Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät Institut für Sozialwissenschaften Die Alternative für Deutschland – eine rechtspopulistische Partei? The Alternative for Germany – a right-wing populist party? Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts (B.A.) im Fach Sozialwissenschaften eingereicht von Judith Heinmüller Berlin, 03.08.2015 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung.......................................................................................................................1 2. Hintergrund und Forschungsstand.................................................................................3 2.1 Entstehung der Alternative für Deutschland...........................................................3 2.3 Verortung im Parteiensystem..................................................................................5 2.3 Forschungsstand – Rechtspopulismus in der Alternative für Deutschland ............7 3. Theoretischer Rahmen – Rechtspopulismus................................................................10 4. Fallstudie – die Alternative für Deutschland als rechtspopulistische Partei ...............19 4.1 Ideologie...............................................................................................................20 4.1.3 Die Ideologie der Alternative für Deutschland ............................................24 4.2 Wähler_innenstruktur...........................................................................................53 4.2.1 Die Wähler_innenstruktur der Alternative für Deutschland.........................55 4.3 Organisationsform.................................................................................................60 4.3.1 Die Organisationsform der Alternative für Deutschland ..............................60 5. Fazit.............................................................................................................................66 6. Literaturverzeichnis.....................................................................................................70 7. Anhang.........................................................................................................................77 1. Einleitung „Europas Rechtspopulisten auf dem Vormarsch“ (Hübner 2009: 1) – so und ähnlich lauteten in den letzten Jahren immer wieder die Schlagzeilen, ausgelöst von zunehmenden Wahlerfolgen und der Etablierung rechtspopulistischer Parteien fast überall in Europa. Deutschland galt in der Diskussion um den Erfolg von Rechtspopulist_innen1 lange als große Ausnahme, wobei in der Forschung zu Entstehungs- und Erfolgsbedingungen entsprechender Parteien verschiedene Erklärungen für diesen Umstand diskutiert wurden (vgl. Decker/Hartleb 2007; Grabow/Hartleb 2013). Während die einen zu dem Schluss kamen, dass eine historisch bedingte hohe Sensibilität für Rechtspopulismus in Deutschland zu geringen Erfolgschancen dieser Parteien führe (vgl. ebd.), waren andere der Meinung, es sei „keine Frage mehr ob, sondern nur noch die Frage wann sich auch in Deutschland eine populistische Partei dauerhaft etabliert“ (Hauss 2013: 119). Seit Gründung der Partei Alternative für Deutschland2 im Frühjahr 2013 wird immer wieder diskutiert, ob es sich bei den Euroskeptiker_innen um eben diese erfolgreiche populistische Partei handelt. Verpasste die AfD bei der Bundestagswahl 2013 noch knapp den Einzug ins Parlament, erreichte sie wenige Monate später bei der Wahl zum Europäischen Parlament rund sieben Prozent der Stimmen und zog noch im gleichen Jahr in die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ein. 2015 folgte der Einzug in die Bürgerschaften in Bremen und Hamburg. Der politische Aufstieg der Partei wird in den Medien mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, wobei umstrittene Auftritte und frühere Aktivitäten von Parteimitgliedern immer wieder zum Urteil führen, die AfD habe „Abgrenzungsprobleme nach rechts“ 1 In dieser Arbeit wurde eine vorurteilsbewusste und gendergerechte Schreibweise angestrebt. Um der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten gerecht zu werden, wurde die sogenannte gender-gap oder – wenn möglich – geschlechtlich neutrale Schreibweise verwendet. Hiermit soll die Selbstverständlichkeit einer Zwei-Geschlechter-Ordnung und einer heterosexuellen Orientierung als Norm in Frage gestellt werden. 2 Die Alternative für Deutschland wird im Folgenden mit AfD abgekürzt. 1 (Herwartz 2014: 1). Die Einordnung der noch jungen Partei fällt nicht nur deshalb schwer, weil über ihre Inhalte und Zielstellungen teilweise noch immer intern diskutiert wird. Hinzu kommt, dass eine Definition der grundlegenden Begrifflichkeiten in der öffentlichen Debatte oft fehlt und somit zumeist unklar ist, was mit rechts oder rechtspopulistisch eigentlich gemeint ist. Dabei ist die Frage, ob die AfD nun als rechtspopulistisch einzustufen ist oder nicht, keine Nebensächlichkeit. Populismus gilt in der wissenschaftlichen Debatte für die einen als Gefahr für die Demokratie, für andere aber auch als mögliches Korrektiv derselben, „a potential barometer of the health of representative politics“ (Taggart 2004: 276). So kann der Erfolg populistischer Parteien als Indikator dafür gesehen werden, dass das Vertrauen der Bürger_innen in ihre politische Vertretung beschädigt ist. Eine solche Sichtweise verdeutlicht, wie wichtig die politische und inhaltliche Auseinandersetzung mit populistischen Parteien und ihren Forderungen ist. Dabei kann die Beurteilung einer potentiell populistischen Partei direkte Auswirkungen auf die Strategien ihrer etablierten Widersacher haben: sie bestimmt, ob die Partei überhaupt als Konkurrenz ernst genommen wird, ob sie erfolgreich Themen auf die Agenda setzen kann und ob andere Parteien ihre Positionen vielleicht sogar anpassen, um keine Stimmen bei der nächsten Wahl zu verlieren (vgl. Bale et al. 2010). Im Folgenden soll also der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei der Alternative für Deutschland um eine rechtspopulistische Partei handelt. Sobald Hintergrund und Forschungsstand zur Fragestellung umrissen wurden, wird im zweiten Teil der Arbeit der theoretische Rahmen zum Thema Rechtspopulismus entwickelt. Dieser Schritt ist für eine wissenschaftliche Herangehensweise an die Fragestellung essentiell, da hier die begriffliche Grundlage für die weitere Diskussion geschaffen wird. Im dritten Teil der Arbeit sollen dann Theorie und Praxis in Form einer qualitativen Fallstudie miteinander verbunden werden. Es soll untersucht werden, inwiefern sich die theoretisch erarbeiteten Merkmale des Rechtspopulismus in der AfD wiederfinden lassen. Nacheinander werden hierfür Ideologie, Wählerstruktur und Organisationsform der Partei in den Blick genommen. 2 2. Hintergrund und Forschungsstand Für ein besseres Verständnis ihrer Ursprünge soll im Folgenden zunächst die Entstehung der Partei kurz umrissen werden. Im Anschluss geht es um die programmatische Einordnung der AfD ins bestehende Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Schließlich soll der bisherige Forschungsstand zu Rechtspopulismus in der AfD kurz zusammengefasst werden. 2.1 Entstehung der Alternative für Deutschland Um zu verstehen, aus welchem gedanklichen Milieu die Alternative für Deutschland entstanden ist, muss man mit dem Beschluss der ersten Euro-Rettungsmaßnahmen im Jahr 2010 beginnen. Dieses Ereignis gilt deshalb „als Schlüsselmoment für die Gründung der AfD“ (Häusler 2013: 27), da es Euro-Gegner_innen der ersten Stunde mit neoliberalen Wirtschaftsprofessor_innen und mittelständischen Unternehmen zusammenbrachte, die ähnliche Vorbehalte gegenüber der neuen Europapolitik teilten (vgl. ebd.). Es ist dieses Spektrum an rechtsliberalen, teils marktfundamentalistischen und in jedem Fall konservativen Kräften, das sich in der Folge verstärkt in den zivilgesellschaftlichen und politischen Vorläufern der AfD organisierte und verbündete. Als „Vorläuferpartei der AfD“ (Plehwe/Schlögl 2014: 22) kann der Bund Freier Bürger gelten, der von 1994 bis 2000 bestand. Seine Gründung war eine Reaktion auf den Vertrag von Maastricht und die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung, die dort beschlossen wurde. Programmatisch gelang es der Partei, ihre „Kritik an der europäischen Einheitswährung in ein weiter gefasstes rechtspopulistisches Konzept einzubetten, das auch Themen wie Kriminalitätsbekämpfung und Zuwanderung ansprach“ (Hartleb 2013: 201). Die frühen Kritiker_innen des Euros konnten jedoch kaum Wahlerfolge verbuchen und scheiterten schließlich an internen Richtungsstreitigkeiten, strukturellen und finanziellen Problemen sowie ihrem „status as an exclusive political club“ (Decker/Hartleb 2007: 439). Im Jahr 2010 war es dann die Währungskrise, die den alten und neuen Euroskeptiker_innen eine Chance bot, sich zu organisieren. Eine zentrale Rolle kam 3 dabei dem späteren Parteisprecher Bernd Lucke zu, der im Oktober 2010 das Plenum der Ökonomen ins Leben rief, um sich und anderen deutschen Wirtschaftswissenschaftler_innen eine Plattform für öffentliche Kritik an der Eurorettungspolitik der Bundesregierung zu schaffen. Tatsächlich sorgte ihre Stellungnahme im Februar 2012, in der deutliche Kritik an der Einrichtung des EuroRettungsmechanismus geübt wurde, für kontroverse Diskussionen in Fachkreisen und den Medien. Mitte 2012 schloss sich das Forum neoliberaler Ökonom_innen dann dem neu gegründeten Bündnis Bürgerwille an, welches sich bemühte, die Kräfte der wachsende Zahl von Eurorettungsgegner_innen in einer überparteilichen Sammlung zu bündeln. Eine wichtige Rolle spielt für die AfD bis heute der Verein Zivile Koalition um Parteimitglied Beatrix von Storch, die auch schon dem Bündnis Bürgerwille angehörte. Der Verein, ein Zusammenschluss verschiedener Initiativen, besteht seit 2004 und ist für seine marktradikal-rechtskonservativen Positionen bekannt (vgl. Häusler 2013: 34). Ihr Internetblog FreieWelt.net gehört ebenso zu den Unterstützer_innen der AfD, wie die neu-rechte Wochenzeitung Junge Freiheit und die marktradikale Zeitschrift eigentümlich frei, die enge Kontakte zu Parteimitgliedern aufweisen. In einer Abhandlung zu den zivilgesellschaftlichen Ursprüngen der AfD verweisen Plehwe und Schlögl (2014) außerdem auf Zusammenhänge mit der rechten europäischen Partei Alliance of European Conservatives and Reformists (AECR) und deren Parteistiftung New Direction Foundation (NDF). Sie identifizieren das Think-Tank Partnernetzwerk der NDF als eine wichtige Quelle rechtsliberaler Europakritik und weisen zahlreiche Verbindungen zu späterem Führungspersonal der AfD nach (vgl. Plehwe/Schlögl 2014). Ein erster Versuch, die Kritik der verschiedenen euroskeptischen Initiativen in Deutschland auch in konkrete politische Intervention umzuwandeln, erfolgte mit Gründung der Wahlalternative 2013 im September 2012. Initiatoren waren neben dem früheren CDU-Mitglied Bernd Lucke auch der konservative Publizist Konrad Adam, der CDU-Mittelstandsvertreter Gerd Robanus und der ehemalige Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung und langjährige CDU-Politiker Alexander Gauland. 4 In Anknüpfung an das Plenum der Ökonomen und das Bündnis Bürgerwille forderten sie, das einheitliche Euro-Währungsgebiet aufzulösen und kritisierten die Eurorettungspolitik als maßlos und unverantwortlich (vgl. Häusler 2013; Niedermayer 2015). Unterstützt wurden sie dabei unter anderem vom ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, der später selbst in die AfD eintrat. Als der Zusammenschluss mit den Freien Wählern bei der niedersächsischen Landtagswahl nicht den gewünschten Erfolg brachte und auch aufgrund von inhaltlichen und strukturellen Problemen nicht sehr zukunftsträchtig schien, löste sich die Verbindung wieder. Lucke, Gauland und Adam gründeten stattdessen im Februar 2013 die Alternative für Deutschland. Beim Gründungsparteitag am 14. März 2013 wurden Bernd Lucke, Konrad Adam und Frauke Petry zu Sprecher_innen der Partei gewählt. Außerdem wurden Programm und Satzung verabschiedet. Der weitere Ausbau der Partei erfolgte in großem Tempo, sodass die flächendeckende Gründung von Landesverbänden bereits im Mai abgeschlossen war und schneller Mitgliederzuwachs sowie eine solide Finanzierung es ermöglichten, die verschiedenen Hürden zur Teilnahme an der Bundestagswahl 2013 im Eiltempo zu nehmen (vgl. Häusler 2013; Niedermayer 2015). 2.3 Verortung im Parteiensystem Ihrer Entstehungsgeschichte entsprechend wurde die AfD während ihres ersten Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2013 noch primär als Ein-Themen-Partei wahrgenommen und „war dadurch als eurokritische populistische Protestalternative für Wählergruppen mit unterschiedlichen Orientierungen wählbar“ (Niedermayer 2015: 191). Während die AfD sich noch immer gern als „Partei der Mitte“ inszeniert, erlaubt der zunehmende Ausbau ihrer Programmatik mittlerweile differenziertere Aussagen über ihre Positionen. Diese Einordnung ist besonders wichtig, um für mehr begriffliche Klarheit zu sorgen – in der öffentlichen Debatte wird die Partei oft entsprechend der subjektiven Ansichten und Interessen der Sprecher_innen als wahlweise liberal, national-konservativ oder auch 5 rechtsextrem bezeichnet. Im Unterschied zur Frage nach einer rechtspopulistischen Ausrichtung der Partei soll es im Folgenden um eine „relative Verortung der AfD im Vergleich zu den anderen Parteien in der zweidimensionalen Konfliktstruktur des Parteiensystems“ (ebd.: 200) gehen. Eine intensivere Darstellung und Diskussion einzelner inhaltlicher Positionen findet dabei jedoch keinen Platz. Niedermayer (2015) stützt seine programmatische Einordnung der AfD auf die von der Partei veröffentlichten „Politischen Leitlinien“, sowie das Bundestags- und Europawahlprogramm und nutzt als Analyserahmen ein Modell, demnach das Parteiensystem von zwei zentralen Konflikten strukturiert wird: „dem sozioökonomischen Sozialstaatskonflikt zwischen marktliberalen und an sozialer Gerechtigkeit orientierten Wertvorstellungen zur Staatsrolle in der Ökonomie und dem sozio-kulturellen Konflikt zwischen progressiv-libertären und konservativ-autoritären Wertesystemen um die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens“ (ebd.: 193). Plehwe und Schlögl (2014) stützen sich implizit ebenfalls auf ein solches Modell, wenn sie in der Programmatik der AfD eine „Verbindung von neoliberalen und nationalkonservativen Elementen“ (ebd.: 31) sehen. Zu einer solchen Einschätzung kommt auch Niedermayer (2015), er sieht die AfD nach einer Analyse ihrer Positionen als marktliberalen Pol der sozio-ökonomischen Dimension und konservativ-autoritären, nichtextremistischen Pol der sozio-kulturellen Dimension im Parteiensystem (ebd.: 200). Franzmann (2014) beschäftigt sich ebenfalls mit der Programmatik der jungen Partei und vergleicht dazu mittels einer kategorienbasierten Inhaltsanalyse das Programm der AfD zur Bundestagwahl 2013 mit Positionen der etablierten Parteien in Deutschland. Abschließend bezeichnet er die AfD als national-konservativ bis national-liberal und stellt fest: „In der ideologischen Verortung innerhalb des deutschen Parteiensystems nimmt sie eine spiegelbildliche Position zur Partei DIE LINKE ein: ökonomisch ungefähr so marktorientiert wie DIE LINKE staatsorientiert ist, gesellschaftspolitisch konservativer als aktuell gesellschaftspolitische die Achse Union“ fällt auf, (ebd.: dass 122). die In sehr Hinblick auf traditionellen die und 6 nationalstaatsorientierten Vorstellungen der Partei vor allem durch die Koexistenz von libertären Auffassungen zu einem moderateren Gesamtbild abgeschwächt werden (vgl. ebd.: 119). Diese Differenzierung gibt einen Hinweis auf programmatische Konflikte innerhalb der Partei, auf die nun kurz eingegangen werden soll. Aufgrund des Zeitdrucks waren parteiinterne Diskussionen der Programmatik vor der Bundestagswahl weitestgehend unterdrückt worden. Tatsächlich brachten die teils hitzigen Debatten, die nach der Wahl in der Bundespartei und den Landesverbänden ausbrachen, deutliche Widersprüche und inhaltliche Meinungsverschiedenheiten zwischen programmatischen Lagern der Partei zutage (vgl. Niedermayer 2015; Plehwe/Schlögl 2014). Im Zentrum standen dabei vor allem „die immigrations-, familien- und geschlechterpolitische Position der Partei sowie ihre Haltung zum Islam“ (Niedermayer 2015: 202). Spannungen identifizieren Plehwe und Schlögl (2014) dabei vor allem zwischen rechtsliberalen Kräften auf der einen Seite und nationalkonservativen Strömungen auf der anderen Seite (ebd.: 26). Diese innerparteilichen Auseinandersetzungen sorgen immer wieder für Aufmerksamkeit in den Medien und werden häufig als entscheidend dafür angesehen, ob die Partei als rechtspopulistisch gilt oder nicht. 2.3 Forschungsstand – Rechtspopulismus in der Alternative für Deutschland Innerhalb der bisherigen Forschung zur AfD, die als elektoral „erfolgreichste Parteineugründung der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren“ (Franzmann 2014: 115) viel Interesse in der Politikwissenschaft auf sich zieht, wird auch immer wieder eine mögliche rechtspopulistische Ausrichtung thematisiert. Schmitt-Beck (2013) kommt nach einer Analyse der Bundestagswahl 2013 zu dem Schluss, dass „die Programmatik der AfD (...) zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Kategorisierung als rechtspopulistische Partei“ (ebd.: 112) rechtfertige, es jedoch Tendenzen dazu gebe, „sich deutlicher in diese Richtung zu positionieren“ (ebd.). Niedermayer (2015) äußert sich ähnlich und schließt dabei auch das Europawahlprogramm und die „Politischen Leitlinien“ ein (vgl. ebd.: 194f.). In Bezug 7 auf die Immigrationspolitik der AfD argumentiert er, der Partei fehle die für den Rechtspopulismus charakteristische sozio-kulturelle „Radikalisierung und Essentialisierung der kulturellen Zugehörigkeit durch Abwertung der ‚Anderen‘“ (ebd.: 195). Weder Schmitt-Beck, noch Niedermayer führen jedoch genauer aus, worauf sich ihre Beurteilung stützt. Eine der ersten Studien, die sich explizit mit Rechtspopulismus in der AfD beschäftigt, wurde von Alexander Häusler (2013) veröffentlicht. Er beschäftigt sich eingehend mit den Vorläufern und der Entstehungsgeschichte der Partei, betrachtet dabei auch die einzelnen Landesverbände und die Wähler_innenklientel und „versucht, das die AfD umgebende politische Protestmilieu (…) genauer zu bestimmen“ (Häusler 2013: 8). Der Autor verweist jedoch ebenfalls darauf, dass eine endgültige Beurteilung der Partei noch nicht möglich sei, da sie sich noch in der politischen Konsolidierungsphase befinde und bezeichnet seine Arbeit daher als Momentaufnahme (vgl. ebd.: 91). Abschließend beurteilt er die AfD als „eine Partei mit sowohl neoliberalen wie auch nationalkonservativen Einflüssen (…), die auf der politischen Skala als rechts von der Union stehend mit Tendenzen zu einer rechtspopulistischen Ausrichtung gedeutet werden kann“ (ebd.: 93). Seine Analyse stützt sich dabei jedoch kaum auf die knappe Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und seinen Merkmalen, die zu Beginn der Studie erfolgt und auch die Programmatik der Partei findet wenig Beachtung. Dafür beschäftigt sich Häusler umso mehr mit Reaktionen auf die AfD vom rechten Rand und wertet Zustimmung und Unterstützung aus diesem Lager als Bestätigung einer inhaltlichen Nähe. Franzmann (2014) nimmt zwar eine systematische Inhaltsanalyse der Positionen der AfD vor, nutzt dazu jedoch nur das kurze Programm zur Bundestagswahl 2013 und untersucht dies auch nicht explizit auf Rechtspopulismus. Er kommt zu dem Schluss, „dass die AfD in ihrer programmatischen Ausrichtung sowohl einerseits konservativnational-liberalen als auch andererseits rechtspopulistischen Parteien ähnelt“ (ebd.: 123) und verweist wie auch andere Autor_innen auf abzuwartende zukünftige Entwicklungen, um über eine rechtspopulistische Ausrichtung zu entscheiden. 