Kultur Kassandra sieht schwarz Die Muttenzer Theatergruppe Rattenfänger hat "Der Trojanische Krieg findet nicht statt" von Jean Giraudoux neu bearbeitet. Mit diplomatischem Geschick verhandelt Odysseus (Tobias Meyer) mit den Mächtigen in Troja: Szene aus dem Schauspiel „Der Trojanische Krieg findet nicht statt“. Foto: Roswitha Frey "Es ist genug", sagt die Göttin des Friedens, die als weiß gewandete Lichtgestalt hinter einem transparenten Vorhang erscheint, "genug der Last und Trauer, der Zerstörung und Vernichtung". Nun soll der Frieden über alle Meere getragen werden. Doch Kassandra sieht schwarz. Die Unglücksprophetin trägt einen schwarzen Lederminirock, hohe schwarze Stiefel und bläst auf dem Saxophon tieftraurige Melodien. Sie weiß, dass es doch wieder Krieg geben wird. Hier die sanfte Mahnerin des Friedens, dort die düstere Schwarzseherin: Die eindrückliche Einstiegsszene des Stücks "Der Trojanische Krieg findet nicht statt" macht schon deutlich, welche Konflikte sich hier abspielen. Regisseur Danny Wehrmüller hat für diese Freilichtproduktion der Muttenzer Theatergruppe Rattenfänger das Schauspiel von Jean Giraudoux neu bearbeitet und holt in seiner Spielfassung die aktuelle Brisanz und den Gegenwartsbezug des Anti-Kriegs-Stücks stark heraus. Gespielt wird an antiker Stätte, in der Curia von Augusta Raurica, einer Kleinausgabe des Römertheaters mit Steinstufen im Halbrund, die sich um ein Podest gruppieren. Vor einer Kulisse mit antiken Motiven agieren die Darsteller in heutiger Kleidung, was den Bogen schlägt von den mythologischen Geschehnissen um Troja zur Gegenwart, in der es viele kriegerische Unruhen zu beklagen gibt. Wehrmüller nutzt in seiner Inszenierung geschickt die relativ kleine Spielfläche und dichte Atmosphäre aus, so dass sich ein sehr packendes und eindringliches Spiel entwickelt. 1 Der Held des Stücks, der trojanische Heerführer und Königssohn Hektor, kehrt zurück aus einer Schlacht. So wie Joeri Schaffner den Hektor spielt, im militärischen Tarnanzug mit Maschinengewehr, könnte er auch ein junger Soldat sein, der in einem heutigen Kriegsgebiet gekämpft und die Grausamkeit des Kriegs selbst erlebt hat. Leidenschaftlich, zornig, mutig und idealistisch in seinem Friedensbemühen gibt Schaffner diesen Hektor, der das Gemetzel und "Krepieren auf den Schlachtfeldern" nicht mehr hinnehmen und einen weiteren Krieg verhindern will. Seine hochschwangere Frau Andromache, überzeugend in ihrer felsenfesten Liebe und moralischen Integrität gespielt von Rahel Brügger, hält zu ihrem friedensbewegten Mann. Wie ein Bruder Leichtfuß, wie ein flippiger Hippie mit Blumenhose, Latschen und Kette, taucht Dominik Muheim als Paris auf und provoziert Hektor: "Na, fleißig geschlachtet?". Dieser Paris kommt als lässig herumlümmelnder Lebenskünstler daher, der nur sein Vergnügen im Kopf hat und sich nicht darum schert, was er mit der Entführung der schönen Helena aus Griechenland angerichtet hat. Die Helena ist in Gestalt von Linn Breitenfeld eine fleischgewordene Männerfantasie. Jung, blond, langbeinig, mit Modelmaßen, stolziert sie aufreizend wie eine Laufstegschönheit auf und ab, posiert lasziv auf den Stadtmauern. Breitenfeld spielt gekonnt ein gestyltes, oberflächliches, verwöhntes Luxusgeschöpf, ein "It-Girl", das seine Reize einsetzt und die Männer reihenweise um den Verstand bringt. Selbst der alte Herrscher Priamus (Christian Vontobel), der im Rollstuhl auf das Podest geschoben wird, ist gegen diese geballte Verführung nicht immun. Entsprechend zynisch reagiert seine Gattin Hekuba, resolut verkörpert von Nicole Aubry Héritier: Männer seien allesamt "Heuchler, Aufschneider und Böcke". Als aalglatter Chauvinist und Kriegstreiber kommt Niggi Reiniger als Demokos ins Spiel, der raffiniert Meinung, Medien und die Stimmung manipuliert. Immer wieder bricht Annika Becker als Kassandra die Szene auf, wenn sie hoch gewachsen, ganz in Schwarz das Geschehen kommentiert, zum Saxophon greift und spielt, mal klagend, mal scharf und schneidend. Das Klima zwischen Friedensbewegten und Kriegshetzern verschärft sich zusehends, spitzt sich dramatisch zu. Es wird über Verstöße gegen das Völkerrecht debattiert, und schließlich versucht der listenreiche Odysseus (Tobias Meyer) als Delegierter der Griechen mit diplomatischem Verhandlungsgeschick, mit Hektor einig zu werden. Während Helena mit Shoppingtüten hereinstöckelt und ihrLiebhaber Paris den sagenhaften Ruf der trojanischen Männer wieder herstellt, geht es in den Verhandlungen um Krieg oder Frieden, Leben oder Tod – eine Szene, in der die ganze absurde Tragik offenbar wird. Livia Studer als Göttin des Friedens beobachtet von oben die Demonstrationen für den Frieden und muss doch erkennen, dass der Krieg schon immer in den Köpfen der Menschen war. Der Schluss bleibt offen, der letzte Satz von Kassandra bleibt in der Schwebe hängen. Weitere Vorstellungen am 25., 27., 29. August, 1., 2., 3., 5., 6., 9., 10., 11. und 12. September, jeweils 20 Uhr, Curia in Augusta Raurica. Überdachte Sitzplätze. Vorverkauf: Tel. 004161/9222262 2
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