Lunchbericht - Rotary

Rotary Club
Wynen- und Suhrental
Lunchbericht, 16. Dezember 2015
Der Referent
Jannis Zinniker
Athos – wo die Uhren anders gehen
Rot. Markus Kirchhofer stellt den Referenten vor: Jannis Zinniker wurde 1943 geboren und
wuchs in Hägglingen auf. Nach erfolgreich beendetem Lehrerseminar war er an der Oberstufe
in Spreitenbach und später an der Primarstufe in Schiltwald als Lehrer tätig. Dann übernahm
er die Leitung des Reisebüros Hellenic-Tours in Athen. Er reiste auch selber viel in den Balkan, nach Griechenland und in die Türkei. Nach der Rückkehr in die Schweiz begann er ein
Studium in Psychologie, Philosophie und in Ethnologie. Der nächste Schritt war die Gründung
eines eigenen Reisebüros, wo er Reisen weg von den grossen Touristenströmen anbot, nach
Bosnien, Mazedonien, Griechenland, Türkei (vor allem die Osttürkei bzw. Kurdistan – er schrieb
zusammen mit Kurt Badertscher das Buch «Tagebuch aus Kurdistan»), Syrien, Jordanien und
auch immer wieder nach Athos. Er spezialisierte sich dann auf interkulturelle Kommunikation,
war Dozent an Hochschulen, im Bildungs- und Gesundheitswesen und im Strafvollzug. Seine
Erfahrungen fasst er gerade in einem neuen Buch zusammen. Jannis Zinniker wohnt mit seiner
Frau und seinen drei Töchtern in Baden.
Rot. Markus Kirchhofer übergibt das Wort dem Referenten.
Jannis Zinniker gibt zuerst die Antwort auf die Frage: Was und wo ist Athos? Athos ist der rechte
der drei «Finger» im Süden der Halbinsel Chalkidiki. Die linke und mittlere Halbinsel sind touristisch, ein sehr schönes Gebiet – die Halbinsel Athos ist ein über 1000-jähriger Klosterstaat mit
einer bewachten Grenze zu Griechenland. Zu gewissen Gebieten gibt es gar keinen Weg auf
dem Land, man muss mit dem Flugzeug hin. Die gut 2000 Mönche, die auf Athos sind, wohnen
in ca. 20 Grossklöstern, z.T. auch in kleineren Siedlungen oder leben als Einsiedler.
Der Berg Athos ist 2033 Meter hoch, hat einen weissen Marmorgipfel und kann von der Südseite her bestiegen werden, was aber ein ordentliches Unternehmen ist, da man von 0 Meter an
aufsteigt.
Klöster sind an der Ost- und Westküste zu finden, bewohnt von orthodoxen Mönchen der Ostkirche. Jannis Zinniker zeigt Bilder von verschiedenen Klöstern, die etwas an die tibetischen
Klöster erinnern. Nicht nur äusserlich, meint Jannis Zinniker, auch das Gedankengut und die
meditativen Übungen sind nicht weit weg vom buddhistischen Gedankengut. Es gibt nicht nur
griechisch-orthodoxe Klöster, auch Russen, Rumänen, Serben und Bulgaren haben dort ihre
Klöster. Chef der ganzen Gemeinschaft ist der ökumenische Patriarch von Konstantinopel.
Einige der Klöster sind ziemlich zerfallen oder haben teilweise zerfallene Gebäude, andere wur1 von 3
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den mit EU-Geldern restauriert und sind in einem guten Zustand.
Wer sind diese 2000 Mönche, die auf Athos leben? Früher waren das eher schwach gebildete
Menschen, kinderreiche Familien gaben oft ein Kind ins Kloster. Es gab auch die Möglichkeit,
die Hälfte einer lebenslänglichen Haftstrafe auf Athos zu verbringen. Eine sehr heterogene Gemeinschaft, die auch verkrachte Existenzen und psychisch angeschlagene Menschen anzog.
Das hat sich aber geändert in den letzten 30 Jahren. Heute sind viele der jüngeren Mönche Studierte, oft aus den Studiengebieten Mathematik oder theoretische Physik. Die Art der Betrachtung der Mönche hat viel zu tun mit den neuesten Erkenntnissen aus der Physik.
Athos – wo die Uhren anders gehen: Der Titel hat auch einen äusseren Bezug. Bei uns ist heute
der 16. Dezember, in Griechenland eine Stunde später, in Athos ist heute aber der 3. Dezember,
nachmittags um 8 Uhr. Das rührt daher, weil Athos, wie viele orthodoxe Kirchen, noch den alten
julianischen Kalender hat, nicht den gregorianischen wie wir. Und der julianische ist so ungenau, dass er immer hinterherläuft. 8 Uhr nachmittags ist es, weil im julianischen Kalender die
Stunde des Sonnenuntergangs die Stunde 0 ist. Daher heisst es auch in der Bibel, Jesus wurde
um die 9. Stunde gekreuzigt, was nachmittags um drei Uhr ist.
