Diagnostik und Therapie von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter

Diagnostik und Therapie von
Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter
–
Eine Einführung
Gloria Fischer und Michael Kaess
Sektion „Störungen der Persönlichkeitsentwicklung“, Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Universitätsklinikum Heidelberg
HYPE Programm, Orygen Youth Health, Melbourne, Australien
2008 – 2011 und seit 2013
2011 - 2013
Definition und Klassifikation
der
Persönlichkeitsstörungen
Definition der Persönlichkeitsstörung nach
DSM-5
• deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im
Verhalten in mehreren Funktionsbereichen (Affektivität,
Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen, Denken,
Beziehungen zu anderen)
• Das abnorme Verhaltensmuster ist andauernd und nicht auf
Episoden psychischer Krankheiten begrenzt
• Das abnorme Verhaltensmuster ist tief greifend und in
vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig
unpassend
• Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend
und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter.
• Die Störung führt zu deutlichem subjektivem Leiden,
manchmal erst im späteren Verlauf.
Definition der Persönlichkeitsstörung nach
ICD-10
• tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in
starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und
soziale Lebenslagen zeigen
• deutliche Abweichungen im Denken, Fühlen und in
Beziehungen zu anderen
• Solche Verhaltensmuster sind stabil und beziehen sich auf
vielfältige Bereiche von Verhalten und psychischen
Funktionen.
• Einhergehend mit persönlichem Leiden und gestörter
sozialer Funktions- und Leistungsfähigkeit
Persönlichkeitsstörungen nach DSM-IV
Cluster
Diagnose
Charakteristika
A
Paranoide PS
Misstrauen und Argwohn, Interpretation der Motive anderer als
böswillig
„sonderbar,
seltsam,
exzentrisch"
Schizoide PS
Distanziertheit, Isolation, eingeschränkter emotionaler Ausdruck
Schizotypische
PS
Soziales Unbehagen, eigentümliches Verhalten, Verzerrungen des
Denkens
B
Dissoziale PS
Missachtung und Verletzung der Rechte anderer
„dramatisch,
emotional,
launisch"
Borderline PS
Instabilität zwischenmenschlicher Beziehungen, des Selbstbildes und
der Affektivität, Impulsivität, Selbstverletzungen
Histrionische
PS
Übermäßige Emotionalität, Expressivität, Aufmerksamkeit
heischendes Verhalten
Narzisstische
PS
Gefühl der Großartigkeit, Bedürfnis nach Bewunderung,
„Selbstverherrlichung", mangelnde Empathie
Ängstlich-vermeidende PS
Soziale Hemmung, Gefühl der Unzulänglichkeit, Überempfindlichkeit
gegenüber negativer Bewertung
Dependente
PS
Unterwürfiges und anklammerndes Verhalten, übermäßiges
Bedürfnis, umsorgt zu werden, Gefühl der Hilflosigkeit/Schwäche
Zwanghafte PS
Ständige Beschäftigung mit Ordnung, Perfektionismus, Kontrolle,
„Sollen"
C
„ängstlich"
Persönlichkeitsstörungen nach DSM-IV (Lieb et al., 2008)
Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10
Klassifikation – ICD versus DSM
Cluster
ICD-10
DSM-IV
A
Paranoide PS
Paranoide PS
Schizoide PS
Schizoide PS
(Schizotype Störung: F21)
Schizotypische PS
Dissoziale PS
Antisoziale PS
B
Emotional instabile PS:
C
• Impulsiver Typus
-
• Borderline-Typus
Borderline-PS
Histrionische PS
Histronische PS
