1.2.3 Die positive Tradition unseres Glaubens 1.2.3.1 Zur biblischen Tradition Gen 11: Gott schafft den Menschen als Mann und Frau, nach seinem Bilde. Er fasst die Idee, schafft die beiden, beurteilt sie mit „sehr gut“ und segnet sie: „Seid fruchtbar und mehret euch.“Der menschlichen Geschlechtsperson kommt die Würde der Gottebenbildlichkeit zu. Nach antikem Denken ist das Ebenbild der „Herold“ des Herrschers. Wenn er auftritt, wird das Protokoll so abgewickelt, als sei der Herrscher selbst da. Das Abbild repräsentiert das Urbild. Wir Menschen können also überall göttliche Verehrung beanspruchen, müssen sie allerdings auch den anderen Menschen zubilligen und gewähren. Gen 22: Adam, der Menschenvater, ist alleine unvollständig. Niemand kann ihm helfen. Gott schafft Eva, die Menschenmutter. Sie ist Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein. Beide gelten als gleichwertig, weil sie aus der selben Wurzel stammen. Ursprünglich waren sie zusammen und gehören zusammen. Sie sind eine standesgemäße Verbindung. „Darum verlässt der Mann Vater und Mutter um sich seiner Frau anzuschließen.“3 1 2 3 Gen 1,26-28 (Fortsetzung nächste Seite) 26 Dann sprach Gott: lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. 27 Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. 28 Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen. Gen 2,18-25 18 Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. 19 Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. 20 Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht. 21 Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. 22 Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. 23 Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann ist sie genommen. 24 Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch. 25 Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander. Das Bild von den „geteilten Doppelmenschen“, die nach der Trennung durch die Gottheit wieder zusammenstreben, ist in der Antike bekannt. PLATON Symposion, in: Planton, Sämtliche Werke Bd. 2. In der Übersetzung von F. Schleiermacher Hrsg.: W. F. Otto, E. Grassi, G. Plamböck, rowohlts klassiker Bd. 14 Hamburg 1957, S. 221-223 in Auszügen zitiert nach A. Schlereth (Hrsg.), Liebe - Ehe - Elternschaft München 1970, Alternativen Heft 4, S. 8 f. Wenn sie alt genug sind, dürfen die jungen Menschen die Liebe und die Bindung zum Geschlechtspartner höher bewerten als die alten Bindungen an die Eltern. Die Eltern sollen sie ziehen lassen. „Der männlich-weibliche Urmensch Zuerst aber müsst ihr die menschliche Natur ... recht kennenlernen. Nämlich unsere ehemalige Natur war nicht dieselbe wie jetzt, sondern eine ganz andere. Denn erstlich gab es drei Geschlechter von Menschen, nicht wie jetzt nur zwei, männliches und weibliches, sondern es gab noch ein drittes dazu, welches das gemeinschaftliche war von diesen beiden, dessen Name auch noch übrig ist, es selbst aber ist verschwunden. Mannweiblich nämlich war damals das eine, Gestalt und Benennung zusammengesetzt aus jenen beiden, dem männlichen und weiblichen, jetzt aber ist es nur noch ein Name, der zum Schimpf gebraucht wird. Ferner war die ganze Gestalt eines jeden Menschen rund, so dass Rücken und Brust im Kreise herumgingen. Und vier Hände hatte jeder und Schenkel ebenso viel wie Hände, und zwei Angesichter auf