Predigt: Jesus und die bittende Frau (Mt 15,21-28)

Predigt vom 31. Januar 2016, Thomas Eberhardt, Chrischona Thun
Predigt: Jesus und die bittende Frau (Mt 15,21-28)
Die meisten Geschichten in der Bibel und ganz besonders die, in denen Jesus vorkommt, sind
ziemlich einfach zu verstehen. Es gibt aber auch ein paar Geschichten, die lassen bei uns zuerst einmal
mehr Fragen zurück, als dass sie beantworten. Heute wollen wir uns eine solche Geschichte mit Jesus
anschauen. Zu dieser Geschichte muss man zuerst ein bisschen den Zugang finden und ich möchte
euch gerne erzählen, wie ich die Geschichte verstehe und warum sie mich fasziniert.
Die Geschichte findet sich in Matthäus 15, ab Vers 21. Nachdem Jesus Menschen geheilt hatte und
viel mit den führenden Juden geredet und diskutiert hatte, heisst es da:
Matthäus 15 21 Jesus machte sich wieder auf den Weg und zog sich in das Gebiet von Tyrus
und Sidon zurück. 22 Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend und rief: »Herr, du Sohn
Davids, hab Erbarmen mit mir! Meine Tochter wird von einem Dämon furchtbar gequält.«
NGÜ
Die Situation
Jesus geht in die Gegend von Tyrus und Sidon. Er zieht sich zusammen mit seinen Jüngern aus Israel
zurück und geht ins benachbarte Ausland, in den heutigen Libanon. Offensichtlich braucht er etwas
Abstand von seinem Alltag, auch geographischen.
Es geht aber nicht lange, bis ihn eine heidnische Frau aufspürt, die in diesem Gebiet lebt. Obwohl sie
eine Heidin ist, wendet sie sich an Jesus. Sie nennt ihn "Sohn Davids", das ist ein anderes Wort für
"Messias", was "Retter" bedeutet. Sie muss also nicht nur von Jesus und seinen grossen Werken
gehört haben, sondern auch davon, dass man sich in Israel mit der Frage beschäftigt, ob er der Messias
sein könnte. Und im Gegensatz zu den meisten Juden beantwortet diese Frau diese Frage positiv und
spricht Jesus mit dem Messiastitel "Sohn Davids" an. Sie spricht ihn jedoch nicht nur so an. Sie glaubt
auch, dass Jesus ihrer schwer kranken Tochter helfen kann. Sie zeigt wirklich einen grossen Glauben,
wie ihn die meisten Juden nicht hatten. Sie hat ein Problem, aber sie kennt auch jemanden, der helfen
kann. Sie wendet sich an Jesus, weil sie von ihm gehört hat, und klagt ihm ihre Not.
Jesus tut nun das, was wir aus unserem Leben auch kennen.
23 Aber
Jesus gab ihr keine Antwort.
Das kennen wir auch! Wir haben ein Problem, aber wir verzweifeln nicht! Haben wir nicht immer
wieder gehört, dass Jesus wirklich retten kann? Dass er in jeder Not hilft? Haben wir nicht von
Freunden und Bekannten all die wunderbaren Geschichten gehört und in christlichen Magazinen
davon gelesen? Und haben wir nicht selbst oft genug sein hilfreiches Eingreifen erlebt? Deshalb
gehen wir mit unseren Problemen zu Jesus und sagen:
»Herr, du Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!«
Aber Jesus antwortet nicht. Keine Antwort ist auch eine Antwort! Er hilft uns nicht. Die Frage, die
uns quält und die auch über dieser Geschichte hier steht, lautet: "Warum hilft Jesus nicht? Warum
jetzt nicht?"
Die Reaktion der Jünger
Die Jünger finden diese Situation unhaltbar. Das kann doch einfach nicht wahr sein! Da läuft eine
heidnische Frau hinter jüdischen Männern her. Die Juden wurden von den Heiden verachtet und
verachteten ihrerseits die Heiden, vor allem heidnische Frauen, die ihnen zu nahe kamen mit ihrem
Verhalten, das total daneben war. Ja, das Verhalten dieser Frau, die sich an keinerlei jüdischen
Normen hielt, war für sie total daneben. Vermutlich war es auch noch irritierend für sie, dass Jesus
dazu nichts sagte. Wie haben die Jünger reagiert?