-
Narzisstische PS
Ängstliche PS
Selbstunsichere PS
Abhängige PS
Abhängige PS
Anankastische PS
Zwanghafte PS
Persönlichkeitsstörungen in ICD-10 und DSM-IV (Lieb et al., 2008)
Dimensionale Diagnostik von
Persönlichkeitsstörungen im DSM-5
Dimensionale Diagnostik von
Persönlichkeitsstörungen im DSM-5
• Schweregrad der Persönlichkeitsbeeinträchtigung in 4 Domänen
(Level of Personality Functioning Scale; 5 Schweregrade)
–
–
–
–
Identität
Selbst
Selbststeuerung
Empathie
Interpersonal
Intimität
}
}
• Erfassung von 5 pathologischen Persönlichkeitsdomänen (jeweils
mit 5 Unterdomänen)
–
–
–
–
–
Negative Affektivität
Verschlossenheit
Antagonismus
Hemmungsschwäche
Psychotizismus
BRAINSTORMING ZU
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
IM JUGENDALTER
Inzwischen widerlegte Fehlannahmen im
Zusammenhang mit der Diagnosestellung von
Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter
• Unzureichende Validität der Persönlichkeitsstörung im Jugendalter
• Unzureichende Stabilität von Persönlichkeitsstörungsmerkmalen im
Jugendalter
• Stigma von Jugendlichen durch Diagnose einer „unheilbaren“
Persönlichkeitsstörung
VALIDITÄT
Charakteristika der BorderlinePersönlichkeitsstörung (BPS) im
Jugendalter
SVV/BPS und negative Kindheitserlebnisse
Kaess et al. (2013)
SVV/BPS und negative Kindheitserlebnisse
Kaess et al. (2013)
SVV/BPS und negative Kindheitserlebnisse
Kaess et al. (2013)
Komorbidität der BPS im Jugendalter
Kaess et al. (2013)
Komorbidität der BPS im Jugendalter
Chanen et al. (2007)
Funktionsniveau bei BPS im Jugendalter
Kaess et al. (2013)
Die BPS im Jugendalter demarkiert eine
Gruppe psychisch kranker Jugendlicher mit
meist deutlich belasteter Kindheit, einer
hohen Morbidität und einem besonders
niedrigen psychosozialem Funktionsniveau.
If it looks like a duck…
swims like a duck…
and quacks like a duck…
…we have at least to consider the possibility
that we have a small aquatic bird of the family
anatidae on our hands.
Douglas Adams (1987)
Beendete Selbstverletzung und emotionale
Dysregulation
N=359
Beendete Selbstverletzung und
Psychopathologie
N=359
STABILITÄT
Wie stabil ist das Konstrukt der
Persönlichkeitsstörung?
Stabilität der Persönlichkeit über die
Lebensspanne
Roberts et al., 2006
Stabilität der BPS im Erwachsenenalter
300
250
200
150
100
50
0
0
2 Jahre
4 Jahre
6 Jahre
8 Jahre
10 Jahre
Remissionsraten der Borderline-Störung in den USA (mod.
nach Zanarini et al. 2006)
Stabilität der Borderline-Kriterien im
Erwachsenenalter
Gunderson et al., 2011
Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter
dimensional
Hohe
RangorderStabilität der
BPS!
Kindheit
Adoleszenz
Erwachsenenalter
Kaess et al., in press
Stabilität der BPS im Jugendalter
• Vergleichbar mit Studien des Erwachsenenalters
• BPS im Jugendalter nicht mehr oder weniger stabil
als im Erwachsenenalter
Chanen et al. (2006)
Stabilität des psychosozialen
Funktionsniveaus im Erwachsenenalter
Gunderson et al., 2011
Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter
sind ähnlich stabil wie im
Erwachsenenalter. Während die kategoriale
Stabilität niedrig ist, ist die
Rangorderstabilität hoch! Auch die
Einschränkkung des psychosozialen
Funktionsniveuas bleibt stabil!
UNBEHANDELBARKEIT
Nützt Früherkennung und intervention?
