Anonymisierter Entscheid des Regierungsrats

Der Regierungsrat
des Kantons Bern
Le Conseil-exécutif
du canton de Berne
Entscheid des Regierungsrates
RRB Nr.:
Datum RR-Sitzung:
Direktion:
Geschäftsnummer:
Klassifizierung:
827/2015
29. Juni 2015
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion
190/15/2
Vertraulich
In der Beschwerdesache zwischen
Herrn Y.________
Beschwerdeführer 1
Frau Z.________
Beschwerdeführerin 2
beide vertreten durch Herrn Rechtsanwalt X.________
und
A.________
Beschwerdegegnerin 1
vertreten durch Herrn Rechtsanwalt B.________ und Frau Rechtsanwältin C.________
Burgergemeinde Lengnau, Burgerverwaltung, Postfach 250, 2543 Lengnau BE
Beschwerdegegnerin 2
vertreten durch Herrn Rechtsanwalt D.________
sowie
Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern (JGK), Münstergasse 2,
3011 Bern
Einwohnergemeinde Lengnau, Dorfplatz 1, 2543 Lengnau BE
betreffend die Verfügung der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern
(JGK) vom 30. April 2015 (Kantonale Überbauungsordnung „CSL Lengnau“)
Letzte Bearbeitung: 29.06.2015 / Version: 1
Vertraulich
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Der Regierungsrat des Kantons Bern
I.
Sachverhalt
1.
Die Beschwerdegegnerin 1 beabsichtigt, auf den Parzellen Lengnau (BE) Grundbuch-
blatt Nrn. 1111 und 2222 eine Produktionsanlage zur Herstellung von Blutgerinnungsfaktoren
zu realisieren. Die Parzellen befinden sich im Eigentum der Beschwerdegegnerin 2 und liegen
nach kantonalem Richtplan1 in einem wirtschaftlichen Entwicklungsschwerpunkt des Kantons
Bern (im Folgenden: ESP Lengnaumoos).2 Es handelt sich um einen der Entwicklungsschwerpunkte Arbeiten (ESP A), welche für die industrielle/gewerbliche Produktion in der Nähe eines bestehenden Autobahnanschlusses bestimmt sind, wobei auch eine vorwiegend auf
den motorisierten Individualverkehr ausgerichtete Nutzung möglich ist.3 Die Parzellen liegen
im Gewässerschutzbereich B und sind gemäss synoptischer Gefahrenkarte aufgrund der
Überschwemmungsgefahr durch die angrenzenden Bäche Leugene und Moosbach teilweise
dem gelben Gefahrengebiet (geringe Gefährdung) und teilweise dem blauen Gefahrengebiet
(mittlere Gefährdung) zugeordnet, wobei die Parzelle Nr. 1111 fast gänzlich im blauen Gefährdungsgebiet liegt.
Im Rahmen einer Ortsplanungsrevision, welche am 26. Mai 2011 durch die Gemeindeversammlung beschlossen und mit Verfügung des Amtes für Gemeinden und Raumordnung
(AGR) vom 11. Mai 2012 genehmigt wurde, erliess die Gemeinde Lengnau für das Gebiet des
ESP Lengnaumoos eine Zone mit Planungspflicht 5 „Lengnaumoos“ (im Folgenden: ZPP 5
Lengnaumoos). Gemäss Art. 313 Abs. 1 des Baureglements der Einwohnergemeinde Lengnau (GBR)4 hat die ZPP 5 Lengnaumoos den Zweck, durch eine rationelle Erschliessung und
Anbindung an die A5 ein breites Nutzungsspektrum zu ermöglichen. Zugelassen sind industrielle und gewerbliche Nutzungen mit geringem bis mässigem Kundenverkehr sowie Verkauf
nur östlich des Moosbachs (Art. 313 Abs. 2 GBR). Die maximale Überbauungsziffer wurde auf
60%, die maximale Gebäudehöhe auf 16 m festgelegt (Art. 313 Abs. 3 GBR).
2.
Um die Errichtung der Produktionsanlage der Beschwerdegegnerin 1 in Lengnau zu
ermöglichen, entschieden sich die zuständigen Stellen des Kantons Bern, die erforderlichen
Plananpassungen gemäss Art. 102 Abs. 1 Bst. f BauG5 im Verfahren der kantonalen Über-
1
Richtplan Kanton Bern, Stand 3. Juli 2013 (RRB 0956/2013).
Richtplan Kanton Bern, Massnahme C_04, Standort 9.
3
Richtplan Kanton Bern, Massnahme C_04.
4
Baureglement der Gemeinde Lengnau vom 26. Mai 2011, genehmigt durch das AGR am 11. Mai 2012.
5
Baugesetz vom 9. Juni 1985 (BauG; BSG 721.0).
2
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bauungsordnung vorzunehmen. Mit diesem Vorgehen erklärte sich die Gemeinde einverstanden.6 Mit Entscheid vom 24. Juni 20147 erklärte der Regierungsrat des Kantons Bern den Erlass der kantonalen Überbauungsordnung nach Art. 102 BauG mit Baubewilligung nach
Art. 88 Abs. 6 BauG als prioritäres Verfahren nach Art. 2a KoG8. In der Folge wurde die kantonale Überbauungsordnung „CSL Lengnau“ (im Folgenden KÜO CSL Lengnau) erarbeitet,
bestehend aus einem Überbauungsplan, Überbauungsvorschriften, einem Erläuterungs- sowie einem Mitwirkungsbericht.
Daneben reichte die Beschwerdegegnerin 1 am 3. November 2014 ein Baugesuch ein für den
„Neubau einer Produktionsanlage zur Herstellung von rekombinantem Faktor VII, Faktor VIIa
und Faktor IX inklusive der dazugehörenden Administrationsgebäude mit Personalrestaurant
und Qualitätssicherungslabor sowie die dazugehörenden Lager- und Logistikgebäude“. Die
Beschwerdegegnerin 2 reichte zudem am 4. November 2014 ein Baugesuch ein „für die Erstellung der Detailerschliessung für die kantonale Überbauung CSL Lengnau sowie den Neubau Strassenanschluss Industriestrasse und Gewerbestrasse, dem Neubau Fuss- und Radwegnetz der Detailerschliessung gemäss Überbauungsplan“. Schliesslich wurde von der SWG
(ehemals Städtische Werke Grenchen) ein Baugesuchsdossier „Umlegung Gashochdruckleitung“ vom 19. September 2014 eingereicht.
3.
Die KÜO CSL Lengnau und die Baugesuchsunterlagen wurden im kantonalen Amts-
blatt vom 7. Januar 2015 und den Anzeigern Büren und Umgebung vom 8. Januar 2015 und
vom 15. Januar 2015 publiziert. Gegen das Vorhaben erhoben unter anderen der Beschwerdeführer 1 und die Beschwerdeführerin 2 Einsprache. Die Einspracheverhandlungen und ein
eingeholter Bericht der Kommission zur Pflege der Orts- und Landschaftsbilder (OLK) führten
zu Anpassungen an der KÜO CSL Lengnau. Diese Änderungen sowie der Bericht der OLK
wurden den am Verfahren Beteiligten mit der Gelegenheit zur Einreichung einer Stellungnahme zugestellt. Die Beschwerdeführerin 2 reichte am 20. April 2015 eine Stellungnahme ein.
Der Beschwerdeführer 1 stellte am 24. April 2015 eine persönliche Stellungnahme per Mail
zu, am 27. April 2015 ging die Stellungnahme seines Rechtsvertreters vom 24. April 2015 ein.
Mit Gesamtentscheid vom 30. April 2015 beschloss die JGK die KÜO CSL Lengnau und erteilte gleichzeitig die Baubewilligungen für die genannten Baugesuche.
6
Schreiben Gemeinde vom 12. Juni 2014, Vorakten pag. 000011.
RRB Nr. 847/2014.
8
Koordinationsgesetz vom 21. März 1994 (KoG; BSG 724.1).
7
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4.
Dagegen reichten sowohl der Beschwerdeführer 1 als auch die Beschwerdeführerin 2
am 1. Juni 2015 eine Beschwerde bei der Staatskanzlei des Kantons Bern ein. Diese leitete
die Beschwerden an die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE) weiter. Beide Beschwerdeführenden stellen folgendes Rechtsbegehren: „Die Verfügung bzw. der
Beschluss der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern vom 30. April 2015
betreffend die kantonale Überbauungsordnung CSL Lengnau (G-Nr. 150 15 30) sei unter Erteilung des Bauabschlags betreffend den darin integrierten Baugesuchen aufzuheben und die
Angelegenheit sei zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.“ Dabei machen sie u.a. eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, eine
unrichtige/unvollständige Feststellung des Sachverhalts bzw. eine unrichtige Rechtsanwendung hinsichtlich der Hochwassergefahr, des Baugrundes sowie des Orts- und Landschaftsbildschutzes geltend.
5.
Bei Entscheiden des Regierungsrats zu kantonalen Überbauungsordnungen obliegt
die Beschwerdeinstruktion der BVE (Art. 70 Abs. 1 Bst. b VRPG9). Das Rechtsamt, welches
die Beschwerdeverfahren für die BVE und den Regierungsrat leitet10, führte den Schriftenwechsel durch und holte die Vorakten ein. Mit Beschwerdeantwort vom 11. Juni 2015 beantragt die Beschwerdegegnerin 1, die Beschwerden seien abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne und die Verfügung der JGK vom 30. April 2015 sei zu bestätigen. Die Gemeinde stellt mit Stellungnahme vom 15. Juni 2015 den Antrag, die Beschwerde des Beschwerdeführers 1 sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann, und auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin 2 sei nicht einzutreten. Die Beschwerdegegnerin 2 reichte
ihre Beschwerdeantwort ebenfalls am 15. Juni 2015 ein. Sie stellt folgende Anträge: Auf die
Beschwerden sei nicht einzutreten, eventuell seien diese abzuweisen. Die Verfügung der JGK
vom 30. April 2015 sei zu bestätigen. Die JGK schliesslich beantragt mit Stellungnahme vom
17. Juni 2015, die Beschwerde des Beschwerdeführers 1 sei abzuweisen und auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin 2 sei nicht einzutreten. Die Beschwerdeführenden reichten
schliesslich unaufgefordert eine Replik vom 26. Juni 2015 ein, worin sie die in den Beschwerden vom 1. Juni 2015 gestellten Rechtsbegehren vollumfänglich bestätigen.
9
Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG; BSG 155.21).
Art. 7 der Verordnung vom 18. Oktober 1995 über die Organisation und die Aufgaben der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion
(OrV BVE; BSG 152.221.191).
10
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6.
Auf die Rechtsschriften wird, soweit für den Entscheid wesentlich, in den nachfolgen-
den Erwägungen eingegangen.
II.
Erwägungen
1.
Sachurteilsvoraussetzungen
a)
Angefochten ist ein Gesamtentscheid nach Art. 9 KoG, mit welchem eine kantonale
Überbauungsordnung nach Art. 102 BauG und Art. 121 BauV11 beschlossen und gleichzeitig
die Baubewilligung für diverse Gegenstände erteilt wurde (gestützt auf Art. 88 Abs. 6 BauG
und Art. 122b BauV). Zudem erteilte die Vorinstanz weitere Bewilligungen (Gewässerschutzbewilligungen, Ausnahmebewilligungen, Plangenehmigung). Laut Art. 11 Abs. 1 KoG kann
dieser Gesamtentscheid – unabhängig von den geltend gemachten Einwänden – nur mit dem
Rechtsmittel angefochten werden, das für das Leitverfahren massgeblich ist. Das Leitverfahren ist im vorliegenden Fall das Planerlassverfahren (Art. 5 Abs. 3 Bst. b KoG). Gegen die
Verfügung der JGK kann nach Art. 102 Abs. 3 BauG beim Regierungsrat Beschwerde geführt
werden. Der Regierungsrat ist somit zur Beurteilung der Beschwerde gegen den Gesamtentscheid zuständig.
b)
Beschwerdebefugt sind die Einsprecher im Rahmen ihrer Einspracherügen sowie die
betroffenen Gemeinden und Planungsregionen bzw. Regionalkonferenzen (Art. 102 Abs. 4
BauG). Der Beschwerdeführer 1 hat sich als Einsprecher am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und ist durch den vorinstanzlichen Gesamtentscheid beschwert und daher zur Beschwerdeführung legitimiert. Die Beschwerdeführerin 2 hat im vorinstanzlichen Verfahren ebenfalls
eine Einsprache eingereicht, die Vorinstanz ist allerdings darauf nicht eingetreten. Die Beschwerdeführerin 2 ist als Adressatin der Nichteintretensverfügung formell beschwert und zur
Anfechtung dieser Verfügung befugt, unbesehen darum, ob sie in der Sache selber, das
heisst im Streit um den Anspruch auf Verfahrensbeteiligung, Erfolg haben wird.12 Auf die formund fristgerecht eingereichten Beschwerden ist grundsätzlich einzutreten.
11
12
Bauverordnung vom 6. März 1985 (BauV; BSG 721.1) .
Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum bernischen VRPG, 1997, Art. 65 N. 6.
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2.
Einsprachelegitimation
a)
Die Vorinstanz hat die Einsprachelegitimation der Beschwerdeführerin 2 verneint mit
der Begründung, sie sei Eigentümerin und Bewohnerin von Grundstücken, die in einer Distanz
von über 900 m zum Perimeter der KÜO CSL Lengnau liegen würden. Mit der KÜO CSL
Lengnau werde zudem gegenüber den geltenden zonenrechtlichen Bestimmungen kein
Mehrverkehr verursacht. Der grösste Teil des aufgrund des Bauvorhabens ausgelöste motorisierte Individualverkehrs sowie der Anlieferungsverkehr werde direkt gegen Süden und damit
von Lengnau und den Grundstücken der Beschwerdeführerin 2 weg geführt. Der Mehrverkehr
werde an keiner der Zufahrtsstrassen zu einer wahrnehmbaren Lärmzunahme führen. Das
Vorhaben führe auch zu keinen weiteren wahrnehmbaren Einwirkungen und damit zu einer
Betroffenheit von Personen, die mehr als 100 m vom Perimeter entfernt wohnen oder dort
über Grundeigentum verfügen würden. Die Beschwerdeführerin sei nicht mehr berührt als die
Allgemeinheit. Auch aus ihrer Stellung als in der Gemeinde Lengnau Stimmberechtigte könne
keine Einsprachelegitimation hergeleitet werden.
Die Einsprachelegitimation des Beschwerdeführers 1 bezeichnete die Vorinstanz als äusserst
zweifelhaft, trat aber dennoch auf die Einsprache ein.
Die Beschwerdeführerin 2 macht geltend, es liege auf der Hand, dass eine Überbauung in der
vorliegenden Dimension zu weitaus grösseren und weitreichenderen Auswirkungen führe als
etwa der Bau eines Privatwohnhauses. Sie sei insofern betroffen, als das letzte der Gemeinde
Lengnau verbleibende Naherholungsgebiet, welches von ihr oft und gerne für Spaziergänge
genutzt werde, durch massive und unschöne Bauten verunstaltet und seiner Funktion als
„grüne Lunge“ entzogen werde. Die bis 40 m hohen Bauten würden das Orts- und Landschaftsbild der Gemeinde massiv stören und damit auch sie in besonderem Masse betreffen.
Zudem werde durch den geplanten Betrieb von biotechnischen Anlagen ein besonderer Gefahrenherd geschaffen. Das Bundesgericht habe im BGE 120 Ib 379 die Beschwerdelegitimation von Anwohnern einer vergleichbaren biotechnischen Anlage bejaht, weil die Anwohner
dadurch einem erhöhten Risiko ausgesetzt würden, auch wenn von der Anlage bei Normalbetrieb kaum Emissionen ausgingen.
Der Beschwerdeführer 1 führt aus, die Vorinstanz habe seine Einsprachelegitimation aufgrund
der weitreichenden Auswirkungen des Vorhabens und des direkten Sichtkontakts zu Recht
bejaht.
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b)
Die Einsprachelegitimation gegen eine kantonale Überbauungsordnung richtet sich
nach den üblichen für das Planerlassverfahren anwendbaren Voraussetzungen.13 Dabei sind
gemäss Art. 60 Abs. 2 BauG die Bestimmungen des Baubewilligungsverfahrens (Art. 35
Abs. 2 und 3 sowie Art. 35a bis 35d BauG) sinngemäss anwendbar.
