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Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät
Institut für Sozialwissenschaften
Die Alternative für Deutschland – eine rechtspopulistische Partei?
The Alternative for Germany – a right-wing populist party?
Bachelorarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Bachelor of Arts (B.A.)
im Fach Sozialwissenschaften
eingereicht von
Judith Heinmüller
Berlin, 03.08.2015
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung.......................................................................................................................1
2. Hintergrund und Forschungsstand.................................................................................3
2.1 Entstehung der Alternative für Deutschland...........................................................3
2.3 Verortung im Parteiensystem..................................................................................5
2.3 Forschungsstand – Rechtspopulismus in der Alternative für Deutschland ............7
3. Theoretischer Rahmen – Rechtspopulismus................................................................10
4. Fallstudie – die Alternative für Deutschland als rechtspopulistische Partei ...............19
4.1 Ideologie...............................................................................................................20
4.1.3 Die Ideologie der Alternative für Deutschland ............................................24
4.2 Wähler_innenstruktur...........................................................................................53
4.2.1 Die Wähler_innenstruktur der Alternative für Deutschland.........................55
4.3 Organisationsform.................................................................................................60
4.3.1 Die Organisationsform der Alternative für Deutschland ..............................60
5. Fazit.............................................................................................................................66
6. Literaturverzeichnis.....................................................................................................70
7. Anhang.........................................................................................................................77
1. Einleitung
„Europas Rechtspopulisten auf dem Vormarsch“ (Hübner 2009: 1) – so und ähnlich
lauteten in den letzten Jahren immer wieder die Schlagzeilen, ausgelöst von
zunehmenden Wahlerfolgen und der Etablierung rechtspopulistischer Parteien fast
überall in Europa. Deutschland galt in der Diskussion um den Erfolg von
Rechtspopulist_innen1 lange als große Ausnahme, wobei in der Forschung zu
Entstehungs-
und
Erfolgsbedingungen
entsprechender
Parteien
verschiedene
Erklärungen für diesen Umstand diskutiert wurden (vgl. Decker/Hartleb 2007;
Grabow/Hartleb 2013). Während die einen zu dem Schluss kamen, dass eine historisch
bedingte hohe Sensibilität für Rechtspopulismus in Deutschland zu geringen
Erfolgschancen dieser Parteien führe (vgl. ebd.), waren andere der Meinung, es sei
„keine Frage mehr ob, sondern nur noch die Frage wann sich auch in Deutschland eine
populistische Partei dauerhaft etabliert“ (Hauss 2013: 119).
Seit Gründung der Partei Alternative für Deutschland2 im Frühjahr 2013 wird immer
wieder diskutiert, ob es sich bei den Euroskeptiker_innen um eben diese erfolgreiche
populistische Partei handelt. Verpasste die AfD bei der Bundestagswahl 2013 noch
knapp den Einzug ins Parlament, erreichte sie wenige Monate später bei der Wahl zum
Europäischen Parlament rund sieben Prozent der Stimmen und zog noch im gleichen
Jahr in die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ein. 2015 folgte der
Einzug in die Bürgerschaften in Bremen und Hamburg.
Der politische Aufstieg der Partei wird in den Medien mit großer Aufmerksamkeit
verfolgt, wobei umstrittene Auftritte und frühere Aktivitäten von Parteimitgliedern
immer wieder zum Urteil führen, die AfD habe „Abgrenzungsprobleme nach rechts“
1 In dieser Arbeit wurde eine vorurteilsbewusste und gendergerechte Schreibweise angestrebt. Um der
Vielfalt geschlechtlicher Identitäten gerecht zu werden, wurde die sogenannte gender-gap oder – wenn
möglich – geschlechtlich neutrale Schreibweise verwendet. Hiermit soll die Selbstverständlichkeit
einer Zwei-Geschlechter-Ordnung und einer heterosexuellen Orientierung als Norm in Frage gestellt
werden.
2 Die Alternative für Deutschland wird im Folgenden mit AfD abgekürzt.
1
(Herwartz 2014: 1). Die Einordnung der noch jungen Partei fällt nicht nur deshalb
schwer, weil über ihre Inhalte und Zielstellungen teilweise noch immer intern diskutiert
wird. Hinzu kommt, dass eine Definition der grundlegenden Begrifflichkeiten in der
öffentlichen Debatte oft fehlt und somit zumeist unklar ist, was mit rechts oder
rechtspopulistisch eigentlich gemeint ist.
Dabei ist die Frage, ob die AfD nun als rechtspopulistisch einzustufen ist oder nicht,
keine Nebensächlichkeit. Populismus gilt in der wissenschaftlichen Debatte für die
einen als Gefahr für die Demokratie, für andere aber auch als mögliches Korrektiv
derselben, „a potential barometer of the health of representative politics“ (Taggart 2004:
276). So kann der Erfolg populistischer Parteien als Indikator dafür gesehen werden,
dass das Vertrauen der Bürger_innen in ihre politische Vertretung beschädigt ist. Eine
solche
Sichtweise
verdeutlicht,
wie
wichtig
die
politische
und
inhaltliche
Auseinandersetzung mit populistischen Parteien und ihren Forderungen ist. Dabei kann
die Beurteilung einer potentiell populistischen Partei direkte Auswirkungen auf die
Strategien ihrer etablierten Widersacher haben: sie bestimmt, ob die Partei überhaupt als
Konkurrenz ernst genommen wird, ob sie erfolgreich Themen auf die Agenda setzen
kann und ob andere Parteien ihre Positionen vielleicht sogar anpassen, um keine
Stimmen bei der nächsten Wahl zu verlieren (vgl. Bale et al. 2010).
Im Folgenden soll also der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei der Alternative
für Deutschland um eine rechtspopulistische Partei handelt. Sobald Hintergrund und
Forschungsstand zur Fragestellung umrissen wurden, wird im zweiten Teil der Arbeit
der theoretische Rahmen zum Thema Rechtspopulismus entwickelt. Dieser Schritt ist
für eine wissenschaftliche Herangehensweise an die Fragestellung essentiell, da hier die
begriffliche Grundlage für die weitere Diskussion geschaffen wird. Im dritten Teil der
Arbeit sollen dann Theorie und Praxis in Form einer qualitativen Fallstudie miteinander
verbunden werden. Es soll untersucht werden, inwiefern sich die theoretisch
erarbeiteten Merkmale des Rechtspopulismus in der AfD wiederfinden lassen.
Nacheinander werden hierfür Ideologie, Wählerstruktur und Organisationsform der
Partei in den Blick genommen.
2
2. Hintergrund und Forschungsstand
Für ein besseres Verständnis ihrer Ursprünge soll im Folgenden zunächst die Entstehung
der Partei kurz umrissen werden. Im Anschluss geht es um die programmatische
Einordnung der AfD ins bestehende Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland.
Schließlich soll der bisherige Forschungsstand zu Rechtspopulismus in der AfD kurz
zusammengefasst werden.
2.1 Entstehung der Alternative für Deutschland
Um zu verstehen, aus welchem gedanklichen Milieu die Alternative für Deutschland
entstanden ist, muss man mit dem Beschluss der ersten Euro-Rettungsmaßnahmen im
Jahr 2010 beginnen. Dieses Ereignis gilt deshalb „als Schlüsselmoment für die
Gründung der AfD“ (Häusler 2013: 27), da es Euro-Gegner_innen der ersten Stunde mit
neoliberalen
Wirtschaftsprofessor_innen
und
mittelständischen
Unternehmen
zusammenbrachte, die ähnliche Vorbehalte gegenüber der neuen Europapolitik teilten
(vgl. ebd.). Es ist dieses Spektrum an rechtsliberalen, teils marktfundamentalistischen
und in jedem Fall konservativen Kräften, das sich in der Folge verstärkt in den
zivilgesellschaftlichen und politischen Vorläufern der AfD organisierte und verbündete.
Als „Vorläuferpartei der AfD“ (Plehwe/Schlögl 2014: 22) kann der Bund Freier Bürger
gelten, der von 1994 bis 2000 bestand. Seine Gründung war eine Reaktion auf den
Vertrag von Maastricht und die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung,
die dort beschlossen wurde. Programmatisch gelang es der Partei, ihre „Kritik an der
europäischen Einheitswährung in ein weiter gefasstes rechtspopulistisches Konzept
einzubetten, das auch Themen wie Kriminalitätsbekämpfung und Zuwanderung
ansprach“ (Hartleb 2013: 201). Die frühen Kritiker_innen des Euros konnten jedoch
kaum
Wahlerfolge
verbuchen
und
scheiterten
schließlich
an
internen
Richtungsstreitigkeiten, strukturellen und finanziellen Problemen sowie ihrem „status as
an exclusive political club“ (Decker/Hartleb 2007: 439).
Im Jahr 2010 war es dann die Währungskrise, die den alten und neuen
Euroskeptiker_innen eine Chance bot, sich zu organisieren. Eine zentrale Rolle kam
3
dabei dem späteren Parteisprecher Bernd Lucke zu, der im Oktober 2010 das Plenum
der
Ökonomen
ins
Leben
rief,
um
sich
und
anderen
deutschen
Wirtschaftswissenschaftler_innen eine Plattform für öffentliche Kritik an der
Eurorettungspolitik der Bundesregierung zu schaffen. Tatsächlich sorgte ihre
Stellungnahme im Februar 2012, in der deutliche Kritik an der Einrichtung des EuroRettungsmechanismus geübt wurde, für kontroverse Diskussionen in Fachkreisen und
den Medien. Mitte 2012 schloss sich das Forum neoliberaler Ökonom_innen dann dem
neu gegründeten Bündnis Bürgerwille an, welches sich bemühte, die Kräfte der
wachsende Zahl von Eurorettungsgegner_innen in einer überparteilichen Sammlung zu
bündeln.
Eine wichtige Rolle spielt für die AfD bis heute der Verein Zivile Koalition um
Parteimitglied Beatrix von Storch, die auch schon dem Bündnis Bürgerwille angehörte.
Der Verein, ein Zusammenschluss verschiedener Initiativen, besteht seit 2004 und ist für
seine marktradikal-rechtskonservativen Positionen bekannt (vgl. Häusler 2013: 34). Ihr
Internetblog FreieWelt.net gehört ebenso zu den Unterstützer_innen der AfD, wie die
neu-rechte Wochenzeitung
Junge
Freiheit
und die
marktradikale
Zeitschrift
eigentümlich frei, die enge Kontakte zu Parteimitgliedern aufweisen. In einer
Abhandlung zu den zivilgesellschaftlichen Ursprüngen der AfD verweisen Plehwe und
Schlögl (2014) außerdem auf Zusammenhänge mit der rechten europäischen Partei
Alliance of European Conservatives and Reformists (AECR) und deren Parteistiftung
New Direction Foundation (NDF). Sie identifizieren das Think-Tank Partnernetzwerk
der NDF als eine wichtige Quelle rechtsliberaler Europakritik und weisen zahlreiche
Verbindungen zu späterem Führungspersonal der AfD nach (vgl. Plehwe/Schlögl 2014).
Ein erster Versuch, die Kritik der verschiedenen euroskeptischen Initiativen in
Deutschland auch in konkrete politische Intervention umzuwandeln, erfolgte mit
Gründung der Wahlalternative 2013 im September 2012. Initiatoren waren neben dem
früheren CDU-Mitglied Bernd Lucke auch der konservative Publizist Konrad Adam, der
CDU-Mittelstandsvertreter Gerd Robanus und der ehemalige Herausgeber der
Märkischen Allgemeinen Zeitung und langjährige CDU-Politiker Alexander Gauland.
4
In Anknüpfung an das Plenum der Ökonomen und das Bündnis Bürgerwille forderten
sie,
das
einheitliche
Euro-Währungsgebiet
aufzulösen
und
kritisierten
die
Eurorettungspolitik als maßlos und unverantwortlich (vgl. Häusler 2013; Niedermayer
2015). Unterstützt wurden sie dabei unter anderem vom ehemaligen Vorsitzenden des
Bundesverbands Deutscher Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, der später selbst in die
AfD eintrat. Als der Zusammenschluss mit den Freien Wählern bei der
niedersächsischen Landtagswahl nicht den gewünschten Erfolg brachte und auch
aufgrund von inhaltlichen und strukturellen Problemen nicht sehr zukunftsträchtig
schien, löste sich die Verbindung wieder. Lucke, Gauland und Adam gründeten
stattdessen im Februar 2013 die Alternative für Deutschland.
Beim Gründungsparteitag am 14. März 2013 wurden Bernd Lucke, Konrad Adam und
Frauke Petry zu Sprecher_innen der Partei gewählt. Außerdem wurden Programm und
Satzung verabschiedet. Der weitere Ausbau der Partei erfolgte in großem Tempo, sodass
die flächendeckende Gründung von Landesverbänden bereits im Mai abgeschlossen war
und schneller Mitgliederzuwachs sowie eine solide Finanzierung es ermöglichten, die
verschiedenen Hürden zur Teilnahme an der Bundestagswahl 2013 im Eiltempo zu
nehmen (vgl. Häusler 2013; Niedermayer 2015).
2.3 Verortung im Parteiensystem
Ihrer Entstehungsgeschichte entsprechend wurde die AfD während ihres ersten
Wahlkampfs
zur
Bundestagswahl
2013
noch
primär
als
Ein-Themen-Partei
wahrgenommen und „war dadurch als eurokritische populistische Protestalternative für
Wählergruppen mit unterschiedlichen Orientierungen wählbar“ (Niedermayer 2015:
191). Während die AfD sich noch immer gern als „Partei der Mitte“ inszeniert, erlaubt
der zunehmende Ausbau ihrer Programmatik mittlerweile differenziertere Aussagen
über ihre Positionen.
Diese Einordnung ist besonders wichtig, um für mehr begriffliche Klarheit zu sorgen –
in der öffentlichen Debatte wird die Partei oft entsprechend der subjektiven Ansichten
und Interessen der Sprecher_innen als wahlweise liberal, national-konservativ oder auch
5
rechtsextrem bezeichnet. Im Unterschied zur Frage nach einer rechtspopulistischen
Ausrichtung der Partei soll es im Folgenden um eine „relative Verortung der AfD im
Vergleich zu den anderen Parteien in der zweidimensionalen Konfliktstruktur des
Parteiensystems“ (ebd.: 200) gehen. Eine intensivere Darstellung und Diskussion
einzelner inhaltlicher Positionen findet dabei jedoch keinen Platz.
Niedermayer (2015) stützt seine programmatische Einordnung der AfD auf die von der
Partei
veröffentlichten
„Politischen
Leitlinien“,
sowie
das
Bundestags-
und
Europawahlprogramm und nutzt als Analyserahmen ein Modell, demnach das
Parteiensystem von zwei zentralen Konflikten strukturiert wird: „dem sozioökonomischen
Sozialstaatskonflikt
zwischen
marktliberalen
und
an
sozialer
Gerechtigkeit orientierten Wertvorstellungen zur Staatsrolle in der Ökonomie und dem
sozio-kulturellen Konflikt zwischen progressiv-libertären und konservativ-autoritären
Wertesystemen um die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens“ (ebd.: 193).
Plehwe und Schlögl (2014) stützen sich implizit ebenfalls auf ein solches Modell, wenn
sie in der Programmatik der AfD eine „Verbindung von neoliberalen und nationalkonservativen Elementen“ (ebd.: 31) sehen. Zu einer solchen Einschätzung kommt auch
Niedermayer (2015), er sieht die AfD nach einer Analyse ihrer Positionen als
marktliberalen Pol der sozio-ökonomischen Dimension und konservativ-autoritären,
nichtextremistischen Pol der sozio-kulturellen Dimension im Parteiensystem (ebd.:
200).
Franzmann (2014) beschäftigt sich ebenfalls mit der Programmatik der jungen Partei
und vergleicht dazu mittels einer kategorienbasierten Inhaltsanalyse das Programm der
AfD zur Bundestagwahl 2013 mit Positionen der etablierten Parteien in Deutschland.
Abschließend bezeichnet er die AfD als national-konservativ bis national-liberal und
stellt fest: „In der ideologischen Verortung innerhalb des deutschen Parteiensystems
nimmt sie eine spiegelbildliche Position zur Partei DIE LINKE ein: ökonomisch
ungefähr so marktorientiert wie DIE LINKE staatsorientiert ist, gesellschaftspolitisch
konservativer
als
aktuell
gesellschaftspolitische
die
Achse
Union“
fällt
auf,
(ebd.:
dass
122).
die
In
sehr
Hinblick
auf
traditionellen
die
und
6
nationalstaatsorientierten Vorstellungen der Partei vor allem durch die Koexistenz von
libertären Auffassungen zu einem moderateren Gesamtbild abgeschwächt werden (vgl.
ebd.: 119). Diese Differenzierung gibt einen Hinweis auf programmatische Konflikte
innerhalb der Partei, auf die nun kurz eingegangen werden soll.
Aufgrund des Zeitdrucks waren parteiinterne Diskussionen der Programmatik vor der
Bundestagswahl weitestgehend unterdrückt worden. Tatsächlich brachten die teils
hitzigen Debatten, die nach der Wahl in der Bundespartei und den Landesverbänden
ausbrachen, deutliche Widersprüche und inhaltliche Meinungsverschiedenheiten
zwischen programmatischen Lagern der Partei zutage (vgl. Niedermayer 2015;
Plehwe/Schlögl 2014). Im Zentrum standen dabei vor allem „die immigrations-,
familien- und geschlechterpolitische Position der Partei sowie ihre Haltung zum Islam“
(Niedermayer 2015: 202). Spannungen identifizieren Plehwe und Schlögl (2014) dabei
vor allem zwischen rechtsliberalen Kräften auf der einen Seite und nationalkonservativen Strömungen auf der anderen Seite (ebd.: 26). Diese innerparteilichen
Auseinandersetzungen sorgen immer wieder für Aufmerksamkeit in den Medien und
werden häufig als entscheidend dafür angesehen, ob die Partei als rechtspopulistisch gilt
oder nicht.
2.3 Forschungsstand – Rechtspopulismus in der Alternative für Deutschland
Innerhalb der bisherigen Forschung zur AfD, die als elektoral „erfolgreichste
Parteineugründung der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren“ (Franzmann 2014: 115)
viel Interesse in der Politikwissenschaft auf sich zieht, wird auch immer wieder eine
mögliche rechtspopulistische Ausrichtung thematisiert.
Schmitt-Beck (2013) kommt nach einer Analyse der Bundestagswahl 2013 zu dem
Schluss, dass „die Programmatik der AfD (...) zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine
Kategorisierung als rechtspopulistische Partei“ (ebd.: 112) rechtfertige, es jedoch
Tendenzen dazu gebe, „sich deutlicher in diese Richtung zu positionieren“ (ebd.).
Niedermayer
(2015)
äußert
sich
ähnlich
und
schließt
dabei
auch
das
Europawahlprogramm und die „Politischen Leitlinien“ ein (vgl. ebd.: 194f.). In Bezug
7
auf die Immigrationspolitik der AfD argumentiert er, der Partei fehle die für den
Rechtspopulismus
charakteristische
sozio-kulturelle
„Radikalisierung
und
Essentialisierung der kulturellen Zugehörigkeit durch Abwertung der ‚Anderen‘“ (ebd.:
195). Weder Schmitt-Beck, noch Niedermayer führen jedoch genauer aus, worauf sich
ihre Beurteilung stützt.
Eine der ersten Studien, die sich explizit mit Rechtspopulismus in der AfD beschäftigt,
wurde von Alexander Häusler (2013) veröffentlicht. Er beschäftigt sich eingehend mit
den Vorläufern und der Entstehungsgeschichte der Partei, betrachtet dabei auch die
einzelnen Landesverbände und die Wähler_innenklientel und „versucht, das die AfD
umgebende politische Protestmilieu (…) genauer zu bestimmen“ (Häusler 2013: 8). Der
Autor verweist jedoch ebenfalls darauf, dass eine endgültige Beurteilung der Partei noch
nicht möglich sei, da sie sich noch in der politischen Konsolidierungsphase befinde und
bezeichnet seine Arbeit daher als Momentaufnahme (vgl. ebd.: 91). Abschließend
beurteilt er die AfD als „eine Partei mit sowohl neoliberalen wie auch nationalkonservativen Einflüssen (…), die auf der politischen Skala als rechts von der Union
stehend mit Tendenzen zu einer rechtspopulistischen Ausrichtung gedeutet werden
kann“ (ebd.: 93). Seine Analyse stützt sich dabei jedoch kaum auf die knappe
Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und seinen Merkmalen, die zu Beginn der
Studie erfolgt und auch die Programmatik der Partei findet wenig Beachtung. Dafür
beschäftigt sich Häusler umso mehr mit Reaktionen auf die AfD vom rechten Rand und
wertet Zustimmung und Unterstützung aus diesem Lager als Bestätigung einer
inhaltlichen Nähe.
Franzmann (2014) nimmt zwar eine systematische Inhaltsanalyse der Positionen der
AfD vor, nutzt dazu jedoch nur das kurze Programm zur Bundestagswahl 2013 und
untersucht dies auch nicht explizit auf Rechtspopulismus. Er kommt zu dem Schluss,
„dass die AfD in ihrer programmatischen Ausrichtung sowohl einerseits konservativnational-liberalen als auch andererseits rechtspopulistischen Parteien ähnelt“ (ebd.: 123)
und
verweist
wie
auch
andere
Autor_innen
auf
abzuwartende
zukünftige
Entwicklungen, um über eine rechtspopulistische Ausrichtung zu entscheiden.
8
Bebnowski und Förster (2014) verfolgen einen ganz anderen Ansatz: sie untersuchen
die Rolle der Ökonom_innen innerhalb der AfD und stützen sich hierfür vor allem auf
Interviews, die sie mit neun ökonomischen Erstunterstützern der AfD, zwei
gewerkschaftsnahen und AfD-kritischen Ökonomen, sowie zwei eurokritischen
Sozialwissenschaftlern führten. Bei ihrer Analyse stellen sie fest, „dass die
marktgesetzlichen Argumentationsmuster der AfD-nahen Ökonomen (...) eine wichtige
Grundlage für rechtspopulistische Positionierungen liefern“ (ebd.: 9) können. Die
radikale ökonomische Logik erlaube es der AfD, sich als „frei von verzerrenden
politischen Interessen“ (ebd.: 11) im Kontrast zur korrupten Elite zu präsentieren und
sich über das Merkmal wirtschaftlicher Überlegenheit von vermeintlich minderwertigen
Anderen abzugrenzen (vgl. ebd.: 9f.). Dieses spezielle Argumentationsmuster der AfD
bezeichnen die Autor_innen als „Wettbewerbspopulismus“ (ebd.).