8 Bebnowski und Förster (2014) verfolgen einen ganz anderen Ansatz: sie untersuchen die Rolle der Ökonom_innen innerhalb der AfD und stützen sich hierfür vor allem auf Interviews, die sie mit neun ökonomischen Erstunterstützern der AfD, zwei gewerkschaftsnahen und AfD-kritischen Ökonomen, sowie zwei eurokritischen Sozialwissenschaftlern führten. Bei ihrer Analyse stellen sie fest, „dass die marktgesetzlichen Argumentationsmuster der AfD-nahen Ökonomen (...) eine wichtige Grundlage für rechtspopulistische Positionierungen liefern“ (ebd.: 9) können. Die radikale ökonomische Logik erlaube es der AfD, sich als „frei von verzerrenden politischen Interessen“ (ebd.: 11) im Kontrast zur korrupten Elite zu präsentieren und sich über das Merkmal wirtschaftlicher Überlegenheit von vermeintlich minderwertigen Anderen abzugrenzen (vgl. ebd.: 9f.). Dieses spezielle Argumentationsmuster der AfD bezeichnen die Autor_innen als „Wettbewerbspopulismus“ (ebd.). Auch Berbuir, Lewandowsky und Siri (2014) betonen, dass die AfD im europäischen Vergleich rechtspopulistischer Parteien eine ganz eigene Strategie verfolge – sie begründen dies vor allem mit der eingangs erwähnten hohen Stigmatisierung rechter Politik in Deutschland und argumentieren, die AfD könne als funktionales Äquivalent einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland angesehen werden (ebd.: 1). Die Autor_innen identifizieren mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse verschiedener Materialien von der und über die AfD „several unique discursive patterns that seemed to have a dominant position in the programmatic self-description of the party“ (ebd.: 9). Außerdem erstellen sie auf Grundlage des Bundeswahlkompass 2013 eine Analyse der potentiellen AfD-Wähler_innen und ihrer sozialen und ideologischen Positionierung. Aus beidem schlussfolgern sie, die AfD sei „a ‘projection screen’ for different concerns and purposes and (...) a functional equivalent for right-wing parties in a country where open right-wing extremism and right-wing populism is tabooed“ (ebd.: 20). Eine weitere Studie von Andreas Kemper (2014) im Auftrag der Friedrich-EbertStiftung beschäftigt sich explizit mit den familien- und geschlechterpolitischen Positionen der AfD. Die Untersuchung basiert – auch aus Mangel an anderen Materialien – auf einer Analyse der Facebookseiten der AfD und gibt einen sehr 9 detailreichen Einblick in verschiedene Gruppierungen innerhalb der Partei. Ein weiterer Fokus der Untersuchung liegt auf personellen und inhaltlichen Überschneidungen mit radikalen Abtreibungsgegner_innen. Kemper schließt aus seiner Analyse, dass „die Parteibasis antifeministisch und heteronormativ eingestellt ist“ (ebd.: 45) und fasst zusammen: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die AfD zusätzlich zur Euro-Kritik und der Positionierung als ›Anti-Parteien-Partei‹ einen dezidiert antifeministischen dritten Schwerpunkt ausbaut: Die radikale Kritik an jeder Form von Gleichstellungspolitik, von der AfD als ›Genderismus‹ diffamiert, könnte zum dritten Markenzeichen der Partei avancieren“ (ebd.). Ein expliziter Bezug zu Rechtspopulismus oder eine entsprechende Einordnung der Befunde finden sich in der Studie allerdings nicht. 3. Theoretischer Rahmen – Rechtspopulismus Der bisherige Forschungsstand zeigt: Um der Frage nachzugehen, ob die AfD als rechtspopulistisch bezeichnet werden kann, muss zunächst ein theoretischer Rahmen geschaffen werden, welcher absteckt was Rechtspopulismus ist und was ihn kennzeichnet. Nur auf der Basis einer wissenschaftlichen Eingrenzung des Begriffs ist es möglich, die AfD systematisch auf seine Merkmale hin zu überprüfen und dabei zu fundierten Ergebnissen zu gelangen. Dieser Schritt ist besonders wichtig, da Populismus nicht nur ein wissenschaftliches Konzept ist, sondern längst als „politischer Kampfbegriff“ (Decker 2004: 21) Einzug in die Alltagssprache gefunden hat. Dort tritt er vor allem als wertegeladener und inhaltlich unscharfer Vorwurf auf, welcher unterstellt mit unsachlichen Argumenten und der Mobilisierung von Ängsten und Emotionen um öffentliche Zustimmung zu werben (vgl. ebd.). Wenn dann daraufhin der Einzug von Populismus in den politischen Mainstream ausgerufen wird, so liegt das daran, dass „die direkte, über das Fernsehen vermittelte Ansprache an das Volk unter Umgehung von Parteien und Parlament sowie eine personenzentrierte Wahlkampfführung (...) heute ein allgemeines Kennzeichen der Mediendemokratie [sind], (...) wie auch die Reduktion komplexer politischer Sachverhalte immer schon zur Politik gehört hat“ (Priester 2008: 19). 10 Eine solche Verwendung des Begriffs scheint also wenig fruchtbar und auch die von manchen Theoretiker_innen vertretene Definition als politischer (Kommunikations-)Stil weist geringes Erklärungspotenzial auf, da doch „die populistische Ansprache zu den normalen Begleiterscheinungen des politischen Wettbewerbs“ (Decker 2004: 22) gehört. Ein Blick in die Populismusforschung macht deutlich, dass auch die wissenschaftliche Begriffsverwendung keineswegs einheitlich ist: „populism has notoriously escaped easy definition“ (Fieschi 2004 : 235). Neben der Interpretation als Kommunikationsstil oder rhetorisches Mittel wird Populismus von anderen Autor_innen auch als Mobilisierungsstrategie (vgl. Grabow/Hartleb 2013), Diskurspraxis oder Strategie des Machterwerbs und Machterhalts (vgl. Priester 2012b) bezeichnet. Diesen verschiedenen Definitionen ist die Annahme gemeinsam, dass Populismus „zu flexibel und zu wenig zukunftsorientiert ist, um als Ideologie betrachtet zu werden“ (Grabow/Hartleb 2013: 18). Andere Autor_innen sind hingegen der Meinung, dass sich aus den zahlreichen Begriffsbestimmungen, Fallstudien und Definitionen durchaus ein ideologischer Kern herausarbeiten lasse, eine Art Minimaldefinition: „im Zentrum populistischer Ideologie steht demnach das „Volk“, das von der korrupten Elite („die da oben“) in einer vertikalen Dimension abgegrenzt wird“ (Rensmann 2006: 63). Auch wenn sie es nicht als ausreichendes Merkmal einer Ideologie anerkennt, kommt zu diesem Schluss auch Margaret Canovan (2006), deren historische Typologie populistischer Phänomene als wichtiger Beitrag für die Anfänge der Populismusforschung gilt: „Populist rhetoric is anti-elitist, exalts 'the people', and stresses the pathos of the 'little man'“ (Canovan 2006: 552). Auch die Populismusforscherin Karin Priester (2012a) geht davon aus, es gebe „ein ideologisches Minimum, das auf einer vertikalen Achse von „Volk“ und „Elite“ beruht“ (ebd.: 4). Auf diesem Konsens baut der niederländische Forscher Cas Mudde (2004) seine eigene Definition von Populismus auf, die in der Literatur als grundlegend gilt und den theoretischen Kern dieser Arbeit bilden soll: „I define populism as an ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic 11 groups, ‘the pure people’ versus ‘the corrupt elite’, and which argues that politics should be an expression of the volonté générale (general will) of the people“ (ebd.: 543). Mudde bedient sich zur Konzeptualisierung von Populismus, wie auch Rensmann (2006), Fietschi (2004) und Priester (2012a), des Konzepts der dünnen Ideologie, welches von Theoretiker Michael Freedens geprägt wurde. Eine Ideologie gilt demnach als dünn, schlank oder thin-centred, wenn sie zwar über einen klar definierten Kern verfügt, der eng mit bestimmten politischen Konzepten und Inhalten verbunden ist, sich jedoch darüber hinaus situationsbedingt mit ganz verschiedenen anderen Ideologien verbindet. Die Flexibilität, durch die der Populismus ausgezeichnet wird, erschwert es, ihn als eigenständige Ideologie zu erfassen. Betrachtet man jedoch die beiden Grundkomponenten, auf die sich Populismus bezieht – das Volk und die Elite – so wird deutlich, dass auch diese wandelbar sind: „Populism reacts against elites and institutions. The nature of these will vary and so the nature of populism varies with them“ (Taggart 2004: 275). Priester bezeichnet Populismus daher auch als „Relationsbegriff“ (Priester 2012a: 3) und „Chamäleon“ (Priester 2012b), welches sich seiner jeweiligen Umgebung anpasst. Der Politikwissenschaftler Paul Taggart (2004) prägte im gleichen Zusammenhang den Ausdruck eines „empty heart of populism“ (ebd.: 275), mit dem er den Mangel eines festen Wertesystems umschreibt. Was er als „lack of core values“ (ebd.) bezeichnet, ist für ihn eines von fünf konstitutiven Merkmalen, durch die verschiedene populistische Phänomene verbunden werden. Eine weitere Gemeinsamkeit sehen er und andere Autor_innen in einer feindlichen Haltung gegenüber repräsentativer Politik (ebd.: 273). „Die zentrale Botschaft gegenwärtiger populistischer Ideologiebildung ist (…), dass die Politik und das „korrupte“ Establishment der Kontrolle durch das Volk, den demokratischen Souverän, entglitten sei (Rensmann 2006: 64). Der behauptete Volkswille werde nicht mehr angemessen vertreten, daher „fordern Populisten eine ungefilterte politische Willensartikulation und lehnen intermediäre Organe als Instrumente der „Bevormundung“ ab“ (Priester 2012a: 5). 12 Um sich von der herrschenden Elite abzugrenzen, neigen Populist_innen zu gezielten Provokationen und Tabubrüchen. Sie inszenieren sich dann als „Fürsprecher des kleinen Mannes“ und wenden sich explizit gegen die vorherrschende „political correctness“, welche von den „wahren“ Problemen der Bevölkerung ablenke und sie unterdrücke (vgl. Decker 2004; Priester 2012a; Rensmann 2006). „Invariably critical of professional politicians and the media, they claim to say aloud what the people think, especially if it has been deemed by the elite to be unmentionable“ (Canovan 2004: 242). Zu den typischen Forderungen, die sich aus der populistischen Ideologie ergeben, gehört der Ruf nach mehr direkter Demokratie, sowie die Berufung auf einen „common sense“: „Aus populistischer Sicht ist der „gesunde Menschenverstand“ dem Reflexionswissen von Intellektuellen nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen, weil er auf konkreter, lebensweltlicher Erfahrung beruhe, noch nicht vom Virus des modernen Skeptizismus infiziert sei und daher noch einen unverfälschten, „gesunden“ Zugang zu Recht und Wahrheit habe“ (Priester 2012a: 4). Aus der Oppositionsstellung zur herrschenden Elite ergibt sich ein weiteres Merkmal des Populismus: „der ideologisch abgeleitete Bewegungscharakter“ (Decker 2006: 34). Wenn Populist_innen politisch aktiv werden, so betonen sie meist ihren Ursprung in der Mitte der Bevölkerung und stilisieren sich als „Bewegung von unten“ (Decker/Lewandowsky 2012: 272). Um sich klar von ihren Gegner_innen, den etablierten Parteien, abzugrenzen, wird in den meisten Fällen die Selbstbezeichnung als „Partei“ bewusst vermieden (vgl. Decker 2004: 34). Taggart (2004) erkennt an dieser Stelle eine „self-limiting quality of populism“ (ebd.: 276): Populist_innen zeichnen sich durch ihre klare Positionierung gegen das Establishment aus, bevorzugen daher oft radikale Lösungen und neue, unkonventionelle Politikformen (vgl. Decker 2004; Taggart 2004). Es ist ihnen damit jedoch schwer möglich, politische Teilhabe zu erlangen, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren: „The appeal of the populist to their constituencies is usually on the basis of their unusualness and therefore as they become institutionalised into politics, they inevitably lose a major part of their popular appeal“ (Taggart 2004: 276). 13 Um trotz dieses inhärenten Widerspruchs politisch aktiv zu werden, benötigt es Taggart zufolge „a sense of extreme crisis“ (ebd.: 275). Entscheidend sei hierbei weniger die Faktenlage, sondern vielmehr das Gefühl der Bevölkerung, „that politics as usual cannot deal with the unusual conditions of crisis“ (ebd.). Diese Beobachtung spiegelt sich auch in der typischen Wähler_innenstruktur populistischer Parteien wieder: der große Anteil sogenannter Modernisierungsverlierer legt nahe, „dass diese Parteien als ein Produkt gesellschaftlicher Modernisierungskrisen zu betrachten sind“ (Decker/Lewandowsky 2012: 272). Unabhängig von den konkreten Sorgen und Ängsten ihrer Unterstützer_innen kann der Erfolg von Populist_innen jedoch auch immer als Indikator für eine politische Legitimationskrise angesehen werden: „Als Krisensymptom reagiert der Populismus auf die Verengung von Politik auf technokratische Governance, auf deliberative Absprachen zwischen politischen Entscheidungsträgern und demokratisch nicht legitimierten Experten sowie die vermeintliche Alternativlosigkeit der Volksparteien“ (Priester 2012a: 7). Populist_innen behaupten also von sich, die „wahren“ Interessen der Bürger_innen zu erkennen und in der Absicht zu handeln, diese gegenüber der als korrupt angesehenen Führungseliten durchzusetzen. Die Heterogenität, von der populistische Phänomene gekennzeichnet sind, erklärt sich auch daraus, dass es in verschiedenen Kontexten ganz unterschiedliche Interpretationen des „wahren Volkswillens“ geben kann. Es ist jedoch ein gemeinsames Merkmal der Populist_innen, dass sie sich stark auf eine – oft nationale – Identität des Volkes berufen, dabei jedoch nie die gesamte Bevölkerung, sondern lediglich eine konstruierte, idealisierte Gemeinschaft vertreten: „populists tend to identify themselves with a ‘heartland’ that represents an idealised conception of the community they serve. It is from this territory of the imagination, that populists construct the ‘people’ as the object of their politics“ (Taggart 2004: 274). Identitätspolitik ist demnach ein konstitutives Merkmal von Populismus, wobei Gemeinschaftlichkeit und kollektive Identität des Volkes erst konstruiert und dann überhöht werden (vgl. Rensmann 2006). Der Mechanismus der vertikalen Abgrenzung von Volk und Elite beinhaltet deutlich anti-pluralistische Züge: „Dabei werden die 14 heterogenen Interessen und vielfältigen Konflikte der pluralistischen Gesellschaft in kollektive Identitätskonzepte transformiert, denen wiederum die egoistische Interessenverfolgung der Elite gegenübergestellt wird“ (ebd.: 64). Dieses Vorgehen erlaubt es Populist_innen, sich gegen alles zu richten, was der erdachten Gemeinschaft nach eigenem Ermessen schaden könnte. Auch Forderungen und Vorwürfe, die auf sachlicher Ebene widersprüchlich oder willkürlich erscheinen, werden durch eine „Moralisierung der Politik [möglich]. Unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung gelten die Eliten als korrupt, doppelzüngig, eigennützig, abgehoben und arrogant. Dagegen verbürge die moralische Überlegenheit des Volkes ein jedem diskursiven Rechtfertigungszwang enthobenes Wissen über das, was recht und unrecht, wahr und falsch ist“ (Priester 2012a: 5). Die Gegenüberstellung von einfachem Volk und abgehobener Elite ist die Grundachse des Populismus, sie ist jedoch nur die vertikale Dimension der Abgrenzung. Das idealisierte Volk muss in der Vorstellung von Populist_innen nicht nur vor der Elite, dem inneren Feind, geschützt werden, sondern auch vor äußeren Feinden. Zu den typischen Merkmalen populistischer Agitation gehören deshalb auch Verschwörungstheorien, das Denken in Feindbildern und die Verwendung von biologistischen und Gewaltmetaphern, womit die Feindlage glaubwürdig vermittelt werden soll (vgl. Decker 2004: 35f.). Die horizontale Dimension des Populismus ist nun schließlich auch die Ebene, auf der zwischen Rechts- und Linkspopulismus entschieden wird: „Linker Populismus strebt durch Partizipation und Ressourcenumverteilung die Inklusion unterprivilegierter Bevölkerungsschichten in ein parastaatliches, direkt an die Person des „Führers“ gebundenes, parlamentarisch nicht kontrolliertes Klientelsystem an. Rechter Populismus betreibt umgekehrt die Exklusion von Menschen („Sozialstaatsschmarotzer“, Immigranten, Asylbewerber, ethnische Minderheiten) und reserviert politische und soziale Teilhaberechte nur für die eigene, autochthone Bevölkerung“ (Priester 2012a: 3). 15 Hier unterscheiden sich die Vorstellungen davon, was das Beste für das „heartland“ ist, deutlich. Da die zumeist exklusorische Identitätsfindung, die Konstruktion einer homogenen, idealisierten Gemeinschaft jedoch ein so wichtiger Bestandteil der populistischen Ideologie ist, scheint sie von Grund auf eher anti-egalitär und „korrespondiert (…) mit inhaltlichen Positionen, die ideologisch und programmatisch gemeinhin als „rechts“ firmieren“ (Rensmann 2006: 65). Die Deutungsangebote, welche Rechtspopulist_innen der Bevölkerung unterbreiten, können als Antwort auf „materielle und Orientierungsverluste“ (Decker 2004: 27), auf empfundene Souveränitäts- und Identitätsverluste im Zuge von Globalisierung und Modernisierung gelesen werden. Eine solche Sichtweise ist im wörtlichen Sinne konservativ, sie steht Veränderung grundsätzlich skeptisch gegenüber und strebt die Beibehaltung traditioneller Handlungsmuster an: „In Reaktion auf die gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen der Individualisierung, Enttraditionalisierung und kulturellen Pluralisierung, aber auch hinsichtlich der mit der Globalisierung einhergehenden ökonomischen Krisentendenzen, macht der Rechtspopulismus den von ihm umworbenen Wählersegmenten ein 'verführerisches' Angebot: eine Gesellschaft, in der 'altbewährte' Deutungsmuster wieder zur Geltung gebracht werden, in der vermittels traditioneller Formen der Vergemeinschaftung wieder Handlungsrahmen zur Verfügung stehen, die nicht bezweifelt werden müssen“ (Geden 2006: 214). Auch wenn sich die Agenden von Rechtspopulist_innen je nach nationalem oder regionalem Kontext unterscheiden und ein großes Spektrum an Themen zur Verfügung steht, welches von ihnen bedient werden kann (vgl. Decker/Lewandowsky 2012: 276), lassen sich aus der beschriebenen Haltung heraus doch gewisse inhaltliche Schwerpunkte und Politikbereiche identifizieren, die zu den typischen Betätigungsfeldern von rechtspopulistischen Parteien gehören. 16 Unmittelbar aus dem Streben nach traditionellen, komplexitätsreduzierenden Deutungsmustern ergibt sich eine zumeist erzkonservative Haltung in der Familien- und Geschlechterpolitik. Hier dominieren „traditional geprägte, die 'Normalität' geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und hetereosexuell-familiärer Lebensweise betonende Deutungsmuster, die sich mit den Wertorientierungen, vor allem aber auch der Alltagspraxis der vom Rechtspopulismus bevorzugt angesprochenen Bevölkerungsgruppen weitgehend deckt“ (Geden 2006: 216). Im Vergleich zu anderen Politikfeldern haben rechtspopulistische Strategien im Bereich der Familien- und Geschlechterpolitik von der Forschung bisher weniger Aufmerksamkeit erhalten, eine ausführliche Analyse findet sich jedoch bei Oliver Geden (2006). Ihm zufolge geht es zumeist darum, „die Rahmenbedingungen in einer Weise zu verändern, dass eine an traditionalen Geschlechtsnormen orientierte Praxis zukünftig wieder in einem größeren Maße 'lebbar' wird – was Rechtspopulisten nicht nur durch Maßnahmen zur 'Stärkung der Familie' erreichen wollen, sondern auch durch die Abkehr von einer das 'partnerschaftliche Miteinander' von Mann und Frau 'untergrabenden' Frauenpolitik“ (ebd.: 217). Am meisten Beachtung findet jedoch in der Forschung das Thema Einwanderung, welches besonders häufig von rechtspopulistischen Parteien in Europa besetzt wird: „So werden beispielsweise (muslimische) Einwanderer, Asylsuchende und Angehörige ethnischer Minderheiten beschuldigt, die kulturelle Identität des Landes zu untergraben und als „Sozialparasiten” den Sozialstaat auszunutzen – ohne die geringste Intention, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen oder sich in die „gastgebende Gesellschaft” zu integrieren. Nach Meinung der Rechtspopulisten sollte die Wirtschaft in erster Linie dem eigenen Land und die Leistungen des Sozialstaats vornehmlich der „eigenen” Bevölkerung dienen, die hart arbeitet, aber durch die gescheiterte Einwanderungspolitik der politisch stets korrekt handelnden Regierung im Stich gelassen wurde“ (Grabow/ Hartleb 2013: 15f.). 