23 Aber
Jesus gab ihr keine Antwort. Schliesslich drängten ihn seine Jünger: »Erfüll ihr doch die Bitte,
sie hört ja nicht auf, hinter uns herzuschreien!«
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Predigt vom 31. Januar 2016, Thomas Eberhardt, Chrischona Thun
"Lass sie doch gehen", übersetzt Luther. Eine höflichere Form von: "schick sie weg". Die Jünger
fühlen sich belästigt. Sie sehen nur diese heidnische Frau, die laut herumschreit. Deren Not nehmen
sie jedoch nicht wahr.
Nun bricht Jesus sein Schweigen und redet zu den Jüngern. Was Jesus hier sagt, ist einer der wohl
am schwersten zu verstehenden Sätze, die Jesus je gesagt hat. Es heisst hier:
Er aber entgegnete [den Jüngern]: »Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Volkes Israel
gesandt.«
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Hatten die Jünger also doch recht! Aber Moment mal: Geht es auch Jesus zuerst darum, dass die Frau
eine Heidin ist, und nicht darum, dass sie sich in ihrer Not im Glauben an ihn wendet? Nein, das
glaube ich eben nicht! In Matthäus 8 lesen wir zum Beispiel, dass ein römischer, d.h. heidnischer
Offizier sich an Jesus wendet, weil sein Knecht an grossen Qualen leidet. Ohne einen Moment zu
zögern sagt Jesus zu ihm: "Ich will kommen und ihn gesundmachen." Der Offizier ist jedoch
überzeugt, Jesus müsse nicht kommen, sondern er solle nur ein Wort sprechen und sein Knecht werde
gesund. Jesus stellt fest, er habe bei allen Juden keinen Glauben gefunden wie bei diesem Heiden und
heilt den Knecht. Und er sagt, dass viele Heiden im Himmel sein werden, während viele Juden nicht
dort sein werden.
Jesus war selbst Jude und er wirkte auch unter den Juden, aber er hatte nie nur die Juden im Blick. Es
ging ihm von Anfang an auch um die Heiden. Die Juden dachten, der Messias sei nur für sie da, aber
Jesus dachte das nicht. Wenn Jesus hier sagt, dass er nur zu den verlorenen Schafen des Volkes Israel
gesandt sei, dann ist es möglicherweise so, dass er mit dem die so typisch jüdische Haltung seiner
Jünger reflektierte, ihnen bildlich gesprochen einen Spiegel vorhält. Das ist vielleicht etwa so, wie
wenn ein Mann nach dem Essen gleich vor den Fernsehern sitzt und seine Frau zu ihm sagt:
"Abwaschen ist Frauensache". Sie sagt das nicht, um die Haltung ihres Mannes zu bestätigen, sondern
um sie zu reflektieren und dadurch zu hinterfragen.
Jesus könnte es hier genauso meinen. Die Frau schreit, die Jünger nerven sich und Jesus antwortet
ihnen: "Genau, ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Volkes Israel gesandt."
Auffallend finde ich, dass die Jünger jetzt nicht widersprechen. Keiner sagt: "Aber du hast doch auch
schon Heiden geheilt. Du liebst sie doch auch. Schau dir doch einmal diese Frau an, die ist doch auch
ein Mensch, auch wenn sie eine Heidin ist." – Nichts dergleichen.
Die Reaktion der Frau
Wie reagiert die Frau? Für sie geht es immer noch darum, dass sie Jesus für ihre Tochter um Hilfe
bittet, er ihr aber nicht antwortet. Die Frau gibt aber noch nicht auf:
25 Da
kam die Frau näher, warf sich vor Jesus nieder und bat: »Herr, hilf mir!«
Die Frau ging schon vorher ziemlich weit, als sie als Heidin jüdischen Männern nachschrie. Jetzt
wagt sie noch mehr. Sie hat ein Anliegen, und das will sie vor Jesus bringen. Sie schämt sich nicht,
vor Jesus niederzufallen und vor ihm für ihre Tochter zu flehen. Sie zeigt keine höfliche
Zurückhaltung und es ist ihr auch egal, was die Jünger von ihr denken. Sie tut äusserlich nicht so, als
sei alles in Ordnung, während sie innerlich rebelliert. – Solches Verhalten habe ich jedoch schon bei
mir entdeckt.
Nein, sie hat ein Anliegen, das sie äusserst hartnäckig vor Jesus bringt. Sie lässt sich nicht einfach
billig abservieren, sondern sie sucht die Begegnung mit Jesus. Da ist Leidenschaft erkennbar. Sie hat
etwas, wofür sie kämpft: Ihrer Tochter geht es sehr schlecht.
