Predigt am 14. Februar 2016 in der Herrenhäuser Kirche

Predigt am Sonntag Invocavit, 14. Februar 2016 über Hebräer 4, 14-16,
gehalten in der Herrenhäuser Kirche
Liebe Gemeinde!
Würden Sie sagen, dass Gott sympathisch ist? Vermutlich eher nicht. Denn im
deutschen Sprachgebrauch wird jemand als sympathisch bezeichnet, der gewinnend
ist und eine nette Ausstrahlung hat. Aber das auf Gott anzuwenden, das wirkt doch
ein bisschen sehr harmlos. Ist Gott sympathisch? Wohl nur, wenn wir das Wort
sympathisch von seiner griechischen Wurzel her betrachten. Dann nämlich bedeutet
es mit-leidend. Einer, der leidet, wenn andere leiden. Der mitgeht und mit empfindet
und sich auch dann nicht abwendet, wenn es mir ganz schlecht geht. Das kann ich
sehr gut mit meinem Gottesbild in Einklang bringen.
Am Anfang der Passionszeit, der Leidenszeit Jesu, die wir über 7 Wochen bis zum
Ostertag mit gehen und begleiten, wird mir sehr bewusst, wie besonders unser Gott
ist. Gerade im Leiden und Sterben des Jesus von Nazareth zeigt dieser Gott sich in
seinem ganzen unbegreifbaren Wesen, zeigt sich, was die Hinwendung zu den
Menschen und seine Liebe wirklich bedeuten.
Die Passionszeit insgesamt gerät immer mehr aus dem Blick. Sie ist längst nicht mehr
als eine geprägte Zeit in unserer Gesellschaft erlebbar, anders als etwa Weihnachten.
Für die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen spielt sie keine Rolle. Allenfalls die
Berichte über Karnevalsumzüge und Prunksitzungen und die Wörter Fastnacht und
Aschermittwoch erinnern noch von Ferne daran, dass die Passionszeit einmal
einschneidend den Jahreslauf geprägt hat. Sicher, wer bewusst als Christin oder
Christ lebt, achtet darauf, beteiligt sich vielleicht auch an einer persönlichen Form
des Fastens oder der Enthaltsamkeit. „7 Wochen ohne“ ist ja längst auch zum Begriff
geworden. Aber in unserer pluralistischen Gesellschaft, ist das Begehen der
Passionszeit eben ganz und gar ins Private verlegt worden. Da ist es gut, wenn wir in
unseren Kirchen die Erinnerung daran aufrecht erhalten, dass diese 7 Wochen viel
mehr sind als ein äußeres Ritual. Sie weisen auf den Kern unseres Glaubens, nämlich
auf die Fähigkeit Gottes zum Mitleiden.
Vor einigen Tagen gab es einen Bericht bei Spiegel online unter der Überschrift
„Strafende Götter als Erfolgsgeheimnis der Menschheit“. Da wird berichtet, dass
Wissenschaftler herausgefunden hätten, dass ein bestimmtes Gottesbild es
überhaupt möglich gemacht habe, dass Menschen in größeren Gesellschaften
zusammen leben. Es sei dies ein Bild eines allmächtigen und allwissenden Gottes, der
als strenger Richter in Erscheinung tritt. Dieses Gottesbild vermittle den Menschen,
dass sie immer und überall überwacht werden und diesem Gott nichts entgeht. Es sei
besonders die Angst vor diesem Gott und seinen Strafen, die Menschen dazu fähig
gemacht habe, in großen Verbünden zu leben und sich durch die Angst vor möglicher
Strafe sozial zu verhalten. Ein solches Gottesbild des allmächtigen, allwissenden und
strafenden Gottes sei in allen Religionen zu finden.
