FREIRAUM MADLEN ARNOLD, KÄSERIN Ich habe bisher jeden Sommer, seit ich auf der Welt bin, auf der Alp verbracht. Das Käsen habe ich von meinen Eltern erlernt, und so halte ich mich auch an ihre Rezepturen. Ein Alpsommer dauert ungefähr 100 Tage. Während dieser Zeit ziehe ich mit den Kühen am Klausenpass von Alp zu Alp. Meine Mutter, mein Vater und meine Geschwister unterstützen mich, wenn es nötig ist. Eine Schwester zum Beispiel ist Tierärztin und schaut hin und wieder, ob mit den Kühen alles in Ordnung ist, oder sie hilft beim Kalbern. In unserem Bauernbetrieb im Tal unterstützt mich eine Magd, damit ich auch im Sommer mit der Arbeit über die Runden komme. Hin und wieder ruft sie an, um etwas mit mir zu besprechen, aber der Handy-Empfang hier oben ist recht schlecht. Das ist auch ganz gut so, denn eigentlich mag ich die Ruhe und das Alleinsein sehr gern. Der Lebensstil ist einfach, aber ich bin da hineingewachsen. Hier auf der Alp Mettenen auf 1750 Metern Höhe haben wir immerhin noch fliessendes Wasser, Strom und eine Waschmaschine. Die Alphütte mit der Stube und den Schlafkammern ist allerdings alt, und die kleinen Zimmer mit den Holzwänden sind ringhörig. Wenn die zweite Familie, mit der wir die Alp bewirtschaften, auch hier ist, hören wir durch die Holzwände, wie sie vor dem Essen beten. Die höchste Alp, auf die wir mit den Kühen ziehen, liegt auf knapp 2000 Metern über Meer. Dort dauert die Vegetationszeit nur etwa zwei Wochen im Jahr. Das Gelände ist steil und steinig, dafür finden die Kühe besonders würzige Kräuter, die dem Käse und der Butter einen speziell feinen Geschmack verleihen. Komfort gibt es für uns Menschen dort oben keinen. Doch während des Alpsommers dreht sich sowieso alles um die Kühe, um gute Milch, um guten Käse und darum, dass ich gesund bleibe, um meine Arbeit erledigen zu können. Je höher oben ich mich aufhalte, desto mehr erlebe ich die Welt wie durch eine Lupe: Die Kälte fühlt sich kälter an, die Steine sind rauer, die Probleme erscheinen grösser. Während des Käsens kann ich allerdings keine schlechten Gedanken wälzen, sonst würde ich verrückt werden. Wer diese Arbeit macht, muss mit sich im Reinen sein. Wenn man in den Bergen allein ist, erlebt man hin und wieder spezielle Augenblicke. Ich erinnere mich an einen Moment, in dem es vollkommen windstill war, ich hörte das Wasser im Trog nicht mehr, ich hörte keine Krähe krächzen und kein Murmeltier pfeifen. Mir liefen vor Rührung die Tränen hinunter, es war, als wäre die Welt für kurze Zeit stehengeblieben. Meist geht es hier oben aber unsentimental zu und her. Auf der Alp ist früh Tagwacht, ich stehe um halb vier Uhr auf, ziehe mich an und gehe sofort an die Arbeit. Als Erstes lege ich die Käse vom Vortag ins Salzbad, feuere mit Holz ein, um die Milch aufzuwärmen, hole die Kühe in den Stall und melke sie. Wecken muss ich die Kühe um diese Zeit nicht, sie wachen von selbst etwa um fünf Uhr auf und beginnen zu fressen. Die Milch mische ich mit der Abendmilch vom Vortag, bevor ich zu käsen beginne. Nach dem Mittag gehe ich in den Käsekeller, wo ich jeden Käse einzeln aus dem Gestell nehme, ihn mit Wasser und einer Bürste abreibe und zurück an seinen Platz auf dem Holzbrett lege. Mein Käse wird vor allem in der Region um den Klausenpass verkauft. Ein paar Tonnen Halbhartkäse gebe ich jedoch der Urner Alpkäse-Genossenschaft ab, die ihn an Grossverteiler weiterverkauft. Wenn mein Käse in der Theke im Geschäft liegt, ist er zwar nicht mit meinem Namen angeschrieben. Trotzdem erkenne ich ihn an der Rinde. Schliesslich habe ich ihn während Wochen jeden Tag in die Hand genommen, um ihn zu pflegen. Das Käsen auf der Alp ist schön, aber auch streng, und die Käselaibe sind schwer. Mitunter fühle ich mich wie in einem Trainingslager, das 100 Tage dauert. 10 Raum und Wohnen 6•7/15 FOTO: Gaëtan Bally INTERVIEW: Rebekka Haefeli Höhentraining der besonderen Art 6•7/15 2/15 Raum und Wohnen 11
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