einem kreisrunden Halse einander genau ähnlich, und einen gemeinschaftlichen Kopf für beide, einander gegenüberstehende Angesichter und vier Ohren, auch zweifache Schamteile, und alles übrige wie es sich hieraus ein jeder weiter ausdenken kann. Er ging aber nicht nur aufrecht wie jetzt, nach welcher Seite er wollte, sondern auch, wenn er schnell wohin strebte, so konnte er, wie die Rad schlagenden jetzt noch, indem sie die Beine gerade im Kreise herumdrehen, das Rad schlagen, ebenso auf seine acht Gliedmaßen gestützt sich sehr schnell im Kreise fortbewegen. ... An Kraft und Stärke nun waren sie gewaltig und hatten auch große Gedanken, ... dass sie sich einen Zugang zum Himmel bahnen wollten, um die Götter anzugreifen. Zeus also und die anderen Götter ratschlagten, was sie ihnen tun sollten, und wussten nicht, was. Denn es war weder tunlich, sie zu töten und, wie die Giganten sie niederdonnernd, das ganze Geschlecht wegzuschaffen, denn so wären ihnen auch die Ehrenbezeugungen und die Opfer der Menschen mit weggeschafft worden, noch konnten sie sie weiter freveln lassen. Mit Mühe endlich hatte sich Zeus etwas ersonnen und sagte: Ich glaube nun ein Mittel zu haben, wie es noch weiter Menschen geben kann und sie doch aufhören müssen mit ihrer Ausgelassenheit, wenn sie nämlich schwächer geworden sind. Denn jetzt, sprach er, will ich sie jeden in zwei Hälften zerschneiden, so werden sie schwächer sein und doch zugleich uns nützlicher, weil ihrer mehr geworden sind, und aufrecht sollen sie gehen auf zwei Beinen. Sollte ich aber merken, dass sie noch weiter freveln und nicht Ruhe halten wollen, so will ich sie, sprach er, noch einmal zerschneiden, und sie mögen dann auf einem Beine fortkommen wie Kreisel. Dies gesagt, zerschnitt er die Menschen in zwei Hälften, wie wenn man Früchte zerschneidet, um sie einzumachen, oder wenn sie Eier mit Haaren zerschneiden. Sobald er aber einen zerschnitten hatte, befahl er dem Apollon, ihm das Gesicht und den halben Hals herumzudrehen nach dem Schnitte hin, damit der Mensch, seine Zerschnittenheit vor Augen habend, sittsamer würde, und das übrige befahl er ihm auch zu heilen. Dieser also drehte ihm das Gesicht herum, zog ihm die Haut von allen Seiten über das, was wir jetzt den Bauch nennen, herüber, und wie wenn man einen Beutel zusammenzieht, faßte er es in eine Mündung zusammen und band sie mitten auf dem Bauche ab, was wir jetzt den Nabel nennen. Die übrigen Runzeln glättete er meistenteils aus und fügte die Brust einpassend zusammen, mit einem solchen Werkzeuge, wie womit die Schuster über dem Leisten die Falten aus dem Leder ausglätten, und nur wenige ließ er stehen um den Bauch und Nabel, zum Denkzeichen des alten Unfalls. Nachdem nun die Gestalt entzweigeschnitten war, sehnte sich jedes nach seiner andern Hälfte, und so kamen sie zusammen, umfassten sich mit den Armen und schlangen sich ineinander, und über dem Begehren zusammenzuwachsen, starben sie aus Hunger und sonstiger Fahrlässigkeit, weil sie nichts getrennt voneinander tun wollten. War nun die eine Hälfte tot und die andere blieb übrig, so suchte sich die übriggebliebene eine andere und umschlang sie, mochte sie nun auf die Hälfte einer ehemaligen ganzen Frau treffen, was wir jetzt eine Frau nennen, oder auf die eines Mannes, und so kamen sie um ... Jeder von uns ist also ein Stück von einem Menschen, da wir ja zerschnitten, wie die Schollen, aus einem zwei geworden sind. Also sucht nun immer jedes sein anderes Stück.