Zur Einsprache befugt sind Personen, die durch das Bauvorhaben bzw. die Planung unmittelbar in eigenen schutzwürdigen Interessen betroffen sind (Art. 35 Abs. 2 Bst. a BauG). Nach
Lehre und Rechtsprechung ist dies der Fall, wenn eine Person durch ein Bauvorhaben in höherem Mass als die Allgemeinheit betroffen ist und zum Streitgegenstand eine besondere
Beziehungsnähe hat. Die Betroffenheit kann rechtlicher oder auch nur tatsächlicher Natur
sein. Sie muss aber hinreichend sein, das heisst eine bestimmte Intensität erreichen, so dass
von der Abwendung eines materiellen oder ideellen Nachteils gesprochen werden kann. Der
Nachteil muss dabei bei einer objektivierten Betrachtungsweise als solcher empfunden werden; eine besondere subjektive Empfindlichkeit der betroffenen Person verdient keinen
Rechtsschutz. Diese Anforderungen grenzen die Beschwerden betroffener Drittpersonen von
der unzulässigen Popularbeschwerde ab.14
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts muss die besondere Beziehungsnähe zum
Streitgegenstand bei Bauprojekten insbesondere in räumlicher Hinsicht gegeben sein. In einer
besonders nahen Beziehung zur Streitsache stehen naturgemäss die Nachbarn des Baugrundstücks. Unter Nachbarn versteht die Verwaltungs- und Gerichtspraxis vorab die Eigentümer von Nachbargrundstücken sowie Personen, die an solchen Grundstücken dinglich berechtigt sind. Der Kreis der betroffenen Nachbarschaft kann nicht allgemein festgelegt werden,
sondern muss im Einzelfall nach den konkreten Verhältnissen bestimmt werden. Die Einsprache- und Beschwerdebefugnis der Nachbarn ist in der Regel zu bejahen, wenn deren Liegenschaft unmittelbar an das Baugrundstück angrenzt oder allenfalls nur durch einen Verkehrsträger davon getrennt wird. Es wird also zwar darauf verzichtet, auf bestimmte feste Werte
abzustellen. Nach der bundesgerichtlichen Praxis sind aber Nachbarn bis im Abstand von
etwa 100 Metern in der Regel zu Beschwerden gegen Bauvorhaben legitimiert.15 Allerdings
ergibt sich die Legitimation nicht schon allein aus der räumlichen Nähe, sondern erst aus einer daraus herrührenden besonderen Betroffenheit. Bei grösseren Entfernungen muss eine
13
Aldo Zaugg/Peter Ludwig, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern, 3. Aufl., Band II, Bern 2010, Art. 102 N. 6.
Aldo Zaugg/Peter Ludwig, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern, 4. Aufl., Band I, Bern 2013, Art. 35-35c N. 16.
15
Zaugg/ Ludwig, Band I, a.a.O., Art. 35-35c N. 17 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; BGE 121 II 171 E. 2b und c, BGE 121
II 171 E. 2b und c, BGer 1C_346/2011 vom 1. Februar 2012 E. 2.3, 1A.54/2005 vom 15. August 2005 E. 2.7.1 mit weiteren Hinweisen.
14
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Beeinträchtigung aufgrund der konkreten Gegebenheiten glaubhaft gemacht werden.16 Ein
schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Nachbarn durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann.17 Eine weitere Umschreibung des Kreises der einsprache- und beschwerdeberechtigten Nachbarschaft kann sich etwa
dort rechtfertigen, wo von einer Baute besonders starke Emissionen ausgehen.18
c)
Die Beschwerdeführerin 2 ist Eigentümerin einer Liegenschaft an der S-Strasse. Die
Liegenschaft, in welcher die Beschwerdeführerin 2 eingemietet ist, befindet sich unmittelbar
davor an der T-Strasse. Diese Liegenschaften liegen 960 m von der nächstgelegenen Perimetergrenze der KÜO CSL Lengnau entfernt (nordöstlicher Eckpunkt der Parzelle Lengnau
Grundbuchblatt Nr. 2222). Die geplanten Bauten und Anlagen gemäss dem Baugesuch der
Beschwerdegegnerin 1 sind noch weiter entfernt. So befinden sich etwa die vorgesehenen
Parkplätze im nördlichen Bereich dieser Parzelle in gut 1 km, das nördlichste Gebäude (Administration und Verwaltung) in gut 1.1 km Entfernung zu den Parzellen der Beschwerdeführerin 2. Dazwischen liegen eine Kantonsstrasse, zahlreiche weitere Strassen und Grundstücke
sowie die Bahnlinie.
d)
Diese Distanzen liegen ausserhalb des Bereichs, in dem nach der erwähnten bundes-
gerichtlichen Praxis von benachbarten Grundstücken ausgegangen werden kann. Näher zu
untersuchen ist aber, ob weitere Gründe bestehen, welche trotz dieser Distanz zu einer besonderen Betroffenheit der Beschwerdeführerin 2 führen. Durch die KÜO CSL Lengnau ist
nicht oder höchstens in geringem Ausmass mit Mehrverkehr auf der ohnehin stark befahrenen
Kantonsstrasse zu rechnen, welche zwischen den Grundstücken der Beschwerdeführerin und
dem Überbauungsperimeter liegt. So wird der grösste Teil des aufgrund des geplanten Vorhabens ausgelösten Individualverkehrs sowie der Anlieferungsverkehr direkt gegen Süden
(Richtung Autobahnanschluss A5) weg geführt. Das Dorf selber bleibt damit weitgehend vom
Schwerverkehr verschont. Dazu kommt, dass die KÜO CSL Lengnau gegenüber der möglichen Nutzung nach den geltenden zonenrechtlichen Bestimmungen (ZPP 5 Lengnaumoos)
kein Mehrverkehr verursacht, wie dies die Vorinstanz plausibel ausführt (B.II.7 des Entscheids). Damit ist auch nicht mit einer deutlich wahrnehmbaren Lärmzunahme bei den
Grundstücken der Beschwerdeführerin 2 zu rechnen, welche ihre Einsprachelegitimation begründen könnte. Als solche hat das Bundesgericht eine Erhöhung des Verkehrslärms um
1 dB(A) anerkannt, was im Normalfall einer Zunahme des durchschnittlichen täglichen Ver16
Urteil BGer 1C_177/2014 vom 12. August 2014, E. 4.2.
Merkli/Aeschlimann/Herzog, a.a.O., Art. 65 N. 4, mit weiteren Hinweisen.
18
Zaugg/Ludwig, Band I, a.a.O., Art. 35-35c N. 17 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung.
17
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kehrs (DTV) um mindestens 25% entspricht.19 Dies ist bei den vorliegenden Kantonsstrassen
(U-strasse, V-strasse, W-trasse) bei weitem nicht der Fall. So führt auch das Tiefbauamt,
Oberingenieurkreis III (TBA OIK III) in seinem Fachbericht Strassenlärm vom 12. Dezember
201420 aus, dass sich das erwartete Verkehrsaufkommen zu 80% via Autobahn A5 abwickle
und die restlichen Fahrten durch das Dorf von ca. 155 Fz/Tag bei einem bestehenden DTV
von ca. 3'300 Fz/Tag (2019)21 keine wahrnehmbar stärkeren Lärmimmissionen erzeugen würden. Der durch das Vorhaben generierte Verkehr vermag damit keine besondere Betroffenheit
der Beschwerdeführerin 2 zu begründen, was von ihr im Übrigen auch nicht geltend gemacht
wird. Dies gilt auch hinsichtlich der ästhetischen Gestaltung des Bauvorhabens. Diesbezüglich
verlangt die Rechtsprechung nämlich für eine hinreichende Beziehungsnähe einen direkten
Sichtkontakt.22 Ein solcher besteht aber zwischen den Grundstücken der Beschwerdeführerin
2 und dem Standort der KÜO CSL Lengnau nicht.
e)
Was das Gefahrenpotenzial einer solchen biotechnischen Anlage betrifft, so führt das
Bundesgericht in dem von der Beschwerdeführerin 2 ins Feld geführten Entscheid (BGE 120
Ib 379) aus, die Betroffenheit Dritter könne nicht ausgeschlossen werden, wenn von einer
Anlage zwar bei Normalbetrieb keine Emissionen ausgingen, mit dieser aber ein besonderer
Gefahrenherd geschaffen werde und sich die Anwohner einem erhöhten Risiko ausgesetzt
sähen. Es gehe hier um eine Anlage, die für die Anwohner ein gewisses Risiko mit sich bringe. Wohl könne deren Gefahrenpotential in keiner Weise mit jenem eines Atomkraftwerks
verglichen werden, doch bestehe für die Anwohner, welche von den Auswirkungen eines Störfalles am unmittelbarsten betroffen würden, zweifellos eine erhöhte Gefahr. Seien aber die
Anwohner der Anlage sowohl Emissionen als auch gewissen erhöhten Gefahren ausgesetzt,
so dürften die Vorinstanzen deren Betroffenheit nicht pauschal verneinen. Nach den Ausführungen der Vorinstanz würden die Beschwerdeführer zum Teil wenige hundert Meter um die
Anlage herum wohnen. Es könne deshalb davon ausgegangen werden, dass zumindest einige Beschwerdeführer in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur streitigen
Anlage stünden und von deren Umbau stärker als jedermann betroffen sein könnten.23
Der vorliegende Sachverhalt ist insofern vergleichbar, als dass es sich auch hier um eine biotechnische Anlage handelt, in welcher Medikamente für Patienten mit der Erbkrankheit Hämo19
BGE 136 II 281 E. 2.3.2; VGE 100.2011.136 vom 21. November 2013 E. 2.1; Zaugg/Ludwig, Band I, a.a.O. Art. 35-35c N. 17a.
Vorakten pag. 000215.
21
Den Angaben zur Verkehrsbelastung über das Kantonsstrassennetz folgend (unter www.bve.be.ch, Strassen, Verkehrsdaten)
ist der DTV auf den betroffenen Kantonsstrassen heute noch deutlich höher.
22
VGE 22449 vom 28. November 2006 E. 4.4.
23
BGE 120 Ib 379, E. 4d/e.
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philie (Bluterkrankheit) mit Hilfe der Gentechnik hergestellt werden. Wie das vom Bundesgericht beurteilte Bauprojekt fällt auch das hier umstrittene Vorhaben in den Anwendungsbereich
der Störfallverordnung (StFV24), und zwar gemäss den Ausführungen des beco im Amtsbericht vom 27. November 2014 aufgrund der deklarierten Mengen an Salpetersäure und Natronlauge.25 Entscheidend für die Frage der Legitimation ist, ob sich die Grundstücke der Beschwerdeführerin 2 in einem Umkreis des Überbauungsperimeters befinden, in welchem aufgrund einer Abschätzung des konkreten Gefahrenpotenzials der geplanten Anlage von einer
erhöhten Gefahr auszugehen ist. In Abgrenzung zur unzulässigen Popularbeschwerde ist jedoch auch nach dem erwähnten Entscheid das Einspracherecht nur denjenigen Personen zu
gewähren, die von den Auswirkungen eines Störfalls „am unmittelbarsten“ und damit „stärker
als jedermann“ betroffen wären.26
Die Beschwerdegegnerin 1 reichte mit dem Baugesuch einen Kurzbericht nach StFV für stationäre Betriebe mit chemischen Gefahrenstoffen vom 30. Oktober 2014 ein.27 Als die zwei
schlimmstmöglichen Störfallszenarien werden darin einerseits eine Havarie beim Entladen
von stark wassergefährdender Natronlauge aus einem Tank-LKW und andererseits eine Explosion und ein Brand im Ethanollager mit Trümmerwurf aufgeführt. Als getroffene Massnahmen, die den Störfall verhindern oder die Auswirkungen deutlich reduzieren können, sieht die
Beschwerdegegnerin 1 bei ersterem Szenario eine Auffangwanne von mindestens 10 m3 vor,
in welcher die ganze Havariemenge zurückgehalten wird. Eine schwere Schädigung der Umwelt könne daher ausgeschlossen werden. Beim zweiten Störfallszenario sind als Massnahmen der Schutz von unbefugtem Eintritt, zonenkonforme Explosionsschutzmassnahmen, die
Tankkühlung sowie Arbeitsanweisungen mit Sicherheitsvorschriften vorgesehen. Gemäss den
zusätzlichen Bemerkungen der Beschwerdegegnerin 1 ist ein Trümmerwurf über die Arealgrenzen hinaus wahrscheinlich. Im gefährdeten Bereich befänden sich keine Infrastrukturanlagen und es seien auch keine Personenansammlungen zu erwarten. Eine schwere Schädigung der Bevölkerung könne nahezu ausgeschlossen werden. Bei diesen schlimmstmöglichen Störfallszenarien besteht für die Beschwerdeführerin 2 in einer Entfernung von knapp
einem Kilometer vom Projekt keine erhöhte, unmittelbare Gefahr. Die Gefahr der Verschmutzung des Grundwassers beim Entladen der Natronlauge wird durch die Auffangwanne genügend minimiert. Ein durch eine Explosion verursachter Trümmerwurf würde höchstens den
24
Verordnung des Bundesrates vom 27. Februar 1991 über den Schutz vor Störfällen (Störfallverordnung, StFV; SR 814.012).
Vorakten pag. 000165.
26
BGE 120 Ib 379, E. 4e.
27
Vorakten pag. 000076.
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unmittelbaren Umkreis der Anlage betreffen, nicht jedoch die Beschwerdeführerin 2 in einer
Entfernung von über 900 m.
Auch das beco als Fachbehörde gelangte gestützt auf diesen Kurzbericht im Amtsbericht vom
27. November 2014 zur Ansicht, unter Einhaltung der aufgeführten Auflagen sei die Annahme
zulässig, dass im Ereignisfall keine schwere Schädigung im Sinne der StFV zu erwarten sei.28
In den Auflagen wurde von der Fachbehörde verlangt, dass die Kälteanlage mit einer detektorgesteuerten Sturmentlüftung auszurüsten sei und die Abluft so verdünnt werden müsse,
dass bei allen Wettersituationen weder in der Nachbarschaft noch auf der Bahntrasse gesundheitsgefährdende Ammoniakkonzentrationen auftreten könnten. Weiter seien die Umschlagsplätze zur Anlieferung von Säuren, Laugen und Ethanol so zu gestalten, dass im Ereignisfall der gesamte Inhalt des anliefernden Fahrzeugs in einem Rückhaltebecken aufgefangen werden könne. Schliesslich seien zukünftige relevante Änderungen mit einem aktualisierten Kurzbericht der Vollzugsbehörde zu melden und für die zuständige Feuer- und Chemiewehr sei innerhalb von drei Monaten nach der Fertigstellung der Bauten ein Einsatzplan
zu erstellen. Neben diesen Auflagen nahm die Vorinstanz in den Entscheid vom 30. April
2015 in Berücksichtigung der Forderung des kantonalen Laboratoriums (vgl. Fachbericht vom
17. Dezember 201429) zusätzlich als Auflage auf, vor Rohbaubeginn sei mit den verantwortlichen Stellen eine Gefahrenanalyse zu erstellen, in welcher insbesondere dargelegt werde, ob
und wie sich mögliche Ereignisse der Bahn oder Gasleitung auf störfallrelevante Anlagen der
CSL auswirkten und ob weitere Auswirkungen, ausgehend von der CSL, möglich seien.
Die konkrete Gefahreneinschätzung der Fachbehörden zum vorliegenden Vorhaben lassen
den Schluss zu, dass die Beschwerdeführerin 2 nicht einer besonderen, erhöhten Gefährdung
ausgesetzt ist. Dass sie von den Auswirkungen eines Störfalles „am unmittelbarsten betroffen
wäre“, wie dies das Bundesgericht im erwähnten Entscheid verlangt, kann erst Recht nicht
behauptet werden. Im Unterschied zur dortigen Ausgangslage, wo das Bundesgericht eine
genauere Überprüfung der Einsprachelegitimation von Anwohnern mit „wenigen hundert Metern“ Entfernung vom umstrittenen Bauvorhaben verlangte, liegen die Grundstücke der Beschwerdeführerin 2 hier mindestens 960 m von der geplanten Anlage entfernt. Welcher konkreten, erhöhten Gefahr sie ausgesetzt sein soll, wird von der Beschwerdeführerin 2 auch
nicht näher ausgeführt. Die Einsprachelegitimation lässt sich insgesamt auch nicht aus einem
erhöhten Risiko der Beschwerdeführerin 2 durch einen Störfall ableiten.
28
29
Vorakten pag. 000165.
Vorakten pag. 000189.
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f)
Die weiteren Gründe, welche die Beschwerdeführerin 2 zur Begründung ihrer Legitima-
tion vorbringt (Verunstaltung des von ihr oft genutzten Naherholungsraums, Zerstörung von
Grünraum) stellen allgemeine öffentliche Interessen dar. Sie führen ebenfalls nicht dazu, dass
die Beschwerdeführerin 2 durch das Bauvorhaben in höherem Mass als die Allgemeinheit und
damit unmittelbar in eigenen schutzwürdigen Interessen betroffen ist. Auch der Hinweis, wonach die soeben erst bestätigte Ortsplanung der Gemeinde durch den Kanton ausser Kraft
gesetzt werde, hat keine besondere Betroffenheit zur Folge. Insgesamt wird die tatsächliche
oder rechtliche Situation der Beschwerdeführerin 2 durch den Ausgang des Verfahrens nicht
beeinflusst. Es fehlt ihr an der besonderen Beziehungsnähe zum Streitgegenstand und damit
an der materiellen Beschwer. Die Vorinstanz ist damit zu Recht nicht auf die Einsprache der
Beschwerdeführerin 2 eingetreten. Entsprechend ist ihre Beschwerde abzuweisen.
g)
Der Beschwerdeführer 1 bewohnt und ist Eigentümer einer Liegenschaft, welche rund
230 m von der nächstgelegenen Perimetergrenze der KÜO CSL Lengnau entfernt liegt. Das
nördlichste Gebäude (Administration und Verwaltung) des konkreten Bauvorhabens der Beschwerdegegnerin 1 liegt in rund 360 m Entfernung zur Parzelle des Beschwerdeführers 1.