Auch Berbuir, Lewandowsky und Siri (2014) betonen, dass die AfD im europäischen
Vergleich rechtspopulistischer Parteien eine ganz eigene Strategie verfolge – sie
begründen dies vor allem mit der eingangs erwähnten hohen Stigmatisierung rechter
Politik in Deutschland und argumentieren, die AfD könne als funktionales Äquivalent
einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland angesehen werden (ebd.: 1). Die
Autor_innen identifizieren mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse verschiedener
Materialien von der und über die AfD „several unique discursive patterns that seemed to
have a dominant position in the programmatic self-description of the party“ (ebd.: 9).
Außerdem erstellen sie auf Grundlage des Bundeswahlkompass 2013 eine Analyse der
potentiellen AfD-Wähler_innen und ihrer sozialen und ideologischen Positionierung.
Aus beidem schlussfolgern sie, die AfD sei „a ‘projection screen’ for different concerns
and purposes and (...) a functional equivalent for right-wing parties in a country where
open right-wing extremism and right-wing populism is tabooed“ (ebd.: 20).
Eine weitere Studie von Andreas Kemper (2014) im Auftrag der Friedrich-EbertStiftung beschäftigt sich explizit mit den familien- und geschlechterpolitischen
Positionen der AfD. Die Untersuchung basiert – auch aus Mangel an anderen
Materialien – auf einer Analyse der Facebookseiten der AfD und gibt einen sehr
9
detailreichen Einblick in verschiedene Gruppierungen innerhalb der Partei. Ein weiterer
Fokus der Untersuchung liegt auf personellen und inhaltlichen Überschneidungen mit
radikalen Abtreibungsgegner_innen. Kemper schließt aus seiner Analyse, dass „die
Parteibasis antifeministisch und heteronormativ eingestellt ist“ (ebd.: 45) und fasst
zusammen: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die AfD zusätzlich zur Euro-Kritik und
der Positionierung als ›Anti-Parteien-Partei‹ einen dezidiert antifeministischen dritten
Schwerpunkt ausbaut: Die radikale Kritik an jeder Form von Gleichstellungspolitik, von
der AfD als ›Genderismus‹ diffamiert, könnte zum dritten Markenzeichen der Partei
avancieren“ (ebd.). Ein expliziter Bezug zu Rechtspopulismus oder eine entsprechende
Einordnung der Befunde finden sich in der Studie allerdings nicht.
3. Theoretischer Rahmen – Rechtspopulismus
Der bisherige Forschungsstand zeigt: Um der Frage nachzugehen, ob die AfD als
rechtspopulistisch bezeichnet werden kann, muss zunächst ein theoretischer Rahmen
geschaffen werden, welcher absteckt was Rechtspopulismus ist und was ihn
kennzeichnet. Nur auf der Basis einer wissenschaftlichen Eingrenzung des Begriffs ist
es möglich, die AfD systematisch auf seine Merkmale hin zu überprüfen und dabei zu
fundierten Ergebnissen zu gelangen.
Dieser Schritt ist besonders wichtig, da Populismus nicht nur ein wissenschaftliches
Konzept ist, sondern längst als „politischer Kampfbegriff“ (Decker 2004: 21) Einzug in
die Alltagssprache gefunden hat. Dort tritt er vor allem als wertegeladener und inhaltlich
unscharfer Vorwurf auf, welcher unterstellt mit unsachlichen Argumenten und der
Mobilisierung von Ängsten und Emotionen um öffentliche Zustimmung zu werben (vgl.
ebd.). Wenn dann daraufhin der Einzug von Populismus in den politischen Mainstream
ausgerufen wird, so liegt das daran, dass „die direkte, über das Fernsehen vermittelte
Ansprache an das Volk unter Umgehung von Parteien und Parlament sowie eine
personenzentrierte Wahlkampfführung (...) heute ein allgemeines Kennzeichen der
Mediendemokratie [sind], (...) wie auch die Reduktion komplexer politischer
Sachverhalte immer schon zur Politik gehört hat“ (Priester 2008: 19).
10
Eine solche Verwendung des Begriffs scheint also wenig fruchtbar und auch die von
manchen Theoretiker_innen vertretene Definition als politischer (Kommunikations-)Stil
weist geringes Erklärungspotenzial auf, da doch „die populistische Ansprache zu den
normalen Begleiterscheinungen des politischen Wettbewerbs“ (Decker 2004: 22) gehört.
Ein Blick in die Populismusforschung macht deutlich, dass auch die wissenschaftliche
Begriffsverwendung keineswegs einheitlich ist: „populism has notoriously escaped easy
definition“ (Fieschi 2004 : 235). Neben der Interpretation als Kommunikationsstil oder
rhetorisches
Mittel
wird
Populismus
von
anderen
Autor_innen
auch
als
Mobilisierungsstrategie (vgl. Grabow/Hartleb 2013), Diskurspraxis oder Strategie des
Machterwerbs und Machterhalts (vgl. Priester 2012b) bezeichnet. Diesen verschiedenen
Definitionen ist die Annahme gemeinsam, dass Populismus „zu flexibel und zu wenig
zukunftsorientiert ist, um als Ideologie betrachtet zu werden“ (Grabow/Hartleb 2013:
18).
Andere Autor_innen sind hingegen der Meinung, dass sich aus den zahlreichen
Begriffsbestimmungen, Fallstudien und Definitionen durchaus ein ideologischer Kern
herausarbeiten lasse, eine Art Minimaldefinition: „im Zentrum populistischer Ideologie
steht demnach das „Volk“, das von der korrupten Elite („die da oben“) in einer
vertikalen Dimension abgegrenzt wird“ (Rensmann 2006: 63). Auch wenn sie es nicht
als ausreichendes Merkmal einer Ideologie anerkennt, kommt zu diesem Schluss auch
Margaret Canovan (2006), deren historische Typologie populistischer Phänomene als
wichtiger Beitrag für die Anfänge der Populismusforschung gilt: „Populist rhetoric is
anti-elitist, exalts 'the people', and stresses the pathos of the 'little man'“ (Canovan 2006:
552). Auch die Populismusforscherin Karin Priester (2012a) geht davon aus, es gebe
„ein ideologisches Minimum, das auf einer vertikalen Achse von „Volk“ und „Elite“
beruht“ (ebd.: 4).
Auf diesem Konsens baut der niederländische Forscher Cas Mudde (2004) seine eigene
Definition von Populismus auf, die in der Literatur als grundlegend gilt und den
theoretischen Kern dieser Arbeit bilden soll: „I define populism as an ideology that
considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic
11
groups, ‘the pure people’ versus ‘the corrupt elite’, and which argues that politics should
be an expression of the volonté générale (general will) of the people“ (ebd.: 543).
Mudde bedient sich zur Konzeptualisierung von Populismus, wie auch Rensmann
(2006), Fietschi (2004) und Priester (2012a), des Konzepts der dünnen Ideologie,
welches von Theoretiker Michael Freedens geprägt wurde. Eine Ideologie gilt demnach
als dünn, schlank oder thin-centred, wenn sie zwar über einen klar definierten Kern
verfügt, der eng mit bestimmten politischen Konzepten und Inhalten verbunden ist, sich
jedoch darüber hinaus situationsbedingt mit ganz verschiedenen anderen Ideologien
verbindet. Die Flexibilität, durch die der Populismus ausgezeichnet wird, erschwert es,
ihn als eigenständige Ideologie zu erfassen.
Betrachtet man jedoch die beiden Grundkomponenten, auf die sich Populismus bezieht
– das Volk und die Elite – so wird deutlich, dass auch diese wandelbar sind: „Populism
reacts against elites and institutions. The nature of these will vary and so the nature of
populism varies with them“ (Taggart 2004: 275). Priester bezeichnet Populismus daher
auch als „Relationsbegriff“ (Priester 2012a: 3) und „Chamäleon“ (Priester 2012b),
welches sich seiner jeweiligen Umgebung anpasst. Der Politikwissenschaftler Paul
Taggart (2004) prägte im gleichen Zusammenhang den Ausdruck eines „empty heart of
populism“ (ebd.: 275), mit dem er den Mangel eines festen Wertesystems umschreibt.
Was er als „lack of core values“ (ebd.) bezeichnet, ist für ihn eines von fünf
konstitutiven Merkmalen, durch die verschiedene populistische Phänomene verbunden
werden. Eine weitere Gemeinsamkeit sehen er und andere Autor_innen in einer
feindlichen Haltung gegenüber repräsentativer Politik (ebd.: 273). „Die zentrale
Botschaft gegenwärtiger populistischer Ideologiebildung ist (…), dass die Politik und
das „korrupte“ Establishment der Kontrolle durch das Volk, den demokratischen
Souverän, entglitten sei (Rensmann 2006: 64). Der behauptete Volkswille werde nicht
mehr angemessen vertreten, daher „fordern Populisten eine ungefilterte politische
Willensartikulation
und
lehnen
intermediäre
Organe
als
Instrumente
der
„Bevormundung“ ab“ (Priester 2012a: 5).
12
Um sich von der herrschenden Elite abzugrenzen, neigen Populist_innen zu gezielten
Provokationen und Tabubrüchen. Sie inszenieren sich dann als „Fürsprecher des kleinen
Mannes“ und wenden sich explizit gegen die vorherrschende „political correctness“,
welche von den „wahren“ Problemen der Bevölkerung ablenke und sie unterdrücke
(vgl. Decker 2004; Priester 2012a; Rensmann 2006). „Invariably critical of professional
politicians and the media, they claim to say aloud what the people think, especially if it
has been deemed by the elite to be unmentionable“ (Canovan 2004: 242). Zu den
typischen Forderungen, die sich aus der populistischen Ideologie ergeben, gehört der
Ruf nach mehr direkter Demokratie, sowie die Berufung auf einen „common sense“:
„Aus populistischer Sicht ist der „gesunde Menschenverstand“ dem Reflexionswissen
von Intellektuellen nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen, weil er auf konkreter,
lebensweltlicher Erfahrung beruhe, noch nicht vom Virus des modernen Skeptizismus
infiziert sei und daher noch einen unverfälschten, „gesunden“ Zugang zu Recht und
Wahrheit habe“ (Priester 2012a: 4).
Aus der Oppositionsstellung zur herrschenden Elite ergibt sich ein weiteres Merkmal
des Populismus: „der ideologisch abgeleitete Bewegungscharakter“ (Decker 2006: 34).
Wenn Populist_innen politisch aktiv werden, so betonen sie meist ihren Ursprung in der
Mitte
der
Bevölkerung
und
stilisieren
sich
als
„Bewegung
von
unten“
(Decker/Lewandowsky 2012: 272). Um sich klar von ihren Gegner_innen, den
etablierten Parteien, abzugrenzen, wird in den meisten Fällen die Selbstbezeichnung als
„Partei“ bewusst vermieden (vgl. Decker 2004: 34).
Taggart (2004) erkennt an dieser Stelle eine „self-limiting quality of populism“ (ebd.:
276): Populist_innen zeichnen sich durch ihre klare Positionierung gegen das
Establishment aus, bevorzugen daher oft radikale Lösungen und neue, unkonventionelle
Politikformen (vgl. Decker 2004; Taggart 2004). Es ist ihnen damit jedoch schwer
möglich, politische Teilhabe zu erlangen, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren: „The
appeal of the populist to their constituencies is usually on the basis of their unusualness
and therefore as they become institutionalised into politics, they inevitably lose a major
part of their popular appeal“ (Taggart 2004: 276).
13
Um trotz dieses inhärenten Widerspruchs politisch aktiv zu werden, benötigt es Taggart
zufolge „a sense of extreme crisis“ (ebd.: 275). Entscheidend sei hierbei weniger die
Faktenlage, sondern vielmehr das Gefühl der Bevölkerung, „that politics as usual cannot
deal with the unusual conditions of crisis“ (ebd.). Diese Beobachtung spiegelt sich auch
in der typischen Wähler_innenstruktur populistischer Parteien wieder: der große Anteil
sogenannter Modernisierungsverlierer legt nahe, „dass diese Parteien als ein Produkt
gesellschaftlicher Modernisierungskrisen zu betrachten sind“ (Decker/Lewandowsky
2012:
272).
Unabhängig
von
den
konkreten
Sorgen
und
Ängsten
ihrer
Unterstützer_innen kann der Erfolg von Populist_innen jedoch auch immer als Indikator
für eine politische Legitimationskrise angesehen werden: „Als Krisensymptom reagiert
der Populismus auf die Verengung von Politik auf technokratische Governance, auf
deliberative Absprachen zwischen politischen Entscheidungsträgern und demokratisch
nicht legitimierten Experten sowie die vermeintliche Alternativlosigkeit der
Volksparteien“ (Priester 2012a: 7).
Populist_innen behaupten also von sich, die „wahren“ Interessen der Bürger_innen zu
erkennen und in der Absicht zu handeln, diese gegenüber der als korrupt angesehenen
Führungseliten durchzusetzen. Die Heterogenität, von der populistische Phänomene
gekennzeichnet sind, erklärt sich auch daraus, dass es in verschiedenen Kontexten ganz
unterschiedliche Interpretationen des „wahren Volkswillens“ geben kann. Es ist jedoch
ein gemeinsames Merkmal der Populist_innen, dass sie sich stark auf eine – oft
nationale – Identität des Volkes berufen, dabei jedoch nie die gesamte Bevölkerung,
sondern lediglich eine konstruierte, idealisierte Gemeinschaft vertreten: „populists tend
to identify themselves with a ‘heartland’ that represents an idealised conception of the
community they serve. It is from this territory of the imagination, that populists
construct the ‘people’ as the object of their politics“ (Taggart 2004: 274).
Identitätspolitik ist demnach ein konstitutives Merkmal von Populismus, wobei
Gemeinschaftlichkeit und kollektive Identität des Volkes erst konstruiert und dann
überhöht werden (vgl. Rensmann 2006). Der Mechanismus der vertikalen Abgrenzung
von Volk und Elite beinhaltet deutlich anti-pluralistische Züge: „Dabei werden die
14
heterogenen Interessen und vielfältigen Konflikte der pluralistischen Gesellschaft in
kollektive
Identitätskonzepte
transformiert,
denen
wiederum
die
egoistische
Interessenverfolgung der Elite gegenübergestellt wird“ (ebd.: 64).
Dieses Vorgehen erlaubt es Populist_innen, sich gegen alles zu richten, was der
erdachten Gemeinschaft nach eigenem Ermessen schaden könnte. Auch Forderungen
und Vorwürfe, die auf sachlicher Ebene widersprüchlich oder willkürlich erscheinen,
werden durch eine „Moralisierung der Politik [möglich]. Unabhängig von ihrer
politischen Ausrichtung gelten die Eliten als korrupt, doppelzüngig, eigennützig,
abgehoben und arrogant. Dagegen verbürge die moralische Überlegenheit des Volkes
ein jedem diskursiven Rechtfertigungszwang enthobenes Wissen über das, was recht
und unrecht, wahr und falsch ist“ (Priester 2012a: 5).
Die Gegenüberstellung von einfachem Volk und abgehobener Elite ist die Grundachse
des Populismus, sie ist jedoch nur die vertikale Dimension der Abgrenzung. Das
idealisierte Volk muss in der Vorstellung von Populist_innen nicht nur vor der Elite, dem
inneren Feind, geschützt werden, sondern auch vor äußeren Feinden. Zu den typischen
Merkmalen populistischer Agitation gehören deshalb auch Verschwörungstheorien, das
Denken in Feindbildern und die Verwendung von biologistischen und Gewaltmetaphern,
womit die Feindlage glaubwürdig vermittelt werden soll (vgl. Decker 2004: 35f.).
Die horizontale Dimension des Populismus ist nun schließlich auch die Ebene, auf der
zwischen Rechts- und Linkspopulismus entschieden wird:
„Linker Populismus strebt durch Partizipation und Ressourcenumverteilung die
Inklusion unterprivilegierter Bevölkerungsschichten in ein parastaatliches, direkt
an die Person des „Führers“ gebundenes, parlamentarisch nicht kontrolliertes
Klientelsystem an. Rechter Populismus betreibt umgekehrt die Exklusion von
Menschen („Sozialstaatsschmarotzer“, Immigranten, Asylbewerber, ethnische
Minderheiten) und reserviert politische und soziale Teilhaberechte nur für die
eigene, autochthone Bevölkerung“ (Priester 2012a: 3).
15
Hier unterscheiden sich die Vorstellungen davon, was das Beste für das „heartland“ ist,
deutlich. Da die zumeist exklusorische Identitätsfindung, die Konstruktion einer
homogenen, idealisierten Gemeinschaft jedoch ein so wichtiger Bestandteil der
populistischen Ideologie ist, scheint sie von Grund auf eher anti-egalitär und
„korrespondiert (…) mit inhaltlichen Positionen, die ideologisch und programmatisch
gemeinhin als „rechts“ firmieren“ (Rensmann 2006: 65).
Die Deutungsangebote, welche Rechtspopulist_innen der Bevölkerung unterbreiten,
können als Antwort auf „materielle und Orientierungsverluste“ (Decker 2004: 27), auf
empfundene Souveränitäts- und Identitätsverluste im Zuge von Globalisierung und
Modernisierung gelesen werden. Eine solche Sichtweise ist im wörtlichen Sinne
konservativ, sie steht Veränderung grundsätzlich skeptisch gegenüber und strebt die
Beibehaltung traditioneller Handlungsmuster an:
„In
Reaktion
auf
die
gesellschaftlichen
Entwicklungstendenzen
der
Individualisierung, Enttraditionalisierung und kulturellen Pluralisierung, aber
auch hinsichtlich der mit der Globalisierung einhergehenden ökonomischen
Krisentendenzen, macht der Rechtspopulismus den von ihm umworbenen
Wählersegmenten ein 'verführerisches' Angebot: eine Gesellschaft, in der
'altbewährte' Deutungsmuster wieder zur Geltung gebracht werden, in der
vermittels
traditioneller
Formen
der
Vergemeinschaftung
wieder
Handlungsrahmen zur Verfügung stehen, die nicht bezweifelt werden müssen“
(Geden 2006: 214).
Auch wenn sich die Agenden von Rechtspopulist_innen je nach nationalem oder
regionalem Kontext unterscheiden und ein großes Spektrum an Themen zur Verfügung
steht, welches von ihnen bedient werden kann (vgl. Decker/Lewandowsky 2012: 276),
lassen sich aus der beschriebenen Haltung heraus doch gewisse inhaltliche
Schwerpunkte
und
Politikbereiche
identifizieren,
die
zu
den
typischen
Betätigungsfeldern von rechtspopulistischen Parteien gehören.
16
Unmittelbar
aus
dem
Streben
nach
traditionellen,
komplexitätsreduzierenden
Deutungsmustern ergibt sich eine zumeist erzkonservative Haltung in der Familien- und
Geschlechterpolitik.
Hier
dominieren
„traditional
geprägte,
die
'Normalität'
geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und hetereosexuell-familiärer Lebensweise
betonende Deutungsmuster, die sich mit den Wertorientierungen, vor allem aber auch
der
Alltagspraxis
der
vom
Rechtspopulismus
bevorzugt
angesprochenen
Bevölkerungsgruppen weitgehend deckt“ (Geden 2006: 216).
Im Vergleich zu anderen Politikfeldern haben rechtspopulistische Strategien im Bereich
der
Familien-
und
Geschlechterpolitik
von
der
Forschung
bisher
weniger
Aufmerksamkeit erhalten, eine ausführliche Analyse findet sich jedoch bei Oliver
Geden (2006). Ihm zufolge geht es zumeist darum, „die Rahmenbedingungen in einer
Weise zu verändern, dass eine an traditionalen Geschlechtsnormen orientierte Praxis
zukünftig wieder in einem größeren Maße 'lebbar' wird – was Rechtspopulisten nicht
nur durch Maßnahmen zur 'Stärkung der Familie' erreichen wollen, sondern auch durch
die Abkehr von einer das 'partnerschaftliche Miteinander' von Mann und Frau
'untergrabenden' Frauenpolitik“ (ebd.: 217).
Am meisten Beachtung findet jedoch in der Forschung das Thema Einwanderung,
welches besonders häufig von rechtspopulistischen Parteien in Europa besetzt wird:
„So werden beispielsweise (muslimische) Einwanderer, Asylsuchende und
Angehörige ethnischer Minderheiten beschuldigt, die kulturelle Identität des
Landes zu untergraben und als „Sozialparasiten” den Sozialstaat auszunutzen –
ohne die geringste Intention, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen oder
sich in die „gastgebende Gesellschaft” zu integrieren. Nach Meinung der
Rechtspopulisten sollte die Wirtschaft in erster Linie dem eigenen Land und die
Leistungen des Sozialstaats vornehmlich der „eigenen” Bevölkerung dienen, die
hart arbeitet, aber durch die gescheiterte Einwanderungspolitik der politisch stets
korrekt handelnden Regierung im Stich gelassen wurde“ (Grabow/ Hartleb 2013:
15f.).
17
Eine solche Argumentationsweise schafft in Einklang mit der populistischen
Identitätspolitik und der Abgrenzung nach außen ein klares Feindbild, welches zur
Bedrohung des „heartland“ erklärt wird und zugleich im Gegensatz zur vorgeblich
verblendeten, großzügigen Politik der Eliten steht. Vor allem im Zusammenhang mit
Migrant_innen und Geflüchteten steht auch das Thema innere Sicherheit häufig auf der
Agenda von Rechtspopulist_innen. Dieses Politikfeld eignet sich besonders gut zur
Konstruktion von Bedrohungsszenarien, dabei werden wie auch in anderen Bereichen
Emotionalisierung und Angstmache als Stilmittel eingesetzt:
„Der populistische Akteur spielt mit Ressentiments und Vorurteilen, die sich in
aggressiver Form gegen den angeblichen Feind entladen. Vorhandene
Unsicherheiten und Statusängste werden nicht argumentativ entkräftet, sondern
im Gegenteil (…) bewusst geschürt, um das Publikum für die populistische
Botschaft empfänglich zu machen“ (Decker 2004: 36).