“ Merken Sie, auch in der Antike und zu biblischer Zeit gab es Kummer mit den jungen Leuten: Es ist Gottes Wille, dass die jungen Leute die Eltern verlassen. Gegebenenfalls müssen sie sogar das Erbe ausschlagen, um zueinander zu finden. Die Autoren der biblischen Dichtungen um die Schöpfung wissen aus Lebenserfahrung, wovon sie sprechen. Nicht ein Schatten von Sündenverdacht fällt auf die Beziehung zwischen Mann und Frau. Sicher wird auch im Alten Testament vom Willen Gottes im Zusammenhang mit der Geschlechtlichkeit des Menschen gesprochen. Es gibt schwere Verfehlungen gegen den Willen Gottes. Doch die auch heute noch bei uns weit verbreitete Sündenangst findet hier keine biblische Begründung. Im Gegenteil, es gibt sogar echte erotische Lyrik, wie sie im Orient üblich war. Sie ist in die Heilige Schrift aufgenommen worden und gilt uns heute als „Wort Gottes“. Das Hohe Lied4 (Erotische Lyrik aus dem Orient, aus der Zeit des Alten Testamentes:) Chor Dreh dich um, dreh dich um, Sulamitin, dreh dich um, dass wir dich beschauen! Solist Was wollt ihr an der Sulamitin beschauen? Etwas wie den Reigentanz in Doppelreihen? -Wie schön ist dein Gang in den Riemenschuhn, du Fürstentochter! - Deiner Hüften Rundung sind wie Geschmeide, gefertigt von Künstlerhand. Dein Nabelwulst ist eine runde Schale, nicht mangle der Würzwein! Dein Unterleib ist ein Weizenhaufen, umhegt von Lilien. Deine zwei Brüste sind wie Kitzlein, Zwillinge einer Gazelle. Dein Hals ist wie der Libanonturm, der nach Damaskus späht. Dein Haupt ist hocherhoben wie der Karmel, und die Flechten deines Haares sind wie Purpur, ein König liegt in deinen Locken gefangen. Bräutigam Wie schön bist du und wie voll Liebreiz, o Liebe, o Wonne! Dein Wuchs, dieser hohe, gleicht einer Palme, und deine Brüste gleichen Trauben. - Ich dachte: Besteigen will ich die Palme, will greifen nach ihren Rispen! - Deine Brüste sollen wie Trauben des Weinstocks sein und dein Atem wie Apfelduft und dein Mund wie bester Wein, der mir beim Kosen entgegenperlt, benetzend mir Lippen und Zähne. Braut Ich gehöre meinem Geliebten, und nach mir steht sein Verlangen. Mach dich auf, mein Geliebter, ziehn wir hinaus aufs Feld und nächtigen in den Dörfern! Früh zu den Weinbergen lass uns ausgehn und sehen, ob die Reben schon treiben, ob die Blütenknospen aufbrechen, die Granatäpfel blühn. Dort will ich schenken mein Kosen Dir. Die Liebesäpfel spenden Duft, und an unserer Tür sind köstliche Früchte, neue, auch alte, mein Geliebter. Ich habe sie aufbewahrt für Dich! Dieses Lied könnte man im Trauungsgottesdienst vorlesen und anschließend ausrufen: „Wort des lebendigen Gottes!“ Alle würden sicher antworten: „Dank sei Gott, dem Herrn!