Zwar liegen auch diese Distanzen ausserhalb des Bereichs, in dem nach der erwähnten bundesgerichtlichen Praxis von benachbarten Grundstücken ausgegangen werden kann. Allerdings hat der Beschwerdeführer 1 eine direkte Sichtverbindung zum Perimeter der KÜO CSL
Lengnau; zwischen seinem Haus und dem geplanten Vorhaben in der Sichtlinie liegen einzig
ein unüberbautes Feld und die Bahnlinie. Aus diesem Grund ist bei ihm eine besondere Betroffenheit zu bejahen.30 Die Vorinstanz ist daher zu Recht auf seine Einsprache eingetreten.
3.
Streitgegenstand, zulässige Rügen
a)
Nach Ansicht der Beschwerdegegnerinnen und der Vorinstanz hat der Beschwerdefüh-
rer 1 den Streitgegenstand auf die Baubewilligung betreffend Neubau einer Produktionsanlage (Baugesuch der Beschwerdegegnerin 1) beschränkt, indem er in seiner Einsprache vom
6. Februar 2015 einzig den Bauabschlag hinsichtlich dieses Bauvorhabens beantragt hat.
b)
Anfechtungsobjekt ist die Verfügung der Vorinstanz. Der Streitgegenstand braucht sich
nicht mit dem Anfechtungsobjekt zu decken, kann aber auch nicht über dieses hinausgehen.
Innerhalb dieses Rahmens bestimmen die Parteien den Streitgegenstand. Die Parteien kön30
VGE 22449 vom 28. November 2006 E. 4.4.
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nen den Streitgegenstand im Verlauf des Verfahrens nicht erweitern, sondern nur einschränken. Zur Bestimmung des Streitgegenstands ist das Rügeprinzip massgebend. Danach hat
die Beschwerdebehörde die an einen bestimmten Sachverhalt anknüpfenden Begehren in
dem Umfang zu beurteilen, wie es die beschwerdeführende Partei mit ihren Rügen verlangt.
Für das Verfahren mit Einsprachemöglichkeit kann spezialgesetzlich festgelegt werden, dass
die Beteiligten den Gegenstand eines allfälligen Anfechtungsstreitverfahrens schon vor Erlass
der anfechtbaren Verfügung – in ihren Einsprachen – bezeichnen müssen.31 Dies ist vorliegend der Fall (vgl. Art. 40 Abs. 2 und Art. 102 Abs. 4 BauG).
c)
Der Beschwerdeführer 1 beantragte in seiner Einsprache vom 6. Februar 2015 einzig
die Erteilung des Bauabschlags hinsichtlich dem „Bauvorhaben betreffend Neubau einer Produktionsanlage zur Herstellung von rekombinantem Faktor VII, Faktor VIIa und Faktor IX, inklusive der dazugehörenden Administrationsgebäude mit Personalrestaurant und Qualitätssicherungslabors sowie die dazugehörenden Lager- und Logistikgebäude“. Aus diesem Antrag
ergibt sich eindeutig, dass er sich nur gegen das Baugesuch der Beschwerdegegnerin 1 zur
Wehr setzte und nicht gegen die übrigen Gegenstände (KÜO CSL Lengnau, weitere Baugesuche). Auch die Begründung der Einsprache lässt keinen anderen Schluss zu, zumal darin
stets vom konkreten Bauprojekt, vom Neubau bzw. von der Produktionsanlage die Rede ist.
Allerdings wurden die Plangrundlagen der KÜO CSL Lengnau
(Überbauungsvorschriften,
Überbauungsplan) im Verlaufe des vorinstanzlichen Verfahrens angepasst, was den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt wurde; dabei erhielten sie Gelegenheit, zu diesen Anpassungen Stellung zu nehmen (vgl. Sachverhalt, Ziff. 3). Der Beschwerdeführer 1 nahm diese Gelegenheit
fristgerecht wahr. Wegen diesen im vorinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Einwänden
gegen die (geänderte) KÜO CSL Lengnau ist es fraglich, ob der (objektmässige) Streitgegenstand des Verfahrens aufgrund der Einsprache auf das Bauvorhaben der Beschwerdegegnerin 1 beschränkt wurde. Die Frage kann vorliegend offen bleiben, da auf die Vorbringen des
Beschwerdeführers 1 entweder aus anderen Gründen nicht einzutreten ist oder diese sich
materiell als unbegründet erweisen (vgl. die nachfolgenden Erwägungen).
d)
Die Einsprechenden sind nur im Rahmen ihrer Einsprachegründe zur Beschwerde
befugt (Art. 102 Abs. 4 BauG, Art. 40 Abs. 2 BauG). Demnach können neue Rügen im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht mehr vorgebracht werden (aspektmässige Beschränkung des Streitgegenstands). Diese Bestimmung gelangt jedoch nur zur Anwendung, wenn
die Rüge einer einfachen Verletzung von kantonalem oder kommunalem Recht zur Diskussion
31
Merkli/Aeschlimann/Herzog, a.a.O., Art. 72 N. 6 bis 9.
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steht. Hingegen dürfen Rügen betreffend die Verletzung von Bundesrecht, von Völkerrecht
und von kantonalem Verfassungsrecht im Beschwerdeverfahren noch neu vorgebracht werden.32 Zudem sind nach der Praxis Rügen zulässig, deren Themenbereich in der Einsprache
angesprochen wird.33
Die Einsprechenden bzw. Beschwerdeführenden müssen nach Art. 35c Abs. 1 BauG zudem
an jeder vorgebrachten Rüge ein eigenes schutzwürdiges Interesse haben. Da aber die Beschwerdebefugnis im kantonalen Verfahren mindestens im gleichen Umfang zu gewähren ist
wie vor Bundesgericht (Art. 111 Abs. 1 BGG34; Art. 33 Abs. 3 Bst. a RPG35) und das Bundesgericht eine rügespezifische Beurteilung der Beschwerdelegitimation ablehnt, ist Art. 35c
Abs. 1 BauG im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 89 Abs. 1 BGG auszulegen. Ein eigenes schutzwürdiges Interesse im Sinn von Art. 35c Abs. 1 BauG ist deshalb
immer dann zu bejahen, wenn der Nachbarin oder dem Nachbarn mit dem Durchdringen der
jeweiligen Rüge ein praktischer Nutzen entsteht, der auch darin bestehen kann, dass das
Bauvorhaben nicht verwirklicht werden kann. Nicht zulässig sind einzig Rügen, mit denen ein
allgemeines öffentliches Interesse an der richtigen Anwendung des Rechts verfolgt wird, ohne
dass den Beschwerdeführenden im Falle des Obsiegens ein Vorteil entsteht.36
Es wird nötigenfalls bei einzelnen Rügen zu prüfen sein, ob der Beschwerdeführer 1 diese in
der Beschwerde noch vorbringen durfte und ob er ein schutzwürdiges Interesse an deren Prüfung hat.
4.
Rechtliches Gehör
a)
Mit Verfügung vom 14. April 2015 wurde der Beschwerdeführer 1 über die Änderungen
der KÜO CSL Lengnau informiert; zudem wurde ihm der nachträglich eingeholte OLK-Bericht
zugestellt. Er erhielt Gelegenheit, zu diesen Änderungen und zum Bericht Stellung zu nehmen. Innert Frist gingen bei der Vorinstanz vom Beschwerdeführer 1 sowohl eine persönliche
Stellungnahme37 als auch eine Stellungnahme seines damaligen Rechtsvertreters38 ein.
32
VGE 100.2012.441 vom 22. März 2013, E. 3; VGE 100.2010.90 vom 1. November 2010, E. 2.3 - 2.5.
Zaugg/Ludwig, Band I, a.a.O., Art. 40-41 N. 9a.
34
Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110).
35
Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700).
36
BGE 137 II 30 E. 2.2.1, 2.2.3 und 2.3; BGer 1C_492/2010 vom 23.3.2011, E. 3.2; BVR 2011 S. 272 E. 6.2.
37
Vorakten pag. 000479.
38
Vorakten pag. 000480.
33
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b)
Der Beschwerdeführer 1 bringt vor, die Vorinstanz habe sich mit den Vorbringen seiner
persönlichen Stellungnahme vom 24. April 2015 nicht befasst. Es sei nicht zulässig gewesen,
nur auf die Eingabe seines damaligen Anwalts einzugehen. So habe er ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass seine eigenen Vorbringen, soweit sie über die Ausführungen von seinem
Anwalt hinausgingen, zu hören seien. Die Vorinstanz habe weder eine kurze Nachfrist zur
Behebung des Formmangels (fehlende Unterschrift) gesetzt, noch habe sie seine Vorbringen
gewürdigt und in die Entscheidfindung miteinbezogen. Damit sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Weiter stellt er fest, die Vorinstanz sei auf seine Rügen hinsichtlich der kaum bebaubaren Bodenqualität nur rudimentär eingegangen. Auch dies stelle eine
Gehörsverletzung dar.
c)
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein Teilaspekt des allgemeinen Grundsatzes
des fairen Verfahrens von Art. 29 BV39. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die
entscheidende Behörde nicht nur, die Äusserungen der Parteien entgegenzunehmen, sondern auch dazu, diese Äusserungen zu würdigen.40
Was die Begründung eines Entscheids anbelangt, so muss dieser die Tatsachen, Rechtssätze und Gründe enthalten, auf die er sich stützt.41 Die Begründung muss so abgefasst sein,
dass die Betroffenen den Entscheid sachgerecht anfechten können. Deshalb muss die Behörde mindestens kurz die Überlegungen nennen, von denen sie sich hat leiten lassen und
auf die sie ihren Entscheid stützt. Sie muss sich dabei nicht ausdrücklich mit jeder Behauptung zum Sachverhalt und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen. Vielmehr kann sie
sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken.42
d)
Während sich der Rechtsvertreter in seiner Eingabe einzig zum OLK-Bericht äusserte
und nochmals die Thematik „ungenügender Baugrund“ aufgriff, äusserte sich der Beschwerdeführer 1 in seiner persönlichen Stellungnahme zu weiteren Punkten (Grundwasser, Überschwemmungsgefahr, Anträge der OLK, revidierte Überbauungsvorschriften, revidierter Plan
betreffend Sicherheitszaun). Im Begleitschreiben zur persönlichen Stellungnahme führte der
Beschwerdeführer 1 dabei aus, es handle sich um eine reine Sicherheitsmassnahme, damit
unter Wahrung der Frist mindestens ein Input vorhanden sei. Sollten beide Stellungnahmen
rechtzeitig eintreffen, sei diejenige seines Anwalts „prioritär, überall da, wo es zu Überschnei39
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101).
Merkli/Aeschlimann/Herzog, a.a.O., Art. 21 N. 15.
41
Art. 52 Abs. 1 Bst. b VRPG
42
BGE 134 I 83 E. 4.1; Merkli/Aeschlimann/Herzog, a.a.O, Art. 52 N. 6 ff.
40
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dungen komme“. Die Vorinstanz führte im angefochtenen Entscheid aus (B.IV.4.5.4), der Beschwerdeführer 1 habe seine Stellungnahme nur per Mail eingereicht und festgehalten, dass
im Falle von zwei Eingaben diejenige seines Anwalts prioritär sei. Unter diesen Umständen
müsse nicht näher abgeklärt werden, ob die persönliche Eingabe des Beschwerdeführers 1
den Formvorschriften genüge und sie die beiden Eingaben zueinander verhielten. Es werde
nachfolgend auf die Stellungnahme des Vertreters des Beschwerdeführers 1 eingegangen.
e)
Eine anwaltliche Vertretung schliesst das Recht der vertretenen Person nicht aus, sich
im Verfahren selber äussern zu können. Hier hat der Beschwerdeführer 1 explizit darauf hingewiesen, dass die Eingabe seines Anwaltes nur dort prioritär sei, wo es zu Überschneidungen komme. Indem die Vorinstanz die persönliche Stellungnahme des Beschwerdeführers 1
nicht würdigte, verletzte sie dessen Anspruch auf rechtliches Gehör. Dass bei dieser Eingabe
die Formvorschriften nicht eingehalten waren (fehlende Unterschrift), darf nicht dem Beschwerdeführer 1 angelastet werden, wäre die Vorinstanz doch verpflichtet gewesen, diesem
die Eingabe unter Ansetzung einer Nachfrist zur Verbesserung zurückzuschicken.43
Allerdings ist festzuhalten, dass sich die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid auch zu den
weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers 1 in seiner persönlichen Stellungnahme vom
24. April 2015 – mit Ausnahme seiner Ausführungen zur Verlegung des Sicherheitszauns im
Überbauungsplan – geäussert hat. So enthält der Entscheid Ausführungen zur Grundwasserund Bodenschutzthematik (B.III.2.3 sowie B.IV.2.7.7) sowie zur Überschwemmungsgefahr
(B.III.2.6 sowie B.IV.2.7.7). Ebenso führt sie aus, wieso aus ihrer Sicht die Anträge der OLK
nicht oder nur teilweise übernommen wurden (B.III.2.9). Dabei war sie nicht verpflichtet, sich
mit jedem Einwand und mit jeder Behauptung zum Sachverhalt auseinanderzusetzen, sondern konnte sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken. Diese
Anforderungen erfüllt der vorinstanzliche Entscheid; die Begründung ist damit in diesen Bereichen ausreichend. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers 1 trifft dies damit auch
auf das Thema „Bodenqualität/Baugrund“ zu. Auch in diesem Bereich ist die Begründung so
abgefasst, dass der Beschwerdeführer 1 den Entscheid sachgerecht anfechten konnte.
Einzig zu den Vorbringen des Beschwerdeführers 1 hinsichtlich der Verlegung des Sicherheitszauns hat sich die Vorinstanz in ihrem Entscheid nicht geäussert. Die Überlegungen der
Vorinstanz zu dieser Verlegung ergeben sich aus der Verfügung vom 14. April 2015, mit welcher der Beschwerdeführer 1 über die Änderungen der KÜO CSL Lengnau informiert wurde.
43
Merkli/Aeschlimann/Herzog, a.a.O, Art. 33 N. 15.
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Er hat seine diesbezüglichen Bedenken in der Beschwerde vom 1. Juni 2015 erneut geäussert; im vorliegenden Entscheid wird darauf eingegangen (vgl. E. 9). Damit konnte der Beschwerdeführer 1 seine Rechte im Beschwerdeverfahren vollumfänglich wahrnehmen. Auch
ist ihm durch die diesbezüglich mangelhafte Begründung der Vorinstanz kein Nachteil entstanden.44
5.
Ortsbild- und Landschaftsschutz
a)
Der Beschwerdeführer 1 rügt, die geplanten Bauten beeinträchtigten das Orts- und
Landschaftsbild. Er habe bereits in seiner Einsprache darauf hingewiesen, dass die Produktionsanlage im Vergleich zur üblichen Bauweise in Lengnau eine gigantische Grösse aufweise,
weshalb die von vielen Anwohnern geschätzte Aussicht auf Felder und Wald erheblich beeinträchtigt werde. Das Gemeindebaureglement habe für die ZPP 5 Lengnaumoos eine maximale Gebäudehöhe von 16 m festgelegt; die KÜO CSL Lengnau lasse nun Gebäudehöhen von
über 40 m zu. Es sei fraglich, ob derart prägende Bauten aus Sicht des Orts- und Landschaftsbildschutzes bewilligt werden dürften. Auch in architektonischer Hinsicht lasse das
Vorhaben zu wünschen übrig; die markanten Rückkühler auf einem der Dächer und der
Schutzzaun rund um die Anlage hätten einen negativen Einfluss auf das Gesamtbild. Der von
der Vorinstanz eingeholte OLK-Bericht sei widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Es sei
daher zwingend eine ausserkantonale Expertise einzuholen. Zumindest aber sei das OLKGutachten sachgerecht zu würdigen. Die Vorinstanz habe die klaren Vorbringen der OLK in
unhaltbarer Weise einseitig und ergebnisorientiert zu Gunsten der Beschwerdegegnerin 1
ausgelegt. Es könne aus dem Gutachten nicht geschlossen werden, dass Bauten mit einer
Höhe von 40 m unproblematisch seien. 40 m hohe Bauten würden im grösseren Umkreis des
vorliegenden Überbauungsperimeters einen einmaligen Einzelfall darstellen. Wie die Vorinstanz zum Schluss komme, solche Bauten würden nicht zu einer Störung des Landschaftsbildes führen, sei schleierhaft. Zudem habe die Vorinstanz „geflissentlich“ übersehen, dass die
OLK hohe Bauten nur unter gewissen Bedingungen als „nicht grundsätzlich unmöglich“ betrachte, und sie habe die entsprechenden Anträge zu Unrecht nicht aufgenommen. Das Vorhaben verstosse zudem gegen Art. 22 Abs. 1 BauV.
44
Vgl. dazu VGE 21717 vom 21. Mai 2004, E. 3.3.2.