Zeit ist sowieso ein relativer Begriff: Ein Uhrmacher, ein Rumäne, sagte ihm einmal, dass es
eine mechanische Zeit gibt, die die Uhr misst, und eine gefühlte Zeit. Eine Stunde mit Zahnschmerzen zu verbringen sei doch ganz etwas anderes, als eine Stunde lang einem schönen
Konzert zu lauschen.
Ein anderer Mönch, der als Einsiedler lebte, erzählte ihm, dass er keine Lust hätte, sich vorschreiben zu lassen, wann er mit Gott rede, und den ganzen Tag zu fixen Stunden zu beten.
Zeit gebe es sowieso nicht. Wir Menschen haben das Gefühl, es gebe eine Vergangenheit, eine
Gegenwart und eine Zukunft, aber es gibt nur eine Gegenwart. Wir können zwar von der Vergangenheit und von der Zukunft reden, aber wir tun das alles jetzt, gegenwärtig. Diese philosophischen Überlegungen führten ihn zu einem Gedicht von Andreas Gryphius (1616–1664):
Betrachtung der Zeit
Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen;
mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen.
Der Augenblick ist mein, und nehm‘ ich den in acht,
so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.
Jannis Zinniker erzählt dann noch von seinen Erlebnissen und wie er nach Athos kam. Während er in Athen das Reisebüro führte, ging ein Freund von ihm aus der Schweiz, der Theologie
studiert hatte, nach Athos, um seine Dissertation zu schreiben.
Der Vater dieses Freundes rief eines Tages völlig aufgelöst an, er müsse sofort zu seinem
Sohn, der sei total durchgedreht, er sei konvertiert zum orthodoxen Glauben und erst noch
Mönch geworden! So besuchte Jannis Zinniker seinen Freund Hanspeter auf Athos. Dieser
erzählte ihm, dass er seine Entscheidung ganz alleine getroffen habe und nicht auf seinen Vater
Rücksicht nehmen kann. Die orthodoxe Religion hatte ihm tiefen Eindruck gemacht, ebenso
auch die Mystik, die die Mönche in ihrem Glauben haben. Er empfahl seinem Freund, zu den
Einsiedlern zu gehen und sich einen Lehrer zu suchen.
Von den Einsiedlern lernte Jannis Zinniker, dass die meisten Menschen religiöse Probleme haben, weil sie keine religiösen Erfahrungen machen. Aber wie ist der Weg zur Erfahrung?
Um das herauszufinden, suchte und fand er einen Lehrer, den Priestermönch Joachim. Dieser
lehrte ihn, die Bibel anders zu lesen, Satz für Satz, jeden Tag einen, und dann den ganzen Tag
darüber zu meditieren.
Später lernte er das Jesusgebet, das er ebenso den ganzen Tag wiederholte und darüber meditierte. Danach lernte er, bei dem Jesusgebet richtig zu atmen: Einatmen beim ersten Teil, den
Atem anhalten beim mittleren, und ausatmen beim letzten Teil. Nachdem er diese Übung ein
halbes Jahr praktiziert hatte, lernte er zum Schluss, alle Silben des Gebetes mit seinen Herz2 von 3
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schlägen in Übereinstimmung zu sprechen. Um diese Übung zu perfektionieren, nahm er sich
weitere zwei Jahre Zeit. Diese Erfahrungen haben ihn bis heute begleitet und begleiten ihn an
jedem weiteren Tag.
Zum Schluss des Referats zeigt uns Jannis Zinniker verschiedene Bilder mit traumhaften Aussichten, dazu hören wir Mönchsgesänge von Athos.
Rot. Markus Kirchhofer bedankt sich ganz herzlich beim Referenten und erkundigt sich, ob noch
Bemerkungen oder Fragen offen sind.
Rot. Hannes Kirchhof fragt, ob es möglich sei, die Klöster zu besuchen?
JZ: Ja, es ist möglich, man muss im Pilgerbüro in Thessaloniki eine Besuchserlaubnis beantragen und bekommt diese meistens auch problemlos für vier Tage. Wenn man dann auf Athos
Kontakte oder Bekannte und Interesse am mönchischen Leben hat, gibt es schon die Möglichkeit, länger zu bleiben.
Welche Musik hörten wir eben?
JZ: Das waren «normale» Choräle, die die Mönche an verschiedenen Gottesdiensten singen.
Die Mönche haben eine grosse Gesangstradition, auch abhängig von der Nationalität. Die Musik ist aber auch im Handel erhältlich.
Rot. Paul Rey fragt, wovon die Mönche leben?
JZ: Die kleinen Gemeinschaften und viele Einsiedler leben als Selbstversorger. Die grossen
Klöster haben Grundbesitz und somit Vermögen, diese können sich dementsprechend auch
Arbeiter leisten.
Als keine weiteren Fragen mehr offen sind, bedankt sich Rot. Markus Kirchhofer nochmals für
das sehr spannende Referat und verabschiedet den sympathischen Referenten mit einem kleinen Geschenk.
Berichterstatterin Rot. Annelies Fischer
16. Dezember 2015
Der Priestermönch Joachim, Lehrer von
Jannis Zinniker.
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Einer der am Schluss gezeigten Ausblicke.
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