Das ist religionsgeschichtlich vielleicht ganz interessant, zeichnet aber keineswegs
das Gottesbild, das mit dem Christentum verbunden ist. Ein so einseitiges Bild von
Gott verzerrt ihn und steht im Widerspruch zu dem, was uns das Neue Testament
berichtet. Da wird ein anderes Bild von Gott vor Augen gestellt. Es ist das Bild eines
Gottes, der leidensfähig ist. Wenn wir den Weg des Jesus von Nazareth betrachten,
wenn wir in diesen Wochen bis Karfreitag ganz bewusst mitgehen, dann doch
deshalb, weil uns darin Gottes Weg mit den Menschen erscheint. Hier, in der Passion,
in der Fähigkeit, mit den Menschen zu leiden, wird Gott kenntlich. In seinem Verzicht
auf Macht, im Ertragen der Ohnmacht, zeigt sich seine Stärke. Insofern ist Gott sogar
sehr sympathisch, nämlich anwesend im Leid und mit-leidend. Der Predigttext für
den heutigen Sonntag drückt das auf seine Weise und mit seinen Bildern aus. Ich
lese den Abschnitt aus dem Hebräerbrief noch einmal aus einer modernen
Übersetzung:
„Lasst uns also festhalten an der Hoffnung, zu der wir uns bekennen. Wir haben
doch einen überragenden Obersten Priester, der alle Himmel durchschritten hat und
sich schon bei Gott, im himmlischen Heiligtum, befindet: Jesus, den Sohn Gottes.
Dieser Oberste Priester ist nicht einer, der kein Mitgefühl für unsere Schwächen
haben könnte. Er wurde ja genau wie wir auf die Probe gestellt – aber er blieb ohne
Sünde.
Darum wollen wir mit Zuversicht vor den Thron unseres gnädigen Gottes treten. Dort
werden wir, wenn wir Hilfe brauchen, stets Liebe und Erbarmen finden.“
Hier wird Jesus Christus als der Höchste Priester dargestellt, der im damaligen
Tempelkult im Judentum die wichtige Aufgabe hatte, im Allerheiligsten des Tempels
die Vergebung Gottes zu empfangen und diese an das Volk weiterzugeben. Sicher,
das ist längst nicht mehr unsere Vorstellungswelt. Aber viel wichtiger und
entscheidender als dieses zeitbedingte Bild, ist die Aussage, die dahinter steht. Jesus
kennt uns Menschen, gerade in den Schwächen und im Leiden. Er ist einer, der
mitfühlen und mitleiden kann. Der Menschen nicht im Stich lässt in den Abgründen.
Wenn sich Verzweiflung breit macht, wenn Einsamkeit droht, wenn das Gefühl von
Sinnlosigkeit sich breit macht. Ja, er ist ein Mensch, der weiß, was es bedeutet, nicht
immer stark zu sein. Der am eigenen Leib gespürt hat, wie gefährdet das Leben sein
kann. Und zwar gerade da, wo es sich scheinbar als stark und mächtig erweist. Im
Evangelium haben wir von diesen Versuchungen Jesu gehört, die gerade nicht in
kleinen Verlockungen bestehen. Es geht nicht um die „zarteste Versuchung, seit es
Schokolade gibt“, wie es eine Werbung sagt. Das ist keine wirkliche Versuchung.
Echte Versuchung besteht darin, diese Welt beherrschen zu können, unbegrenzte
Macht zu haben und die Probleme dieser Welt mit einem Mal zu lösen. Das sind die
wahren Versuchungen, die Menschen spüren. Heute sind diese Versuchungen
hinterlegt mit Worten wir Erfolg und Karriere, Macht und Möglichkeit, eigene
Vorstellungen durchzusetzen. Vielleicht begegnen uns auch Worte wie
Steuerungsfähigkeit, Kontrolle, Planbarkeit. Versuchung ist etwas ganz Subtiles,
Feines, das uns nicht zuerst und klar in Form eines Teufels gegenüber steht. Die
echte Versuchung erscheint uns immer als etwas sehr Logisches und Plausibles.
Manchmal sogar alternativlos. So tritt der Versucher auch Jesus gegenüber und lädt
ihn ein, die Probleme dieser Welt zu lösen, den Hunger zu besiegen und will ihm die
Möglichkeit geben, über diese Welt zu herrschen. Das sind Versuchungen, denen
Menschen bis heute ausgesetzt sind.