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b)
Das Lengnaumoos ist gemäss kantonalem Richtplan ein wirtschaftlicher Entwicklungs-
schwerpunkt Arbeiten (ESP A).45 Die Gemeinde Lengnau erliess im Rahmen der letzten Ortsplanungsrevision für das Gebiet des ESP Lengnaumoos eine Zone mit Planungspflicht (ZPP 5
Lengnaumoos) und legte in Art. 313 Abs. 3 GBR für diese ZPP die maximale Gebäudehöhe
auf 16 m fest. Die JGK, die beim Beschluss einer kantonalen Überbauungsordnung nicht an
die Vorgaben des Gemeindebaureglements gebunden ist, unterteilte im Überbauungsplan
den Perimeter in vier Sektoren und lässt laut ÜV in allen Sektoren höhere Gebäude zu. In
diesem Zusammenhang sahen die Überbauungsvorschriften zunächst Folgendes vor: Ausgehend von einer massgebenden Terrainkote von 430.0 m.ü.M. sollte die maximale Gesamtgebäudehöhe in dem im nördlichen Teil des Perimeters gelegenen Sektor 1 20 m betragen
(450.0 m.ü.M.), in dem südlich anschliessenden Sektor 2 30 m (460 m.ü.M.), im weiter südlich
daran anschliessenden Sektor 3 40 m (470 m.ü.M.) und im Sektor 4 wiederum 20 m (Art. 6
Abs. 4 ÜV). Im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten holte die JGK dazu einen Bericht der
Kommission zur Pflege der Orts- und Landschaftsbilder (OLK) ein.
c)
Eine Delegation der OLK nahm am 27. März 2015 einen Augenschein vor Ort vor und
hielt in ihrem Bericht von Ende März 201546 Folgendes fest:
„Die fraglichen Parzellen 2222 / 1111 liegen südwestlich des Dorfes Lengnau, südlich der
Bahnlinie, nördlich der Bürenstrasse. Obwohl das Terrain ganz leicht gegen Süden abfällt,
nimmt der Betrachter das Gebiet als Ebene wahr. Westlich beginnt freies Landwirtschaftsgebiet. Östlich stehen verschiedene grössere und kleinere Industriegebäude, die sich alle an die
bisher geltende Vorschrift von maximal 16 Metern Höhe halten. Diese Vorschrift beruht zum
einen auf der Nähe zur Siedlung, die keine sehr hohen Gebäude aufweist, zum anderen auf
der landschaftsräumlichen Situation der Ebene zwischen zwei Hügelzügen, dem östlichen
Ausläufer des Büttenbergs im Süden und Südwesten sowie der ersten Jurakette im Norden.
Mit der Vorschrift einer maximalen Gebäudehöhe von 16 Metern wollte man erreichen, dass
die Industriegebäude aus der Ferne betrachtet nicht über den Horizont hinaus ragen und damit das Landschaftsbild über Gebühr beeinflussen. Unter „2.3.3 Gestaltung“ nennt die KUeO
in den Artikeln 7 bis 12 Gestaltungsvorschriften. Diese sind stets sehr vage gehalten: „Grundsätzlich ... sorgfältig zu gestalten“, „zurückhaltende Farbgebung und Materialisierung“. Fast
sämtliche Forderungen, wie beispielsweise die Aussenraumbepflanzung mit Bäumen wird
gleich wieder abgeschwächt oder sogar zurückgenommen: „...soweit dies die Bauten, Anlagen und Verkehrsräume zulassen ... selbstverständlich ... wieder entfernt werden dürfen“.
45
46
Vgl. Fn 1-3.
Vorakten pag. 000540.
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Damit lassen sie dem Bauherrn nahezu freie Hand und geben keinerlei Handhabe für Forderungen nach irgendwelchen zusätzlichen Gestaltungsbemühungen. Obwohl der Plan „Baueingabe Umgebungsgestaltung, A.________ vom 4.12.2014“, den die OLK anlässlich ihrer
Sitzung vom 10.3.2015 vorgelegt erhalten hat, eigentlich nicht Teil der hier behandelten KUeO
ist, soll kurz darauf eingegangen werden, ist er doch gewissermassen das Resultat der KUeO.
Der Plan beweist leider überdeutlich die „Zahnlosigkeit“ der Gestaltungsvorschriften: Die Setzung der Gebäude ist allein den Produktionsabläufen geschuldet und lässt jegliche architektonische Idee vermissen, die Umgebungsgestaltung verfolgt kein ersichtliches Konzept, wirkt
beliebig und überaus sparsam.
Die bisher geltende Beschränkung der Gebäudehöhe auf 16 Meter ist aus den vorhandenen
Gegebenheiten (Randstellung zwischen Siedlung und Landwirtschaft, bereits vorhandene
Gebäude, flache Landschaft mit Erhebungen im Süden und Norden) abgeleitet worden und
überzeugt aus ästhetischer Sicht auch heute noch. Mit einer Erhöhung der Gebäudehöhe auf
40 Meter würde dem Orts- und Landschaftsbild ein sehr starkes und dominantes Element zugefügt, das den Massstab aller bisher vorhandenen Objekte deutlich sprengt. 40 Meter hohe
Gebäude würden allein auf Grund ihrer Grösse zu prägenden Objekten in der Landschaft
werden und selbst aus sehr grosser Distanz dominant und unübersehbar sein. Die OLK erachte es trotzdem nicht für grundsätzlich unmöglich, die Schaffung eines solchen Akzents am
fraglichen Ort zu ermöglichen. Allerdings hält sie folgende zwei Bedingungen für zwingend.
Erstens muss mit Hilfe griffiger Gestaltungs- und Verfahrensvorschriften eine sehr hohe Gestaltungsqualität eingefordert werden, zweitens müsse gewährleistet sein, dass der Akzent in
der Landschaft kompakt und einmalig bleibt. Jede Auffälligkeit muss vermieden werden. Würden mehrere hohe Körper errichtet, müssten diese gemeinsam monolithisch und kompakt
wirken.“
Gestützt auf ihre Beurteilung stellte die OLK den Antrag, es seien folgende Vorschriften in die
ÜV aufzunehmen: Für die Projektierung von Bauten über 16 m Höhe sei ein von Fachvereinen anerkanntes qualifizierendes Verfahren erforderlich. Die Farbgebung, die Materialisierung
der Fassaden sowie die Umgebungsgestaltung aller Bauten von über 16 m Höhe seien in enger Zusammenarbeit mit anerkannten Fachspezialisten zu erarbeiten und zwingend von entsprechenden Institutionen auf ihre ästhetische Qualität hin zu prüfen. Firmenanschriften und
andere auffällige Installationen seien unterhalb von 16 Metern anzubringen und dürften weder
selber leuchten noch nachts angestrahlt werden.
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d)
Der Beschwerdeführer 1 macht nun geltend, der von der Vorinstanz eingeholte Bericht
der OLK sei widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Die Schlussfolgerungen des Berichts
stimmten nicht mit den vorangehenden Darlegungen überein. Die Kehrtwende der OLK in ein
und demselben Bericht lasse sich nur damit erklären, dass die OLK ihren Auftrag nicht mit der
nötigen Unabhängigkeit und fachlichen Distanz erfüllt habe. Das Einholen einer unabhängigen
ausserkantonalen Expertise sei daher zwingend.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers 1 gibt es keine Anhaltspunkte, dass es der
OLK bei der Beurteilung der KÜO an Unabhängigkeit, Sorgfalt oder fachlicher Distanz gefehlt
hätte: Die OLK hat mit einer Delegation von vier Mitgliedern einen Augenschein durchgeführt
und sie hat sich fundiert mit der örtlichen Situation und den Gründen für die gemäss Gemeindebaureglement bisher vorgesehene maximale Gebäudehöhe von 16 m befasst. In ihrem Bericht hat sie sich sachlich und durchaus kritisch zur KÜO, insbesondere zu den Gestaltungsvorschriften und zur maximalen Gebäudehöhe, geäussert. So kritisiert sie beispielsweise,
dass die Gestaltungsvorschriften der KÜO „zahnlos“ seien. Gestützt darauf hat sie denn auch
– mit konkreten inhaltlichen Forderungen – beantragt, dass die Überbauungsvorschriften griffiger und schärfer zu formulieren seien. Der Bericht der OLK ist auch nicht widersprüchlich.
Ihre Schlussfolgerungen widersprechen den vorgängigen Ausführungen im Bericht nicht: Die
OLK weist in ihren Darlegungen darauf hin, dass eine Beschränkung der Gebäudehöhe auf
16 m aus ästhetischer Sicht besser wäre und 40 m hohe Gebäude zu prägenden Objekten in
der Landschaft werden. Sie schliesst aber damit die Erstellung hoher Gebäude nicht vollständig aus. Mit ihrer Schlussfolgerung, die Schaffung eines Akzentes, den 40 m hohe Gebäude
setzen würden, sei unter Einhaltung bestimmter Bedingungen nicht grundsätzlich unmöglich,
widerspricht sie sich daher nicht. Der Bericht bzw. die Tätigkeit der OLK sind somit in keiner
Weise zu beanstanden. Es besteht kein Anlass, ein zusätzliches Gutachten einzuholen.
e)
Wie die OLK nachvollziehbar ausführt, könnten die in den Sektoren 2 und 3 des Über-
bauungsperimeters zulässigen höheren Bauten zu einem dominanten Element in der Landschaft werden und je nach Ausgestaltung und Setzung der Bauten auch zu einer gewissen
Beeinträchtigung des Landschaftsbildes führen. Die Vorinstanz hat daher aufgrund der Beurteilung der OLK Anpassungen an den Überbauungsvorschriften vorgenommen und die ursprünglich im Sektor 3 vorgesehene maximale Gebäudehöhe von 40 Meter auf 30 Meter reduziert. Einzig für Produktionsräume und Produktionsanlagen ist in diesem Sektor eine Höhe
bis 40 Meter zulässig, sofern dies nachweislich aus technisch zwingenden Gründen erforder-
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lich ist. Zudem hat die Vorinstanz die Gestaltungsvorschriften ergänzt. Art. 7 der ÜV sah dazu
ursprünglich Folgendes vor:
Art. 7
1 Die Gebäude sind nach einheitlichen Prinzipien zu gestalten, wobei der Gebäudenutzung entsprechend differenzierte Fassaden erwünscht sind.
2 Gebäude und von aussen sichtbare Anlagen sind bezüglich Bauvolumen, Dach- und Fassadengestaltung sorgfältig ins Orts- und Landschaftsbild einzupassen.
3 Technikaufbauten sind allseitig um die traufseitige Aufbauhöhe gegenüber dem Dachrand von der
Hauptfassade des darunter liegenden Vollgeschosses zurück zu versetzen.
4 Hauptbauten sind mit Flachdach zu gestalten. Für Technikaufbauten und Kleinbauten bis 200 m 2 anrechenbare Gebäudefläche sind auch leicht gewölbte Tonnendächer gestattet.
5 Nicht begehbare Flachdächer von mehr als 100 m 2 sind, soweit sie nicht durch technische Anlagen
oder andere Anlagen z.B. zur Energiegewinnung (Panels) belegt sind, als Retentionsfläche zu gestalten
und zu begrünen.
6 Bei Bauten mit Technikgeschoss dürfen Firmenanschriften die Dachkante des obersten Vollgeschosses von Gebäuden bis 30 m Gesamthöhe überragen. Darüber und ohne Technikgeschoss sind sie an
der Fassade anzubringen. Ausgeschlossen sind Firmenanschriften über dem Technikgeschoss.
Aufgrund des OLK-Berichts ergänzte die Vorinstanz Art. 7 ÜV mit folgender Vorschrift:
3 Für Gebäude mit einer Höhe von mehr als 460 m.ü.M. sind die Gestaltung sowie die Materialisierung
der Fassade und der Umgebung in einem qualifizierten Verfahren nach Art. 422 Baureglement unter
Beizug der Fachberatung der Gemeinde nach Art. 421 GBR auf die Gebäudefunktion abzustimmen.
Mit diesen Anpassungen der ÜV hat die Vorinstanz der Beurteilung der OLK teilweise Rechnung getragen. Dass sie die weitergehenden Empfehlungen der OLK nicht vollumfänglich
umgesetzt hat, ist – wie die nachfolgenden Erwägungen zeigen – nicht zu beanstanden.
f)
Die Planungsbehörden haben eine auf die erwünschte Entwicklung des Kantons aus-
gerichtete räumliche Ordnung herbeizuführen (Art. 53 Abs. 1 BauG). Dabei haben sie dafür zu
sorgen, dass der Boden haushälterisch genutzt wird, und sie haben auf die natürlichen Gegebenheiten sowie die Bedürfnisse von Bevölkerung und Wirtschaft zu achten (Art. 54 Abs. 1
BauG). Die Planungsbehörden müssen verschiedene Planungsgrundsätze und Zielvorgaben
beachten. Dazu gehören neben anderen sowohl der Landschaftsschutz als auch die Schaffung günstiger räumlicher Voraussetzungen für die Wirtschaft (Art. 1 Abs. 2 RPG und Art. 54
Abs. 2 Bst. d und Bst. g BauG). Beide Vorgaben sind gleichwertig; es gibt keine Rangordnung
unter den Planungsgrundsätzen. Die Planungsbehörde hat eine Interessenabwägung vorzunehmen (Art. 3 RPV47), wobei im Zweifel jenem Grundsatz der Vorzug zu geben ist, der bes-
47
Raumplanungsverordnung des Bundesrates vom 28. Juni 2000 (RPV; SR 700.1).
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ser der anzustrebenden Entwicklung entspricht.48 Besteht Handlungsspielraum hat die Planungsbehörde die für sie verbindlichen Richtplaninhalte zu berücksichtigen.49
Die Vorinstanz hat eine Interessenabwägung vorgenommen (Entscheid B.III) und sich auch
umfassend mit der Thematik Ortsbild- und Landschaftsschutz auseinandergesetzt. Anders als
der Beschwerdeführer 1 meint, hat die Vorinstanz dabei den Bericht der OLK nicht falsch
ausgelegt oder nicht gewürdigt, sondern in ihrem Entscheid die Einschätzung der OLK, dass
hohe Gebäude bis 40 Meter einen dominanten Akzent setzen werden, bestätigt und sich mit
der Beurteilung der OLK auseinandergesetzt (Entscheid B.III.2.9). Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung kam sie aber zum Schluss, dass im Überbauungsperimeter Bauten
mit einer Höhe über 16 m zuzulassen sind. Sie hielt dazu Folgendes fest: Das Gebiet Lengnaumoos sei seit längerem als kantonaler Entwicklungsschwerpunkt ESP A bezeichnet und
als Industriegebiet eingezont. Der Kanton Bern habe sich mit einer über den ganzen Kanton
erfolgten Planung darauf beschränkt, einige wenige Standorte im kantonalen Richtplan als für
die gewünschte räumliche Entwicklung von besonderer Bedeutung zu bezeichnen. Der Kanton verfolge mit den Entwicklungsschwerpunkten das Ziel, Betriebe möglichst zu konzentrieren und an verkehrsgünstigen Lagen anzusiedeln. Bei den als Entwicklungsschwerpunkte
bezeichneten Standorten stehe die wirtschaftliche Entwicklung im Vordergrund. Diese solle
auch im Raum ablesbar sein und dürfe prominent in Erscheinung treten. Die Produktionsprozesse der CSL erforderten jeweils ober- und unterhalb des Produktionsgeschosses ein Technikgeschoss. Je mehr Produktionsebenen übereinander angeordnet werden könnten, umso
weniger gross sei der Landverbrauch. Es sei dann nämlich möglich, die Zwischengeschosse
sowohl für die darunter als auch die darüber liegenden Produktionsgeschosse zu nutzen. Bei
einer Gebäudehöhe von 16 m bis 18 m sei nur eine Produktionslinie, bei einer Gebäudehöhe
von 28 m bis 30 m dagegen zwei Produktionslinien möglich. Bei einer Gebäudehöhe von
40 m könnten sogar drei bis vier Produktionslinien übereinander angeordnet werden. Dies
führe zu einem entsprechend reduzierten Bodenverbrauch (angefochtener Entscheid
B.III.2.9.e). Es bestehe ein erhebliches kantonales Interesse an der Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen ausserhalb des im Jurabogen traditionell angesiedelten Uhrensektors. Die
potenziellen Auswirkungen auf das Orts- und Landschaftsbild seien vertretbar und angesichts
des kantonalen Interesses an der Realisierung des vom Bundesrat genehmigten kantonalen
Richtplans bezeichneten ESP A Lengnaumoos hinzunehmen (Entscheid B.III.3). Um Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes zu verhindern, sei zudem der Bereich, in dem Bauten bis
48
Zaugg/Ludwig, Band II, a.a.O, Art. 54 N. 3; BVR 2003 S. 257 ff. E. 8a; BGer 1C_361/2008 vom 27. April 2009 E. 3.1.3.
Zaugg/Ludwig, Band II, a.a.O., Art. 57 N. 4a und N. 5, Pierre Tschannen, in Kommentar RPG, Art. 9 N. 29; VGE 2011/116 vom
8. November 2011 E. 3.4.
49
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zu einer Höhe von 40 m zugelassen seien, auf den südlichen Teil des Überbauungsperimeters beschränkt, der am weitesten vom Siedlungsbereich entfernt liege. Die Bauten mit der
höchsten Höhe seien nur in einem Bereich zulässig, wo sie vom Siedlungsgebiet von Lengnau her gesehen so lägen, dass sie zum grössten Teil vom dahinter liegenden Büttenberg
überragt würden (Entscheid B.III.2.9.a).
