Das Erneuerbare Mobilitätsgesetz

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Öffentlicher Nahverkehr
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Foto: Kara/Fotolia
Das Erneuerbare
Mobilitätsgesetz
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Wie man die Verkehrswende auf der Straße konkret fördern kann.
Ein Gastbeitrag
Text: Andreas Knie
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ährend fast die ganze Welt zufrieden vom Pariser Klimagipfel Paris zurückgekehrt ist, weil
zumindest der Vorsatz gefasst
wurde, etwas gegen die Erderwärmung zu unternehmen, bleibt eine Branche davon
völlig unberührt: Im Verkehr passiert, zumindest in
Deutschland, rein gar nichts. Die deutschen Autobauer haben buchstäblich die Rollläden heruntergelassen.
Sie hoffen, dass CO2-freie Mobilität am Ende nur ein
böser Traum ist, aus dem man wieder aufwacht und
dann alles so wie früher sein wird. Während Deutschland bei der Produktion von Ökostrom von Rekord zu
Rekord eilt und bald die Marke von 40 Prozent Anteil
am Strommix knacken wird, ist die Tendenz beim
Verkehr umgekehrt. Gerade mal vier Prozent Anteil
der Erneuerbaren am Energieverbrauch können hier verzeichnet werden. Dabei werden
2020 für den Verkehr rund 50
Prozent der Primärenergie
gebraucht. Das zeigt: Eine
Energiewende ohne die dazu
notwendige Verkehrswende
ist bloße Makulatur.
Was tun? In Deutschland werden zurzeit rund 85
Prozent aller Personenkilometer vom sogenannten
„motorisierten Individualverkehr“ abgewickelt, also
dem Auto. In Deutschland sind knapp 45 Millionen
Personenfahrzeuge zugelassen. Selbst wenn man zu
den batterieelektrischen Fahrzeugen noch die Plug-In
Hybride zählt, lag deren Gesamtzahl Ende 2015 immer
noch klar unter 100.000 Autos, also deutlich unterhalb
der Sichtbarkeitsgrenze.
Die Förderung der Elektromobilität kommt nicht
voran. Die Kanzlerin hat zwar ein plakatives Ziel ausgegeben: Eine Million E-Fahrzeuge bis 2020. Aber ihr
Kabinett hat vergessen, die dazu notwendigen Randbedingungen zu schaffen. Alleine mit gutem Willen
und knapp einer Milliarde Euro für die Forschungsförderung wird es nichts werden mit den vielen E-Autos.
Und die deutschen Hersteller? Die halten natürlich
still, denn das Geschäft mit Verbrennerfahrzeugen
lief 2015 so gut wie lange nicht. Der fallende Spritpreis
tut sein Übriges.
Die „Nationale Plattform Elektromobilität“ hat
eine Reihe von Vorschlägen zur Popularisierung der
E-Fahrzeuge gemacht, darunter eine Sonderabschreibung für gewerbliche E-Fahrzeuge – die deutlich wirksamer wäre als die aktuell diskutierten Kaufprämien.
Doch die Bundesregierung blockiert. Das 2014 erlasse-
ne „Elektromobilitätsgesetz“ ist für ihre aktuelle Haltung typisch: Im Gesetzestext ist der Wunsch nach
mehr C02 -freien Fahrzeuge formuliert, doch möchte
der Bund – natürlich aus übergeordneten, verfassungsrechtlichen Gründen – nicht selbst handeln und überträgt die Gestaltung der Verhältnisse den Kommunen.
Eine Stadt darf künftig E-Fahrzeugen freies Parken
gewähren, muss aber alle Konsequenzen selbst tragen.
Wie reagieren die Verbraucher? Alle seriösen Umfragen belegen die Erwartung einer überwiegenden
Mehrheit der Bevölkerung: die Elektromobilität wird
kommen! Aber bis auf wenige Pioniere sind Mensch
und Unternehmen nicht bereit, mehr als das Doppelte für ein E-Fahrzeug zu bezahlen. Ohne Auto – so jedenfalls der herrschende Trend – wird es zwar nicht
gehen. Aber zumindest in den Städten ist die Mehrzahl
der Menschen gar nicht mehr
so sehr daran interessiert, ein
Auto zu kaufen, um es dann zu
besitzen. Immer mehr Stadtbewohner entdecken zudem die
Vielfalt der Verkehrsmittel und
probieren die Kombination aus
Fahrrad, Bussen und Bahnen.
Wie kann die E-Fahrzeugflotte vermehrt werden, ohne dass noch mehr Autos
die Städte verstopfen? Hier bietet das ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG) Anregungen. Es wurde im Jahre 2000 praktisch von allen Parteien unterschrieben,
auch weil keiner die Folgen für die Stromversorger
auch nur ansatzweise ahnte. Wie sehe ein ähnlich wirkungsmächtiges „Trojaner-Gesetz“ für den Verkehrssektor aus?
Analog zum EEG könnte folgender Ansatz Erfolg haben, der bereits mit einigen Kommunen und
Stadtwerken diskutiert wurde und noch im Frühjahr
realisiert werden soll: Organisiert vom örtlichen Verkehrsunternehmen (ÖV), dem „Netzbetreiber“, wird
in dessen Bediengebiet (in der Regel die Stadt mit
ihren Randgebieten) folgendes Angebot gemacht:
Private Autofahrer können als Anbieter von Transportleistungen im ÖPNV mitmachen.
Voraussetzung: Sie verfügen über ein E-Fahrzeug,
einen Grünstromvertrag und ein Smartphone. Die
Autofahrer müssen sich lediglich auf einer Plattform
des ÖV registrieren lassen. Mit einem Klick werden
private Autofahrer dann mit ihren E-Fahrzeugen
praktisch zu Minibussen. Die angebotene Transportleistung wird mit einem Euro pro Kilometer vergütet;
die neuen privaten Anbieter erhalten 90 Cent, 10 Cent
verbleiben beim ÖV.