Manchmal bete ich so gleichgültig: "Ja, Herr Jesus, du kannst auch das und das machen..." In solchen
Momenten spürt Jesus wahrscheinlich wenig von (m)einem wirklichen Anliegen, wenn ich mit ihm
rede. Manchmal drückt schon meine Körperhaltung so eine phlegmatische Art aus. Manchmal gebe
ich sehr schnell auf, wenn Jesus nicht gleich antwortet. Und oft – diesen Schluss ziehe ich für mich
– ist es mir im Grunde genommen auch egal, dass er nicht antwortet, sonst würde ich wohl anders
darauf reagieren. Nicht so diese Frau! Sie hat ein Anliegen, und für dieses Anliegen setzt sie sich vor
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Predigt vom 31. Januar 2016, Thomas Eberhardt, Chrischona Thun
Jesus ein. Ihr Gebet ist wie ein Kampf. Sie lässt sich nicht so schnell entmutigen, sondern sie fällt vor
Jesus nieder und bittet ihn:
25 »Herr,
hilf mir!«
Jesus antwortet ihr nun erstmals. Aber wie er das tut, ist wieder sehr hart:
Jesus wehrte ab: »Es ist nicht recht, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden
vorzuwerfen.«
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Mit den Kindern sind die Juden gemeint und mit den Hunden die Heiden. Die Juden nannten die
Heiden häufig abschätzig Hunde. Was Jesus hier eigentlich bildlich sagt, ist nichts Anderes, als was
er vorhin schon ausgedrückt hat, als er sagte: "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Volkes
Israel gesandt." Die Worte Jesu scheinen wieder dieser typischen jüdischen Haltung zu entsprechen,
die offensichtlich auch seine Jünger teilen. Und die Frau, die vor ihm kniet, nennt er "Hund" – nein,
nicht ganz.
Wenn die Juden die Heiden "Hunde" nannten, brauchten sie dafür ein abschätziges Wort für "Hund"
wie etwa "Köter", das einen Strassenhund beschreibt, der auf den Feldern und in den Gassen
umherstreunt. Jesus brauchte ein anderes Wort. Jesus nannte dir Frau liebevoll "Hündlein"
("Hundeli"), ein Wort, das man damals für Schosshündchen und Stubenhündchen brauchte. Der Ton
in Jesu Worten war also nicht verächtlich, sondern liebevoll. Er sagte nicht: "Es ist nicht recht, dass
man den Kindern ihr Brot wegnehme und es den Kötern vorwerfe." Sondern er sagte: "Es ist nicht
recht, dass man den Kindern ihr Brot wegnehme und es den Hündchen vorwerfe ("und’s de Hundeli
anerüert")."
Die Frau muss gespürt haben, dass hinter diesem Nein von Jesus ein tiefes Erbarmen steckte, denn
sie blieb hier und sprach nochmals mit Jesus. Obwohl Jesus bis jetzt noch nicht so gehandelt hatte,
wie es sich diese Frau gewünscht hatte, spürte und glaubte sie, dass er sie dennoch liebhatte.
Ich frage mich, ob unser Glaube auch so weit geht wie der Glaube dieser Frau. Ihre Frage ist immer
noch offen: "Warum hilft Jesus nicht?" Alles, was sie bis jetzt an Ermutigung erhalten hat, ist, dass
Jesus in einem liebevollen Ton mit ihr sprach. Nun, wir wissen doch auch, dass Jesus uns liebt, und
wir haben viel mehr Anhaltspunkte dafür als diese Frau. Wir haben seine Liebe schon erlebt. Aber
was ist, wenn Jesus uns nicht antwortet, wenn Jesus unser Gebet nicht oder noch nicht erhört? Können
wir dann wie diese Frau an der Liebe Jesus festhalten, oder sagen wir: "Ja, ich habe es schon immer
gewusst. Jesus liebt mich nicht wirklich."?
Hört nun, was die Frau sagte:
27 »Das
stimmt, Herr.«
Die Frau gibt Jesus Recht. Sie hat keinen Anspruch auf seine Hilfe. Jesus ist der Herr, und er kann
tun und lassen, was er für richtig hält. Sie versteht es vielleicht nicht, sie findet seine Antwort trotz
liebevollem Ton vielleicht schon ziemlich komisch. Sie versteht vielleicht nicht, warum sie jetzt in
dieser Situation sein muss. Aber sie sagt: «Ja, Herr». Jesus ist der Chef.