Prognostische Bedeutung der BPS
• Bei Erwachsenen:
– Reduktion diagnostischer Kriterien über die Zeit (Zanarini et al., 2010)
– Funktionseinschränkung bleibt und ist größer als bei den
meisten Achse-I-Diagnosen (Gunderson et al., 2011)
– Hohe Inanspruchnahme an medizinisch/ psychologischen
Leistungen (Horzet et al., 2010)
– Suizidrate von 8-10% (Pompili et al., 2005)
• Bei Jugendlichen:
– Bisher nur Kurzzeitnachverfolgungen
– Borderline-Pathologie als Prädiktor für persistierendes
selbstverletzendes Verhalten und repetitive Suizidversuche (Wilcox
et al., 2012; Yen et al., 2012)
Behandelbarkeit der BPS
• Es gibt effektive psychotherapeutische Interventionen für
Erwachsene mit BPS
• Die Behandlung der BPS wirkt sich auch günstig auf den Verlauf
komorbider Störungen (z.B. Depressionen) aus, umgekehrt gilt
dieser Zusammenhang nicht (Gunderson et al., 2011)
• Insgesamt ist evidenz-basierte Behandlung von BPS weltweit noch
weiterstgehend selten zugänglich
• Vor allem das Outcome hinsichtlich des Funktionsniveaus zeigt sich
trotz Behandlung der BPS oftmals schlecht
Die Spätbehandlung der BPS…
…ist wie der Versuch aus
einem Rührei wieder Eigelb
und Eiweiß zu machen
Chanen (2012)
Bei welcher Erkrankung mit
weitreichenden Folgen und hoher
Neigung zur Chronifizierung würde man
ernsthaft für eine späte Intervention
argumentieren?
Vorteile von Früherkennung und behandlung
– Reduktion der Erkrankungsdauer
– Reduktion iatrogener Schädigung, z.B. durch Hospitalisierung
oder Polypharmakotherapie (Zanarini et al., 2004)
– Reduktion von rezidivierenden, komorbiden Störungen
– Reduktion von kummulativen traumatischen Erlebnissen (Zanarini et
al., 2005)
– Frühzeitige Veränderung von Persönlichkeitsstörungsassozierten soziodemographischen Faktoren
Stigma
Allgemeinbevölkerung
Professionelle
Helfer
Unheilbar, “geht nicht
mehr weg”
Schwierig und
anstrengend
Meine „Persönlichkeit“
ist verkehrt, also „ICH“
bin verkehrt
Macht nur Ärger und ist
kaum zu behandeln
Wie verbreite ich maximalen Schrecken?
Der Name der NICHT genannt werden
darf!!
Paradoxe Double-Bind-Kommunikation in der
KJP
Du hast emotionale
Probleme kombiniert
mit ein wenig
Sozialverhaltensstörung
Mann, hat die ne
schwere BorderlineStörung… und
narzisstisch ist sie
auch noch!
????
Prinzipien und Möglichkeiten
der Frühintervention
Grundprinzipien der Therapie von
Persönlichkeitsstörungen
•
•
•
•
•
Tragfähige Beziehung zwischen Therapeut und Patient
(Langfristig angelegte Therapie)
Klarer Behandlungsfokus
Aktiver und strukturierender Ansatz
Veränderungen durch Psychotherapie (Tress, 2002):
– Verbesserung der Beziehungsfähigkeit durch verbesserte Selbst- und
Fremdwahrnehmung
– Verbesserung der Selbststeuerung
– Aufbau neuer Denk- und Verhaltensmuster, zunächst durch
korrigierende Erfahrungen in der therapeutischen Beziehung, dann im
eigenen Umfeld
Moving toward prevention
Mental Health Intervention Spectrum (adapted from Mrazek & Haggerty, 1994)
Helping Young People Early
• HYPE ist ein ambulantes, hoch spezialisiertes Programm zur
Früherkennung und –behandlung junger Menschen (15-25Jahre)
mit Borderline-Pathologie
• Ziel von HYPE ist es den Lebensverlauf junger Menschen mit
Borderline-Pathologie zu verändern und hierbei vor allem das
psychosoziale Outcome (und weniger diagnostische Kriterien)
günstig zu beeinflussen
• HYPE behandelt jährlich 80-100 junge Menschen mit
Persönlichkeitspathologie
Zentrale Triage
Struktur HYPE
Ärztliche
Leitung
Therapeutische
Leitung
Ärzte
Therapeuten
Notdienst/
Akutstation
Patient
Gruppenprogramm
Klinikschule
Grundlegende Charakteristika von HYPE
• Rigorose Diagnostik von PS, aber auch vorsichtig durch besonders
geschultes, klinisches Personal und mit Hilfe strukturierter
Interviews
• Breite Einschlusskriterien und geringe Ausschlusskriterien für
komorbide Psychopathologie (z.B. Substanzmissbrauch etc.)