Einigkeit besteht weiterhin darin, dass die Thematik der Europäischen Union „für eine
populistische Ausbeutung (...) prädestiniert [sei]“ (Decker/Lewandowsky 2012: 277,
vgl. auch Grabow/Hartleb 2013; Priester 2012a; Rensmann 2006; Taggart 2004). Denn
„auf keinem anderen Politikfeld wird die vertikale Dimension von Rechtspopulismus,
also die Abgrenzung zwischen „uns” normalen und rechtschaffenen Bürgern und
„denen”, den fernen Politbürokraten, so sichtbar wie bei den Fragen zu Europa, seinen
Institutionen und Verfahren“ (Grabow/Hartleb 2013: 27). Doch auch die horizontale
Dimension der Abgrenzung findet ihren Platz in einer kritischen Haltung gegenüber der
EU: vor allem die Aspekte Einwanderung und europäische Integration stellen immer
wieder die Frage nach der – insbesondere nationalen – Identität und bieten somit Raum
für Ängste und Unsicherheiten, die von Rechtspopulist_innen aufgegriffen werden
können.
Auf der politisch-institutionellen Ebene wird der EU häufig ein Demokratiedefizit und
mangelnde Transparenz vorgeworfen, auf kultureller Ebene werden Zweifel an einer
europäischen Identität geäußert und eine restriktivere Einwanderungs- und Asylpolitik
18
gefordert (vgl. Taggart 2004). Letzteres wird zunehmend mit einer Bedrohung der
„abendländischen“ Kultur durch den Islam oder allgemein „Überfremdung“ begründet,
wobei vor allem das Thema der inneren Sicherheit genutzt wird, um ein
Bedrohungsszenario zu erschaffen. Eine weitere gängige Argumentationsweise ist auf
der ökonomischen Ebene angesiedelt, Migrant_innen und Geflüchtete gelten dann als
wirtschaftliche Belastung, die dem Nationalstaat von der EU aufgezwungen werden.
Ökonomisch gesehen gilt die EU im Rechtspopulismus generell als „ein kostspieliges,
entrücktes und bürokratisches Elitenprojekt, das riesige Geldbeträge für sich selbst
beansprucht, ohne aber für die wahren Bedürfnisse der Netto-Beitragszahler, also des
Volkes zu sorgen“ (Grabow/Hartleb 2013: 27).
Eine solche Sichtweise macht die EU zu einem idealen Feindbild nach
rechtspopulistischer Ideologie. Anstatt dem „einfachen Volk“ zu nützen, sei sie
politisch-institutionell zweifelhaft legitimiert, treibe auf kultureller Ebene die
Unterwanderung und Bedrohung der eigenen Identität an und benachteilige auf
ökonomischer Ebene das „heartland“ mehr, als dass sie Vorteile bringe. Die Verbindung
dieser drei Problembereiche wird von Decker und Lewandowsky (2012) auch als
„programmatische Gewinnerformel“ (ebd.: 277) für rechtspopulistische Parteien
bezeichnet. Den Autoren zufolge lassen sich grundsätzlich eine politisch-institutionelle,
eine kulturelle und eine ökonomische Spielart des Rechtspopulismus unterscheiden,
welche sich in den erfolgreichsten Fällen – wie bei dem Thema EU – verbinden und in
anderen allein auftreten (vgl. ebd.: 276f.).
4. Fallstudie – die Alternative für Deutschland als rechtspopulistische Partei
Nachdem nun ein Begriffsverständnis von Rechtspopulismus entwickelt wurde, soll im
Folgenden untersucht werden, ob die Partei Alternative für Deutschland als
rechtspopulistisch bezeichnet werden kann. Auch wenn ein theoretischer Rahmen zur
Ideologie des Rechtspopulismus erstellt wurde, muss dieses Wissen noch für den
Untersuchungsgegenstand einer politischen Partei spezifiziert werden.
19
Frank Decker und Marcel Lewandowsky (2012) haben eine Definition der
rechtspopulistischen Parteienfamilie erarbeitet, die darauf beruht, dass diese Parteien
neben einer der ideologischen Ausrichtung auch durch eine ähnliche Organisationsform
und Wähler_innenstruktur verbunden werden. Deshalb soll eine Analyse der AfD durch
diese drei Teilbereiche strukturiert werden, wobei sich aus der Theorie klar ergibt, dass
der Fokus bei der ideologischen Ausrichtung liegen sollte.
4.1 Ideologie
Welche Merkmale kennzeichnend für die Ideologie des Rechtspopulismus sind, wurde
im theoretischen Teil ausführlich diskutiert. Nun gilt es, dieses Konstrukt zu
operationalisieren und auf die Ideologie der AfD anzuwenden.
Materialbasis
Hierbei stellt sich die Frage, welche Materialien sich eignen, um die ideologische
Ausrichtung einer Partei zu erfassen. Da es sich bei der AfD um eine relativ junge Partei
handelt, die sich noch immer in der Konsolidierungsphase befindet, kann die
Materialbasis nicht mit der lang etablierter Parteien verglichen werden. Beispielsweise
ist es derzeit noch kaum möglich, Aussagen über die parlamentarische Arbeit der Partei
zu treffen. Vielmehr erscheinen Partei- und Wahlprogramme derzeit die beste und
zuverlässigste Option, um die ideologische Ausrichtung der AfD zu untersuchen. Die
Begrenzung auf offizielle Materialien der Partei scheint besonders aufgrund der
parteiinternen Konflikte
ratsam. Von der Untersuchung ausgeschlossen werden
Wahlplakate und Wahlwerbespots, da eine Analyse der visuellen Aspekte über den
Rahmen dieser Arbeit hinausgehen würde. Aufgrund der redundanten Inhalte und
geringen Beständigkeit sowie des unklaren Entstehungsprozesses der Texte wird auch
darauf verzichtet, die Internetpräsenz der AfD zu untersuchen.
Generell gilt, dass sich die Ideologie einer Partei klassischerweise in ihrer
Programmatik manifestiert. Neben den „Politischen Leitlinien“ – dem bisherigen
Parteiprogramm der AfD – wurden von der Bundespartei Wahlprogramme zur
Bundestagswahl im Herbst 2013 und zur Europäischen Parlamentswahl im Frühjahr
20
2014 herausgegeben, welche ebenfalls analysiert werden sollen. Somit können auch
eine zeitliche Entwicklung der Programmatik oder Unterschiede zwischen den
verschiedenen politischen Ebenen beobachtet und gegebenenfalls thematisiert und
gedeutet werden.
Relevant erscheinen unter diesem Gesichtspunkt außerdem die Wahlprogramme der
fünf Landtagswahlen, zu denen die AfD bislang angetreten ist. Hinsichtlich der bereits
erwähnten Flügelkämpfe innerhalb der Partei werden die Landesverbände aus Sachsen,
Thüringen und Brandenburg zumeist als national-konservativ bezeichnet, während die
Landesverbände aus Hamburg und Bremen eher dem rechtsliberalen Flügel zugerechnet
werden. Da eine Analyse aller Wahlprogramme aus den Bundesländern den Rahmen
dieser Arbeit sprengen würde, auf dieser Ebene jedoch die bislang ausführlichsten
Programme zu finden sind, wurden die Dokumente aus Sachsen und Hamburg als
Beispiele der beiden genannten Flügel für die Untersuchung ausgewählt. So kann auch
geprüft werden, ob die geläufige Interpretation eines Richtungskampfs und die
zugesprochene Bedeutung für eine Klassifikation als rechtspopulistisch auf Grundlage
der Programmatik unterstützt werden kann.
Operationalisierung und Methode
Bei der Operationalisierung von Rechtspopulismus können Studien mit ähnlichen
Fragestellungen und Forschungsdesigns eine hilfreiche Orientierung sein. Pauwels
(2014) beschreibt in seinem Buch „Populism in Western Europe“ drei Methoden, um
Populismus zu messen. Zum einen nennt er die Möglichkeit einer „minimal definition“
(ebd.: 33), die spezifisch genug sein und klare Richtlinien liefern müsse, um mit ihr
bestimmen zu können, ob eine Partei populistisch sei oder nicht. Er schlägt hierfür die
Definition von Mudde (2004) vor und schlüsselt sie in vier Kriterien auf: „a populist
party should consider (1) the people as a homogenous and pure entity, (2) the elite as a
homogenous and corrupt entity, (3) the people and the elite as two antagonistic groups,
and (4) favour measures to give power back to the people“ (Pauwels 2014: 33).
21
Eine solche Vorgehensweise lässt jedoch sehr viel Spielraum für die Interpretation der
Forschenden und ermöglicht über eine dichotome Kategorisierung hinaus kein sehr
differenziertes Bild. Als einen objektiveren Ansatz beschreibt Pauwels die Methode der
klassischen Inhaltsanalyse und führt als dritte Möglichkeit die Verwendung einer
computerbasierten Inhaltsanalyse an. Diese Verfahren beruhen ebenfalls auf klaren
Kriterien zur Kategorisierung, wenden diese jedoch systematisch und im besten Fall
reproduzierbar auf Textmaterial an, welches die ideologische Position einer Partei
möglichst umfassend repräsentiert.
Ein Beispiel für die klassische Inhaltsanalyse von Parteiprogrammen zur Bestimmung
von Populismus liefern Roodujin und Pauwels (2011). Bei ihnen gilt ein Absatz im Text
dann als populistisch, wenn sowohl „people-centrism“, als auch „anti-elitism“ enthalten
sind (vgl. ebd.: 1274f.). In einem Kodierleitfaden geben sie klare Definitionen für
beides: „People-centrism was operationalised by the following question: ‘Do the
authors of the manifesto refer to the people?’ […] Anti-elitism was measured by means
of the question: ‘Do the authors of the manifesto criticise elites?’ Critique had to
concern political elites in general“ (ebd.). Zugleich weisen sie jedoch darauf hin, dass
beim Kodieren auch der größere Kontext berücksichtigt werden müsse und geben viele
Beispiele dafür, welche Wörter und Phrasen mit eingeschlossen werden sollen.
Ein weiterer Beitrag zur Messung von Populismus findet sich in der Studie „Media
coverage of right-wing populist leaders“ von Bos, van der Brug und de Vreese (2010).
Die Autor_innen betrachten wie rechtspopulistische Führungspersönlichkeiten in den
Medien porträtiert werden und konzeptualisieren Populismus dabei als Kombination aus
einem ideologischen Kern und rhetorischen Stilmitteln. Ersteren erfassen die
Autor_innen mit Hilfe von zwei Kriterien: „Does the party leader criticize all other
parties/the established political order/the large established parties? Does the party leader
mention the ‘man in the street’ or the ‘common man’?“ (ebd.).
Es gilt jedoch bei dieser, wie auch bei den anderen Studien zu beachten, dass die
Anwendung der beschriebenen Methoden auf die Fallstudie in dieser Arbeit nicht ohne
22
weiteres möglich ist – zum einen muss eine Operationalisierung von Rechtspopulismus
mit mehr Kriterien arbeiten, als die vorgeschlagenen Kriterien zur Messung von
Populismus. Zum anderen scheint der eher quantifizierende Ansatz der klassischen
Inhaltsanalyse besser geeignet für ländervergleichende Fallstudien, während es die
tiefgehende Analyse eines bestimmten, individuellen Falles nahelegt, sich eher
qualitativen Methoden zuzuwenden (vgl. Kohlbacher 2006). Als Methode wird deshalb
auf die strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2000) zurückgegriffen.
Ausgehend vom theoretischen Analyserahmen wurde ein Kategoriensystem entwickelt,
welches Merkmale rechtspopulistischer Ideologie und Rhetorik umfasst.
Die vorgestellten Kriterien, anhand derer Populismus von anderen Autor_innen
gemessen wurde, sind in dieses Kategoriensystem eingeflossen. Als weitere Quelle der
Konsultation ist das Manifesto-Projekt zu nennen, welches am Wissenschaftszentrum
für Sozialforschung Berlin angesiedelt ist und auf quantitativen Inhaltsanalysen der
Wahlprogramme politischer Parteien in mehr als 50 Ländern für alle freien
demokratischen Wahlen seit 1945 basiert. Hier kann auf ein fundiertes und erprobtes
wissenschaftliches Kategoriensystem zurückgegriffen werden, welches politische,
wirtschaftliche und gesellschaftliche Positionen von Parteien messen soll. Auch wenn
sich dort keine Kategorie für (Rechts-)populismus findet, konnten teilweise
Operationalisierungen von relevanten Konstrukten übernommen werden.
Die deduktive Kategorienanwendung erfolgte mit Hilfe eines eigens entwickelten
Kodierleitfadens (vgl. Anhang 1): „Hier geht es darum, schon vorher festgelegte,
theoretisch begründete Auswertungsaspekte an das Material heranzutragen. Der
qualitative Analyseschritt besteht dabei darin, deduktiv gewonnene Kategorien zu
Textstellen methodisch abgesichert zuzuordnen“ (Mayring 2000: 13). Zur Bewältigung
der großen Textmenge wurde unterstützend die Software MAXQDA benutzt. Die so
isolierten Textstellen zu jeder Kategorie wurden für die Auswertung wieder in Bezug
zum theoretischen Rahmen der Arbeit gesetzt.
23
Es ist anzumerken, dass einige Kategorien oder ihnen zugeordnete Beispiele auch auf
andere Parteien zutreffen können, ohne dass es gerechtfertigt wäre, diese insgesamt als
(rechts-)populistisch zu bezeichnen. Es handelt sich bei den einzelnen Kategorien
keinesfalls
um
hinreichende
Bedingungen
für
eine
Klassifizierung
als
rechtspopulistisch, sondern lediglich um Bausteine einer dünnen Ideologie, welche in
unterschiedlich starken Ausprägungen und Kombinationen auftreten können und die
sich flexibel an den jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontext anpassen.
Diese Komplexität und Kontingenz erweist sich als weiteres Argument dafür, bei der
Auswertung qualitativ vorzugehen.
4.1.3 Die Ideologie der Alternative für Deutschland
Für die Auswertung der qualitativen Inhaltsanalyse soll zunächst kurz das
Kategoriensystem vorgestellt werden. Der Aufbau desselben ergibt sich aus der Logik
der rechtspopulistischen Ideologie und strebt an, das entsprechende Weltbild
schrittweise zu rekonstruieren. So steht im Kern der rechtspopulistischen Ideologie die
Identitätspolitik, die Konstruktion einer kollektiven Gemeinschaft, die es zu schützen
gilt und aus der heraus die Partei entstanden ist. Im Folgenden wird ein Szenario
erschaffen, in welchem die vermeintlich gemeinsame, schützenswerte Identität bedroht
wird, sodass es zwingend erforderlich erscheint, zu handeln.
Als nächstes wird die beschriebene Krise bestimmten Akteuren zugeschrieben, von
denen es sich abzugrenzen und die es zu bekämpfen gilt. Hieraus ergeben sich dann
auch konkrete Handlungsvorschläge. Das zentrale populistische Feindbild entsteht aus
einer Kritik an der herrschenden Elite. Ihrem korrupten Regime wird das eigene
Handeln gegenübergestellt, welches mit vermeintlich auferlegten Tabus bricht und
egoistische Interessen durch einfache, vernünftige Lösungen ersetzt. Darüber hinaus
wird von Rechtspopulist_innen ein horizontales Feindbild erschaffen, welches die
eigene Identität auch von außen bedroht sieht. Die Bedrohung von oben und von außen
findet schließlich ihren Höhepunkt im Feindbild der Europäischen Union.
24
Zur Materialbasis ist anzumerken, dass sich die fünf analysierten Programmdokumente
stark in ihrem Umfang unterscheiden. So umfasst das unter Zeitdruck entstandene erste
Programm der Partei zur Bundestagswahl 2013 lediglich drei Seiten. Das
Europawahlprogramm besteht dann bereits aus 25 Seiten, auf denen die Partei sich
jedoch auch stark auf die Europapolitik fokussiert und über die Kritik der Europäischen
Union und ihrer Politik hinaus wenig eigene Positionen formuliert. Die „Politischen
Leitlinien“ als das Parteiprogramm der AfD fallen mit zwölf Seiten wieder deutlich
kürzer aus. Sie decken zwar thematisch viele Bereiche ab, gehen aber wenig ins Detail,
sondern formulieren eher allgemeine Standpunkte.
Die Landtagswahlprogramme aus Sachsen und Hamburg haben mit 24 und 28 Seiten
wieder einen deutlich höheren Umfang und beziehen sich im Gegensatz zum
Europawahlprogramm auch auf ein viel breiteres Spektrum an Themen. Politische
Positionen und Forderungen werden hier am deutlichsten und auch im Detail
ausformuliert. Der steigende inhaltliche Umfang der Programme spiegelt zum einen die
zeitliche Entwicklung der Partei wider, zum anderen aber auch die Schwierigkeit einer
Konsensfindung bei zunehmender Zahl an Stimmberechtigten und in Abhängigkeit der
politischen Reichweite (Europa-, Bundes- oder Landespolitik).
Im Hinblick auf die Merkmale rechtspopulistischer Ideologie zeigen sich zwar
Unterschiede zwischen den verschiedenen Programmen, diese lassen sich jedoch auf
Unterschiede in Umfang und Themenschwerpunkten zurückführen und zeigen kein
Muster eines linearen Anstiegs oder Rückgangs rechtspopulistischer Elemente. So
finden sich beispielsweise beinahe alle Aussagen zur Europäischen Union im
Europawahlprogramm, während dieses Thema in den Landtagswahlprogrammen nur
wenig Beachtung findet. In diesen wiederum finden sich aufgrund der detailreichen
Positionen zu einzelnen, landespolitisch relevanten Politikfeldern die meisten Aussagen
zur Familien- und Geschlechterpolitik, sowie die umfangreichsten Ausführungen zur
Identitäts- und Einwanderungspolitik.
25
Mut zu Deutschland
Identität wird von der AfD in ihrer Programmatik primär über die Zugehörigkeit zum
„christlich-abendländischen Kulturkreis“, vor allem aber über die deutsche Nationalität
definiert: „Menschen aber beziehen ihre Identität auch aus dem Land, dem sie
angehören. Diese Identität geht die Politik etwas an“ (A4: 21). Während dieses Thema
im sehr kurz ausfallenden Programm zur Bundestagswahl noch vernachlässigt wird,
finden sich im Europawahlprogramm und in den „Politischen Leitlinien“ bereits
positive Bezüge auf die „Wertgrundlagen des christlich-abendländischen Kulturkreises“
(A2: 2; A3: 7) und den Auftrag der Europäischen Union, diese zu erhalten – ohne dass
genauer ausgeführt wird, was diese Wertgrundlagen ausmacht.
Weiterhin wird „unser kulturelles, wissenschaftliches und technisches Wissen (…) als
Deutschlands wichtigstes Gut“ (A3: 13) definiert und „Mut zu Deutschland“ (A2: 2)
gefordert. Hier wird bereits etwas angedeutet, was durch die weitere Analyse der
Programmatik deutlich wird. Es zeigt sich ein Selbstverständnis von Deutschland als
überlegener Nation – in wirtschaftlicher und auch kultureller Hinsicht – und damit
verbunden die Forderung nach mehr offen ausgelebtem Nationalstolz.
Auf welche Art sich ein solches Überlegenheitsdenken auf politische Positionen
auswirkt, kann besonders auf dem Feld der Europapolitik beobachtet werden. Wie im
Folgenden noch ausgeführt wird, liegt der Fokus der AfD hier auf der Behauptung
nationaler Souveränität und einer starken Stellung Deutschlands innerhalb der
Europäischen Union mit einer impliziten Abwertung wirtschaftlich schwächerer
Mitgliedsländer. Diese Position ergibt sich jedoch aus
einem grundlegend
nationalistischen Weltbild, dessen Konstruktion sich am ehesten in den ausführlicheren
Wahlprogrammen der Landesverbände zeigt.
So wird im Hamburger Wahlprogramm aus Deutschlands „abendländische[r]
Geschichte“ eine „bürgerliche Kultur, Tradition und Tugend“ abgeleitet – welche nach
eigener Aussage von der AfD vertreten werde (vgl. A5: 5). An anderer Stelle werden
Eigenschaften wie Vernunft, Fleiß, Verantwortungsbewusstsein, Unternehmergeist und
26
Teamfähigkeit als „klassisch deutsche Tugenden“ ausgemacht, welche als „deutsche
Erfolgsfaktoren“ für den hohen Wohlstand im Land verantwortlich gemacht werden
(vgl. A5: 11). So wird impliziert, die konstruierte Gemeinschaft der Deutschen teile
besonders positive kulturelle Werte, welche der Grund für eine wohlverdiente
wirtschaftliche Stärke des Landes seien und auf die man stolz sein könne.
Im sächsischen Wahlprogramm wird dann explizit gefordert, die eigene kulturelle
Identität zu stärken und zu schützen: „Eine gefestigte Landesidentität garantiert
Leistungs- und auch Opferbereitschaft, Gesetzestreue und Solidarität, Toleranz und
Stabilität. Eine instabile Landesidentität dagegen höhlt die Fundamente unseres
Gemeinwesens aus und gefährdet auf lange Sicht die Demokratie selbst. (…) Nur wenn
wir über eine gefestigte selbstbewusste Identität verfügen, werden wir auch die
Herausforderungen meistern, die auf uns zukommen“ (A4: 21). Hier wird der positive
Bezug auf eine gemeinsame nationale Identität zugleich mit einem Bedrohungsszenario
verknüpft, welches Handlungsdruck erzeugt.
Als Lösung präsentiert die sächsische AfD im Folgenden eine Vermittlung von
Nationalstolz in der Schule: „Schul- und insbesondere Geschichtsunterricht soll nicht
nur ein vertieftes Verständnis für das historische Gewordensein der eigenen
Nationalidentität, sondern auch ein positives Identitätsgefühl vermitteln. (…) Unsere
Nationalsymbole sollen im Unterricht erklärt werden. Das Absingen der Nationalhymne
bei feierlichen Anlässen soll wie in den USA selbstverständlich sein“ (ebd.). Dass von
einer Selbstverständlichkeit in Bezug auf jegliche Form von Nationalismus in
Deutschland aufgrund der Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Holocaust
nicht so leicht gesprochen werden kann, wird keinesfalls problematisiert. Durch das
gegebene Beispiel der USA, welche für ihren ausgeprägten Nationalstolz bekannt sind,
wird vielmehr der Eindruck erweckt, dies sei der Normalzustand, an den Deutschland
sich anpassen solle.