Vielleicht kennst du das auch, dass Jesus dein Gebet nicht erhört hat. Vielleicht ist das für dich sehr
schwer zu verstehen. Vielleicht hast du Mühe damit. Dann empfehle ich dir, deine Emotionen einmal
nicht mehr im Griff zu behalten und einmal "wirklich" mit Jesus darüber zu sprechen. Ohne höfliche
Zurückhaltung. So, wie diese Frau vor Jesus kam und ihm ihr Herz ausschüttete.
Wenn du das getan hast, dann versuche es einmal mit einem "Ja, Herr." Nicht: "ich verstehe, Herr",
sondern: "Ja, Herr". Jesus ist der Chef. Du hast keinen Anspruch auf seine Hilfe. Jesus ist der Herr,
und er kann tun und lassen, was er für richtig hält. Er ist immer im Recht. Und er liebt dich. Ein
solches "Ja, Herr" könnte dir viel Freiheit bringen und dich befreien von einem verbitterten "Warum,
Herr?".
Diese Frau gibt Jesus Recht, sagt: "Ja, Herr", bleibt aber hartnäckig und erwidert:
»Das stimmt, Herr«, erwiderte sie, »aber immerhin fressen die Hunde die Brotkrumen, die vom
Tisch ihrer Herren herunterfallen.«
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Predigt vom 31. Januar 2016, Thomas Eberhardt, Chrischona Thun
28 Da
sagte Jesus zu ihr: »Frau, dein Glaube ist gross! Was du willst, soll geschehen.« Von diesem
Augenblick an war ihre Tochter gesund.
Was lernen wir aus dieser Geschichte?
Ich möchte das Wichtigste nochmals herausstreichen und damit auch die Predigt zusammenfassen:
o Manchmal erhört Jesus unsere Gebete nicht oder nicht sofort. Das kann verschiedene Gründe
haben.
o Die Haltung der Jünger und die Haltung Jesu müssen nicht identisch sein. Christen können
verletzen und lieblos sein, Jesus ist anders.
o Jesus ärgerte sich nicht über das Geschrei einer Heidin, sondern er hörte die Not einer Frau.
o Die Frau hat ein Anliegen, das sie vor Jesus bringen will, und sie schämt sich nicht, vor Jesus
niederzufallen und vor ihm zu betteln. Sie zeigt keine höfliche Zurückhaltung. Sie lässt sich
nicht einfach billig abservieren, sondern sie sucht die Begegnung mit Jesus. Da ist eine
Leidenschaft dahinter. Sie hat etwas, wofür sie kämpft. Im Gebet. Sie lässt sich nicht so schnell
entmutigen.
o Obwohl Jesus bis jetzt noch nicht so gehandelt hatte, wie es sich diese Frau wünschte, spürte
und glaubte sie, dass er sie dennoch liebhatte.
o Die Frau sagte nicht: "ich verstehe, Herr", sondern "Ja, Herr". Jesus ist der Chef. Du hast keinen
Anspruch auf seine Hilfe. Jesus ist der Herr, und er kann tun und lassen, was er für richtig hält.
Er ist immer im Recht. Und er liebt dich. Wenn du dich gleichermassen unter Jesus, den Herrn,
stellst, könnte dich das befreien von Verbitterung.
o Und obwohl die Frau zu Jesus und seinen Entscheidungen "Ja" sagt, hört sie doch nicht auf, mit
Mut und Vertrauen zu ihm zu beten.
Ich schliesse mit einem Gebet.
Einige ergänzende Bibeltexte zum selber nachlesen:
Mt 8,5
Lk 18,1-8
Joh 3,16; Mt 22
Gal 2,15ff
Eph 2,11ff
Mk 7,24-30
Ps 22; 28
Jes 53,6
Ps 145,19
Einige Fragen, z.B. für den Hauskreis:
Was ist Dir in dieser Geschichte am wichtigsten geworden?
Wie verhältst Du Dich (im Vergleich zu der Frau), wenn Jesus auf Dein Rufen nicht reagiert?
Gibt es Menschen, die Dich um Hilfe bitten? An welche Prinzipien hältst Du Dich?
Bist Du mit dieser Predigt einverstanden? Weshalb ja, weshalb nein?
Was fandest Du hilfreich? Was hat Dir gefehlt?
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