17 Eine solche Argumentationsweise schafft in Einklang mit der populistischen Identitätspolitik und der Abgrenzung nach außen ein klares Feindbild, welches zur Bedrohung des „heartland“ erklärt wird und zugleich im Gegensatz zur vorgeblich verblendeten, großzügigen Politik der Eliten steht. Vor allem im Zusammenhang mit Migrant_innen und Geflüchteten steht auch das Thema innere Sicherheit häufig auf der Agenda von Rechtspopulist_innen. Dieses Politikfeld eignet sich besonders gut zur Konstruktion von Bedrohungsszenarien, dabei werden wie auch in anderen Bereichen Emotionalisierung und Angstmache als Stilmittel eingesetzt: „Der populistische Akteur spielt mit Ressentiments und Vorurteilen, die sich in aggressiver Form gegen den angeblichen Feind entladen. Vorhandene Unsicherheiten und Statusängste werden nicht argumentativ entkräftet, sondern im Gegenteil (…) bewusst geschürt, um das Publikum für die populistische Botschaft empfänglich zu machen“ (Decker 2004: 36). Einigkeit besteht weiterhin darin, dass die Thematik der Europäischen Union „für eine populistische Ausbeutung (...) prädestiniert [sei]“ (Decker/Lewandowsky 2012: 277, vgl. auch Grabow/Hartleb 2013; Priester 2012a; Rensmann 2006; Taggart 2004). Denn „auf keinem anderen Politikfeld wird die vertikale Dimension von Rechtspopulismus, also die Abgrenzung zwischen „uns” normalen und rechtschaffenen Bürgern und „denen”, den fernen Politbürokraten, so sichtbar wie bei den Fragen zu Europa, seinen Institutionen und Verfahren“ (Grabow/Hartleb 2013: 27). Doch auch die horizontale Dimension der Abgrenzung findet ihren Platz in einer kritischen Haltung gegenüber der EU: vor allem die Aspekte Einwanderung und europäische Integration stellen immer wieder die Frage nach der – insbesondere nationalen – Identität und bieten somit Raum für Ängste und Unsicherheiten, die von Rechtspopulist_innen aufgegriffen werden können. Auf der politisch-institutionellen Ebene wird der EU häufig ein Demokratiedefizit und mangelnde Transparenz vorgeworfen, auf kultureller Ebene werden Zweifel an einer europäischen Identität geäußert und eine restriktivere Einwanderungs- und Asylpolitik 18 gefordert (vgl. Taggart 2004). Letzteres wird zunehmend mit einer Bedrohung der „abendländischen“ Kultur durch den Islam oder allgemein „Überfremdung“ begründet, wobei vor allem das Thema der inneren Sicherheit genutzt wird, um ein Bedrohungsszenario zu erschaffen. Eine weitere gängige Argumentationsweise ist auf der ökonomischen Ebene angesiedelt, Migrant_innen und Geflüchtete gelten dann als wirtschaftliche Belastung, die dem Nationalstaat von der EU aufgezwungen werden. Ökonomisch gesehen gilt die EU im Rechtspopulismus generell als „ein kostspieliges, entrücktes und bürokratisches Elitenprojekt, das riesige Geldbeträge für sich selbst beansprucht, ohne aber für die wahren Bedürfnisse der Netto-Beitragszahler, also des Volkes zu sorgen“ (Grabow/Hartleb 2013: 27). Eine solche Sichtweise macht die EU zu einem idealen Feindbild nach rechtspopulistischer Ideologie. Anstatt dem „einfachen Volk“ zu nützen, sei sie politisch-institutionell zweifelhaft legitimiert, treibe auf kultureller Ebene die Unterwanderung und Bedrohung der eigenen Identität an und benachteilige auf ökonomischer Ebene das „heartland“ mehr, als dass sie Vorteile bringe. Die Verbindung dieser drei Problembereiche wird von Decker und Lewandowsky (2012) auch als „programmatische Gewinnerformel“ (ebd.: 277) für rechtspopulistische Parteien bezeichnet. Den Autoren zufolge lassen sich grundsätzlich eine politisch-institutionelle, eine kulturelle und eine ökonomische Spielart des Rechtspopulismus unterscheiden, welche sich in den erfolgreichsten Fällen – wie bei dem Thema EU – verbinden und in anderen allein auftreten (vgl. ebd.: 276f.). 4. Fallstudie – die Alternative für Deutschland als rechtspopulistische Partei Nachdem nun ein Begriffsverständnis von Rechtspopulismus entwickelt wurde, soll im Folgenden untersucht werden, ob die Partei Alternative für Deutschland als rechtspopulistisch bezeichnet werden kann. Auch wenn ein theoretischer Rahmen zur Ideologie des Rechtspopulismus erstellt wurde, muss dieses Wissen noch für den Untersuchungsgegenstand einer politischen Partei spezifiziert werden. 19 Frank Decker und Marcel Lewandowsky (2012) haben eine Definition der rechtspopulistischen Parteienfamilie erarbeitet, die darauf beruht, dass diese Parteien neben einer der ideologischen Ausrichtung auch durch eine ähnliche Organisationsform und Wähler_innenstruktur verbunden werden. Deshalb soll eine Analyse der AfD durch diese drei Teilbereiche strukturiert werden, wobei sich aus der Theorie klar ergibt, dass der Fokus bei der ideologischen Ausrichtung liegen sollte. 4.1 Ideologie Welche Merkmale kennzeichnend für die Ideologie des Rechtspopulismus sind, wurde im theoretischen Teil ausführlich diskutiert. Nun gilt es, dieses Konstrukt zu operationalisieren und auf die Ideologie der AfD anzuwenden. Materialbasis Hierbei stellt sich die Frage, welche Materialien sich eignen, um die ideologische Ausrichtung einer Partei zu erfassen. Da es sich bei der AfD um eine relativ junge Partei handelt, die sich noch immer in der Konsolidierungsphase befindet, kann die Materialbasis nicht mit der lang etablierter Parteien verglichen werden. Beispielsweise ist es derzeit noch kaum möglich, Aussagen über die parlamentarische Arbeit der Partei zu treffen. Vielmehr erscheinen Partei- und Wahlprogramme derzeit die beste und zuverlässigste Option, um die ideologische Ausrichtung der AfD zu untersuchen. Die Begrenzung auf offizielle Materialien der Partei scheint besonders aufgrund der parteiinternen Konflikte ratsam. Von der Untersuchung ausgeschlossen werden Wahlplakate und Wahlwerbespots, da eine Analyse der visuellen Aspekte über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen würde. Aufgrund der redundanten Inhalte und geringen Beständigkeit sowie des unklaren Entstehungsprozesses der Texte wird auch darauf verzichtet, die Internetpräsenz der AfD zu untersuchen. Generell gilt, dass sich die Ideologie einer Partei klassischerweise in ihrer Programmatik manifestiert. Neben den „Politischen Leitlinien“ – dem bisherigen Parteiprogramm der AfD – wurden von der Bundespartei Wahlprogramme zur Bundestagswahl im Herbst 2013 und zur Europäischen Parlamentswahl im Frühjahr 20 2014 herausgegeben, welche ebenfalls analysiert werden sollen. Somit können auch eine zeitliche Entwicklung der Programmatik oder Unterschiede zwischen den verschiedenen politischen Ebenen beobachtet und gegebenenfalls thematisiert und gedeutet werden. Relevant erscheinen unter diesem Gesichtspunkt außerdem die Wahlprogramme der fünf Landtagswahlen, zu denen die AfD bislang angetreten ist. Hinsichtlich der bereits erwähnten Flügelkämpfe innerhalb der Partei werden die Landesverbände aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg zumeist als national-konservativ bezeichnet, während die Landesverbände aus Hamburg und Bremen eher dem rechtsliberalen Flügel zugerechnet werden. Da eine Analyse aller Wahlprogramme aus den Bundesländern den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, auf dieser Ebene jedoch die bislang ausführlichsten Programme zu finden sind, wurden die Dokumente aus Sachsen und Hamburg als Beispiele der beiden genannten Flügel für die Untersuchung ausgewählt. So kann auch geprüft werden, ob die geläufige Interpretation eines Richtungskampfs und die zugesprochene Bedeutung für eine Klassifikation als rechtspopulistisch auf Grundlage der Programmatik unterstützt werden kann. Operationalisierung und Methode Bei der Operationalisierung von Rechtspopulismus können Studien mit ähnlichen Fragestellungen und Forschungsdesigns eine hilfreiche Orientierung sein. Pauwels (2014) beschreibt in seinem Buch „Populism in Western Europe“ drei Methoden, um Populismus zu messen. Zum einen nennt er die Möglichkeit einer „minimal definition“ (ebd.: 33), die spezifisch genug sein und klare Richtlinien liefern müsse, um mit ihr bestimmen zu können, ob eine Partei populistisch sei oder nicht. Er schlägt hierfür die Definition von Mudde (2004) vor und schlüsselt sie in vier Kriterien auf: „a populist party should consider (1) the people as a homogenous and pure entity, (2) the elite as a homogenous and corrupt entity, (3) the people and the elite as two antagonistic groups, and (4) favour measures to give power back to the people“ (Pauwels 2014: 33). 21 Eine solche Vorgehensweise lässt jedoch sehr viel Spielraum für die Interpretation der Forschenden und ermöglicht über eine dichotome Kategorisierung hinaus kein sehr differenziertes Bild. Als einen objektiveren Ansatz beschreibt Pauwels die Methode der klassischen Inhaltsanalyse und führt als dritte Möglichkeit die Verwendung einer computerbasierten Inhaltsanalyse an. Diese Verfahren beruhen ebenfalls auf klaren Kriterien zur Kategorisierung, wenden diese jedoch systematisch und im besten Fall reproduzierbar auf Textmaterial an, welches die ideologische Position einer Partei möglichst umfassend repräsentiert. Ein Beispiel für die klassische Inhaltsanalyse von Parteiprogrammen zur Bestimmung von Populismus liefern Roodujin und Pauwels (2011). Bei ihnen gilt ein Absatz im Text dann als populistisch, wenn sowohl „people-centrism“, als auch „anti-elitism“ enthalten sind (vgl. ebd.: 1274f.). In einem Kodierleitfaden geben sie klare Definitionen für beides: „People-centrism was operationalised by the following question: ‘Do the authors of the manifesto refer to the people?’ […] Anti-elitism was measured by means of the question: ‘Do the authors of the manifesto criticise elites?’ Critique had to concern political elites in general“ (ebd.). Zugleich weisen sie jedoch darauf hin, dass beim Kodieren auch der größere Kontext berücksichtigt werden müsse und geben viele Beispiele dafür, welche Wörter und Phrasen mit eingeschlossen werden sollen. Ein weiterer Beitrag zur Messung von Populismus findet sich in der Studie „Media coverage of right-wing populist leaders“ von Bos, van der Brug und de Vreese (2010). Die Autor_innen betrachten wie rechtspopulistische Führungspersönlichkeiten in den Medien porträtiert werden und konzeptualisieren Populismus dabei als Kombination aus einem ideologischen Kern und rhetorischen Stilmitteln. Ersteren erfassen die Autor_innen mit Hilfe von zwei Kriterien: „Does the party leader criticize all other parties/the established political order/the large established parties? Does the party leader mention the ‘man in the street’ or the ‘common man’?“ (ebd.). Es gilt jedoch bei dieser, wie auch bei den anderen Studien zu beachten, dass die Anwendung der beschriebenen Methoden auf die Fallstudie in dieser Arbeit nicht ohne 22 weiteres möglich ist – zum einen muss eine Operationalisierung von Rechtspopulismus mit mehr Kriterien arbeiten, als die vorgeschlagenen Kriterien zur Messung von Populismus. Zum anderen scheint der eher quantifizierende Ansatz der klassischen Inhaltsanalyse besser geeignet für ländervergleichende Fallstudien, während es die tiefgehende Analyse eines bestimmten, individuellen Falles nahelegt, sich eher qualitativen Methoden zuzuwenden (vgl. Kohlbacher 2006). Als Methode wird deshalb auf die strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2000) zurückgegriffen. Ausgehend vom theoretischen Analyserahmen wurde ein Kategoriensystem entwickelt, welches Merkmale rechtspopulistischer Ideologie und Rhetorik umfasst. Die vorgestellten Kriterien, anhand derer Populismus von anderen Autor_innen gemessen wurde, sind in dieses Kategoriensystem eingeflossen. Als weitere Quelle der Konsultation ist das Manifesto-Projekt zu nennen, welches am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin angesiedelt ist und auf quantitativen Inhaltsanalysen der Wahlprogramme politischer Parteien in mehr als 50 Ländern für alle freien demokratischen Wahlen seit 1945 basiert. Hier kann auf ein fundiertes und erprobtes wissenschaftliches Kategoriensystem zurückgegriffen werden, welches politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Positionen von Parteien messen soll. Auch wenn sich dort keine Kategorie für (Rechts-)populismus findet, konnten teilweise Operationalisierungen von relevanten Konstrukten übernommen werden. Die deduktive Kategorienanwendung erfolgte mit Hilfe eines eigens entwickelten Kodierleitfadens (vgl. Anhang 1): „Hier geht es darum, schon vorher festgelegte, theoretisch begründete Auswertungsaspekte an das Material heranzutragen. Der qualitative Analyseschritt besteht dabei darin, deduktiv gewonnene Kategorien zu Textstellen methodisch abgesichert zuzuordnen“ (Mayring 2000: 13). Zur Bewältigung der großen Textmenge wurde unterstützend die Software MAXQDA benutzt. Die so isolierten Textstellen zu jeder Kategorie wurden für die Auswertung wieder in Bezug zum theoretischen Rahmen der Arbeit gesetzt. 23 Es ist anzumerken, dass einige Kategorien oder ihnen zugeordnete Beispiele auch auf andere Parteien zutreffen können, ohne dass es gerechtfertigt wäre, diese insgesamt als (rechts-)populistisch zu bezeichnen. Es handelt sich bei den einzelnen Kategorien keinesfalls um hinreichende Bedingungen für eine Klassifizierung als rechtspopulistisch, sondern lediglich um Bausteine einer dünnen Ideologie, welche in unterschiedlich starken Ausprägungen und Kombinationen auftreten können und die sich flexibel an den jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontext anpassen. Diese Komplexität und Kontingenz erweist sich als weiteres Argument dafür, bei der Auswertung qualitativ vorzugehen. 4.1.3 Die Ideologie der Alternative für Deutschland Für die Auswertung der qualitativen Inhaltsanalyse soll zunächst kurz das Kategoriensystem vorgestellt werden. Der Aufbau desselben ergibt sich aus der Logik der rechtspopulistischen Ideologie und strebt an, das entsprechende Weltbild schrittweise zu rekonstruieren. So steht im Kern der rechtspopulistischen Ideologie die Identitätspolitik, die Konstruktion einer kollektiven Gemeinschaft, die es zu schützen gilt und aus der heraus die Partei entstanden ist. Im Folgenden wird ein Szenario erschaffen, in welchem die vermeintlich gemeinsame, schützenswerte Identität bedroht wird, sodass es zwingend erforderlich erscheint, zu handeln. Als nächstes wird die beschriebene Krise bestimmten Akteuren zugeschrieben, von denen es sich abzugrenzen und die es zu bekämpfen gilt. Hieraus ergeben sich dann auch konkrete Handlungsvorschläge. Das zentrale populistische Feindbild entsteht aus einer Kritik an der herrschenden Elite. Ihrem korrupten Regime wird das eigene Handeln gegenübergestellt, welches mit vermeintlich auferlegten Tabus bricht und egoistische Interessen durch einfache, vernünftige Lösungen ersetzt. Darüber hinaus wird von Rechtspopulist_innen ein horizontales Feindbild erschaffen, welches die eigene Identität auch von außen bedroht sieht. Die Bedrohung von oben und von außen findet schließlich ihren Höhepunkt im Feindbild der Europäischen Union. 24 Zur Materialbasis ist anzumerken, dass sich die fünf analysierten Programmdokumente stark in ihrem Umfang unterscheiden. So umfasst das unter Zeitdruck entstandene erste Programm der Partei zur Bundestagswahl 2013 lediglich drei Seiten. Das Europawahlprogramm besteht dann bereits aus 25 Seiten, auf denen die Partei sich jedoch auch stark auf die Europapolitik fokussiert und über die Kritik der Europäischen Union und ihrer Politik hinaus wenig eigene Positionen formuliert. Die „Politischen Leitlinien“ als das Parteiprogramm der AfD fallen mit zwölf Seiten wieder deutlich kürzer aus. Sie decken zwar thematisch viele Bereiche ab, gehen aber wenig ins Detail, sondern formulieren eher allgemeine Standpunkte. Die Landtagswahlprogramme aus Sachsen und Hamburg haben mit 24 und 28 Seiten wieder einen deutlich höheren Umfang und beziehen sich im Gegensatz zum Europawahlprogramm auch auf ein viel breiteres Spektrum an Themen. Politische Positionen und Forderungen werden hier am deutlichsten und auch im Detail ausformuliert. Der steigende inhaltliche Umfang der Programme spiegelt zum einen die zeitliche Entwicklung der Partei wider, zum anderen aber auch die Schwierigkeit einer Konsensfindung bei zunehmender Zahl an Stimmberechtigten und in Abhängigkeit der politischen Reichweite (Europa-, Bundes- oder Landespolitik). Im Hinblick auf die Merkmale rechtspopulistischer Ideologie zeigen sich zwar Unterschiede zwischen den verschiedenen Programmen, diese lassen sich jedoch auf Unterschiede in Umfang und Themenschwerpunkten zurückführen und zeigen kein Muster eines linearen Anstiegs oder Rückgangs rechtspopulistischer Elemente. So finden sich beispielsweise beinahe alle Aussagen zur Europäischen Union im Europawahlprogramm, während dieses Thema in den Landtagswahlprogrammen nur wenig Beachtung findet. In diesen wiederum finden sich aufgrund der detailreichen Positionen zu einzelnen, landespolitisch relevanten Politikfeldern die meisten Aussagen zur Familien- und Geschlechterpolitik, sowie die umfangreichsten Ausführungen zur Identitäts- und Einwanderungspolitik. 