Der Regierungsrat erachtet die von der Vorinstanz vorgenommene Interessenabwägung als
nachvollziehbar und überzeugend: Gemäss kantonalem Richtplan gehört es zu den raumplanerischen Strategien, die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung im Kanton zu
verbessern, dies insbesondere an gut erschlossenen Standorten. In diesem Zusammenhang
wurden kantonale Entwicklungsschwerpunkte festgelegt. An Standorten, die durch den öffentlichen und privaten Verkehr gut erschlossen sind, sollen Flächen planerisch so vorbereitet
werden, dass Betriebe sich möglichst rasch ansiedeln oder bauliche Erweiterungen vornehmen können. Der Kanton verfolgt damit eine Strategie, die den Vorgaben des Raumplanungsrechts Rechnung trägt und die Ziele der Raumordnungs-, Verkehrs-, Wirtschafts- und Umweltpolitik aufeinander abstimmt.50 Das Lengnaumoos, das in einer übergeordneten Entwicklungsachse zwischen Biel und Solothurn liegt51, ist ein solcher Entwicklungsschwerpunkt. Die
Beschwerdegegnerin 1 beabsichtigt, im Lengnaumoos einen Produktionsstandort mit 300 bis
400 Arbeitsplätzen im Pharmabereich zu realisieren. Dies hat für den Kanton Bern grosse
wirtschaftliche Bedeutung und ist für den Arbeitsmarkt am Jurabogen sehr wichtig. Beim Erlass der umstrittenen KÜO musste die Vorinstanz daher nicht nur die Interessen des Orts- und
Landschaftsbildschutzes beachten, sondern auch die gewünschte wirtschaftliche Entwicklung
im Lengnaumoos stark gewichten bzw. dem Planungsgrundsatz der Schaffung günstiger
räumlicher Voraussetzungen für die Wirtschaft den Vorzug geben. Sie hat zu Recht berücksichtigt, dass es im Kanton Bern nur wenige verkehrsgünstig gelegene Flächen in der Bauzone gibt, die sich für grössere Industrieanlagen eignen. Das Lengnaumoos ist bereits als Industrie- und Gewerbegebiet eingezont und liegt in unmittelbarer Nähe einer Kantonsstrasse
und eines Anschlusses an die Autobahn A5. Haltestellen des öffentlichen Verkehrs befinden
sich in der Nähe. Der Standort bietet daher sehr gute Voraussetzungen für die Verwirklichung
des geplanten Vorhabens. Mit der Möglichkeit, in einem Teil des Überbauungsperimeters Gebäude bis 30 m – sofern es nachweislich aus technisch zwingenden Gründen erforderlich ist –
bis 40 m zu erstellen, trägt die Überbauungsordnung auch der Vorgabe des haushälterischen
Umgangs mit dem Boden Rechnung. Gewisse Auswirkungen hoher Bauten sind daher hinzu-
50
51
Kantonaler Richtplan, S. 57, Strategie C2.
Kantonaler Richtplan, S. 25, Leitsätze.
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nehmen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass sich der Überbauungsbereich nicht in einer
besonders geschützten Landschaft befindet, sondern in einem Gebiet von durchschnittlicher
Qualität, in dem auch auffallende Werke oder das Setzen baulicher Schwerpunkte grundsätzlich möglich sind.52 Zudem hat die Vorinstanz die Sektoren des Überbauungsperimeters bzw.
die darin jeweils erlaubten Gebäudehöhen so festgelegt, dass allfällige höhere Bauten in dem
am weitesten vom besiedelten Gebiet entfernten Bereich liegen und daher weniger wahrnehmbar sind. Es kommt hinzu, dass der Sektor 2, in dem laut ÜV Bauten bis 30 m Höhe zulässig wären, mit der ersten Überbauungsetappe bereits grösstenteils überbaut wird. Erstellt
werden aber in diesem Sektor nur Gebäude, die mit 12 m und 18 m Höhe deutlich unter der
zulässigen Maximalhöhe liegen. Höhere Gebäude werden daher – wenn überhaupt – künftig
nur noch im Sektor 3 erstellt werden können. Die Forderung der OLK, ein Akzent durch hohe
Gebäude müsse kompakt bleiben, wird daher erfüllt. In Bezug auf die Gestaltung allfälliger
künftig geplanter höherer Bauten ab 30 m sehen die angepassten ÜV nun auch das von der
OLK geforderte qualifizierte Verfahren vor: Gemäss Art. 7 Abs. 3 ÜV ist bei der Projektierung
von Gebäuden mit einer Höhe über 30 m zwingend ein qualifiziertes Verfahren nach Art. 422
GBR durchzuführen. Art. 422 GBR hält fest, dass die Gemeinde qualifizierte Verfahren zur
Qualitätssicherung nach anerkannten Regeln fördert. Dazu gehören laut Kommentar zum
GBR Wettbewerbe und Studienaufträge nach der sia-Ordnung 142 sowie Gutachter- und
Workshopverfahren. Während laut GBR solche qualifizierte Verfahren nur gefördert werden
und somit nicht verbindlich vorgeschrieben werden, sind sie laut ÜV zwingend. Die OLK
wünschte zwar qualifizierte Verfahren bereits ab einer Gebäudehöhe von 16 m. Wie die Vorinstanz aber zu Recht festhielt, ist dies für industrielle Zweckbauten unverhältnismässig und
im konkreten, nicht besonders schützenswerten Gebiet nicht erforderlich. Da Gebäudehöhen
bis 30 m bzw. unter gewissen Voraussetzungen bis 40 m zulässig sind, ist es auch folgerichtig, dass die Vorinstanz die Empfehlung der OLK, wonach Firmenanschriften unterhalb von
16 m anzubringen seien, in den ÜV nicht umgesetzt hat. Bei einem 30 m hohen Gebäude
könnte es sich nämlich gestalterisch negativ auswirken, wenn eine Firmenanschrift im unteren
Teil des Gebäudes angebracht wird. Art. 7 Abs. 7 ÜV enthält zudem konkrete Vorschriften zur
Anordnung der Firmenanschriften am Gebäude. Im Übrigen kann die Bewilligungsbehörde bei
künftigen konkreten Bauvorhaben auch gestützt auf die Gestaltungsvorschrift von Art. 7
Abs. 2 ÜV eine störende Anordnung von Firmenvorschriften verhindern. Bei den Gebäuden,
die in der ersten Bauetappe realisiert werden, ist die Empfehlung der OLK umgesetzt worden:
Es ist nur an einem Gebäude (Administration) eine Firmenanschrift vorgesehen, die sich unterhalb von 16 m befindet.
52
BVR 2003 S. 257 ff. E. 8b.
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Das Ergebnis der Interessenabwägung der Vorinstanz ist daher nicht zu beanstanden. Die
Vorinstanz hat zu Recht den Grundsatz der Schaffung günstiger räumlicher Voraussetzungen
für die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons gemäss Art. 54 Abs. 2 Bst. g BauG stark gewichtet, dabei aber den Interessen des Landschaftsbildschutzes in differenzierter Weise genügend Rechnung getragen. Sie hat somit auch – anders als der Beschwerdeführer 1 in seiner Replik vorbringt – ihr Ermessen nicht in missbräuchlicher Weise ausgeübt.
g)
Der Beschwerdeführer 1 macht schliesslich auch eine Verletzung der Vorschriften über
besondere Bauten und Anlagen geltend. Gemäss Art. 19 Abs. 2 BauG i.V.m. Art. 20 Abs. 1
Bst. b BauG gelten Gebäude mit einer Höhe von über 30 m als besondere Bauten. Solche
Bauten dürfen nur aufgrund einer Überbauungsordnung bewilligt werden (Art. 19 Abs. 1
BauG). Als besondere Bauten haben hohe Gebäude den Konzepten der Ortsplanung, insbesondere der Nutzungs-, Erschliessungs- und Verkehrsplanung zu entsprechen und dürfen
keine überwiegenden öffentlichen Interessen beeinträchtigen oder wesentliche private Interessen verletzen (Art. 21 BauV). Sie dürfen nur erstellt werden, wenn dafür wichtige Gründe
vorliegen, insbesondere wenn die höhere Bauweise durch die Zweckbestimmung des Baus
bedingt ist, oder wenn das Bauvorhaben Bestandteil eines grösseren Gesamtkonzeptes mit
besonders haushälterischer Bodennutzung ist (Art. 22 Abs. 1 BauV). Diese Vorgaben sind
vorliegend erfüllt: Mit der erlassenen KÜO liegt die erforderliche Überbauungsordnung vor. Da
das betroffene Gebiet der Industriezone zugeordnet, verkehrsmässig sehr gut erschlossen ist
und gemäss kantonalem Richtplan als ESP A gilt, entspricht es vollumfänglich den Konzepten der Ortsplanung sowie der regionalen und kantonalen Planung. Wie vorstehend ausgeführt, überwiegen die für das Vorhaben sprechenden öffentlichen Interessen. Wesentliche
private Interessen werden nicht verletzt. Es liegen zudem wichtige Gründe im Sinne von
Art. 22 BauV vor: Der kantonale Richtplan strebt mit den Entwicklungsschwerpunkten eine
Konzentrierung der Industriestandorte an wenigen, verkehrsmässig gut erschlossenen Standorten und damit auch eine haushälterische Bodennutzung an. Mit der Erstellung von höheren
Gebäuden im Lengnaumoos wird somit eine besonders haushälterische Bodennutzung im
Rahmen eines Gesamtkonzeptes verwirklicht. Eine Verletzung von Art. 19 BauG bzw.
Art. 21 f. BauV liegt daher nicht vor. Da das Bauvorhaben Bestandteil eines grösseren Gesamtkonzeptes mit besonders haushälterischer Bodennutzung ist, ist es – anders als der Beschwerdeführer 1 vorbringt53 – nicht erforderlich, dass zusätzlich nachgewiesen wird, dass die
höhere Bauweise durch die Zweckbestimmung des Baus bedingt ist. Art. 22 Abs. 1 BauV
nennt den Nachweis der Erforderlichkeit durch die Zweckbestimmung nur als ein Beispiel von
53
Beschwerde des Beschwerdeführers 1 vom 1. Juni 2015 Ziff. 39, Replik vom 26. Juni 2015 Ziff. 20
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wichtigen Gründen, verlangt ihn aber nicht grundsätzlich bzw. kumulativ. Die Vorinstanz
musste daher auf diese Frage nicht näher eingehen. Im Übrigen sieht die KÜO vor, dass Bauten über 30 m nur erstellt werden dürfen, wenn dies für Produktionsräume und Produktionsanlagen nachweislich aus technisch zwingenden Gründen erforderlich ist (Art. 6 Abs. 4 ÜV). Die
ÜV selbst stellen somit sicher, dass höhere Bauten nur erstellt werden dürfen, wenn dies
technisch erforderlich ist. Dies wird im Rahmen allfälliger künftiger Baubewilligungsverfahren
zu prüfen sein.
h)
Neben den Vorschriften der KÜO kritisiert der Beschwerdeführer 1 auch das von der
Vorinstanz bewilligte konkrete Bauvorhaben der Beschwerdegegnerin 1. Er macht geltend,
einerseits beeinträchtige die Höhe der bewilligten Bauten das Landschaftsbild, andererseits
führten der geplante Sicherheitszaun und die Kühler auf dem Dach des Betriebsgebäudes zu
einer negativen Beeinflussung des Gesamtbildes.
Bauten, Anlagen, Reklamen, Anschriften und Bemalungen dürfen Landschaften, Orts- und
Strassenbilder nicht beeinträchtigen (Art. 9 Abs. 1 BauG). Diese Vorschrift stellt die „ästhetische Generalklausel“ im Sinne eines allgemeinen Beeinträchtigungsverbots dar. Vorliegend
enthält die KÜO zusätzliche Gestaltungsvorschriften, die konkreter gefasst sind als die Anordnungen des Baugesetzes und eigenständige Bedeutung haben.
Gemäss Baugesuch vom 3. November 2014 will die Beschwerdegegnerin 1 im nördlichen Teil
des Überbauungsperimeters mehrere Gebäude und einen Parkplatz erstellen. Die Gebäude
weisen Flachdächer und graue Metallfassaden auf. Das am nördlichsten gelegene Gebäude
(Administration und Verwaltung) liegt im Sektor 1, ist zweigeschossig mit einem Attikageschoss und ist bis Oberkante Dachrand 10 m bzw. bis Oberkante Attikadach 13 m hoch. Südlich davon im Sektor 2 soll ein Gebäude – bzw. zwei Gebäudeteile mit Verbindungskorridor –
für die Produktion und die Abfüllung erstellt werden. Diese Gebäude(teile) weisen drei Geschosse auf und sind 18 m hoch. Weiter südlich davon, ebenfalls im Sektor 2, sollen ein Betriebs- und Lagergebäude mit Verbindungskorridor erstellt werden. Diese Gebäude sind 12 m
hoch bzw. ein südlich vorgelagerter Gebäudeteil (Spedition) hat eine Höhe von 6 m. Auf dem
Betriebsgebäudeteil stehen mehrere Kühltürme. Diese ragen aber nicht über das Dach des
Gebäudes, sondern befinden sich im Bereich des Obergeschosses hinter einer Verschalung
und werden nicht eigenständig wahrgenommen.
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Der Beschwerdeführer 1 kritisiert in erster Linie die Höhe der Gebäude. Dazu ist zunächst
festzustellen, dass sämtliche der geplanten Gebäude deutlich tiefer sind als die in den Sektoren 1 und 2 zulässigen Maximalhöhen von 20 m bzw. 30 m. Mit Ausnahme des mittleren Gebäudes (Produktion und Abfüllung) sind die geplanten Gebäude auch deutlich weniger hoch
als die von der OLK und dem Beschwerdeführer 1 als unproblematisch eingestuften 16 m.
Eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes einzig aufgrund der beiden mittleren Gebäude,
die etwas höher sind als 16 m, ist nicht gegeben und wird vom Beschwerdeführer 1 auch nicht
konkret geltend gemacht. Das Bauvolumen passt sich genügend in das Orts- und Landschaftsbild ein. Die Materialisierung, Farbgebung oder Fassadengestaltung der Gebäude wird
vom Beschwerdeführer zu Recht nicht beanstandet. Sie sind den Industriebauten, die auch
als solche wahrgenommen werden dürfen, angemessen. Die Dach- und Fassadengestaltung
ist genügend in die Umgebung eingepasst. Das Vorhaben hält im Übrigen die Gestaltungsvorschriften von Art. 7 ÜV ein (Flachdächer, Gestaltung der Gebäude nach einheitlichen Prinzipien mit differenzierten Fassaden je nach Nutzung, etc.), was vom Beschwerdeführer 1 nicht
bestritten wird. Auch der Forderung der OLK, Firmenanschriften seien unterhalb einer Höhe
von 16 Meter anzubringen, wird Rechnung getragen. Die vom Beschwerdeführer 1 speziell
erwähnten Kühler ragen nicht über das Betriebsgebäude hinaus und werden nicht eigenständig wahrgenommen. Sie vermögen daher weder gestalterisch noch aufgrund ihrer Ausdehnung das Landschaftsbild zu beeinträchtigen. Dies gilt auch für die rund 2.5 Meter hohe Umzäunung des Areals. Diese ist aus Sicherheitsgründen zwingend erforderlich und in einem
Industriegebiet nichts Aussergewöhnliches oder Auffälliges. Die Vorinstanz hat daher zu
Recht eine Beeinträchtigung des Orts- und Landschaftsbildes durch das Bauvorhaben verneint bzw. die Einhaltung der Gestaltungsvorschriften der KÜO bejaht.
6.
Gefahrengebiet
a)
Der Beschwerdeführer 1 wendet ein, die Hochwassergefahr im Perimeter der KÜO
CSL Lengnau sei nicht nur theoretisch, sondern real; erst vor einigen Wochen sei wieder eine
Hochwassersituation eingetreten, bei welcher der Grundwasserpegel 18 cm über den Grenzwert gestiegen sei (Höhe 430.44 m.ü.M.). Dass gemäss Art. 18 der ÜV alle Gebäudeöffnungen mindestens die Kote von 430.25 m.ü.M. aufweisen müssten, reiche demnach nicht aus.
Zudem halte ausgerechnet der Raum Nr. 17 (Abfallentsorgung) diese Schutzkote nicht ein.
Die Auflage, wonach für diesen Raum vor Rohbaubeginn der Nachweis über entsprechende
Hochwasserschutzmassnahmen zur Genehmigung einzureichen sei, ändere daran nichts;
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sämtliche baurechtlichen Vorgaben und Voraussetzungen müssten zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung geprüft und eingehalten sein. Zudem würden die Planungsbehörden
die Hochwassergefahr deutlich unterschätzen, seien doch Gebiete in der blauen Gefahrenzone, welche noch nicht überbaut sind, im Rahmen der Ortsplanung nur ausnahmsweise in der
Bauzone zu belassen. Dass in einer solchen Gefahrenzone ein Pharmakonzern angesiedelt
werden solle, sei schlicht unverantwortlich.
b)
Der Perimeter der KÜO CSL Lengnau liegt in der gelben und blauen Gefährdungszone
der Gefahrenkarte Lengnau. Die Gefährdung besteht aufgrund der Überflutung des Areals
durch die Leugene und den Moosbach. Gemäss dem Fachbericht Naturgefahren des Tiefbauamtes des Kantons Bern (TBA OIK III) vom 26. November 201454 drohen in den zwei gelben Sektoren Ü1 und Ü2 sowie einem blauen Sektor (Ü3) Überschwemmungen schwacher
Intensität bei sehr seltenen bzw. seltenen Ereignissen (die beiden gelben Sektoren) sowie bei
häufigen Ereignissen (blauer Sektor). In den zwei blauen Sektoren Ü5 und Ü6 drohen Überschwemmungen mittlerer Intensität bei seltenen bzw. häufigen Ereignissen.55 Gemäss den
Ausführungen im Fachbericht ist für die Beurteilung des Areals ein 300-jähriges Hochwasserereignis massgebend.
