STADTKÄMMEREI NÜRTINGEN Aktenzeichen: Bearbeiter: Telefon: e-mail-Adresse: Datum: 20-glWalter Gluiber 07022/75-226 [email protected] 15. Dezember 2015 Haushaltsrede des Stadtkämmerers zum Haushalt 2015 und zur Finanzplanung 2016 bis 2019 Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Heirich, sehr geehrte Damen und Herren, gestatten Sie mir folgende Einleitung: Der Nürtinger Schriftsteller Frieder Zirkler schreibt in seinem Buch „Fehlkalkulation“: Samstagmorgen, Dämmerung, schlaftrunken wandle ich zum Briefkasten, hole die Zeitung heraus. Ich sehe das Titelbild, die Zeilen darunter verschwommen, reibe mir die Augen, fühle mich ein wenig benommen. Dann schalte ich die Beleuchtung ein, nehme langsam die Sätze wahr, erkenne nun ihre Bedeutung. Die Schlagzeile auf Seite eins, sie fesselt mich am meisten. In fetten Lettern steht gedruckt: Geldnot ! Die Stadt kann sich nichts mehr leisten. Und so geht‘s weiter: Der Oberbürgermeister sieht keinen Ausweg. Der Kämmerer klagt, die Kassen sind leer. - 2 von 20 - Erhitzte Diskussionen im Gemeinderat, ein Vorschlag lautet: Schließt das Hallenbad.! Kultur: Die Bevölkerung soll auf Büchereien verzichten. Soziales: Private müssen öffentliche Dienste verrichten. Verwaltung: Jede zehnte Arbeitsstelle fällt künftig weg. Müll: Uns drohen steigende Gebühren für den Dreck. Keine Tabus! Alte Besitzstände werden angetastet. Der Haushalt der Stadt wird um …. Millionen entlastet. Um Verständnis wird gebeten, zur Sparsamkeit ermahnt. Zu guter Letzt: Fürs nächste Jahr sind dennoch höhere Steuern geplant. Schöne Aussichten! ……… Soweit Frieder Zirkler. Beschreibt er Vergangenes oder Zukünftiges? - 3 von 20 - Die Verwaltung bringt heute drei Zahlenwerke zur Beratung ein: den Haushalt 2016 der Stadt Nürtingen den Wirtschaftsplan 2016 des Eigenbetriebs Gebäudewirtschaft GWN den Wirtschaftsplan 2016 des Eigenbetriebs Stadtbau Nürtingen Der Ergebnishaushalt 2016 der Stadt hat derzeit ein Volumen von 94.383.000 Euro bei den ordentlichen Erträgen und von 99.582.000 Euro bei den ordentlichen Aufwendungen. Daraus ergibt sich ein Gesamtergebnis von minus 5.1990.000 Euro. Im Finanzhaushalt sind Investitionen in einem Umfang von 15.624.000 Euro vorgesehen. Hinzu kommen wieder wie im Vorjahr 658.000 Euro für Kredittilgungen. Finanziert werden sollten diese Auszahlungen von insgesamt 16.282.000 Euro durch einen anschaulichen Zahlungsmittelüberschuss aus Verwaltungstätigkeit (vergleichbar mit der früheren Zuführungsrate). Der Ergebnishaushalt benötigt jedoch selbst für seinen Ausgleich 1.116.000 Euro an liquiden Mitteln. Einzahlungen aus Investitionstätigkeit in Höhe von 4.931.000 Euro werden erwartet. Planmäßig sind die verfügbaren liquiden Mittel bis auf einen Mindestbetrag ausgeschöpft. Damit könnte der Finanzbedarf nur noch über weitere Kredite in Höhe von 12.467.000 Euro ausgeglichen werden. - 4 von 20 - Für den Eigenbetrieb Gebäudewirtschaft GWN sind im Erfolgsplan in diesem Jahr 8.900.000 Euro als Aufwandersatz der Stadt für die laufenden Dienstleistungen des Eigenbetriebs vorgesehen. Der Eigenbetrieb erledigt für die Stadt wie seither die Sanierungsinvestitionen an den städtischen Gebäuden. Neu hinzugekommen ist die Aufgabe, auch Neubauten zu verwirklichen. Dafür soll die Stadt 6.210.000 Euro bereitstellen. Der Eigenbetrieb Stadtbau Nürtingen hat bisher als einziges Neubauprojekt das „Stadtportal“ an der Mühlstraße umgesetzt und selbst finanziert. Das Gebäude wurde 2015 fertig gestellt und im August bezogen. 