Die Liedertafel droht zu verstummen - Aachener

Auszug aus dem Artikel!
Die Liedertafel droht zu verstummen
Von: Thomas Vogel
Letzte Aktualisierung: 25. Februar 2016, 18:59 Uhr
Auf der Suche nach neuen Mitgliedern: Dieter Rodermann (r.) und Wolfgang Vogt. Foto: Andreas Herrmann
Wer mitsingen will, kann einfach vorbeischauen Es ist ein Stimmenfang der besonderen Art, auf den sich
Rodermann und Vogt begeben. Begeben müssen, träfe es wohl noch ein bisschen besser, denn neue Stimmen brauchen sie. Dieter Rodermann (64)
ist Präsident der ältesten Gesellschaft singender Männer in Aachen, Wolfgang Vogt (67) der Schriftführer. Beide gehören zu den Nesthäkchen der
1832 gegründeten Aachener Liedertafel. Und genau das ist ein Problem.
Wer mitsingen will, kann einfach vorbeischauen
Wer neugierig auf Aachens ältesten Männerchor geworden ist, kann einfach bei der Probe vorbeischauen – selbst ohne Vorerfahrung in Sachen
Gesang. Sie findet immer dienstags zwischen 19.30 und 21.30 Uhr in der Erholungsgesellschaft, Reihstraße 13 (durch die Toreinfahrt) statt.
Am 2. Juli gibt die Liedertafel ein Schubert-Konzert. Die Citykirche ist schon gebucht. Um 19 Uhr geht es los. „Wir wollen Interessierte gezielt auf
dieses Konzert aufmerksam machen und fragen, ob sie nicht Lust haben, da mal mitzumachen“, sagt der Schriftführer des Vereins, Wolfgang Vogt.
Weitere Informationen gibt es außerdem per E-Mail an [email protected] oder bei Wolfgang Vogt unter Telefon 02405/ 93617.
1857 schrieb die „Niederrheinische Musik-Zeitung“ über die Liedertafel: „Denkwürdig ist es gewiss für jeden Verein, wenn er ein ViertelJahrhundert weit in seine Vergangenheit zurückblicken kann und heute, wie damals, in ungeschwächter Kraft da steht.“ Eine Kraft, die in den
vergangenen Jahren doch stark nachgelassen hat. Rund 159 Jahre nach dem Satz in der Musik-Zeitung scheint die Liedertafel langsam aber
unaufhaltsam den Mitgliedertod zu sterben. Die Männer werden immer älter, scheiden nach und nach aus. Neue kommen nicht dazu. Der Verein
blutet aus.
Weder in Moll, noch in Dur
„Die Liedertafel ist sehr zusammengeschrumpft“, sagt Vogt. Er und Rodermann wollen sich mit den anderen Mitgliedern im Rücken gegen diese
Entwicklung stemmen, wollen neue Mitglieder, frisches Sängerblut in die traditionsreiche Gesellschaft holen, seine Geschichte nicht in Moll
ausklingen lassen. Auch nicht in Dur. Überhaupt nicht. Die Geschichte der Aachener Liedertafel soll weitergehen.
Heute sind es bei den Proben dienstagabends noch zwölf, im Höchstfall 15 Sänger – als Rodermann 1984 zur Liedertafel stieß, war er einer von 52.
„Und die waren fast alle immer bei den Proben, weil sie noch ein paar Wochen jünger waren als heute.“ Neue, jüngere Sänger gewinnen – schön
und gut. Aber wie? Viele Vereine ächzen unter Mitgliederschwund, keiner ist bisher auf ein Patentrezept dagegen gestoßen. Die Verpflichtungen
schrecken junge Menschen ab, vermutet Vogt. Jeden Dienstagabend mit der Probe einen festen Termin zu haben, passe nicht in den Alltag vieler
Berufstätiger. Die Liedertafler wollen darauf reagieren und sind bemüht, die Hürden für eine Beteiligung möglichst niedrig zu halten.
Alles kann, nichts muss
Vorkenntnisse in Sachen Singen oder Notenlesen etwa sind nicht nötig, um mal bei der Liedertafel vorbeizuschauen. „Jeder kann singen“, sagt
Vogt. Eine feste Bindung müssen Interessenten auch nicht gleich eingehen. Die Liedertafler bieten an, reinzuhören. Einfach mal so. Unverbindlich
Mitsingen und sich bei Interesse zum Beispiel am Projekt „Schubert-Konzert“ (siehe Box) zunächst bis Juli zu beteiligen.
Und auch wenn die Liedertafel seit jeher vor allem für die alten Öcher Lieder bekannt ist – das Öcher-Jonge-Lied etwa, das Adenauer einst sang und
das der damalige Bundespräsident Walter Scheel mit einigen Liedertaflern bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst zum Besten
gab –, willkommen ist jeder. Auch wenn er kein Öcher Platt beherrscht. Hauptsache, Interesse und Freude an der Musik sind da, erklären die
Herren. Zum Repertoire gehören darüber hinaus die Klassiker – Silcher und Schubert, Operetten- und Opernchöre –, aber auch Volks- und
Seemannslieder. „Und Trinklieder“, schiebt Rodermann nach und lächelt.
Um weiterhin Konzerte singen zu können, kooperien die von den Verhältnissen gebeutelten Sänger mit dem zweitältesten Männerchor Aachens,
dem MGV Harmonia. „Deren Situation ist vergleichbar mit unserer.“ Die Kollegen beteiligen sich auch an dem Schubert-Konzert im Juli.
„Der Wunsch“, den Pool an Sängern sukkzesive aufzufrischen „ist groß“, sagt Rodermann. „Die Hoffnung stirbt auch zuletzt“, fügt er nach einer
kurzen Pause hinzu. „Aber die Realität sieht bitter aus“, nach einer weiteren. „Wir freuen uns inzwischen über jeden Frührentner. Für uns sind das
junge Leute.“