Eine solche Normalisierung wird auch in Bezug auf die deutsche Sprache als Symbol
der nationalen Identität eingefordert: „Deutschland ist das Land in Europa, das die
27
wenigsten Unterrichtsstunden für die eigene Muttersprache einplant. In Sachsen sind
mindestens so viele Wochenstunden für die deutsche Orthographie, Grammatik und für
den guten Ausdruck wie für die 1. Fremdsprache oder Mathematik vorzusehen“ (ebd.:
9). Eine stärkere Vermittlung der deutschen Sprache, aber auch der als typisch deutsch
bezeichneten Werte wird auch im Hamburger Wahlprogramm gefordert (vgl. A5: 8). Die
AfD Sachsen verlangt darüber hinaus, Anglizismen im amtlichen Sprachgebrauch zu
meiden und „unsere Sprache, wie wir sie kennen und gebrauchen“ zu pflegen (A4: 21).
Die Wahlprogramme der Landesverbände nehmen über eine Stärkung des
Nationalgefühls hinaus auch positiven Bezug auf die regionale Identität ihres
Bundeslandes und erschaffen dabei Bilder einer idealisierten Gemeinschaft, welche an
bewährte Deutungsmuster der potentiellen Wähler_innen anschließen. So lobt die AfD
Hamburg die „erfolgreichen, bürgerlichen Lebensformen mit ihrer altehrwürdigen
Kultur des Hanseatentums“ (A5: 5) und schreibt ihnen zahlreiche positive
Eigenschaften zu. Die AfD Sachsen hingegen fordert besonders eine Stärkung des
ländlichen Raums und somit den „Erhalt von wertvollem Lebensraum“ (A4: 15). Nach
eigener Angabe geht es ihr darum, „Werte zu fördern, die besonders auf dem Lande
noch gepflegt werden: ein intaktes Dorfleben, eine hohe Qualität sozialer Bindungen,
das ehrenamtliche Engagement, Gemeinschaftssinn, Solidarität und Identifikation mit
der Heimat“ (ebd.: 16).
Mit beiden Beschreibungen wird neben dem positiven Selbstbild auch implizit das
negative Gegenbild konstruiert – außerhalb der eigenen, idealisierten Gemeinschaft
werde das Zusammenleben demnach durch einen Verfall der genannten Werte, durch
weniger erfolgreiche Lebensformen und weniger wertvollen Lebensraum bedroht.
Durch eine häufige Gleichsetzung der Partei mit den Bürger_innen in einer sprachlichen
„Wir“-Perspektive wird der Eindruck erweckt, die AfD solidarisiere sich in diesem
Identitätskonflikt mit ihren Wähler_innen und übernehme die Rolle des Sprachrohrs für
besorgte Bürger_innen, welche ihre Identität als Deutsche durch Modernisierung und
Einwanderung bedroht sehen.
28
Aus Angst vorm Wählerwillen den Wählerwillen erfüllen
Die Erfüllung des Volkswillens liegt der AfD laut eigener Aussage sehr am Herzen. Die
Partei fühle sich der Demokratie verpflichtet, wolle sie ernst nehmen und stärken (vgl.
A1: 2; A3: 9; A4: 24). Im Umkehrschluss gelte, dass wir es derzeit lediglich mit einer
„Teildemokratie“ (A5: 28) zu tun hätten: demnach würden Parlamente bei der Kontrolle
der Regierung versagen (vgl. A1: 2), wesentliche Entscheidungen würden nicht mehr
vom Parlament verantwortet, sondern von demokratisch mangelhaft legitimierten
Gremien (vgl. A3: 9), der Bürger werde als Souverän entmachtet (A5: 28), der
Bürgerprotest werde delegitimiert (vgl. A4: 20), die Parteien würden den Willen des
Volkes bestimmen und das politische System beherrschen (vgl. A1: 2).
Das
Resultat
sei
eine
Bedrohung
für
das
friedliche
Zusammenleben:
„Willkürentscheidungen über die Köpfe der Bürger hinweg bereiten nur den Nährboden
für Gewalt, Politikverdrossenheit und Extremismus“ (A4: 20). Was sich in diesem
Narrativ offenbart, ist eine grundlegende Skepsis gegenüber der Wirksamkeit politischer
Repräsentation. Den zentralen Institutionen der repräsentativen Demokratie, Parlament
und Parteien, wird vorgeworfen, den Willen der Bevölkerung zu missachten und nicht in
der Lage zu sein, die Bürger_innen zu vertreten.
Eine Lösung wird von der AfD darin gesehen, repräsentative Mechanismen
weitestgehend durch Verfahren der direkten Demokratie zu ersetzen. So finden sich
Forderungen nach Bürgerentscheiden und Volksabstimmungen in allen Programmen.
Die AfD in Sachsen schlägt ganz konkret vor, hierfür die Verfahren zu vereinfachen und
Hürden wie die Zahl der Unterstützerunterschriften zu reduzieren (vgl. A4: 24). Im
Europawahlprogramm findet sich darüber hinaus der Vorschlag für ein „Vetorecht der
Nettozahler“ (A2: 10), mit welchem eine EU-Gesetzgebung in den jeweiligen
Mitgliedsländern blockiert werden kann. Demnach wird der gewählten Vertretung der
Bürger_innen nicht zugetraut, auch wirklich Entscheidungen in deren Sinne zu treffen.
Volksabstimmungen sollen den Bürger_innen deshalb „die Möglichkeit geben […] aktiv
und selbstbestimmt […] zu entscheiden“ (ebd.).
29
Diese Darstellung impliziert, durch derzeitige politische Entscheidungsmechanismen
seien die Bürger_innen passiv und fremdbestimmt. Geändert werden soll das unter
anderem auch durch das Subsidiaritätsprinzip, welches die AfD immer wieder betont
und demzufolge „Entscheidungen (…) auf derjenigen Ebene getroffen werden [sollen],
die sie betreffen“ (A4: 16). Wenn auch nicht im Widerspruch, so steht dieser Ansatz
doch in gewisser Art und Weise in einem Spannungsverhältnis zum Prinzip der
Repräsentation, welches ja gerade deshalb zum Tragen kommt, da es in vielen Fällen
nicht möglich ist, alle Betroffenen einzeln entscheiden zu lassen. Und spätestens, wenn
die AfD im Europawahlprogramm fordert, die Parteien sollen aus Angst vor dem
Wählerwillen anfangen diesen zu erfüllen (vgl. A2: 25), wird deutlich, von was für
einem gestörten und beschädigten Verhältnis der Bürger_innen zu ihren gewählten
Repräsentant_innen die AfD ausgeht.
Die Krise der Politik
Die Beschreibung des gesellschaftlichen und politischen status quo als untragbares
„Desaster“ (A2: 4) nimmt in den Programmen der AfD viel Raum ein. Die Liste der
Institutionen und Prinzipien, welche dabei von der AfD als bedroht oder beschädigt
angesehen werden, ist lang – ihr zufolge befinden sich Deutschlands Wohlstand, seine
Zukunftsperspektiven, sein Rentensystem, seine Krankenversicherung und seine
Selbstständigkeit ebenso in Gefahr, wie die Stabilität, der Frieden, das Wachstum und
die Demokratie in Europa. Das Vertrauen in den Rechtsstaat, die soziale
Marktwirtschaft, die europäische Idee, die Gewaltenteilung, die Institutionen der
Europäischen Union und in die Politik im Allgemeinen sei „beeinträchtigt und teilweise
zerstört“ (A2: 9). Es wird resümiert, zu dieser bedrückenden Situation müsse es eine
Alternative geben (vgl. A2: 3).
Schuld an der Krise seien vor allem der Einheits-Euro und die Eurorettungspolitik (vgl.
A2: 4), jedoch auch generell die „kopf- und konzeptionslose Politik der
Bundesregierung“ (A1: 3). Mithilfe von Zuspitzungen, Metaphern und Superlativen
wird ein Bedrohungsszenario erschaffen, das seinesgleichen sucht: „Nie waren im
Süden Europas die sozialen Verwerfungen schlimmer, nie war im Euroraum die
30
Arbeitslosigkeit (…) höher, nie war die Staatsverschuldung alarmierender und nie
hatten die Staatsregierungen weniger Hemmungen, Verträge zu brechen und
Stabilitätskriterien zu missachten, als heute. Die Altparteien haben die Zukunft Europas
für die Euro- und Bankenrettung geopfert“ (A2: 23). Die herrschende Politik wird dabei
als kollektiv schuldig und verantwortungslos dargestellt und gilt als eindeutig unfähig,
die Krise zu lösen – ihr wird Politikversagen und Vertragsbruch (vgl. A5: 5), sowie die
Missachtung von Gesetzen (vgl. A2: 25) vorgeworfen.
Der Gebrauch von biologistischen Metaphern verstärkt den Eindruck einer
Unkontrollierbarkeit der Krise: Der Erfolg Europas werde von „Auswüchsen der EU in
Form von Zentralismus, Bürokratie und Dirigismus“ (A2: 2) bedroht, Opfer müssten für
eine
„Gesundung
der
durch
verantwortungslose
Politik
schwer
beschädigte
Staatsfinanzen“ (ebd.: 10) gebracht werden und „in Brüssel wuchert überdies eine rigide
EU-Bürokratie“ (A5: 5). So entsteht der Eindruck, das politische System leide an einer
Krankheit, von welcher es dringend geheilt werden müsse. Mit solchen und anderen
Metaphern werden überspitzte, jedoch anschauliche Krisenszenarien erschaffen, die
darauf abzielen, Unsicherheiten zu verstärken und Ängste zu schüren: „Für den Götzen
des Euro haben die Altparteien die gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Völkern
und den Wohlstand in den Ländern der Eurozone auf dem Altar einer Einheitswährung
aufs Spiel gesetzt (vgl. A2: 25).
Der krisenhafte Zustand beschränkt sich laut der AfD jedoch nicht nur auf die
Europapolitik und den damit verknüpften Wirtschafts- und Finanzbereich, sondern
betrifft auch die Einwanderungs- und Bildungspolitik (vgl. A5: 5), die Energiepolitik
(vgl. A4: 12), sowie – und hier liegt ein weiterer Fokus in den Programmen – den
Bereich der Inneren Sicherheit. Demnach würden Bürger_innen sich zu Recht
ungeschützt fühlen (vgl. A5: 6) und das Justizsystem werde beherrscht von überlangen
Strafverfahren, milden Urteilen, Verfahrenseinstellungen und Personalmangel (vgl. A4:
23).
31
Im Hamburger Wahlprogramm wird ein lokales Krisenszenario erschaffen, welches auf
einer als dramatisch geschilderten Bedrohung durch Linksextremismus beruht:
„Hamburg wuchs in Jahrzehnten – vom Senat durch die Duldung faktisch rechtsfreier
Räume kaum gehindert – zur Hochburg des Linksextremismus in Deutschland heran.
Immer wiederkehrende Gewaltexzesse um die 'Rote Flora' und alle Jahre erneute BrutalAuftritte des 'Schwarzen Blocks' sind nur die Spitze eines Eisbergs“ (A5: 6). In Sachsen
liegt der Schwerpunkt hingegen auf den „Grenzregionen mit zunehmender
Kriminalitätsbelastung durch Diebstähle und Drogenschmuggel“ (A4: 23). In beiden
Fällen werden wirkungsvolle Feindbilder geschaffen und Bedrohungen durch „die
Anderen“ konstruiert, im Fall von Sachsen sogar im wörtlichen Sinne „von außen“.
Das Versagen der Politik
In einem Zug mit der Erschaffung des Krisenszenarios werden in den Programmen der
AfD auch meist die vermeintlich Schuldigen identifiziert. Im Zentrum der Kritik steht
die politische und wirtschaftliche Elite, von der sich die AfD vehement abgrenzt. Die
herrschenden Politiker_innen gelten als verantwortungslos (vgl. A2: 10; A4: 4), ihre
Politik als kopf- und konzeptionslos (vgl. A1: 3), verfehlt und unzulänglich (vgl. A5: 5),
unausgegoren (vgl. A2: 25) und unsozial (vgl. A3: 7). Immer wieder ist die Rede von
Politikversagen (vgl. A3: 5, 6; A5: 5, 18).
Auf diese Weise wird der herrschenden Elite jegliche Kompetenz abgesprochen und das
Gefühl verstärkt, die existierenden Probleme seien durch sie auf keinen Fall zu lösen.
Die Kritik beschränkt sich jedoch keinesfalls nur auf einen Mangel an fachlicher
Kompetenz, sondern wird auf einer moralischen Ebene ausgetragen: „Dieses Versagen
ging mit einer Abkehr von den ethischen Grundlagen einher, die eine freiheitlichdemokratische Grundordnung bedingen“ (A3: 6).
Die Vorwürfe richten sich wahlweise an die Bundesregierung, die etablierten Parteien,
den deutschen Bundestag, das Bundesverfassungsgericht, die Regierungen der
Eurozone, die Europäische Zentralbank oder Banken allgemein. Die etablierten Parteien
werden fast durchgängig durch die Bezeichnung als Alt-Parteien abgewertet:
32
„Insgesamt hat sich über Hamburg ein dichter politischer Filz der Alt-Parteien gelegt.
Den wollen wir aufbrechen, da er sonst vernünftige Lösungen weiter lähmt,
verlangsamt, blockiert und zu oft verhindert, dass über entscheidende Dinge offen
diskutiert wird“ (A5: 6). Die etablierten Parteien werden so metaphorisch zu einer Last,
welche abgelegt werden muss, um die Krise lösen zu können.
Unter anderem wird die herrschende Elite als manipulativ und verlogen dargestellt: den
Bürger_innen werde „bewusst Sand in die Augen gestreut“ (A1: 2), die Wahrheit werde
„durch EU-Kommissare, bürokratische Regelwerke und verschleiernde Abkürzungen
vernebelt“ (A2: 24) und der öffentliche Diskurs über wichtige Themen von den
etablierten Parteien vermieden (vgl. A5: 28). Vielmehr betreibe man eine „Leisetreterei
und Bagatellisierungstaktik“ (A2: 25). Der politischen Führung wird weiterhin
vorgeworfen, Verträge und geltendes Recht gebrochen zu haben (vgl. A2: 9, 10, 25; A3:
6, 7; A4: 4; A5: 5), sodass sie nicht mehr als vertrauenswürdig gelten kann. Stattdessen
unterstellt die AfD den etablierten Parteien eine Entmachtung der Bürger_innen (vgl.
A5: 28) und eine „überbürokratische Bevormundung durch zahllose Gesetze und
Verordnungen“ (A3: 8) Staatlichen Behörden und Unternehmen wird wiederum
vorgeworfen, Bürger_innen umfassend auszuspähen (ebd.).
Die Bevölkerung gilt als unschuldiges Opfer einer Verschwörung von Politik und
Wirtschaft, welche ungewollt mit ihren Ersparnissen eine Klientelpolitik finanzieren
würden, deren Nutznießer Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger seien (vgl.
A1: 1). Auf der einen Seite dieses Freund-Feind-Schemas stehen neben der korrupten
politischen Führung die Banken, welchen vorgeworfen wird ihre Marktmacht zu
missbrauchen, um Regierungen und Steuerzahler_innen zu erpressen (vgl. A2: 7). Auf
der anderen Seite stehen die „Sparer und Steuerzahler“, welche demnach für die
Verfehlungen der ersteren büßen müssten (vgl. A1: 3; A3: 7).
Die AfD selbst ordnet sich bei der Gegenüberstellung des „einfachen Volkes“ und der
„korrupten, abgehobenen Elite“ – der Grundachse des Populismus – eindeutig dem Volk
zu: „Wenn uns Bürgern durch Spekulationen der Sachsen LB Milliarden an
33
Staatsschulden aufgebürdet und wirtschaftlicher Erfolg nur noch an den Bilanzen von
Konzernen gemessen wird, dann ist dieser Erfolg für uns eine Lüge.Man hält uns nicht
für systemrelevant, lässt uns aber für genau dieses System bezahlen. Das ist nicht nur
zynisch, sondern antidemokratisch! Hier widersprechen wir: Die Wirtschaft muss dem
Volke dienen, nicht umgekehrt!“ (A4: 4).
Die AfD solidarisiert sich jedoch nicht nur mit dem angeblich leidtragenden Volk,
sondern präsentiert die eigene Partei als Gegenentwurf und – ganz im Sinne ihres
Namens – Alternative zur etablierten Politik: „Wenn sich herausstellt, dass die Politik in
eine Sackgasse geraten ist, muss die Politik ihre Richtung wechseln. Wir, der
Landesverband
Sachsen
der
„Alternative
für
Deutschland“,
wollen
diesen
Richtungswechsel herbeiführen!“ (A4: 4).
Da die Kritik an der herrschenden Elite und dem derzeitigen System massiv ist, muss
die Abgrenzung der eigenen Positionen entsprechend deutlich ausfallen: „So wenig, wie
sich schnell ein Titel finden lässt, so wenig passen wir in die von dem
Meinungsestablishment nur allzu schnell geöffneten Schubladen der alten PolitikKommoden“ (A3: 5). Die eigene Partei wird in Anknüpfung an das erschaffene
Krisenszenario als einzige Rettung präsentiert: „Im deutschen Parteienspektrum stellt
sich nur die AfD der Entmachtung des Bürgers durch die Alt-Parteien entgegen“ (A5:
28).
Mut zur Wahrheit
Eine spezifische Strategie, mit der rechtspopulistische Parteien die führende Elite
dämonisieren und sich von ihr abgrenzen, ist der gezielte Tabubruch und die Kritik an
der angeblich vorherrschenden „political correctness“. Hiermit wird suggeriert, dass
eine freie Meinungs- und Willensbildung von der Elite bewusst verhindert werde, damit
diese ungestört von der Bevölkerung ihre eigenen Interessen durchsetzen könnte. So
wird in den Programmen der AfD immer wieder angeprangert, dass ein offener
Diskussionsprozess behindert und die Meinungsfreiheit eingeschränkt werde (vgl. A3:
6, 9; A4: 4; A5: 5, 19, 28).
34
Konkret wird gefordert, „dass auch Auffassungen, die abseits vom Meinungskorridor
der etablierten Parteien liegen, angemessen in der Berichterstattung der Medien Platz
finden. Die Freiheit der Medien darf nie eingeschränkt werden“ (A3: 9). Mit der
Metapher eines Korridors wird impliziert, dass nur wenig Raum für andere Meinungen
existiere und die Positionen der etablierten Parteien sehr eng beieinander lägen. Darüber
hinaus wird suggeriert, dass die Medien derzeit nicht frei berichten, sondern als
verlängerter Arm der Politik fungieren würden. Der Politik wiederum wird
vorgeworfen, bestimmte Themen bewusst von öffentlichen Diskursen fern zu halten
(vgl. A5: 19), sie kleinzureden und zu meiden (vgl. A5: 28).
Während die Eliten in Politik und Medien auf diese Weise als manipulativ und korrupt
dargestellt werden, erscheint das „einfache Volk“ als Opfer dieser bewussten
Täuschung. Die Bevölkerung werde jedoch nicht nur manipuliert, vielmehr werde die
Meinungsfreiheit aktiv bedroht: „Wir wenden uns mit Nachdruck gegen zunehmend
verbreitete
Tendenzen
selbsternannter
Gesinnungswächter,
Andersdenkende
einzuschüchtern oder gesellschaftlich auszugrenzen“ (A3: 9). Das sächsische
Landtagswahlprogramm geht sogar so weit, die heutige Situation mit der Parteidiktatur
der DDR zu vergleichen und appelliert mit Bezug auf die friedliche Revolution an den
Regionalstolz der Sachsen: „sie [die sächsischen Bürger] standen nicht dafür auf, dass
wir nun, unter anderem Vorzeichen, wieder aufpassen müssen, was wir sagen“ (A4: 4).
Mit der Forderung einer ergebnisoffenen Diskussion (A1: 2; A5: 28) wird der Eindruck
erweckt, dass Entscheidungen, die das Resultat demokratischer Aushandlungsprozesse
sein sollten, von der politischen Führung schon im Voraus getroffen würden. Indem
diese Situation unmittelbar für das Versagen der Politik mitverantwortlich gemacht
wird, wird auch impliziert, dass gerade die Positionen, welche angeblich von der Elite
unterdrückt würden, zu einer erfolgreicheren Politik führen könnten: „Immer deutlicher
tritt der beschämende Zusammenhang zwischen kolossalem Politikversagen und
umfassender Behinderung offener Diskussionen ('political correctness') zutage“ (A5: 5).
35
Dabei präsentiert die AfD sich als Fürsprecher des „einfachen Volkes“ und als diejenige
Partei, die den Mut habe, die Tabus der etablierten Konkurrenten zu brechen. So fordert
sie neben „Mut zu Deutschland“ (A2: 23) auch „Mut zur Wahrheit in Europa“ (ebd.),
„Mut zur Leistung“ (A5: 6) und „Mut zur Verantwortung“ (A5: 8) und verstärkt somit
erneut die Abgrenzung von der herrschenden Elite, welche diese Dinge angeblich nicht
einfordere. Die AfD sieht sich in der Rolle unkonventionelle Meinungen zu verteidigen
und ihnen Geltung zu verschaffen, solange sie nicht gegen das Grundgesetz verstoßen
beziehungsweise sich in den Grenzen einer freiheitlich demokratischen Grundordnung
bewegen (vgl. A1: 2; A3: 9).
Auch wenn eine so allgemeine Formulierung zunächst unproblematisch, ja eher positiv
erscheint
und
wenig
Angriffsfläche
bietet,
erscheint
die
Vorstellung
von
Meinungsfreiheit, welche die AfD in ihren Programmen vertritt, bei genauerer
Betrachtung nur wenig demokratisch. Auch wenn die Partei sich vorgeblich für einen
Meinungspluralismus einsetzt, so sind es doch ganz bestimmte – nämlich die eigenen –
Positionen, welche sie von der „political correctness“ bedroht sehen.
So dürfe „die Wiedereinführung der DM […] kein Tabu sein“ (A1: 1), die deutschen
Wähler müssten aufgerüttelt werden „angesichts des drohenden Verlusts unserer
Souveränität an ein unausgegorenes Konstrukt der Vereinigten Staaten von Europa“
(A2: 25), es wird betont, „dass auch die Religionskritik der Meinungsfreiheit unterliegt“
(A3: 9) und angeblich werde „durch Sprachregelungen, Euphemismen und
Sprechverbote (…) versucht, eine in der Gender- und Gleichstellungsideologie fundierte
Weltsicht durchzusetzen und das kritische Denken einzuschränken“ (A4: 21).