25 Mut zu Deutschland Identität wird von der AfD in ihrer Programmatik primär über die Zugehörigkeit zum „christlich-abendländischen Kulturkreis“, vor allem aber über die deutsche Nationalität definiert: „Menschen aber beziehen ihre Identität auch aus dem Land, dem sie angehören. Diese Identität geht die Politik etwas an“ (A4: 21). Während dieses Thema im sehr kurz ausfallenden Programm zur Bundestagswahl noch vernachlässigt wird, finden sich im Europawahlprogramm und in den „Politischen Leitlinien“ bereits positive Bezüge auf die „Wertgrundlagen des christlich-abendländischen Kulturkreises“ (A2: 2; A3: 7) und den Auftrag der Europäischen Union, diese zu erhalten – ohne dass genauer ausgeführt wird, was diese Wertgrundlagen ausmacht. Weiterhin wird „unser kulturelles, wissenschaftliches und technisches Wissen (…) als Deutschlands wichtigstes Gut“ (A3: 13) definiert und „Mut zu Deutschland“ (A2: 2) gefordert. Hier wird bereits etwas angedeutet, was durch die weitere Analyse der Programmatik deutlich wird. Es zeigt sich ein Selbstverständnis von Deutschland als überlegener Nation – in wirtschaftlicher und auch kultureller Hinsicht – und damit verbunden die Forderung nach mehr offen ausgelebtem Nationalstolz. Auf welche Art sich ein solches Überlegenheitsdenken auf politische Positionen auswirkt, kann besonders auf dem Feld der Europapolitik beobachtet werden. Wie im Folgenden noch ausgeführt wird, liegt der Fokus der AfD hier auf der Behauptung nationaler Souveränität und einer starken Stellung Deutschlands innerhalb der Europäischen Union mit einer impliziten Abwertung wirtschaftlich schwächerer Mitgliedsländer. Diese Position ergibt sich jedoch aus einem grundlegend nationalistischen Weltbild, dessen Konstruktion sich am ehesten in den ausführlicheren Wahlprogrammen der Landesverbände zeigt. So wird im Hamburger Wahlprogramm aus Deutschlands „abendländische[r] Geschichte“ eine „bürgerliche Kultur, Tradition und Tugend“ abgeleitet – welche nach eigener Aussage von der AfD vertreten werde (vgl. A5: 5). An anderer Stelle werden Eigenschaften wie Vernunft, Fleiß, Verantwortungsbewusstsein, Unternehmergeist und 26 Teamfähigkeit als „klassisch deutsche Tugenden“ ausgemacht, welche als „deutsche Erfolgsfaktoren“ für den hohen Wohlstand im Land verantwortlich gemacht werden (vgl. A5: 11). So wird impliziert, die konstruierte Gemeinschaft der Deutschen teile besonders positive kulturelle Werte, welche der Grund für eine wohlverdiente wirtschaftliche Stärke des Landes seien und auf die man stolz sein könne. Im sächsischen Wahlprogramm wird dann explizit gefordert, die eigene kulturelle Identität zu stärken und zu schützen: „Eine gefestigte Landesidentität garantiert Leistungs- und auch Opferbereitschaft, Gesetzestreue und Solidarität, Toleranz und Stabilität. Eine instabile Landesidentität dagegen höhlt die Fundamente unseres Gemeinwesens aus und gefährdet auf lange Sicht die Demokratie selbst. (…) Nur wenn wir über eine gefestigte selbstbewusste Identität verfügen, werden wir auch die Herausforderungen meistern, die auf uns zukommen“ (A4: 21). Hier wird der positive Bezug auf eine gemeinsame nationale Identität zugleich mit einem Bedrohungsszenario verknüpft, welches Handlungsdruck erzeugt. Als Lösung präsentiert die sächsische AfD im Folgenden eine Vermittlung von Nationalstolz in der Schule: „Schul- und insbesondere Geschichtsunterricht soll nicht nur ein vertieftes Verständnis für das historische Gewordensein der eigenen Nationalidentität, sondern auch ein positives Identitätsgefühl vermitteln. (…) Unsere Nationalsymbole sollen im Unterricht erklärt werden. Das Absingen der Nationalhymne bei feierlichen Anlässen soll wie in den USA selbstverständlich sein“ (ebd.). Dass von einer Selbstverständlichkeit in Bezug auf jegliche Form von Nationalismus in Deutschland aufgrund der Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Holocaust nicht so leicht gesprochen werden kann, wird keinesfalls problematisiert. Durch das gegebene Beispiel der USA, welche für ihren ausgeprägten Nationalstolz bekannt sind, wird vielmehr der Eindruck erweckt, dies sei der Normalzustand, an den Deutschland sich anpassen solle. Eine solche Normalisierung wird auch in Bezug auf die deutsche Sprache als Symbol der nationalen Identität eingefordert: „Deutschland ist das Land in Europa, das die 27 wenigsten Unterrichtsstunden für die eigene Muttersprache einplant. In Sachsen sind mindestens so viele Wochenstunden für die deutsche Orthographie, Grammatik und für den guten Ausdruck wie für die 1. Fremdsprache oder Mathematik vorzusehen“ (ebd.: 9). Eine stärkere Vermittlung der deutschen Sprache, aber auch der als typisch deutsch bezeichneten Werte wird auch im Hamburger Wahlprogramm gefordert (vgl. A5: 8). Die AfD Sachsen verlangt darüber hinaus, Anglizismen im amtlichen Sprachgebrauch zu meiden und „unsere Sprache, wie wir sie kennen und gebrauchen“ zu pflegen (A4: 21). Die Wahlprogramme der Landesverbände nehmen über eine Stärkung des Nationalgefühls hinaus auch positiven Bezug auf die regionale Identität ihres Bundeslandes und erschaffen dabei Bilder einer idealisierten Gemeinschaft, welche an bewährte Deutungsmuster der potentiellen Wähler_innen anschließen. So lobt die AfD Hamburg die „erfolgreichen, bürgerlichen Lebensformen mit ihrer altehrwürdigen Kultur des Hanseatentums“ (A5: 5) und schreibt ihnen zahlreiche positive Eigenschaften zu. Die AfD Sachsen hingegen fordert besonders eine Stärkung des ländlichen Raums und somit den „Erhalt von wertvollem Lebensraum“ (A4: 15). Nach eigener Angabe geht es ihr darum, „Werte zu fördern, die besonders auf dem Lande noch gepflegt werden: ein intaktes Dorfleben, eine hohe Qualität sozialer Bindungen, das ehrenamtliche Engagement, Gemeinschaftssinn, Solidarität und Identifikation mit der Heimat“ (ebd.: 16). Mit beiden Beschreibungen wird neben dem positiven Selbstbild auch implizit das negative Gegenbild konstruiert – außerhalb der eigenen, idealisierten Gemeinschaft werde das Zusammenleben demnach durch einen Verfall der genannten Werte, durch weniger erfolgreiche Lebensformen und weniger wertvollen Lebensraum bedroht. Durch eine häufige Gleichsetzung der Partei mit den Bürger_innen in einer sprachlichen „Wir“-Perspektive wird der Eindruck erweckt, die AfD solidarisiere sich in diesem Identitätskonflikt mit ihren Wähler_innen und übernehme die Rolle des Sprachrohrs für besorgte Bürger_innen, welche ihre Identität als Deutsche durch Modernisierung und Einwanderung bedroht sehen. 28 Aus Angst vorm Wählerwillen den Wählerwillen erfüllen Die Erfüllung des Volkswillens liegt der AfD laut eigener Aussage sehr am Herzen. Die Partei fühle sich der Demokratie verpflichtet, wolle sie ernst nehmen und stärken (vgl. A1: 2; A3: 9; A4: 24). Im Umkehrschluss gelte, dass wir es derzeit lediglich mit einer „Teildemokratie“ (A5: 28) zu tun hätten: demnach würden Parlamente bei der Kontrolle der Regierung versagen (vgl. A1: 2), wesentliche Entscheidungen würden nicht mehr vom Parlament verantwortet, sondern von demokratisch mangelhaft legitimierten Gremien (vgl. A3: 9), der Bürger werde als Souverän entmachtet (A5: 28), der Bürgerprotest werde delegitimiert (vgl. A4: 20), die Parteien würden den Willen des Volkes bestimmen und das politische System beherrschen (vgl. A1: 2). Das Resultat sei eine Bedrohung für das friedliche Zusammenleben: „Willkürentscheidungen über die Köpfe der Bürger hinweg bereiten nur den Nährboden für Gewalt, Politikverdrossenheit und Extremismus“ (A4: 20). Was sich in diesem Narrativ offenbart, ist eine grundlegende Skepsis gegenüber der Wirksamkeit politischer Repräsentation. Den zentralen Institutionen der repräsentativen Demokratie, Parlament und Parteien, wird vorgeworfen, den Willen der Bevölkerung zu missachten und nicht in der Lage zu sein, die Bürger_innen zu vertreten. Eine Lösung wird von der AfD darin gesehen, repräsentative Mechanismen weitestgehend durch Verfahren der direkten Demokratie zu ersetzen. So finden sich Forderungen nach Bürgerentscheiden und Volksabstimmungen in allen Programmen. Die AfD in Sachsen schlägt ganz konkret vor, hierfür die Verfahren zu vereinfachen und Hürden wie die Zahl der Unterstützerunterschriften zu reduzieren (vgl. A4: 24). Im Europawahlprogramm findet sich darüber hinaus der Vorschlag für ein „Vetorecht der Nettozahler“ (A2: 10), mit welchem eine EU-Gesetzgebung in den jeweiligen Mitgliedsländern blockiert werden kann. Demnach wird der gewählten Vertretung der Bürger_innen nicht zugetraut, auch wirklich Entscheidungen in deren Sinne zu treffen. Volksabstimmungen sollen den Bürger_innen deshalb „die Möglichkeit geben […] aktiv und selbstbestimmt […] zu entscheiden“ (ebd.). 29 Diese Darstellung impliziert, durch derzeitige politische Entscheidungsmechanismen seien die Bürger_innen passiv und fremdbestimmt. Geändert werden soll das unter anderem auch durch das Subsidiaritätsprinzip, welches die AfD immer wieder betont und demzufolge „Entscheidungen (…) auf derjenigen Ebene getroffen werden [sollen], die sie betreffen“ (A4: 16). Wenn auch nicht im Widerspruch, so steht dieser Ansatz doch in gewisser Art und Weise in einem Spannungsverhältnis zum Prinzip der Repräsentation, welches ja gerade deshalb zum Tragen kommt, da es in vielen Fällen nicht möglich ist, alle Betroffenen einzeln entscheiden zu lassen. Und spätestens, wenn die AfD im Europawahlprogramm fordert, die Parteien sollen aus Angst vor dem Wählerwillen anfangen diesen zu erfüllen (vgl. A2: 25), wird deutlich, von was für einem gestörten und beschädigten Verhältnis der Bürger_innen zu ihren gewählten Repräsentant_innen die AfD ausgeht. Die Krise der Politik Die Beschreibung des gesellschaftlichen und politischen status quo als untragbares „Desaster“ (A2: 4) nimmt in den Programmen der AfD viel Raum ein. Die Liste der Institutionen und Prinzipien, welche dabei von der AfD als bedroht oder beschädigt angesehen werden, ist lang – ihr zufolge befinden sich Deutschlands Wohlstand, seine Zukunftsperspektiven, sein Rentensystem, seine Krankenversicherung und seine Selbstständigkeit ebenso in Gefahr, wie die Stabilität, der Frieden, das Wachstum und die Demokratie in Europa. Das Vertrauen in den Rechtsstaat, die soziale Marktwirtschaft, die europäische Idee, die Gewaltenteilung, die Institutionen der Europäischen Union und in die Politik im Allgemeinen sei „beeinträchtigt und teilweise zerstört“ (A2: 9). Es wird resümiert, zu dieser bedrückenden Situation müsse es eine Alternative geben (vgl. A2: 3). Schuld an der Krise seien vor allem der Einheits-Euro und die Eurorettungspolitik (vgl. A2: 4), jedoch auch generell die „kopf- und konzeptionslose Politik der Bundesregierung“ (A1: 3). Mithilfe von Zuspitzungen, Metaphern und Superlativen wird ein Bedrohungsszenario erschaffen, das seinesgleichen sucht: „Nie waren im Süden Europas die sozialen Verwerfungen schlimmer, nie war im Euroraum die 30 Arbeitslosigkeit (…) höher, nie war die Staatsverschuldung alarmierender und nie hatten die Staatsregierungen weniger Hemmungen, Verträge zu brechen und Stabilitätskriterien zu missachten, als heute. Die Altparteien haben die Zukunft Europas für die Euro- und Bankenrettung geopfert“ (A2: 23). Die herrschende Politik wird dabei als kollektiv schuldig und verantwortungslos dargestellt und gilt als eindeutig unfähig, die Krise zu lösen – ihr wird Politikversagen und Vertragsbruch (vgl. A5: 5), sowie die Missachtung von Gesetzen (vgl. A2: 25) vorgeworfen. Der Gebrauch von biologistischen Metaphern verstärkt den Eindruck einer Unkontrollierbarkeit der Krise: Der Erfolg Europas werde von „Auswüchsen der EU in Form von Zentralismus, Bürokratie und Dirigismus“ (A2: 2) bedroht, Opfer müssten für eine „Gesundung der durch verantwortungslose Politik schwer beschädigte Staatsfinanzen“ (ebd.: 10) gebracht werden und „in Brüssel wuchert überdies eine rigide EU-Bürokratie“ (A5: 5). So entsteht der Eindruck, das politische System leide an einer Krankheit, von welcher es dringend geheilt werden müsse. Mit solchen und anderen Metaphern werden überspitzte, jedoch anschauliche Krisenszenarien erschaffen, die darauf abzielen, Unsicherheiten zu verstärken und Ängste zu schüren: „Für den Götzen des Euro haben die Altparteien die gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Völkern und den Wohlstand in den Ländern der Eurozone auf dem Altar einer Einheitswährung aufs Spiel gesetzt (vgl. A2: 25). Der krisenhafte Zustand beschränkt sich laut der AfD jedoch nicht nur auf die Europapolitik und den damit verknüpften Wirtschafts- und Finanzbereich, sondern betrifft auch die Einwanderungs- und Bildungspolitik (vgl. A5: 5), die Energiepolitik (vgl. A4: 12), sowie – und hier liegt ein weiterer Fokus in den Programmen – den Bereich der Inneren Sicherheit. Demnach würden Bürger_innen sich zu Recht ungeschützt fühlen (vgl. A5: 6) und das Justizsystem werde beherrscht von überlangen Strafverfahren, milden Urteilen, Verfahrenseinstellungen und Personalmangel (vgl. A4: 23). 31 Im Hamburger Wahlprogramm wird ein lokales Krisenszenario erschaffen, welches auf einer als dramatisch geschilderten Bedrohung durch Linksextremismus beruht: „Hamburg wuchs in Jahrzehnten – vom Senat durch die Duldung faktisch rechtsfreier Räume kaum gehindert – zur Hochburg des Linksextremismus in Deutschland heran. Immer wiederkehrende Gewaltexzesse um die 'Rote Flora' und alle Jahre erneute BrutalAuftritte des 'Schwarzen Blocks' sind nur die Spitze eines Eisbergs“ (A5: 6). In Sachsen liegt der Schwerpunkt hingegen auf den „Grenzregionen mit zunehmender Kriminalitätsbelastung durch Diebstähle und Drogenschmuggel“ (A4: 23). In beiden Fällen werden wirkungsvolle Feindbilder geschaffen und Bedrohungen durch „die Anderen“ konstruiert, im Fall von Sachsen sogar im wörtlichen Sinne „von außen“. Das Versagen der Politik In einem Zug mit der Erschaffung des Krisenszenarios werden in den Programmen der AfD auch meist die vermeintlich Schuldigen identifiziert. Im Zentrum der Kritik steht die politische und wirtschaftliche Elite, von der sich die AfD vehement abgrenzt. Die herrschenden Politiker_innen gelten als verantwortungslos (vgl. A2: 10; A4: 4), ihre Politik als kopf- und konzeptionslos (vgl. A1: 3), verfehlt und unzulänglich (vgl. A5: 5), unausgegoren (vgl. A2: 25) und unsozial (vgl. A3: 7). Immer wieder ist die Rede von Politikversagen (vgl. A3: 5, 6; A5: 5, 18). Auf diese Weise wird der herrschenden Elite jegliche Kompetenz abgesprochen und das Gefühl verstärkt, die existierenden Probleme seien durch sie auf keinen Fall zu lösen. Die Kritik beschränkt sich jedoch keinesfalls nur auf einen Mangel an fachlicher Kompetenz, sondern wird auf einer moralischen Ebene ausgetragen: „Dieses Versagen ging mit einer Abkehr von den ethischen Grundlagen einher, die eine freiheitlichdemokratische Grundordnung bedingen“ (A3: 6). Die Vorwürfe richten sich wahlweise an die Bundesregierung, die etablierten Parteien, den deutschen Bundestag, das Bundesverfassungsgericht, die Regierungen der Eurozone, die Europäische Zentralbank oder Banken allgemein. Die etablierten Parteien werden fast durchgängig durch die Bezeichnung als Alt-Parteien abgewertet: 32 „Insgesamt hat sich über Hamburg ein dichter politischer Filz der Alt-Parteien gelegt. Den wollen wir aufbrechen, da er sonst vernünftige Lösungen weiter lähmt, verlangsamt, blockiert und zu oft verhindert, dass über entscheidende Dinge offen diskutiert wird“ (A5: 6). Die etablierten Parteien werden so metaphorisch zu einer Last, welche abgelegt werden muss, um die Krise lösen zu können. Unter anderem wird die herrschende Elite als manipulativ und verlogen dargestellt: den Bürger_innen werde „bewusst Sand in die Augen gestreut“ (A1: 2), die Wahrheit werde „durch EU-Kommissare, bürokratische Regelwerke und verschleiernde Abkürzungen vernebelt“ (A2: 24) und der öffentliche Diskurs über wichtige Themen von den etablierten Parteien vermieden (vgl. A5: 28). Vielmehr betreibe man eine „Leisetreterei und Bagatellisierungstaktik“ (A2: 25). Der politischen Führung wird weiterhin vorgeworfen, Verträge und geltendes Recht gebrochen zu haben (vgl. A2: 9, 10, 25; A3: 6, 7; A4: 4; A5: 5), sodass sie nicht mehr als vertrauenswürdig gelten kann. Stattdessen unterstellt die AfD den etablierten Parteien eine Entmachtung der Bürger_innen (vgl. A5: 28) und eine „überbürokratische Bevormundung durch zahllose Gesetze und Verordnungen“ (A3: 8) Staatlichen Behörden und Unternehmen wird wiederum vorgeworfen, Bürger_innen umfassend auszuspähen (ebd.). Die Bevölkerung gilt als unschuldiges Opfer einer Verschwörung von Politik und Wirtschaft, welche ungewollt mit ihren Ersparnissen eine Klientelpolitik finanzieren würden, deren Nutznießer Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger seien (vgl. A1: 1). Auf der einen Seite dieses Freund-Feind-Schemas stehen neben der korrupten politischen Führung die Banken, welchen vorgeworfen wird ihre Marktmacht zu missbrauchen, um Regierungen und Steuerzahler_innen zu erpressen (vgl. A2: 7). Auf der anderen Seite stehen die „Sparer und Steuerzahler“, welche demnach für die Verfehlungen der ersteren büßen müssten (vgl. A1: 3; A3: 7). Die AfD selbst ordnet sich bei der Gegenüberstellung des „einfachen Volkes“ und der „korrupten, abgehobenen Elite“ – der Grundachse des Populismus – eindeutig dem Volk zu: „Wenn uns Bürgern durch Spekulationen der Sachsen LB Milliarden an 33 Staatsschulden aufgebürdet und wirtschaftlicher Erfolg nur noch an den Bilanzen von Konzernen gemessen wird, dann ist dieser Erfolg für uns eine Lüge.Man hält uns nicht für systemrelevant, lässt uns aber für genau dieses System bezahlen. Das ist nicht nur zynisch, sondern antidemokratisch! Hier widersprechen wir: Die Wirtschaft muss dem Volke dienen, nicht umgekehrt!“ (A4: 4). Die AfD solidarisiert sich jedoch nicht nur mit dem angeblich leidtragenden Volk, sondern präsentiert die eigene Partei als Gegenentwurf und – ganz im Sinne ihres Namens – Alternative zur etablierten Politik: „Wenn sich herausstellt, dass die Politik in eine Sackgasse geraten ist, muss die Politik ihre Richtung wechseln. Wir, der Landesverband Sachsen der „Alternative für Deutschland“, wollen diesen Richtungswechsel herbeiführen!“ (A4: 4). Da die Kritik an der herrschenden Elite und dem derzeitigen System massiv ist, muss die Abgrenzung der eigenen Positionen entsprechend deutlich ausfallen: „So wenig, wie sich schnell ein Titel finden lässt, so wenig passen wir in die von dem Meinungsestablishment nur allzu schnell geöffneten Schubladen der alten PolitikKommoden“ (A3: 5). Die eigene Partei wird in Anknüpfung an das erschaffene Krisenszenario als einzige Rettung präsentiert: „Im deutschen Parteienspektrum stellt sich nur die AfD der Entmachtung des Bürgers durch die Alt-Parteien entgegen“ (A5: 28). Mut zur Wahrheit Eine spezifische Strategie, mit der rechtspopulistische Parteien die führende Elite dämonisieren und sich von ihr abgrenzen, ist der gezielte Tabubruch und die Kritik an der angeblich vorherrschenden „political correctness“. Hiermit wird suggeriert, dass eine freie Meinungs- und Willensbildung von der Elite bewusst verhindert werde, damit diese ungestört von der Bevölkerung ihre eigenen Interessen durchsetzen könnte. So wird in den Programmen der AfD immer wieder angeprangert, dass ein offener Diskussionsprozess behindert und die Meinungsfreiheit eingeschränkt werde (vgl. A3: 6, 9; A4: 4; A5: 5, 19, 28). 34 Konkret wird gefordert, „dass auch Auffassungen, die abseits vom Meinungskorridor der etablierten Parteien liegen, angemessen in der Berichterstattung der Medien Platz finden. Die Freiheit der Medien darf nie eingeschränkt werden“ (A3: 9). Mit der Metapher eines Korridors wird impliziert, dass nur wenig Raum für andere Meinungen existiere und die Positionen der etablierten Parteien sehr eng beieinander lägen. Darüber hinaus wird suggeriert, dass die Medien derzeit nicht frei berichten, sondern als verlängerter Arm der Politik fungieren würden. Der Politik wiederum wird vorgeworfen, bestimmte Themen bewusst von öffentlichen Diskursen fern zu halten (vgl. A5: 19), sie kleinzureden und zu meiden (vgl. A5: 28). Während die Eliten in Politik und Medien auf diese Weise als manipulativ und korrupt dargestellt werden, erscheint das „einfache Volk“ als Opfer dieser bewussten Täuschung. Die Bevölkerung werde jedoch nicht nur manipuliert, vielmehr werde die Meinungsfreiheit aktiv bedroht: „Wir wenden uns mit Nachdruck gegen zunehmend verbreitete Tendenzen selbsternannter Gesinnungswächter, Andersdenkende einzuschüchtern oder gesellschaftlich auszugrenzen“ (A3: 9). Das sächsische Landtagswahlprogramm geht sogar so weit, die heutige Situation mit der Parteidiktatur der DDR zu vergleichen und appelliert mit Bezug auf die friedliche Revolution an den Regionalstolz der Sachsen: „sie [die sächsischen Bürger] standen nicht dafür auf, dass wir nun, unter anderem Vorzeichen, wieder aufpassen müssen, was wir sagen“ (A4: 4). Mit der Forderung einer ergebnisoffenen Diskussion (A1: 2; A5: 28) wird der Eindruck erweckt, dass Entscheidungen, die das Resultat demokratischer Aushandlungsprozesse sein sollten, von der politischen Führung schon im Voraus getroffen würden. Indem diese Situation unmittelbar für das Versagen der Politik mitverantwortlich gemacht wird, wird auch impliziert, dass gerade die Positionen, welche angeblich von der Elite unterdrückt würden, zu einer erfolgreicheren Politik führen könnten: „Immer deutlicher tritt der beschämende Zusammenhang zwischen kolossalem Politikversagen und umfassender Behinderung offener Diskussionen ('political correctness') zutage“ (A5: 5). 