Wege entstehen im Gehen Leistung statt Hoffnung? Eine neue Fernseh-Reihe Was mir an der an sich gut gemachten Sendung nicht gefallen hat, waren Fragestellung und Methode. Gefragt wurde dort nicht in erster Linie nach dem Grund unserer (und der anderer Religionen) Hoffnung, sondern nach der Leistung, den Anforderungen, die man erfüllen müsse, um als Lohn nach dem Tod fort zu existieren. Die unterschiedlichen ethischen Vorstellungen und Lebensweisen von Christen, Muslimen, Juden und Buddhisten wurden verglichen und vom Reporter in Bezug auf seine eigene Lebenspraxis befragt. Bei durchweg allen Religionen gelangte er zu der Auffassung, dass der jeweilige „Leistungskatalog“ für ihn als modernen, zwar interessierten, aber eher religiös distanzierten Menschen zu groß sei, um ihn für einen nur hypothetischen Lohn zur Lebensnorm zu machen. Nein, auch wenn viele Bilder der Hoffnung durchaus schön und tröstlich seien, schließlich kann sich König für keinen der betrachteten Wege entscheiden. Womit er sicher nicht der einzige ist. Gut, dass wir drüber geredet haben, nicht mehr. Zur Zeit läuft im ARD-Fernsehen am späten Montagabend eine neue dreiteilige DokuSerie mit dem Titel „Was glaubt Deutschland?“. In der ersten Folge beschäftigte sich Reporter Steffen König mit den Hoffnungen und Vorstellungen der Religionen über ein Weiterleben nach dem Tod. In ansprechender Weise werden gläubige Menschen unterschiedlicher Religionen in ganz Deutschland befragt, die Glaubens- und Lebenspraxis ihrer Religion wird mit stimmungsvollen Bildern vorgestellt. Eigentlich eine gute Sache. Wir leben in einer pluralen Gesellschaft und es bedarf des Wissens umeinander und übereinander, damit wir uns in unserer Verschiedenheit nicht nur tolerieren, sondern auch akzeptieren, voneinander lernen und aneinander reifen. Vielleicht führt das zwar nicht zu einem religiösen Miteinander, aber zu einem wohlwollenden und interessierten Nebeneinander und ist in Zeiten wachsender Fremdenfeindlichkeit ein dringendes Gebot der Stunde. Um Hans Küng abwandelnd zu zitieren: Kein Frieden in der Gesellschaft ohne Frieden zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen, der Mehrheit und der Minderheiten. Kein Frieden zwischen ihnen ohne erlebte Nachbarschaft und Gastfreundschaft. Keine erlebte Nachbarschaft und Gastfreundschaft ohne eine offene, empathische und neugierige Haltung zueinander. Am Schaalsee bei Zarrentin, Foto: MSP Weg-Wort | September 2015 1 Mitgehen statt zuschauen Eine neue Etappe Dem religiös denkenden und vor allem lebenden Menschen wird bald deutlich, warum der Reporter keinen Zugang zu den religiösen Lebenswegen gewinnen kann. Religionen sind Wege, die beschritten werden wollen, lange Wege, oft schwierige und steinige, dann wieder gerade und landschaftlich herrliche Wege, lebenslange Wege. Wege, auf denen man die unterschiedlichsten Weggefährten trifft. Mit manchen ist man viele Jahre unterwegs, mit anderen eine Etappe weit, mit wieder anderen nur kurz. Mit dem Einen oder der Anderen gar ein ganzes Leben lang. Wege erschließen sich nur im Gehen. Wer sich nicht auf den Weg macht, kann die Erfahrungen des Unterwegsseins nicht sammeln: die Zeiten der Euphorie und Freude, des Glücks, der Kraft und der Stärkung. Auch nicht die Erfahrungen der Umwege, Abwege, des Verlaufens, Umkehrens, der Erschöpfung und Lustlosigkeit. Vor allem aber kann man nicht ermessen, wie und wodurch der Glauben im Ernstfall des Lebens trägt. Einen Weg bewältigt man nicht, indem man eine Landkarte studiert oder einen Routenplaner bemüht. Religiöses, gläubiges Leben erspürt man nicht in seiner vollen Tiefe, wenn man es von außen betrachtet. Es ist eine Form von Beziehung zu Gott, zum Göttlichen, wie man es auch immer nennt, eine Beziehung, die gelebt werden wird. Das ist Chance und Aufgabe und kann durchaus anspruchsvoll sein, besser: will anspruchsvoll sein. Wenn wir jetzt am Beginn eines neuen Schuljahres stehen, dann liegt, ohne dass wir daran etwas ändern könnten, eine neue Etappe unseres Lebensweges vor uns. Erneut gilt es, Beruf und Familie, eigene Interessen und berufliche Anforderungen miteinander zu verknüpfen und – so gut es geht – zu harmonisieren, damit sich nicht parallel laufende Wege mitunter gefährlich kreuzen, sondern die kleinen Pfade in einen einzigen, ganzheitlichen Lebens-, Arbeitsund Glaubensweg münden, der von uns mit jedem gegangenen Schritt wächst. Nehmen wir diesen Weg, der nun vor uns liegt, in den Blick, werden wir uns klar über unsere Wünsche, Hoffnungen und Pläne, auch über unsere Ängste. Bleiben wir aber auch gelassen im Wissen darum, dass jeder Weg immer auch Stolpersteine aufweist und vertrauen wir uns auf diesem Weg erneut dem an, der sich selbst als der Weg, die Wahrheit und Leben zu erleben gegeben hat und noch immer zu erleben gibt. Diakon Mario Spiekermann Religionslehrer i.K. Mario Spiekermann (42 Jahre, verh., 3 Kinder) arbeitet seit 2001 für das Erzbistum Hamburg in der Region Mecklenburg. Alter Wanderweg in der Urschweiz, Foto: MSP Weg-Wort | September 2015 Frühere Tätigkeiten: wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Regensburg, Referent für Religionspädagogik in Schwerin, hauptamtlicher Diakon im Bistum Chur (Schweiz) 2
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