markets. markets. Öffentlicher Nahverkehr Öffentlicher Nahverkehr Öffentlicher Nahverkehr Öffentlicher Nahverkehr Foto: Kara/Fotolia Das Erneuerbare Mobilitätsgesetz 56 Wie man die Verkehrswende auf der Straße konkret fördern kann. Ein Gastbeitrag Text: Andreas Knie 57 markets. W markets. ährend fast die ganze Welt zufrieden vom Pariser Klimagipfel Paris zurückgekehrt ist, weil zumindest der Vorsatz gefasst wurde, etwas gegen die Erderwärmung zu unternehmen, bleibt eine Branche davon völlig unberührt: Im Verkehr passiert, zumindest in Deutschland, rein gar nichts. Die deutschen Autobauer haben buchstäblich die Rollläden heruntergelassen. Sie hoffen, dass CO2-freie Mobilität am Ende nur ein böser Traum ist, aus dem man wieder aufwacht und dann alles so wie früher sein wird. Während Deutschland bei der Produktion von Ökostrom von Rekord zu Rekord eilt und bald die Marke von 40 Prozent Anteil am Strommix knacken wird, ist die Tendenz beim Verkehr umgekehrt. Gerade mal vier Prozent Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch können hier verzeichnet werden. Dabei werden 2020 für den Verkehr rund 50 Prozent der Primärenergie gebraucht. Das zeigt: Eine Energiewende ohne die dazu notwendige Verkehrswende ist bloße Makulatur. Was tun? In Deutschland werden zurzeit rund 85 Prozent aller Personenkilometer vom sogenannten „motorisierten Individualverkehr“ abgewickelt, also dem Auto. In Deutschland sind knapp 45 Millionen Personenfahrzeuge zugelassen. Selbst wenn man zu den batterieelektrischen Fahrzeugen noch die Plug-In Hybride zählt, lag deren Gesamtzahl Ende 2015 immer noch klar unter 100.000 Autos, also deutlich unterhalb der Sichtbarkeitsgrenze. Die Förderung der Elektromobilität kommt nicht voran. Die Kanzlerin hat zwar ein plakatives Ziel ausgegeben: Eine Million E-Fahrzeuge bis 2020. Aber ihr Kabinett hat vergessen, die dazu notwendigen Randbedingungen zu schaffen. Alleine mit gutem Willen und knapp einer Milliarde Euro für die Forschungsförderung wird es nichts werden mit den vielen E-Autos. Und die deutschen Hersteller? Die halten natürlich still, denn das Geschäft mit Verbrennerfahrzeugen lief 2015 so gut wie lange nicht. Der fallende Spritpreis tut sein Übriges. Die „Nationale Plattform Elektromobilität“ hat eine Reihe von Vorschlägen zur Popularisierung der E-Fahrzeuge gemacht, darunter eine Sonderabschreibung für gewerbliche E-Fahrzeuge – die deutlich wirksamer wäre als die aktuell diskutierten Kaufprämien. Doch die Bundesregierung blockiert. Das 2014 erlasse- ne „Elektromobilitätsgesetz“ ist für ihre aktuelle Haltung typisch: Im Gesetzestext ist der Wunsch nach mehr C02 -freien Fahrzeuge formuliert, doch möchte der Bund – natürlich aus übergeordneten, verfassungsrechtlichen Gründen – nicht selbst handeln und überträgt die Gestaltung der Verhältnisse den Kommunen. Eine Stadt darf künftig E-Fahrzeugen freies Parken gewähren, muss aber alle Konsequenzen selbst tragen. Wie reagieren die Verbraucher? Alle seriösen Umfragen belegen die Erwartung einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung: die Elektromobilität wird kommen! Aber bis auf wenige Pioniere sind Mensch und Unternehmen nicht bereit, mehr als das Doppelte für ein E-Fahrzeug zu bezahlen. Ohne Auto – so jedenfalls der herrschende Trend – wird es zwar nicht gehen. Aber zumindest in den Städten ist die Mehrzahl der Menschen gar nicht mehr so sehr daran interessiert, ein Auto zu kaufen, um es dann zu besitzen. Immer mehr Stadtbewohner entdecken zudem die Vielfalt der Verkehrsmittel und probieren die Kombination aus Fahrrad, Bussen und Bahnen. Wie kann die E-Fahrzeugflotte vermehrt werden, ohne dass noch mehr Autos die Städte verstopfen? Hier bietet das ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG) Anregungen. Es wurde im Jahre 2000 praktisch von allen Parteien unterschrieben, auch weil keiner die Folgen für die Stromversorger auch nur ansatzweise ahnte. Wie sehe ein ähnlich wirkungsmächtiges „Trojaner-Gesetz“ für den Verkehrssektor aus? Analog zum EEG könnte folgender Ansatz Erfolg haben, der bereits mit einigen Kommunen und Stadtwerken diskutiert wurde und noch im Frühjahr realisiert werden soll: Organisiert vom örtlichen Verkehrsunternehmen (ÖV), dem „Netzbetreiber“, wird in dessen Bediengebiet (in der Regel die Stadt mit ihren Randgebieten) folgendes Angebot gemacht: Private Autofahrer können als Anbieter von Transportleistungen im ÖPNV mitmachen. Voraussetzung: Sie verfügen über ein E-Fahrzeug, einen Grünstromvertrag und ein Smartphone. Die Autofahrer müssen sich lediglich auf einer Plattform des ÖV registrieren lassen. Mit einem Klick werden private Autofahrer