35 Dabei präsentiert die AfD sich als Fürsprecher des „einfachen Volkes“ und als diejenige Partei, die den Mut habe, die Tabus der etablierten Konkurrenten zu brechen. So fordert sie neben „Mut zu Deutschland“ (A2: 23) auch „Mut zur Wahrheit in Europa“ (ebd.), „Mut zur Leistung“ (A5: 6) und „Mut zur Verantwortung“ (A5: 8) und verstärkt somit erneut die Abgrenzung von der herrschenden Elite, welche diese Dinge angeblich nicht einfordere. Die AfD sieht sich in der Rolle unkonventionelle Meinungen zu verteidigen und ihnen Geltung zu verschaffen, solange sie nicht gegen das Grundgesetz verstoßen beziehungsweise sich in den Grenzen einer freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegen (vgl. A1: 2; A3: 9). Auch wenn eine so allgemeine Formulierung zunächst unproblematisch, ja eher positiv erscheint und wenig Angriffsfläche bietet, erscheint die Vorstellung von Meinungsfreiheit, welche die AfD in ihren Programmen vertritt, bei genauerer Betrachtung nur wenig demokratisch. Auch wenn die Partei sich vorgeblich für einen Meinungspluralismus einsetzt, so sind es doch ganz bestimmte – nämlich die eigenen – Positionen, welche sie von der „political correctness“ bedroht sehen. So dürfe „die Wiedereinführung der DM […] kein Tabu sein“ (A1: 1), die deutschen Wähler müssten aufgerüttelt werden „angesichts des drohenden Verlusts unserer Souveränität an ein unausgegorenes Konstrukt der Vereinigten Staaten von Europa“ (A2: 25), es wird betont, „dass auch die Religionskritik der Meinungsfreiheit unterliegt“ (A3: 9) und angeblich werde „durch Sprachregelungen, Euphemismen und Sprechverbote (…) versucht, eine in der Gender- und Gleichstellungsideologie fundierte Weltsicht durchzusetzen und das kritische Denken einzuschränken“ (A4: 21). Bei den unkonventionellen Meinungen handelt es sich also um gesellschaftlich höchst umstrittene Fragen, die ausgerechnet denjenigen Politikfeldern zuzuordnen sind, die typischerweise von rechtspopulistischen Parteien mit identitätsbasierten Positionen besetzt werden: Europa, Einwanderung, sowie Familien- und Geschlechterpolitik. 36 Inwiefern die von der AfD vertretenen Positionen dabei das Grundgesetz achten oder aber – vielleicht nicht offen, aber doch implizit – an dessen Grenzen stoßen, kann an dieser Stelle nicht ausreichend diskutiert werden. Auf welche Weise Andersdenkende auf diesem Gebiet eingeschüchtert oder gesellschaftlich ausgegrenzt werden, bleibt jedenfalls unklar. Fest steht, dass zur Meinungsfreiheit und einer demokratischen Diskussionskultur auch Widerspruch gehört – gerade dann, wenn Positionen sich gegen Minderheiten richten oder diese ausschließen. So entsteht der Eindruck, dass die AfD zwar Meinungsfreiheit für die eigenen Standpunkte einfordert, die Äußerung von Widerspruch und gegenteiligen Standpunkten jedoch als „political correctness“ beziehungsweise gesellschaftliche Ausgrenzung abwerten und nicht zulassen möchte. Mit Vernunft gegen die Ideologie Die Berufung auf den gesunden Menschenverstand als Grundlage der eigenen Politik dient rechtspopulistischen Parteien normalerweise eher implizit zur Abgrenzung von der führenden Elite und vor allem zur Solidarisierung mit dem „einfachen Volk“ und zur Aufwertung seines Wissens und seiner Lebensrealität. Auch die AfD sieht sich „im Kern dem gesunden Menschenverstand verpflichtet“ (A5: 5). Darüber hinaus konstruiert sie jedoch in ihren Programmen zur Europa- und den Landtagswahlen einen Gegensatz von Vernunft und Ideologie, mit dem sie erneut das Freund-Feind-Schema der AfD gegen die gesellschaftlichen Eliten bedient und verstärkt. Die eigenen Positionen werden dabei als sachlich, vernünftig und am Gemeinwohl orientiert dargestellt (vgl. A2: 22; A4: 10; A5: 6, 28). Die führenden Eliten hingegen würden „gegen die ökonomische und politische Vernunft“ (A2: 4) handeln, Einzelinteressen vertreten (ebd.: 22) und zahlreiche „ideologisch motivierte“ (A5: 9) Fehlentscheidungen treffen. Im Gegensatz zu anderen rechtspopulistischen Parteien steht für die AfD nicht die Präsentation einfacher Lösungen im Fokus, welche als „common sense“ und als Alternative zu technokratisch und bürokratisch übermäßig komplizierten Lösungen der Eliten inszeniert werden. Die AfD selbst beruft sich auf ein „hohes Maß an 37 ökonomischer und wirtschaftspolitischer Kompetenz“ (A5: 11) und suggeriert, mit Hilfe der Ökonomie und der Wissenschaft im Allgemeinen könne ganz klar zwischen richtig und falsch unterschieden werden (vgl. A2: 4, 14, 19; A4: 13; A5: 7). Die richtigen Lösungen werden zwar als einfach zugänglich und umsetzbar präsentiert, dabei stützt man sich aber zugleich auf die vermeintliche Überlegenheit von Expert_innenwissen und weniger auf einen „common sense“. Der Elite wird hingegen vorgeworfen, die richtigen Lösungen nicht mehr als solche zu erkennen, da die Ideologie ihre Objektivität und Rationalität eingeschränkt habe (vgl. A2: 19). Der Gegensatz zwischen Vernunft und Ideologie ersetzt somit den klassischen Gegensatz zwischen gesundem Menschenverstand und technokratischen, komplizierten Lösungen: „Alle Entscheidungen sind in Zukunft auf Grundlage rationaler Faktenanalyse statt ideologischen Wunschdenkens zu treffen“ (A2: 19). Als Resultat dieser Darstellung werden politische Fragen von der AfD eher als technische Probleme dargestellt, die von Expert_innen zu lösen seien – somit wird das Politische praktisch negiert, Konflikte werden entpolitisiert. So heißt es beispielsweise im sächsischen Wahlprogramm: „Das Zwei-Grad-Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung ist politisch festgesetzt. Es ist Ausdruck einer Öko-Religion, lässt sich aber nicht wissenschaftlich begründen“ (A4: 13). Politik gilt hier wie Religion als etwas Irrationales, Willkürliches, während nur die Wissenschaft rationale Entscheidungen legitimieren könne. Ein spezielles Verständnis von demokratischer Willens- und Entscheidungsfindung wird auch deutlich in der durchweg negativen Verwendung des Wortes Ideologie, welches mit „indoktrinärer Beeinflussung“ (A4: 9) und der Beschreibung als strangulierend oder menschenfeindlich verbunden wird (ebd.: 4). Dabei kritisiert die AfD ähnlich zur „political correctness“ all das als ideologisch, was ihren eigenen Positionen widerspricht und bezieht sich auch hier insbesondere auf die Europapolitik (vgl. A2: 4, 14, 19), die Familien- und Geschlechterpolitik (vgl. A4: 4, 6, 21), außerdem auf die Energiepolitik (vgl. A4: 12, 13; A5: 21) und den Bildungsbereich (vgl. A4: 10; A5: 6, 7, 9). 38 Das Aufeinandertreffen von verschiedenen Ideen, Vorstellungen, oder eben Ideologien bildet den Kern demokratischer Entscheidungsprozesse und es gilt als eine Aufgabe von politischen Parteien, verschiedene ideologische Ausrichtungen zu repräsentieren und einzubringen. Wie schon von Bebnowski und Förster (2014) treffend analysiert wurde, stellt die AfD jedoch ihre eigenen Positionen, die in diesem Prozess mit denen der etablierten Parteien konkurrieren, als unideologisch dar und nutzt dabei die negative alltagssprachliche Konnotation von Ideologie als Kontrast zu Realität und Objektivität zu ihrem Vorteil. Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ Eines der Politikfelder, auf dem die AfD der führenden Elite politisches Versagen vorwirft, ist das der Familienpolitik (vgl. A3: 6). Insbesondere in den Landtagswahlprogrammen entwirft die Partei ein Gegenmodell, welches als heteronormativ und erzkonservativ beschrieben werden kann: Im Zentrum aller Maßnahmen steht die traditionelle Kernfamilie aus Vater, Mutter und Kind (vgl. A4: 5). Man wolle die Familie schützen (vgl. A1: 3; A4: 4), ihre „wertestiftenden Funktionen (…) stärken und die Geburtenrate erhöhen“ (A4: 5). Die Kernfamilie wird dabei ganz klar idealisiert und hierarchisch über andere Lebensformen gestellt: sie sei die „natürlichste aller Gemeinschaften“ (ebd.: 4) – wobei die eher ungewöhnliche Verwendung des Superlativs für das Wort natürlich wohl noch mal die moralische Überlegenheit der Familie über andere, weniger natürliche Lebensformen verdeutlichen soll. Das Narrativ der Familie als „natürliche Grundeinheit der Gesellschaft, um die herum sich alle weiteren Gesellschaftsbereiche entwickeln“ (ebd.: 5) kann als Deutungsangebot an all diejenigen gesehen werden, die sich nach traditionellen, altbewährten Handlungsmustern sehnen und gesellschaftlicher Modernisierung skeptisch oder ablehnend gegenüber stehen. Mit der Bezeichnung der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ (A1: 3) wird auf eine biologistische Metapher zurückgegriffen, die eine Assoziation von Familie mit Natur und somit Normalität und durchweg positiven Eigenschaften verstärkt. 39 Dieses Familienbild der AfD impliziert auch eine Abwertung anderer Lebensformen, welche als weniger natürlich oder sogar unnatürlich gelten. So heißt es dann auch, die Bürger seien „mündig genug (…), um selbst zu entscheiden, welche Geschlechterrollen und Familienentwürfe die richtigen sind“ (A5: 26). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es der AfD zufolge auch durchaus falsche Geschlechterrollen und Familienentwürfe gibt. Diese werden auch dadurch abgewertet, dass man sie möglichst unsichtbar machen und nicht thematisieren möchte: „Lehrbuchinhalte haben sich an der Lebenswelt von Mehrheiten zu orientieren, nicht an der von Minderheiten“ (A4: 9). Zu einer solchen Minderheit scheinen für die Partei unter anderem auch Homosexuelle zu gehören. Homosexuelle verfassungsrechtliche und Lebenspartnerschaften gesellschaftliche Realität. seien Eine zwar „bereits weitestgehende Gleichstellung der sog. „Homoehe“ sowie die Adoption von Kindern durch Homosexuelle befürworten wir [aber] nicht“ (A4: 5). Homosexualität wird so zwar nicht offen abgelehnt – es entsteht jedoch der Eindruck, sie werde lediglich toleriert, da alles andere weder gesellschaftsfähig, noch rechtlich umsetzbar sei. Im Bezug auf die Ehe und das Adoptionsrecht, also Bereiche, welche gesellschaftlich noch immer als umstritten gelten, positioniert die AfD sich dann auch klar gegen eine Gleichstellung. Auch was die Gleichstellung der Geschlechter betrifft, vertritt die AfD eine extrem konservative und letztlich ablehnende Position. Sie strebe „die Gleichberechtigung der Geschlechter unter Anerkennung ihrer unterschiedlichen Identitäten, sozialen Rollen und Lebenssituationen an“ (A2: 18) und möchte dafür „Chancengleichheit für Frau und Mann“ (ebd.) unterstützen und einfordern. So wird suggeriert, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern festgeschrieben und wünschenswert seien und ihre ungleichen Positionen in der Gesellschaft legitimieren würden. Denn die Ansicht, dass die bestehenden Geschlechterrollen, welche die AfD anerkannt wissen möchte, keine Chancengleichheit ermöglichen, wird negiert. Quotenregelungen und Gender Mainstreaming lehnt die Partei entsprechend ab und verknüpft beide Maßnahmen mit einer angeblich übermäßigen Regulation durch die EU 40 (vgl. A2: 18; A3: 8; A4: 12; A5: 25). Die Politikansätze zur Gleichberechtigung der Geschlechter seien „frauenzentriert“ (A5: 26), Frauenförderung müsse durch Elternförderung ersetzt werden (ebd.). Die implizierte Vorstellung, Frauen und Männer seien in der Realität gleichermaßen durch Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf benachteiligt und kinderlose Frauen dürften nicht bevorzugt werden, reiht sich in das antifeministische Profil der AfD und ihre Idealisierung der traditionellen Kernfamilie ein. Die Geschlechterpolitik der AfD ist sehr stark von ihrem antifeministischen Ansatz, aber vor allem von einem Festhalten am binären, biologistischen Verständnis von Geschlecht geprägt. Es wird ein Bedrohungsszenario erschaffen, dem zufolge Gender Mainstreaming auf eine Aufhebung der Geschlechteridentitäten abziele (vgl. A2: 18) und staatliche Stellen traditionelle Geschlechterrollen und Familienentwürfe bekämpfen würden (vgl. A5: 26). Es handele sich um weitreichende Umerziehungsmaßnahmen, welche sich in einer „indoktrinären Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen durch LGBT_Lehrplaninhalte“ (ebd.: 9) äußerten und zu einer für die körperliche und seelische Entwicklung schädlichen Früh- und Hypersexualisierung führen könne (ebd.). Für diese als menschenfeindlich und verquer bezeichnete Ideologie prägt die AfD sogar ein neues Wort: „Genderismus“ (ebd.: 4). Hier findet sich auch wieder die Strategie, alle gegnerischen Positionen als ideologisch abzuwerten. Als Motor der „gescheiterten Geschlechterpolitik“ (A5: 26) werden die Gender Studies angesehen, welche als unwissenschaftlich, ideologisch und voller Vorurteile abgelehnt werden (vgl. A4: 10; A5: 26) Während die AfD in Sachsen deshalb die sofortige Einstellung ihrer Förderung fordert (vgl. A4: 10), verlangt die AfD in Hamburg ihre Öffnung für die Männerforschung und ihre Besetzung mit „vor allem Biologen“ (A5: 26). Die Genderforschung sei geprägt durch radikal feministische Strömungen, welche „sogar teilweise das biologische Geschlecht für „gesellschaftlich konstruiert“ halten“ (ebd.). Hier wird deutlich, für wie abwegig und absurd die AfD diesen 41 sozialwissenschaftlich längst etablierten Ansatz hält. Die Forderung nach mehr Einfluss der Biologie auf die Genderforschung ist ein klarer Hinweis auf das eigene biologistische Verständnis von Geschlecht. Keine Unterstützung für „Integrationsfolklore“ In der öffentlichen Debatte scheint es besonders das Themengebiet von Einwanderungsund Asylpolitik zu sein, auf dem darüber entschieden wird, ob eine Partei als rechtspopulistisch gilt oder nicht (vgl. Amann 2014). Dies ist insofern verständlich, als rechtspopulistische Parteien in der Vergangenheit besonders durch ihre kulturalistischen und häufig islamfeindlichen Positionen auf diesem Gebiet aufgefallen sind (vgl. Grabow/Hartleb 2013). Aus theoretischer Perspektive sind derartige Positionen jedoch nicht isoliert, sondern als Fortsetzung und Konsequenz der exklusorischen Identitätsfindung zu sehen, welche im Zentrum rechtspopulistischer Ideologie steht. So werden Migrant_innen und Geflüchtete als minderwertige und feindliche „Andere“ konstruiert, als Bedrohung von außen, die es zu bekämpfen gilt. Zugleich wird dabei die eigene Identität als positiver Gegenentwurf präsentiert und durch die Forderung nach Assimilation der „Fremden“ aufgewertet. Derartige Positionen sind zwar in Teilen der Gesellschaft durchaus anschlussfähig (vgl. Decker/Kiess/Brähler 2014; Klein/Zick 2014), jedoch bleibt offener Rassismus in der politischen und gesellschaftlichen Debatte hoch stigmatisiert. Vor diesem Hintergrund erscheint es bei der Analyse der immigrationspolitischen Positionen der AfD eher als strategisches Lippenbekenntnis, wenn in ihren Programmen „Respekt gegenüber der Vielfalt unterschiedlicher Menschen“ (A3: 14) geäußert und ein „offenes und ausländerfreundliches Deutschland“ (A2: 15) gefordert wird. Auch bekennt man sich mehrfach zum Recht auf Asyl und zu einer Befürwortung von Zuwanderung ( A1: 3; A2: 16;A3: 12). In der Ausformulierung ihrer einwanderungs- und asylpolitischen Forderungen wird jedoch deutlich, dass die AfD genau jenes Feindbild und Bedrohungsszenario von Migrant_innen und Geflüchteten als Gefahr konstruiert, welches typisch für den Rechtspopulismus ist. 42 So werden die genannten Gruppen unter Generalverdacht gestellt: eine Zuwanderung in die Sozialsysteme Sozialleistungen müsse gestoppt unbedingt werden; unterbunden Asylanträge und der müssten Missbrauch genau geprüft von und Abschiebungen erleichtert und beschleunigt werden (vgl. A1: 3; A2: 15; A4: 19; A5: 20). Immer wieder wird impliziert, dass die meisten der Migrant_innen und Geflüchteten aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kämen (vgl. A5: 20), nicht ernsthaft politisch verfolgt würden (vgl. A1: 3), sondern „Armutsflüchtlinge“ (A4: 19) seien, „die sich von unseren sozialen Leistungen angelockt sehen“ (A5: 20). Mit der Forderung nach einem Ende der „sich schon seit 1,5 Jahren hinziehenden Armutseinwanderung aus Serbien und Mazedonien in die Sozialsysteme – vor allem sog. Roma“ (ebd.) werden gezielt antiziganistische Ressentiments bedient. Durch Vorschläge wie verpflichtende Sprachkurse bei Bezug von Sozialleistungen, angeblich „integrierender“ Bürgerarbeit für arbeitslose Migrant_innen und die Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft (vgl. A4: 19; 20) wird ein Bild von Migrant_innen und Geflüchteten geschaffen, die weder arbeiten, noch Deutsch lernen wollen und insgesamt die Integration verweigern. Man wolle „verhindern, dass arbeitslose Einwanderer sich in Parallelgesellschaften einrichten“ (A4: 20) und fordere beispielsweise bei besagten Sprachkursen „unentschuldigtes Fehlen, Stören oder verweigerte Mitarbeit (…) durch empfindliche Kürzung der Sozialleistungen“ (ebd.) zu sanktionieren. Das Narrativ der angeblich faulen Migrant_innen geht mit einem starken Wohlfahrtschauvinismus einher, wenn den sogenannten „Armutsflüchtlingen“ implizit unterstellt wird, sich Sozialleistungen zu erschleichen und im Allgemeinen zu betrügen. In diesem Zusammenhang werden die Beibehaltung der Residenzpflicht und der zentralen Unterbringung (vgl. A4: 19), sowie Sachleistungen anstelle von Geldleistungen (vgl. A5: 21) gefordert, außerdem sollen „beitragsunabhängige Sozialleistungen wie Kindergeld und ALG II grundsätzlich nur dann an EU-Bürger ausgezahlt werden, wenn sie ihren tatsächlichen Wohnsitz in Deutschland haben und mindestens fünf Jahre einer sozialversicherungspflichtigen bzw. selbstständigen 43 Beschäftigung nachgegangen sind“ (A4: 19). Zuwanderung solle „mit Qualifikationsangeboten für deutsche Arbeitslose einhergehen“ (ebd.) und „eine Besserstellung zu deutschen Hartz IV-Empfängern“ (ebd.: 20) grundsätzlich ausgeschlossen werden. Nicht selten werden Vorschläge, die negative Ressentiments über Migrant_innen und Geflüchtete verstärken, sogar als liberal und in deren Interesse inszeniert. So heißt es: „Als Gäste des Landes sollen Asylanten würdig behandelt und als Mitmenschen akzeptiert werden, wozu auch das Recht gehört, ihr Auskommen selbst erarbeiten zu dürfen“ (A3: 12f.). Dieser vermeintlich positive Vorschlag verliert schon durch die Verwendung des Begriffs „Asylant“ an Glaubwürdigkeit: Linguisten zufolge, die den Migrationsdiskurs erforschen, wird das Wort „seit Beginn der 80er Jahren (...) zumeist abwertend gebraucht, dazu, die Menschen zu benennen, die man nicht dahaben will“ (Wengeler, zitiert nach Gierke 2014: 2). Vor allem aber werden an anderer Stelle Motive für die Forderung nach einem Arbeitsrecht für Geflüchtete genannt, die nicht nur ein klares wirtschaftliches Interesse Deutschlands erkennen lassen, sondern erneut das Narrativ der faulen, integrationsunwilligen Migrant_innen bedienen: „Das Recht auf Arbeit (ist) zu gewähren, da es der Ghettoisierung vorbeugt, Kosten vermeidet und im Falle eines positiven Entscheides eine schnelle Integration befördert“ (A2: 16). Auch die nach außen als sehr progressiv und liberal kommunizierte Forderung nach einem Einwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild (vgl. A2: 16; A3: 12; A4: 19) verrät in seiner Ausformulierung viel über das zugrundeliegende Weltbild der AfD: „So bedarf gelungene Einwanderung einer ausgereiften Steuerung, die vor allem solche Menschen zu uns kommen lässt, denen es nach aller Erfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit gelingen wird, sich zügig in die Anforderungen von Beruf und Arbeitswelt, aber auch von Kultur und Gesellschaft, einzufinden und sich selbstbestimmt zu verwurzeln“ (A5: 19). Als entscheidend gilt demnach neben den „Erfordernisse(n) des deutschen Arbeitsmarktes“ (A3: 12) und den beruflichen Qualifikationen der Migrant_innen vor allem ihr Integrationswille und ihre Integrationsfähigkeit (ebd.). 