2016 werden Erträge in Höhe von 287.000 Euro erwartet. Dem stehen Aufwendungen in Höhe von 237.000 Euro gegenüber. - 5 von 20 - Sehr geehrte Damen und Herren, seit dem 1. Januar 2015 denken wir doppisch, buchen wir doppisch, und wir planen unseren zweiten Haushalt doppisch. Die Grundsätze der Kommunalen Doppik, die Ihnen die Möglichkeit zum Steuern der Verwaltung bei der Erledigung ihrer Aufgaben gibt, hatte ich bereits in meiner Haushaltsvorstellung 2015 erläutert (auf den Seiten 497 ff des Haushaltsplans 2015 nachzulesen). Ich will deshalb nicht wiederholen, sondern in medias res gehen, das heißt zu den einzelnen Zahlen. - 6 von 20 - Bitte bedenken Sie dabei, dass Ihnen die Verwaltung heute den Entwurf für einen Haushalt 2016 vorlegt. Es ist uns durchaus bewusst, dass der Haushalt so nicht verabschiedet werden kann. Neben den gesetzlichen Aufgaben und Verpflichtungen haben Sie, sehr geehrte Damen und Herren, der Verwaltung Aufträge für Untersuchungen und Planungen erteilt, Sie haben Leistungsverbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger beschlossen. Die Kämmerei hat den Mittelbedarf der für ihre Produkte verantwortlichen Kolleginnen und Kollegen zusammengetragen. Das Ergebnis liegt Ihnen seit heute vor. Sagen Sie uns, sagen Sie mir als dem verantwortlichen Kämmerer, in welche Richtung Sie den Konzern Stadt Nürtingen finanziell im Jahr 2016 und in den Folgejahren steuern wollen. Ich kann nicht von mir aus in Ihre Beschlüsse und Vorgaben eingreifen, um Ihnen heute einen beschlussfähigen Haushalt einschließlich der realistischen Finanzplanung für die Folgejahre vorzulegen. Ich bitte Sie, die Aufgabe der Steuerung wahrzunehmen, bevor dies eine andere Stelle übernimmt. Und nun zu den vorliegenden Zahlen. - 7 von 20 - Aus laufender Verwaltungstätigkeit – werden unter anderen folgende ordentliche Aufwendungen erwartet: 2016 liegt der Ansatz für die Personalausgaben um 1,1 Mio. Euro höher als im Vorjahr, also bei 30,5 Mio. Euro. Die Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen verringern sich 2016 gegenüber 2015 um fast 2,5 Mio. Euro. 2015 wurden die in 2014 eingesparten, aber gebundenen Mittel in Höhe von rund 1,9 Mio. Euro nochmals veranschlagt. Außerdem wurde der Ansatz für die Straßenunterhaltung im vorliegenden Entwurf bereits um 500.000 Euro gekürzt. - 8 von 20 - Der Stadt Nürtingen stehen 2016 an eigenen Steuern, Steueranteilen und allgemeinen Zuweisungen insgesamt 68,1 Mio. Euro zur Verfügung. Davon abzuziehen sind die Finanzumlagen wie Gewerbesteuerumlage, Finanzausgleichsumlage, Kreisumlage und die Umlage an die Region Stuttgart 2016 sind hierfür zusammengefasst 33,2 Mio. Euro zu veranschlagen. Die Berechnung erfolgt außer bei der Gewerbesteuerumlage auf der Grundlage der Steuerkraftsumme mit den hohen Gewerbesteuereinnahmen im Jahr 2014. Hinweis: Verbesserung um 540.000 Euro - 1,0 % weniger Kreisumlage - 9 von 20 - Aus laufender Verwaltungstätigkeit – werden folgende ordentlichen Erträge erwartet: Die Grundsteuer ist auch weiterhin die konstanteste Einnahmequelle Sie wird für 2016 bei 7,15 Mio. Euro veranschlagt – wie im Vorjahr. - 10 von 20 - die Gewerbesteuer wurde für 2015 mit 20,0 Mio. Euro gegenüber 2014 eher zurückhaltend angesetzt. Das Ergebnis wird aber voraussichtlich nur bei 17,5 Mio. Euro liegen immerhin noch der dritthöchste Betrag der letzten Jahre. Wenn wir uns für 2016 auf einen konservativ gerechneten Ansatz festlegen, müssen wir von einem Aufkommen bei 17,0 Mio. Euro ausgehen. Über einen höheren – aber nicht abgesicherten - Ansatz kann im Gemeinderat diskutiert werden. Wenn wir aber nicht zu Ausgabeneinschränkungen kommen, wenn wir Kredite für Investitionen aufnehmen wollen, dann müssen wir auch über die Verbesserung der Ertragsseite nachdenken. Wir können nur eigene Steuern verändern – das heißt erhöhen. Wir können nicht ständig Leistungen der Stadt verbessern, ohne den zusätzlichen Aufwand über ordentliche Einnahmen zu kompensieren. Wir müssen die Entgelte für die Leistungen der Stadt überarbeiten. Hier denke ich insbesondere an die Elternanteile für die Kinderbetreuung. Eine Anpassung an landesweit einheitliche Sätze ist hier überfällig. 