• Dimensionaler Ansatz der PS – Einschluss von subsyndromalen
Patienten (z.B. 3-4 BPS-Kriterien)
• Psychiatrisches Case Management und individuelle Psychotherapie
(CAT) mit Behandlerkontinuität
• Zeitlich limitiert
• Ambulant (stationäre Interventionen nur äußerst kurz wenn
unvermeidbar)
• Kriseninterventionsteam und Möglichkeiten der aufsuchenden
Behandlung
Chanen et al., (2008)
„5–10–Jahres Follow-up von stationären
Patienten mit selbstverletzendem Verhalten
BPD
No BPD
p
Age
21,88 (2.21)
21.18 (2.91)
n.s.
Number of children
0.13
0.17
n.s.
Duration of NSSI
6.5
3.5
0.001
Number of NSSI
461.50
225.57
n.s.
Age at first NSSI
13.13
14.50
0.007
Age at last NSSI
19.67
18.00
0.04
BDI sum score
21.09
14.21
0.05
Suicide attempt
12
16
n.s.
Number of suicide attempts
3.67
2.25
n.s.
Received med. treatment
14
9
n.s.
Traumatic event
16
20
n.s.
Number of traumatic events
1.82
1.93
n.s.
DSM-5 NSSI criteria
6 (25%)
4 (14.3%)
n.s.
AtR!Sk – Ambulanz für Risikoverhalten
und Selbstschädigung
• Regelmäßige Selbstverletzung (zum Beispiel
„Ritzen“),
• Selbsttötungsideen und –versuche
• Koma-Trinken (oftmals in Kombination mit
anderem Substanzmissbrauch) oder
Drogenkonsum
• Medien- und Internetabhängigkeit
• Sexuelles Risikoverhalten (z.B. häufiger
ungeschützter Geschlechtsverkehr)
• Schulschwänzen
• Impulsives und delinquentes Verhalten
Überlappung der Hochrisikogruppen von
Selbstverletzung, Suizidalität und
Substanzmissbrauch
Substanzmissbrauch
Suizidalität
77.5%
•
n=93 Jugendliche in mind.