dann mit ihren E-Fahrzeugen praktisch zu Minibussen. Die angebotene Transportleistung wird mit einem Euro pro Kilometer vergütet; die neuen privaten Anbieter erhalten 90 Cent, 10 Cent verbleiben beim ÖV. Die beiden entscheidenden verkehrs- und umweltpolitische Fragen dabei lauten: Bieten 90 Cent pro Kilometer als Einnahme genügend Anreize, damit Privatpersonen sich E-Fahrzeuge zulegen? Und bedeuten die zusätzlichen Kapazitäten am Ende nur mehr Individualverkehr? Die Tarife sind jedenfalls so festzulegen, dass keine zusätzlichen Fahrzeuge angeschafft werden, sondern bereits existierende – oder durch E-Fahrzeuge ausgetauschte, private – Autos besser ausgelastet werden und sich damit die Effizienz vorhandener Transportkapazitäten deutlich erhöht. Wer täglich rund 20 Kilometer als „Transporteur“ unterwegs ist, käme dann bei fünf Tagen „Dienst“ in der Woche auf eine zusätzliche monatliche Bruttoeinnahme von 360 Euro und könnte damit im Laufe von drei Jahren rund 13.000 Euro verdienen – deutlich mehr als die zurzeit diskutierte einmalige Kaufprämie von 5.000 Euro. Und das alles ohne Belastung der öffentlichen Haushalte. Für den ÖV Unternehmer ist das neue EMG die Chance für eine digitale Offensive. Denn die Unternehmen erhalten eine intelligente Kapazitätssteuerung und können ihre Wirtschaftlichkeit deutlich verbessern. Vermutlich ist dies insbesondere für Unternehmen in kleinen und mittleren Städten sehr interessant, wo außerhalb des Schülerverkehrs praktisch kaum noch gebündelte Verkehre vorhanden sind, die mit Bussen und Bahnen wirtschaftlich zu bedienen sind. Für das Taxigewerbe bedeutet diese Regelung tatsächliche eine neue Herausforderung. Aber Taxi- Unternehmen könnten als „Kapazitätsreserve“ am neuen Regelmarkt für Transportangebote teilhaben, sie müssen ihre Dieselfahrzeuge nur in E-Autos tauschen. Ob beim EMG am Ende alles wirklich so wie beim EEG funktioniert, kann man vorher nicht wissen. Man muss es probieren. Monatlich könnten Fahrer mit 20 Kilometern täglicher Strecke 360 Euro verdienen Fotos (auch vorherige Seite): Fotolia, Wikipedia Private E-Mobile werden zu Minibussen, die einen Euro pro Kilometer kosten 58 Das neue E-Angebot wird für jedermann auf einer eigenen Plattform des ÖV angeboten. Kunden müssen im Rahmen der Registrierung die Zahlungswege definieren. Übergabepunkte können völlig individuell festgelegt werden, Sammelfahrten sind möglich. Die neue Option ist ideal für Menschen, die regelmäßig in der Stadt alleine unterwegs sind und sich gerne hin und wieder Mitfahrende wünschen. Aus Nutzersicht ist ein solches Angebot – genügend Anbieter vorausgesetzt – eine attraktive Zusatzoption, flexibel und schnell jenseits des Linienangebotes von A nach B zu kommen. Um die Konstruktionsfehler des EEG zu vermeiden, kann der Netzbetreiber entscheiden, ob und wie viele zusätzliche E-Autos gebraucht werden. Die EFahrzeuge könnten als zusätzliche Kapazitäten in Spitzenlastzeiten funktionieren oder in Schwachlastzeiten die spurgeführten Bahnen und Busse deutlich reduzieren. ÖVUnternehmen leiden darunter, dass die zur Abdeckung der Spitzenzeiten notwendigen Kapazitäten über den Tag oder gar in den späteren Abendstunden überhaupt nicht mehr gebraucht werden, aber teuer vorgehalten werden müssen. Eine „atmende Flotte“ wäre dazu natürlich ideal, dann würde auch das im Elektromobilitätsgesetz festgelegte Recht zur Nutzung der Busspur endlich Sinn ergeben. Weil sich private Anbieter immer erst auf der Plattform einloggen müssen, kann der Netzbetreiber die Angebotsmenge steuern: Er kann die Menge begrenzen oder bei Engpässen Anreize schaffen, etwa indem er für bestimmte Stunden die Preise und damit auch die Vergütungssätze pro Kilometer beispielsweise um 20 Cent auf 1,20 Euro erhöht. Bei diesem Konzept spielt der konzessionierte, örtliche Verkehrsunternehmer die zentrale Rolle. Dazu müssen Preis- und Spielregeln in einem eigenen „Erneuerbaren Mobilitätsgesetz“ (EMG) bundesweit festgelegt werden, das Elemente des bestehenden Personenbeförderungsgesetzes (PBfG) außer Kraft setzt. Denn die Teilnahme von Privatpersonen muss grundsätzlich erlaubt werden und die Anbieter der neuen „E-Flotte“ von der Verpflichtung eines Personenbeförderungsscheins (P-Schein) freigestellt werden. Nachgewiesen und geprüft werden lediglich die üblichen Voraussetzungen wie die Existenz eines Führerscheins und ein als E-Fahrzeug zugelassenes Kfz mit einem Grünstromvertrag. Andreas KNie Der profilierte Verkehrsexperte ist Soziologieprofessor am Wissenschaftszentrum Berlin und führt die Mobilitätsberatungsgesellschaft InnoZ. 59
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