Bei den unkonventionellen Meinungen handelt es sich also um gesellschaftlich höchst
umstrittene Fragen, die ausgerechnet denjenigen Politikfeldern zuzuordnen sind, die
typischerweise von rechtspopulistischen Parteien mit identitätsbasierten Positionen
besetzt werden: Europa, Einwanderung, sowie Familien- und Geschlechterpolitik.
36
Inwiefern die von der AfD vertretenen Positionen dabei das Grundgesetz achten oder
aber – vielleicht nicht offen, aber doch implizit – an dessen Grenzen stoßen, kann an
dieser Stelle nicht ausreichend diskutiert werden. Auf welche Weise Andersdenkende
auf diesem Gebiet eingeschüchtert oder gesellschaftlich ausgegrenzt werden, bleibt
jedenfalls unklar. Fest steht, dass zur Meinungsfreiheit und einer demokratischen
Diskussionskultur auch Widerspruch gehört – gerade dann, wenn Positionen sich gegen
Minderheiten richten oder diese ausschließen. So entsteht der Eindruck, dass die AfD
zwar Meinungsfreiheit für die eigenen Standpunkte einfordert, die Äußerung von
Widerspruch und gegenteiligen Standpunkten jedoch als „political correctness“
beziehungsweise gesellschaftliche Ausgrenzung abwerten und nicht zulassen möchte.
Mit Vernunft gegen die Ideologie
Die Berufung auf den gesunden Menschenverstand als Grundlage der eigenen Politik
dient rechtspopulistischen Parteien normalerweise eher implizit zur Abgrenzung von der
führenden Elite und vor allem zur Solidarisierung mit dem „einfachen Volk“ und zur
Aufwertung seines Wissens und seiner Lebensrealität. Auch die AfD sieht sich „im Kern
dem gesunden Menschenverstand verpflichtet“ (A5: 5).
Darüber hinaus konstruiert sie jedoch in ihren Programmen zur Europa- und den
Landtagswahlen einen Gegensatz von Vernunft und Ideologie, mit dem sie erneut das
Freund-Feind-Schema der AfD gegen die gesellschaftlichen Eliten bedient und
verstärkt. Die eigenen Positionen werden dabei als sachlich, vernünftig und am
Gemeinwohl orientiert dargestellt (vgl. A2: 22; A4: 10; A5: 6, 28). Die führenden
Eliten hingegen würden „gegen die ökonomische und politische Vernunft“ (A2: 4)
handeln, Einzelinteressen vertreten (ebd.: 22) und zahlreiche „ideologisch motivierte“
(A5: 9) Fehlentscheidungen treffen.
Im Gegensatz zu anderen rechtspopulistischen Parteien steht für die AfD nicht die
Präsentation einfacher Lösungen im Fokus, welche als „common sense“ und als
Alternative zu technokratisch und bürokratisch übermäßig komplizierten Lösungen der
Eliten inszeniert werden. Die AfD selbst beruft sich auf ein „hohes Maß an
37
ökonomischer und wirtschaftspolitischer Kompetenz“ (A5: 11) und suggeriert, mit Hilfe
der Ökonomie und der Wissenschaft im Allgemeinen könne ganz klar zwischen richtig
und falsch unterschieden werden (vgl. A2: 4, 14, 19; A4: 13; A5: 7).
Die richtigen Lösungen werden zwar als einfach zugänglich und umsetzbar präsentiert,
dabei stützt man sich aber zugleich auf die vermeintliche Überlegenheit von
Expert_innenwissen und weniger auf einen „common sense“. Der Elite wird hingegen
vorgeworfen, die richtigen Lösungen nicht mehr als solche zu erkennen, da die
Ideologie ihre Objektivität und Rationalität eingeschränkt habe (vgl. A2: 19). Der
Gegensatz zwischen Vernunft und Ideologie ersetzt somit den klassischen Gegensatz
zwischen gesundem Menschenverstand und technokratischen, komplizierten Lösungen:
„Alle Entscheidungen sind in Zukunft auf Grundlage rationaler Faktenanalyse statt
ideologischen Wunschdenkens zu treffen“ (A2: 19).
Als Resultat dieser Darstellung werden politische Fragen von der AfD eher als
technische Probleme dargestellt, die von Expert_innen zu lösen seien – somit wird das
Politische praktisch negiert, Konflikte werden entpolitisiert. So heißt es beispielsweise
im
sächsischen
Wahlprogramm:
„Das
Zwei-Grad-Ziel
zur
Begrenzung
der
Erderwärmung ist politisch festgesetzt. Es ist Ausdruck einer Öko-Religion, lässt sich
aber nicht wissenschaftlich begründen“ (A4: 13). Politik gilt hier wie Religion als etwas
Irrationales, Willkürliches, während nur die Wissenschaft rationale Entscheidungen
legitimieren könne.
Ein spezielles Verständnis von demokratischer Willens- und Entscheidungsfindung wird
auch deutlich in der durchweg negativen Verwendung des Wortes Ideologie, welches
mit „indoktrinärer Beeinflussung“ (A4: 9) und der Beschreibung als strangulierend oder
menschenfeindlich verbunden wird (ebd.: 4). Dabei kritisiert die AfD ähnlich zur
„political correctness“ all das als ideologisch, was ihren eigenen Positionen widerspricht
und bezieht sich auch hier insbesondere auf die Europapolitik (vgl. A2: 4, 14, 19), die
Familien- und Geschlechterpolitik (vgl. A4: 4, 6, 21), außerdem auf die Energiepolitik
(vgl. A4: 12, 13; A5: 21) und den Bildungsbereich (vgl. A4: 10; A5: 6, 7, 9).
38
Das Aufeinandertreffen von verschiedenen Ideen, Vorstellungen, oder eben Ideologien
bildet den Kern demokratischer Entscheidungsprozesse und es gilt als eine Aufgabe von
politischen Parteien, verschiedene ideologische Ausrichtungen zu repräsentieren und
einzubringen. Wie schon von Bebnowski und Förster (2014) treffend analysiert wurde,
stellt die AfD jedoch ihre eigenen Positionen, die in diesem Prozess mit denen der
etablierten Parteien konkurrieren, als unideologisch dar und nutzt dabei die negative
alltagssprachliche Konnotation von Ideologie als Kontrast zu Realität und Objektivität
zu ihrem Vorteil.
Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“
Eines der Politikfelder, auf dem die AfD der führenden Elite politisches Versagen
vorwirft,
ist
das
der
Familienpolitik
(vgl. A3:
6).
Insbesondere
in
den
Landtagswahlprogrammen entwirft die Partei ein Gegenmodell, welches als
heteronormativ und erzkonservativ beschrieben werden kann: Im Zentrum aller
Maßnahmen steht die traditionelle Kernfamilie aus Vater, Mutter und Kind (vgl. A4: 5).
Man wolle die Familie schützen (vgl. A1: 3; A4: 4), ihre „wertestiftenden Funktionen
(…) stärken und die Geburtenrate erhöhen“ (A4: 5). Die Kernfamilie wird dabei ganz
klar idealisiert und hierarchisch über andere Lebensformen gestellt: sie sei die
„natürlichste aller Gemeinschaften“ (ebd.: 4) – wobei die eher ungewöhnliche
Verwendung des Superlativs für das Wort natürlich wohl noch mal die moralische
Überlegenheit der Familie über andere, weniger natürliche Lebensformen verdeutlichen
soll.
Das Narrativ der Familie als „natürliche Grundeinheit der Gesellschaft, um die herum
sich
alle
weiteren
Gesellschaftsbereiche
entwickeln“
(ebd.:
5)
kann
als
Deutungsangebot an all diejenigen gesehen werden, die sich nach traditionellen,
altbewährten
Handlungsmustern
sehnen
und
gesellschaftlicher
Modernisierung
skeptisch oder ablehnend gegenüber stehen. Mit der Bezeichnung der Familie als
„Keimzelle der Gesellschaft“ (A1: 3) wird auf eine biologistische Metapher
zurückgegriffen, die eine Assoziation von Familie mit Natur und somit Normalität und
durchweg positiven Eigenschaften verstärkt.
39
Dieses Familienbild der AfD impliziert auch eine Abwertung anderer Lebensformen,
welche als weniger natürlich oder sogar unnatürlich gelten. So heißt es dann auch, die
Bürger seien „mündig genug (…), um selbst zu entscheiden, welche Geschlechterrollen
und Familienentwürfe die richtigen sind“ (A5: 26). Im Umkehrschluss bedeutet dies,
dass
es
der AfD
zufolge
auch
durchaus
falsche
Geschlechterrollen
und
Familienentwürfe gibt. Diese werden auch dadurch abgewertet, dass man sie möglichst
unsichtbar machen und nicht thematisieren möchte: „Lehrbuchinhalte haben sich an der
Lebenswelt von Mehrheiten zu orientieren, nicht an der von Minderheiten“ (A4: 9).
Zu einer solchen Minderheit scheinen für die Partei unter anderem auch Homosexuelle
zu
gehören.
Homosexuelle
verfassungsrechtliche
und
Lebenspartnerschaften
gesellschaftliche
Realität.
seien
Eine
zwar
„bereits
weitestgehende
Gleichstellung der sog. „Homoehe“ sowie die Adoption von Kindern durch
Homosexuelle befürworten wir [aber] nicht“ (A4: 5). Homosexualität wird so zwar
nicht offen abgelehnt – es entsteht jedoch der Eindruck, sie werde lediglich toleriert, da
alles andere weder gesellschaftsfähig, noch rechtlich umsetzbar sei. Im Bezug auf die
Ehe und das Adoptionsrecht, also Bereiche, welche gesellschaftlich noch immer als
umstritten gelten, positioniert die AfD sich dann auch klar gegen eine Gleichstellung.
Auch was die Gleichstellung der Geschlechter betrifft, vertritt die AfD eine extrem
konservative und letztlich ablehnende Position. Sie strebe „die Gleichberechtigung der
Geschlechter unter Anerkennung ihrer unterschiedlichen Identitäten, sozialen Rollen
und Lebenssituationen an“ (A2: 18) und möchte dafür „Chancengleichheit für Frau und
Mann“ (ebd.) unterstützen und einfordern. So wird suggeriert, dass die Unterschiede
zwischen den Geschlechtern festgeschrieben und wünschenswert seien und ihre
ungleichen Positionen in der Gesellschaft legitimieren würden. Denn die Ansicht, dass
die bestehenden Geschlechterrollen, welche die AfD anerkannt wissen möchte, keine
Chancengleichheit ermöglichen, wird negiert.
Quotenregelungen und Gender Mainstreaming lehnt die Partei entsprechend ab und
verknüpft beide Maßnahmen mit einer angeblich übermäßigen Regulation durch die EU
40
(vgl. A2: 18; A3: 8; A4: 12; A5: 25). Die Politikansätze zur Gleichberechtigung der
Geschlechter seien „frauenzentriert“ (A5: 26), Frauenförderung müsse durch
Elternförderung ersetzt werden (ebd.). Die implizierte Vorstellung, Frauen und Männer
seien in der Realität gleichermaßen durch Probleme der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf benachteiligt und kinderlose Frauen dürften nicht bevorzugt werden, reiht sich in
das antifeministische Profil der AfD und ihre Idealisierung der traditionellen
Kernfamilie ein.
Die Geschlechterpolitik der AfD ist sehr stark von ihrem antifeministischen Ansatz,
aber vor allem von einem Festhalten am binären, biologistischen Verständnis von
Geschlecht geprägt. Es wird ein Bedrohungsszenario erschaffen, dem zufolge Gender
Mainstreaming auf eine Aufhebung der Geschlechteridentitäten abziele (vgl. A2: 18)
und staatliche Stellen traditionelle Geschlechterrollen und Familienentwürfe bekämpfen
würden (vgl. A5: 26). Es handele sich um weitreichende Umerziehungsmaßnahmen,
welche sich in einer „indoktrinären Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen durch
LGBT_Lehrplaninhalte“ (ebd.: 9) äußerten und zu einer für die körperliche und
seelische Entwicklung schädlichen Früh- und Hypersexualisierung führen könne (ebd.).
Für diese als menschenfeindlich und verquer bezeichnete Ideologie prägt die AfD sogar
ein neues Wort: „Genderismus“ (ebd.: 4). Hier findet sich auch wieder die Strategie, alle
gegnerischen Positionen als ideologisch abzuwerten.
Als Motor der „gescheiterten Geschlechterpolitik“ (A5: 26) werden die Gender Studies
angesehen, welche als unwissenschaftlich, ideologisch und voller Vorurteile abgelehnt
werden (vgl. A4: 10; A5: 26) Während die AfD in Sachsen deshalb die sofortige
Einstellung ihrer Förderung fordert (vgl. A4: 10), verlangt die AfD in Hamburg ihre
Öffnung für die Männerforschung und ihre Besetzung mit „vor allem Biologen“ (A5:
26).
Die Genderforschung sei geprägt durch radikal feministische Strömungen, welche
„sogar teilweise das biologische Geschlecht für „gesellschaftlich konstruiert“ halten“
(ebd.). Hier wird deutlich, für wie abwegig und absurd die AfD diesen
41
sozialwissenschaftlich längst etablierten Ansatz hält. Die Forderung nach mehr Einfluss
der Biologie auf die Genderforschung ist ein klarer Hinweis auf das eigene
biologistische Verständnis von Geschlecht.
Keine Unterstützung für „Integrationsfolklore“
In der öffentlichen Debatte scheint es besonders das Themengebiet von Einwanderungsund Asylpolitik zu sein, auf dem darüber entschieden wird, ob eine Partei als
rechtspopulistisch gilt oder nicht (vgl. Amann 2014). Dies ist insofern verständlich, als
rechtspopulistische Parteien in der Vergangenheit besonders durch ihre kulturalistischen
und häufig islamfeindlichen Positionen auf diesem Gebiet aufgefallen sind (vgl.
Grabow/Hartleb 2013). Aus theoretischer Perspektive sind derartige Positionen jedoch
nicht isoliert, sondern als Fortsetzung und Konsequenz der exklusorischen
Identitätsfindung zu sehen, welche im Zentrum rechtspopulistischer Ideologie steht. So
werden Migrant_innen und Geflüchtete als minderwertige und feindliche „Andere“
konstruiert, als Bedrohung von außen, die es zu bekämpfen gilt. Zugleich wird dabei die
eigene Identität als positiver Gegenentwurf präsentiert und durch die Forderung nach
Assimilation der „Fremden“ aufgewertet.
Derartige Positionen sind zwar in Teilen der Gesellschaft durchaus anschlussfähig (vgl.
Decker/Kiess/Brähler 2014; Klein/Zick 2014), jedoch bleibt offener Rassismus in der
politischen und gesellschaftlichen Debatte hoch stigmatisiert. Vor diesem Hintergrund
erscheint es bei der Analyse der immigrationspolitischen Positionen der AfD eher als
strategisches Lippenbekenntnis, wenn in ihren Programmen „Respekt gegenüber der
Vielfalt unterschiedlicher Menschen“ (A3: 14) geäußert und ein „offenes und
ausländerfreundliches Deutschland“ (A2: 15) gefordert wird. Auch bekennt man sich
mehrfach zum Recht auf Asyl und zu einer Befürwortung von Zuwanderung ( A1: 3;
A2: 16;A3: 12). In der Ausformulierung ihrer einwanderungs- und asylpolitischen
Forderungen wird jedoch deutlich, dass die AfD
genau jenes Feindbild und
Bedrohungsszenario von Migrant_innen und Geflüchteten als Gefahr konstruiert,
welches typisch für den Rechtspopulismus ist.
42
So werden die genannten Gruppen unter Generalverdacht gestellt: eine Zuwanderung in
die
Sozialsysteme
Sozialleistungen
müsse
gestoppt
unbedingt
werden;
unterbunden
Asylanträge
und der
müssten
Missbrauch
genau
geprüft
von
und
Abschiebungen erleichtert und beschleunigt werden (vgl. A1: 3; A2: 15; A4: 19; A5:
20). Immer wieder wird impliziert, dass die meisten der Migrant_innen und
Geflüchteten aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kämen (vgl. A5: 20), nicht
ernsthaft politisch verfolgt würden (vgl. A1: 3), sondern „Armutsflüchtlinge“ (A4: 19)
seien, „die sich von unseren sozialen Leistungen angelockt sehen“ (A5: 20). Mit der
Forderung nach einem Ende der „sich schon seit 1,5 Jahren hinziehenden
Armutseinwanderung aus Serbien und Mazedonien in die Sozialsysteme – vor allem
sog. Roma“ (ebd.) werden gezielt antiziganistische Ressentiments bedient.
Durch Vorschläge wie verpflichtende Sprachkurse bei Bezug von Sozialleistungen,
angeblich „integrierender“ Bürgerarbeit für arbeitslose Migrant_innen und die
Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft (vgl. A4: 19; 20) wird ein Bild von
Migrant_innen und Geflüchteten geschaffen, die weder arbeiten, noch Deutsch lernen
wollen und insgesamt die Integration verweigern. Man wolle „verhindern, dass
arbeitslose Einwanderer sich in Parallelgesellschaften einrichten“ (A4: 20) und fordere
beispielsweise bei besagten Sprachkursen „unentschuldigtes Fehlen, Stören oder
verweigerte Mitarbeit (…) durch empfindliche Kürzung der Sozialleistungen“ (ebd.) zu
sanktionieren.
Das Narrativ der angeblich faulen Migrant_innen geht mit einem starken
Wohlfahrtschauvinismus einher, wenn den sogenannten „Armutsflüchtlingen“ implizit
unterstellt wird, sich Sozialleistungen zu erschleichen und im Allgemeinen zu betrügen.
In diesem Zusammenhang werden die Beibehaltung der Residenzpflicht und der
zentralen
Unterbringung
(vgl. A4:
19), sowie
Sachleistungen
anstelle
von
Geldleistungen (vgl. A5: 21) gefordert, außerdem sollen „beitragsunabhängige
Sozialleistungen wie Kindergeld und ALG II grundsätzlich nur dann an EU-Bürger
ausgezahlt werden, wenn sie ihren tatsächlichen Wohnsitz in Deutschland haben und
mindestens fünf Jahre einer sozialversicherungspflichtigen bzw. selbstständigen
43
Beschäftigung
nachgegangen
sind“
(A4:
19).
Zuwanderung
solle
„mit
Qualifikationsangeboten für deutsche Arbeitslose einhergehen“ (ebd.) und „eine
Besserstellung zu deutschen Hartz IV-Empfängern“ (ebd.: 20) grundsätzlich
ausgeschlossen werden.
Nicht selten werden Vorschläge, die negative Ressentiments über Migrant_innen und
Geflüchtete verstärken, sogar als liberal und in deren Interesse inszeniert. So heißt es:
„Als Gäste des Landes sollen Asylanten würdig behandelt und als Mitmenschen
akzeptiert werden, wozu auch das Recht gehört, ihr Auskommen selbst erarbeiten zu
dürfen“ (A3: 12f.). Dieser vermeintlich positive Vorschlag verliert schon durch die
Verwendung des Begriffs „Asylant“ an Glaubwürdigkeit: Linguisten zufolge, die den
Migrationsdiskurs erforschen, wird das Wort „seit Beginn der 80er Jahren (...) zumeist
abwertend gebraucht, dazu, die Menschen zu benennen, die man nicht dahaben will“
(Wengeler, zitiert nach Gierke 2014: 2). Vor allem aber werden an anderer Stelle Motive
für die Forderung nach einem Arbeitsrecht für Geflüchtete genannt, die nicht nur ein
klares wirtschaftliches Interesse Deutschlands erkennen lassen, sondern erneut das
Narrativ der faulen, integrationsunwilligen Migrant_innen bedienen: „Das Recht auf
Arbeit (ist) zu gewähren, da es der Ghettoisierung vorbeugt, Kosten vermeidet und im
Falle eines positiven Entscheides eine schnelle Integration befördert“ (A2: 16).
Auch die nach außen als sehr progressiv und liberal kommunizierte Forderung nach
einem Einwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild (vgl. A2: 16; A3: 12; A4: 19)
verrät in seiner Ausformulierung viel über das zugrundeliegende Weltbild der AfD: „So
bedarf gelungene Einwanderung einer ausgereiften Steuerung, die vor allem solche
Menschen zu uns kommen lässt, denen es nach aller Erfahrung mit hoher
Wahrscheinlichkeit gelingen wird, sich zügig in die Anforderungen von Beruf und
Arbeitswelt, aber auch von Kultur und Gesellschaft, einzufinden und sich
selbstbestimmt zu verwurzeln“ (A5: 19). Als entscheidend gilt demnach neben den
„Erfordernisse(n) des deutschen Arbeitsmarktes“ (A3: 12) und den beruflichen
Qualifikationen der Migrant_innen vor allem ihr Integrationswille und ihre
Integrationsfähigkeit (ebd.).
44
Durch diese Konstruktion der richtigen und erwünschten Migrant_innen wird auch
zugleich wieder die Gruppe falscher und unerwünschter Migrant_innen mit geschaffen,
welche
im
Umkehrschluss
aus
gering
qualifizierten
und
angeblich
nicht
integrationsfähigen Menschen bestehe. So habe die Politik bisher „bei Zuwanderung
nicht auf Qualifikation geachtet und Zuwanderung in einem Umfang zugelassen, der die
Integrationskräfte
der
Gesellschaft
überfordern
musste.
Das
Resultat
sind
Parallelgesellschaften, in denen sich schlecht qualifizierte und nicht integrierte
Menschen abkapseln und mit sozialstaatlicher Alimentation ein unwürdiges Dasein
fristen“ (A4: 20).
Wieder inszeniert die AfD an dieser Stelle die eigenen guten Absichten, wenn sie das
angeblich „unwürdige“ Dasein dieser Menschen beenden möchte. Mit der Forderung,
die Aufnahme von „Armutsflüchtlingen“ nicht mehr über das Asylrecht, sondern das
vorgeschlagene Einwanderungsrecht zu regeln, fordert sie jedoch de facto, die
genannten Menschen gar nicht mehr nach Deutschland kommen zu lassen (vgl. ebd.:
19).