“ Die grundlegenden biblisch begründeten Wertungen der Sexualität müssen positiv ausfallen.5 4 Zitiert nach Werner Trutwin (Hrsg.), Forum 6, Düsseldorf 1971, 21972, S. 16 f. 5 K. Breuning, Historische Perspektiven (Verantwortete Sexualität) 1.2.3.2 Mittelalterliche Wertungen Das Mittelalter war weit ab von Prüderie. In dieser Zeit wurde von manchen Damen bei den Ritterturnieren fast „oben ohne“ getragen. Schauen Sie sich Miniaturen aus dieser Zeit an. Auch gab es im Minnesang erotische Lyrik. Die Kultur der Sexualität, Erotik, war nicht nur eine Spezialität des Orients, sondern offensichtlich auch Mitteleuropas. Es gibt sogar Bildmaterial dazu. Da man dem Leiblichen durchaus wohlwollend gegenüberstand, verwundern auch nicht die Badesitten des Mittelalters, die zu regelrechten Festen wurden. In öffentlichen Badehäusern badeten Männer und Frauen gemeinsam in den „Zubern“. Die Bademode der damaligen Zeit war äußerst preiswert. Es war die Haut als angeborenes Badekleid. Bei einem Mitbruder fand ich einen Holzschnitt aus dem 12. Jahrhundert. Ein „splitternacktes Weiblein, über dem Arm ein Handtuch, vor einer Häuserzeile. Die Unterschrift lautete: „Frau auf dem Weg zum Bade in Köln“. Ich fragte, ob das Pornografie der damaligen Zeit sei. Mein Mitbruder hatte sich auch erkundigt und erklärte mir: „Das ist eine Illustration, solches Verhalten war damals so üblich.“ Bilddokumente6 Die folgenden Bilder sollen in ihrer Sprache ein kurzes Schlaglicht werfen auf die Badesitten des Mittelalters und den furchtlosen Umgang mit Leiblichkeit und Sexualität . Bademädchen mit Trägerkleidchen, kleinem Wasserzuber in der Linken und Laubwedel in der Rechten. Miniatur aus der sog. Wenzelsbibel, um 1390/1400. Abbildung Nr. 8 6 „Vom Schwaißbaden vnd Wasserbaden“. Aus dem Buchkalender des Johannes Bämler, Augsburg 1483 Abbildung Nr. 9 Die Sicht der biblischen Schöpfungsgeschichten in: Theologisches Forum 6, Patmos 1971, 21972, S. 11 f. O. Borst, Alltagsleben im Mittelalter Frankfurt/M. 1983, S. 290 und 293 Badehausleben: Durch ein breitoffenes Fenster sieht man eine Dame bei der Unterhaltung mit zwei Jünglingen. Auf der Fensterbrüstung einen jungen Mann, der die Laute schlägt, auf dem Tisch davor Speise und Trank, daneben ein müde gewordener Jüngling. Durch die rechte Seitentür tritt jemand ein, nur mit einem Tuch umhüllt. Hausbuchmeister, um 1480 Abbildung Nr. 10 Im „Brautsprung“ wurde die Ehe vor Zeugen vollzogen. Damit bekam die Sexualität – für uns heute kaum zu verstehen – sogar einen Platz in der kirchlichen Öffentlichkeit. Der „Brautsprung“ oder die „Beschreitung des Bettes“; das „eheliche Beilager“ galt als eigentlicher Vollzug der Ehe. Aus erbrechtlichen Gründen geschah dies oft vor Zeugen. Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert Abbildung Nr. 11 Bis auf den heutigen Tag gilt nur die geschlechtlich vollzogene Ehe unter Getauften als prinzipiell unauflöslich. Eine nicht vollzogene Ehe (matrimonium ratum, non consumatum) kann sogar vom Papst geschieden werden (Privilegium Petrinum)7. 7 Can. 1697 CIC Das Recht, gnadenweise die Auflösung einer gültigen, aber nicht vollzogenen Ehe zu erbitten, haben nur die Gatten oder ein Gatte, selbst gegen den Willen des anderen. Can. 1698 CIC § 1 Über die Tatsache des Nichtvollzugs einer Ehe und das Vorliegen eines gerechten Grundes für die Gewährung der Dispens entscheidet einzig der Apostolische Stuhl. § 2 Die Dispens jedoch wird ausschließlich vom Papst gewährt. Ein Hochzeitsfest Abbildung Nr. 12 Zum Hochzeitsfest gehörte oft ein gemeinsames Bad aller Gäste. Bei Essen, Trinken, Musik und Unterhaltungen gab man sich einem munteren Liebesleben hin. In dieser Miniatur handelt es sich um eine höfische Badestube. Aus dem „Valerius Maximus“ für Anton von Burgund, um 1470
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