44 Durch diese Konstruktion der richtigen und erwünschten Migrant_innen wird auch zugleich wieder die Gruppe falscher und unerwünschter Migrant_innen mit geschaffen, welche im Umkehrschluss aus gering qualifizierten und angeblich nicht integrationsfähigen Menschen bestehe. So habe die Politik bisher „bei Zuwanderung nicht auf Qualifikation geachtet und Zuwanderung in einem Umfang zugelassen, der die Integrationskräfte der Gesellschaft überfordern musste. Das Resultat sind Parallelgesellschaften, in denen sich schlecht qualifizierte und nicht integrierte Menschen abkapseln und mit sozialstaatlicher Alimentation ein unwürdiges Dasein fristen“ (A4: 20). Wieder inszeniert die AfD an dieser Stelle die eigenen guten Absichten, wenn sie das angeblich „unwürdige“ Dasein dieser Menschen beenden möchte. Mit der Forderung, die Aufnahme von „Armutsflüchtlingen“ nicht mehr über das Asylrecht, sondern das vorgeschlagene Einwanderungsrecht zu regeln, fordert sie jedoch de facto, die genannten Menschen gar nicht mehr nach Deutschland kommen zu lassen (vgl. ebd.: 19). Die von der AfD durch ihre immigrationspolitischen Forderungen immer wieder praktizierte Einteilung von nach Deutschland kommenden Menschen in gute und schlechte Migrant_innen erfolgt vor allem entlang von zwei Merkmalen: ihrer ökonomischen Nützlichkeit für die nationalen Interessen der deutschen Wirtschaft und ihrer kulturellen Ähnlichkeit und demzufolge unterstellten Integrationsfähigkeit. Ein solches Weltbild wird gespeist von einer Kombination aus Neoliberalismus, Chauvinismus und kulturellem Rassismus und entspricht der rechtspopulistischen Vorstellung eines idealisierten heartlands, welches es zu beschützen gilt. Das eigene Überlegenheitsdenken wird dabei auf vielfache Weise deutlich, beispielsweise wenn beschrieben wird, „wie aufwändig und schwierig gelungene Integration in komplexe Hochleistungskulturen westlicher Industrieländer für etliche Migranten sein kann“ (A5: 19), was eine Abwertung der Kulturen außerhalb der westlichen Industrienationen als weniger komplex und leistungsfähig impliziert. 45 Integration wird in der Konsequenz auch eindeutig als Assimilation an die deutsche Kultur definiert: „Die Vorstellung, wir müssten unsere Kultur zurücknehmen, damit Integration gelingt, ist grundverkehrt. Das genaue Gegenteil ist richtig: damit Integration gelingen kann, müssen wir den Einwanderern eine attraktive und feste Identität bieten (…). Integration und Identität sind zwei Seiten derselben Medaille“ (A4: 20). Hier wird also nicht nur Kultur und Identität gleichgesetzt, sondern auch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen ausgeschlossen und die Komplexität und Subjektivität von Identität negiert. So heißt es auch zum Thema Staatsbürgerschaft: „Wer in ein fremdes Land einwandert, lässt die alte Heimat hinter sich und muss sich eine neue erschließen. Eine Staatsbürgerschaft ist nicht wie eine Handelsware austauschbar, sondern Herzensangelegenheit“ (ebd.). Integration ist also der AfD nach nur dann erfolgreich, wenn die deutsche Kultur beziehungsweise Identität vollständig angenommen wird – wer hingegen unter erfolgreicher Integration „die maximale Bewahrung der kulturellen Ursprungsprägung versteht (…), erweckt bei den Einwanderungswilligen unrealistische Erwartungen und handelt zudem gegen die Interessen des eigenen Volkes“ (ebd.). Erneut wird das eigene Volk als homogene Masse konstruiert, welche durch eine gemeinsame Heimat verbunden sei und denen die Anderen, die Migrant_innen, bedrohlich gegenüberstehen. Als Folge der bisherigen „Integrationsfolklore“ (ebd.) und „Multikulti-Utopien“ (A5: 19) werden ethnische Parallelgesellschaften und Integrationsverweigerung genannt (ebd.). Die über Jahrzehnte ungesteuerte Einwanderung habe tiefgreifende Probleme in den Bereichen Schule und Ausbildung, Sprachkenntnisse und innere Sicherheit verursacht (vgl. ebd.). Dieses Bedrohungsszenario wird noch verstärkt, indem Migrant_innen immer wieder in Zusammenhang mit Kriminalität gestellt und so zur Bedrohung der inneren Sicherheit erklärt werden. So wird beispielsweise die „Aufnahme der Ethnie bzw. des Migrationshintergrunds in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik“ (A5: 17) gefordert. Damit sollen „Probleme durch bestimmte ethnische Gruppen“ (ebd.) erfasst werden. Gerade bei Gewaltkriminalität sei der Anteil von Tätern nicht-deutscher Herkunft sehr 46 hoch (vgl. ebd.). Im Zusammenhang mit der „zwingenden Ausweisung ausländischer Straftäter“ (ebd.) werden speziell Schusswaffengebrauch, Totschlag und Vergewaltigung genannt. Derlei Assoziationen tragen zur Konstruktion der Anderen als bösartig und bedrohlich bei und wecken den Eindruck, alle negativen Eigenschaften seien mit dem Merkmal einer anderen Nationalität und somit Kultur verbunden. Ein Verständnis von Kultur als statisches, angeborenes Merkmal geht in der rechtspopulistischen Ideologie meist mit einer mangelnden Differenzierung von Kultur und Religion und einer starken Ausprägung von antimuslimischem Rassismus einher (vgl. Häusler 2008; Shooman 2011). Wie schon bei der Einwanderungsthematik allgemein, scheint die AfD auch hier zu antizipieren, dass eine strategische Abgrenzung von offener Islamfeindlichkeit dabei helfen kann, die eigenen Positionen in der öffentlichen Debatte zu legitimieren. So heißt es im Hamburger Wahlprogramm explizit, man schätze und respektiere den Islam als Weltreligion und sei sich dessen bewusst, dass die Gefahr des Islamismus nicht von der Mehrheit der Migrant_innen aus dem islamischen Kulturkreis ausgehe (vgl. A5: 18). Dennoch wird die Forderung nach einer Ausweisung sogenannter Hassprediger und dem Verbot von Terrorcamps in einen Absatz integriert, in dem Migrant_innen im Allgemeinen mit Kriminalität in Verbindung gebracht werden (vgl. A5: 17). Anstelle von offenem antimuslimischem Rassismus finden sich in den Programmen der AfD eher subtile Anspielungen auf die Unvereinbarkeit des Islams mit der von ihnen konstruierten deutschen Kultur und Identität. Wenn es beispielsweise heißt, unsere Rechtsordnung sei untrennbar verbunden mit der Kultur, auf deren Boden sie gewachsen sei und man müsse entschlossen jeglichem Versuch entgegen treten, innerhalb unserer Rechtsordnung parallele Rechtsordnungen zu etablieren, kann dies als klare Anspielung auf die Scharia, das islamische Recht, gesehen werden (vgl. A3: 8; A4: 20). Ähnliches gilt für die explizite Erwähnung, dass auch Religionskritik der Meinungsfreiheit unterliege (vgl. A3: 9): Hier wird angedeutet, Kritik am Islam sei in 47 der öffentlichen Debatte tabuisiert, womit ein klassisch rechtspopulistisches Argumentationsmuster bedient wird. Klare negative Bezüge auf den Islam finden sich insbesondere in den Wahlprogrammen aus Hamburg und Sachsen. Dort werden Vollverschleierung und Kopftücher als integrationsfeindliche Symbole und Kleidung bezeichnet (vgl. A5: 8) und Volksabstimmungen über Moscheebauten mit Minaretten gefordert, da die freie Religionsausübung für Muslime in Sachsen auch ohne Großmoschee gewährleistet sei (vgl. A4: 20). Als Lösung für die angeblich fehlgeleitete Zuwanderungspolitik der etablierten Parteien sieht die AfD eine aktivierende Integrationspolitik. Diese begreife Integration als Aufgabe derer, die sich integrieren sollen und setze auf die Integrationskräfte der Gesellschaft (vgl. ebd.). Um diese nicht zu überfordern, müsse man sich jene Migrant_innen aussuchen, die Deutschland gut tun (vgl. ebd.: 19). So wird der Kreis zur Unterteilung in gute und schlechte Einwanderung geschlossen. Was die vermeintlich schlecht integrierten Migrant_innen angeht, welche bereits in Deutschland leben, so dürfe Integrationsverweigerung nicht hingenommen werden und es dürfe keine Partizipation ohne Integration geben (vgl. A5: 19). Integration bleibe „primär eine Bringschuld der Zuwanderer“ (ebd.). Die Idee von an die eigene Bevölkerung gerichteten Kampagnen für Weltoffenheit oder gar Antidiskriminierungsschulungen hält die AfD hingegen offenbar für absurd (vgl. A4: 20). Wettbewerb statt „schädliche Gleichmacherei“ Das Feld der Europapolitik bietet sowohl auf der vertikalen, als auch auf der horizontalen Achse zahlreiche Möglichkeiten für rechtspopulistische Argumentationsmuster. Die Komplexität der Europäischen Union, ihrer Institutionen, Prozesse und Politik verursacht bei vielen Bürger_innen Unsicherheiten. Das Tempo der Veränderungen erscheint ihnen zu hoch, die Idee einer europäischen Integration zu abstrakt. Diese Verunsicherung wird von der AfD aufgegriffen, bestätigt und verstärkt. Dem so konstruierten Bedrohungsszenario und Feindbild der Europäischen Union werden traditionelle und komplexitätsreduzierende Deutungsmuster entgegen gesetzt, deren Kern die Rückkehr zu nationalstaatlicher Souveränität darstellt. 48 In der Europapolitik der AfD verbinden sich dabei viele der Merkmale rechtspopulistischer Ideologie zu einem wirkungsvollen Gesamtbild: zentral ist die Kritik an der europäischen Führungselite und das geäußerte Misstrauen gegenüber repräsentativer Politik, stark auch das Narrativ einer bedrohlichen Krise und schließlich die Konstruktion und Idealisierung einer nationalen Identität. Die Kritik am Euro und der Eurorettungspolitik als Gründungsthema der Partei ist dabei nur ein Baustein dieses Gesamtbildes. Die Führungselite Europas habe in der Eurokrise umfassend versagt und mit ihrem Handeln den Mitgliedsstaaten massiv geschadet (vgl. A1: 2; A2: 24; A3: 6f., A4: 4; A5: 5). Unter anderem wird ihr vorgeworfen, den Krisenstaaten Sanierungsprogramme aufzuzwingen, mit ihrer Politik die Ersparnisse der Bürger_innen aufzuzehren, diese finanziell zu schädigen und dabei die „deutschen Sparer“ systematisch zu enteignen, Unfrieden in Europa zu schüren, Europas Grundlagen zu zerstören und seine Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden, Verträge und Recht gebrochen zu haben und bei all dem von sachfremden Interessen geleitet worden zu sein (vgl. A1:1; A2: 2ff.; A3: 7). Das Ergebnis sei eine „EU der geretteten Banken, der Hoffnungslosigkeit arbeitsloser Jugendlicher und der Minimalrenten für die Alten“ (A2: 3). Die AfD fordert deshalb eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes, das sofortige Ende praktisch aller Bestandteile der Eurorettungspolitik und die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, welcher den Vorwurf der Korruption prüfen soll (vgl. ebd.). Die Kritik der AfD geht jedoch weit über die Eurorettungspolitik hinaus. Sowohl Aufbau und Struktur, als auch die demokratische Legitimation der Europäischen Union werden als mangelhaft angesehen: Die derzeitige Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Nationalstaaten sei nicht zukunftsfähig (vgl. A3: 7), die „Auswüchse der EU in Form von Zentralismus, Bürokratie und Dirigismus“ würden den Erfolg Europas bedrohen (vgl. A1: 2), die Machtfülle der europäischen Institutionen wachse ohne demokratische Kontrolle immer mehr an, sodass ein bürgerferner Kunststaat ohne Zustimmung der Bevölkerung entstehe (vgl. A2: 2) und Brüssel sich immer stärker „im 49 Sumpf einer selbstgeschaffenen, hochkomplexen Bürokratie“ verfange (vgl. ebd.: 8). Die Entscheidungsträger_innen seien so weit von den tatsächlichen Problemen vor Ort entfernt, dass häufig weltfremde Entscheidungen getroffen würden (vgl. A2: 9) und „über unsere Köpfe hinweg ein EU-Staat gebaut wird, den kein Volk trägt und den niemand will außer einer dünnen Schicht von Technokraten“ (A4: 4). Die Bedrohungslage und das Feindbild der korrupten, verantwortungslosen und abgehobenen Elite werden zunächst wortreich konstruiert. In der strukturellen Kritik an der EU und den dazugehörigen Lösungsvorschlägen zeigt sich dann erneut das grundlegende Misstrauen der Partei gegenüber repräsentativer Politik. So fordert sie, wann immer möglich, ein Ende konkreter Integrationsschritte und -bemühungen, eine Rückverlagerung der Verantwortung und Entscheidungen auf die nationale Ebene oder Volksabstimmungen über die Abtretung wichtiger Befugnisse an die EU (vgl. A1: 2; A2: 3ff.; A3: 7). Man setze auf „Subsidiarität statt auf Zentralismus und auf Wettbewerb statt Gleichmacherei und Harmonisierung“ (A2: 2; A3: 7). In der Konsequenz sollen Aufgaben und Ausgaben der EU massiv reduziert werden (vgl. A2: 10). Zentral für die ablehnende Haltung der AfD gegenüber der EU ist nicht nur eine vertikale Abgrenzung von der dort herrschenden Elite, sondern auch eine horizontale Abgrenzung von den anderen Mitgliedsstaaten. Man positioniert sich zwar nicht gegen die Idee einer europäischen Integration im Allgemeinen, kritisiert aber Tempo, Form und Ausmaß der Integrationsschritte: „Europa muss aus seinen Völkern heraus wachsen statt von oben herab erzwungen zu werden“ (A2: 3). Zentralistische Maßnahmen würden die Selbstständigkeit der europäischen Staaten schwächen und stünden im Widerspruch zu einem demokratischen, freiwilligen Zusammenwachsen der Völker Europas (vgl. ebd.). Die Idee einer „EU der souveränen Nationalstaaten“ (ebd.) scheint auf den ersten Blick eine Gemeinschaft mit den anderen Mitgliedsländern grundsätzlich zu befürworten. An anderer Stelle wird jedoch deutlich, dass die AfD nicht nur Zweifel an der Existenz einer gemeinsamen europäischen Identität hat und deshalb nationale Unterschiede klar 50 heraus stellt. Darüber hinaus konstruiert sie über die Abwertung anderer europäischer Länder die eigene deutsche Identität als wirtschaftlich und kulturell überlegen. Es zeigt sich genau jene, der AfD eigene Argumentationsweise, welche von Bebnowski und Förster (2014) als „Wettbewerbspopulismus“ bezeichnet wurde. Relevante und identitätsstiftende Kategorien sind für die AfD in der Ausformulierung ihrer Europapolitik eindeutig der Nationalstaat und das dazugehörige Volk, dessen Selbstständigkeit und Souveränität es zu bewahren gilt. So wird beispielsweise betont, es könne keinen europäischen Bundesstaat geben, da es keine europäische Nation und kein europäisches Staatsvolk gebe (vgl. A1: 2). Die EU versuche durch „schädliche Gleichmacherei“ (A2: 4) zu ignorieren, dass es verschiedene Integrationsgeschwindigkeiten gebe (vgl. ebd.: 3), die einzelnen Volkswirtschaften unterschiedliche Bedürfnisse hätten (ebd.: 4) und in den Mitgliedsstaaten unterschiedliche ökonomische Kulturen vorherrschen würden (ebd.: 5). Die Banken in den einzelnen Mitgliedsländern würden „gravierend voneinander abweichende Risikostrukturen aufweisen“ (ebd.: 6). Wo zunächst noch neutral von Unterschieden die Rede ist, wird bald erkennbar, dass die AfD diese Unterschiede sehr eindeutig bewertet: so fordert sie ein kleineres Währungssystem der „stabilitätsorientierten Euroländer“ (A2: 5) und spricht sich gegen eine Sozialunion „zulasten der wettbewerbs- und reformfähigen Mitgliedsstaaten“ (ebd.: 14) aus. Den Euro aufgeben sollen hingegen diejenigen Länder, „die die Bedingungen der Währungsunion nicht erfüllen können oder wollen“ (ebd.: 5). Demnach unterstellt die AfD einigen Mitgliedsländern der EU wettbewerbsunfähig und reformunwillig sowie nicht an Stabilität orientiert zu sein. Aufgrund unterschiedlicher Wertvorstellungen der Mitgliedsstaaten wird gefordert, Vorhaben, die ethisch oder moralisch kontroverse Inhalte haben, allein durch die nationalen Parlamente entscheiden zu lassen (vgl. ebd.: 9). So wird impliziert, Deutschland müsse sich von ethisch oder moralisch fragwürdigen Wertvorstellungen anderer Länder schützen. 51 Besonders in Hinblick auf die Eurokrise schreckt die Partei auch nicht davor zurück, die Regionen und Länder beim Namen zu nennen, welche sie durch ihre Formulierungen teils beschuldigt, teils abwertet: „Südeuropa verarmt und (beansprucht) die Gelder anderer Länder im Norden“ (A1: 2). Der Euro sei für Südeuropa sowie Frankreich überbewertet und die ungenügenden Resultate der dortigen Reformen würden Druck auf Deutschland ausüben, seine Wettbewerbsvorteile abzubauen (vgl. A2: 4). Eine europäische Arbeitslosenversicherung hätte zur Konsequenz, dass französische oder italienische Arbeitslose auch aus deutschen Sozialversicherungsbeiträgen finanziert werden würden (vgl. ebd.: 14). Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit zu lösen sei „eine nationale Aufgabe der Krisenstaaten, da die Ursache oft in unzureichenden Reformen der dortigen verkrusteten Arbeitsmärkte liegen“ (ebd.). Durch das Wohlstandsgefälle zu Deutschland würde vor allem Migration aus Rumänien und Bulgarien langfristig das deutsche Sozialstaatsprinzip überfordern (vgl. ebd.: 15). Die Kosten für die Eurorettung würden hingegen von den Deutschen, Holländern, Österreichern und Finnen getragen (vgl. ebd.: 25). Weitere geplante Maßnahmen der EU würden der AfD zufolge eine klare Benachteiligung Deutschlands mit sich bringen: durch eine Bankenunion würden „deutsche Finanzinstitute mit vergleichsweise soliden Finanzen (…) zur Sanierung maroder Banken in Krisenländern herangezogen“ (ebd.: 6f.). Eine Harmonisierung der Gesundheitswesen würde „zwangsläufig zu einem Absinken des Gesundheitsniveaus in Deutschland auf ein niedrigeres gemeinsames Niveau führen“ (ebd.: 18). Außerdem wird befürchtet, dass es durch die Einrichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft „zu einer weiteren Aushöhlung des Rechtsstandards in Deutschland“ (ebd.: 9) kommen könnte. Darstellungen dieser Art konstruieren das Bild eines in vielerlei Hinsicht überlegenen Deutschlands, welches sich vor einer Benachteiligung durch die Europäische Union schützen muss. Insgesamt wird suggeriert, in der Eurokrise könne klar zwischen gut und böse, zwischen Schuldigen und Unschuldigen unterschieden werden. Auf der einen Seite seien da die unwilligen und unfähigen Krisenstaaten im Süden Europas und auf der anderen Seite die leidtragenden Steuerzahler_innen im wirtschaftlich überlegenen Nordeuropa und 52 speziell in Deutschland. Dennoch ist es für die AfD nicht eine solche Darstellung, sondern der Euro, welcher Streit und das Wiederaufleben nationaler Vorurteile bewirkt und Wohlstand und Friede unter den Mitgliedsstaaten gefährdet (vgl. A3: 7). Um nicht von den anderen Mitgliedsländern ausgenutzt zu werden – Deutschlands Pflichten würden schließlich immer zahlreicher und die Kosten immer höher – will die AfD „Deutschlands Rolle in der EU wieder stärken“ (A2: 24), beginnend mit der „Gleichberechtigung der Deutschen Sprache als zwischennationale Verkehrs- und Arbeitssprache gegenüber dem Englischen und dem Französischen“ (A4: 21) als Teil ihrer „Identitätspolitik“ (ebd.). Ein starkes und solidarisches Europa brauche ein leistungsfähiges und selbstbewusstes Deutschland (A2: 2). Vor dem Hintergrund des chauvinistischen Weltbildes der AfD, dem zufolge Deutschland von den wirtschaftlich schwächeren Ländern der EU ausgebremst werde und mehr Nationalstolz entwickeln müsse, erscheint es fragwürdig, wie hierdurch mehr Solidarität in Europa entstehen soll. 4.2 Wähler_innenstruktur Um zu überprüfen, ob eine Partei als rechtspopulistisch bezeichnet werden kann, spielt nicht nur die von ihr vertretene Ideologie eine Rolle, sondern auch, welche Wähler_innenschaft sie damit tatsächlich anspricht. Denn in Hinblick auf die Kriterien einer Parteienfamilie stellen Decker und Lewandowsky (2012) fest, dass sowohl die Formen der Ansprache als auch die Wähler_innenstruktur rechtspopulistischer Parteien im Ländervergleich ähnliche Merkmale aufweisen, „sodass von einer „typischen“ Klientel (…) [dieser] Parteien gesprochen werden kann“ (ebd.: 273). Da die Ideologie und Mitgliederzusammensetzung der AfD derzeit noch nicht als stabil beschrieben werden können, gewinnt die Frage nach den (potentiellen) Wähler_innen der Partei, nach ihren Beweggründen, Einstellungen und anderen Merkmalen noch einmal an Bedeutung für die Fragestellung (vgl. Berbuir/Siri/Lewandowsky 2014: 14). Empirische Studien zu anderen rechtspopulistischen Parteien haben bestätigt, was sich aus dem theoretischen Rahmen ableiten lässt: Bei den typischen Wähler_innen 53 rechtspopulistischer Parteien handelt es sich häufig um sogenannte „Modernisierungsverlierer“ (Decker/Lewandowsky 2012: 272), gekennzeichnet durch die Verbindung von soziokulturellen Entfremdungsgefühlen und tatsächlicher oder wahrgenommener ökonomischer Benachteiligung. Die resultierende Unzufriedenheit und Verunsicherung machen diese Personen besonders empfänglich für die beschriebene rechtspopulistische Ideologie. Eine Charakterisierung der typischen Wähler_innen rechtspopulistischer Parteien als gesellschaftliche Verlierer_innen birgt jedoch die Gefahr, ihre starke Verankerung in allen Teilen der Bevölkerung zu unterschätzen. Rechtspopulismus wird so – ähnlich wie Rechtsextremismus – schnell zu einem Randphänomen erklärt und damit in Bezug auf seine gesamtgesellschaftliche Relevanz entkräftet. Dabei verweisen verschiedene sozialwissenschaftliche Studien seit Jahren auf einen Extremismus der sogenannten gesellschaftlichen Mitte, welcher sich in alarmierend hohen Zustimmungswerten zu Ideologien der Ungleichwertigkeit in breiten Teilen der Bevölkerung äußert (vgl. Decker/Kiess/Brähler 2014; Klein/Zick 2014). Eine Gefahr für das demokratische Zusammenleben ergibt sich den Autor_innen der Studien zufolge vor allem da, „wo eine Mitte sich nicht aus eigenen Kräften über Ungleichwertigkeiten Menschenfeindlichkeit diskriminierten verständigen verwehrt Gruppen oder kann und der oder sich stattdessen Ideologie einer sogar Vorurteile dem Thema reflexhaft sogenannten den »Politischen Korrektheit« zuschreibt, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen“ (Zick/Klein 2014: 17). Eine Beschreibung, welche sich in alarmierender Weise mit der rechtspopulistischen Ideologie überschneidet. Preuß, van de Wetering und Zick (2014) stellen dann auch einen klaren Bezug zum Rechtspopulismus her, indem sie aus den Daten des Langzeitprojekts Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit von 2002 bis 2011 theoretisch begründete Indikatoren für ein rechtspopulistisches Einstellungsmuster bei den Befragten entwickeln. Zwar liegen noch keine empirischen Untersuchungen zu Wähler_innen der AfD vor, welche mit 54 diesen Indikatoren arbeiten, jedoch trägt ihre Konzeption zu einem umfassenderen Bild der typischen Wählerklientel rechtspopulistischer Parteien bei. Die theoretischen Vorüberlegungen zu Rechtspopulismus sowie der bisherige Forschungsstand zur Wähler_innenstruktur dieser Parteienfamilie geben klare Hinweise darauf, welche Merkmale und Einstellungen bei der typischen Klientel rechtspopulistischer Parteien zu erwarten sind. Nun gilt es zu überprüfen, inwiefern diese Erwartungen auf die Wähler_innenstruktur der AfD zutreffen. 