Politik + Wirtschaft Bericht aus Brüssel Teure Schlagbäume Die Grenzkontrollen innerhalb Europas kommen vor allem Transportunternehmen teuer zu stehen. Die Kommission befürchtet sogar, dass Logistikketten abreißen. I Fotolia/Oli_P n Brüssel macht man sich inzwischen keine Illusionen mehr: Der Waren- und Personenverkehr ohne Grenzkontrollen in der EU ist vorerst Geschichte. Die EU-Kommission, die gewissermaßen von Amts wegen Optimismus verbreiten muss, hat jetzt die Devise ausgegeben: Bis Ende des Jahres müssen die Grenzkontrollen im Schengen-Raum beendet werden. Die Staaten, die angesichts des ungebremsten Zustroms von Flüchtlingen den Schlagbaum heruntergelassen haben, werden das nur akzeptieren, wenn die Flüchtlinge an den Außengrenzen aufgehalten werden. Dafür müssen aber die Griechen und die Italiener die Südgrenze Europas sichern. Verkehrskommissarin Violeta Bulc hat die Mitgliedstaaten der EU aufgerufen, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch an den Grenzen nicht aus den Augen zu verlieren. Grenzkontrollen dürften nur vorübergehend sein und nach Art und Umfang angemessen. Aber auch dann werden die Kosten für das Verkehrsgewerbe beträchtlich sein. Alleine für den Straßengüterverkehr in Deutschland, Polen und den Niederlanden würden zusätzliche Kosten 14 von 500 Millionen Euro entstehen, heißt es in einer aktuellen Mitteilung der Kommission zur Lage im Schengen-Raum. Das ist aber noch nicht alles: Im letzten Jahr seien 25.000 Flüchtlinge auf Lkw aufgegriffen worden, sagte die Verkehrskommissarin bei einer Anhörung im Europäischen Parlament. Das müsse in Zukunft verhindert werden. Wie das aussehen kann, erklärte der belgische Fuhrunternehmer Jost van Lost auf der gleichen Veranstaltung: „Wir rüsten unsere Fahrzeuge mit besseren Schlössern und Sensoren aus. Alleine die Hardware kostet bis zu 60.000 Euro. Hinzu kommen die Software und bis zu 70.000 Euro höhere Lohnkosten.“ Zwischen Antwerpen und dem Eurotunnel dürfen van Losts Fahrer nicht mehr anhalten. Kostspielige Sicherheit am Eurotunnel Der Eurotunnel sei inzwischen weitgehend dicht, sagt der Direktor der Tunnelgesellschaft, John Keefe. Seit Oktober war kein Flüchtling mehr im Tunnel. In den ersten zehn Monaten des letzten Jahres wurden 8000 Menschen im oder vor dem Tunnel aufgegriffen. „Wenn Sie den Flüchtlingsstrom an einer Grenze stoppen wollen, müssen Sie viel Geld in die Hand nehmen“, so Keefe. Um das 150 Hektar große Gelände auf der französischen Seite des Tunnels zu sichern, wurden 40 Kilometer Zaun erhöht und 400 Kameras installiert. Fast jedes der 7000 Fahrzeuge, die täglich den Tunnel nutzen, wird gescannt und nach Flüchtlingen abgesucht. Der Aufwand kostet nicht nur Geld – alleine in die Scanner hat Eurotunnel 30 Millionen Euro investiert – sondern auch Umsatz. Im letzten Jahr gingen der Lkw-Verkehr durch den Tunnel um 4 und der Zugverkehr um 17 Prozent zurück. Lange Wartezeiten müssen Lkw an der deutsch-österreichischen oder an der dänischen und schwedischen Grenze in Kauf nehmen. Das führt oft dazu, dass die vorge- Die Folge der Flüchtlingskrise: Die Schlagbäume im SchengenRaum werden heruntergelassen 10/2016 VerkehrsRUNDSCHAU schriebenen Lenk- und Ruhezeiten überschritten werden. Zusätzliche Kosten entstünden den Unternehmen also nicht nur für die Sicherung von Fahrzeugen, heißt es vom Straßentransportverband IRU, sondern auch für längere Routen, mehr Sprit und längere Arbeitszeiten der Fahrer. Das Transportgewerbe erwartet deswegen, dass die Mitgliedstaaten mehr Gebrauch von der Möglichkeit machen, die Regeln zu Lenk- und Ruhezeiten zeitweise auszusetzen. Der Transport- und Speditionsverband BGL wäre schon froh, wenn die Behörden bei Verzögerungen an den Grenzen mit „Augenmaß“ kontrollieren würden. Die größte Sorge der Verkehrskommissarin ist, dass die gewachsenen Logistikketten abreißen, weil sie zu teuer werden. Zwischen 7 und 16 Prozent der Kosten eines Produktes entfielen inzwischen auf die Logistik. Hier gehe es um die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten europäischen Wirtschaft, sagt Violeta Bulc. ᆙᆚᆚ Tom Weingärtner, VR-Korrespondent in Brüssel KOSTENFAKTOR Schaden für die Wirtschaft ᪺ Der Bundesverband Güterverkehr Logis- tik und Entsorgung (BGL) rechnet alleine für die Einfuhr über die deutsch-österreichische Grenze mit zusätzlichen Kosten von 18,5 Millionen Euro pro Jahr, wenn jeder Lkw eine Stunde wartet und dafür 50 Euro zusätzlich anfallen. ᪺ Das Forschungsinstitut France-Strategie in Paris rechnet mit einem Wachstumsverlust für die Wirtschaft von 0,8 Prozent in allen Schengen-Staaten, das wären 100 Milliarden Euro pro Jahr. Das Institut legt bei der Berechnung einen Anstieg der Importpreise um drei Prozent zugrunde. ᪺ Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass durch Grenzkontrollen „Just-in-time-Lieferungen und dezentrale Produktionsprozesse, die weitgehend ohne Lagerhaltung auskommen, über europäische Binnengrenzen hinweg schwieriger zu bewerkstelligen“ sind. Bei einem Preisanstieg um ein Prozent rechnen die Experten der Stiftung damit, dass die Wirtschaftsleistung in der EU bis 2025 um 470 Milliarden Euro geringer ausfallen würde. tw
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