Die von der AfD durch ihre immigrationspolitischen Forderungen immer wieder
praktizierte Einteilung von nach Deutschland kommenden Menschen in gute und
schlechte Migrant_innen erfolgt vor allem entlang von zwei Merkmalen: ihrer
ökonomischen Nützlichkeit für die nationalen Interessen der deutschen Wirtschaft und
ihrer kulturellen Ähnlichkeit und demzufolge unterstellten Integrationsfähigkeit. Ein
solches Weltbild wird gespeist von einer Kombination aus Neoliberalismus,
Chauvinismus und kulturellem Rassismus und entspricht der rechtspopulistischen
Vorstellung eines idealisierten heartlands, welches es zu beschützen gilt. Das eigene
Überlegenheitsdenken wird dabei auf vielfache Weise deutlich, beispielsweise wenn
beschrieben wird, „wie aufwändig und schwierig gelungene Integration in komplexe
Hochleistungskulturen westlicher Industrieländer für etliche Migranten sein kann“ (A5:
19), was eine Abwertung der Kulturen außerhalb der westlichen Industrienationen als
weniger komplex und leistungsfähig impliziert.
45
Integration wird in der Konsequenz auch eindeutig als Assimilation an die deutsche
Kultur definiert: „Die Vorstellung, wir müssten unsere Kultur zurücknehmen, damit
Integration gelingt, ist grundverkehrt. Das genaue Gegenteil ist richtig: damit
Integration gelingen kann, müssen wir den Einwanderern eine attraktive und feste
Identität bieten (…). Integration und Identität sind zwei Seiten derselben Medaille“ (A4:
20). Hier wird also nicht nur Kultur und Identität gleichgesetzt, sondern auch die
Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen ausgeschlossen und die Komplexität und
Subjektivität von Identität negiert. So heißt es auch zum Thema Staatsbürgerschaft:
„Wer in ein fremdes Land einwandert, lässt die alte Heimat hinter sich und muss sich
eine neue erschließen. Eine Staatsbürgerschaft ist nicht wie eine Handelsware
austauschbar, sondern Herzensangelegenheit“ (ebd.).
Integration ist also der AfD nach nur dann erfolgreich, wenn die deutsche Kultur
beziehungsweise Identität vollständig angenommen wird – wer hingegen unter
erfolgreicher Integration „die maximale Bewahrung der kulturellen Ursprungsprägung
versteht (…), erweckt bei den Einwanderungswilligen unrealistische Erwartungen und
handelt zudem gegen die Interessen des eigenen Volkes“ (ebd.). Erneut wird das eigene
Volk als homogene Masse konstruiert, welche durch eine gemeinsame Heimat
verbunden sei und denen die Anderen, die Migrant_innen, bedrohlich gegenüberstehen.
Als Folge der bisherigen „Integrationsfolklore“ (ebd.) und „Multikulti-Utopien“ (A5:
19) werden ethnische Parallelgesellschaften und Integrationsverweigerung genannt
(ebd.). Die über Jahrzehnte ungesteuerte Einwanderung habe tiefgreifende Probleme in
den Bereichen Schule und Ausbildung, Sprachkenntnisse und innere Sicherheit
verursacht (vgl. ebd.).
Dieses Bedrohungsszenario wird noch verstärkt, indem Migrant_innen immer wieder in
Zusammenhang mit Kriminalität gestellt und so zur Bedrohung der inneren Sicherheit
erklärt werden. So wird beispielsweise die „Aufnahme der Ethnie bzw. des
Migrationshintergrunds in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik“ (A5: 17) gefordert.
Damit sollen „Probleme durch bestimmte ethnische Gruppen“ (ebd.) erfasst werden.
Gerade bei Gewaltkriminalität sei der Anteil von Tätern nicht-deutscher Herkunft sehr
46
hoch (vgl. ebd.). Im Zusammenhang mit der „zwingenden Ausweisung ausländischer
Straftäter“ (ebd.) werden speziell Schusswaffengebrauch, Totschlag und Vergewaltigung
genannt. Derlei Assoziationen tragen zur Konstruktion der Anderen als bösartig und
bedrohlich bei und wecken den Eindruck, alle negativen Eigenschaften seien mit dem
Merkmal einer anderen Nationalität und somit Kultur verbunden.
Ein Verständnis von Kultur als statisches, angeborenes Merkmal geht in der
rechtspopulistischen Ideologie meist mit einer mangelnden Differenzierung von Kultur
und Religion und einer starken Ausprägung von antimuslimischem Rassismus einher
(vgl. Häusler 2008; Shooman 2011). Wie schon bei der Einwanderungsthematik
allgemein, scheint die AfD auch hier zu antizipieren, dass eine strategische Abgrenzung
von offener Islamfeindlichkeit dabei helfen kann, die eigenen Positionen in der
öffentlichen Debatte zu legitimieren. So heißt es im Hamburger Wahlprogramm explizit,
man schätze und respektiere den Islam als Weltreligion und sei sich dessen bewusst,
dass die Gefahr des Islamismus nicht von der Mehrheit der Migrant_innen aus dem
islamischen Kulturkreis ausgehe (vgl. A5: 18).
Dennoch wird die Forderung nach einer Ausweisung sogenannter Hassprediger und
dem Verbot von Terrorcamps in einen Absatz integriert, in dem Migrant_innen im
Allgemeinen mit Kriminalität in Verbindung gebracht werden (vgl. A5: 17). Anstelle
von offenem antimuslimischem Rassismus finden sich in den Programmen der AfD eher
subtile Anspielungen auf die Unvereinbarkeit des Islams mit der von ihnen
konstruierten deutschen Kultur und Identität. Wenn es beispielsweise heißt, unsere
Rechtsordnung sei untrennbar verbunden mit der Kultur, auf deren Boden sie
gewachsen sei und man müsse entschlossen jeglichem Versuch entgegen treten,
innerhalb unserer Rechtsordnung parallele Rechtsordnungen zu etablieren, kann dies als
klare Anspielung auf die Scharia, das islamische Recht, gesehen werden (vgl. A3: 8; A4:
20).
Ähnliches gilt für die explizite Erwähnung, dass auch Religionskritik der
Meinungsfreiheit unterliege (vgl. A3: 9): Hier wird angedeutet, Kritik am Islam sei in
47
der öffentlichen Debatte tabuisiert, womit ein klassisch rechtspopulistisches
Argumentationsmuster bedient wird. Klare negative Bezüge auf den Islam finden sich
insbesondere in den Wahlprogrammen aus Hamburg und Sachsen. Dort werden
Vollverschleierung und Kopftücher als integrationsfeindliche Symbole und Kleidung
bezeichnet (vgl. A5: 8) und Volksabstimmungen über Moscheebauten mit Minaretten
gefordert, da die freie Religionsausübung für Muslime in Sachsen auch ohne
Großmoschee gewährleistet sei (vgl. A4: 20).
Als Lösung für die angeblich fehlgeleitete Zuwanderungspolitik der etablierten Parteien
sieht die AfD eine aktivierende Integrationspolitik. Diese begreife Integration als
Aufgabe derer, die sich integrieren sollen und setze auf die Integrationskräfte der
Gesellschaft (vgl. ebd.). Um diese nicht zu überfordern, müsse man sich jene
Migrant_innen aussuchen, die Deutschland gut tun (vgl. ebd.: 19). So wird der Kreis zur
Unterteilung in gute und schlechte Einwanderung geschlossen. Was die vermeintlich
schlecht integrierten Migrant_innen angeht, welche bereits in Deutschland leben, so
dürfe Integrationsverweigerung nicht hingenommen werden und es dürfe keine
Partizipation ohne Integration geben (vgl. A5: 19). Integration bleibe „primär eine
Bringschuld der Zuwanderer“ (ebd.). Die Idee von an die eigene Bevölkerung
gerichteten Kampagnen für Weltoffenheit oder gar Antidiskriminierungsschulungen hält
die AfD hingegen offenbar für absurd (vgl. A4: 20).
Wettbewerb statt „schädliche Gleichmacherei“
Das Feld der Europapolitik bietet sowohl auf der vertikalen, als auch auf der
horizontalen
Achse
zahlreiche
Möglichkeiten
für
rechtspopulistische
Argumentationsmuster. Die Komplexität der Europäischen Union, ihrer Institutionen,
Prozesse und Politik verursacht bei vielen Bürger_innen Unsicherheiten. Das Tempo der
Veränderungen erscheint ihnen zu hoch, die Idee einer europäischen Integration zu
abstrakt. Diese Verunsicherung wird von der AfD aufgegriffen, bestätigt und verstärkt.
Dem so konstruierten Bedrohungsszenario und Feindbild der Europäischen Union
werden traditionelle und komplexitätsreduzierende Deutungsmuster entgegen gesetzt,
deren Kern die Rückkehr zu nationalstaatlicher Souveränität darstellt.
48
In der Europapolitik der AfD verbinden sich dabei viele der Merkmale
rechtspopulistischer Ideologie zu einem wirkungsvollen Gesamtbild: zentral ist die
Kritik an der europäischen Führungselite und das geäußerte Misstrauen gegenüber
repräsentativer Politik, stark auch das Narrativ einer bedrohlichen Krise und schließlich
die Konstruktion und Idealisierung einer nationalen Identität.
Die Kritik am Euro und der Eurorettungspolitik als Gründungsthema der Partei ist dabei
nur ein Baustein dieses Gesamtbildes. Die Führungselite Europas habe in der Eurokrise
umfassend versagt und mit ihrem Handeln den Mitgliedsstaaten massiv geschadet (vgl.
A1: 2; A2: 24; A3: 6f., A4: 4; A5: 5). Unter anderem wird ihr vorgeworfen, den
Krisenstaaten Sanierungsprogramme aufzuzwingen, mit ihrer Politik die Ersparnisse der
Bürger_innen aufzuzehren, diese finanziell zu schädigen und dabei die „deutschen
Sparer“ systematisch zu enteignen, Unfrieden in Europa zu schüren, Europas
Grundlagen zu zerstören und seine Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden, Verträge und
Recht gebrochen zu haben und bei all dem von sachfremden Interessen geleitet worden
zu sein (vgl. A1:1; A2: 2ff.; A3: 7).
Das Ergebnis sei eine „EU der geretteten Banken, der Hoffnungslosigkeit arbeitsloser
Jugendlicher und der Minimalrenten für die Alten“ (A2: 3). Die AfD fordert deshalb
eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes, das sofortige Ende praktisch
aller
Bestandteile
der
Eurorettungspolitik
und
die
Einsetzung
eines
Untersuchungsausschusses, welcher den Vorwurf der Korruption prüfen soll (vgl. ebd.).
Die Kritik der AfD geht jedoch weit über die Eurorettungspolitik hinaus. Sowohl
Aufbau und Struktur, als auch die demokratische Legitimation der Europäischen Union
werden als mangelhaft angesehen: Die derzeitige Kompetenzverteilung zwischen der
EU und den Nationalstaaten sei nicht zukunftsfähig (vgl. A3: 7), die „Auswüchse der
EU in Form von Zentralismus, Bürokratie und Dirigismus“ würden den Erfolg Europas
bedrohen (vgl. A1: 2), die Machtfülle der europäischen Institutionen wachse ohne
demokratische Kontrolle immer mehr an, sodass ein bürgerferner Kunststaat ohne
Zustimmung der Bevölkerung entstehe (vgl. A2: 2) und Brüssel sich immer stärker „im
49
Sumpf einer selbstgeschaffenen, hochkomplexen Bürokratie“ verfange (vgl. ebd.: 8).
Die Entscheidungsträger_innen seien so weit von den tatsächlichen Problemen vor Ort
entfernt, dass häufig weltfremde Entscheidungen getroffen würden (vgl. A2: 9) und
„über unsere Köpfe hinweg ein EU-Staat gebaut wird, den kein Volk trägt und den
niemand will außer einer dünnen Schicht von Technokraten“ (A4: 4). Die
Bedrohungslage
und das
Feindbild der
korrupten, verantwortungslosen und
abgehobenen Elite werden zunächst wortreich konstruiert. In der strukturellen Kritik an
der EU und den dazugehörigen Lösungsvorschlägen zeigt sich dann erneut das
grundlegende Misstrauen der Partei gegenüber repräsentativer Politik. So fordert sie,
wann immer möglich, ein Ende konkreter Integrationsschritte und -bemühungen, eine
Rückverlagerung der Verantwortung und Entscheidungen auf die nationale Ebene oder
Volksabstimmungen über die Abtretung wichtiger Befugnisse an die EU (vgl. A1: 2; A2:
3ff.; A3: 7). Man setze auf „Subsidiarität statt auf Zentralismus und auf Wettbewerb
statt Gleichmacherei und Harmonisierung“ (A2: 2; A3: 7). In der Konsequenz sollen
Aufgaben und Ausgaben der EU massiv reduziert werden (vgl. A2: 10).
Zentral für die ablehnende Haltung der AfD gegenüber der EU ist nicht nur eine
vertikale Abgrenzung von der dort herrschenden Elite, sondern auch eine horizontale
Abgrenzung von den anderen Mitgliedsstaaten. Man positioniert sich zwar nicht gegen
die Idee einer europäischen Integration im Allgemeinen, kritisiert aber Tempo, Form
und Ausmaß der Integrationsschritte: „Europa muss aus seinen Völkern heraus wachsen
statt von oben herab erzwungen zu werden“ (A2: 3). Zentralistische Maßnahmen
würden die Selbstständigkeit der europäischen Staaten schwächen und stünden im
Widerspruch zu einem demokratischen, freiwilligen Zusammenwachsen der Völker
Europas (vgl. ebd.).
Die Idee einer „EU der souveränen Nationalstaaten“ (ebd.) scheint auf den ersten Blick
eine Gemeinschaft mit den anderen Mitgliedsländern grundsätzlich zu befürworten. An
anderer Stelle wird jedoch deutlich, dass die AfD nicht nur Zweifel an der Existenz
einer gemeinsamen europäischen Identität hat und deshalb nationale Unterschiede klar
50
heraus stellt. Darüber hinaus konstruiert sie über die Abwertung anderer europäischer
Länder die eigene deutsche Identität als wirtschaftlich und kulturell überlegen. Es zeigt
sich genau jene, der AfD eigene Argumentationsweise, welche von Bebnowski und
Förster (2014) als „Wettbewerbspopulismus“ bezeichnet wurde.
Relevante und identitätsstiftende Kategorien sind für die AfD in der Ausformulierung
ihrer Europapolitik eindeutig der Nationalstaat und das dazugehörige Volk, dessen
Selbstständigkeit und Souveränität es zu bewahren gilt. So wird beispielsweise betont,
es könne keinen europäischen Bundesstaat geben, da es keine europäische Nation und
kein europäisches Staatsvolk gebe (vgl. A1: 2). Die EU versuche durch „schädliche
Gleichmacherei“
(A2:
4)
zu
ignorieren,
dass
es
verschiedene
Integrationsgeschwindigkeiten gebe (vgl. ebd.: 3), die einzelnen Volkswirtschaften
unterschiedliche
Bedürfnisse
hätten
(ebd.:
4)
und
in
den
Mitgliedsstaaten
unterschiedliche ökonomische Kulturen vorherrschen würden (ebd.: 5). Die Banken in
den einzelnen Mitgliedsländern würden „gravierend voneinander abweichende
Risikostrukturen aufweisen“ (ebd.: 6).
Wo zunächst noch neutral von Unterschieden die Rede ist, wird bald erkennbar, dass die
AfD diese Unterschiede sehr eindeutig bewertet: so fordert sie ein kleineres
Währungssystem der „stabilitätsorientierten Euroländer“ (A2: 5) und spricht sich gegen
eine Sozialunion „zulasten der wettbewerbs- und reformfähigen Mitgliedsstaaten“ (ebd.:
14) aus. Den Euro aufgeben sollen hingegen diejenigen Länder, „die die Bedingungen
der Währungsunion nicht erfüllen können oder wollen“ (ebd.: 5). Demnach unterstellt
die AfD einigen Mitgliedsländern der EU wettbewerbsunfähig und reformunwillig
sowie
nicht
an
Stabilität
orientiert
zu
sein.
Aufgrund
unterschiedlicher
Wertvorstellungen der Mitgliedsstaaten wird gefordert, Vorhaben, die ethisch oder
moralisch kontroverse Inhalte haben, allein durch die nationalen Parlamente entscheiden
zu lassen (vgl. ebd.: 9). So wird impliziert, Deutschland müsse sich von ethisch oder
moralisch fragwürdigen Wertvorstellungen anderer Länder schützen.
51
Besonders in Hinblick auf die Eurokrise schreckt die Partei auch nicht davor zurück, die
Regionen und Länder beim Namen zu nennen, welche sie durch ihre Formulierungen
teils beschuldigt, teils abwertet: „Südeuropa verarmt und (beansprucht) die Gelder
anderer Länder im Norden“ (A1: 2). Der Euro sei für Südeuropa sowie Frankreich
überbewertet und die ungenügenden Resultate der dortigen Reformen würden Druck auf
Deutschland ausüben, seine Wettbewerbsvorteile abzubauen (vgl. A2: 4). Eine
europäische Arbeitslosenversicherung hätte zur Konsequenz, dass französische oder
italienische Arbeitslose auch aus deutschen Sozialversicherungsbeiträgen finanziert
werden würden (vgl. ebd.: 14). Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit zu lösen sei
„eine nationale Aufgabe der Krisenstaaten, da die Ursache oft in unzureichenden
Reformen der dortigen verkrusteten Arbeitsmärkte liegen“ (ebd.). Durch das
Wohlstandsgefälle zu Deutschland würde vor allem Migration aus Rumänien und
Bulgarien langfristig das deutsche Sozialstaatsprinzip überfordern (vgl. ebd.: 15).
Die Kosten für die Eurorettung würden hingegen von den Deutschen, Holländern,
Österreichern und Finnen getragen (vgl. ebd.: 25). Weitere geplante Maßnahmen der EU
würden der AfD zufolge eine klare Benachteiligung Deutschlands mit sich bringen:
durch eine Bankenunion würden „deutsche Finanzinstitute mit vergleichsweise soliden
Finanzen (…) zur Sanierung maroder Banken in Krisenländern herangezogen“ (ebd.:
6f.). Eine Harmonisierung der Gesundheitswesen würde „zwangsläufig zu einem
Absinken des Gesundheitsniveaus in Deutschland auf ein niedrigeres gemeinsames
Niveau führen“ (ebd.: 18). Außerdem wird befürchtet, dass es durch die Einrichtung
einer
europäischen
Staatsanwaltschaft
„zu
einer
weiteren
Aushöhlung
des
Rechtsstandards in Deutschland“ (ebd.: 9) kommen könnte. Darstellungen dieser Art
konstruieren das Bild eines in vielerlei Hinsicht überlegenen Deutschlands, welches sich
vor einer Benachteiligung durch die Europäische Union schützen muss.
Insgesamt wird suggeriert, in der Eurokrise könne klar zwischen gut und böse, zwischen
Schuldigen und Unschuldigen unterschieden werden. Auf der einen Seite seien da die
unwilligen und unfähigen Krisenstaaten im Süden Europas und auf der anderen Seite
die leidtragenden Steuerzahler_innen im wirtschaftlich überlegenen Nordeuropa und
52
speziell in Deutschland. Dennoch ist es für die AfD nicht eine solche Darstellung,
sondern der Euro, welcher Streit und das Wiederaufleben nationaler Vorurteile bewirkt
und Wohlstand und Friede unter den Mitgliedsstaaten gefährdet (vgl. A3: 7).
Um nicht von den anderen Mitgliedsländern ausgenutzt zu werden – Deutschlands
Pflichten würden schließlich immer zahlreicher und die Kosten immer höher – will die
AfD „Deutschlands Rolle in der EU wieder stärken“ (A2: 24), beginnend mit der
„Gleichberechtigung der Deutschen Sprache als zwischennationale Verkehrs- und
Arbeitssprache gegenüber dem Englischen und dem Französischen“ (A4: 21) als Teil
ihrer „Identitätspolitik“ (ebd.). Ein starkes und solidarisches Europa brauche ein
leistungsfähiges und selbstbewusstes Deutschland (A2: 2). Vor dem Hintergrund des
chauvinistischen Weltbildes der AfD, dem zufolge Deutschland von den wirtschaftlich
schwächeren Ländern der EU ausgebremst werde und mehr Nationalstolz entwickeln
müsse, erscheint es fragwürdig, wie hierdurch mehr Solidarität in Europa entstehen soll.
4.2 Wähler_innenstruktur
Um zu überprüfen, ob eine Partei als rechtspopulistisch bezeichnet werden kann, spielt
nicht nur die von ihr vertretene Ideologie eine Rolle, sondern auch, welche
Wähler_innenschaft sie damit tatsächlich anspricht. Denn in Hinblick auf die Kriterien
einer Parteienfamilie stellen Decker und Lewandowsky (2012) fest, dass sowohl die
Formen der Ansprache als auch die Wähler_innenstruktur rechtspopulistischer Parteien
im Ländervergleich ähnliche Merkmale aufweisen, „sodass von einer „typischen“
Klientel (…) [dieser] Parteien gesprochen werden kann“ (ebd.: 273). Da die Ideologie
und Mitgliederzusammensetzung der AfD derzeit noch nicht als stabil beschrieben
werden können, gewinnt die Frage nach den (potentiellen) Wähler_innen der Partei,
nach ihren Beweggründen, Einstellungen und anderen Merkmalen noch einmal an
Bedeutung für die Fragestellung (vgl. Berbuir/Siri/Lewandowsky 2014: 14).
Empirische Studien zu anderen rechtspopulistischen Parteien haben bestätigt, was sich
aus dem theoretischen Rahmen ableiten lässt: Bei den typischen Wähler_innen
53
rechtspopulistischer
Parteien
handelt
es
sich
häufig
um
sogenannte
„Modernisierungsverlierer“ (Decker/Lewandowsky 2012: 272), gekennzeichnet durch
die Verbindung von soziokulturellen Entfremdungsgefühlen und tatsächlicher oder
wahrgenommener ökonomischer Benachteiligung. Die resultierende Unzufriedenheit
und Verunsicherung machen diese Personen besonders empfänglich für die
beschriebene rechtspopulistische Ideologie.