einer Hochrisikogruppe
•
Starke Überlappung der
Hochrisikogruppen
n=88
Selbstverletzung
Nakar et al. (in revision), J Affect Disord
Substanzmissbrauch
Suizidalität
Selbstverletzung
Verlauf selbstschädigender Verhaltensweisen
im Jugendalter (15-17 Jahre)
Nakar et al. (in revision), J Affect Disord
Unterschiedliche „Risikogruppen“ und
Merkmale einer BorderlinePersönlichkeitsstörung
Wesentliche Merkmale der
frühen Borderline-Störung:
High risk
Moderate risk
Low risk
7.33
4.11
•
Emotionale Dysregulation
•
Impulsivität
•
Instabile Beziehungen und
„Selbst“
•
Multiple Selbstschädigung
(Kaess et al., 2014)
1.35
Post hoc Vergleiche mit Tukey HSD Tests: Unterschiede zwischen den Risikogruppen (alle
mit p<.001) in der Anzahl der erfüllten BPS-Kriterien bei Selbstverletzung, Suizidalität und
Substanzmissbrauch
Nakar et al. (in revision), J Affect Disord
Das „Staging“-Modell
• AtR!Sk ist nach dem sogenannten „Staging“-Prinzip
konzipiert
• Dieses Prinzip kommt ursprünglich aus der
Krebsbehandlung: hier werden je nach Schwere und
Fortschreiten der Erkrankung unterschiedlich intensive
und invasive therapeutische Maßnahmen vorgenommen
• Prof Patrick McGorry (Orygen Youth Health, Melbourne)
etablierte dieses Prinzip für die Frühintervention
psychischer Störungen
AtR!Sk – Ambulanz für Risikoverhalten
und Selbstschädigung
Bei niedriger Gefährdung
ohne Psychopathologie:
Keine weiteren Maßnahmen
ODER
Verweis an Erziehungsberatungsstelle / psychotherapeutische Ambulanz
Bei niedriger Gefährdung
ohne Psychopathologie:
Keine weiteren Maßnahmen
ODER
Verweis an Erziehungsberatungsstelle / psychotherapeutische Ambulanz
Bei Kapazitätsüberlastung:
Verweis an Erziehungsberatungsstelle / psychotherapeutische Ambulanz
STUFE 1 (Screening)
Offene Sprechstunde
Gezielte Evaluation von Gefährdung und
Psychopathologie
STUFE 2 (Diagnostik)
2 Termine a 90 Minuten
Interviews für SRV, Psychopathologie & Persönlichkeit
+ Fragebögen
Besprechung der Diagnostik im 2. Termin
Bei SRV ohne Psychopathologie:
Kurzzeittherapie (10 Sitzungen CBT)
STUFE 3 (Therapie)
Flexibel, je nach begleitender Achse-1- und
Persönlichkeitspathologie
Therapeutische
Weiterbetreuung durch AtRiSk
STUFE 4 (Eskalation)
Bei akuter Eigen- und Fremdgefährdung
Gezielte Kriseninterventionen im stationären Setting
Bei SRV mit Persönlichkeitspathologie:
DBT (20 Sitzungen Einzel + Gruppe)
Bei primär psychiatrischer Achse1-Störung:
Behandlung in anderen Settings der
Klinik oder Überweisung an
niedergelassene Kollegen
Therapie
• Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT; M. Linehan)
• Kognitiv-Analytische Therapie (KAT; Ryle & Kerr)
• Mentalisierungs-basierte Therapie (MBT; A. Bateman und P.
Fonagy)
• Schematherapie (J. Young )
• Übertragungs-fokussierte Psychotherapie (TFP; O. Kernberg)
• Strategien: Therapieverträge und Krisenpläne, Hierarchisierung
• Therapeutische Beziehung: Konstant Halten von Strukturen ,
authentisch sein, Machtgefälle vermeiden, adäquates Verhalten
verstärken
• Empfehlung: Supervision für Therapeuten
FAZIT
• Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter geht mit erheblicher
Morbidität und einem besonders niedrigen psychosozialen
Funktionsniveau einher
• Es gibt gute Gründe für Früherkennung und Frühbehandlung der
BPS, da die BPS auch im Langzeitverlauf mit einer schlechten
psychosozialen Prognose und hoher Morbidität und Mortalität
verbunden sind
• Früherkennung der BPS ist zuverlässig und valide möglich
• Erste Wirksamkeitsnachweise für Frühintervention sind erbracht,
weitere müssen folgen
• Es gibt Stigma, jedoch besteht dieses vor allem innerhalb der
Helfersysteme. Dieses Stigma darf nicht Grund für eine
Spätintervention sein!
Dialektisch Behaviorale Therapie für
Adoleszente (DBT-A)
[deutsches Manual (Fleischhaker, Sixt und Schulz 2010)]
• Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie, Hypno- und
Gestalttherapie sowie aus dem Zen-Buddhismus
• basiert auf biopsychosozialem Störungsmodell der BPS
• besteht aus wöchentlich stattfindender Einzeltherapie, regelmäßigen
Familiengesprächen sowie dem Fertigkeitentraining in der Gruppe
• Grundprinzip der Dialektik [vom „Schwarz-Weiß-Denken“ zum
„Sowohl-als-auch“]
Aufgaben der DBT-A Therapie
1.