Gemäss Art. 18 der Überbauungsvorschriften (ÜV) müssen zum Schutz vor Hochwasser alle
Gebäudeöffnungen mindestens die Kote von 430.25 m.ü.M. aufweisen. Die Vorinstanz führt
im angefochtenen Entscheid aus (B.III.2.6), mit dieser Bestimmung könne verhindert werden,
dass im Falle eines 300-jährigen Hochwassers Wasser in das Gebäude eindringe. Alle geplanten Bauten, mit Ausnahme des Raums Nr. 17 hielten diese Schutzkote ein. Im Entscheid
werde daher verfügt, dass vor Beginn der Bauarbeiten am Raum Nr. 17 (Abfallentsorgung) im
Gebäude Logistik zu gewährleisten sei, dass die Schutzkote eingehalten werde oder aufzuzeigen sei, dass der Raum anderweitig vor dem Eindringen des Hochwassers geschützt werden könne (vgl. Entscheid, C, Bedingung 3.1.1).
c)
Bereits die Bestimmungen des GBR zur ZPP 5 Lengnaumoos, welche am 26. Mai
2011 durch die Gemeindeversammlung beschlossen wurden, enthielten die Vorgabe, dass
alle Gebäudeöffnungen zum Schutz vor Hochwasser mindestens die Kote von 430.2 m.ü.M.,
Räume mit empfindlicher Nutzung 430.25 m.ü.M. aufweisen müssen (Art. 313 Abs. 5 GBR).
Dies geschah gestützt auf das Gutachten „Überflutungshöhen Lengnaumoos“ von Hunziker,
54
55
Vorakten pag. 000297.
vgl. auch Gefahrenkarte, Vorakten pag. 000302.
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Zarn & Partner vom 31. Juli 2009.56 Bereits damals kamen die Behörden damit zum Ergebnis,
dass eine Überbauung des Gebiets trotz der Überschwemmungsgefahr unter Einhaltung der
erwähnten Schutzkote möglich ist. Diese Vorgabe wurde in den ÜV übernommen und es wurde sogar verlangt, dass sämtliche Gebäudeöffnungen mindestens die Kote von 430.25 m.ü.M.
aufweisen müssen. Mit der KÜO CSL Lengnau wurde die Fläche dieses Industriegebiets nicht
vergrössert. Ebenso hat sich an der Einschätzung des Gefahrengebiets nichts geändert, stellt
doch das TBA OIK III in seinem Fachbericht vom 26. November 2014 nach wie vor auf die
Gefahrenkarte der Gemeinde vom August 2009 ab; auch hat es die Mindestkote für Gebäudeöffnungen von 430.25 m.ü.M. nicht in Frage gestellt. Es bestand und besteht daher kein
Anlass, die Aussagen des damaligen Gutachtens und die grundsätzliche Bebaubarkeit des
Gebiets unter Einhaltung der verlangten Mindestkote für Gebäudeöffnungen von 430.25
m.ü.M. in Zweifel zu ziehen.
d)
Der pauschale Vorwurf des Beschwerdeführers 1, die Behörden hätten die Hochwas-
sergefahr unterschätzt, erweist sich als unbegründet. Mit Art. 18 ÜV wurden die Anforderungen für das Bauen im betroffenen Gefahrengebiet definiert. Diese Anforderungen wurden
durch die zuständige Fachstelle nicht nur im Rahmen der KÜO CSL Lengnau überprüft und
ohne Vorbehalte akzeptiert (erwähnter Fachbericht Naturgefahr zur KÜO vom 26. November
2014), sondern auch im Rahmen des Baugesuchs der Beschwerdegegnerin 1 (Fachbericht
Naturgefahr zum Neubau einer Produktionsanlage vom 26. November 201457; Fachbericht
Naturgefahr zu Tiefbauarbeiten A.________ vom 29. Januar 201558). Für die Tankanlage,
welche gemäss den Ausführungen der Fachbehörde mangels Planunterlagen nicht beurteilt
werden konnte, wurde ein Detailplan nachgereicht59, woraus sich ergibt, dass die massgebende Schutzkote für die Tankanlage eingehalten wird und als zusätzliche Sicherheit eine Mauer
bis zu einer Höhenkote von 431.60 m.ü.M. erstellt werden soll. Wie die Vorinstanz im Entscheid richtig festhält (B.III.2.6), genügt damit auch die Tankfarm den zum Schutz vor Naturgefahren erforderlichen vorsorglichen Massnahmen.
e)
Der einzige Raum, welcher gemäss den Plänen die geforderte Schutzkote von 430.25
m.ü.M. nicht einhält, ist unbestrittenermassen der Raum Nr. 17 (Abfallentsorgung) im Lagergebäude. Diesbezüglich enthält der vorinstanzliche Entscheid jedoch folgende Bedingung
(3.1.1): „Der Hochwasserschutz für den Raum Nr. 17 (Abfallentsorgung) im Gebäude Logistik
56
vgl. Erläuterungsbericht KÜO CSL Lengnau zu Art. 18.
Vorakten pag. 000206.
58
Vorakten pag. 000192.
59
Plan Nr. AX010 „Tankfarm“ vom 13. April 2015, mit Stempel JGK vom 30. April 2015, Vorakten pag. 000635.
57
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hat durch feste bauliche Massnahmen zu erfolgen oder die Öffnungen zum Raum sind über
die Schutzkote von 430.15 m.ü.M. anzuheben. Der Gesuchsteller hat der Leitbehörde vor
Rohbaubeginn zuhanden des TBA OIK III den Nachweis über die Objektschutzmassnahmen
zur Genehmigung einzureichen.“
Zwar kann bei einem Bauvorhaben, welches den gesetzlichen Anforderungen klar nicht entspricht, der Mangel nicht mit Bedingungen oder Auflagen geheilt werden. Diese Regel ist jedoch nicht absolut zu verstehen. Denkbar ist, dass bei der Ausführung des Bauvorhabens
eine geringfügige, eindeutig bestimmbare Änderung oder Ergänzung vorgenommen wird. Bedingungen und Auflagen sind in solchen Fällen das Mittel dazu, die gesetzwidrigen Auswirkungen zu verhindern. Insoweit sind sie gegenüber der Alternative des Bauabschlags das
mildere Mittel.60
Vorliegend handelt es sich um eine geringfügige, eindeutig bestimmbare Änderung, wird doch
bezüglich eines einzigen Raumes des ganzen Bauvorhabens eine Anhebung der Raumöffnungen auf die Höhe der Schutzkote oder ein Hochwasserschutz durch bauliche Massnahmen verlangt. Die Aufnahme dieser Bedingung war damit, entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers 1, zulässig. Die Anforderungen an den Hochwasserschutz sind damit auch
hinsichtlich dieses Raumes erfüllt.
f)
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers 1, Gebiete der blauen Gefahrenzone seien
im Rahmen der Ortsplanung nur ausnahmsweise in der Bauzone zu belassen, ist entgegenzuhalten, dass das Bauen im blauen Gefahrengebiet nicht verboten ist. So dürfen gemäss
Art. 6 Abs. 2 BauG in Gefahrengebieten mit mittlerer Gefährdung (blaue Gefahrengebiete)
Bauten und Anlagen bewilligt werden, wenn mit Massnahmen zur Gefahrenbehebung sichergestellt ist, dass Menschen, Tiere und erhebliche Sachwerte nicht gefährdet sind. Diese Voraussetzung ist nach dem Gesagten erfüllt.
Schliesslich bleibt festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer 1 in seinen Eingaben widersprüchlich verhält. So hielt er im Rahmen der Schlussbemerkungen61 im vorinstanzlichen Verfahren noch fest, aus den ihm zur Einsicht gewährten Unterlagen sei ersichtlich, dass bereits
im Rahmen der Ortsplanungsrevision 2011 überprüft worden sei, ob die Bauzone im Gefahrengebiet Lengnaumoos bestehen bleiben dürfe. Das damalige Gutachten habe die Möglich-
60
61
Zaugg/ Ludwig, Band I, a.a.O., Art. 38-39 N. 15a.
Vorakten pag. 000472.
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keit der Überbauung des Gebiets unter Einhaltung der Schutzkote von 430.25 m.ü.M. bestätigt. Es sei demnach einzusehen, dass sich die Baugesuchstellerin mit den aufgelegten Bauplänen an die vorgegebenen Minimalkoten halte und damit kein unzulässiges Bauen im mittleren Gefahrengebiet vorliege. Dass die Eingabe von seinem damaligen Rechtsvertreter verfasst wurde, ändert daran nichts, hat sich der Beschwerdeführer 1 doch dessen Ausführungen
vollumfänglich anrechnen zu lassen. Wieso die diesbezüglichen Rügen danach doch wieder
vorgebracht wurden, ist nicht nachvollziehbar.
g)
Insgesamt erfüllt das Vorhaben die Voraussetzungen des Bauens im geringen und
mittleren Gefahrengebiet. Der Vorwurf, die Behörden hätten den Aspekt der Hochwassergefahr unterschätzt bzw. ungenügend abgeklärt, erweist sich als unbegründet. Die Beschwerde
des Beschwerdeführers 1 ist in diesem Punkt abzuweisen.
7.
Baugrund und Grundwasser
a)
Der Beschwerdeführer 1 bringt vor, der Bau eines Vorhabens dieser Dimension, wel-
che mit chemischen Substanzen arbeite, könne bei diesen schlechten Bodenverhältnissen
nicht verantwortet werden. Der Grundwasserverlauf führe zu permanenten Bewegungen im
Untergrund, was grosse Auswirkungen auf die Statik habe. Durch die Überflutungsgefahr
werde diese Problematik verschärft. Auch der Bericht über die Baugrund- und Grundwasserverhältnisse der CSD Ingenieure vom 3. September 2014 attestiere dem Boden eine ausserordentlich schlechte Substanz. Der pauschale Verweis der Vorinstanz auf die primäre Verantwortlichkeit der Bauherrschaft ändere daran nichts.
b)
Die Vorinstanz führt im angefochtenen Entscheid aus (B.III.2.3 sowie B.IV.2.7.7 und
4.5.4), auch wenn der Baugrund nicht einfach überbaut werden könne, bedeute dies nicht,
dass eine Überbauung unmöglich sei. Bereits im Zusammenhang mit der Einzonung der
Grundstücke seien diese als bebaubar beurteilt worden. Auch der vom Beschwerdeführer 1
erwähnte Bodenbericht der CSD Ingenieure ziehe nicht den Schluss, dass das Lengnaumoos
unüberbaubar sei. Die Bauherrschaft sehe mit den vorgesehenen Pfählungen die nötigen
Vorkehren vor. Die zuständigen Behörden seien aufgrund der Baueingaben zum Schluss gekommen, dass die nun zu bewilligenden Bauten und Anlagen nach dem Stand der Baukunde
derart erstellt werden könnten, dass weder aus dem Bauvorgang noch aus dem Bestand oder
Betrieb Personen und Sachen gefährdet würden. Überdies liege nach schweizerischem Recht
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die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Regeln der Baukunde in erster Linie bei der Bauherrschaft.
c)
Grundsätzlich sind nach Art. 21 Abs. 1 BauG Bauten und Anlagen so zu erstellen, zu
betreiben und zu unterhalten, dass weder Personen noch Sachen gefährdet werden. Personen und Sachen dürfen nach Art. 57 Abs. 1 BauV weder durch den Bauvorgang noch durch
den Bestand oder Betrieb von Bauten und Anlagen gefährdet werden. Diese Bestimmung
verweist zudem auf die einschlägigen Normen der Fachverbände.
d)
Das geplante Bauvorhaben befindet sich im Gewässerschutzbereich B, in welchem
Bauten unter dem Grundwasserspiegel bei Vorliegen einer Gewässerschutzbewilligung nach
Art. 11 KGSchG62 i.V.m. Art. 26 Abs. 2 Bst. g KGV63 zulässig sind. Diese wurde mit dem angefochtenen Entscheid auf Grundlage des Amtsberichts des Amts für Wasser und Abfall (AWA)
vom 26. November 201464 unter Auflagen erteilt.
e)
Es ist unbestritten, dass der Untergrund des Perimeters der KÜO CSL Lengnau nur
schwach belastbar und entsprechend nicht einfach überbaut werden kann. Auf diese Problematik wurde auch im Erläuterungsbericht zur KÜO hingewiesen (Ziff. 3.6.2). Ebenso lässt sich
dies dem von CSD Ingenieure AG im Auftrag des Beschwerdegegners 1 erarbeiteten Bericht
über die Baugrund- und Grundwasserverhältnisse vom 3. September 2014 entnehmen (vgl.
insbesondere Ziff. 2.4 Baugrundbeschreibung und Ziff. 2.5 Baugrundeigenschaften). Ohne
spezielle bauliche Massnahmen ist daher mit erheblichen Setzungen zu rechnen.65 Um dies
zu vermeiden, sieht das Bauvorhaben eine Pfählung des Untergrundes vor66, wie dies auch im
erwähnten Bericht über die Baugrund- und Grundwasserverhältnisse empfohlen wird
(Ziff. 6.3). Art. 22 ÜV verlangt für Bauarbeiten mit einer bearbeiteten Bodenfläche ab 5'000 m2
zudem den Beizug einer bodenkundliche Baubegleitung (BBB). Die Beschwerdegegnerin 1
liess schliesslich ein Bodenschutzkonzept erstellen.67 Das AWA führte in seinem Amtsbericht
u.a. aus, aus Sicht des Grundwasserschutzes bestünden gegen die geplante KÜO CSL
Lengnau und die beiden geplanten Bauvorhaben für den Neubau einer Produktionsanlage
und die Detailerschliessung grundsätzlich keine Einwände oder Genehmigungsvorbehalte.
62
Kantonales Gewässerschutzgesetz vom 11. November 1996 (KGSchG; BSG 821.0).
Kantonale Gewässerschutzverordnung vom 24. März 1999 (KGV; BSG 821.1).
64
Vorakten pag. 000140.
65
Erläuterungsbericht zur KÜO CSL Lengnau, S. 28 oben.
66
Vgl. Situationsplan Übersicht Bauablauf (Pfählungen) vom 29. Oktober 2014, mit Stempel JGK vom 30. April 2015 (Vorakten
pag. 000619).
67
Bodenschutzkonzept der CSD Ingenieure vom 23. Oktober 2014, Vorakten pag. 000078.
63
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Aus Sicht des Bodenschutzes stellte das AWA fest, das Bodenschutzkonzept der CSD AG
vom 23. Oktober 2014 sei vollständig und korrekt. Die Fachbehörde stimmte dem Vorhaben
aus Sicht des Grundwasser- und Bodenschutzes unter Auflagen zu.
f)
Der Beschwerdeführer 1 rügt pauschal, der Bau eines Vorhabens dieser Dimension
könne bei diesen schlechten Bodenverhältnissen nicht verantwortet werden. Er bringt jedoch
nicht konkret vor, wieso das Bauvorhaben mit den vorgesehenen Massnahmen auf diesem
Boden nicht verantwortet werden könnte. Die Baugrundverhältnisse und die Bebaubarkeit
wurden durch die Spezialisten (CSD Ingenieure AG) umfassend abgeklärt und von der Fachbehörde überprüft. Mit der vorgesehenen Pfählungen wird die Bebaubarkeit des Geländes –
auch mit einem Vorhaben der vorliegenden Dimension – von den Fachleuten nicht in Frage
gestellt. Der Regierungsrat sieht keinen Grund, von diesen Einschätzungen abzuweichen.
g)
Zudem ist Folgendes zu beachten: Die Bauherrschaft ist nach Art. 57 Abs. 1 BauV
verpflichtet, bei der Erstellung von Bauten und Anlagen die anerkannten Regeln der Baukunde einzuhalten, mehr wird mit wenigen Ausnahmen im Baurecht nicht verlangt. Ob später in
allen Punkten nach den Regeln der Baukunde gebaut wird, kann wegen der Vielfältigkeit der
sicherheitstechnischen Fragen im Laufe der Bauausführung nicht Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens bilden, das vorgängig durchgeführt wird. Das Projektierungsverfahren ist im
Zeitpunkt der Baueingabe noch nicht derart weit fortgeschritten, dass alle Details der Bauausführung bereits bekannt sind. Es wäre wegen des damit verbundenen Aufwandes auch nicht
verhältnismässig, wenn alle sich aus den Regeln der Baukunde ergebenden Detailfragen von
der Bauherrschaft bereits im Baubewilligungsverfahren geklärt und die Lösungen dafür beigelegt werden müssten, wenn noch gar nicht klar ist, ob überhaupt gebaut werden darf. Das
Baurecht beschränkt sich deshalb darauf, die Bauherrschaft auf die geltenden Regeln der
Baukunde zu verweisen. Das gilt auch im vorliegenden Fall. Die Beschwerdegegnerin 1 hat
die sich nach den Umständen aufdrängenden Sicherheitsvorkehren als unmittelbar anwendbare Verhaltensvorschriften ohne weiteres zu beachten. Die aktuelle Bautechnik gestattet
zudem selbst bei schwierigem Bauuntergrund einwandfreie Lösungen.
h)
Insgesamt erweist sich das Vorhaben mit den vorgesehenen Massnahmen sowie den
Auflagen der kantonalen Fachstelle aus Sicht des Grundwasser- und Bodenschutzes als bewilligungsfähig. Die Abklärungen zu den Bodenverhältnissen sind ausreichend und die Einschätzung der Fachbehörde plausibel. Unter diesen Umständen kann auf das Einholen eines
unabhängigen geologischen Gutachtens zum Baugrund im Lengnaumoos, wie dies der Be-
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schwerdeführer 1 beantragt, verzichtet werden. Die Vorbringen des Beschwerdeführers 1 erweisen sich auch in diesem Punkt als unbegründet.