Eine Charakterisierung der typischen Wähler_innen rechtspopulistischer Parteien als
gesellschaftliche Verlierer_innen birgt jedoch die Gefahr, ihre starke Verankerung in
allen Teilen der Bevölkerung zu unterschätzen. Rechtspopulismus wird so – ähnlich wie
Rechtsextremismus – schnell zu einem Randphänomen erklärt und damit in Bezug auf
seine gesamtgesellschaftliche Relevanz entkräftet. Dabei verweisen verschiedene
sozialwissenschaftliche Studien seit Jahren auf einen Extremismus der sogenannten
gesellschaftlichen Mitte, welcher sich in alarmierend hohen Zustimmungswerten zu
Ideologien der Ungleichwertigkeit in breiten Teilen der Bevölkerung äußert (vgl.
Decker/Kiess/Brähler 2014; Klein/Zick 2014).
Eine Gefahr für das demokratische Zusammenleben ergibt sich den Autor_innen der
Studien zufolge vor allem da, „wo eine Mitte sich nicht aus eigenen Kräften über
Ungleichwertigkeiten
Menschenfeindlichkeit
diskriminierten
verständigen
verwehrt
Gruppen
oder
kann
und
der
oder
sich
stattdessen
Ideologie
einer
sogar
Vorurteile
dem
Thema
reflexhaft
sogenannten
den
»Politischen
Korrektheit« zuschreibt, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen“ (Zick/Klein 2014:
17).
Eine
Beschreibung,
welche
sich
in
alarmierender
Weise
mit
der
rechtspopulistischen Ideologie überschneidet.
Preuß, van de Wetering und Zick (2014) stellen dann auch einen klaren Bezug zum
Rechtspopulismus her, indem sie aus den Daten des Langzeitprojekts Gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit von 2002 bis 2011 theoretisch begründete Indikatoren für ein
rechtspopulistisches Einstellungsmuster bei den Befragten entwickeln. Zwar liegen
noch keine empirischen Untersuchungen zu Wähler_innen der AfD vor, welche mit
54
diesen Indikatoren arbeiten, jedoch trägt ihre Konzeption zu einem umfassenderen Bild
der typischen Wählerklientel rechtspopulistischer Parteien bei.
Die theoretischen Vorüberlegungen zu Rechtspopulismus sowie der bisherige
Forschungsstand zur Wähler_innenstruktur dieser Parteienfamilie geben klare Hinweise
darauf,
welche
Merkmale
und
Einstellungen
bei
der
typischen
Klientel
rechtspopulistischer Parteien zu erwarten sind. Nun gilt es zu überprüfen, inwiefern
diese Erwartungen auf die Wähler_innenstruktur der AfD zutreffen.
4.2.1 Die Wähler_innenstruktur der Alternative für Deutschland
Einen ersten Einblick bietet Schmitt-Beck (2014) mit Hilfe einer repräsentativen
Panelbefragung von Wähler_innen zur Bundestagswahl 2013, die im Rahmen der
German Longitudinal Election Study durchgeführt wurde. Hierbei zeigt sich, dass die
AfD besonders für diejenigen attraktiv war, die sich bislang nicht mit einer politischen
Partei identifizierten. Überdurchschnittlich viel Zustimmung gab es außerdem von
Personen männlichen Geschlechts und von solchen aus den neuen Bundesländern (ebd.:
110). Weiterhin stellt der Autor fest, „dass die AfD-Wählerschaft aus zwei Gruppen
bestand: einer Mehrheit von circa 70 Prozent, die erst knapp vor dem Urnengang ihre
Entscheidung traf, und einer Minderheit von circa 30 Prozent, die schon länger auf diese
Partei festgelegt war“ (ebd.: 100).
Die Frühentscheider_innen wurden vor allem durch eine liberal-konservative
Einstellung in sozioökomischen Fragen motiviert – so sahen sie in der Euro-Krise das
größte Problem
des
Landes, lehnten Finanzhilfen
für überschuldete Euro-
Mitgliedsländer ab, sahen die Zukunft der deutschen Wirtschaft mit großem
Pessimismus und waren mit der Arbeit der bisherigen Bundesregierung extrem
unzufrieden (ebd.: 111). Interessanterweise spielte die Beurteilung der eigenen
ökonomischen Situation keine Rolle. Die Verbindung von Angst vor wirtschaftlicher
Benachteiligung und Entfremdungsgefühlen zeigt sich jedoch eindeutig bei der weitaus
größeren Gruppe von Spätentscheider_innen. Ihre wahlpolitischen Motive waren vor
55
allem die Besorgnis über die Euro-Krise sowie die strikte Ablehnung einer
multikulturellen Einwanderungspolitik (ebd.: 112).
Auch Berbuir, Lewandowsky und Siri (2014) bemühen sich in ihrer Studie zur AfD um
ein differenziertes Bild der potentiellen Wähler_innenschaft der Partei. Mithilfe von
Daten des Bundeswahlkompass 2013, einer sogenannten Voting Advice Application,
untersuchen sie Sympathisant_innen der AfD unter anderem in Hinblick auf ihren
sozioökonomischen Hintergrund und verschiedene Einstellungsmuster, sowie auf ihre
Positionierung im politischen Spektrum. Die Gruppe von AfD-Sympathisant_innen –
definiert als Personen, welche eine hohe Wahrscheinlichkeit zeigen, die AfD zu wählen
– wurde von den Autor_innen systematisch mit der Gruppe von NichtSympathisant_innen verglichen. Zunächst einmal stellen sie fest, dass es sich bei 80
Prozent der zugeneigten Personen um Männer handelt und sie insbesondere in den
Altersgruppen von 25 bis 35 und von 45 bis 54 Jahren zu finden sind (ebd.: 15). Die
Erkenntnis,
dass
sich
AfD-Sympathisant_innen
überdurchschnittlich
politisch
interessiert zeigen, fast zur Hälfte über einen Universitätsabschluss verfügen und zu 47
Prozent über ein monatliches Einkommen von 2500 bis 5000 Euro wird von den
Autor_innen dahingehend relativiert, dass der Bundeswahlkompass besonders stark von
Personen mit diesen Merkmalen benutzt wird (ebd.).
Mit Blick auf politische Positionen und Einstellungen zeigte sich, dass unter der AfD
zugeneigten Personen im Vergleich zu Nicht-Sympathisant_innen eine sehr hohe
Akzeptanz autoritärer Strukturen, sowie große Unzufriedenheit mit der Demokratie in
Deutschland zu finden sind (ebd: 15f.). Beim Thema Europa, dem Kerngebiet der AfD
in ihrer Außendarstellung, zeigt sich ein stärker differenziertes Bild als erwartet: „One
could conclude here that those who favour the Alternative für Deutschland are not
constantly against the EU as an institution but against mechanisms of financial
solidarity
between
Sympathisant_innen
the
European
eurokritischen
states“
(ebd.:
Positionen
weit
17).
Zwar
häufiger
stimmen AfDzu
als
Nicht-
Sympathisant_innen – jedoch bleibt auch ein großer Anteil der zugeneigten Personen
eher moderat oder unentschieden in ihrem Euroskeptizismus.
56
Klare Bezüge zu Rechtspopulismus stellen die Autor_innen besonders bei Einstellungen
der AfD-Sympathisant_innen zu den Themen Immigration sowie Familien- und
Geschlechterpolitik fest: „In a nutshell, it becomes clear that AfD sympathisers lean
more towards identitybased policies. Although they place themselves firmly in the
political centre, they are the most conservative group in immigration and social
policies“ (ebd.: 20). Die Zustimmung zu restriktiven und islamfeindlichen Positionen in
Einwanderungsfragen liegt bei 60 bis 75 Prozent unter AfD-Sympathisant_innen und
bei nur 19 bis 28 Prozent in der Vergleichsgruppe (ebd.: 18). Weiterhin zeigen AfDSympathisant_innen im Vergleich die stärkste Ablehnung eines Adoptionsrechts für
homosexuelle Paare (ebd.).
Die Autor_innen schlussfolgern: „As the level of refusal against the EU is lower than
expected, one can assume that support for the AfD derives not only from the Euro
question but, at the same time, from the cultural dichotomy that characterises those
addressed by the populist agenda“ (ebd.: 20). Die Selbstpositionierung der AfDSympathisant_innen in der Mitte des politischen Spektrums scheint für sie eher im
Widerspruch zur klassisch rechtspopulistischen Wähler_innenschaft zu stehen: „on the
one hand they describe themselves as part of the political centre, on the other hand they
show anti-diversity and anti-immigrant attitudes“ (ebd.).
In Anknüpfung an die bereits genannten Studien, welche Rechtspopulismus in einen
klaren Zusammenhang mit Ungleichwertigkeitsideologien bringen, erscheint es jedoch
wenig überraschend, dass typische Wähler_innen rechtspopulistischer Parteien zum
Großteil in der politischen und sozioökomischen Mitte der Gesellschaft zu finden sind.
Denn anti-pluralistische und immigrationsskeptische Einstellungen stehen in keinerlei
Widerspruch zu, sondern leiten sich sogar ab aus dem Phänomen der gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit, welches sich in besonderem Maße in Deutschlands Mitte finden
lässt.
Aus diesem Grund wurden Analysen der AfD-Sympathisant_innen wohl auch zu einem
expliziten Bestandteil der aktuellsten Studie der Autor_innen Zick und Klein (2014) zu
57
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Je nach Fragestellung gelten in den Analysen
als potentielle AfD-Wähler_innen, wer bei der sogenannten Sonntagsfrage der AfD
seine Zweitstimme zuspricht oder wer angibt, mit den Ideen der AfD zu sympathisieren
oder schon mal mit dem Gedanken gespielt zu haben, die AfD zu wählen (ebd.: 112;
128). Es ergeben sich hieraus Fallzahlen, die zwischen 68 und 318 Personen liegen.
Methodisch betrachtet können
die Ergebnisse somit nur als
eingeschränkt
aussagekräftig bezeichnet werden, dennoch geben sie interessante inhaltliche Hinweise.
So
zeigt
sich
beispielsweise
überdurchschnittliches
Ausmaß
ausländerfeindlichen Aussagen
unter
an
den
AfD-Sympathisant_innen
Zustimmung
sowie Aussagen,
zu
die
chauvinistischen
den
„ein
und
Nationalsozialismus
verharmlosen“ (ebd.: 47). Befragte, die der AfD zuneigen, erweisen sich außerdem als
deutlich europakritischer als andere und lehnen einen stärkeren Zusammenhalt der
europäischen Länder in großem Maße ab (ebd.: 128).
Besondere Aufmerksamkeit schenken Zick und Klein im Zusammenhang mit der AfD
dem Phänomen des marktförmigen Extremismus. Hierunter verstehen die Autor_innen
das Einhergehen der allgegenwärtigen unternehmerischen Selbstoptimierungsnorm mit
scharfen Wettbewerbsideologien und der ausgrenzenden, ökonomistischen Bewertung
von Menschen (ebd.: 103). „Marktförmiger Extremismus bietet vielleicht durch die ihm
innewohnende Wettbewerbslogik und das auf Menschen bezogene Kosten-Nutzen
Kalkül bedrohten Menschen wirkungsmächtige und dringend benötigte Erklärungen für
schwer zu durchschauende Entwicklungen, wie auch Gründe für die Abwertung und
Ausgrenzung anderer – das Überleben des Stärkeren, im Zweifel Ausgrenzung wegen
mangelnder Effizienz. Insgesamt könnte dieser Mechanismus neuen Halt und ein
Gefühl von Sicherheit in unsicheren Zeiten bieten“ (ebd.: 104).
An dieser Stelle wird sichtbar, auf welche Weise neoliberale Positionen anschlussfähig
für die komplexitätsreduzierenden und identitätsbasierten Deutungsangebote des
Rechtspopulismus sind. Es ergibt sich hieraus eine Möglichkeit, nicht nur an die Sorgen
der sogenannten Modernisierungsverlierer anzuknüpfen, sondern insbesondere auch die
58
gesellschaftliche Mitte über ihre Abstiegsängste zu mobilisieren. In Anlehnung an den
von Bebnowksi und Förster (2014) geprägten Begriff des Wettbewerbspopulismus
schlagen Zick und Klein (2014) nun den Bogen zu der Frage, „ob sich das
Wählerpotential der AfD, das wir als wettbewerbspopulistisches Potential bezeichnen,
tatsächlich aus den Personen zusammensetzt, die einen marktförmigen Extremismus
befürworten und sich bedroht fühlen“ (ebd.: 104).
Tatsächlich bestätigen die Analysen der Autor_innen, dass der marktförmige
Extremismus sowie die Angst, durch die Eurokrise den bestehenden Lebensstandard
und/oder Ersparnisse zu verlieren unter AfD-Sympathisant_innen überdurchschnittlich
stark ausgeprägt sind (ebd.: 113f.). Darüber hinaus zeigt sich bei dieser Gruppe ein
extrem hoher bis hoher Zusammenhang zwischen marktförmigem Extremismus und
Sozialdarwinismus, Ausländerfeindlichkeit, der Befürwortung einer rechtsautoritären
Diktatur, der Verharmlosung des Nationalsozialismus und Chauvinismus (ebd.: 117).
Somit scheint die „Verbindung von Wettbewerbslogiken mit Bedrohungsszenarien,
Nationalismus und Menschenfeindlichkeit“ (ebd.: 104) nicht nur ein Merkmal
rechtspopulistischer Parteien zu sein, sondern auch ein Kennzeichen der potentiellen
Wähler_innenschaft der AfD.
Zick und Klein fassen zusammen: „AfD-Sympathisanten und bedrohte Personen, die
marktförmigem Extremismus zustimmten, vertraten auch besonders stark die Meinung,
dass sich, wie in der Natur, auch in der Gesellschaft der Stärkere durchsetzen sollte,
dass es wertvolles und unwertes Leben gebe und dass die Deutschen anderen Völkern
von Natur aus überlegen seien. Hier, in dieser ökonomisch menschenfeindlichen
Verbindung
von
marktförmigem
Extremismus
mit
Rechtsextremismus
im
wettbewerbspopulistischen Milieu offenbart sich eine reale Gefahr für die Demokratie
mit klaren Verbindungslinien in die Mitte unserer Gesellschaft“ (ebd.: 118).
59
4.3 Organisationsform
Als typisches Merkmal rechtspopulistischer Parteien und zugleich entscheidendes
Kriterium für Erfolg oder Scheitern der Partei wird in der Literatur häufig die Existenz
einer charismatischen Führungspersönlichkeit genannt. Decker und Lewandowsky
(2012) ergänzen diesen Aspekt um die Selbstinszenierung als Bewegung von unten und
identifizieren die Kombination dieser Merkmale als typische Organisationsform
rechtspopulistischer Parteien (vgl. ebd.: 272). Die Selbstdarstellung als Bewegung von
unten spielt eine große Rolle in der Außenkommunikation, da sie sich ideologisch in die
Anti-Establishment-Orientierung
einfügt
und
potentiellen
Wähler_innen
Bürger_innennähe vermittelt. Intern ist die Organisationsstruktur rechtspopulistischer
Parteien hingegen überwiegend durch eine autoritäre Führung von oben geprägt. Der
Führungspersönlichkeit wird dabei auch die Funktion der Disziplinierung der
Parteimitglieder zugeschrieben.
In Anlehnung an diese Schilderung der Organisationsform der rechtspopulistischen
Parteienfamilie soll nun überprüft werden, inwiefern die genannten Merkmale auf die
Alternative für Deutschland zutreffen. Da sich der Bewegungscharakter der Partei
ideologisch herleitet, wurde dieses Merkmal des Rechtspopulismus auch in der
qualitativen Inhaltsanalyse der Parteiprogramme berücksichtigt. Führungspersonal und
interne Organisation der Partei unterliegen in der Konsolidierungsphase noch immer
häufiger Veränderung, weshalb hier nur ein Schlaglicht auf die bisherige Entwicklung
möglich ist. Anhand von Presseberichten soll ein Eindruck der Parteiführung und
-organisation gewonnen werden, welcher dann in Bezug zu klassischen Mustern
rechtspopulistischer Parteien gesetzt werden kann.
4.3.1 Die Organisationsform der Alternative für Deutschland
Hinsichtlich des Bewegungscharakters fällt zunächst auf, dass bereits bei der
Namensgebung der Alternative für Deutschland auf das Wort Partei verzichtet wurde –
eine Entscheidung, die wohl nicht zufällig getroffen wurde. Auch in den „Politischen
Leitlinien“ der Partei bezeichnet sie sich als „Bewegung aus der Mitte vieler besorgter
60
und
verantwortungsbewusster
Bürger“
(A3:
5)
und
betont
die
„intensive
Mitgliedereinbindung“ (ebd.) bei der Entstehung der Programmatik. Im Hamburger
Wahlprogramm wird die Parteigründung eindeutig als Bottom-up-Prozess dargestellt:
„Bald erwuchs darauf eine breite Bewegung und wurde zur Partei 'Alternative für
Deutschland'“ (A5: 5). Darüber hinaus inszeniert sich die Partei als Spiegelbild der
Gesellschaft und erzeugt ein solidarisches „Wir“-Gefühl, wenn es heißt, die Mitglieder
„entstammen allen Berufen und Schichten, allen Bildungs- und Einkommensklassen,
allen Regionen unseres Landes“ (ebd.).
Insgesamt wird so der Eindruck geschaffen, die Partei sei in Abgrenzung zu ihren
etablierten Konkurrent_innen noch sehr nah an den Bürger_innen und ihren Problemen
und Sorgen dran, da sie aus diesen heraus entstanden und von ihnen bestimmt sei – im
Gegensatz zum sogenannten Establishment, welches an anderer Stelle immer wieder als
fremdbestimmt, machtversessen und korrupt dargestellt wird. Es kann also festgestellt
werden, dass die AfD sich entsprechend der typischen rechtspopulistischen Strategie als
Bewegung von unten inszeniert.
Nun weist die Forschung zu rechtspopulistischen Parteien darauf hin, dass derartige
Selbstdarstellungen oft in starkem Widerspruch zur tatsächlich beobachtbaren
Parteiorganisation stehen. So steht beispielsweise Niedermayers (2015) Beschreibung
der Parteigründung im genauen Gegensatz zum selbstdeklarierten Bottom-up-Prozess:
„Der Erfordernis, schon kurz nach der Parteigründung und vor dem Beginn des
Wahlkampfs ein Wahlprogramm verabschieden zu müssen, begegnete die
Parteiführung mit einer dezidierten Willensbildung von oben nach unten: Das
nicht einmal vierseitige Programm wurde vom Vorstand verfasst und auf dem
Gründungsparteitag ließ man es ohne Debatte verabschieden. Dabei nahm man
den Vorwurf mangelnder Demokratie in Kauf, weil man sich, so Bernd Lucke,
„vor allem als handlungsfähig erweisen und ein Signal der Entschlossenheit
senden“ müsse, was „zwar ungewöhnlich, aber zweckmäßig“ sei“ (ebd.: 48f.).
61
Obwohl die Partei sich bei ihrer Gründung für ein Modell von drei gleichberechtigten
Sprecher_innen anstelle einer einzelnen Person als Parteivorsitz entschied, wurde aus
Lucke bis zur Bundestagswahl 2013 die zentrale Führungsperson der AfD und auch in
der Außenkommunikation das Gesicht der Partei. Ihm traute man zu, als charismatische
Führungspersönlichkeit Eurokritiker_innen verschiedener Strömungen und enttäuschte
Konservative zu vereinen, er repräsentierte die junge Partei in zahlreichen Talkshows
und wurde bei öffentlichen Auftritten von Partei-Anhänger_innen bejubelt (vgl.
Lobenstein 2013; Kröter 2015).
Dabei wurde schnell klar, dass Lucke neben anderen führenden Persönlichkeiten des
Rechtspopulismus und der Eurokritik „nur bedingt in diese Reihe von charismatischen
Alphatieren“ (Gambone 2015) passt. Er selbst behauptet, „dass er das Charisma eines
Schlucks Wasser besitzt“ (zitiert nach RTL 2013) und setzt laut eigener Aussage auf
Inhalte anstatt auf Charisma (ebd.). Eine Selbstdarstellung, die sich in die Inszenierung
als „Partei des gesunden Menschenverstandes“ einreiht und suggeriert, die etablierten
Gegenspieler_innen seien vielleicht charismatisch, hätten aber keine wahren Inhalte zu
bieten.
So nutzt Lucke die vermeintliche Schwäche des ihm fehlenden Charisma, um sie als
Beweis für die angebliche Überlegenheit der eigenen, auf diese Art sachlich und rational
erscheinenden inhaltlichen Forderungen darzustellen – eine Strategie, die zu
funktionieren scheint, wie ein Porträt Bernd Luckes im Wirtschaftsteil der FAZ zeigt:
„Luckes Anziehungskraft lag immer weniger darin, dass er eine eigenständige
alternative Wirtschafts- und Währungspolitik glaubwürdig formulieren konnte. Viel
wichtiger wurde, dass er als seriöser Mann dem politischen Mainstream Paroli bietet“
(von Petersdorff 2014: 4). Der Volkswirtschaftsprofessor und Familienvater gilt als
„eine unauffällige Erscheinung, sympathisch, frisch und kontrolliert“ (ebd.: 2), seine
Inhalte wirken „durch professorale Expertise glaubwürdig“ (ebd.: 4). Anstatt auf
Emotionen und Charisma zu setzen, greift Lucke zu einer Rhetorik und einem
Auftreten, welches sich auch in der Parteiprogrammatik wiederfinden lässt: die
Selbstinszenierung als sachlich, nüchtern, frei von Ideologie, vernünftig und rational.
62
Diese Strategie erscheint aus zwei Gründen erfolgversprechend: zum einen reduziert sie
die Komplexität und Konflikthaftigkeit des politischen Prozesses auf technische
Probleme, die von Expert_innen auf objektive Art und Weise zu lösen wären und lässt
Vertreter_innen der etablierten Parteien wie machtgesteuerte Streithähne aussehen. Dies
ist ein klassisches Beispiel für komplexitätsreduzierende Deutungsangebote, mit
welchen rechtspopulistische Parteien unzufriedene Wähler_innen mobilisieren. Zum
anderen ergibt sich
speziell für den deutschen Kontext nicht nur eine historisch
bedingte Stigmatisierung und Tabuisierung rechter Politik im Allgemeinen, sondern
auch eine Skepsis gegenüber charismatischen Führungspersönlichkeiten im Speziellen
(vgl. Berbuir/Lewandowsky/Siri 2014; Decker/Hartleb 2007).