Die beiden entscheidenden verkehrs- und umweltpolitische Fragen dabei lauten: Bieten 90 Cent pro Kilometer als Einnahme genügend Anreize, damit Privatpersonen sich E-Fahrzeuge zulegen? Und bedeuten die
zusätzlichen Kapazitäten am Ende nur mehr Individualverkehr? Die Tarife sind jedenfalls so festzulegen,
dass keine zusätzlichen Fahrzeuge angeschafft werden, sondern bereits existierende – oder durch E-Fahrzeuge ausgetauschte, private – Autos besser ausgelastet werden und sich damit die Effizienz vorhandener
Transportkapazitäten deutlich erhöht. Wer täglich
rund 20 Kilometer als „Transporteur“ unterwegs ist,
käme dann bei fünf Tagen „Dienst“ in der Woche auf
eine zusätzliche monatliche Bruttoeinnahme von 360
Euro und könnte damit im Laufe von drei Jahren rund
13.000 Euro verdienen – deutlich mehr als die zurzeit
diskutierte einmalige Kaufprämie von 5.000 Euro. Und
das alles ohne Belastung der
öffentlichen Haushalte.
Für den ÖV Unternehmer
ist das neue EMG die Chance
für eine digitale Offensive.
Denn die Unternehmen erhalten eine intelligente Kapazitätssteuerung und können ihre Wirtschaftlichkeit
deutlich verbessern. Vermutlich ist dies insbesondere
für Unternehmen in kleinen und mittleren Städten
sehr interessant, wo außerhalb des Schülerverkehrs
praktisch kaum noch gebündelte Verkehre vorhanden
sind, die mit Bussen und Bahnen wirtschaftlich zu
bedienen sind. Für das Taxigewerbe bedeutet diese Regelung tatsächliche eine neue Herausforderung. Aber
Taxi- Unternehmen könnten als „Kapazitätsreserve“
am neuen Regelmarkt für Transportangebote teilhaben, sie müssen ihre Dieselfahrzeuge nur in E-Autos
tauschen.
Ob beim EMG am Ende alles wirklich so wie beim
EEG funktioniert, kann man vorher nicht wissen. Man
muss es probieren.
Monatlich könnten
Fahrer mit 20 Kilometern täglicher Strecke
360 Euro verdienen
Fotos (auch vorherige Seite): Fotolia, Wikipedia
Private E-Mobile
werden zu Minibussen,
die einen Euro pro
Kilometer kosten
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Das neue E-Angebot wird für jedermann auf einer eigenen Plattform des ÖV angeboten. Kunden müssen
im Rahmen der Registrierung die Zahlungswege definieren. Übergabepunkte können völlig individuell
festgelegt werden, Sammelfahrten sind möglich. Die
neue Option ist ideal für Menschen, die regelmäßig in
der Stadt alleine unterwegs sind und sich gerne hin
und wieder Mitfahrende wünschen. Aus Nutzersicht
ist ein solches Angebot – genügend Anbieter vorausgesetzt – eine attraktive Zusatzoption, flexibel und
schnell jenseits des Linienangebotes von A nach B zu
kommen.
Um die Konstruktionsfehler des EEG zu vermeiden, kann der Netzbetreiber entscheiden, ob und wie
viele zusätzliche E-Autos gebraucht werden. Die EFahrzeuge könnten als zusätzliche Kapazitäten in
Spitzenlastzeiten funktionieren oder in Schwachlastzeiten
die spurgeführten Bahnen und
Busse deutlich reduzieren. ÖVUnternehmen leiden darunter,
dass die zur Abdeckung der
Spitzenzeiten notwendigen
Kapazitäten über den Tag oder
gar in den späteren Abendstunden überhaupt nicht mehr gebraucht werden,
aber teuer vorgehalten werden müssen. Eine „atmende
Flotte“ wäre dazu natürlich ideal, dann würde auch
das im Elektromobilitätsgesetz festgelegte Recht zur
Nutzung der Busspur endlich Sinn ergeben.
Weil sich private Anbieter immer erst auf der Plattform einloggen müssen, kann der Netzbetreiber die
Angebotsmenge steuern: Er kann die Menge begrenzen
oder bei Engpässen Anreize schaffen, etwa indem er
für bestimmte Stunden die Preise und damit auch die
Vergütungssätze pro Kilometer beispielsweise um 20
Cent auf 1,20 Euro erhöht.
Bei diesem Konzept spielt der konzessionierte,
örtliche Verkehrsunternehmer die zentrale Rolle.
Dazu müssen Preis- und Spielregeln in einem eigenen
„Erneuerbaren Mobilitätsgesetz“ (EMG) bundesweit
festgelegt werden, das Elemente des bestehenden
Personenbeförderungsgesetzes (PBfG) außer Kraft
setzt. Denn die Teilnahme von Privatpersonen muss
grundsätzlich erlaubt werden und die Anbieter der
neuen „E-Flotte“ von der Verpflichtung eines Personenbeförderungsscheins (P-Schein) freigestellt werden. Nachgewiesen und geprüft werden lediglich die
üblichen Voraussetzungen wie die Existenz eines
Führerscheins und ein als E-Fahrzeug zugelassenes
Kfz mit einem Grünstromvertrag.
Andreas
KNie
Der profilierte Verkehrsexperte ist Soziologieprofessor am Wissenschaftszentrum
Berlin und führt die Mobilitätsberatungsgesellschaft InnoZ.
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