10 Punkte mehr bei der Grundsteuer würden 183.000 Euro, 10 Punkte mehr bei der Gewerbesteuer würden 435.000 Euro einbringen. Das entspricht 2,56 % Steuererhöhung seit 5 Jahren - somit 0,5 % pro Jahr. - 11 von 20 - der Einkommensteuer-Anteil 2016 sollen 5,7 Mrd. Euro auf die Kommunen im Land verteilt werden unser Anteil liegt bei rund 20,7 Mio. Euro, 700.000 Euro mehr als 2015. - 12 von 20 - Die Schlüsselzuweisungen wegen mangelnder Steuerkraft – 2015 noch bei 16,9 Mio. Euro – sind für die Stadt zu einem wichtigen Einnahmeposten geworden. 2016 erhalten wir gerade noch 14,3 Mio. Euro. Berechnungsgrundlage ist die außerordentlich hohe Steuerkraft auf Grund außergewöhnlich hoher Gewerbesteuereinnahmen im Jahr 2014. Das heißt, dass das Berechnungssystem des FAG davon ausgeht, dass wir auch weiterhin hohe Steuereinnahmen generieren können und unser Bedarf deswegen geringer geworden ist. Dem ist aber nicht so. Die Mehreinnahmen haben wir 2014 dazu eingesetzt, um auf Kreditaufnahmen in Höhe von rund 6,0 Mio. Euro verzichten zu können – auch eine Art der Schuldenreduzierung – und das zum dritten Mal in Folge. Auch wir können den Euro nur einmal ausgeben. Deswegen summiert sich die Situation zu einer finanziellen Schieflage auf. - 13 von 20 - Per Saldo bleiben der Stadt aus diesen Steuer- und Umlagevorgängen noch 34,9 Mio. Euro für den laufenden Betrieb übrig. - 14 von 20 - Zahlungsmittelüberschuss aus laufender Verwaltungstätigkeit Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Kommune kommt es u.a. darauf an, ob der Zahlungsmittelüberschuss aus laufender Verwaltungstätigkeit ausreicht, die aufzubringenden Tilgungsleistungen zu finanzieren. Kameral wurde die Leistungsfähigkeit wie folgt definiert: Die vom Verwaltungshaushalt erwirtschaftete Zuführungsrate an den Vermögenshaushalt offenbart die Finanzsituation einer Gemeinde. Die Zuführung musste mindestens so hoch sein, dass damit die ordentliche Tilgung von Krediten gedeckt werden kann. Der laufende Betrieb muss in der Lage sein, diesen Mindestbetrag zu erwirtschaften.“ ein wichtiger Indikator für die Rechtsaufsichtsbehörde bei der Genehmigung neuer Schuldaufnahmen. Auch der Gemeinderat kann sich daran orientieren. Daraus ist zu schließen, dass der Zahlungsmittelüberschuss aus laufender Verwaltungstätigkeit für den Finanzhaushalt, der insbesondere auch die geplanten Investitionen der Stadt aufnehmen soll, als allgemeines Deckungsmittel eine sichere Finanzierungsquelle darstellt. Der Gemeinderat sollte deshalb darauf achten, dass stets ein ausreichend hoher Zahlungsmittelüberschuss bei der Erfüllung der laufenden Aufgaben erzielt wird. - 15 von 20 - Einer Erhöhung der Aufwendungen für städtische Leistungen durch Ausweitung des Angebotes muss immer eine parallel laufende Ertragssteigerung gegenüberstehen. Jahr 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Zahlungsmittelübersc huss in Euro -556.966 1.748.373 3.959.454 10.577.138 7.973.613 4.915.000 5.366.000 - 1.116.000 647.000 1.903.000 667.000 Bei rund 11 Mio. Euro Schulden haben wir derzeit einen Schuldendienst von rund 1,0 Mio. Euro aufzubringen – 356.000 Euro Zinsen und 658.000 Euro Tilgungsraten. - 16 von 20 - Bereits bei der Einbringung des Haushalts 2015 hatte ich darauf hingewiesen, dass 