Commitment herstellen und aufrecht erhalten
–
–
–
–
–
–
2.
3.
4.
Pro und Contra
Advocatus Diaboli
Fuß in der Tür/ Tür im Gesicht
Erinnern an frühere Zustimmung
Betonen der freien Wahlmöglichkeit (Limonade aus Limonen)
Cheerleading
Fertigkeiten vermitteln (Skills)
Ressourcen aktivieren
Generalisieren des Erlernten in den Lebensalltag
Hierarchie der Therapieziele in der DBT-A
1.
2.
3.
4.
Verhindern beziehungsweise Verringern suizidaler und
parasuizidaler Verhaltensmuster.
Reduktion von Verhaltensmustern, die die Teilnahme an einer
effektiven Therapie verhindern oder zu einem Abbruch der
Therapie führen können.
Verringern von Verhalten, das die Lebensqualität ernsthaft
beeinträchtigt (z.B. Substanzmittel-missbrauch, Schule
schwänzen, etc.).
Erlernen und Verbessern von Verhaltensfertigkeiten (Skills).
Dialektik
Akzeptanz
Veränderung
Validierung
Veränderungsstrategien
für die Klientin sorgen
wohlwollendes Fordern
im Moment sein
Zielhierarchie folgen
miteinander
eigene Grenzen
beachten
warme, zugewandte
Kommunikation
provokative, freche
Kommunikation
DBT Grundannahmen für Jugendliche
und ihre Familien (nach Miller et al., 2007)
1. Alle Beteiligten tun ihr Bestes
2. Alle Beteiligten wollen sich positiv verändern
3. Alle Beteiligten müssen sich mehr anstrengen, härter arbeiten und
stärker motiviert sein, um sich zu verändern
4. Die Beteiligten haben ihre Probleme nicht unbedingt alle selbst
verursacht, müssen sie aber selbst lösen
5. Das Leben aller Beteiligter ist so, wie es zur Zeit gelebt wird,
schmerzhaft
6. Alle Beteiligten müssen neue Verhaltensweisen in allen wichtigen
Situationen ihres Lebens erlernen
DBT Grundannahmen für Jugendliche
und ihre Familien (nach Miller et al., 2007)
7. Es gibt keine absolute Wahrheit
8. Es ist wirkungsvoller, Dinge als gut-gemeint zu verstehen als vom
Schlimmsten auszugehen
9. Sowohl die Patienten als auch ihre Familien können in der DBT
nicht versagen
Ablauf des Fertigkeitentrainings
Einführung in die Kognitiv-Analytische
Therapie (KAT)
• KOGNITIV
Nutzt die Kapazitäten von Patienten sich selbst
zu beobachten und über sich zu reflektieren, sowie über
• Ihre Annahmen,
• Ihre Gefühle
• Ihr Verhalten
• ANALYTISCH
• Unbeachtete oder unbewußte Faktoren werden exploriert und
bearbeitet; ihr Einfluss wird wahrgenommen
• Nutzung der Therpeut-Patienten-Beziehung als Modell
KAT ist ein „Beziehungs“-Modell
• Frühe Beziehungen prägen die späteren Beziehungen im
Leben
– Zu sich selbst sowie zu anderen
– Diese Beziehungen beeinflussen unsere Gedanken,
unserer Gefühle und unser Verhalten
• Diese frühen Beziehungsmuster („reziproke Rollen“) sowie
die daraus resultierenden Gedanken, Gefühle und
Verhaltensweisen („Prozeduren“) können erkannt und
bearbeitet werden
McCutcheon & Chanen (2012)
Die „normale“ Entwicklung
• Menschen werden mit der Fähigkeit zur „sozialen Interaktion“
geboren
• Lange vor der Sprache entwickelt sich bereits Kommunikation und
werden Beziehungen geformt