Darin also, in der Versuchbarkeit, kennt Gott uns gut. Ja, er hat diese Versuchungen
als real und echt gespürt. Allerdings konnte er ihnen widerstehen, konnte er
durchhalten und durchstehen. Es ist ein ganz und gar menschlicher Gott in dem
Sinne, dass er eben nicht ein ferner und unnahbarer Richter ist. Er hat ein
menschliches Antlitz. Darum kann es nach unserem Glauben gar keine
Gottesbegegnung geben, die nicht immer etwas mit den Menschen zu tun hat. Ein
mitleidender Gott, macht uns fähig, das Leid und die Not dieser Welt im Blick zu
haben und damit umzugehen. Wenn die Flüchtlinge vor unsere Tür stehen, können
wir gar nicht anders als in ihnen auch Gottes Frage an uns zu sehen. Ja, dann kommt
Gott uns auch in ihnen nahe. Wie er ja nahe ist in jedem Menschen, der mir
begegnet. In jeder Not, die mir begegnet, wendet er sich an mich. Dass auch ich
sympathisch werden soll, also mit-leidend, mit-fühlend. Das ist ein hoher Anspruch,
aber einer, dem ich gerecht werden kann. Nicht, weil ich vollkommen bin. Sondern
weil es einen Gott gibt, der mir so begegnet wie es der Text beschreibt, nämlich
voller Gnade. Ein Gott, der die Versuchbarkeit und die Verletzlichkeit von Menschen
kennt und darum gnädig mit uns ist. Gnädig und barmherzig, also nicht rächend und
strafend.
So kann Gott nur sein, weil er eine Geschichte hat, die geprägt ist von Hingabe. Eben
diese wunderbare Passionsgeschichte, diese einzigartige Liebesgeschichte, die von
Gottes Liebe zu den Menschen erzählt. Darin nimmt Gott eine große Sehnsucht des
Menschen auf. Die Sehnsucht, gesehen und gehalten zu sein, wenn alles andere
wegbricht. Wenn ich niemanden mehr habe, der mich versteht. Wenn ich der
Einsamkeit ausgesetzt bin, wenn eine Krankheit mir meine Grenzen zeigt, wenn der
Tod nach mir greift und mich kein anderer halten kann: dann ist da immer noch
dieser Gott, der weiß, was Angst bedeutet. Der in die Verlassenheit gegangen ist und
sich nicht gescheut hat bis in den Tod zu gehen ohne zu wissen, wie das ausgeht.
Darum ist die Passionsgeschichte die wichtigste Gottesgeschichte. In ihr begegnet in
einzigartiger Weise ein Gott, der anders ist als viele andere Gottesbilder, die es auch
gibt. Das ist mir an dieser Passionszeit so wichtig. Sie ist keine Beigabe oder ein
Schmuckwerk. In der Passionszeit wird der Kern Gottes sichtbar. Gott geht mit durch
alle Höhen und Tiefen und bleibt auch dann bei uns, wenn es ganz Dicke kommt.
Das lässt sich nirgends so erkennen wie in seinem Weg ans Kreuz.
Darum finde ich, ist es ganz in Ordnung, Gott sympathisch zu finden. Er hätte sicher
nichts dagegen so genannt zu werden. Denn Jesus Christus ist Gottes Sohn. So
bekennen wir ihn. Damit bringen wir zum Ausdruck, dass er mehr ist als nur ein
Mensch. In ihm zeigt sich Gott. Er zeigt sich in ihm vollkommen und nicht nur
teilweise. Der Schreiber des Hebräerbriefs bezeichnet ihn als Hohenpriester und zwar
als einen, der mit uns leiden kann in unserer Schwachheit und der in allem versucht
worden ist wie wir, nur dass er ohne Sünde war und ist.
Der Hebräerbrief fordert dazu auf, diesen Gott beim Wort zu nehmen und zu ihm zu
kommen, immer dann, wenn wir Hilfe nötig haben. Und das ist oft der Fall. Wie gut
ist es zu wissen, dass wir nie - und auch in größter Not nicht - alleine sind. Das bildet
den festen Grund des Glaubens. Ein besonderer Gott ist das, der sich niemals
abwendet von uns. Das zu bedenken und sich darauf einzulassen, auch dazu lädt die
Passionszeit ein. Amen.