Weg-Wort | September 2015

Wege entstehen im Gehen
Leistung statt Hoffnung?
Eine neue Fernseh-Reihe
Was mir an der an sich gut gemachten Sendung nicht gefallen hat, waren Fragestellung
und Methode. Gefragt wurde dort nicht in
erster Linie nach dem Grund unserer (und
der anderer Religionen) Hoffnung, sondern
nach der Leistung, den Anforderungen, die
man erfüllen müsse, um als Lohn nach dem
Tod fort zu existieren.
Die unterschiedlichen ethischen Vorstellungen und Lebensweisen von Christen, Muslimen, Juden und Buddhisten wurden verglichen und vom Reporter in Bezug auf seine
eigene Lebenspraxis befragt. Bei durchweg
allen Religionen gelangte er zu der Auffassung, dass der jeweilige „Leistungskatalog“
für ihn als modernen, zwar interessierten,
aber eher religiös distanzierten Menschen zu
groß sei, um ihn für einen nur hypothetischen Lohn zur Lebensnorm zu machen.
Nein, auch wenn viele Bilder der Hoffnung
durchaus schön und tröstlich seien, schließlich kann sich König für keinen der betrachteten Wege entscheiden. Womit er sicher
nicht der einzige ist. Gut, dass wir drüber
geredet haben, nicht mehr.
Zur Zeit läuft im ARD-Fernsehen am späten
Montagabend eine neue dreiteilige DokuSerie mit dem Titel „Was glaubt Deutschland?“. In der ersten Folge beschäftigte sich
Reporter Steffen König mit den Hoffnungen
und Vorstellungen der Religionen über ein
Weiterleben nach dem Tod. In ansprechender Weise werden gläubige Menschen unterschiedlicher Religionen in ganz Deutschland befragt, die Glaubens- und Lebenspraxis ihrer Religion wird mit stimmungsvollen
Bildern vorgestellt. Eigentlich eine gute Sache. Wir leben in einer pluralen Gesellschaft
und es bedarf des Wissens umeinander und
übereinander, damit wir uns in unserer Verschiedenheit nicht nur tolerieren, sondern
auch akzeptieren, voneinander lernen und
aneinander reifen. Vielleicht führt das zwar
nicht zu einem religiösen Miteinander, aber
zu einem wohlwollenden und interessierten
Nebeneinander und ist in Zeiten wachsender
Fremdenfeindlichkeit ein dringendes Gebot
der Stunde. Um Hans Küng abwandelnd zu
zitieren: Kein Frieden in der Gesellschaft
ohne Frieden zwischen unterschiedlichen
Kulturen und Religionen, der Mehrheit und
der Minderheiten. Kein Frieden zwischen
ihnen ohne erlebte Nachbarschaft und Gastfreundschaft. Keine erlebte Nachbarschaft
und Gastfreundschaft ohne eine offene, empathische und neugierige Haltung zueinander.
Am Schaalsee bei Zarrentin, Foto: MSP
Weg-Wort | September 2015
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Mitgehen statt zuschauen
Eine neue Etappe
Dem religiös denkenden und vor allem lebenden Menschen wird bald deutlich, warum
der Reporter keinen Zugang zu den religiösen Lebenswegen gewinnen kann. Religionen sind Wege, die beschritten werden wollen, lange Wege, oft schwierige und steinige,
dann wieder gerade und landschaftlich herrliche Wege, lebenslange Wege. Wege, auf
denen
man
die
unterschiedlichsten
Weggefährten trifft. Mit manchen ist man
viele Jahre unterwegs, mit anderen eine
Etappe weit, mit wieder anderen nur kurz.
Mit dem Einen oder der Anderen gar ein
ganzes Leben lang. Wege erschließen sich
nur im Gehen. Wer sich nicht auf den Weg
macht, kann die Erfahrungen des Unterwegsseins nicht sammeln: die Zeiten der
Euphorie und Freude, des Glücks, der Kraft
und der Stärkung. Auch nicht die Erfahrungen der Umwege, Abwege, des Verlaufens,
Umkehrens, der Erschöpfung und Lustlosigkeit. Vor allem aber kann man nicht ermessen, wie und wodurch der Glauben im Ernstfall des Lebens trägt. Einen Weg bewältigt
man nicht, indem man eine Landkarte studiert oder einen Routenplaner bemüht. Religiöses, gläubiges Leben erspürt man nicht in
seiner vollen Tiefe, wenn man es von außen
betrachtet. Es ist eine Form von Beziehung
zu Gott, zum Göttlichen, wie man es auch
immer nennt, eine Beziehung, die gelebt
werden wird. Das ist Chance und Aufgabe
und kann durchaus anspruchsvoll sein,
besser: will anspruchsvoll sein.
Wenn wir jetzt am Beginn eines neuen
Schuljahres stehen, dann liegt, ohne dass
wir daran etwas ändern könnten, eine neue
Etappe unseres Lebensweges vor uns. Erneut gilt es, Beruf und Familie, eigene Interessen und berufliche Anforderungen
miteinander zu verknüpfen und – so gut es
geht – zu harmonisieren, damit sich nicht
parallel laufende Wege mitunter gefährlich
kreuzen, sondern die kleinen Pfade in einen
einzigen, ganzheitlichen Lebens-, Arbeitsund Glaubensweg münden, der von uns mit
jedem gegangenen Schritt wächst. Nehmen
wir diesen Weg, der nun vor uns liegt, in den
Blick, werden wir uns klar über unsere Wünsche, Hoffnungen und Pläne, auch über unsere Ängste. Bleiben wir aber auch gelassen
im Wissen darum, dass jeder Weg immer
auch Stolpersteine aufweist und vertrauen
wir uns auf diesem Weg erneut dem an, der
sich selbst als der Weg, die Wahrheit und
Leben zu erleben gegeben hat und noch
immer zu erleben gibt.
Diakon Mario Spiekermann
Religionslehrer i.K.
Mario Spiekermann
(42 Jahre, verh., 3 Kinder)
arbeitet seit 2001 für das
Erzbistum Hamburg in der
Region Mecklenburg.
Alter Wanderweg in der Urschweiz, Foto: MSP
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Frühere Tätigkeiten:
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Regensburg, Referent für Religionspädagogik in Schwerin,
hauptamtlicher Diakon im
Bistum Chur (Schweiz)
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