Die meisten Kinder erleben früh “sichere”
und “fürsorgliche” Beziehungen
Die „normale“ Entwicklung
• Die (dyadische) fürsorgliche
Beziehung wird internalisiert
• ‘gekümmert werden’ (Kind)
• ‘sich kümmern’ (Eltern)
• Die Internalisierung erfolgt zuerst
durch ein Ausüben dieser Rollen mit
anderen (üben)
Reziproke Rollen
• Unsere erlernten Beziehungsmuster werden reziproke Rollen
genannt
– Diese werden immer und immer wieder ausgeübt
– Sowohl mit anderen als auch mit uns selbst
– Sie werden irgendwann vertraut und dann automatisiert
• Wir interagieren mit anderen ‚als ob‘ diese in der uns vertrauten
oder erwarteten Weise reagieren
• Wir interagieren auch mit anderen ‚damit‘ andere in der uns
bekannten Weise reagieren
In einer weniger optimalen Welt…
………..sind Kinder wesentlich weniger fördernden frühen
Beziehungen ausgesetzt!!
Die „weniger optimale“ Entwicklung
• Kinder haben ein hohes Risiko limitierte und „problematische“
Beziehungsmuster zu entwickeln
• Diese prägen ihre Beziehungen
– Mit anderen
– Mit sich selbst
• Und fördern negative Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen
Reziproke Rollen
Accepting
Caring
Abusing
Cared for
Abused
Understanding
Neglecting
Accepted
Controlling
Understood
Neglected
Controlled
„Prozeduren“
• Gedanken, Gefühle und Handlungen scheinen ebenfalls in ‚Mustern‘
organisiert (Prozeduren)
– Einige sind hilfreich, andere nicht
– Einige waren früher hilfreich, sind es jetzt nicht mehr
• Diese werden ebenfalls im frühen Leben etabliert
• Sie sind situationsübergreifend
• Sie sind schwer zu revidieren („Neurose“ als mangelnde Revision
maladaptiver Muster
3 Phasen der CAT
• “Reformulation”
– Qualitative Anamnese und Erkennung von Beziehungsmustern
(reziproken Rollen) und Denk-, Fühl- und Verhaltensmustern
(Proceduren)
– Entwickeln eines “gemeinsamen” und “neuen” Verständnisses
des Lebenslaufes
– Reformulierung durch einen Brief an den Patienten sowie ein
Diagramm
• “Recognition”
– Entwicklung und Stärkung der Eigenreflexion
– Weiterentwicklung des Diagrams (inkl. der wesentlichen
reziproken Rollen und daraus resultierenden Proceduren)
• “Revision
– Entwicklung von “neuen” reziproken Rollen und Proceduren
– Benennung von “Exits” aus problematischen Proceduren
– Kontinuierliche Übung der neuen Muster (in vivo)
Beispieldiagramm
Wie erwirkt CAT Veränderung?
•
Der Therapeut hilft…
• Die Vergangenheit mit aktuellen Mustern zu verbinden
• Warum ist es soweit gekommen?
• Kapazität zur Selbstreflexion zu entwickeln
• Hilfreichere Beziehungsmuster (reziproke Rollen) zu etablieren
• Zuerst Therapeut-Patienten-Beziehung
• Fokus auf Beziehungen des Patienten zu anderen
• Beziehung des Patienten mit sich selbst
• Entwicklung von hilfreicheren Denk- und Verhaltensmustern
(Prozeduren)
• Vermeidung wenig hilfreicher Muster
Vielen herzlichen Dank an…
A/Prof. Andrew Chanen
Dr. Louise McCutcheon
Prof. Pat McGorry
Prof. Nick Allen
Prof. Romuald Brunner
Dipl.-Psych. Peter Parzer
Prof. Franz Resch