4.2.1 Die Wähler_innenstruktur der Alternative für Deutschland Einen ersten Einblick bietet Schmitt-Beck (2014) mit Hilfe einer repräsentativen Panelbefragung von Wähler_innen zur Bundestagswahl 2013, die im Rahmen der German Longitudinal Election Study durchgeführt wurde. Hierbei zeigt sich, dass die AfD besonders für diejenigen attraktiv war, die sich bislang nicht mit einer politischen Partei identifizierten. Überdurchschnittlich viel Zustimmung gab es außerdem von Personen männlichen Geschlechts und von solchen aus den neuen Bundesländern (ebd.: 110). Weiterhin stellt der Autor fest, „dass die AfD-Wählerschaft aus zwei Gruppen bestand: einer Mehrheit von circa 70 Prozent, die erst knapp vor dem Urnengang ihre Entscheidung traf, und einer Minderheit von circa 30 Prozent, die schon länger auf diese Partei festgelegt war“ (ebd.: 100). Die Frühentscheider_innen wurden vor allem durch eine liberal-konservative Einstellung in sozioökomischen Fragen motiviert – so sahen sie in der Euro-Krise das größte Problem des Landes, lehnten Finanzhilfen für überschuldete Euro- Mitgliedsländer ab, sahen die Zukunft der deutschen Wirtschaft mit großem Pessimismus und waren mit der Arbeit der bisherigen Bundesregierung extrem unzufrieden (ebd.: 111). Interessanterweise spielte die Beurteilung der eigenen ökonomischen Situation keine Rolle. Die Verbindung von Angst vor wirtschaftlicher Benachteiligung und Entfremdungsgefühlen zeigt sich jedoch eindeutig bei der weitaus größeren Gruppe von Spätentscheider_innen. Ihre wahlpolitischen Motive waren vor 55 allem die Besorgnis über die Euro-Krise sowie die strikte Ablehnung einer multikulturellen Einwanderungspolitik (ebd.: 112). Auch Berbuir, Lewandowsky und Siri (2014) bemühen sich in ihrer Studie zur AfD um ein differenziertes Bild der potentiellen Wähler_innenschaft der Partei. Mithilfe von Daten des Bundeswahlkompass 2013, einer sogenannten Voting Advice Application, untersuchen sie Sympathisant_innen der AfD unter anderem in Hinblick auf ihren sozioökonomischen Hintergrund und verschiedene Einstellungsmuster, sowie auf ihre Positionierung im politischen Spektrum. Die Gruppe von AfD-Sympathisant_innen – definiert als Personen, welche eine hohe Wahrscheinlichkeit zeigen, die AfD zu wählen – wurde von den Autor_innen systematisch mit der Gruppe von NichtSympathisant_innen verglichen. Zunächst einmal stellen sie fest, dass es sich bei 80 Prozent der zugeneigten Personen um Männer handelt und sie insbesondere in den Altersgruppen von 25 bis 35 und von 45 bis 54 Jahren zu finden sind (ebd.: 15). Die Erkenntnis, dass sich AfD-Sympathisant_innen überdurchschnittlich politisch interessiert zeigen, fast zur Hälfte über einen Universitätsabschluss verfügen und zu 47 Prozent über ein monatliches Einkommen von 2500 bis 5000 Euro wird von den Autor_innen dahingehend relativiert, dass der Bundeswahlkompass besonders stark von Personen mit diesen Merkmalen benutzt wird (ebd.). Mit Blick auf politische Positionen und Einstellungen zeigte sich, dass unter der AfD zugeneigten Personen im Vergleich zu Nicht-Sympathisant_innen eine sehr hohe Akzeptanz autoritärer Strukturen, sowie große Unzufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland zu finden sind (ebd: 15f.). Beim Thema Europa, dem Kerngebiet der AfD in ihrer Außendarstellung, zeigt sich ein stärker differenziertes Bild als erwartet: „One could conclude here that those who favour the Alternative für Deutschland are not constantly against the EU as an institution but against mechanisms of financial solidarity between Sympathisant_innen the European eurokritischen states“ (ebd.: Positionen weit 17). Zwar häufiger stimmen AfDzu als Nicht- Sympathisant_innen – jedoch bleibt auch ein großer Anteil der zugeneigten Personen eher moderat oder unentschieden in ihrem Euroskeptizismus. 56 Klare Bezüge zu Rechtspopulismus stellen die Autor_innen besonders bei Einstellungen der AfD-Sympathisant_innen zu den Themen Immigration sowie Familien- und Geschlechterpolitik fest: „In a nutshell, it becomes clear that AfD sympathisers lean more towards identitybased policies. Although they place themselves firmly in the political centre, they are the most conservative group in immigration and social policies“ (ebd.: 20). Die Zustimmung zu restriktiven und islamfeindlichen Positionen in Einwanderungsfragen liegt bei 60 bis 75 Prozent unter AfD-Sympathisant_innen und bei nur 19 bis 28 Prozent in der Vergleichsgruppe (ebd.: 18). Weiterhin zeigen AfDSympathisant_innen im Vergleich die stärkste Ablehnung eines Adoptionsrechts für homosexuelle Paare (ebd.). Die Autor_innen schlussfolgern: „As the level of refusal against the EU is lower than expected, one can assume that support for the AfD derives not only from the Euro question but, at the same time, from the cultural dichotomy that characterises those addressed by the populist agenda“ (ebd.: 20). Die Selbstpositionierung der AfDSympathisant_innen in der Mitte des politischen Spektrums scheint für sie eher im Widerspruch zur klassisch rechtspopulistischen Wähler_innenschaft zu stehen: „on the one hand they describe themselves as part of the political centre, on the other hand they show anti-diversity and anti-immigrant attitudes“ (ebd.). In Anknüpfung an die bereits genannten Studien, welche Rechtspopulismus in einen klaren Zusammenhang mit Ungleichwertigkeitsideologien bringen, erscheint es jedoch wenig überraschend, dass typische Wähler_innen rechtspopulistischer Parteien zum Großteil in der politischen und sozioökomischen Mitte der Gesellschaft zu finden sind. Denn anti-pluralistische und immigrationsskeptische Einstellungen stehen in keinerlei Widerspruch zu, sondern leiten sich sogar ab aus dem Phänomen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, welches sich in besonderem Maße in Deutschlands Mitte finden lässt. Aus diesem Grund wurden Analysen der AfD-Sympathisant_innen wohl auch zu einem expliziten Bestandteil der aktuellsten Studie der Autor_innen Zick und Klein (2014) zu 57 gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Je nach Fragestellung gelten in den Analysen als potentielle AfD-Wähler_innen, wer bei der sogenannten Sonntagsfrage der AfD seine Zweitstimme zuspricht oder wer angibt, mit den Ideen der AfD zu sympathisieren oder schon mal mit dem Gedanken gespielt zu haben, die AfD zu wählen (ebd.: 112; 128). Es ergeben sich hieraus Fallzahlen, die zwischen 68 und 318 Personen liegen. Methodisch betrachtet können die Ergebnisse somit nur als eingeschränkt aussagekräftig bezeichnet werden, dennoch geben sie interessante inhaltliche Hinweise. So zeigt sich beispielsweise überdurchschnittliches Ausmaß ausländerfeindlichen Aussagen unter an den AfD-Sympathisant_innen Zustimmung sowie Aussagen, zu die chauvinistischen den „ein und Nationalsozialismus verharmlosen“ (ebd.: 47). Befragte, die der AfD zuneigen, erweisen sich außerdem als deutlich europakritischer als andere und lehnen einen stärkeren Zusammenhalt der europäischen Länder in großem Maße ab (ebd.: 128). Besondere Aufmerksamkeit schenken Zick und Klein im Zusammenhang mit der AfD dem Phänomen des marktförmigen Extremismus. Hierunter verstehen die Autor_innen das Einhergehen der allgegenwärtigen unternehmerischen Selbstoptimierungsnorm mit scharfen Wettbewerbsideologien und der ausgrenzenden, ökonomistischen Bewertung von Menschen (ebd.: 103). „Marktförmiger Extremismus bietet vielleicht durch die ihm innewohnende Wettbewerbslogik und das auf Menschen bezogene Kosten-Nutzen Kalkül bedrohten Menschen wirkungsmächtige und dringend benötigte Erklärungen für schwer zu durchschauende Entwicklungen, wie auch Gründe für die Abwertung und Ausgrenzung anderer – das Überleben des Stärkeren, im Zweifel Ausgrenzung wegen mangelnder Effizienz. Insgesamt könnte dieser Mechanismus neuen Halt und ein Gefühl von Sicherheit in unsicheren Zeiten bieten“ (ebd.: 104). An dieser Stelle wird sichtbar, auf welche Weise neoliberale Positionen anschlussfähig für die komplexitätsreduzierenden und identitätsbasierten Deutungsangebote des Rechtspopulismus sind. Es ergibt sich hieraus eine Möglichkeit, nicht nur an die Sorgen der sogenannten Modernisierungsverlierer anzuknüpfen, sondern insbesondere auch die 58 gesellschaftliche Mitte über ihre Abstiegsängste zu mobilisieren. In Anlehnung an den von Bebnowksi und Förster (2014) geprägten Begriff des Wettbewerbspopulismus schlagen Zick und Klein (2014) nun den Bogen zu der Frage, „ob sich das Wählerpotential der AfD, das wir als wettbewerbspopulistisches Potential bezeichnen, tatsächlich aus den Personen zusammensetzt, die einen marktförmigen Extremismus befürworten und sich bedroht fühlen“ (ebd.: 104). Tatsächlich bestätigen die Analysen der Autor_innen, dass der marktförmige Extremismus sowie die Angst, durch die Eurokrise den bestehenden Lebensstandard und/oder Ersparnisse zu verlieren unter AfD-Sympathisant_innen überdurchschnittlich stark ausgeprägt sind (ebd.: 113f.). Darüber hinaus zeigt sich bei dieser Gruppe ein extrem hoher bis hoher Zusammenhang zwischen marktförmigem Extremismus und Sozialdarwinismus, Ausländerfeindlichkeit, der Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, der Verharmlosung des Nationalsozialismus und Chauvinismus (ebd.: 117). Somit scheint die „Verbindung von Wettbewerbslogiken mit Bedrohungsszenarien, Nationalismus und Menschenfeindlichkeit“ (ebd.: 104) nicht nur ein Merkmal rechtspopulistischer Parteien zu sein, sondern auch ein Kennzeichen der potentiellen Wähler_innenschaft der AfD. Zick und Klein fassen zusammen: „AfD-Sympathisanten und bedrohte Personen, die marktförmigem Extremismus zustimmten, vertraten auch besonders stark die Meinung, dass sich, wie in der Natur, auch in der Gesellschaft der Stärkere durchsetzen sollte, dass es wertvolles und unwertes Leben gebe und dass die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen seien. Hier, in dieser ökonomisch menschenfeindlichen Verbindung von marktförmigem Extremismus mit Rechtsextremismus im wettbewerbspopulistischen Milieu offenbart sich eine reale Gefahr für die Demokratie mit klaren Verbindungslinien in die Mitte unserer Gesellschaft“ (ebd.: 118). 59 4.3 Organisationsform Als typisches Merkmal rechtspopulistischer Parteien und zugleich entscheidendes Kriterium für Erfolg oder Scheitern der Partei wird in der Literatur häufig die Existenz einer charismatischen Führungspersönlichkeit genannt. Decker und Lewandowsky (2012) ergänzen diesen Aspekt um die Selbstinszenierung als Bewegung von unten und identifizieren die Kombination dieser Merkmale als typische Organisationsform rechtspopulistischer Parteien (vgl. ebd.: 272). Die Selbstdarstellung als Bewegung von unten spielt eine große Rolle in der Außenkommunikation, da sie sich ideologisch in die Anti-Establishment-Orientierung einfügt und potentiellen Wähler_innen Bürger_innennähe vermittelt. Intern ist die Organisationsstruktur rechtspopulistischer Parteien hingegen überwiegend durch eine autoritäre Führung von oben geprägt. Der Führungspersönlichkeit wird dabei auch die Funktion der Disziplinierung der Parteimitglieder zugeschrieben. In Anlehnung an diese Schilderung der Organisationsform der rechtspopulistischen Parteienfamilie soll nun überprüft werden, inwiefern die genannten Merkmale auf die Alternative für Deutschland zutreffen. Da sich der Bewegungscharakter der Partei ideologisch herleitet, wurde dieses Merkmal des Rechtspopulismus auch in der qualitativen Inhaltsanalyse der Parteiprogramme berücksichtigt. Führungspersonal und interne Organisation der Partei unterliegen in der Konsolidierungsphase noch immer häufiger Veränderung, weshalb hier nur ein Schlaglicht auf die bisherige Entwicklung möglich ist. Anhand von Presseberichten soll ein Eindruck der Parteiführung und -organisation gewonnen werden, welcher dann in Bezug zu klassischen Mustern rechtspopulistischer Parteien gesetzt werden kann. 4.3.1 Die Organisationsform der Alternative für Deutschland Hinsichtlich des Bewegungscharakters fällt zunächst auf, dass bereits bei der Namensgebung der Alternative für Deutschland auf das Wort Partei verzichtet wurde – eine Entscheidung, die wohl nicht zufällig getroffen wurde. Auch in den „Politischen Leitlinien“ der Partei bezeichnet sie sich als „Bewegung aus der Mitte vieler besorgter 60 und verantwortungsbewusster Bürger“ (A3: 5) und betont die „intensive Mitgliedereinbindung“ (ebd.) bei der Entstehung der Programmatik. Im Hamburger Wahlprogramm wird die Parteigründung eindeutig als Bottom-up-Prozess dargestellt: „Bald erwuchs darauf eine breite Bewegung und wurde zur Partei 'Alternative für Deutschland'“ (A5: 5). Darüber hinaus inszeniert sich die Partei als Spiegelbild der Gesellschaft und erzeugt ein solidarisches „Wir“-Gefühl, wenn es heißt, die Mitglieder „entstammen allen Berufen und Schichten, allen Bildungs- und Einkommensklassen, allen Regionen unseres Landes“ (ebd.). Insgesamt wird so der Eindruck geschaffen, die Partei sei in Abgrenzung zu ihren etablierten Konkurrent_innen noch sehr nah an den Bürger_innen und ihren Problemen und Sorgen dran, da sie aus diesen heraus entstanden und von ihnen bestimmt sei – im Gegensatz zum sogenannten Establishment, welches an anderer Stelle immer wieder als fremdbestimmt, machtversessen und korrupt dargestellt wird. Es kann also festgestellt werden, dass die AfD sich entsprechend der typischen rechtspopulistischen Strategie als Bewegung von unten inszeniert. Nun weist die Forschung zu rechtspopulistischen Parteien darauf hin, dass derartige Selbstdarstellungen oft in starkem Widerspruch zur tatsächlich beobachtbaren Parteiorganisation stehen. So steht beispielsweise Niedermayers (2015) Beschreibung der Parteigründung im genauen Gegensatz zum selbstdeklarierten Bottom-up-Prozess: „Der Erfordernis, schon kurz nach der Parteigründung und vor dem Beginn des Wahlkampfs ein Wahlprogramm verabschieden zu müssen, begegnete die Parteiführung mit einer dezidierten Willensbildung von oben nach unten: Das nicht einmal vierseitige Programm wurde vom Vorstand verfasst und auf dem Gründungsparteitag ließ man es ohne Debatte verabschieden. Dabei nahm man den Vorwurf mangelnder Demokratie in Kauf, weil man sich, so Bernd Lucke, „vor allem als handlungsfähig erweisen und ein Signal der Entschlossenheit senden“ müsse, was „zwar ungewöhnlich, aber zweckmäßig“ sei“ (ebd.: 48f.). 61 Obwohl die Partei sich bei ihrer Gründung für ein Modell von drei gleichberechtigten Sprecher_innen anstelle einer einzelnen Person als Parteivorsitz entschied, wurde aus Lucke bis zur Bundestagswahl 2013 die zentrale Führungsperson der AfD und auch in der Außenkommunikation das Gesicht der Partei. Ihm traute man zu, als charismatische Führungspersönlichkeit Eurokritiker_innen verschiedener Strömungen und enttäuschte Konservative zu vereinen, er repräsentierte die junge Partei in zahlreichen Talkshows und wurde bei öffentlichen Auftritten von Partei-Anhänger_innen bejubelt (vgl. Lobenstein 2013; Kröter 2015). Dabei wurde schnell klar, dass Lucke neben anderen führenden Persönlichkeiten des Rechtspopulismus und der Eurokritik „nur bedingt in diese Reihe von charismatischen Alphatieren“ (Gambone 2015) passt. Er selbst behauptet, „dass er das Charisma eines Schlucks Wasser besitzt“ (zitiert nach RTL 2013) und setzt laut eigener Aussage auf Inhalte anstatt auf Charisma (ebd.). Eine Selbstdarstellung, die sich in die Inszenierung als „Partei des gesunden Menschenverstandes“ einreiht und suggeriert, die etablierten Gegenspieler_innen seien vielleicht charismatisch, hätten aber keine wahren Inhalte zu bieten. So nutzt Lucke die vermeintliche Schwäche des ihm fehlenden Charisma, um sie als Beweis für die angebliche Überlegenheit der eigenen, auf diese Art sachlich und rational erscheinenden inhaltlichen Forderungen darzustellen – eine Strategie, die zu funktionieren scheint, wie ein Porträt Bernd Luckes im Wirtschaftsteil der FAZ zeigt: „Luckes Anziehungskraft lag immer weniger darin, dass er eine eigenständige alternative Wirtschafts- und Währungspolitik glaubwürdig formulieren konnte. Viel wichtiger wurde, dass er als seriöser Mann dem politischen Mainstream Paroli bietet“ (von Petersdorff 2014: 4). Der Volkswirtschaftsprofessor und Familienvater gilt als „eine unauffällige Erscheinung, sympathisch, frisch und kontrolliert“ (ebd.: 2), seine Inhalte wirken „durch professorale Expertise glaubwürdig“ (ebd.: 4). Anstatt auf Emotionen und Charisma zu setzen, greift Lucke zu einer Rhetorik und einem Auftreten, welches sich auch in der Parteiprogrammatik wiederfinden lässt: die Selbstinszenierung als sachlich, nüchtern, frei von Ideologie, vernünftig und rational. 