Besonders im Ausland schaut man daher mit Verwunderung auf die Eigenschaften von
Politiker_innen, die in Deutschland große Beliebtheit genießen – mit Bundeskanzlerin
Angela Merkel als gern und häufig angeführtem Beispiel: „In Britain, no politician,
least of all an ambitious woman, would get far, let alone to a third term, if their profile
included unassuming, private, dutiful and a very mediocre debater who doesn’t give
many speeches“ (Butler 2013: 1). In der politischen Kultur der Bundesrepublik
Deutschland scheint es also eher sachliche Zurückhaltung als Leidenschaft zu sein,
welche zu einem authentischen, kompetenten und sympathischen Eindruck beiträgt.
Sowohl seine Stellung innerhalb der Partei als auch seine Wirkung nach außen machten
Bernd Lucke demnach in der Anfangsphase der Partei zu einem vielversprechenden
Kandidaten für die alleinige Parteiführung. Die von Niedermayer (2015) zur
Bundestagswahl beobachtete dezidierte Willensbildung von oben nach unten schien
sich im Anschluss fortzusetzen und zunehmend zu einer „One-Man-Show“ zu werden:
„ (…) was die offizielle Linie der AfD ist, entscheidet momentan vor allem einer: Bernd
Lucke selbst. Im Alleingang veröffentlicht er Thesenpapiere (über den Islam),
Benimmkataloge (für Parteigenossen) und Gesinnungsfragebögen (für neue Mitglieder).
Die Parteimitglieder dürfen seinen Vorschlägen per E-Mail zustimmen oder sie
ablehnen. Mitgestalten dürfen sie nicht“ (Lobenstein 2013: 2).
63
Im
März
2014,
als
ein
Bundesparteitag
in
Erfurt
über
Eckpunkte
des
Europawahlprogramms entscheiden sollte, startete Bernd Lucke schließlich einen
Versuch, seine wachsende Machtstellung innerhalb der Partei noch weiter auszubauen
und institutionell abzusichern. Ein von ihm eingebrachter Satzungsantrag sollte die
Parteispitze von drei Sprecher_innen auf einen alleinigen Parteivorsitz verkleinern und
der Parteiführung insgesamt wesentlich mehr Macht und Durchgriffsrechte zusprechen
(vgl. SPIEGEL ONLINE 2014; Haimerl/Gierke 2014). Innerhalb der Partei wurden
jedoch kritische Stimmen lauter, welche „Luckes Alleingänge“ nicht länger hinnehmen
wollten (ebd.: 2). Auf dem Parteitag kam es dann zu so vielen Anträgen und
Gegenanträgen zum Verfahren, dass Lucke seinen Antrag zurückziehen musste (vgl.
SPIEGEL ONLINE 2014).
In den folgenden Monaten erfuhr Lucke zunehmend Opposition aus den eigenen Reihen
– allen vorweg aus den ostdeutschen Landesverbänden unter Führung von Frauke Petry
und Alexander Gauland, welche sich durch die Wahlerfolge bei den Landtagswahlen im
Herbst 2014 in ihrem dezidiert national-konservativen Kurs bestätigt fühlten. Als Lucke
für den nächsten Parteitag im Januar 2015 erneut die Satzungsänderung zugunsten einer
alleinigen Parteiführung ins Spiel brachte, wurden die Konflikte zwischen Lucke und
anderen Führungsmitgliedern – neben Petry und Gauland auch Parteisprecher Konrad
Adam – schärfer und zunehmend auch öffentlich über die Medien ausgetragen (vgl.
Focus 2011; Pichler 2011). So warfen Luckes Kritiker ihm „Führung nach
Gutsherrenart“ (Amann 2015: 1) vor und bezeichneten ihn als „Kontrollfreak“ (ebd.).
Lucke selbst deutete in der Öffentlichkeit mehrfach an, sich aus der Parteispitze
zurückziehen zu wollen, falls es bei einem Modell mit mehreren Vorsitzenden bleiben
sollte (ebd.).
Auf dem Parteitag Ende Januar 2015 wurde schließlich ein Kompromiss beschlossen,
auf den sich die streitenden Führungsmitglieder kurz zuvor geeinigt hatten: Demnach
sollte zunächst eine neue Doppelspitze gewählt werden, im Dezember würde dann die
Person mit den meisten Stimmen automatisch die alleinige Parteiführung übernehmen
(vgl. Schneider 2015; FAZ 2015). Auch wenn eine Spaltung der Partei damit zunächst
64
abgewendet schien und Lucke mit dem neuen Satzungsentwurf seinen Willen
durchsetzen konnte, zeigten sich „tiefe Gräben in der AfD-Spitze“ (Schneider 2015: 1).
Lucke schien nun mehr und mehr den Rückhalt innerhalb der Partei zu verlieren,
während vor allem Frauke Petry, Vorsitzende des sächsischen Landesverbands, immer
offener ihren Machtanspruch demonstrierte (vgl. Lachmann 2015). Mit der Gründung
des Vereins Weckruf 2015 bemühte sich Lucke im Mai noch einmal seine verbliebenen
Anhänger_innen innerhalb der AfD zu sammeln, versuchte nach eigenen Angaben die
Partei „zu retten“ und einen „Rechtsruck“ zu verhindern (vgl. Meisner 2015: 2).
Und doch gelang es Lucke letztlich nicht, seine Führungsposition innerhalb der AfD zu
halten: beim Sonderparteitag in Essen Anfang Juli 2015 wurde Frauke Petry mit einer
Mehrheit von rund 60 Prozent zur neuen Vorsitzenden der Partei gewählt (vgl. Reible
2015). Gemeinsam mit Lucke selbst verließen daraufhin die meisten seiner
Anhänger_innen und damit mehr als zehn Prozent der Mitglieder die Partei (vgl. Peter
2015).
Betrachtet man also die Organisationsstruktur der AfD insgesamt, lässt sich zwar nicht
die eine charismatische Führungspersönlichkeit finden, die als typisches Merkmal
rechtspopulistischer Parteien gilt. Jedoch weist die Partei mit ihrer Selbstdarstellung als
Bewegung von unten, der eher autoritären Führung von oben in der Praxis und
schließlich der Entscheidung für einen alleinigen Parteivorsitz im Gesamtbild sehr wohl
eine typische Organisationsform für rechtspopulistische Parteien auf.
Das Scheitern Luckes bei der Disziplinierung der Parteimitglieder und der oft als
Richtungsstreit betitelte Machtkampf sind nicht ungewöhnlich für eine Partei in der
Konsolidierungsphase. Derartige parteiinterne Konflikte und Instabilitäten gelten
vielmehr als weiteres Charakteristikum rechtspopulistischer Parteien. Eine politische
Etablierung scheitert für sie häufig daran, die ideologisch essentielle Kritik am
Establishment glaubwürdig Aufrecht zu erhalten und zugleich zunehmend selbst ein Teil
dieses politischen Systems zu werden (vgl. Taggart 2004).
65
In Hinblick auf die Besonderheit der politischen Kultur der Bundesrepublik
Deutschland, in der rechte Politik in besonderem Maße stigmatisiert ist, können Luckes
Warnung vor einem „Rechtsruck“ und seine Bemühungen um einen gemäßigten,
liberalen Auftritt der Partei demnach auch als strategischer Versuch bewertet werden,
der Partei zur politischen Etablierung zu verhelfen. Die Interpretation eines
grundlegenden Richtungskampfs zwischen einem national-konservativen und einem
wirtschaftsliberalen Flügel jedenfalls scheint nur wenig überzeugend, da sich politische
Positionen beider Lager ganz im Sinne der „dünnen Ideologie“ problemlos mit
rechtspopulistischen Argumentationsmustern verbinden lassen. So war es durchaus auch
der vermeintlich um „Abgrenzung nach rechts“ bemühte Lucke, der „mit gezielten
Aussagen und Provokationen den Weg für jene (ebnete), die ihre Politik auf stumpfe
Deutschtümelei und insbesondere antimuslimischen Rassismus begründen“ (Peter 2015:
3).
Bislang gilt auch die neue Vorsitzende Frauke Petry als Vertreterin der von Lucke
betriebenen „Verschleierungsstrategie“ (ebd.), zu der eine öffentliche Distanzierung von
Rechtspopulismus und eine Vermeidung von offenem Rassismus gehört, um gemäßigte
Wähler nicht abzuschrecken. Zugleich gilt ihre Wahl aber auch als Votum für weniger
Verschleierung dieser Art. Erste Meinungsumfragen nach Luckes Austritt deuten darauf
hin, dass ein Ende oder auch nur Rückgang der Verschleierungstaktik für die AfD fatal
sein könnte: so sank der Zustimmungswert von noch sechs Prozent im Mai auf nur noch
drei Prozent bundesweit im Juli 2015 (vgl. ebd.).
5. Fazit
Im Juli 2015, gut zwei Jahre nach ihrer Gründung, erscheint die Partei Alternative für
Deutschland in einer instabilen und von Machtkämpfen gezeichneten Verfassung. Im
Zentrum der internen Konflikte und der öffentlichen Debatte steht nach wie vor die
Frage, wie rechts die AfD nun eigentlich ist (vgl. Lobenstein 2013). Neben ihrer
Verortung im Parteiensystem „rechts von der Union“ (Häusler 2013: 93) lässt sich nach
einer Analyse von Ideologie, Wähler_innenstruktur und Organisationsform der Partei
66
resümieren, dass die Alternative für Deutschland im Gesamtbild als rechtspopulistisch
bezeichnet werden kann.
In ihrer Programmatik zeigt sich ein Verständnis der derzeitigen Politik als krisenhaft,
geprägt von einer inkompetenten und korrupten Elite, welche es nicht vermag, den
„Volkswillen“ zu erkennen und die stattdessen den öffentlichen Diskurs manipuliert und
politische Fehlentscheidungen trifft. Ihre Kritik bezieht die Partei schwerpunktmäßig
auf die Bereiche der Europa-, Einwanderungs- sowie Familien- und Geschlechterpolitik.
Auf diesen Feldern konstruiert sie das Bild einer Bedrohung der kulturellen Identität
Deutschlands und verstärkt durch rhetorische Mittel wie biologistische Metaphern,
Freund-Feind-Schemata,
Moralisierung
und
Angstmache
die
vorhandenen
Unsicherheiten und Ressentiments ihrer potentiellen Wähler_innen. Als Gegenentwurf
greift sie traditionelle Deutungs- und Handlungsmuster auf, die zumeist mit einer
exklusorischen Identitätsfindung und der Abwertung der „Anderen“ einhergehen. Auch
Wähler_innenstruktur und Organisationsform der AfD zeigen überwiegend eine
Übereinstimmung
mit
charakteristischen
Merkmalen
der
rechtspopulistischen
Parteienfamilie.
Um
dennoch
vorhandene
Abweichungen
von
klassischen
Merkmalen
rechtspopulistischer Parteien zu verstehen, haben sich insbesondere zwei Ansätze aus
der bisherigen Forschung als hilfreich erwiesen. So findet sich die von Bebnowski und
Förster (2014) geprägte Interpretation eines der AfD eigenen Wettbewerbspopulismus
sowohl
in
der
Analyse
der
Wähler_innenstruktur
wieder,
der
zufolge
Sympathisant_innen der AfD stark einem marktförmigen Extremismus zuneigen, als
auch in der Ideologie der Partei, welche die Logik der ökonomischen Verwertbarkeit mit
einer Abwertung von Migrant_innen einerseits und mancher Mitgliedsländer der EU
andererseits verbindet.
Eine solche vermeintlich sachliche, auf wirtschaftlichen Begriffen basierende
Argumentationsweise steht zwar in keinerlei Widerspruch zur rechtspopulistischen
Ideologie, sondern stellt lediglich eine besondere Ausprägung derselben dar. Jedoch
67
unterscheidet sie sich von der in Europa dominanten kulturellen Spielart des
Rechtspopulismus und ist daher für viele Beobachter_innen weniger leicht einzuordnen.
Für Verunsicherung sorgt in diesem Sinne auch die besondere Vorsicht der Partei bei
ihrer Positionierung zu den Themen Einwanderung und Islam. Zwar kann die
Einschätzung Niedermayers (2015), dass der AfD die sozio-kulturelle „Radikalisierung
und Essentialisierung der kulturellen Zugehörigkeit durch Abwertung der ‚Anderen‘
[fehle]“ (ebd.: 195), nach der Analyse ihrer Programmatik nicht geteilt werden. Offener
(antimuslimischer) Rassismus wird jedoch von der Partei tatsächlich klar vermieden.
Eine Erklärung hierfür bieten Berbuir, Lewandowsky und Siri (2014) mit ihrer
Einstufung der AfD als „a functional equivalent for right-wing parties in a country
where open right-wing extremism and right-wing populism is tabooed“ (ebd.: 20).
Die besondere Tabuisierung rechter Politik in der politischen Kultur des Landes wurde
in der Vergangenheit schon häufig zur Erklärung des bisherigen Misserfolges
rechtspopulistischer Parteien in Deutschland herangezogen (vgl. Decker/Hartleb 2007;
Grabow/Hartleb 2013). Im Umkehrschluss gilt, dass sich das Auftreten einer solchen
Partei für eine erfolgreiche Etablierung in Deutschland von bewährten Strategien in
anderen Ländern unterscheiden muss.
Hierzu zählen neben der angeführten Verschleierungstaktik der Parteiführung mit einer
offiziellen Distanzierung von Rassismus, Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus und
der programmatischen Nuance des ökonomisch geprägten Wettbewerbspopulismus auch
die Auswahl eines Führungspersonals, das eher auf eine Ausstrahlung von Sachlichkeit
und Kompetenz setzt, als auf Eigenschaften, die der klassischen Vorstellung von
Charisma entsprechen. Dies alles kann als Strategie gewertet werden, um „gemäßigte“
Wähler_innen nicht abzuschrecken und das Potential der „fragilen Mitte“ (vgl.
Zick/Klein 2014) voll auszuschöpfen.
Die jüngsten Entwicklungen innerhalb der AfD, die zum Austritt Luckes und seiner
Anhänger_innen aus der Partei geführt haben, wurden von den Medien überwiegend als
68
„Rechtsruck“ gewertet. Der Versuch Luckes, mit der Gründung seiner neuen Partei
„Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (ALFA) im Juli 2015 eine gemäßigte Form der
AfD zu etablieren, erscheint wenig aussichtsreich. Dem Bekenntnis zu einem
Neuanfang „ohne Petry, Pöbeleien, Pegida und Populismus“ (Honnigfort 2015: 1) fehlt
es nach den Schlagzeilen der vergangenen Monate an Glaubwürdigkeit. Hinzu kommen
Berichte, denen zufolge die AfD rechtliche Schritte gegen ALFA prüft, da Lucke Teile
des Programms seiner neuen Partei bei der AfD kopiert haben soll (vgl. Leber 2015). So
scheint es weder einer AfD unter Petry, noch der neuen Partei unter Lucke möglich, sich
ein seriöses Image zu verschaffen und somit eine Strategie zu finden, um das
Wähler_innenpotential einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland zu mobilisieren.
Die Ideologien der Ungleichwertigkeit, an die im Rechtspopulismus angeknüpft wird,
bleiben jedoch in großen Teilen der Bevölkerung verankert. Dies zeigt sich aktuell an
den rassistischen Mobilisierungen rund um die Unterbringung von Geflüchteten bis hin
zu Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und der Bedrohung von Poltiker_innen und
Engagierten. Auch wenn die Etablierung der Alternative für Deutschland als
rechtspopulistische
Partei
in
Deutschland
scheitern
sollte,
bleibt
das
Wähler_innenpotential also bestehen. Die Frage nach den Erfolgsbedingungen einer
solchen Partei scheint sich somit auch in Zukunft eher auf Seiten der Angebotsstruktur
zu entscheiden.
Die Einstufung einer Partei als rechtspopulistisch kann in der Bundesrepublik
Deutschland insbesondere dann eine Herausforderung darstellen, wenn sie wie im Fall
der AfD eine Strategie entwickelt, um der drohenden Stigmatisierung als rechte Partei
zu entgehen. Eine systematische und theoretisch fundierte Analyse von Ideologie,
Wähler_innenstruktur und Organisationsform führt jedoch zu dem Ergebnis, dass eine
Bezeichnung der Alternative für Deutschland als rechtspopulistisch gerechtfertigt ist.
Darüber hinaus gibt sie interessante Einblicke in spezifische Argumentationsmuster und
Erfolgsbedingungen rechtspopulistischer Parteien in der Bundesrepublik, welche als
Grundlage für weiterführende Untersuchungen dienen können.
69
6. Literaturverzeichnis
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7. Anhang
Anhang 1: Kodierleitfaden
Selbstpositionierung (wir hier unten)
A1
Konstruktion heartland
Definition
Konstruktion und Überhöhung einer homogenen Identität
Beispiele
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Gleichsetzung der Partei mit den Bürger_innen/Wähler_innen („Wir“-Perspektive)
die Bürger_innen gelten als gut, mündig, verantwortungsbewusst, moralisch
überlegen
Pathos des kleinen Mannes
Betonung der Gemeinschaft, der Gemeinsamkeiten
Bestärkung der nationalen und/oder regionalen Identität
Positive Betonung der nationalen/regionalen Kultur, Geschichte, Werte, Tradition
Positiver Bezug zur „Heimat“
Forderung, die eigene kulturelle Identität zu stärken und zu schützen
Eintreten für (mehr) Nationalismus und/oder Patriotismus
77
A2
Bewegungscharakter
Definition
Selbstdarstellung als „Bewegung von unten“
Beispiele
•
•
•
•
aus der Mitte des Volkes/der Gesellschaft
„grassroot“-Bewegung
direktes Sprachrohr der Bevölkerung
Betonung des Mitspracherechts aller Mitglieder oder Bürger_innen
Status Quo (Handlungsnotwendigkeit)
B1
Misstrauen repräsentative Politik
Definition
Skepsis gegenüber der Wirksamkeit politischer Repräsentation im Gegensatz zu direkter
Demokratie
Beispiele
•
•
•
Diagnose einer Diskrepanz zwischen „Volkswille“ und Politik
Forderung nach mehr Transparenz, weniger Komplexität in der Politik
Forderung nach mehr direkter Demokratie (z.B. Plebiszite, Referenden)
B2
Gefühl der Krise
Definition
Darstellung des status quo als Krise/bedrohlich
Beispiele
•
•
•
•
•
•
•
•
Krisenszenarien
besorgniserregende, untragbare Zustände
Überforderung für „normale“ Politik
Bedrohungsszenarien mit biologistischen und Gewaltmetaphern
Feind-Freund-Schema
Emotionalisierung und Angstmache
Verstärkung von Ressentiments und Unsicherheiten
Forderung nach Verstärkung der inneren Sicherheit, striktere Anwendung des
Rechts
Abgrenzung: Vertikales Feindbild (die da oben)
C1
Kritik an Eliten
Definition
Negative Darstellung der Eliten (u.a. Regierung, Medien), Abgrenzung von ihnen
Beispiele
•
•
•
•
•
•
Bezeichnung als Altparteien, Establishment
Vorwurf der Entmündigung der Bürger_innen
Elite gilt als unverantwortlich, korrupt, egoistisch, arrogant, abgehoben
Politik gilt als fehlgeschlagen, nicht im Interesse der Bürger_innen
Darstellung der bisherigen Politik als inkompetent, Verweis auf eigene Kompetenz
Zu viel Bürokratie als Verschulden der Eliten, Forderung nach Abbau derselben
und mehr Effizienz
C2
Tabubruch
Definition
(Forderung nach) Bruch mit angeblichen Tabus, die von den Eliten auf bestimmte Themen
und Meinungen gelegt würden
Beispiele
•
•
•
•
•
•
•
gegen political correctness
“das muss man doch mal sagen dürfen/das wird man doch noch sagen dürfen“
sich trauen/Mut, etwas auszusprechen oder zu fordern
gegen Meinungsmainstream
gegen Denkverbote
für Meinungsfreiheit
für offenen Dialog ohne Tabus
78
C3
common sense
Definition
Berufung auf die Vernunft und den „gesunden Menschenverstand“ als Grundlage der
eigenen Politik
Beispiele
•
•
Politik des gesunden Menschenverstandes/der Vernunft
Politik, die auf Lebenserfahrung beruht
Abgrenzung: Horizontales Feindbild (die anderen)
D1
Traditionelle Geschlechter- und Familienpolitik
Definition
Befürwortung einer Geschlechterpolitik nach traditionellen Vorstellungen, Ablehnung von
Veränderung/nicht-traditionellen Maßnahmen
Beispiele
•
•
•
•
heteronormativ
für geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
für die traditionelle Familie
gegen Frauenpolitik, Quoten und Gender-Mainstreaming
D2
Restriktive Immigrationspolitik
Definition
Forderung nach restriktiverer Immigrationspolitik, Bewertung der bisherigen als negativ
Beispiele
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Einwanderung als Bedrohung der kulturellen Identität (Bezug auf
abendländische/christliche/westliche Werte)
Islamfeindlichkeit (Bezug auf Ehrenmorde, Verschleierung, Scharia u.ä.)
Darstellung des status quo als gescheiterte Integration, hohe Kosten, kulturelle
Konflikte, Parallelgesellschaften
Migrant_innen als Sozialparasiten/-schmarotzer
gegen Einwanderung in Sozialsysteme/ Armutseinwanderung/
Wirtschaftseinwanderung
suggerierte Kriminalität und Bedrohung der inneren Sicherheit durch
Migrant_innen und Geflüchtete
Ablehnung von Multikulturalismus, Forderung nach Assimilation
Integration als Bringschuld der Migrant_innen, nicht der Aufnahmegesellschaft
für die Auswahl „guter“ Migrant_innen (möglichst ähnliche Kultur & Sprache,
keine wirtschaftliche Belastung)
Abgrenzung: vertikales und horizontales Feindbild
(nach oben und nach außen)
E1
Kritik an der Europäische Union
Definition
Kritik an der EU auf vertikaler und horizontaler Ebene
Beispiele
•
•
•
•
•
•
•
Legitimations- und Demokratiedefizit, zu wenig Transparenz
bürokratisches Monster
Kritik spezifischer policies der EU
zu viel Einfluss der EU, Untergrabung der nationalen Souveränität
nicht im Interesse des Nationalstaats, wirtschaftliche Belastung durch EU
Zweifel an europäischer Identität, Betonung der nationalen Unterschiede
Kritik an europäischer Immigrationspolitik
79