8.
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)
a)
Der Beschwerdeführer 1 bringt vor, die Erklärung des Vorhabens als nicht UVP-
pflichtig stütze sich einzig auf geschätzte und teilweise bloss mündlich erteilte Angaben der
Beschwerdegegnerin 1. Die Verneinung der UVP-Pflicht sei jedoch alles andere als offensichtlich und die Angaben der Beschwerdegegnerin seien aufgrund deren Eigeninteresses mit
Vorsicht zu geniessen. Diese Frage sei von Amtes wegen erneut zu überprüfen.
b)
Diesen Einwand brachte der Beschwerdeführer 1 in seiner Einsprache vom 6. Februar
2015 nicht vor. Die UVP ist jedoch im Bundesrecht geregelt (Art. 10a ff. USG68, UVPV69). Die
Rügebeschränkung nach Art. 102 Abs. 4 und Art. 40 Abs. 2 BauG greift daher nicht; die Rüge
kann im Beschwerdeverfahren noch vorgebracht werden (vgl. E. 3d).
c)
An die Begründung werden praxisgemäss keine hohen Anforderungen gestellt. Es
genügt aber nicht, bloss zu behaupten, der angefochtene Entscheid sei falsch. Die Begründung muss sich wenigstens in minimaler Form mit dem angefochtenen Entscheid auseinandersetzen und sinngemäss darauf schliessen lassen, welche Rechtsnormen oder Grundsätze
der Ermessensausübung nach Auffassung des Beschwerdeführers verletzt oder inwiefern
Sachverhaltselemente unrichtig oder unvollständig festgestellt worden sind.70
Diese Voraussetzungen erfüllt der Beschwerdeführer 1 hinsichtlich seiner Rügen zur UVP
nicht. Er wendet lediglich in pauschaler Weise ein, die Verneinung der UVP-Pflicht sei alles
andere als offensichtlich. Wieso aber die Voraussetzungen einer UVP-Pflicht vorliegend erfüllt
sein sollen, begründet er nicht. Damit verletzt er die Vorgaben von Art. 32 Abs. 2 VRPG, weshalb auf diese Rügen nicht einzutreten ist.
d)
Selbst wenn auf die Vorbringen einzugehen ist, sind diese als unbegründet abzuwei-
sen. So kann der Vorinstanz bzw. dem Amt für Umweltkoordination und Energie (AUE) als
68
69
70
Bundesgesetz vom 7. Oktober 1983 über den Umweltschutz (Umweltschutzgesetz, USG; SR 814.01).
Verordnung des Bundesrates vom 19. Oktober 1988 über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPV; SR 814.011).
Merkli/Aeschlimann/Herzog, a.a.O., Art. 32 N. 15.
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Fachstelle kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie bei der Prüfung, ob die Anlage die Kriterien gewisser Anlagetypen nach Anhang UVPV erfüllt, teilweise auf die Angaben der Beschwerdegegnerin 1 als Baugesuchstellerin abgestellt haben. Da die Behörden bei dieser
Prüfung auf die Mengen- oder Flächenangaben des Baugesuchsteller / der Baugesuchstellerin angewiesen sind, ist dieses Vorgehen nicht unüblich. Vorliegend lässt sich dem MailVerkehr zwischen der zuständigen Sachbearbeiterin des AWA und dem Vertreter der Beschwerdegegnerin 1 (Vorakten pag. 000113) entnehmen, dass die Fachbehörde die vorliegend zur Diskussion stehenden Anlagetypen gemäss Anhang UVPV gestützt auf die Angaben
der Beschwerdegegnerin 1 als nicht erfüllt erachtet. So sei aufgrund der eingereichten Pläne
nachvollziehbar, dass die für die Synthese der chemischen Produkte notwendige Betriebsfläche weniger als 5'000 m2 umfasst; auch sei die Mengenschwelle von 1'000 t pro Jahr nicht
überschritten, so dass die Anlage die Kriterien des Anlagetyps 70.5 nicht erfülle. Weiter werde
auch der für den Anlagetyp 70.5a massgebliche Schwellenwert einer Produktionskapazität
von 100 t pro Jahr zur Synthese von Arzneimittelstoffen nicht überschritten und es würden
keine Tätigkeiten der Klasse 3 oder 4 gemäss Einschliessungsverordnung durchgeführt (Anlagetyp 80.8, seit 1. Juni 2015 aufgehoben). Auch seien deutlich weniger als 500 Parkplätze
(Anlagetyp 11.4) vorgesehen. Vom Beschwerdeführer 1 wird nicht näher begründet, wieso
diese Angaben nicht stimmen sollten. Die Fachbehörde erachtete die Angaben als plausibel.
Entsprechend stellte sie bei der Leitbehörde den Antrag, das Vorhaben als nicht UVP-pflichtig
zu erklären. Der Regierungsrat sieht keinen Anlass, von dieser nachvollziehbaren Einschätzung der Fachbehörde abzuweichen.
9.
Verlegung Sicherheitszaun
a)
Im Verlaufe des vorinstanzlichen Verfahrens wurde die KÜO CSL Lengnau in gewis-
sen Punkten abgeändert. Diese Änderungen wurden dem Beschwerdeführer 1 mit Verfügung
vom 14. April 2015 mitgeteilt, mit der Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Eine Änderung
betraf die Lage des Sicherheitszauns im Überbauungsplan. Hierzu wurde in der Verfügung
Folgendes festgehalten: „Die Umzäunung des Betriebsareals wird ab Gewerbestrasse bis
zum Sektor 4, abgestimmt auf die südliche Erschliessungsstrasse, auf die Ostseite der Notzufahrt gelegt. Damit liegt die Notzufahrt innerhalb des umzäunten Betriebsareals. Die Zugänglichkeit für den Notfall wird durch die Firma A.________ sichergestellt. Der Zugang zum Gewässerunterhalt bleibt gewährleistet. Dadurch sollen die Renaturierungsmöglichkeiten des
Moosbachs verbessert werden. Eine Fusswegverbindung längs dem Moosbach wird im Rah-
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men eines separaten Renaturierungsprojekts geplant und vorgesehen, wobei dieser ab Gewerbestrasse auf der Westseite des Moosbachs bis maximal südliche Ecke der Parzelle
Nr. 2222 geführt werden kann und an dieser Stelle auf die Ostseite des Moosbachs gewechselt werden soll.“
b)
Der Beschwerdeführer 1 rügt, der neu vorgesehene Verlauf des Sicherheitszauns ma-
che aus sicherheitstechnischer Sicht keinen Sinn. So solle sich dieser neu just am Strassenrand einer notorisch unfallträchtigen Verkehrsstelle befinden. Sodann sei nicht sinnvoll, dass
die Notzufahrt neu innerhalb des umzäunten Betriebsareals zu liegen komme. Ebenso sei die
neue Lösung mit dem zwischen dem Moosbach und dem Sicherheitszaun eingepferchten
Fussweg weder optisch schön noch brauchbar. Die Notzufahrt bringe eine Vernichtung der
gesamten Renaturierung des Moosbachs mit sich; der Gewässerraum sei um die Breite einer
Notzufahrt zu verbreitern und der Sicherheitszaun sei auf den Grenzabstand zurückzuversetzen. Abgesehen davon sei zu befürchten, dass durch die zu setzenden Fundamente für den
Sicherheitszaun der Lebensraum für die dort lebenden Biber zerstört werde, so wie auch der
heutige Tierkorridor durch den Zaun zerstört werde.
c)
Die Verlegung des Sicherheitszauns betrifft lediglich einen Teilbereich auf der Ostseite
des Überbauungsperimeters, wobei sich der Zaun in diesem Bereich neu etwa drei Meter östlicher befindet als vorher. Das Grundstück des Beschwerdeführers 1 befindet sich nördlich
des Perimeters der KÜO CSL Lengnau und in einer Distanz von rund 350 m zum Beginn des
verlegten Zauns im Bereich der Gewerbestrasse. Die marginale Verschiebung ist vom Standort des Beschwerdeführers 1 nicht erkennbar. Aus einer allfälligen Verhinderung dieser Verschiebung zieht er keinen Nutzen. Seine Vorbringen betreffen denn auch einzig allgemeine
öffentliche Interessen (Sicherheit, ökologische Bedenken). Ebenso wenig kann er mit diesen
Vorbringen erreichen, dass das Bauvorhaben nicht verwirklicht würde. Es fehlt ihm daher ein
praktischer Nutzen. Das eigene schutzwürdige Interesse
an diesen Rügen im Sinn von
Art. 35c Abs. 1 BauG ist deshalb zu verneinen (vgl. E. 3d).
d)
Selbst wenn auf die Einwände zum Sicherheitszaun einzutreten wäre, erweisen sich
diese als unbegründet:
Der Einwand, der Zaun befinde sich neu just am Strassenrand einer notorisch unfallträchtigen
Verkehrsstelle, ist nicht nachvollziehbar. Vorab lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen,
welche Verkehrsstelle der Beschwerdeführer 1 genau meint. Aufgrund der Ausführungen in
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seiner persönlichen Stellungnahme vom 24. April 201571 ist anzunehmen, dass die Kreuzung
Industriestrasse/Bürenstrasse in der südöstlichen Ecke des Planungsperimeters gemeint ist.
In diesem Bereich hat sich die Lage des Sicherheitszauns mit der Änderung des Überbauungsplans aber nicht geändert. Zudem grenzt der Zaun – entgegen den Aussagen des Beschwerdeführers 1 in seiner persönlichen Eingabe vom 24. April 2015 und der Beschwerde
vom 1. Juni 2015 – weder im Bereich dieser Kreuzung noch entlang der Industriestrasse direkt an den Strassenraum (siehe genehmigter Überbauungsplan).
Aus den Sicherheitsbedenken des Beschwerdeführers 1 aufgrund der Tatsache, dass sich die
Notzufahrt neu teilweise innerhalb des Sicherheitszauns befindet, lässt sich ebenfalls nichts
zu seinen Gunsten ableiten. So hat die Beschwerdegegnerin 1 jederzeit für die Zugänglichkeit
des Geländes durch die Notfalldienste zu sorgen (vgl. die Auflage im Entscheid, C.4.18.16.b,
S. 71 oben betreffend der Feuerwehr). Abgesehen davon bestand für die Notfalldienste schon
vor der Änderung des Überbauungsplans keine Möglichkeit, auf das Gelände zu kommen,
ohne den Sicherheitszaun an irgendeiner Stelle passieren zu müssen.
Die von der Vorinstanz in der Verfügung vom 14. April 2015 erwähnte und vom Beschwerdeführer kritisierte Fusswegverbindung längs dem Moosbach ist weder Teil der KÜO CSL Lengnau noch der vorliegend umstrittenen Baugesuche. Vielmehr soll diese im Rahmen eines separaten Renaturierungsprojekts entstehen. Auf die diesbezüglichen Rügen des Beschwerdeführers 1 ist daher auch aus diesem Grund nicht einzutreten.
Die übrigen Rügen des Beschwerdeführers 1 im Zusammenhang mit der Verlegung des Sicherheitszauns bleiben vage und unklar. Sie genügen den Anforderungen an eine genügende
Begründung im Sinne von Art. 32 Abs. 2 VRPG nicht (vgl. E. 8c). Zudem haben diese Einwände grösstenteils nichts mit der eigentlichen Verlegung des Sicherheitszauns und damit der
Änderung des Überbauungsplans zu tun (etwa die Rügen zur Vernichtung der Renaturierung
des Moosbachs durch die Notzufahrt und zur Zerstörung des Lebensraums des Bibers und
des Tierkorridors durch den Zaun), so dass der Beschwerdeführer 1 diese bereits in seiner
Einsprache hätte vorbringen müssen. Auf diese Vorbringen kann daher auch aus diesem
Grund nicht eingetreten werden. Auch inhaltlich stossen die Rügen ins Leere. So wird der
geforderte Abstand zur Parzellengrenze gemäss GBR eingehalten (Anhang A151 GBR mit
Verweis auf Art. 79k EG ZGB72). Dass der Gewässerraum des Moosbachs tangiert würde
71
72
Vorakten pag. 000479.
Gesetz vom 28. Mai 1911 betreffend die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (EG ZGB; BSG 211.1).
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bzw. der Abstand diesbezüglich nicht eingehalten wäre, ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer 1 auch nicht näher dargelegt. Wieso die Notzufahrt weiter eine Vernichtung
der gesamten Renaturierung des Moosbachs mit sich bringen soll, wird vom Beschwerdeführer 1 ebenfalls nicht näher erläutert und ist nicht nachvollziehbar.
10.
Energie
a)
Der Beschwerdeführer 1 bemängelt die fehlenden Unterlagen zum Thema Energie.
Die Absprache, wonach diese nicht zusammen mit dem Baugesuch, sondern erst später eingereicht werden müssten, sei nach Art. 2 Abs. 1 BauG nicht zulässig.
b)
Diese Rüge bringt der Beschwerdeführer 1 in der Beschwerde vom 1. Juni 2015 erst-
mals vor. Weder in der Einsprache vom 6. Februar 2015 noch in den weiteren Eingaben im
vorinstanzlichen Verfahren wird diese Thematik angesprochen. Die Einwände des Beschwerdeführers 1 betreffen die Unvollständigkeit des Baugesuchs hinsichtlich der energietechnischen Angaben. Die Anforderungen an Form und Inhalt des Baugesuchs sind in den Art. 10 ff.
BewD73 und damit im kantonalen Recht geregelt. Die Grundsätze und Minimalanforderungen
an die Energienutzung von Bauten und Anlagen sind in der kantonalen Energiegesetzgebung
verankert (Art. 34 ff. KenG74, Art. 14 ff KenV75). Art. 9 des Energiegesetzes des Bundes
(EnG76) hält ausdrücklich fest, dass im Gebäudebereich die Kantone für den Erlass von Vorschriften im Zusammenhang mit der sparsamen und rationellen Energienutzung in Neubauten
und bestehenden Gebäuden sowie von Vorschriften über die Angabe des Energieverbrauchs
von Gebäuden (Gebäudeenergieausweis) zuständig sind. Der Beschwerdeführer 1 rügt damit
keine Verletzung von Bundesrecht, weshalb diese Vorbringen gestützt auf Art. 102 Abs. 4 und
Art. 40 Abs. 2 BauG verspätet sind (vgl. E. 3d). Darauf ist nicht einzutreten.
11.
Entwässerung / Versickerung
a)
Der Beschwerdeführer 1 rügt weiter, auch das Formular 3.0 „Entwässerung von
Grundstücken“ sei nicht zusammen mit dem Baugesuch eingereicht worden. Soweit ersicht73
Dekret vom 22. März 1994 über das Baubewilligungsverfahren (Baubewilligungsdekret, BewD; BSG 725.1).
Kantonales Energiegesetz vom 15. Mai 2011 (KEnG; BSG 741.1).
75
Kantonale Energieverordnung vom 26. Oktober 2011 (KEnV; BSG 741.111).
76
Energiegesetz des Bundes vom 26. Juni 1998 (EnG; SR 730.0).