62 Diese Strategie erscheint aus zwei Gründen erfolgversprechend: zum einen reduziert sie die Komplexität und Konflikthaftigkeit des politischen Prozesses auf technische Probleme, die von Expert_innen auf objektive Art und Weise zu lösen wären und lässt Vertreter_innen der etablierten Parteien wie machtgesteuerte Streithähne aussehen. Dies ist ein klassisches Beispiel für komplexitätsreduzierende Deutungsangebote, mit welchen rechtspopulistische Parteien unzufriedene Wähler_innen mobilisieren. Zum anderen ergibt sich speziell für den deutschen Kontext nicht nur eine historisch bedingte Stigmatisierung und Tabuisierung rechter Politik im Allgemeinen, sondern auch eine Skepsis gegenüber charismatischen Führungspersönlichkeiten im Speziellen (vgl. Berbuir/Lewandowsky/Siri 2014; Decker/Hartleb 2007). Besonders im Ausland schaut man daher mit Verwunderung auf die Eigenschaften von Politiker_innen, die in Deutschland große Beliebtheit genießen – mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als gern und häufig angeführtem Beispiel: „In Britain, no politician, least of all an ambitious woman, would get far, let alone to a third term, if their profile included unassuming, private, dutiful and a very mediocre debater who doesn’t give many speeches“ (Butler 2013: 1). In der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland scheint es also eher sachliche Zurückhaltung als Leidenschaft zu sein, welche zu einem authentischen, kompetenten und sympathischen Eindruck beiträgt. Sowohl seine Stellung innerhalb der Partei als auch seine Wirkung nach außen machten Bernd Lucke demnach in der Anfangsphase der Partei zu einem vielversprechenden Kandidaten für die alleinige Parteiführung. Die von Niedermayer (2015) zur Bundestagswahl beobachtete dezidierte Willensbildung von oben nach unten schien sich im Anschluss fortzusetzen und zunehmend zu einer „One-Man-Show“ zu werden: „ (…) was die offizielle Linie der AfD ist, entscheidet momentan vor allem einer: Bernd Lucke selbst. Im Alleingang veröffentlicht er Thesenpapiere (über den Islam), Benimmkataloge (für Parteigenossen) und Gesinnungsfragebögen (für neue Mitglieder). Die Parteimitglieder dürfen seinen Vorschlägen per E-Mail zustimmen oder sie ablehnen. Mitgestalten dürfen sie nicht“ (Lobenstein 2013: 2). 63 Im März 2014, als ein Bundesparteitag in Erfurt über Eckpunkte des Europawahlprogramms entscheiden sollte, startete Bernd Lucke schließlich einen Versuch, seine wachsende Machtstellung innerhalb der Partei noch weiter auszubauen und institutionell abzusichern. Ein von ihm eingebrachter Satzungsantrag sollte die Parteispitze von drei Sprecher_innen auf einen alleinigen Parteivorsitz verkleinern und der Parteiführung insgesamt wesentlich mehr Macht und Durchgriffsrechte zusprechen (vgl. SPIEGEL ONLINE 2014; Haimerl/Gierke 2014). Innerhalb der Partei wurden jedoch kritische Stimmen lauter, welche „Luckes Alleingänge“ nicht länger hinnehmen wollten (ebd.: 2). Auf dem Parteitag kam es dann zu so vielen Anträgen und Gegenanträgen zum Verfahren, dass Lucke seinen Antrag zurückziehen musste (vgl. SPIEGEL ONLINE 2014). In den folgenden Monaten erfuhr Lucke zunehmend Opposition aus den eigenen Reihen – allen vorweg aus den ostdeutschen Landesverbänden unter Führung von Frauke Petry und Alexander Gauland, welche sich durch die Wahlerfolge bei den Landtagswahlen im Herbst 2014 in ihrem dezidiert national-konservativen Kurs bestätigt fühlten. Als Lucke für den nächsten Parteitag im Januar 2015 erneut die Satzungsänderung zugunsten einer alleinigen Parteiführung ins Spiel brachte, wurden die Konflikte zwischen Lucke und anderen Führungsmitgliedern – neben Petry und Gauland auch Parteisprecher Konrad Adam – schärfer und zunehmend auch öffentlich über die Medien ausgetragen (vgl. Focus 2011; Pichler 2011). So warfen Luckes Kritiker ihm „Führung nach Gutsherrenart“ (Amann 2015: 1) vor und bezeichneten ihn als „Kontrollfreak“ (ebd.). Lucke selbst deutete in der Öffentlichkeit mehrfach an, sich aus der Parteispitze zurückziehen zu wollen, falls es bei einem Modell mit mehreren Vorsitzenden bleiben sollte (ebd.). Auf dem Parteitag Ende Januar 2015 wurde schließlich ein Kompromiss beschlossen, auf den sich die streitenden Führungsmitglieder kurz zuvor geeinigt hatten: Demnach sollte zunächst eine neue Doppelspitze gewählt werden, im Dezember würde dann die Person mit den meisten Stimmen automatisch die alleinige Parteiführung übernehmen (vgl. Schneider 2015; FAZ 2015). Auch wenn eine Spaltung der Partei damit zunächst 64 abgewendet schien und Lucke mit dem neuen Satzungsentwurf seinen Willen durchsetzen konnte, zeigten sich „tiefe Gräben in der AfD-Spitze“ (Schneider 2015: 1). Lucke schien nun mehr und mehr den Rückhalt innerhalb der Partei zu verlieren, während vor allem Frauke Petry, Vorsitzende des sächsischen Landesverbands, immer offener ihren Machtanspruch demonstrierte (vgl. Lachmann 2015). Mit der Gründung des Vereins Weckruf 2015 bemühte sich Lucke im Mai noch einmal seine verbliebenen Anhänger_innen innerhalb der AfD zu sammeln, versuchte nach eigenen Angaben die Partei „zu retten“ und einen „Rechtsruck“ zu verhindern (vgl. Meisner 2015: 2). Und doch gelang es Lucke letztlich nicht, seine Führungsposition innerhalb der AfD zu halten: beim Sonderparteitag in Essen Anfang Juli 2015 wurde Frauke Petry mit einer Mehrheit von rund 60 Prozent zur neuen Vorsitzenden der Partei gewählt (vgl. Reible 2015). Gemeinsam mit Lucke selbst verließen daraufhin die meisten seiner Anhänger_innen und damit mehr als zehn Prozent der Mitglieder die Partei (vgl. Peter 2015). Betrachtet man also die Organisationsstruktur der AfD insgesamt, lässt sich zwar nicht die eine charismatische Führungspersönlichkeit finden, die als typisches Merkmal rechtspopulistischer Parteien gilt. Jedoch weist die Partei mit ihrer Selbstdarstellung als Bewegung von unten, der eher autoritären Führung von oben in der Praxis und schließlich der Entscheidung für einen alleinigen Parteivorsitz im Gesamtbild sehr wohl eine typische Organisationsform für rechtspopulistische Parteien auf. Das Scheitern Luckes bei der Disziplinierung der Parteimitglieder und der oft als Richtungsstreit betitelte Machtkampf sind nicht ungewöhnlich für eine Partei in der Konsolidierungsphase. Derartige parteiinterne Konflikte und Instabilitäten gelten vielmehr als weiteres Charakteristikum rechtspopulistischer Parteien. Eine politische Etablierung scheitert für sie häufig daran, die ideologisch essentielle Kritik am Establishment glaubwürdig Aufrecht zu erhalten und zugleich zunehmend selbst ein Teil dieses politischen Systems zu werden (vgl. Taggart 2004). 65 In Hinblick auf die Besonderheit der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, in der rechte Politik in besonderem Maße stigmatisiert ist, können Luckes Warnung vor einem „Rechtsruck“ und seine Bemühungen um einen gemäßigten, liberalen Auftritt der Partei demnach auch als strategischer Versuch bewertet werden, der Partei zur politischen Etablierung zu verhelfen. Die Interpretation eines grundlegenden Richtungskampfs zwischen einem national-konservativen und einem wirtschaftsliberalen Flügel jedenfalls scheint nur wenig überzeugend, da sich politische Positionen beider Lager ganz im Sinne der „dünnen Ideologie“ problemlos mit rechtspopulistischen Argumentationsmustern verbinden lassen. So war es durchaus auch der vermeintlich um „Abgrenzung nach rechts“ bemühte Lucke, der „mit gezielten Aussagen und Provokationen den Weg für jene (ebnete), die ihre Politik auf stumpfe Deutschtümelei und insbesondere antimuslimischen Rassismus begründen“ (Peter 2015: 3). Bislang gilt auch die neue Vorsitzende Frauke Petry als Vertreterin der von Lucke betriebenen „Verschleierungsstrategie“ (ebd.), zu der eine öffentliche Distanzierung von Rechtspopulismus und eine Vermeidung von offenem Rassismus gehört, um gemäßigte Wähler nicht abzuschrecken. Zugleich gilt ihre Wahl aber auch als Votum für weniger Verschleierung dieser Art. Erste Meinungsumfragen nach Luckes Austritt deuten darauf hin, dass ein Ende oder auch nur Rückgang der Verschleierungstaktik für die AfD fatal sein könnte: so sank der Zustimmungswert von noch sechs Prozent im Mai auf nur noch drei Prozent bundesweit im Juli 2015 (vgl. ebd.). 5. Fazit Im Juli 2015, gut zwei Jahre nach ihrer Gründung, erscheint die Partei Alternative für Deutschland in einer instabilen und von Machtkämpfen gezeichneten Verfassung. Im Zentrum der internen Konflikte und der öffentlichen Debatte steht nach wie vor die Frage, wie rechts die AfD nun eigentlich ist (vgl. Lobenstein 2013). Neben ihrer Verortung im Parteiensystem „rechts von der Union“ (Häusler 2013: 93) lässt sich nach einer Analyse von Ideologie, Wähler_innenstruktur und Organisationsform der Partei 66 resümieren, dass die Alternative für Deutschland im Gesamtbild als rechtspopulistisch bezeichnet werden kann. In ihrer Programmatik zeigt sich ein Verständnis der derzeitigen Politik als krisenhaft, geprägt von einer inkompetenten und korrupten Elite, welche es nicht vermag, den „Volkswillen“ zu erkennen und die stattdessen den öffentlichen Diskurs manipuliert und politische Fehlentscheidungen trifft. Ihre Kritik bezieht die Partei schwerpunktmäßig auf die Bereiche der Europa-, Einwanderungs- sowie Familien- und Geschlechterpolitik. Auf diesen Feldern konstruiert sie das Bild einer Bedrohung der kulturellen Identität Deutschlands und verstärkt durch rhetorische Mittel wie biologistische Metaphern, Freund-Feind-Schemata, Moralisierung und Angstmache die vorhandenen Unsicherheiten und Ressentiments ihrer potentiellen Wähler_innen. Als Gegenentwurf greift sie traditionelle Deutungs- und Handlungsmuster auf, die zumeist mit einer exklusorischen Identitätsfindung und der Abwertung der „Anderen“ einhergehen. Auch Wähler_innenstruktur und Organisationsform der AfD zeigen überwiegend eine Übereinstimmung mit charakteristischen Merkmalen der rechtspopulistischen Parteienfamilie. Um dennoch vorhandene Abweichungen von klassischen Merkmalen rechtspopulistischer Parteien zu verstehen, haben sich insbesondere zwei Ansätze aus der bisherigen Forschung als hilfreich erwiesen. So findet sich die von Bebnowski und Förster (2014) geprägte Interpretation eines der AfD eigenen Wettbewerbspopulismus sowohl in der Analyse der Wähler_innenstruktur wieder, der zufolge Sympathisant_innen der AfD stark einem marktförmigen Extremismus zuneigen, als auch in der Ideologie der Partei, welche die Logik der ökonomischen Verwertbarkeit mit einer Abwertung von Migrant_innen einerseits und mancher Mitgliedsländer der EU andererseits verbindet. Eine solche vermeintlich sachliche, auf wirtschaftlichen Begriffen basierende Argumentationsweise steht zwar in keinerlei Widerspruch zur rechtspopulistischen Ideologie, sondern stellt lediglich eine besondere Ausprägung derselben dar. Jedoch 67 unterscheidet sie sich von der in Europa dominanten kulturellen Spielart des Rechtspopulismus und ist daher für viele Beobachter_innen weniger leicht einzuordnen. Für Verunsicherung sorgt in diesem Sinne auch die besondere Vorsicht der Partei bei ihrer Positionierung zu den Themen Einwanderung und Islam. Zwar kann die Einschätzung Niedermayers (2015), dass der AfD die sozio-kulturelle „Radikalisierung und Essentialisierung der kulturellen Zugehörigkeit durch Abwertung der ‚Anderen‘ [fehle]“ (ebd.: 195), nach der Analyse ihrer Programmatik nicht geteilt werden. Offener (antimuslimischer) Rassismus wird jedoch von der Partei tatsächlich klar vermieden. Eine Erklärung hierfür bieten Berbuir, Lewandowsky und Siri (2014) mit ihrer Einstufung der AfD als „a functional equivalent for right-wing parties in a country where open right-wing extremism and right-wing populism is tabooed“ (ebd.: 20). Die besondere Tabuisierung rechter Politik in der politischen Kultur des Landes wurde in der Vergangenheit schon häufig zur Erklärung des bisherigen Misserfolges rechtspopulistischer Parteien in Deutschland herangezogen (vgl. Decker/Hartleb 2007; Grabow/Hartleb 2013). Im Umkehrschluss gilt, dass sich das Auftreten einer solchen Partei für eine erfolgreiche Etablierung in Deutschland von bewährten Strategien in anderen Ländern unterscheiden muss. Hierzu zählen neben der angeführten Verschleierungstaktik der Parteiführung mit einer offiziellen Distanzierung von Rassismus, Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus und der programmatischen Nuance des ökonomisch geprägten Wettbewerbspopulismus auch die Auswahl eines Führungspersonals, das eher auf eine Ausstrahlung von Sachlichkeit und Kompetenz setzt, als auf Eigenschaften, die der klassischen Vorstellung von Charisma entsprechen. Dies alles kann als Strategie gewertet werden, um „gemäßigte“ Wähler_innen nicht abzuschrecken und das Potential der „fragilen Mitte“ (vgl. Zick/Klein 2014) voll auszuschöpfen. Die jüngsten Entwicklungen innerhalb der AfD, die zum Austritt Luckes und seiner Anhänger_innen aus der Partei geführt haben, wurden von den Medien überwiegend als 68 „Rechtsruck“ gewertet. Der Versuch Luckes, mit der Gründung seiner neuen Partei „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (ALFA) im Juli 2015 eine gemäßigte Form der AfD zu etablieren, erscheint wenig aussichtsreich. Dem Bekenntnis zu einem Neuanfang „ohne Petry, Pöbeleien, Pegida und Populismus“ (Honnigfort 2015: 1) fehlt es nach den Schlagzeilen der vergangenen Monate an Glaubwürdigkeit. Hinzu kommen Berichte, denen zufolge die AfD rechtliche Schritte gegen ALFA prüft, da Lucke Teile des Programms seiner neuen Partei bei der AfD kopiert haben soll (vgl. Leber 2015). So scheint es weder einer AfD unter Petry, noch der neuen Partei unter Lucke möglich, sich ein seriöses Image zu verschaffen und somit eine Strategie zu finden, um das Wähler_innenpotential einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland zu mobilisieren. Die Ideologien der Ungleichwertigkeit, an die im Rechtspopulismus angeknüpft wird, bleiben jedoch in großen Teilen der Bevölkerung verankert. Dies zeigt sich aktuell an den rassistischen Mobilisierungen rund um die Unterbringung von Geflüchteten bis hin zu Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und der Bedrohung von Poltiker_innen und Engagierten. Auch wenn die Etablierung der Alternative für Deutschland als rechtspopulistische Partei in Deutschland scheitern sollte, bleibt das Wähler_innenpotential also bestehen. Die Frage nach den Erfolgsbedingungen einer solchen Partei scheint sich somit auch in Zukunft eher auf Seiten der Angebotsstruktur zu entscheiden. Die Einstufung einer Partei als rechtspopulistisch kann in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere dann eine Herausforderung darstellen, wenn sie wie im Fall der AfD eine Strategie entwickelt, um der drohenden Stigmatisierung als rechte Partei zu entgehen. Eine systematische und theoretisch fundierte Analyse von Ideologie, Wähler_innenstruktur und Organisationsform führt jedoch zu dem Ergebnis, dass eine Bezeichnung der Alternative für Deutschland als rechtspopulistisch gerechtfertigt ist. Darüber hinaus gibt sie interessante Einblicke in spezifische Argumentationsmuster und Erfolgsbedingungen rechtspopulistischer Parteien in der Bundesrepublik, welche als Grundlage für weiterführende Untersuchungen dienen können. 69 6. Literaturverzeichnis Primärquellen A1) Alternative für Deutschland (2013): Wahlprogramm der Alternative für Deutschland [Bundestagswahl 2013, beschlossen auf dem Bundesparteitag am 14.04.2013]. Abrufbar unter: https://www.alternativefuer.de/wpcontent/uploads/2014/07/AfD_Wahlprogramm-BTW-2013-kurz.pdf A2) Alternative für Deutschland (2014a): Mut zu Deutschland. Für ein Europa der Vielfalt. Programm der Alternative für Deutschland (AfD) für die Wahl zum Europäischen Parlament am 25. 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Anhang Anhang 1: Kodierleitfaden Selbstpositionierung (wir hier unten) A1 Konstruktion heartland Definition Konstruktion und Überhöhung einer homogenen Identität Beispiele • • • • • • • • • Gleichsetzung der Partei mit den Bürger_innen/Wähler_innen („Wir“-Perspektive) die Bürger_innen gelten als gut, mündig, verantwortungsbewusst, moralisch überlegen Pathos des kleinen Mannes Betonung der Gemeinschaft, der Gemeinsamkeiten Bestärkung der nationalen und/oder regionalen Identität Positive Betonung der nationalen/regionalen Kultur, Geschichte, Werte, Tradition Positiver Bezug zur „Heimat“ Forderung, die eigene kulturelle Identität zu stärken und zu schützen Eintreten für (mehr) Nationalismus und/oder Patriotismus 77 A2 Bewegungscharakter Definition Selbstdarstellung als „Bewegung von unten“ Beispiele • • • • aus der Mitte des Volkes/der Gesellschaft „grassroot“-Bewegung direktes Sprachrohr der Bevölkerung Betonung des Mitspracherechts aller Mitglieder oder Bürger_innen Status Quo (Handlungsnotwendigkeit) B1 Misstrauen repräsentative Politik Definition Skepsis gegenüber der Wirksamkeit politischer Repräsentation im Gegensatz zu direkter Demokratie Beispiele • • • Diagnose einer Diskrepanz zwischen „Volkswille“ und Politik Forderung nach mehr Transparenz, weniger Komplexität in der Politik Forderung nach mehr direkter Demokratie (z.B. Plebiszite, Referenden) B2 Gefühl der Krise Definition Darstellung des status quo als Krise/bedrohlich Beispiele • • • • • • • • Krisenszenarien besorgniserregende, untragbare Zustände Überforderung für „normale“ Politik Bedrohungsszenarien mit biologistischen und Gewaltmetaphern Feind-Freund-Schema Emotionalisierung und Angstmache Verstärkung von Ressentiments und Unsicherheiten Forderung nach Verstärkung der inneren Sicherheit, striktere Anwendung des Rechts Abgrenzung: Vertikales Feindbild (die da oben) C1 Kritik an Eliten Definition Negative Darstellung der Eliten (u.a. Regierung, Medien), Abgrenzung von ihnen Beispiele • • • • • • Bezeichnung als Altparteien, Establishment Vorwurf der Entmündigung der Bürger_innen Elite gilt als unverantwortlich, korrupt, egoistisch, arrogant, abgehoben Politik gilt als fehlgeschlagen, nicht im Interesse der Bürger_innen Darstellung der bisherigen Politik als inkompetent, Verweis auf eigene Kompetenz Zu viel Bürokratie als Verschulden der Eliten, Forderung nach Abbau derselben und mehr Effizienz C2 Tabubruch Definition (Forderung nach) Bruch mit angeblichen Tabus, die von den Eliten auf bestimmte Themen und Meinungen gelegt würden Beispiele • • • • • • • gegen political correctness “das muss man doch mal sagen dürfen/das wird man doch noch sagen dürfen“ sich trauen/Mut, etwas auszusprechen oder zu fordern gegen Meinungsmainstream gegen Denkverbote für Meinungsfreiheit für offenen Dialog ohne Tabus 78 C3 common sense Definition Berufung auf die Vernunft und den „gesunden Menschenverstand“ als Grundlage der eigenen Politik Beispiele • • Politik des gesunden Menschenverstandes/der Vernunft Politik, die auf Lebenserfahrung beruht Abgrenzung: Horizontales Feindbild (die anderen) D1 Traditionelle Geschlechter- und Familienpolitik Definition Befürwortung einer Geschlechterpolitik nach traditionellen Vorstellungen, Ablehnung von Veränderung/nicht-traditionellen Maßnahmen Beispiele • • • • heteronormativ für geschlechtsspezifische Arbeitsteilung für die traditionelle Familie gegen Frauenpolitik, Quoten und Gender-Mainstreaming D2 Restriktive Immigrationspolitik Definition Forderung nach restriktiverer Immigrationspolitik, Bewertung der bisherigen als negativ Beispiele • • • • • • • • • Einwanderung als Bedrohung der kulturellen Identität (Bezug auf abendländische/christliche/westliche Werte) Islamfeindlichkeit (Bezug auf Ehrenmorde, Verschleierung, Scharia u.ä.) Darstellung des status quo als gescheiterte Integration, hohe Kosten, kulturelle Konflikte, Parallelgesellschaften Migrant_innen als Sozialparasiten/-schmarotzer gegen Einwanderung in Sozialsysteme/ Armutseinwanderung/ Wirtschaftseinwanderung suggerierte Kriminalität und Bedrohung der inneren Sicherheit durch Migrant_innen und Geflüchtete Ablehnung von Multikulturalismus, Forderung nach Assimilation Integration als Bringschuld der Migrant_innen, nicht der Aufnahmegesellschaft für die Auswahl „guter“ Migrant_innen (möglichst ähnliche Kultur & Sprache, keine wirtschaftliche Belastung) Abgrenzung: vertikales und horizontales Feindbild (nach oben und nach außen) E1 Kritik an der Europäische Union Definition Kritik an der EU auf vertikaler und horizontaler Ebene Beispiele • • • • • • • Legitimations- und Demokratiedefizit, zu wenig Transparenz bürokratisches Monster Kritik spezifischer policies der EU zu viel Einfluss der EU, Untergrabung der nationalen Souveränität nicht im Interesse des Nationalstaats, wirtschaftliche Belastung durch EU Zweifel an europäischer Identität, Betonung der nationalen Unterschiede Kritik an europäischer Immigrationspolitik 79
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