yuan abgerechnet. "Dadurch haben viele iranische
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Unternehmen und Financiers hohe Reserven in dieser Währung und sind gezwungen, chinesische Produkte zu kaufen",
berichtet Subran.
In den vergangenen Jahren mieden deutsche Unternehmer den Handel mit Iran, selbst wenn es sich um völlig sanktionsfreie
Waren handelte. Die Hürden waren schlicht zu hoch. Weil die EU 2012 auch den Zahlungsverkehr sanktionierte, mussten
Geschäfte über Drittbanken abgewickelt werden, etwa in der Türkei. Die Gebühren dafür machten viele Deals kaputt. "Die
Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Zahlungen sind der Hauptgrund dafür, dass die Exporte so stark eingebrochen sind",
erklärt WZR-Anwalt Thomas Wülfing.
Auch diese indirekten Hindernisse seien nicht zu unterschätzen, meint Anahita Thoms von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus
Deringer. Es bestünden "weitreichende sekundäre US-Sanktionen, die de facto extraterritorial wirken und damit
Nicht-US-Unternehmen von Aktivitäten in bestimmten iranischen Wirtschaftssektoren abhalten."
Wenn US-Behörden von Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen und iranischen Unternehmen Wind bekamen, seien die
US-Töchter der deutschen Unternehmen nicht selten auf Nicht-Einhaltung der Sanktionen verklagt worden, behauptet ein
Händler. Die Folge: Deutsche Exporteure verloren die Lust, mit Iran Geschäfte zu machen, weil sie um den
Milliarden-Absatzmarkt USA bangen mussten.
Trotz der bisherigen Hindernisse: Die deutsche Wirtschaft steht längst in den Startlöchern, sollte es in nächster Zeit zu einer
Einigung kommen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag schätzt, dass bereits in fünf Jahren das ursprüngliche
Handelsvolumen wieder erreicht werden könnte.
IRAN STARKE FAHRZEUGHERSTELLER.
Auto-Länder Deutschland und Iran sind sich ähnlicher, als man glauben mag zumindest im Automobilsektor. Hier wie dort macht die Fahrzeugproduktion einen
beachtlichen Teil der Wirtschaftsleistung aus, in Iran jährlich zehn Prozent
des BIP. Das Land war auf Platz 13 der weltweiten Autoproduzenten, als die
Sanktionen die Produktivität einschränkten. Wurden 2011 noch 1,65 Millionen
Autos produziert, waren es 2013 nur 743 000.
Auto-Marken Dominiert wird der Automarkt von den iranischen Konzernen IKO,
Saipa und Pars Khodro. Die Unternehmen wurden bereits in den 1950ern
gegründet. Allein diese drei Hersteller haben in Iran einen Marktanteil von
rund 88 Prozent. Die Importe dominieren ostasiatische Automarken.
Demircan, Ozan
Quelle:
Handelsblatt Nr. 128 vom 08.07.2015 Seite 010
Ressort:
Wirtschaft & Politik
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