74
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lich sei dies bis heute nicht nachgeholt worden. Bei dieser Sachlage könne von der Vorinstanz
als Baubewilligungsbehörde gar nicht überprüft werden, ob ein genehmigungsfähiges Entwässerungskonzept vorliege und sämtliche baurechtlichen Vorgaben eingehalten seien. Die
Entwässerung sei ein zentrales Thema, da aufgrund des bereits mehr als gesättigten Bodens
kein Oberflächenwasser versickern könne. Trotzdem sei die Thematik ungenügend abgeklärt
worden. Es scheine so, dass man die Frage der Entwässerung des Areals willkürlich und in
rechtswidriger Weise aufschieben wolle. Die Retentionsbecken seien viel zu klein konzipiert
und ein Überlauf in die Leugene oder den Moosbach werde gerade bei Hochwassersituationen schwierig. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass die Anschlussleitungen in Lengnau
ungenügende Querschnitte aufwiesen und/oder der Drucksituation von den zu erwartenden
Abwassermengen nicht standhalten könnten.
b)
Diese Einwände zur Entwässerung brachte der Beschwerdeführer 1 in seiner Einspra-
che vom 6. Februar 2015 noch nicht vor. Das Thema Entwässerung betrifft jedoch den
Grundwasserschutz, welcher bundesrechtlich geregelt ist. Die Rügebeschränkung nach
Art. 102 Abs. 4 und Art. 40 Abs. 2 BauG greift daher nicht; die Rügen können im Beschwerdeverfahren noch vorgebracht werden (vgl. E. 3d).
c)
Vorab ist festzuhalten, dass die Beschwerdegegnerin 1 das Baugesuchsformular 3.0
„Entwässerung von Grundstücken“ im vorinstanzlichen Verfahren eingereicht hat, wie sich
dies aus dem Vorprüfungsbericht der Vorinstanz vom 22. Dezember 2014 ergibt.77 Der diesbezügliche Vorwurf des Beschwerdeführers 1 stösst damit ins Leere.
d)
Die Rüge, wonach die Frage der Entwässerung ungenügend abgeklärt worden sei,
wird vom Beschwerdeführer 1 nicht näher begründet. Eine mangelhafte Abklärung ist auch
nicht erkennbar. Die Thematik der Grundstücksentwässerung wurde von den zuständigen
Behörden überprüft. Sowohl die Gemeinde in ihrem Amtsbericht vom 3. März 201578 als auch
das AWA im Fachbericht vom 26. November 201479 sind mit der vorgesehenen Liegenschaftsentwässerung unter Auflagen einverstanden. Die Gemeinde bezieht sich u.a. auf einen
Mitbericht Siedlungsentwässerung von BSB + Partner, Ingenieure und Plane AG vom 28. Januar 2015, im welchem vorgeschlagen wird, das Entwässerungskonzept mit gewissen Auflagen zu bewilligen. Die vorgeschlagenen Auflagen dieses Ingenieurbüros sowie die von der
Gemeinde und dem AWA verlangten Auflagen wurden in den vorinstanzlichen Entscheid auf77
Vorakten pag. 000095.
Vorakten pag. 000232.
79
Vorakten pag. 000140.
78
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genommen. Der Regierungsrat sieht keinen Anlass, die Einschätzung der Fachbehörden anzuzweifeln. Die nicht näher begründeten Befürchtungen des Beschwerdeführers 1 zur Grösse
der geplanten Retentionsbecken und zur Aufnahmekapazität der Anschlussleitungen vermögen die Erkenntnisse der Fachleute nicht in Frage zu stellen.
12.
Einseitige Interessenabwägung, ungenügende Sachverhaltsabklärungen
a)
Der Beschwerdeführer 1 kritisiert schliesslich, die im öffentlichen Recht stets vorzu-
nehmende Interessenabwägung sei höchst einseitig unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftsförderung erfolgt. Es könne nicht sein, ein Vorhaben unter diesem Titel im Schnellzugtempo
bewilligt werde, ohne die diesbezüglich von verschiedenster Seite vorgetragenen Vorbehalte
ausreichend zu würdigen. Die Priorisierung des Verfahrens gestützt auf Art. 2a Abs. 2 KoG
bedeute nicht, dass damit geltendes Recht derogiert würde. Man könne sich des Eindrucks
nicht erwehren, dass im vorliegenden Verfahren einzig ergebnisorientiert vorgegangen worden sei. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus den öffentlichen Verlautbarungen der bernischen
Behörden. Insbesondere in den Bereichen Architektur, Bauplanung, Hydraulik und Brandschutz sowie Konstruktion bestehe noch grundlegender Abklärungsbedarf, der erst „in der
Feinplanung überprüft“ werden solle, wie sich dies aus dem Dokument „offene Fragen zum
Projekt“ im Bericht über die Entwurfsplanung vom 31. Oktober 201480 ergebe. Auch in diversen Amtsberichten würden fehlende oder nicht nachvollziehbare Angaben bemängelt. Im Mitbericht zur Siedlungsentwässerung werde zum Beispiel festgehalten, dass sowohl das Entwässerungskonzept Schmutzabwasser als auch jenes für das Reinabwasser nicht oder nur
teilweise den Vorgaben der SN 592 000 entspreche und überdies die Unterlagen nicht vollständig seien. Auch der Fachbericht Störfallvorsorge halte fest, dass gewisse Stellungnahmen
zu Punkten im Mitwirkungsbericht nicht nachvollziehbar seien und noch nicht alle Unterlagen
eingegangen seien. Diese Beispiele würden nur eine Auswahl darstellen; die Auswahl könnte
noch um zahlreiche Beispiele ergänzt werden. Die Vorinstanz habe das vorliegende Geschäft
offensichtlich nicht mit der notwendigen Unabhängigkeit und Objektivität behandelt und beurteilt.
b)
Indem der Regierungsrat das Verfahren als prioritär erklärt hat, gab er zu erkennen,
dass dessen Gegenstand im übergeordneten Interesse des Kantons, insbesondere im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung liegt (vgl. Art. 2a KoG). Der Beschwerdeführer 1 leitet
80
Vorakten pag. 000080.
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daraus ab, der massgebliche Sachverhalt sei ungenügend abgeklärt worden und die Vorinstanz habe das Geschäft nicht mit der notwendigen Objektivität beurteilt. Diesem Schluss
kann nicht gefolgt werden. So wurden in sämtlichen Fachbereichen die notwendigen Fachund Amtsberichte eingeholt. Inwiefern diese von der Vorinstanz nicht ausreichend gewürdigt
worden sind, vermag der Beschwerdeführer 1 nicht näher zu begründen und ist auch nicht
erkennbar. Auf diese pauschale Kritik kann daher mangels genügender Begründung nicht
eingetreten werden (Art. 32 Abs. 2 VRPG). Wo der Beschwerdeführer 1 etwas Konkretes vorbringt, erweisen sich seine Einwände zudem als unzutreffend. So bringt der erwähnte, von der
Gemeinde eingeholte Mitbericht zur Siedlungsentwässerung die vom Beschwerdeführer 1
angesprochenen Bedenken in den Erwägungen zwar an, kommt aber – wie bereits ausgeführt
(vgl. E. 11d) – zum Schluss, dass das Entwässerungskonzept mit Auflagen, welche vor Baubeginn erfüllt sein müssen, bewilligt werden kann. Der Fachbericht Störfallvorsorge des kantonalen Laboratoriums kritisiert zwar gewisse Ausführungen im Mitwirkungsbericht. Der Mitwirkungsbericht ist jedoch nicht entscheidrelevant, die diesbezüglichen Vorbringen sind damit
vorliegend unbedeutend. Entscheidend ist, dass auch im Bereich der Störfallvorsorge die
notwendigen Abklärungen getroffen wurden und die dafür zuständigen Fachbehörden grünes
Licht geben (vgl. E. 2e). Schliesslich ist erneut darauf hinzuweisen, dass das Projektierungsverfahren im Zeitpunkt der Baueingabe noch nicht derart weit fortgeschritten ist, dass alle Details der Bauausführung bereits bekannt sind. Es wäre wegen des damit verbundenen Aufwandes auch nicht verhältnismässig, wenn alle Detailfragen von der Bauherrschaft bereits im
Baubewilligungsverfahren geklärt und die Lösungen dafür beigelegt werden müssten. Insofern
ist es nachvollziehbar und zulässig, dass gewisse Detailfragen erst im Rahmen der Feinplanung geklärt werden können. Aus dem blossen Verweis auf das Dokument „offene Fragen
zum Projekt“ im Bericht über die Entwurfsplanung vom 31. Oktober 2014 kann der Beschwerdeführer 1 nichts zu seinen Gunsten ableiten. Er macht auch diesbezüglich nicht konkret geltend, welche Punkte im vorinstanzlichen Verfahren ungenügend abgeklärt worden sind bzw.
welche Abklärungen aus seiner Sicht zu Unrecht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben
wurden.
13.
Zusammenfassung und Kosten
a)
Zusammenfassend sind sämtliche materiellen Vorbringen des Beschwerdeführers 1
abzuweisen, soweit auf diese überhaupt eingetreten werden kann. Einzig im Bezug auf die
Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs bekommt er teilweise Recht, wobei dieser Man-
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gel im Beschwerdeverfahren geheilt werden konnte. Dieser Verfahrensfehler ist im konkreten
Fall und unter Berücksichtigung aller Umstände von so untergeordneter Bedeutung für das
Beschwerdeverfahren, dass dies bei der Kostenverlegung nicht zu berücksichtigen ist. Die
Beschwerde der Beschwerdeführerin 2 ist abzuweisen, da die Vorinstanz dieser zu Recht die
Einsprachelegitimation abgesprochen hat.
b)
Die Verfahrenskosten im Beschwerdeverfahren bestehen aus einer Pauschalgebühr
(Art. 103 Abs. 1 VRPG). Für Entscheide in einer Verwaltungsjustizsache wird eine Pauschalgebühr von Fr. 200.-- bis Fr. 4'000.-- je Beschwerde erhoben (Art. 19 Abs. 1 i.V.m. Art. 4
Abs. 2 GebV81). In Anwendung dieser Bestimmungen wird die Pauschale für beide Beschwerden auf jeweils Fr. 2’400.00 festgelegt. Werden in einem einzigen Entscheid mehrere Beschwerden beurteilt, so kann die Pauschalgebühr für die einzelnen Beschwerdeführerinnen
und Beschwerdeführer angemessen reduziert werden (Art. 21 Abs. 3 GebV). Dementsprechend werden die Pauschalen auf je zwei Drittel, d.h. auf Fr. 1'600.00 je Beschwerde reduziert. Insgesamt betragen die oberinstanzlichen Verfahrenskosten somit Fr. 3’200.00.
Die Verfahrenskosten werden der unterliegenden Partei auferlegt, es sei denn, das prozessuale Verhalten einer Partei gebiete eine andere Verlegung oder die besonderen Umstände
rechtfertigten, keine Verfahrenskosten zu erheben (Art. 108 Abs. 1 VRPG). Bei diesem Ausgang des Verfahrens unterliegen beide Beschwerdeführenden vollständig. Die Beschwerden
waren weitgehend identisch; die zusätzlich vorgebrachten Rügen der Beschwerdeführerin 2
waren mangels Legitimation nicht zu behandeln. Es rechtfertigt sich daher, beiden Beschwerdeführenden jeweils die Hälfte der Verfahrenskosten, ausmachend je Fr. 1'600.00, aufzuerlegen.
c)
Die unterliegende Partei hat der Gegenpartei die Parteikosten zu ersetzen, sofern nicht
deren prozessuales Verhalten oder die besonderen Umstände eine andere Teilung oder die
Wettschlagung gebieten oder die Auflage der Parteikosten an das Gemeinwesen als gerechtfertigt erscheint (Art. 108 Abs. 3 VRPG).
Der Beschwerdeführer 1 und die Beschwerdeführerin 2 unterliegen beide vollständig. Sie haben die Parteikosten der Beschwerdegegnerin 1 und der Beschwerdegegnerin 2 zu gleichen
Teilen zu tragen.
81
Verordnung vom 22. Februar 1995 über die Gebühren der Kantonsverwaltung (Gebührenverordnung, GebV; BSG 154.21).
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Die Parteikosten umfassen den durch die berufsmässige Parteivertretung anfallenden Aufwand (Art. 104 Abs. 1 VRPG). Die Kostennote des Anwalts der Beschwerdegegnerin 1 beläuft
sich auf Fr. 14'060.75 (Honorar Fr. 12'640.00, Auslagen Fr. 379.20, Mehrwertsteuer
Fr. 1'041.55). Diejenige des Anwalts der Beschwerdegegnerin 2 beträgt Fr. 10'095.85 (Honorar Fr. 9'180.00 Auslagen Fr. 168.00, Mehrwertsteuer Fr. 747.85). Die Beschwerdeführenden
machen in ihrer Replik vom 26. Juni 2015 geltend, diese Kostennoten seien überhöht.
Die Parteikosten umfassen den durch die berufsmässige Parteivertretung anfallenden Aufwand (Art. 104 Abs. 1 VRPG). Nach Art. 11 Abs. 1 PKV82 beträgt das Honorar in verwaltungsrechtlichen Beschwerdeverfahren Fr. 400.- bis Fr. 11'800.- pro Instanz. Innerhalb des Rahmentarifs bemisst sich der Parteikostenersatz nach dem in der Sache gebotenen Zeitaufwand
sowie der Bedeutung der Streitsache und der Schwierigkeit des Prozesses (Art. 41 Abs. 3
KAG83). Im vorliegenden Fall ist der gebotene Zeitaufwand als unterdurchschnittlich zu werten,
da nur ein Schriftenwechsel stattfand und kein Beweisverfahren durchgeführt wurde. Die Bedeutung der Streitsache hat als überdurchschnittlich zu gelten und die Schwierigkeit des Prozesses ist als durchschnittlich einzustufen. Insgesamt erscheint daher ein Honorar von
Fr. 7'000.00 als angemessen.
Bei der Beschwerdegegnerin 1 ist zudem zu berücksichtigen, dass diese mehrwertsteuerpflichtig ist.84 Sie kann somit die von ihrem Rechtsvertreter auf sie überwälzte Mehrwertsteuer
in ihrer eigenen Mehrwertsteuerabrechnung als Vorsteuer abziehen. Ihr fällt daher betreffend
Mehrwertsteuer kein Aufwand an und eine Abgeltung der Mehrwertsteuer käme einer mit
Art. 108 Abs. 3 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 VRPG unvereinbaren Überentschädigung gleich. Nach
neuer Praxis des Verwaltungsgerichts ist deshalb die in der Kostennote des Rechtsvertreters
der Beschwerdegegnerin 1 aufgeführte Mehrwerteuer bei der Bestimmung des Parteikostenersatzes nicht zu berücksichtigen.85
Die Kostennote des Anwalts der Beschwerdegegnerin 1 wird daher auf Fr. 7'379.20 (Honorar
Fr. 7'000.00, Auslagen Fr. 379.20) gekürzt. Diejenige des Anwalts der Beschwerdegegnerin 2
wird auf Fr. 7'741.45 (Honorar Fr. 7'000.00, Auslagen Fr. 168.00, Mehrwertsteuer Fr. 573.45)
gekürzt.
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Verordnung vom 17. Mai 2006 über die Bemessung des Parteikostenersatzes (Parteikostenverordnung; PKV; BSG 168.811).
Kantonales Anwaltsgesetz vom 28. März 2006 (KAG; BSG 168.11).
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Siehe Unternehmens-Identifikationsnummer-Register, einsehbar unter: <https://www.uid.admin.ch>.
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BVR 2014 S. 484 E. 6.
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Insgesamt führt dies zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer 1 und die Beschwerdeführerin
2 der Beschwerdegegnerin 1 jeweils Parteikosten in der Höhe von Fr. 3'689.60 und der Beschwerdegegnerin 2 jeweils Parteikosten in der Höhe von Fr. 3'870.70 zu ersetzen haben.
III.
1.
Entscheid
Die Beschwerde des Beschwerdeführers 1 wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.
2.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin 2 wird abgewiesen.
3.
Der Gesamtentscheid der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion vom 30. April 2015
wird bestätigt.
4.
Die Verfahrenskosten von Fr. 3'200.00 werden dem Beschwerdeführer 1 und der Beschwerdeführerin 2 jeweils zur Hälfte, ausmachend je Fr. 1'600.00, zur Bezahlung auferlegt. Separate Zahlungseinladungen folgen, sobald dieser Entscheid in Rechtskraft erwachsen ist.
5.
a)
Der Beschwerdeführer 1 hat der Beschwerdegegnerin 1 Parteikosten in der Höhe
von Fr. 3'689.60 und der Beschwerdegegnerin 2 Parteikosten in der Höhe von
Fr. 3'870.70 zu ersetzen.
b)
Die Beschwerdeführerin 2 hat der Beschwerdegegnerin 1 Parteikosten in der Höhe
von Fr. 3'689.60 und der Beschwerdegegnerin 2 Parteikosten in der Höhe von
Fr. 3'870.70 zu ersetzen.
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IV.
Eröffnung
Durch die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion zu eröffnen:
-
Herrn Rechtsanwalt X.________, eingeschrieben
-
Herrn Rechtsanwalt B.________ und Frau Rechtsanwältin C.________, eingeschrieben
-
Herrn Rechtsanwalt D.________, eingeschrieben
-
Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern (JGK), per Kurier
-
Einwohnergemeinde Lengnau, eingeschrieben
-
Regierungsstatthalteramt Biel/Bienne, zur Kenntnis
Im Namen des Regierungsrates
Der Präsident
Der Staatsschreiber
Hans-Jürg Käser
Christoph Auer
Rechtsmittelbelehrung
Dieser Entscheid des Regierungsrats kann innert 30 Tagen seit seiner Eröffnung mit Beschwerde beim
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Speichergasse 12, 3011 Bern, angefochten werden. Eine allfällige Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die mindestens in 6 Exemplaren einzureichen ist, muss einen
Antrag, die Angabe von Tatsachen und Beweismitteln, eine Begründung sowie eine Unterschrift enthalten; der angefochtene Entscheid und andere greifbare Beweismittel sind beizulegen.
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