2016 rund 6,0 Mio. Euro mehr durch Umlagen und weniger Zuweisungen entzogen werden und dadurch der Zahlungsmittelüberschuss nahe Null liegen wird. Der Betrag rutscht im Entwurf 2016 auf minus 1,1 Mio. Euro. Das würde bedeuten, dass wir den Schuldendienst schon heute nicht mehr aufbringen können. - 17 von 20 - Für Investitionen sind im Finanzplan 2016 Auszahlungen in Höhe von 16,3 Mio. Euro vorgesehen: für den Erwerb von Grundstücken den Erwerb von beweglichem Vermögen 1.235.000 Euro Tiefbaumaßnahmen 4.768.000 Euro Sanierungsmaßnahmen 2.530.000 Euro Baumaßnahmen der GWN im Auftrag der Stadt Investitionszuschüsse Die Tilgungsleistungen für Kredite liegen bei Das Gesamtvolumen beträgt somit 600.000 Euro 6.210.000 Euro 281.000 Euro 658.000 Euro 16.282.000 Euro - 18 von 20 - Dafür sind im Finanzhaushalt folgende Einzahlungen eingeplant: Verkauf von Grundstücken 2.650.000 Euro aus Investitionszuweisungen 1.593.000 Euro aus Beiträgen für Erschließungen 688.000 Euro An eigenen Finanzmitteln fehlen aus der laufenden Verwaltungstätigkeit Als Differenz zu den Auszahlungen bleiben dann - 1.116.000 Euro 12.467.000 Euro übrig. Wenn wir es nicht schaffen, 2016 Investitionsausgaben zu kürzen oder auf später zu schieben, müssen wir diesen Betrag auf dem Kapitalmarkt beschaffen. - 19 von 20 - Zur Finanzplanung 2015 bis 2019 Nach § 85 der Gemeindeordnung ist der Haushaltswirtschaft eine 5-jährige Finanzplanung zugrunde zu legen. Darin sind Umfang und Zusammensetzung der voraussichtlichen Aufwendungen und Auszahlungen und die Finanzierungsmöglichkeiten darzustellen. Als Grundlage für die Finanzplanung ist ein Investitionsprogramm aufzustellen. Der Finanzplan ist zusammen mit dem Investitionsprogramm dem Gemeinderat spätestens mit dem Entwurf der Haushaltssatzung vorzulegen und vom Gemeinderat spätestens mit der Haushaltssatzung zu beschließen. Der Finanzplan und das Investitionsprogramm sind jährlich der Entwicklung anzupassen und fortzuführen. Der Gemeinderat hat erstmals das Investitionsprogramm für die Jahre 2014 bis 2018 beraten und am 14.4.2015 beschlossen. Diese investiven Leitlinien wurden zum Entwurf eines Investitionsprogramms 2015 bis 2019 fortgeschrieben. Es ist Ihren Unterlagen beigefügt. Der Gemeinderat muss die Änderungen beraten und dann darüber abstimmen. Deswegen habe ich die Entwicklung farblich kenntlich gemacht. Auf den ersten Blick vielleicht etwas verwirrend, die Experten unter Ihnen werden sich zurechtfinden. Für die tägliche Verwaltungsarbeit ist diese Übersicht unentbehrlich geworden. - 20 von 20 - Was sagt uns dieser Entwurf? Im Jahr 2016 fehlen uns 12,5 Mio. Euro, 2017 dann 25,6 Mio. Euro, 2018 erneut 20.2 Mio. Euro und 2019 abermals 14,9 Mio. Euro an liquiden Mitteln. Wir haben diese Beträge bewusst noch nicht als Kreditaufnahmen eingebucht. Dies wäre nämlich nicht nur unrealistisch, sondern utopisch. In jedem Haushalt stecken Unsicherheiten. In diesem Haushalt sehe ich eine ganz besonders große: Schaffen wir die Herausforderung, Wohnungssuchende in unserer Stadt menschenwürdig unterzubringen? In diesem Haushalt und in den kommenden zu finanzieren was nötig ist, hat erste Priorität. Wir werden das nicht ohne neue Schulden schaffen, aber wir dürfen uns und den nachfolgenden Generationen nur die Schulden aufladen, die wir uns leisten können. Deswegen muss der Gemeinderat gut abwägen, was er sich leisten will. Die Stadt Nürtingen hat keinerlei Reserven mehr in der Hinterhand. Wir müssen in den nächsten Jahren auf Sicht fahren. Es darf kein Blindflug daraus werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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