Agnieszka Dzierzbicka Arendt, Hannah (1996 [1951]): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. - München. Hannah Arendts klare und exakte Analyse jener Vorgänge, die in der industriellen Vernichtung von Menschen und der Shoah münden sollten, ihr Ringen um einen gemeinschaftsbildenden Machtbegriff, der Verantwortung kennt, und ihr Mut über Dinge zu schreiben, die nicht beschreibbar sind, haben mich tief beeindruckt und zur weiteren Auseinandersetzung mit Macht, Institutionen und Politik angeregt. Für mich trotz oder gerade wegen Michel Foucault nach wie vor ein wichtiges Buch. Mit der Analyse der jüdischen Geschichte in Mittel- und Westeuropa von der Zeit der Hofjuden bis zur Dreyfus-Affäre und des Antisemitismus unternimmt Arendt den umstrittenen Versuch, eine Geschichte und Theorie des Totalitarismus zu schreiben. Umstritten ist dieser 979 Seiten umfassender Versuch u.a., da Arendt unter dem Eindruck der politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts und ihren grauenhaften Folgen - sie schrieb an dem Buch von 1946-1949 – zum Teil mit unfassbarer Nüchternheit und Objektivität die Geschehnisse des 19. und 20. Jahrhunderts analysiert: "Es war für mich keine Frage, daß man sich hier nicht mit Klagen und Anklagen bescheiden durfte, sondern vor allem begreifen musste. Dieses Buch stellt den Versuch dar zu verstehen, was auf den ersten und selbst den zweiten Blick nur ungeheuerlich erschien. Begreifen bedeutet freilich nicht, das Ungeheuerliche zu leugnen, das Beispiellose mit Beispielen zu vergleichen oder Erscheinungen mit Hilfe von Analogien und Verallgemeinerungen zu erklären, die das Erschütternde der Wirklichkeit und das Schockhafte der Erfahrung nicht mehr spüren zu lassen. Es bedeutet vielmehr, die Last, die uns durch die Ereignisse auferlegt wurde, zu untersuchen und bewußt zu tragen und dabei weder ihre Existenz zu leugnen noch demütig sich ihrem Gewicht zu beugen, als habe alles, was einmal geschehen ist, nur so und nicht anders geschehen können. Kurz: Begreifen bedeutet, sich aufmerksam und unvoreingenommen der Wirklichkeit, was immer sie ist oder war, zu stellen und entgegenzustellen" (Arendt 1996, 25) „In gewissem Sinne bedeutet die Verwandlung der Flüchtlinge in Staatenlose, die in dem Augenblick automatisch vonstatten ging, als nicht mehr einzelne, verfolgte Individuen über die Grenze kamen, sondern ganze Volkssplitter, den Zusammenbruch des Asylrechts. Flüchtlinge kennt die europäische Welt seit der Antike, und das Asylrecht galt als heilig seit den frühesten Anfängen politischer Organisation. Es besagte, daß dem Flüchtling, der dem Machtbereich eines Staates entkommen war, sich automatisch der Schutz eines anderen staatlichen Gemeinwesens öffnete, wo- durch verhindert wurde, daß irgendein Mensch ganz rechtlos wurde oder ganz und gar außerhalb aller Gesetze zu stehen kam. Daß dieses Asylrecht innerhalb einer nationalstaatlich organisierten Welt kein Recht mehr war, sondern nur auf Duldung beruhte, die ihrerseits auf Sitten und Traditionen, aber keineswegs auf die Proklamation der Menschenrechte zurückging, hätte man vielleicht schon daran erkennen können, daß es geschriebenes Gesetz in keiner modernen Konstitution (nicht einmal in der Sowjetunion, die wahrlich großzügig sein konnte, da ihr gar keine praktische Bedeutung zukam) zu finden ist und von dem Covenant des Völkerbundes wie von dem der Vereinten Nationen (die schließlich so viele alte und neue Rechte theoretisch zu bestätigen versuchten) noch nicht mal erwähnt wird.“ (Arendt 1996, 584) gelesen 1997
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